Der Anspruch auf eine kommunale Schuldnerberatung setzt eine Prognoseentscheidung voraus, dass die Leistung im Einzelfall zumindest mittelbar zur Eingliederung in Arbeit erforderlich ist.
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. September 2018 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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Im Streit ist die Übernahme der Kosten einer Schuldnerberatung.
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Der 1970 geborene Kläger steht seit Oktober 2011 im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Die im März 2015 beantragte Übernahme von Kosten für eine Schuldnerberatung lehnte das beklagte Jobcenter ab (Bescheid vom 22.4.2015; Widerspruchsbescheid vom 24.6.2015). Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 20.7.2017), das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 25.9.2018). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Anspruch auf eine Schuldnerberatung nach § 16a Nr 2 SGB II setze voraus, dass die Leistung für die Eingliederung in das Erwerbsleben erforderlich sei. Der Erforderlichkeit stehe entgegen, dass sich der Kläger in der Vergangenheit nachhaltig einer beruflichen Integration verweigert habe. Er habe zB eine ihm für die Zeit von Dezember 2012 bis Juni 2013 angebotene niedrigschwellige Maßnahme zur Unterstützung der beruflichen Eingliederung unter Verweis auf fehlende Leistungsfähigkeit abgelehnt, ohne angeforderte ärztliche Atteste vorzulegen; zudem sei er mehrfach zu Meldeterminen beim Beklagten nicht erschienen und habe die ihm durch Eingliederungsverwaltungsakt abverlangten Bewerbungsbemühungen nicht nachgewiesen. Angesichts dieser erheblichen, vorrangig zu behebenden Vermittlungshemmnisse könne eine positive Prognose nicht gestellt werden.
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Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger einen Verstoß gegen § 16a Nr 2 SGB II geltend. Die Inanspruchnahme von kommunalen Eingliederungsleistungen wie der Schuldnerberatung stehe nicht unter dem Vorbehalt, dass es sich dabei um die einzige Möglichkeit der Eingliederung handle. Kommunale Eingliederungsleistungen bezweckten keine unmittelbare Erwerbseingliederung, sondern flankierten weitere Eingliederungsmaßnahmen. Anspruchsvoraussetzung sei, dass die Verschuldungssituation ein arbeitsmarktspezifisches Eingliederungshemmnis darstelle. Die Schuldnerberatung nach § 16a Nr 2 SGB II sei als Teil eines ganzheitlichen Konzepts zu verstehen und nicht final mit der Eingliederung in Arbeit verbunden.
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Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. September 2018 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 20. Juli 2017 sowie den Bescheid vom 22. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Juni 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Kosten einer Schuldnerberatung zu übernehmen.
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Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
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Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Ob eine Schuldnerberatung zur Eingliederung des Klägers in das Erwerbsleben erforderlich ist, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Es fehlt an einer hinreichenden Prognoseentscheidung des LSG hinsichtlich der Erforderlichkeit dieser Maßnahme.
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1. Streitgegenstand des Verfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 22.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.6.2015 (§ 95 SGG), mit dem es der Beklagte abgelehnt hat, die Kosten einer Schuldnerberatung zu übernehmen.
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2. Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensfehler stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Der Kläger verfolgt im Revisionsverfahren sein Begehren zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), gerichtet auf die Aufhebung der ablehnenden Entscheidungen und die Neubescheidung im Sinne der Übernahme der Kosten für die begehrte Leistung.
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3. Bei dem geltend gemachten Anspruch handelt es sich um einen vom Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 7, 19 ff SGB II unabhängigen, abtrennbaren Streitgegenstand (so zu § 16d SGB II: BSG vom 13.11.2008 - B 14 AS 66/07 R - BSGE 102, 73 = SozR 4-4200 § 16 Nr 3), über den der Beklagte deshalb zutreffend isoliert entschieden hat (§ 31 SGB X).
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4. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 16a Nr 2 SGB II in der ab 1.4.2011 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 13.5.2011 (BGBl I 850). Danach kann zur Verwirklichung einer ganzheitlichen und umfassenden Betreuung und Unterstützung bei der Eingliederung in Arbeit Schuldnerberatung erbracht werden, wenn sie für die Eingliederung der oder des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in das Erwerbsleben erforderlich ist.
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5. Voraussetzung für die Erbringung dieser Ermessensleistung ist neben der Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II - insbesondere die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist, weil kein Feststellungsverfahren (vgl § 44a SGB II) eingeleitet worden ist, bereits aus rechtlichen Gründen anzunehmen (vgl BSG vom 5.8.2015 ‑ B 4 AS 9/15 R ‑ RdNr 14 mwN; BSG vom 13.7.2017 ‑ B 4 AS 17/16 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 54 RdNr 15), Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) zur Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II hingegen fehlen - die Erforderlichkeit der Leistung für die Eingliederung in das Erwerbsleben. Die prospektive Prüfung der Erforderlichkeit hat sich dabei an den allen Leistungen übergeordneten Zielvorgaben der §§ 1, 3 SGB II zu orientieren. Nach § 3 Abs 1 Satz 1 SGB II können Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erbracht werden, soweit sie zur Vermeidung oder Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit für die Eingliederung erforderlich sind. Nach § 1 Abs 2 Satz 4 Nr 1, 2 und 6 SGB II sind die Leistungen der Grundsicherung ua darauf auszurichten, dass durch eine Erwerbstätigkeit Hilfebedürftigkeit vermieden oder beseitigt wird, die Dauer der Hilfebedürftigkeit verkürzt oder der Umfang der Hilfebedürftigkeit verringert wird, die Erwerbsfähigkeit der leistungsberechtigten Person erhalten, verbessert oder wiederhergestellt wird und Anreize zur Aufnahme und Ausübung einer Erwerbstätigkeit geschaffen und aufrechterhalten werden.
