L 16 AS 197/21 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AS 75/21 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 197/21 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Zum Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft iSd § 9 Abs. 5 SGB II bei 24-jährigem Zusammenleben von Mutter und Sohn, mehreren gemeinsamen Umzügen, gemeinsamer Nutzung eines Kontos und Unterstützung durch Anschaffung von Einrichtungsgegenständen.
2. Bei der Ermittlung des Einkommens des Verwandten bzw. Verschwägerten im Rahmen des § 9 Abs. 5 SGB II ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V auch der Freibetrag nach § 11b Abs. 2a SGB II iVm § 82a SGB XII abzusetzen. Außerdem können besondere Positionen, die im Rahmen des Leistungsbezugs nicht nach § 11b SGB II abgezogen werden können, zu berücksichtigen sein (z.B. Zinsen und Tilgungen auf Schuldverpflichtungen).
3. Auch von dem nach § 9 Abs. 5 SGB II ermittelten Einkommen des Leistungsberechtigten sind die Beträge nach § 11b SGB II abzusetzen (hier: Versicherungspauschale nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II iVm § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V).

 

I.  Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 5. März 2021 abgeändert und der Beschwerdegegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Beschwerdeführer weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 17.02.2021 bis 28.02.2021 in Höhe von 79,80 Euro und für die Zeit vom 01.03.2021 bis 30.09.2021 in Höhe von 199,49 Euro monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Der Beschwerdegegner hat dem Beschwerdeführer ein Viertel seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

G r ü n d e :

I.

Streitgegenständlich ist ein Anspruch des Antragstellers und Beschwerdeführers (Bf) auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Der 1966 geborene Bf lebt seit dem Jahr 1997 mit seiner 1944 geborenen Mutter zusammen. Ursprünglich gehörten zum Haushalt auch sein im Jahr 2010 verstorbener Bruder und seine im Jahr 2012 verstorbene Großmutter. Der Bf bezog bis Dezember 2020 Leistungen nach dem SGB II vom Jobcenter Stadt M; im Dezember 2020 wurde ihm wegen eines Wegzugs nur noch die Regelleistung bewilligt. Für die Zeit ab 01.12.2020 mieteten der Bf und seine Mutter gemeinsam eine 72 qm große Dreizimmer-Wohnung in der H-Straße in A, für die eine Gesamtmiete in Höhe von 809,99 Euro (629,99 Euro Grundmiete, 40,- Euro Heizkostenvorauszahlung, 130,- Euro Nebenkostenvorauszahlung, 10,- Euro für einen Pkw-Stellplatz) zu zahlen ist. Die Stadt A leistet einen Zuschuss zu den Mietkosten in Höhe von 172,- Euro, so dass sich die vom Bf und seiner Mutter zu zahlenden Unterkunftskosten auf 637,99 Euro (anteilig 318,99 Euro für den Bf) belaufen.

Die Mutter des Bf, der nach einem Schwerbehindertenausweis vom 16.09.2002 unbefristet ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 zuerkannt wurde, bezieht laut Rentenbescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 16.05.2020 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 1.431,87 Euro, die sich ausweislich des Bescheides um einen abgetrennten Teil in Höhe von 175,99 Euro, der an einen anderen Zahlungsempfänger überwiesen wird, vermindert. An die Mutter des Bf werden monatlich 1.255,88 Euro Altersrente ausgezahlt. Außerdem erhält sie eine Betriebsrente der Bayerischen Versorgungskammer (BVK) in Höhe von 337,21 Euro monatlich (Schreiben der BVK vom 02.10.2020). Die Mutter des Bf hatte bereits gegenüber dem vorherigen SGB II-Leistungsträger, dem Jobcenter Stadt M, mit Schreiben vom 21.04.2016 erklärt, dass sie den Bf nicht im Rahmen des § 9 Abs. 5 SGB II finanziell unterstütze. Diese Erklärung erneuerte sie auch gegenüber dem Antrags- und Beschwerdegegner (Bg) mit Schreiben vom 23.04.2021, in dem sie ausführt, sie habe mit dem Jobcenter nichts zu tun, erhalte keine Hilfen wie z.B. Grundsicherung und habe ihre Rente in 45 Arbeitsjahren selbst verdient. Sie könne für den Lebensunterhalt ihres Sohnes nicht aufkommen, da sie selbst bereits die Hälfte der Wohnkosten zahle und ihr Einkommen für ihren Lebensunterhalt benötige.

