L 4 KR 675/19

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 44 KR 953/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 675/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Der Senat schließt sich der geänderten Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zur Genehmigungsfiktion an (Nr. 1.).
2. Zum Fehlen einer Gutgläubigkeit bei einer Versicherten im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung, wenn diese in der Rechtsabteilung der beklagten Krankenkasse tätig war.
3. Die klagende Versicherte hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung für eine durchgeführte Liposuktionsbehandlung nach § 13 Abs. 3 SGB V bei Stadium I bis II (Nr. 2.1.).
4. Es besteht vorliegend auch kein Anspruch auf Kostenübernahme weiterer Aspirationslipektomien, sei es in ambulanter oder in stationärer Behandlungsform (Nr. 2.2.)

 

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2019 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2019 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Die Klägerin und Berufungsbeklagte begehrt von der Beklagten und Berufungsklägerin die Versorgung mit einer mehrschrittigen stationären Liposuktionsbehandlung an beiden Ober- und Unterschenkeln und beiden Armen als Sachleistung sowie die Erstattung der Kosten für den (gemäß vorgelegter Rechnung vom 13.03.2019) im Rahmen einer stationären Behandlung vom 04. bis 08.03.2019 durchgeführten ersten Teilschritt der Behandlung in Höhe von 3.854,28 EUR. Sie beruft sich hierbei insbesondere auf die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3 a des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V).

Die 1964 geborene Klägerin stand bei der beklagten Krankenkasse in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Mit Schreiben vom 13.09.2018 (eingegangen am 17.09.2018) beantragte sie bei der Beklagten die Kostenübernahme für Aspirationslipektomien mit Tumeszenzlösung in mehreren Sitzungen unter Vollnarkose. Sie leide schon seit mehreren Jahren unter Lipödemen an beiden Armen und Beinen, die immer stärker würden. Alle Maßnahmen einschließlich mehrerer Diäten und einem einjährigen Optifast-Abnehmprogramm hätten für die Behandlung der Lipödeme keinen Erfolg gebracht.

Mit dem Antrag legte die Klägerin neben einer Fotodokumentation ein ärztliches Attest der Klinik für Plastische, Rekonstruktive, Hand- und Verbrennungschirurgie am Klinikum B. in A-Stadt vom 30.08.2018 vor. Danach leidet sie seit Jahren unter zunehmend schmerzhaften Lipödemen Typ Vb, Stadium I-II, im Bereich der unteren und oberen Extremitäten. Durch den ausgeprägten Befund sei sie in Fortbewegung und Sport, psychosozial sowie auch im Alltag stark eingeschränkt. Mit 128 kg Körpergewicht bei 173 cm Körpergröße sei sie insgesamt normalgewichtig, jedoch mit erkennbarer Diskrepanz zwischen Ober- und Unterkörper. Es bestehe ein ausgeprägter Fett-/Hautüberschuss an beiden Beinen und Armen. Vor allem im Bereich der Oberschenkel und der Knie zeige sich ein Gewebeüberschuss. Die Oberflächenkontur sei unruhig, das Gewebe relativ fest und bereits auf leichten Druck sehr schmerzhaft. Es werde, auch zur Vermeidung weiterer Folgeschäden, die möglichst schonende Aspirationslipektomie der Lipödeme zunächst beider Beine, dann gefolgt von den Armen, mit Tumeszenzlösung, ggfs. in mehreren Sitzungen unter Vollnarkose, empfohlen. Insgesamt müssten mindestens ein bis zwei Eingriffe bis zum Erreichen des Therapieziels in Abständen von drei bis sechs Monaten geplant werden. Anschließend müsse die Kompressionstherapie weiter fortgesetzt werden. Auch eine Lymphdrainage solle nach primärer Wundheilung weiter erfolgen. Je nach Reaktion des Bindegewebes auf die Volumenänderung sei die zusätzliche Direktexzision von Haut und Gewebe, vor allem auf der Höhe der Arme und der Oberschenkel- und Knieinnenseiten, zu empfehlen. Dieser Eingriff sei ebenfalls in Vollnarkose durchzuführen und bei komplikationslosem Verlauf mit einem stationären Aufenthalt von vier bis sechs Tagen verbunden.

Die Beklagte beauftragte mit Schreiben vom 17.09.2018 den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Bayern mit der Prüfung, ob die Kostenübernahme für die Aspirationslipektomien der Lipödeme hier aufgrund der Diagnosen und aller gescheiterten Behandlungen erteilt werden könne. Mit Schreiben vom 17.09.2018 bestätigte die Beklagte gegenüber der Klägerin den Antragseingang und teilte mit, sie habe den MDK zur Überprüfung der Kostenübernahme eingeschaltet. Sie werde die Klägerin informieren, sobald ihr ein Ergebnis vorliege.

