L 5 KR 610/19

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 KR 1017/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 610/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Für den Lauf der Berufungsfrist kommt es auf die tatsächliche Vorlage eines elektronisch zugestellten Dokuments durch die Kanzleiverwaltung an den bearbeitenden Rechtsanwalt nicht an.
2. Wenn in der Kanzleiorganisation auch Auszubildende berechtigt sind, das beA zu verwalten und ohne korrespondierende Informationspflichten an den Rechtswalt eEB zu versenden, ist die nicht ausreichende Schulung und Überwachung des Anwaltspersonals belegt.

 

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 04.09.2019 wird als unzulässig verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe von Krankengeld bei rückabgewickelten Altersteilzeitvertrag.

Mit Urteil vom 04.09.2019 hat das Sozialgericht Regensburg (SG) die Klage auf höheres Krankengeld ab dem 04.12.2017 abgewiesen.

Das Urteil ist dem bevollmächtigten Rechtsanwalt der Klägerin laut elektronischen Empfangsbekenntnis am 07.10.2019 zugestellt worden. Am 11.11.2019 hat dieser Berufung eingelegt und vorsorglich Wiedereinsetzung beantragt. Er hat vorgetragen, das elektronische Empfangsbekenntnis (eEB) sei von der Auszubildenden S (S) ohne Rücksprache mit dem bearbeitenden Anwalt und auch ohne sofortige Vorlage des Urteils an diesen abgesandt worden. Erst am 11.11.2019 sei es im Rahmen der Wiedervorlage vorgelegt worden. Das Zustellungsdatum sei der Zugang beim Rechtsanwalt, d.h. der 11.11.2019. Vorsorglich werde die Überprüfung nach § 44 SGB X bei der Beklagten beantragt.

Der Senat hat mit gerichtlichem Schreiben vom 08.01.2020 darauf hingewiesen, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung nach dem bisherigen Vortrag nicht erfolgsversprechend erscheine, da bei Übertragung von Fristsachen auf Hilfspersonen das Auswahl-, Überwachungs- und Organisationsverschulden des Anwalts ausgeschlossen sein müsse. Nach mehreren Fristverlängerungsanträgen hat der Senat mit Schreiben vom 20.04.2020 darauf zu einer Entscheidung nach § 158 SGG angehört.

Mit Schreiben vom 04.05.2020 hat die Klägerin die Berufung in der Sache begründet und zur Zulässigkeit vorgetragen, dass der allein zuständige Rechtsanwalt erst am 11.11.2019 von dem Urteil Kenntnis erlangt habe, und daher die Berufungsfrist erst zu diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen habe. Für das eEB müssten dieselben Anforderungen gelten wie für ein Empfangsbekenntnis in Papierform. Letzteres könnte auch nicht von Hilfspersonen unterschrieben werden.


Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 04.09.2019 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 08.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.11.2018 zu verurteilen, der Klägerin ab dem 04.12.2017 höheres Krankengeld nach näherer Maßgabe des SGB V unter Berücksichtigung des infolge der Rückabwicklung ihres Altersteilzeitarbeitsverhältnisses höheren Arbeitsentgelts zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Gegenstand der Entscheidungsfindung waren die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten. Auf diese wird ergänzend Bezug genommen.


II.

1. Der Senat konnte durch Beschluss gemäß § 158 S. 2 SGG entscheiden; einer mündlichen Verhandlung bedurfte es nicht. Die Beteiligten sind mit Schreiben des Senats vom 20.04.2019 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss angehört worden.

2. Die Berufung ist unzulässig, da sie nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden ist.

Gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 04.09.2019 ist das Rechtsmittel der Berufung statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung beim Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen, wobei die Berufungsfrist auch gewahrt ist, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (§ 151 Abs. 2 SGG).
Das in der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2019 verkündete und mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil des SG ist dem Rechtsanwalt der Klägerin nachweislich des eEB am 07.10.2019 zugestellt worden. Die Monatsfrist zur Einlegung der Berufung hat damit am 07.11. 2019 (vgl. §§ 151 Abs. 1 und 2, 64 Abs. 1 und 2, Sätze 1 und 2 SGG) geendet, was zur Folge hat, dass die erst am 11.11.2019 eingegangene Berufung nicht mehr innerhalb der Berufungsfrist erhoben worden und daher als unzulässig zu verwerfen ist.