Der Bf beantragte beim Bg am 26.10.2020 Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 04.12.2020 bewilligte der Bg dem Bf für die Zeit vom 01.12.2020 bis 31.05.2021 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von 318,99 Euro für Dezember 2020 sowie 530,95 Euro monatlich für die Zeit von Januar bis Mai 2021. Dabei berücksichtigte er Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von 318,99 Euro und setzte vom Leistungsanspruch des Bf in Höhe von 764,99 Euro einen Unterstützungsbeitrag seiner Mutter in Höhe von 234,04 Euro ab. Diesen errechnete er wie folgt: Der Mutter wurde ein Eigenbedarf in Höhe der zweifachen Regelleistung (446,- Euro mal zwei, d.h. 892,- Euro) und der anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung (319,- Euro), insgesamt 1.211,- Euro, zuerkannt. Vom Einkommen der Mutter in Höhe von insgesamt 1.739,08 Euro wurde der Eigenbedarf abgezogen und die Hälfte des verbleibenden Betrages (528,08 Euro), also 264,04 Euro, bei den Leistungen des Bf berücksichtigt. Hiervon wurde noch die Versicherungspauschale in Höhe von 30,- Euro in Abzug gebracht.

Gegen den Bescheid erhob der Bf mit Schreiben vom 28.12.2020 wegen des angerechneten Unterstützungsbeitrages Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2021 zurückgewiesen wurde. Hierzu ist beim Sozialgericht Landshut das Klageverfahren anhängig.

Mit Bescheid vom 06.05.2021 bewilligte der Bg dem Bf für die Zeit vom 01.06.2021 bis 30.11.2021 wiederum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 530,95 Euro. Auch hiergegen erhob der Bf mit Schreiben vom 16.05.2021 Widerspruch, da er keine Unterhaltszahlungen seiner Mutter erhalte. Er habe Anspruch auf einen Gesamtbetrag in Höhe von 720,39 Euro (764,99 Euro abzüglich 44,60 Euro Kautionseinbehalt). Seine Mutter habe bereits mehrfach erklärt, dass sie nicht für seinen Unterhalt aufkomme.
 
Mit Schreiben vom 11.02.2021, eingegangen am 17.02.2021, stellte der Bf beim Sozialgericht Landshut drei Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz, im hier streitgegenständlichen Verfahren (S 7 AS 75/21 ER) mit dem Ziel, den Bg im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren. Sein Schreiben beinhaltete außerdem auch drei Klagen, darunter eine Klage gegen den Bescheid vom 04.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2021 hinsichtlich der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.12.2020 bis 31.05.2021 (S 7 AS 79/21), über die noch nicht entschieden worden ist.

Das Sozialgericht lehnte den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 05.03.2021 ab. Ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht worden. Der Bf habe entgegen der Aufforderung des Gerichts keine Kontoauszüge vorgelegt und seine aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht dargelegt, sodass eine besondere Eilbedürftigkeit wegen fehlender finanzieller Mittel nicht glaubhaft sei. Der Antrag des Bf vom 23.02.2021, das Verfahren auszusetzen, lasse den Schluss zu, dass der Bf selbst nicht von einer besonderen Eilbedürftigkeit ausgehe, sondern es für zumutbar und sogar geboten erachte, den Ausgang des Verfahrens über seinen Überprüfungsantrag bei der Bundesagentur für Arbeit und die Klärung der Frage des Vorliegens einer Haushaltsgemeinschaft vor dem Bundessozialgericht abzuwarten. Der Bf könne zumutbar auf das Hauptsacheverfahren unter dem Aktenzeichen verwiesen werden.