Mit Schreiben vom 19.10.2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die medizinische Bewertung des MDK liege noch nicht vor, weshalb es der Beklagten nicht möglich sei, bis zum 23.10.2018 über den Antrag zu entscheiden. Aus Erfahrung wisse die Beklagte, dass eine gutachterliche Stellungnahme etwas Zeit benötige. Sie gehe davon aus, dass das Gutachten des MDK am 13.11.2018 vorliege. Anschließend erhalte die Klägerin bis spätestens 16.11.2018 eine Rückmeldung zu ihrem Antrag.
Mit Schreiben vom 12.11.2018 teilte die Beklagte nochmals textgleich wie im Schreiben vom 19.10.2018 mit, sie gehe nunmehr vom Eingang der Stellungnahme des MDK bis zum 13.12.2018 aus, so dass die Klägerin spätestens am 17.12.2018 eine Rückmeldung zu ihrem Antrag erhalte.
Mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 12.11.2018 ließ die Klägerin mitteilen, nach ihrer Auffassung sei die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3 a SGB V eingetreten. Weil ihr Leistungsantrag am 17.09.2018 bei der Beklagten eingegangen sei und diese die Klägerin über die Beteiligung des MDK informiert habe, habe die maßgebliche Fünfwochenfrist am 22.10.2018 geendet. Das Verlängerungsschreiben vom 19.10.2018 sei jedoch erst nach dem 22.10.2018 eingegangen, so dass die Frist nicht eingehalten worden sei.
Mit Anhörungsschreiben vom 29.11.2018 informierte die Beklagte die Klägerin über ihre Absicht, die eingetretene Genehmigungsfiktion zurückzunehmen, weil es sich bei der beantragten Liposuktion nicht um eine Leistung der Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) handele.
Der MDK erstellte am 03.12.2018 eine Stellungnahme, wonach im Ergebnis die Kostenübernahme für die beantragte Behandlung des Lipödems mittels Aspirationslipektomie nicht empfohlen wurde. Vordringlich sei eine konservative Gewichtsreduktion auf einen BMI unter 30 anzustreben. Die medizinische Notwendigkeit der beantragten Operation könne aus sozialmedizinischer Sicht nicht bestätigt werden.

Die Beklagte nahm mit Bescheid vom 18.12.2018 den fiktiven Bescheid zum Antrag vom 17.09.2018 zurück und lehnte den Antrag der Klägerin auf Aspirationslipektomien ab. Die in § 13 Abs. 3 a SGB V vorgesehene Bearbeitungsfrist von fünf Wochen sei vorliegend vom 18.09.2018 bis zum 22.10.2018 gelaufen. Mit der Fristüberschreitung gelte die beantragte Leistung als genehmigt. Dabei handele es sich um einen fiktiven begünstigenden Verwaltungsakt. Dieser Verwaltungsakt sei rechtswidrig und werde daher gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückgenommen. Der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) habe in seiner Entscheidung vom 11.05.2017 (Az.: B 3 KR 30/15 R) ausgeführt, dass die durch § 13 Abs. 3 a Satz 7 SGB V gesetzlich fingierte Genehmigung grundsätzlich nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften der §§ 44 ff SGB X aufgehoben werden könne, wobei deren Voraussetzungen an dem materiell-rechtlich genehmigten Leistungsanspruch zu bemessen seien. Die tatbestandlichen  Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X seien erfüllt. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen, weil die Leistung noch nicht erbracht sei und die Klägerin keine dahingehende Vermögensverfügung getroffen habe (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Unter Abwägung aller Umstände sei deshalb das öffentliche Interesse, die Versichertengemeinschaft nicht unrechtmäßig mit Kosten für eine Leistung zu belasten, welche materiell-rechtlich nicht in den Leistungskatalog der GKV falle, höher zu bewerten als das Interesse der Klägerin an der Aufrechterhaltung der fiktiven Genehmigung bzw. der darin liegenden rechtswidrigen Ausgangsentscheidung. Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (G-BA) habe die Methode der Liposuktion nicht als Leistung anerkannt. Es handele sich daher nicht um eine Leistung der GKV. Zudem habe der MDK die medizinische Notwendigkeit der beantragten Operationen nicht bestätigt. Die beantragte Leistung werde daher abgelehnt.

Während des Widerspruchsverfahrens ließ die Klägerin im Rahmen einer stationären Behandlung im Klinikum B. vom 04. bis 08.03.2019 am 04.03.2019 die erste der mehrzeitig beantragten Liposuktionsbehandlungen durchführen. Hierfür sind Kosten in Höhe von 3.854,28 EUR angefallen (Rechnung der Städtischen Klinik A. GmbH vom 13.03.2019; DRG 19Z02 B - OR-Prozeduren bei anderen Zuständen, die zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen ohne komplexen Eingriff).

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.03.2019 zurück. Ergänzend zu der Argumentation im Rücknahme- und Ablehnungsbescheid vom 18.12.2018 wird darin ausgeführt, es sei bei der Entscheidung außerdem zu berücksichtigen, dass die Klägerin Angestellte einer Krankenkasse sei. Es sei daher schwer vorstellbar, dass sie sich nicht vor der Antragstellung darüber informiert habe, ob "ihr Arbeitgeber" solche Leistungen übernehme. Ein Mitarbeiter könne sich vor dem Thema Liposuktion nicht verschließen, da dies im Rahmen von - für jeden Mitarbeiter zugänglichen - Artikeln und der Presseschau behandelt werde. Zudem sei die Liposuktion bereits im September 2018, also zum Zeitpunkt der Antragstellung, medial diskutiert worden. Es sei fernab der Realität, dass sich Betroffene nicht über Behandlungsmöglichkeiten informierten und dabei nicht erführen, dass es sich bei der Liposuktion aktuell (noch) nicht um eine Kassenleistung handele. Insofern lasse sich hier sehr wohl vertreten, dass sich das Begehren als rechtsmissbräuchlich darstelle und die Versicherte auf dem Umweg der Genehmigungsfiktion versuche, die Leistung zu erhalten.

Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht München erhoben. Die Beklagte sei bereits wegen des Fristablaufes zur Versorgung der Klägerin mit der mehrzeitigen Liposuktion der oberen und unteren Extremitäten verpflichtet. Der entsprechende Sachleistungsantrag der Klägerin vom 17.09.2018 gelte nach § 13 Abs. 3 a S. 6 SGB V als genehmigt.
Die Beklagte hat Bezug genommen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und die Auffassung vertreten, die Regelung des § 13 Abs. 3 a SGB V sei vorliegend nicht einschlägig. Dies insbesondere, weil es sich bei der Klägerin um eine Angestellte der Beklagten handele, die Zugriff auf das Mitarbeiter-Informationsportal der Beklagten habe, in welchem regelmäßig Informationen zu Leistungen und deren Grad der Anerkennung sichtbar seien. Es sei zudem aufgrund der allgemeinen medialen Diskussion der Liposuktion bereits seit September 2018 realitätsfern, dass Betroffene keine Kenntnis davon hätten, dass es sich bei der Liposuktion aktuell nicht um eine Kassenleistung handele. Die Argumentation der BSG-Rechtsprechung, die Methode liege "nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV", sei hier verfehlt.

