L 16 AS 110/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AS 722/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 110/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Das Schriftformerfordernis des § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) setzt grundsätzlich voraus, dass die Berufungsschrift eigenhändig mit vollem Familiennamen unterzeichnet ist. 2. Eine Ausnahme hiervon ist zulässig, wenn auf andere Weise gewährleistet ist, dass dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden kann und feststeht, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt. 3. Die abgegebene Erklärung ist nicht hinreichend eindeutig, wenn in einem Schreiben, das an das Sozialgericht gerichtet ist, "schriftliche Verhandlung" und "Wiederaufnahme des Verfahrens" beantragt und "Widerspruch" eingelegt wird. 4. Eine Nachholung der fehlenden Unterschrift ist nicht mehr fristwahrend möglich, wenn die Erklärung am letzten Tag der Berufungsfrist beim Sozialgericht eingeht. 5. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs. 1 SGG kommt bei einem Rechtsirrtum nur dann in Betracht, wenn der Irrtum auch bei sorgfältiger Prüfung nicht hätte vermieden werden können. Dies ist nicht der Fall, wenn die Rechtsmittelbelehrung der erstinstanzlichen Entscheidung insbesondere über das statthafte Rechtsmittel, dessen Form und die einzuhaltende Frist ordnungsgemäß belehrt.

 

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 26. Januar 2021 wird als unzulässig verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Streitgegenständlich ist die Rechtmäßigkeit einer Mahnung der Beklagten.

Die 1972 geborene Klägerin bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom Beigeladenen. Dieser hob mit Bescheid vom 06.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2017 die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.05.2016 bis 31.10.2016 gegenüber der Klägerin auf und machte eine Erstattungsforderung in Höhe von insgesamt 3.002,16 Euro geltend. Die Klage zum Sozialgericht Landshut hiergegen erklärte die Klägerin am 12.07.2017 für erledigt. Der Beigeladene rechnete die Erstattungsforderung ab dem 01.01.2019 gegen die laufenden Ansprüche der Klägerin auf Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 42,40 Euro auf (Bescheid vom 28.12.2018, Widerspruchsbescheid vom 11.02.2019). Die Klage hiergegen wurde von der Klägerin am 25.06.2019 zurückgenommen. Der Beigeladene forderte die Klägerin mit Schreiben vom 14.08.2019 auf, den noch verbliebenen Betrag in Höhe von 2.874,96 Euro bis 30.09.2019 zu überweisen.

Die Beklagte übersandte der Klägerin mit Schreiben vom 09.10.2019 eine Mahnung über den offenen Betrag und setzte eine Mahngebühr in Höhe von 15,- Euro fest. Hiergegen erhob die Klägerin am 21.10.2019 Klage zum Sozialgericht Landshut. Die vereinbarten Raten seien vom Beigeladenen eigenmächtig einbehalten worden und es sei Verjährung eingetreten. Die Beklagte wertete die Klage auch als Widerspruch und wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 28.11.2019 zurück. Mit Schriftsatz vom 09.09.2020 erklärte die Beklagte, auf die Mahngebühr zu verzichten.

Das Sozialgericht Landshut wies die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 26.01.2021 ab. Hinsichtlich der Aufhebung der Festsetzung der Mahngebühr sei wegen des Verzichts der Beklagten das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungsklage entfallen. Im Übrigen sei die Klage dahingehend auszulegen, dass die Feststellung begehrt werde, dass die Forderung verjährt sei. Diese Feststellungsklage sei unbegründet, da Verjährung nicht eingetreten sei. Der Erstattungsbescheid des Beigeladenen vom 06.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2017 sei mit der Erledigterklärung durch die Klägerin vom 12.07.2017 bestandskräftig geworden. Damit sei die 30-jährige Verjährungsfrist in Gang gesetzt worden, die noch nicht abgelaufen sei.

Zu dem der Klägerin am 28.01.2021 zugestellten Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist am 01.03.2021 ein nicht unterschriebenes Schreiben vom 25.02.2021 beim Sozialgericht Landshut eingegangen, das im Briefkopf die Adresse der Klägerin enthält und zum Abschluss ihren Namen aufführt. Die Klägerin hat damit "schriftliche Verhandlung" beantragt. Seit November 2020 würden ihr monatlich 50,- Euro abgezogen; hierzu habe sie nun einen Bescheid des Beigeladenen erhalten, wonach der Abzug die Erstattungsforderung aus dem Klageverfahren S 7 AS 722/19 betreffe. Sie beantrage daher die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen neuer Erkenntnisse. Sie habe erstmals durch den Gerichtsbescheid von einer 30-jährigen Verjährungsfrist erfahren und lege daher diesbezüglich ebenfalls "Widerspruch" ein.

Das Sozialgericht hat dieses Schreiben am 05.03.2021 an das Bayer. Landessozialgericht weitergeleitet.

Die Klägerin ist mit gerichtlichem Schreiben vom 11.03.2021 darauf hingewiesen worden, dass das Schreiben vom 25.02.2021 nicht unterschrieben worden und daher die Berufung, sofern eine solche beabsichtigt gewesen sei, unzulässig sei, da eine fristwahrende Nachholung der Unterschrift nicht mehr möglich sei. Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 11.03.2021 zu einer beabsichtigten Verwerfung der Berufung durch Beschluss angehört worden.