Gegen den ihm am 09.03.2021 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts vom 05.03.2021 hat der Bf am 09.04.2021 Beschwerde eingelegt. Ihm seien die Unterkunftskosten in voller Höhe ohne Anwendung des Kopfteilprinzips zu bewilligen. Außerdem wendet sich der Bf gegen die Anrechnung von Unterstützungsleistungen seiner Mutter auf seine Leistungen nach dem SGB II.

Der Bf beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 05.03.2021 aufzuheben und den Bg im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.

Der Bg beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Bg verweist auf die den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 05.03.2021 tragenden Gründe sowie seinen bisherigen Vortrag im Widerspruchsverfahren, Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und im Klageverfahren . Die Absetzung eines Betrages von der Altersrente der Mutter des Bf sei nur dann nicht als deren Einkommen zu berücksichtigen, wenn die Absetzung nicht von ihrem Willen abhänge. Entscheidend sei daher, an wen und aus welchem Grund die Absetzung erfolge. Der Bg gehe weiterhin davon aus, dass nach den Einkommensverhältnissen der Mutter des Bf vermutet werden könne, dass dieser von ihr Unterstützungsleistungen erhalte, lediglich die Höhe könne mangels Nachweisen noch nicht abschließend ermittelt werden. Bei Berücksichtigung des Absetzungsbetrages von der Rente und eines Freibetrages nach § 82a Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) beim Bedarf der Mutter errechne sich noch ein Unterstützungsbetrag in Höhe von gerundet 64,55 Euro. Nach dem Verlauf des Beschwerdeverfahrens könne von einem Anordnungsgrund nicht ausgegangen werden, so dass der Bf hinsichtlich der weiteren Sachverhaltsaufklärung im Hinblick auf die Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens nach § 9 Abs. 5 SGB II auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden könne.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Gerichtsakte im Verfahren L 16 AS 199/21 B ER und der beigezogenen Verwaltungsakte des Bg verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 05.03.2021 ist zulässig. Sie ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG iVm § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, da der Beschwerdewert in Höhe von 750,- Euro überschritten wird. Dem Vortrag des Bf lässt sich entnehmen, dass er um monatlich 234,04 Euro höhere Leistungen in der Zeit ab 01.01.2021 begehrt.

Der streitgegenständlichen einstweiligen Anordnung liegt die Leistungsbewilligung durch den Bescheid des Bg vom 04.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2021 für die Zeit vom 01.12.2020 bis 31.05.2021 zugrunde. Da der Bf sich zukunftsoffen gegen die hälftige Aufteilung der Kosten für Unterkunft und Heizung sowie die Anrechnung einer Unterhaltsleistung seiner Mutter im Rahmen der ihm gewährten SGB II-Leistungen wehrt, ist auch der zwischenzeitlich ergangene weitere Bescheid des Bf vom 06.05.2021 für die Zeit vom 01.06.2021 bis 30.11.2021 zu berücksichtigen, gegen den der Bf mit Schreiben vom 16.05.2021 Widerspruch erhoben hat.