Das Sozialgericht hat mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 28.11.2019 den Bescheid vom 18.12.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2019 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin "aufgrund der gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eingetretenen Genehmigungsfiktion mit einer mehrschrittigen stationären Liposuktionsbehandlung an beiden Ober- und Unterschenkeln und beiden Armen als Sachleistung zu versorgen sowie ihr die für den am 13.03.2019 durchgeführten ersten Teilschritt der Behandlung entstandenen Kosten in Höhe von 3.854,28 EUR zu erstatten" (Nr. II. des Tenors).

Die Voraussetzungen einer fingierten Genehmigung nach § 13 Abs. 3 a S. 6 SGB V hat das Sozialgericht als erfüllt angesehen. Es hat sich dabei insbesondere auch auf die Entscheidung des BSG vom 26.02.2019 (Az.: B 1 KR 20/18 R - juris) gestützt.

Die gemäß § 13 Abs. 3 a SGB V fingierte Genehmigung sei auch nicht wirksam durch die von der Beklagten getroffene Entscheidung aufgehoben worden. Die Voraussetzungen der für die allein als Rechtsgrundlage der Rücknahmeentscheidung in Betracht kommenden Vorschrift des § 45 SGB X seien nicht erfüllt, weil die fiktive Genehmigung rechtmäßig sei. Die Kammer hat sich insoweit der Entscheidung des 1. Senats des BSG vom 26.02.2019 (Az.: B 1 KR 18/18 R - juris Rn. 29 ff) angeschlossen.
Die Genehmigung der beantragten mehrschrittigen Liposuktionsbehandlung habe sich schließlich auch nicht auf andere Weise erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X).

Die Beklagte hat gegen die ihr am 02.12.2019 zugestellte Entscheidung durch den Prozessbevollmächtigten am 20.12.2019 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass von der Beklagten die Rechtsprechung des 1. Senats des BSG, auf die sich das Sozialgericht in seinem Urteil gestützt hat, für unzutreffend gehalten werde. Sie hat sich dabei auf die Rechtsprechung des 3. Senats des BSG (Urt. v. 11.05.2017, Az.: B 3 KR 30/15 R - juris) berufen und gegen die Rechtsauffassung des 1. Senats des BSG argumentiert.
Am 26.05.2020 hat das BSG erneut eine Entscheidung zur Genehmigungsfiktion nach   § 13 Abs. 3 a SGB V getroffen (BSG, Az.: B 1 KR 9/18 R - juris) und seine bisherige Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben. Durch die eingetretene Genehmigungsfiktion werde kein eigenständiger Anspruch auf Versorgung mit einer Naturalleistung vermittelt; es trete aber jedenfalls ein Recht auf Selbstbeschaffung mit Kostenerstattungsanspruch ab Ablauf der Frist ein (BSG, a.a.O., juris Rn. 9 ff).
Die Beklagte hat keinen Raum für ein vorgeschlagenes Teilanerkenntnis gesehen, da sie die Kosten in Höhe von 3.854,28 EUR bereits am 10.12.2019 an die Klägerin bezahlt habe. Im Übrigen sei der Klägerin im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung der Leistung der Rücknahmebescheid der Beklagten bekannt gewesen. Aufgrund dessen habe sie vom Nichtbestehen des Selbstbeschaffungsanspruchs gewusst und sei somit nicht gutgläubig gewesen. Es sei beabsichtigt, den bezahlten Teilbetrag von der Klägerin zurückzufordern.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 21.10.2020 durch ihren Prozessbevollmächtigten ausgeführt, dass die Rechtsprechungsänderung jedenfalls nichts an dem Ergebnis der bisherigen Kostenerstattung ändere. Im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung habe sie keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom Nichtbestehen des materiellen Leistungsanspruchs gehabt. Dabei sei nämlich auch die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zu berücksichtigen. Wenn selbst das Sozialgericht von einem Anspruch der Klägerin ausgegangen sei, könne man hier nicht darauf abstellen, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung bösen Glauben gehabt habe. Eine medizinische Bewertung erübrige sich aufgrund der eingetretenen Genehmigungsfiktion.
Auf Nachfrage des Senats hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 30.11.2020 mitgeteilt, dass nach seiner Kenntnis bislang nur die Teilmaßnahme von März 2019 durchgeführt worden sei.
Zur konkreten Tätigkeit der Klägerin bei der Beklagten ist mit klägerischem Schriftsatz vom 21.12.2020 darauf verwiesen worden, dass die Klägerin als Gehilfin bei der Beklagten, vergleichbar mit einer Rechtsanwaltsfachangestellten, fungiert habe. Sie habe daher keine weitergehende Kenntnis als jedes andere versicherte Mitglied gehabt. Sie habe auf die Einschätzung ihrer Ärzte vertraut, dass die Behandlung medizinisch indiziert sei. Gerade wegen ihrer Stellung bei der Beklagten habe sie auf eine Einzelfallentscheidung zu ihren Gunsten gehofft. Versicherte könnten Leistungsanträge stellen, die das BSG ausdrücklich als nicht rechtsmissbräuchlich eingestuft habe, solange die Betroffenen wegen der medizinischen Befürwortung von einer Erforderlichkeit ausgehen durften.