Sofern die Klägerin - unter Zitaten höchstgerichtlicher Rechtsprechung vor Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs - geltend macht, die fristauslösende Zustellung des Urteils des SG sei erst am 11.11.2019, d.h. erst bei Vorlage des Urteils an den Rechtsanwalt im Rahmen einer turnusmäßigen Wiedervorlage erfolgt, entspricht dies nicht der ab dem 01.01.2018 geltenden Rechtslage.

Der bevollmächtigte Rechtsanwalt der Klägerin verfügt über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) gemäß §§ 130a Abs. 4 ZPO, 31a BRAO. Gemäß §§ 63 Abs. 2 S. 2 SGG, 174 ZPO ist die Zustellung an dieses Postfach erfolgt, wie dies durch ein eEB datiert auf den 07.10.2019 bestätigt worden. Das Empfangsbekenntnis des Rechtsanwalts ist durch eine elektronisches Dokument (§§ 174 Abs. 4 S.2, 130a ZPO) übermittelt worden und weist damit wiederum die Zustellung des elektronisch übermittelten Urteils (§ 174 Abs. 3 ZPO) nach.

Auch das eEB garantiert das so genannte voluntative Element der Entgegennahme einer Zustellung. Die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses gem. § 174 Abs. 1 ZPO ist von einem Willensakt abhängig und kann nicht - durch den Versender oder das System - erzwungen werden. Es besteht auch weiterhin die Möglichkeit, eine Zustellung zurückzuweisen. Das eEB ist vorliegend unter Einfügung eines - gewillkürten - Empfangszeitpunkts durch die Softwareanwendung des Zustellungsempfängers, also beispielsweise durch seine beA-Webanwendung oder seine Kanzleisoftware, erstellt worden. Der Willensakt der Versendung des eEB ist nach dem Klägervortrag in der Anwaltskanzlei des bearbeitenden Rechtsanwalts vorgenommen worden und trägt seinen Namen. Auf die tatsächliche Vorlage eines elektronisch zugestellten Dokuments durch die Kanzleiverwaltung an den bearbeitenden Rechtsanwalt kommt es nicht an.

3. Der Klägerin ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG zu gewähren. § 67 SGG sieht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, sofern der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt und die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht worden sind, sowie innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung nachgeholt worden ist. Darüber hinaus darf seit dem Ende der versäumten Frist i.d.R. nicht bereits ein Jahr vergangen sein (vgl. § 67 Abs. 3 SGG).

Vorliegend liegt zwar eine nicht eingehaltene Verfahrensfrist (versäumte Berufungsfrist) vor, aber das Fristversäumnis ist nicht unverschuldet. Nach dem glaubhaften klägerischen Vortrag ist die Versendung des eEB vorliegend nicht durch dem Rechtsanwalt vorgenommen worden, sondern durch die anwaltliche Hilfsperson S. Anwaltliche Hilfspersonen sind dem Anwalt und damit der Klägerin zuzurechnen (§§ 73 Abs. 6 S. 6 SGG, 85 Abs. 2 ZPO), sofern nicht ein Auswahl-, Überwachungs- oder Organisationsverschulden des Anwalts ausgeschlossen werden kann. Die Klägerin hat zur Auswahl, Schulung und Überwachung des S auch nach dem gerichtlichen Hinweis vom 08.01.2020 nichts vorgetragen. Dem klägerischen Vortrag ist vielmehr zu entnehmen, dass in der Kanzleiorganisation des bevollmächtigten Rechtsanwalts auch Auszubildende berechtigt sind, das beA zu verwalten und per Mouseclick eEB zu versenden. Dass dies ohne korrespondierende Informationspflichten an den Rechtsanwalt geschehen konnte, belegt die nicht ausreichende Schulung und Überwachung des Anwaltspersonals.

Damit ist der Antrag auf Wiedereinsetzung abzulehnen.

Eine materiell-rechtliche Prüfung der Berufung ist mangels Zulässigkeit damit aus prozessualen Gründen ausgeschlossen. Die Klägerin ist auf das verwaltungsrechtliche Verfahren nach § 44 SGB X zu verweisen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
Saved