Die Beschwerde ist teilweise begründet. Der Bf hat einen Anordnungsanspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II glaubhaft gemacht, da der anzurechnende Unterstützungsbeitrag seiner Mutter niedriger anzusetzen ist als im Bescheid vom 04.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2021 und vom 06.05.2021.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1, 2 SGG kann, soweit ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG nicht vorliegt, das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Da der Bf eine Ausweitung seiner Rechtsposition begehrt, ist eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Diese setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hat der Antragsteller hierzu glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung (ZPO); Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rdnr. 41; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 86b Rdnr. 324). Vermieden werden soll sowohl bei der Sicherungs- als auch bei der Regelungsanordnung, dass der Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt wird, bevor er wirksamen Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren erlangen kann. Entscheidend ist, ob es bei einer Interessenabwägung dem Betroffenen nach den Umständen des Einzelfalls zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. Keller, a.a.O., § 86b, Rdnr. 28). Im Beschwerdeverfahren trifft das Beschwerdegericht eine neue Entscheidung, ohne auf die Überprüfung der Ausgangsentscheidung beschränkt zu sein (Karl in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 176, Rdnr. 11). Die Entscheidung darf sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden, erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs. Hierbei ist dem Gewicht der infrage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.04.2010 - 1 BvR 216/07). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1988 - 2 BvR 745/88). Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich - etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte -, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dann auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des 1. Senats vom 06.02.2013 - 1 BvR 2366/12, Rdnr. 3 juris; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des 1. Senats vom 26.06.2018 - 1 BvR 733/18, Rdnr. 3f. juris; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss der 1. Kammer des 1. Senats vom 14.03.2019 - 1 BvR 169/19, Rdnr. 15 juris). Der Senat entscheidet vorliegend nach eingehender Prüfung der Rechtslage bei noch nicht vollständig aufgeklärtem Sachverhalt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (Keller, a.a.O., § 86b Rdnr. 42; Burkiczak, a.a.O., Rdnr. 327).

Der Bf hat einen Anspruch auf um 199,49 Euro höhere monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II glaubhaft gemacht, da bei der Berechnung der Leistungshöhe ein niedrigerer Unterstützungsbetrag seiner Mutter anzusetzen ist.

Der 1966 geborene Bf hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, ist erwerbsfähig und hilfebedürftig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Damit ist er erwerbsfähiger Leistungsberechtigter iSd § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Er ist wohl auch nach § 9 Abs. 1 SGB II hilfebedürftig, da er seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe - jedenfalls nicht in bedarfsdeckender Höhe - von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Zutreffend hat der Bg bei der Leistungsbewilligung ab 01.01.2021 den Regelbedarf nach § 20 SGB II iVm §§ 28, 28a SGB XII und § 8 Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) in der Fassung vom 09.12.2020 in Höhe von 446,- Euro (Regelbedarfsstufe 1) berücksichtigt. Auch wurden dem Bf in der Zeit ab 01.12.2020 die Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II entsprechend seinem hälftigen Anteil in Höhe von 318,99 Euro in voller Höhe zuerkannt. Dass der Bg nur die Hälfte der Mietkosten für die Wohnung bewilligt hat, entspricht der Aufteilung der Unterkunftskosten im Rahmen der sog. Kopfteilmethode. Hiernach sind die gesamten Unterkunftsbedarfe in der Regel unabhängig von Alter oder Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen, wenn Leistungsberechtigte eine Unterkunft gemeinsam nutzen (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2013 - B 14 AS 85/12 R). Dies gilt unabhängig davon, ob der Leistungsberechtigte eine Bedarfsgemeinschaft, eine Haushaltsgemeinschaft oder eine Wohngemeinschaft mit dem Mitbewohner bildet (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R). Die Mutter des Bf hat auch selbst in ihrem Schreiben vom 23.04.2021 an den Bg bestätigt, sie trage u.a. die Hälfte der Wohnkosten.

Auch ist der Bg zu Recht davon ausgegangen, dass nach § 9 Abs. 5 SGB II ein Unterstützungsbeitrag der Mutter des Bf auf seinen Leistungsanspruch anzurechnen ist. Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann (§ 9 Abs. 5 SGB II).