Die Beklagte hat auf das Gutachten des MDK verwiesen, das sogar zur positiven Kenntnis vom Nichtbestehen des Anspruchs geführt habe. Unter Wahrung datenschutzrechtlicher Vorgaben hat die Beklagte ferner dargelegt, dass es sich bei der Klägerin um eine Mitarbeiterin der beklagten AOK Bayern gehandelt habe. Sie sei bis März 2019 und noch einige Zeit darüber hinaus in der Rechtsabteilung der AOK Bayern als Sekretärin beschäftigt gewesen. Als Sekretärin habe sie grundsätzlich Zugriff auf alle von der Rechtsabteilung geführten Verfahren gehabt. Sie habe im Rahmen ihrer Tätigkeit u.a. den Posteingang erledigt, Gerichtsschreiben nach Diktat gefertigt sowie sonstigen anfallenden Schriftverkehr erledigt. Da sie auch an Abteilungsbesprechungen der Rechtsabteilung teilgenommen habe, könne davon ausgegangen werden, dass die Klägerin auch von einzelnen aktuellen rechtlichen Themen Kenntnis gehabt habe. Darüber hinaus habe sie auch Zugriff auf das Intranet der Beklagten gehabt, wo täglich über neue Themen, mitunter auch über Leistungsansprüche, informiert werde. Zudem seien dort Informationen zu allen Leistungsbereichen für jeden Mitarbeiter frei zugänglich. Es wäre lebensfremd zu vermuten, dass diese Möglichkeit nicht genutzt worden wäre.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 08. bzw. 23.10.2020 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auch im Berufungsverfahren zugestimmt.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 28.11.2019 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 18.12.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2019 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
  die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Erstattung der entstandenen Kosten in Höhe von 3.854,28 EUR für den offensichtlich am 04.03.2019 (Rechnung des Klinikums vom 13.03.2019 über den stationären Aufenthalt vom 04. bis 08.03.2019) durchgeführten ersten Teilschritt der Liposuktionsbehandlung sowie auf Kostenübernahme weiterer Behandlungsabschnitte zu.

1.
Bei der Liposuktion handelt es sich - bis 31.12.2019 auch bei Stadium III; hierzu im Einzelnen unten Nr. 3 - um eine Leistung, die nicht vom Leistungskatalog der GKV erfasst ist. Das Sozialgericht hat der Klage deshalb vollumfänglich nur deshalb stattgegeben, da es von einem Anspruch aufgrund eingetretener Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3 a S. 6 SGB V ausgegangen ist. Dies deckt sich nicht mit der inzwischen geänderten Rechtsprechung des BSG.

Über den Antrag der Klägerin vom 17.09.2018 entschied der Beklagte erst mit Bescheid vom 18.12.2018, also deutlich nach Ablauf der hier maßgeblichen Fünf-Wochen-Frist nach § 13 Abs. 3 a S. 1 SGB V. Auch die Beklagte ging daher vom Vorliegen der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3 a SGB V aus, nahm jedoch diese gemäß dem streitgegenständlichen Bescheid vom 18.12.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2019 zurück.

Die von der Beklagten angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts entsprach zwar zum Zeitpunkt der Urteilsfindung am 28.11.2019 der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG, der jedoch in der Zwischenzeit diese Rechtsauffassung ausdrücklich aufgegeben (BSG, Urteil vom 26.05.2020, a.a.O. - juris). Nach dieser geänderten Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, kann die Klägerin weder eine Erstattung der Kosten der im März 2019 durchgeführten Liposuktion noch die Übernahme weiterer Kosten auf Grundlage der Genehmigungsfiktion verlangen.

Zum einen ergibt sich aus der Genehmigungsfiktion kein Anspruch auf Kostenübernahme noch nicht durchgeführter Behandlungen. Das BSG hat mit o.g. Urteil vom 26.05.2020 (BSG, a.a.O.) nunmehr entschieden, dass eine fingierte Genehmigung nach dem Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V) keinen eigenständigen Naturalleistungsanspruch begründet. Sie vermittelt dem Versicherten eine Rechtsposition sui generis. Diese erlaubt es ihm, sich die Leistung (bei Gutgläubigkeit) selbst zu beschaffen und verbietet es der Krankenkasse nach erfolgter Selbstbeschaffung, eine beantragte Kostenerstattung mit der Begründung abzulehnen, nach dem Recht der GKV bestehe kein Rechtsanspruch auf die Leistung (BSG, a.a.O., Rn. 10).
In seinen Entscheidungen vom 18.06.2020 (BSG, Az.: B 3 KR 14/18 R; Parallelentscheidung: B 3 KR 13/19 R - juris) hat auch der 3. Senat des BSG (nochmals) klargestellt, dass die Genehmigungsfiktion ihrem Inhalt nach keinen Sachleistungsanspruch gewährt, sondern nur einen Kostenerstattungsanspruch.

Eine Genehmigungsfiktion kommt daher nach dieser Rechtsprechung nicht in Betracht, soweit die Klägerin eine zukünftige Leistung in Form einer Kostenübernahme als Sachleistung begehrt.

Zum anderen ist vorliegend jedoch auch kein Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung für die bereits am 04.03.2019 durchgeführten Teilmaßnahme in Höhe von 3.854,28 EUR (Rechnung vom 13.03.2019) aufgrund der Genehmigungsfiktion gegeben.

Die Teilmaßnahme vom März 2019 ist vorliegend als gesonderte, eigenständige Behandlung anzusehen und stellt nicht zwingend eine Einheit mit der gesamten, beantragten mehrschrittigen stationären Liposuktionsbehandlung an beiden Ober- und Unterschenkeln und an beiden Armen dar.