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6. Es ist bei der Prüfung der Erforderlichkeit zwischen den Zielperspektiven einzelner Eingliederungsleistungen zu differenzieren. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut, aber auch der Systematik sowie dem Sinn und Zweck der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach den §§ 14 ff SGB II. Neben Leistungen, die auf die unmittelbare Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bzw Eingliederung in Arbeit gerichtet sind (vgl zB § 16 SGB II; zum Einstiegsgeld nach § 16b SGB II BSG vom 5.8.2015 ‑ B 4 AS 46/14 R ‑ SozR 4-4200 § 16b Nr 1), sollen andere - wie die kommunale Schuldnerberatung - die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erst vorbereiten oder flankierend unterstützen (zum vergleichbaren Verständnis der Arbeitsgelegenheiten: § 16d Abs 5 SGB II; so auch die Gesetzesbegründung zu § 16 SGB II in der ab 1.1.2009 geltenden Fassung des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008, BGBl I 2917; BT-Drucks 16/10810 S 46 zu § 16 Abs 1: "je nach Bedarf sollen passgenaue Unterstützungsangebote unterbreitet werden, die der Aktivierung, der Erzielung von Integrationsfortschritten oder unmittelbaren Eingliederung in Arbeit dienen können"). Daher ist eine Schuldnerberatung nicht nur dann erforderlich, wenn ihr prognostisch unmittelbar eine Arbeitsaufnahme folgt oder sie die einzige Möglichkeit zur Zielerreichung (berufliche Eingliederung) ist (vgl dazu nur BSG vom 23.5.2012 - B 14 AS 190/11 R - BSGE 111, 72 = SozR 4-4200 § 36a Nr 2, RdNr 26 mwN). Dies machen auch die in § 3 SGB II verorteten, allen Leistungen übergeordneten Ziele der Erhaltung, Verbesserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit deutlich (vgl auch Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zu den kommunalen Eingliederungsleistungen nach § 16a SGB II vom 30.9.2014 S 5; ebenso Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, K § 16a RdNr 10 ff, Stand Oktober 2019; BeckOK SozR/Harich, SGB II, § 16a RdNr 2, Stand Juni 2021). Nicht zuletzt spiegelt sich dieses Verständnis in der inhaltlichen Gestaltung einer kommunalen Schuldnerberatung wider: Die Leistung kann sich zwar in einem weiteren Verfahrensschritt auch auf die Regulierung und Organisation von Schulden zu erstrecken haben (vgl Fahlbusch, NDV 2010, 140). Im Vordergrund stehen aber zunächst regelmäßig Fragen der Selbstorganisation und des Umgangs mit der Verschuldenssituation, weshalb auch zutreffend (vgl Kothe in Gagel, SGB II/SGB III, § 16a SGB II RdNr 13, Stand Februar 2021) auf die Freiwilligkeit als Voraussetzung für deren Inanspruchnahme hingewiesen wird (dazu auch BSG vom 23.5.2012 ‑ B 14 AS 190/11 R - BSGE 111, 72 = SozR 4-4200 § 36a Nr 2, RdNr 22).
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7. Auch wenn das primäre Ziel der Schuldnerberatung also in einer der eigentlichen Eingliederung vorgelagerten Bewältigung von Motivationsproblemen, der Stabilisierung der Betroffenen, der Klärung von Ursachen von Ver- und Überschuldung und auch psychosozialer Betreuung liegt (BSG vom 10.8.2016 - B 14 AS 23/15 R ‑ BSGE 122, 46 = SozR 4-4200 § 16a Nr 1, RdNr 22 mwN) und an diesen Kriterien also die Erforderlichkeit der Leistung zu beurteilen ist, verliert sie dadurch nicht, anders als der Kläger meint, ihren finalen Bezug zum übergeordneten Ziel der Eingliederung in Arbeit (zum davon losgelösten Anspruch auf Schuldnerberatung als Teil der Leistungen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach den §§ 67 ff SGB XII iVm § 11 Abs 5 Satz 3 2. Halbsatz SGB XII BSG vom 13.7.2010 - B 8 SO 14/09 R - BSGE 106, 268 = SozR 4-4200 § 16 Nr 5, RdNr 23). Deshalb kann trotz bestehender Schuldenproblematik im Rahmen des § 16a Nr 2 SGB II die Erforderlichkeit der Leistung ermessensfehlerfrei dann zu verneinen sein, wenn prognostisch eine Eingliederung in das Erwerbsleben trotz Schuldnerberatung auch mittelfristig nicht erreichbar erscheint, zB weil die leistungsberechtigte Person zu keiner Eingliederung in den Arbeitsmarkt (auch nicht mit weiteren unterstützenden Leistungen zB nach § 16i SGB II) bereit ist. Es ist also weder - wie der Kläger meint - von einem abstrakten, normativen Vorrang der Schuldnerberatung vor anderen Eingliederungsleistungen auszugehen, weil eine Verschuldung eine Eingliederung in Arbeit in jedem Fall erschwere noch - anders als das LSG meint - von einem normativen Vorrang der Beseitigung "anderer" Vermittlungshemmnisse. Bestehen andere, nicht zu beseitigende Vermittlungshindernisse fehlt es bereits an der Erforderlichkeit die Eingliederung in Arbeit flankierender bzw vorbereitender Leistungen (wie der Schuldnerberatung). Die Schuldnerberatung muss zumindest mittelbar zur Eingliederung in Arbeit erforderlich sein.