Die Vorschrift geht auf den im Wesentlichen wortlautgleichen § 16 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zurück, in dem eine entsprechende Vermutungsregel enthalten war. Es wurde davon ausgegangen, dass im gemeinsamen Haushalt zusammenlebende Familienmitglieder auch ohne bürgerlich-rechtliche Unterhaltspflicht sittlich zu gegenseitiger Hilfe verpflichtet sind. § 9 Abs. 5 SGB II ist eine widerlegbare gesetzliche Vermutung, die grundsätzlich zu einer Verschiebung der materiellen Beweislast/Feststellungslast führt. Ist positiv festgestellt, dass eine Haushaltsgemeinschaft vorliegt, bewirkt der Eintritt der gesetzlichen Vermutung grundsätzlich eine Verlagerung der Feststellungslast auf den Leistungsberechtigten. Er muss nachweisen, dass Unterstützungsleistungen nicht oder nicht im errechneten Umfang geleistet wurden. Dabei genügt das bloße Bestreiten nicht, um die auf festgestellten Tatsachen beruhende Vermutung, die auf eine typisierende Lebenswirklichkeit zurückgreift, zu widerlegen. Eine Widerlegung der Vermutung kann nur angenommen werden, wenn eine glaubhafte Versicherung des Leistungsberechtigten und der weiteren Haushaltsmitglieder vorliegt und zusätzlich nachvollziehbare und überprüfbare Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, welche geeignet sind, Zweifel an der Richtigkeit der Vermutung zu begründen und dadurch die Vermutung zu erschüttern. Gesichtspunkte, die in die Betrachtung über das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft einzubeziehen sind, sind beispielsweise der Grad der Verwandtschaft, das Verhalten in der Vergangenheit, die Dauer der bestehenden Haushaltsgemeinschaft, die Intensität der Beziehung zwischen den Betroffenen sowie die Höhe des Einkommens des Angehörigen (vgl. Karl in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 9 Rdnr. 157, 160, 185).

Der Senat geht nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage von einer Haushaltsgemeinschaft zwischen dem Bf und seiner Mutter aus. Eine Haushaltsgemeinschaft im Sinne des § 9 Abs. 5 SGB II erfordert ein nicht nur vorübergehendes Zusammenwohnen und ein gemeinsames Wirtschaften. Die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gehen dabei über die gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und ggf. Gemeinschaftsräumen hinaus. Erforderlich ist ein Wirtschaften "aus einem Topf" (Karl, a.a.O., § 9 Rdnr. 167). Der Bf und seine Mutter leben bereits seit dem Jahr 1997 und damit seit nunmehr 24 Jahren zusammen. Aus den zahlreichen Schriftsätzen des Bf und seiner Mutter im Verwaltungsverfahren bzw. den vorangegangenen Gerichtsverfahren geht hervor, dass die Mutter des Bf diesen bereits in der Vergangenheit finanziell unterstützte. Der Bf pflegt seine Mutter, beide nutzen das Konto des Bf gemeinsam. Der Bf hat insoweit vorgetragen, dass die Altersrente seiner Mutter auf sein Konto überwiesen wird. Den im Rahmen des Beschwerdeverfahrens L 16 AS 199/21 B ER vorgelegten Kontoauszügen des Bf lässt sich außerdem entnehmen, dass seine Mutter und er gemeinsame Barabhebungen von diesem Konto vornehmen. Auch hat die Mutter des Bf telefonisch gegenüber dem Senat mitgeteilt, sie habe einen Kühlschrank und die Waschmaschine für die Wohnung bereits auf ihre Kosten angeschafft. Auch der enge Verwandtschaftsgrad zwischen dem Bf und seiner Mutter als Verwandte gerader Linie iSd § 1589 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und die Tatsache, dass beide auch seit der Zwangsräumung des seit 1997 bewohnten Reihenmittelhauses in M im März 2019 gemeinsam in Unterkünften der Stadt M untergebracht waren und nun die Wohnung ab 01.12.2020 wiederum gemeinsam angemietet haben, sprechen für das durchgehende Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft.

Nach der Höhe des Einkommens der Mutter des Bf können Unterstützungsleistungen auch erwartet werden. Der Bf hat darüber hinaus nicht glaubhaft gemacht, dass tatsächlich keine finanzielle Unterstützung durch seine Mutter erfolgt und die Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II nicht widerlegt. Dem widerspricht schon der eigene Vortrag seiner Mutter, wonach sie ihren Sohn etwa durch Anschaffung von Einrichtungsgegenständen oder Bekleidung unterstützt hat bzw. unterstützt. Auch fließt ihre Altersrente auf das Konto des Bf, von dem beide, der Bf und seine Mutter, Abhebungen tätigen.