Die Klägerin durfte jedoch die durchgeführte Liposuktion im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung im März 2019 nicht für erforderlich halten. Die mit § 13 Abs. 3 a SGB V verfolgten Zwecke der Verfahrensbeschleunigung und Sanktionierung der Krankenkassen bei Nichteinhaltung der sich aus der Vorschrift ergebenden Fristen finden ihre Grenzen beim Rechtsmissbrauch (vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2020, a.a.O., mit Hinweis auf Entscheidungen vom 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R und 27.08.2019, B 1 KR 9/19 R). Zweck der Regelung ist, dass Versicherte Naturalleistungen schnell erhalten. Zweck ist hingegen nicht, Versicherten Leistungen zu verschaffen, auf die nach dem Recht der GKV kein Anspruch besteht.

Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 26.05.2020 (BSG, a.a.O.), die einen Leistungsantrag von Februar 2016 betraf, seine diesbezügliche Rechtsprechung fortentwickelt. Das zwischenzeitlich in § 18 Abs. 5 des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX) gesetzlich geregelte Wertungsmodell sei wegen seiner Sachgerechtigkeit auch im Rahmen des § 13 Abs. 3 a SGB V zur Anwendung zu bringen. Danach besteht das durch eine Genehmigungsfiktion begründete Recht zur Selbstbeschaffung auf Kosten der Krankenkasse bei materieller Rechtswidrigkeit der selbstbeschafften Leistung nur, sofern der Versicherte im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom Nichtbestehen des materiellen Leistungsanspruchs hatte. Grob fahrlässig handelt nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, das heißt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen. Eine nähere Kenntnis des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung darf den Versicherten nicht abverlangt werden. Das Tatbestandsmerkmal der groben Fahrlässigkeit soll nur eine Kostenerstattung offensichtlich rechtswidriger Leistungen ausschließen.
Je offensichtlicher die beantragte Leistung außerhalb des GKV-Leistungskatalogs liegt, desto eher ist von einer zumindest grob fahrlässigen Unkenntnis (Bösgläubigkeit) der Versicherten im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung auszugehen. Das ist dann der Fall, wenn sich Versicherte trotz erdrückender Sach- und Rechtslage besserer Erkenntnis verschließen.
Allein der Umstand, dass ein Arzt Versicherten verdeutlicht, Krankenkassen sähen die Rechtslage zuungunsten der Versicherten anders, begründet zwar noch keine grob fahrlässige Unkenntnis oder gar Kenntnis der Rechtswidrigkeit der beantragten Leistung. Auch kommt es nicht auf formale Ablehnungsentscheidungen an, sondern auf die Qualität der fachlichen Argumente und ihre Nachvollziehbarkeit durch die Versicherten. Deshalb folgt aus einer ablehnenden Entscheidung der Krankenkassen für sich genommen noch keine grobe Fahrlässigkeit; auch dann nicht, wenn die Entscheidung auf einer Stellungnahme des MDK beruht. Auch das Festhalten an einer Ablehnung des Anspruchs im Vorverfahren führt nicht zwingend zur grob fahrlässigen Unkenntnis des Versicherten. Ein Meinungsstreit über rechtliche und tatsächliche Umstände, insbesondere unterschiedliche gutachtliche Bewertungen, schließt Gutgläubigkeit grundsätzlich nicht aus (BSG, a.a.O.).

Maßgeblich ist damit, ob die Klägerin im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung gutgläubig hinsichtlich des grundsätzlichen Bestehens des materiellen Leistungsanspruchs war. Der Senat ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom Nichtbestehen des materiellen Leistungsanspruchs hatte. Ihr war nämlich zum einen bei der Selbstbeschaffung am 04.03.2019 bereits bekannt, dass mit Bescheid vom 18.12.2018 die Genehmigungsfiktion von der Beklagten aufgehoben wurde. Dem lag das Gutachten des MDK vom 03.12.2018 zugrunde, der die medizinische Notwendigkeit der beantragten Operationen nicht bestätigt hatte. Dabei befasste sich die Beklagte in dem Bescheid nicht nur mit der Frage der formalen Zulässigkeit der Rücknahme der Genehmigungsfiktion, sondern legte gegenüber der Klägerin auch dar, dass der G-BA die Methode der Liposuktion nicht als Leistung anerkannt hat. Die Beklagte hat ausreichend zum Ausdruck gebracht, dass es sich nicht um eine Leistung der GKV handelt.

Dabei hat die Beklagte auch auf die Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 24.04.2018, Az.: B 1 KR 13/16 R - juris), dass es sich bei der Liposuktion nicht um eine Leistung der GKV handelt, hingewiesen. Im Hinblick auf die Stellungnahme des MDK hat die Beklagte darüber hinaus in dem Bescheid ausgeführt, dass vordringlich eine konservative Gewichtsreduktion auf einen BMI unter 30 ist und deshalb vorliegend auch die medizinische Notwendigkeit der beantragten Operation nicht bestätigt wurde.