Die Klägerin hat hierzu mitgeteilt, dass sie am selben Tag ein zweites Schreiben mit Unterschrift an das Sozialgericht gesandt habe, so dass die Frist gewahrt worden sei. Auf Nachfrage beim Sozialgericht hat dieses mitgeteilt, dass ein unterschriebenes Schreiben der Klägerin im Nachgang zum Gerichtsbescheid vom 26.01.2021 nicht vorliege. In der Klageakte ist ein solches Schreiben nicht enthalten.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 26.01.2021 ist als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht binnen der einmonatigen Berufungsfrist in der vorgeschriebenen Form erhoben wurde.

Ist die Berufung nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen (§ 158 Satz 1 und 2 SGG). Die Beteiligten wurden zuvor angehört.

Nach § 151 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Der Gerichtsbescheid wirkt gemäß § 105 Abs. 3 Halbsatz 1 SGG als Urteil und kann gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG wie ein solches mit der Berufung angefochten werden.

Das Schriftformerfordernis des § 151 Abs. 1 SGG setzt voraus, dass die Berufungsschrift eigenhändig mit vollem Familiennamen unterzeichnet ist. Die handschriftliche Unterzeichnung soll zur Gewährleistung der Rechtssicherheit den Urheber des Schriftsatzes erkennen lassen und zugleich gewährleisten, dass dieser Schriftsatz mit Wissen und Willen des Berechtigten bei Gericht eingegangen ist, es sich also nicht nur um einen Entwurf handelt (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 151 Rdnr. 3a, 4a; Müller in jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl. 2020, § 151 SGG Rdnr. 17; Adolf in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 151 Rdnr. 19 f., 24; Sommer in beck-online.Großkommentar, Stand 01.05.2021, § 151 SGG Rdnr. 17, 18; Binder in Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, 6. Aufl. 2021, § 151 Rdnr. 15, BSG, Urteil vom 04.06.1975 - 11 RA 189/74; Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 30.01.2002 - B 5 RJ 10/01 R; Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 11.04.2013 - VII ZB 43/12). Anders als gemäß § 92 Abs. 1 Satz 3 SGG für die erstinstanzliche Klageerhebung ist die handschriftliche Unterschrift für die Einlegung der Berufung regelmäßig nicht nur eine "Soll-Vorschrift", sondern grundsätzlich erforderlich (Müller, a.a.O., § 151 Rdnr. 16). Zwar sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Ausnahmen von der eigenhändigen Unterschrift zugelassen worden, wenn auf andere Weise gewährleistet ist, dass dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden kann und feststeht, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2002 - B 5 RJ 10/01 R mit weiteren Nachweisen). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Dem Schreiben vom 25.01.2021 an das Sozialgericht, das dort (nach Zustellung des Gerichtsbescheides an die Klägerin am 28.01.2021) am Montag, den 01.03.2021, und damit am letzten Tag der einmonatigen Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 SGG eingegangen ist, kann bereits nicht entnommen werden, dass die Klägerin tatsächlich Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 26.01.2021 einlegen und eine Entscheidung der nächsthöheren Instanz herbeiführen wollte. In der Betreffzeile ist zwar das Aktenzeichen des Klageverfahrens S 7 AS 722/19 genannt. Beantragt hat die Klägerin beim Sozialgericht jedoch "schriftliche Verhandlung" verbunden mit einem Antrag auf "Wiederaufnahme des Verfahrens" aufgrund neuer Erkenntnisse und einem "Widerspruch". Damit lässt sich nicht hinreichend zuverlässig feststellen, dass die Klägerin überhaupt eine Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut einlegen wollte und damit eine Überprüfung des Gerichtsbescheides durch das Bayer. Landessozialgericht beabsichtigte.

Nachdem das Schreiben vom 25.02.2021 am letzten Tag der Berufungsfrist - die gemäß § 64 Abs. 1 SGG am 29.01.2021 begann und gemäß § 64 Abs. 2, 3 SGG am Montag, den 01.03.2021, endete - beim Sozialgericht eingegangen ist, war eine die Berufungsfrist wahrende Nachholung der Unterschrift auch nicht mehr möglich. Ein zweites unterschriebenes Schreiben der Klägerin vom 25.02.2021 ist weder beim Sozialgericht Landshut noch beim Bayer. Landessozialgericht eingegangen.

Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG sind nicht gegeben, da die Klägerin nicht ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Bei einem Rechtsirrtum - hier dem Irrtum über das Erfordernis einer Unterschrift auf der Berufungsschrift - trifft den Beteiligten nur dann ausnahmsweise kein Verschulden, wenn dieser den Irrtum auch bei sorgfältiger Prüfung nicht vermeiden konnte. Der Beteiligte muss die Rechtsmittelbelehrung beachten und sich sachkundig beraten lassen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 67 Rdnr. 8). Die Klägerin wurde in der Rechtsmittelbelehrung des Gerichtsbescheides vom 26.01.2021 ordnungsgemäß darüber belehrt, dass gegen den Gerichtsbescheid innerhalb eines Monats nach Zustellung schriftlich oder zur Niederschrift oder in elektronischer Form Berufung beim Bayer. Landessozialgericht oder beim Sozialgericht eingelegt werden kann. Dass die fristgerechte schriftliche Einlegung eine Unterschrift erfordert, hätte sie bei sorgfältiger Prüfung auch erkennen können, da sie bereits die Klage beim Sozialgericht Landshut mit Schreiben vom 19.10.2019 zunächst ohne Unterschrift erhoben hatte und vom Sozialgericht mit Schreiben vom 23.10.2019 ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass zur Wirksamkeit der Klageerhebung eine fristgerecht eingehende Unterschrift erforderlich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
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