Auf der Grundlage von § 13 SGB II ergingen zur Konkretisierung des § 9 Abs. 5 SGB II die Vorschriften des § 1 Abs. 2 und § 7 Abs. 2 Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-V). Das BSG hat bereits die Ermächtigungskonformität und Vereinbarkeit des § 1 Abs. 2
Alg II-V mit höherrangigem Recht zumindest für unterhaltspflichtige Angehörige bejaht (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 68/07 R). Nach § 1601 BGB sind Verwandte gerader Linie - hierzu gehören der Bf und seine Mutter - grundsätzlich verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V sind die um die Absatzbeträge nach § 11b SGB II bereinigten Einnahmen in der Regel nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie einen Freibetrag in Höhe des doppelten Betrages des nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II maßgebenden Regelbedarfs zuzüglich der anteiligen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sowie darüber hinausgehend 50 Prozent der diesen Freibetrag übersteigenden bereinigten Einnahmen nicht überschreiten. § 11a SGB II gilt nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Alg II-V entsprechend.

Die Mutter des Bf verfügt über zu berücksichtigendes Einkommen aus der Altersrente in Höhe von 1.255,88 Euro sowie aus der Betriebsrente in Höhe von 337,21 Euro, insgesamt 1.593,09 Euro. Der Senat geht für das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes davon aus, dass das Einkommen aus der Altersrente nur in Höhe von 1.255,88 Euro zu berücksichtigen ist, da laut dem Bescheid vom 16.05.2020 nur dieser Betrag vom Rentenversicherungsträger an die Mutter des Bf überwiesen wird. Der Bf hat in diesem Zusammenhang von einer "Pfändung" eines Teils der Rente gesprochen. Einnahmen iSd SGB II können nur dann als Einkommen berücksichtigt werden, wenn sie als ein zur Bedarfsdeckung bereites Mittel zur Verfügung stehen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteil vom 23.08.2011 - B 14 AS 43/14 R). Schuldverpflichtungen können zwar im Rahmen des SGB II-Leistungsbezugs regelmäßig nicht vom Einkommen abgezogen werden (vgl. BSG, Urteil vom 19.09.2008 - B 14/7b AS 10/07 R). Einen vereinbarten Lohneinbehalt zur Tilgung von Schulden beim Arbeitgeber sieht das BSG als bloße unbeachtliche Einkommensverwendung an (BSG, Urteil vom 24.05.2017 - B 14 AS 32/16 R). Wegen Schulden gepfändete Einkommensteile können jedoch nur dann als Einkommen berücksichtigt werden, wenn die Pfändung ohne weiteres und unmittelbar rückgängig gemacht werden kann (vgl. Schmidt in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 11 Rdnr. 26 mit weiteren Nachweisen zur BSG-Rechtsprechung). Im Hinblick auf die Bedeutung der existenzsichernden Leistungen für den Bf und dessen Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) iVm Art. 20 Abs. 1 GG berücksichtigt der Senat den abgetrennten Teil der Altersrente im Beschwerdeverfahren nicht als Einkommen der Mutter des Bf. Die weitere Klärung des Sachverhalts insoweit muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Bundesagentur für Arbeit selbst in ihren fachlichen Hinweisen zur Verwaltungspraxis zu § 9 Abs. 5 SGB II auch besondere Abzüge außerhalb von § 11b SGB II bei der Ermittlung des Einkommens des Verwandten bzw. Verschwägerten zulässt, die ansonsten bei der Einkommensermittlung nach dem SGB II nicht relevant sind, wie z. B. Sonderbedarfe für orthopädische Hilfsmittel oder Zinsen und Tilgungen auf Schuldverpflichtungen (vgl. Karl, aaO., § 9 SGB II Rdnr. 179; Mecke in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 9 Rdnr. 99; Korte in LPK-SGB II, 7. Aufl. 2021, § 9 Rdnr. 63; Fachliche Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 9, Ziffer 9.32).