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8. Zur Beurteilung der Erforderlichkeit der Leistung nach diesen Maßstäben ist eine Prognose notwendig, ob das mit der Leistung verfolgte Eingliederungsziel erreicht werden kann und dafür erforderlich ist, weil in der Verschuldenssituation ein arbeitsmarktspezifisches Eingliederungshindernis begründet liegt (BSG vom 13.7.2010 - B 8 SO 14/09 R - BSGE 106, 268 = SozR 4-4200 § 16 Nr 5, RdNr 14; BSG vom 10.8.2016 - B 14 AS 23/15 R - BSGE 122, 46 = SozR 4-4200 § 16a Nr 1). Für die Prognoseentscheidung sind im Rahmen einer vorausschauenden Betrachtung alle für die Beurteilung der künftigen Entwicklung im Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu würdigen und als hypothetische Tatsache festzustellen. Dies ist Aufgabe der Tatsachengerichte und für den Senat bindend, solange nicht durchgreifende Verfahrensrügen (dazu BSG vom 16.12.2004 - B 9 VS 1/04 R - BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2, RdNr 18) dagegen erhoben werden. Ohne Verfahrensrügen hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob das LSG eine Prognose getroffen und für die Prognose sachgerechte Kriterien gewählt hat bzw ob die Prognose auf rechtlich und sachlich zutreffenden Erwägungen beruht (BSG vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R - RdNr 35; BSG vom 16.6.2015 - B 13 R 36/13 R - RdNr 28; vgl zum Gesamten auch BSG vom 17.12.2014 ‑ B 8 SO 19/13 R; BSG vom 27.3.2020 ‑ B 10 EG 7/18 R ‑ SozR 4-7837 § 1 Nr 9).
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9. Es fehlt hier an einer hinreichenden Prognoseentscheidung. Das LSG hat lediglich festgestellt (§ 163 SGG), der Kläger habe in der Vergangenheit ihm angebotene niedrigschwellige Eingliederungsmaßnahmen nicht angenommen, zudem seien mehrfach Meldeversäumnisse eingetreten und er habe die ihm durch Eingliederungsverwaltungsakt abverlangten Bewerbungsbemühungen nicht nachgewiesen. Daraus hat das LSG den rechtlichen Schluss gezogen, es bestünden Vermittlungshemmnisse, die - im Verhältnis zur beantragten Schuldnerberatung - vorrangig zu beseitigen seien und gefolgert, eine positive Prognose könne deshalb nicht gestellt werden. Damit hat das LSG aber nur vergangenheitsbezogen festgestellt, dass der Kläger bestimmten, vom Beklagten vorgegebenen Eingliederungsmaßnahmen bzw Mitwirkungshandlungen nicht nachgekommen ist. Eine vorausschauende Betrachtung der hypothetischen künftigen Entwicklung seiner Arbeitsmarktintegration in Bezug auf die von ihm selbst beantragte Eingliederungsleistung auf der Basis dazu getroffener Feststellungen fehlt hingegen. Das LSG hat - ausgehend von seiner Rechtsauffassung eines normativen Vorrangs der Beseitigung anderer Vermittlungshemmnisse, die der Senat nicht teilt - nicht zukunftsgerichtet geprüft, ob die (behauptete) Verschuldenssituation den Integrationsprozess tatsächlich hindert und deshalb prospektiv eine Schuldnerberatung erforderlich sein kann, dieses mögliche Vermittlungshemmnis zu beseitigen. Dies wird das LSG nachzuholen haben. Kommt es dabei zum Schluss, die Erforderlichkeit der Leistung sei zu bejahen, dürfte in der Regel das Ermessen auf die Übernahme der dafür anfallenden Kosten reduziert sein (BSG vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 50/06 R - SozR 4-4200 § 59 Nr 1; so auch Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, K § 16a RdNr 14 mwN, Stand Oktober 2019; Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zu den kommunalen Eingliederungsleistungen nach § 16a SGB II, NDV 2014, 456 ff).
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Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.