Zur Überzeugung des Senats war zum anderen der Klägerin darüber hinaus als Beschäftigte der beklagten Krankenkasse bekannt - bzw. gegebenenfalls grob fahrlässig nicht bekannt -, dass ein materieller Leistungsanspruch gemäß der GKV nicht gegeben war. Die Thematik der Liposuktion - eingebunden in den Rahmen der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3 a SGB V - begleitete die Krankenkassen in dieser Zeit schon länger. Die hierbei ergangene Rechtsprechung des BSG - insbesondere des 1. Senats - wurde zum Teil vehement abgelehnt, auch von der Beklagten, was sich in zahlreichen erst- und zweitinstanzlichen Rechtsstreitigkeiten widerspiegelte. Dabei bestanden zum Teil Differenzen in der Rechtsprechung des 1. und 3. Senats des BSG, die vor allem die Kostenübernahme und -erstattung aufgrund der Genehmigungsfiktion betrafen. Da sich die Thematik der Diskussion rechtlich auf die Genehmigungsfiktion bezog, war überdeutlich, dass grundsätzlich die Liposuktion keine Leistung der GKV darstellte. Die Klägerin war im Zeitraum bis März 2019 in der Rechtsabteilung der Beklagten tätig; auch wenn sie dort nicht als Sachbearbeiterin, sondern als Sekretärin beschäftigt war, hat die Beklagte überzeugend dargelegt, dass ihr die wesentlichen, aktuellen Rechtsfragen und rechtlichen Themen bekannt gewesen sein müssen. Sie hatte nämlich grundsätzlich Zugriff auf alle von der Rechtsabteilung geführten Verfahren; sie hat auch an Abteilungsbesprechungen der Rechtsabteilung teilgenommen. Darüber hinaus hatte sie auch Zugriff auf das Intranet der Beklagten, wo täglich über neue Themen, mitunter auch über Leistungsansprüche, informiert wurde, und wo sich die Mitarbeiter frei zugänglich über auch aktuelle rechtliche Themen informieren konnten.

Auch aus den klägerischen Darstellungen zu dieser Frage ergeben sich Anhaltspunkte, dass der Klägerin bekannt war, dass ein Leistungsanspruch auf Kostenübernahme bzw. -erstattung einer Liposuktion nicht bestand. Demnach war die Klägerin als Gehilfin bei der Beklagten, vergleichbar mit einer Rechtsanwaltsfachangestellten, tätig. Zwar wird die Ansicht vertreten, sie habe keine weitergehende Kenntnis als jedes andere versicherte Mitglied gehabt und habe vor allem auf die Einschätzung ihrer Ärzte vertraut, dass die Behandlung medizinisch indiziert sei. Andererseits wurde aber auch im Berufungsverfahren vorgetragen, dass sich die Klägerin gerade wegen ihrer Stellung bei der Beklagten eine Einzelfallentscheidung zu ihren Gunsten erhofft hatte (Schriftsätze vom 21.12.2020 und 24.06.2019). Dies deutet zumindest darauf hin, dass es der Klägerin bewusst war, dass ein Leistungsanspruch für `normale Versicherte´ nicht bestand.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist weitergehend nicht maßgeblich, ob die Klägerin auf den Fortbestand der Rechtsprechung zur Genehmigungsfiktion vertrauen durfte.

Nach allem ist auch ein Anspruch auf Erstattung der Kosten aufgrund einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3 a SGB V nicht gegeben.

2.
Ein Anspruch auf Erstattung nach § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V für die Kosten der im März 2019 durchgeführten Teilmaßnahme sowie auf Kostenübernahme - gemäß §§ 27, 39 SGB V bzw. nach § 137 c Abs. 3 SGB V - für die Zukunft besteht nicht.

2.1.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die im März 2019 durchgeführte Liposuktion (§ 13 Abs. 3 SGB V).

Dabei scheidet ein Anspruch nach der 1. Alternative des § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V mangels Vorliegens einer Unaufschiebbarkeit der Leistung aus. Dies ergibt sich auch daraus, dass nach klägerischem Vorbringen vom 30.11.2020 nur die erste Teilbehandlung durchgeführt und die Behandlung im Übrigen seit März 2019 nicht fortgeführt wurde.

Auch hat die Beklagte den Antrag nicht zu Unrecht abgelehnt (§ 13 Abs. 3 S. 1, 2. Alt. SGB V). Ein Anspruch scheitert daran, dass die Klägerin keinen Anspruch nach §§ 27, 39 SGB V auf die Liposuktionsbehandlung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung hat.  

Nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Sofern die Liposuktion im Rahmen einer ambulanten Operation durchgeführt werden soll, fehlt es an der abschließenden, notwendigen positiven Äußerung des G-BA (im Übrigen siehe unten).
Eine stationäre Maßnahme richtet sich nach § 39 SGB V. § 39 Abs. 1 S. 1 SGB V unterliegt nach Wortlaut, Regelungssystem und Regelungszweck den sich aus dem Qualitätsgebot ergebenden Einschränkungen. Umfasst sind nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V). Die jeweilige Behandlungsmethode muss von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sein, d.h. die Krankenkassen sind nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Behandlungsmethode nach eigener Einschätzung der Versicherten oder des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben (vgl. BSG, Urteile vom 16.12.2008, Az.: B 1 KR 11/08 R, und vom 07.05.2013, Az.: B 1 KR 44/12 R). Dies dient auch dazu, den Versicherten und die Versichertengemeinschaft vor riskanten oder in ihrer Effektivität zweifelhaften medizinischen Maßnahmen zu schützen.
Krankenhausbehandlung ist im Sinne von § 39 SGB V konform mit dem Regelungssystem grundsätzlich nur dann erforderlich, wenn die Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und notwendig ist (st. Rspr; vgl. z.B. BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr.4, RdNr.14). Nach § 137 c Abs. 1 Satz 1 SGB V überprüft der G-BA auf Antrag der berechtigten Stellen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die zu Lasten der GKV im Rahmen einer Krankenbehandlung angewandt werden oder angewandt werden sollen, daraufhin, ob sie für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemeinen Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind. Ergibt die Überprüfung, dass der Nutzen einer Methode nicht hinreichend belegt ist und sie nicht das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, insbesondere weil sie schädlich oder unwirksam ist, erlässt der G-BA eine Richtlinie, wonach die Methode im Rahmen einer Krankenhausbehandlung nicht mehr zulasten der Krankenkassen erbracht werden darf (§ 137 c Abs. 1 Satz 2 SGB V). Dies bedeutet jedoch nicht, dass Behandlungen im Krankenhaus schrankenlos erbracht werden können, bis der G-BA eine Richtlinie über die Nichtanwendbarkeit erlässt. Auch die im stationären Bereich erbrachten Leistungen müssen nämlich dem Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V genügen, um einen Leistungsanspruch der Versicherten auslösen zu können und gegenüber den Krankenkassen abrechenbar zu sein (st. Rspr. des BSG, vgl. Urteile vom 21.03.2013, Az.: B 3 KR 2/12 R, und vom 17.12.2013, Az.: B 1 KR 70/12 R). § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V bestimmt allgemein, dass die Leistungen der Krankenversicherung nach Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Diesen Qualitätskriterien entspricht eine Behandlung, wenn die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte und Wissenschaftler) die Behandlungsmethode befürwortet und, von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (BSG vom 21.03.2013, Az.: B 3 KR 2/12 R). Dabei darf die Anforderung an wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen aber nicht als starrer Rahmen missverstanden werden, der unabhängig von den praktischen Möglichkeiten tatsächlich erzielbarer Evidenz gilt. Im Übrigen kann sich eine Abmilderung des Qualitätsgebotes auch daraus ergeben, dass in einschlägigen Fällen eine grundrechtsorientierte Auslegung der Grenzmaßstäbe stattzufinden hat (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2013, a.a.O.).