Von dem Einkommen ist der Freibetrag nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Alg II-V abzuziehen, den der Bg zutreffend in Höhe von 1.211,- Euro ermittelt hat (zweifacher Regelbedarf in Höhe von 892,- Euro sowie die anteiligen Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 319,- Euro). Für das einstweilige Rechtsschutzverfahren hat der Bf ausreichend glaubhaft gemacht, dass zusätzlich der Freibetrag nach § 11b Abs. 2a SGB II in Abzug zu bringen ist. Nach § 11b Abs. 2a SGB II in der seit 01.01.2021 geltenden Fassung (eingefügt durch das Gesetz vom 12.08.2020, BGBl. I 1878 - Gesetz zur Einführung der Grundrente für langjährige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung mit unterdurchschnittlichem Einkommen und für weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Alterseinkommen (Grundrentengesetz)) gilt § 82a SGB XII entsprechend, wonach bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für Personen, die mindestens 33 Jahre an Grundrentenzeiten nach § 76g Absatz 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) erreicht haben, ein Betrag in Höhe von 100 Euro monatlich aus der gesetzlichen Rente zuzüglich 30 Prozent des diesen Betrag übersteigenden Einkommens aus der gesetzlichen Rente vom Einkommen nach § 82 Absatz 1 SGB XII abzusetzen ist, höchstens jedoch ein Betrag in Höhe von 50 Prozent der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII.

Die Mutter des Bf hat in ihrem Schreiben vom 23.04.2021 an den Bg mitgeteilt, sie habe ihre Rente in 45 Beitragsjahren erarbeitet. Aufgrund der dies nahelegenden Rentenhöhe von mehr als 1.400,- Euro hat der Bf für das Beschwerdeverfahren ausreichend glaubhaft gemacht, dass dieser Freibetrag in Abzug zu bringen ist. Der Bf wird jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er gehalten ist, im Hauptsacheverfahren nachzuweisen, dass seine Mutter die entsprechenden Voraussetzungen (mindestens 33 Jahre an Grundrentenzeiten) erfüllt. Der Freibetrag nach § 11b Abs. 2a SGB II beläuft sich vorliegend auf den Maximalbetrag von 223,- Euro (50 Prozent der Regelbedarfsstufe 1), da sich nach der vorzunehmenden Berechnung (100,- Euro zzgl. 30 Prozent des diesen Betrag übersteigenden Renteneinkommens) ein höherer Betrag ergäbe.

Unter Berücksichtigung des Freibetrags nach § 11b Abs. 2a SGB II in Höhe von 223,- Euro sowie der Versicherungspauschale in Höhe von 30,- Euro gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II iVm § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V ergibt sich damit ein zu berücksichtigendes Einkommen der Mutter des Bf in Höhe von 129,05 Euro (1.593,09 Euro ./. 1.211,- Euro ./. 223,- Euro ./. 30,- Euro). Die Hälfte hiervon, also gerundet 64,55 Euro, ist als Einkommen des Bf zu berücksichtigen. Hiervon ist auch zugunsten des Bf noch die Versicherungspauschale in Höhe von 30,- Euro gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II iVm § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V abzusetzen, da es sich bei den nach § 9 Abs. 5 SGB II vermuteten Leistungen durch Familienangehörige um zu berücksichtigendes Einkommen des Leistungsberechtigten iSd §§ 9 Abs. 1, 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II handelt. Damit sind die vermuteten Leistungen regelmäßig nicht in vollem Umfang auf den Bedarf des Leistungsberechtigten anzurechnen; vielmehr ist zu prüfen, ob einzelne Beträge nach § 11b SGB II abzusetzen sind (vgl. Mecke, a.a.O., § 9 Rdnr. 94; Karl, a.a.O., § 9 Rdnr. 162, 178). Auf den Leistungsanspruch des Bf ist daher ein bereinigtes Einkommen in Höhe von 34,55 Euro anzurechnen.

Damit ergibt sich ein monatlicher Leistungsanspruch des Bf in Höhe von 730,44 Euro (Regelbedarf 446,- Euro, Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 318,99 Euro abzüglich 34,55 Euro). Nachdem der Bg einen Unterstützungsbetrag in Höhe von 234,04 Euro angerechnet hat, ergibt sich für den Bf ein um 199,49 Euro monatlich höherer Leistungsanspruch, im Februar 2021 für die Zeit ab 17.02.2021 anteilig ein um 79,80 Euro höherer Leistungsanspruch.

Der Bf hat für die Zeit ab 17.02.2021 (Eingang des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht) auch einen Anordnungsgrund im Sinne der besonderen Eilbedürftigkeit der Entscheidung glaubhaft gemacht. Nachdem er über kein Einkommen oder Vermögen verfügt und sich der aktuell angerechnete Betrag in Höhe von 234,04 Euro auf mehr als die Hälfte seiner Regelleistung beläuft, kann ihm ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden. Dabei fällt nach Auffassung des Senats auch ins Gewicht, dass die Mutter des Bf erkrankt, schwerbehindert und pflegebedürftig ist und ihr dadurch evtl. weitere Aufwendungen entstehen können, die möglicherweise nicht vollständig durch die Kranken- und Pflegeversicherung abgedeckt werden, und die ihre finanzielle Leistungsmöglichkeit weiter - auch zu Lasten des Bf - mindern können. Für die Zeit vor Stellung des Eilantrags bei Gericht, also für die Zeit vom 01.01.2021 bis 16.02.2021, hat der Bf einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Denn Leistungen im Wege einer einstweiligen Anordnung sind in der Regel ab Eingang des Eilantrags bei Gericht zuzusprechen, sofern zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung erfüllt waren. Eine Verpflichtung zu Leistungen für die Zeit vor dem Eilantrag kommt nur ausnahmsweise bei einem Nachholbedarf in Betracht, wenn die Nichtgewährung in der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirkt und eine gegenwärtige Notlage bewirkt (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86 b, Rdnr. 35a). Hierfür sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.

Der Senat macht vorliegend von dem ihm nach § 86b Abs. 2 Satz 4 iVm § 938 Abs. 1 ZPO zustehenden Ermessen dahingehend Gebrauch, dem Bf die höheren Leistungen vorläufig für die Zeit vom 17.02.2021 bis 30.09.2021 zuzusprechen. Der Senat geht davon aus, dass bis dahin im Hauptsacheverfahren ermittelt bzw. vom Bf durch Vorlage entsprechender Unterlagen (insbesondere der Deutschen Rentenversicherung Bund) nachgewiesen werden kann, ob eine Pfändung eines Teils der gesetzlichen Altersrente bzw. eine Schuldverpflichtung seiner Mutter vorliegt, die es als gerechtfertigt erscheinen lassen, den abgetrennten Teil der Altersrente nicht als Einkommen der Mutter zu berücksichtigen und ob diese mindestens 33 Jahre Grundrentenzeiten erfüllt hat. Einerseits hat der Bg gemäß § 20 SGB X den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln; andererseits werden dem Bf hierbei Mitwirkungspflichten auferlegt (§ 60 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I). Im Rahmen des Antragsverfahrens für Leistungen nach dem SGB II hat der Bf durch Mitwirkung die Amtsermittlung zur Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen zu unterstützen. Kann das Vorliegen einer Voraussetzung nicht festgestellt werden, trägt der Bf hierfür die Feststellungslast, d.h. die Nichterweislichkeit geht zu seinen Lasten.

Der Bf wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Leistungen im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nur vorläufig zugesprochen werden. Sollte sich im Rahmen des Hauptsacheverfahrens herausstellen, dass ein Anspruch hierauf nicht oder nicht im vorläufig zugesprochenen Umfang besteht bzw. sollten die Anspruchsvoraussetzungen nicht festgestellt werden können, sind die vorläufig zugesprochenen Leistungen vom Bf wieder zu erstatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung und berücksichtigt das anteilige Obsiegen des Bf.

Dieser Beschluss ist nach § 177 SGG unanfechtbar.

Rechtskraft
Aus
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