Zum einen ist in vorliegendem Verfahren festzuhalten, dass die Klägerin am 17.09.2018 die Kostenübernahme von "Aspirationslipektomien" beantragte; eine stationäre Maßnahme wurde nicht ausdrücklich beantragt. Deren Erforderlichkeit ergibt sich auch nicht aus dem dem Antrag beigefügten ärztlichen Attest des Klinikums B. vom 30.08.2018. Nach diesem sollte die Aspirationslipektomie "in mehreren Sitzungen unter Vollnarkose" (Seite 2) vorgenommen werden. Aussagen zur Notwendigkeit eines stationären Aufenthalts (von vier bis sechs Tagen) finden sich hingegen nur zu einer "Direktexzision von Haut und Gewebe, vor allem auf Höhe der Arme und der Oberschenkel- und Knieinnenseiten" (Seite 2), die je nach Reaktion des Bindegewebes auf die Volumenänderung zusätzlich empfohlen wurde. Dieser Eingriff sei "ebenfalls in Vollnarkose durchzuführen und bei komplikationslosem Verlauf mit einem stationären Aufenthalt von 4-6 Tagen verbunden" (Seite 3). Dieser Eingriff ist zu unterscheiden von der Lipektomie. Der klägerische Antrag vom 17.09.2018 sowie die streitgegenständlichen Bescheide bezogen sich dementsprechend ausdrücklich nur auf die Aspirationslipektomien. Die Erforderlichkeit einer stationären Behandlung ergibt sich hierfür nicht; alleine die Durchführung in "Vollnarkose" belegt nicht die Erforderlichkeit einer stationären Behandlung, da häufig z.B. auch ein ambulanter Operationseingriff durchführbar ist.

Zum anderen war die Liposuktion, die stationär durchgeführt wurde, zum Zeitpunkt der Durchführung im März 2019 keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung:

Das BSG hat, auch unter Berücksichtigung des § 137 c Abs. 3 SGB V alter Fassung, bislang einen Anspruch auf Versorgung mit einer auch unter stationären Bedingungen durchzuführenden Liposuktion bei Lipödem abgelehnt (BSG, Urteil v. 24.04.2018, Az.: B 1 KR 10/17 R - juris Rn. 26; Urteil v. 28.05.2019, a.a.O. - juris), da die begehrte Maßnahme nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots entspricht.

Der kurative Erfolg der Liposuktion ergibt sich bislang noch nicht auf Grundlage evidenzbasierter Medizin aus wissenschaftlich einwandfrei geführten Studien. Wie sich aus dem Gutachten "Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen" der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 des MDK vom 06.10.2011 nebst Gutachtensaktualisierung (15.01.2015; abrufbar unter www.mds-ev.de/richtlinien-publikationen/gutachten-nutzenbewertungen.html dort Gutachten Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen) ergibt, sind zur Liposuktion bei Lipödem weiterhin nur Publikationen kleiner Fallserien bekannt, die grundsätzlich nicht geeignet sind, einen patientenrelevanten Vorteil zu belegen. Dies entspricht im Übrigen der Beurteilung des G-BA in den "Tragenden Gründen zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung: Liposuktion bei Lipödem vom 20.7.2017". Der G-BA hat am 20.07.2017 "wegen der problematischen Studienlage beschlossen, die laufende Bewertung der Methode auszusetzen und eine Studie zur Verbesserung der Erkenntnislage auf den Weg zu bringen. Mit Hilfe dieser Erprobungsstudie sollen die offenen Fragen beantwortet werden" (Pressemitteilung der G-BA vom 20.07.2017). Der G-BA weist ferner noch zu seinem Beschluss vom 19.09.2019 darauf hin, dass z.B. im Januar 2018 eine schlechte Studienlage zu den Vor- und Nachteilen der Liposuktion beim Lipödem bestand, weshalb eine eigene Erprobungsstudie in Auftrag gegeben wurde. Das Ergebnis der Erprobungsstudie liegt noch nicht vor. Der G-BA sah die Studienlage also ebenfalls als nicht ausreichend an und hielt eine abschließende positive Bewertung insoweit nicht für möglich.
Ein Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung ergibt sich auch nicht aus dieser Erprobungsstudie zu Vor- und Nachteilen einer Liposuktion nach der am 10.04.2018 in Kraft getretenen Erp-RL Liposuktion (Richtlinie des G-BA zur Erprobung der Liposuktion zur Behandlung des Lipödems - Erprobungs-Richtlinie Liposuktion - Erp-RL Liposuktion - vom 18.1.2018, BAnz AT 9.4.2018 B1). Diese läuft zwar derzeit weiter, betrifft jedoch eine zukünftige Studienteilnahme. Dass die Klägerin an der Erprobungsstudie teilnimmt oder die Teilnahme beantragt hat, ist nicht vorgetragen.
Etwas anderes ergibt sich ferner nicht aus der aktuellen Methodenbewertung durch den G-BA (vgl. Pressemitteilung des G-BA Nr. 25/2019: Liposuktion wird befristet Kassenleistung bei Lipödem im Stadium III, zum Beschluss vom 19.09.2019). Mit Beschluss vom 19.09.2019 hat der G-BA auch die Richtlinie des G-BA zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus (Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung, mit Wirkung vom 20.02.2019 (BAnz AT 19.02.201 B6) geändert. Dabei handelt es sich jedoch um einen Beschluss, der - befristet bis 31.12.2024 - nur für die Zukunft gilt und somit keine Rückwirkung entfaltet. Dies ergibt sich ausdrücklich aus den folgenden Ausführungen des G-BA:

"Die Beschlüsse treten nach Nichtbeanstandung und Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft. Von Seiten des G-BA sind damit alle nötigen Vorarbeiten abgeschlossen, damit die Leistung im Rahmen der GKV erbracht werden kann. Den Beschlüssen folgt nun die Prüfung durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und für den ambulanten Bereich die Festlegung der Abrechnungsziffer der erbrachten Leistung im sogenannten Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM). Der G-BA geht derzeit davon aus, dass die Regelungen im Januar 2020 erstmals Anwendung finden können." (S. 2 der o.g. Pressemitteilung zur Überschrift: Qualitätssicherung).   

Der G-BA hatte mit Beschluss vom 21.02.2019 das Verfahren gemäß §§ 135 Abs. 1, 137c SGB V zur Bewertung der Methode der Liposuktion beim Lipödem in Hinblick auf Stadium III vor Ablauf der Aussetzungsfrist wieder aufgenommen. Die Klägerin kann hieraus keinen Anspruch ableiten, da ein Lipödem des Stadiums III bei ihr nicht vorliegt (so auch BSG, Urteil v. 28.05.2019, Az.: B 1 KR 32/18 R - juris Rn. 35), sondern Stadium I bis II.

Mit Beschluss vom 19.09.2019 hat der G-BA eine Änderung der Richtlinie Methoden vertragsärztlicher Versorgung (MVV-RL) und der Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung (KHMe-RL) sowie einen Beschluss über die Erstfassung einer Qualitätsrichtlinie Liposuktion Beschluss zur Qualitätssicherung gemäß § 136 SGB V gefasst. Der Beschluss erging gemäß dem gesetzlichen Auftrag, nach § 137 c SGB V Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden oder angewandt werden sollen, daraufhin zu überprüfen, ob sie für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind. Auch diese Beschlüsse betreffen die Liposuktion bei Lipödem Stadium III, welches bei der Klägerin gemäß Angaben des Klinikums B. nicht vorliegt.

Desweiteren scheidet vor diesem Hintergrund auch ein Anspruch aufgrund eines sog. Systemversagens aus. Es besteht schließlich auch kein Anspruch bei grundrechtsorientierter Leistungsauslegung im Sinne von § 2 Abs. 1 a SGB V. Letzteres kommt nicht in Betracht, denn das Lipödem ist weder eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche noch eine hiermit wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung.

2.2.
Es besteht auch kein Anspruch auf Kostenübernahme weiterer Aspirationslipektomien, sei es in ambulanter oder in stationärer Behandlungsform:

Für die Übernahme der Kosten für die Fettabsaugung in schweren Fällen wurde ab 01.01.2020 eine Abrechnungsmöglichkeit geschaffen. Der G-BA hat mit o.g. Beschluss vom 19.09.2019 die Liposuktion beim Lipödem im Stadium III in die Anlage I "Anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden" der Richtlinie "Methoden vertragsärztliche Versorgung" befristet bis zum 31. Dezember 2024 aufgenommen. Der Beschluss ist am 07.12.2019 in Kraft getreten. Am 07.12. 2019 ist die neue Qualitätssicherungs-Richtlinie (QS-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Liposuktion bei Lipödem im Stadium III nach § 136 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V in Kraft getreten. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband haben dazu mehrere neue Gebührenordnungspositionen in den EBM aufgenommen und die Vergütung festgelegt (Näheres: Homepage der KBV - www.kbv.de). Die Operation kann danach ambulant oder belegärztlich durchgeführt und abgerechnet werden. Die neuen Gebührenordnungspositionen der Liposuktion sind aber auch hier nur bei Patienten berechnungsfähig, bei denen nach der Richtlinie über "Maßnahmen zur Qualitätssicherung nach § 136 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des SGB V bei Verfahren der Liposuktion bei Lipödem im Stadium III" das Vorliegen eines Lipödems im Stadium III diagnostiziert und die Indikation für eine Liposuktion gestellt wurde. Dies ist bei der Klägerin, wie dargelegt, nicht der Fall.

Darüber hinaus wird hinsichtlich der stationären Liposuktion auf die obigen Ausführungen unter Nr. 2.1. verwiesen.

Die Klägerin kann sich dementsprechend auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der ihrem Begehren zu Grunde liegende Naturalleistungsanspruch ergebe sich aus § 137c Abs. 3 SGB V in der durch Gesetz vom 12.12.2019 (BGBl. I S. 2494) geänderten Fassung.

Der Berufung der Beklagten war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht. Insbesondere schließt sich der Senat der aktuellen Rechtsprechung des BSG an.

Rechtskraft
Aus
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