L 3 U 54/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 3 U 291/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 54/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Bewegt sich ein Fußgänger nicht auf direktem Weg in Richtung seiner Arbeitsstätte oder seiner Wohnung, sondern aus eigenwirtschaftlichen Gründen in entgegengesetzter Richtung von diesem Ziel fort, kann ausnahmsweise Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII bestehen, wenn es sich hierbei um eine lediglich geringfügige Unterbrechung des direkten Weges handelt.
2. Eine Unterbrechung ist nur dann geringfügig, wenn sie bei natürlicher Betrachtungsweise örtlich und zeitlich noch als Teil des Weges in seiner Gesamtheit angesehen werden kann.
3. Ein Versicherter, der zunächst die direkte Wegstrecke von seinem abgestellten Pkw zu seiner Arbeitsstätte zurücklegt, sich dann aber von diesem Ziel für wenige Schritte und für wenige Sekunden in entgegengesetzte Richtung fortbewegt, um das Verschlossensein seines Pkw zu prüfen und dabei verunfallt, steht unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung.

 

I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 28. November 2019 und der Bescheid der Beklagten vom 7. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2018 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 11. Juli 2018 ein Arbeitsunfall ist.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

T a t b e s t a n d :

Streitig ist, ob die Klägerin am 11.7.2018 einen versicherten Wegeunfall erlitten hat.

Die 1957 geborene Klägerin ist seit Juni 2018 bei der Firma E. GmbH Konservenfarbrik (im Folgenden: Arbeitgeber) in C-Stadt als Hilfsarbeiterin in der Fertigung beschäftigt. Am 11.7.2018 verließ sie um 6:20 Uhr ihr Wohnhaus in A-Stadt und begab sich mit dem Pkw auf direktem Weg zu ihrer Arbeitsstätte. Gegen 6:30 Uhr (Arbeitsbeginn 7:00 Uhr) stellte die Klägerin ihren Pkw auf den von Osten an die H-Straße angrenzenden Firmenparkplatz des Arbeitgebers ab. Der Firmenparkplatz ist zur H-Straße hin weder abgezäunt noch durch eine Schranke oder ein Tor gesichert; er steht auch der Nutzung von Kunden und Besuchern offen.

Von der dem öffentlichen Verkehr gewidmeten, 10 Meter breiten H-Straße zweigt in Höhe des Firmenparkplatzes nach Südwesten die ca. 70 Meter lange F-Straße als Stichstraße ab. Sie dient an ihrem Ende der Erschließung des im Übrigen äußerlich abgegrenzten (Zäune/Tore/bauliche Grenzen) Firmengeländes des Arbeitsgebers (C-Straße) und zum anderen als Zuwegung zu vorgelagerten Wohnhäusern (F-Straße 4 und 2) sowie zu einem mit einer Lagerhalle bebauten Grundstück der Firma A. (F-Straße 2a), das sich bereits in Ecklage zur H-Straße befindet. Das Firmengelände des Arbeitgebers verfügt am Übergang zur F-Straße an einer baulichen, etwa 8 m breiten Engstelle über ein Wiegehäuschen; ein Werkstor, eine Schranke o.ä. befindet sich dort nicht.

Die Klägerin stieg aus ihrem Pkw aus, um auf direktem Weg zu ihrer Arbeitsstätte (C-Straße) zu gehen. Nachdem sie sich wenige Schritte vom Fahrzeug entfernt hatte, bemerkte sie, dass sie vergessen hatte zu überprüfen, ob die Fahrzeugtür tatsächlich verschlossen war. Die Klägerin wollte deshalb zum Pkw zurückgehen und den Türgriff ziehen. Beim Umdrehen stolperte sie aus nicht aufklärbaren Gründen, verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Boden des Firmenparkplatzes. Dabei erlitt die Klägerin ein Trauma an der linken Schulter. Die vom D-Arzt Dr. R. veranlasste MRT-Untersuchung des linken Schultergelenks vom 20.7.2018 ergab eine isolierte Ruptur der Subscapularissehne links mit Retraktion, eine Weichteilschwellung sowie einen Gelenkerguss.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 7.8.2018 die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) ab, weil das Ereignis vom 11.7.2018 mit der betrieblichen Tätigkeit der Klägerin nicht im Zusammenhang stünde. Sie habe den unter Versicherungsschutz stehenden direkten Weg zur Arbeitsstelle mit der Drehung zurück in Richtung zum Pkw verlassen und sich auf einem aus eigenwirtschaftlichen Gründen gewählten Abweg befunden.

Die Klägerin legte hiergegen am 14.8.2018 Widerspruch ein. Zur Begründung ließ sie ausführen, dass sie sich bei dem Sturz noch in unmittelbarer Nähe ihres PKWs befunden (ca. 1 bis 2 Meter) und keineswegs schon eine längere Strecke zum Firmengebäude zurückgelegt habe. Die Drehung zurück in Richtung des Pkw falle deshalb in den Schutzbereich der GUV. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.10.2018 zurück und ergänzte den Tenor des angefochtenen Bescheides vom 7.8.2018 insoweit, als das Ereignis vom 11.7.2018 nicht als Arbeitsunfall anerkannt wird. Nach der Rechtsprechung des BSG gebe es grundsätzlich keinen "Straßenbann" mehr, in dessen Reichweite noch Versicherungsschutz bestünde. Abzustellen sei allein auf die objektiv nachgewiesenen Umstände und die Motivation zum Unfallzeitpunkt; diese seien hier ausschließlich privater Natur mit der Folge, dass von keinem Arbeitsunfall auszugehen sei.

Am 2.11.2018 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Landshut (SG) erheben lassen und beantragt festzustellen, dass das Ereignis vom 11.7.2018 ein Arbeitsunfall ist. Es habe eine geringfügige, den Versicherungsschutz unberührt lassende Unterbrechung des Arbeitsweges vorgelegen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin einer Verpflichtung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 Straßenverkehrsordnung (StVO) nachkommen wollte, nämlich Kraftfahrzeuge gegen unbefugte Benutzung zu sichern.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 28.11.2019 abgewiesen. Zwar habe sich die Klägerin nach Verlassen des Pkw auf dem Firmenparkplatz zu Fuß mit der Handlungstendenz bewegt, ihre Arbeitsstätte auf direktem Weg zu erreichen. Der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und damit der Versicherungsschutz sei jedoch in dem Moment unterbrochen worden, in dem sich die Klägerin aus eigenwirtschaftlichen Gründen in Richtung ihres Pkw umgedreht habe, um zu prüfen, ob sie dessen Tür verschlossen habe. Etwas Anderes ergebe sich nicht aus § 14 Abs. 2 Satz 2 StVO, weil die Erfüllung straßenverkehrsrechtlicher Pflichten, welche nicht mit der Fortbewegung im Zusammenhang stünden, nicht dem Schutzbereich der GUV unterfielen. Auch läge keine den Versicherungsschutz unberührt lassende, lediglich geringfügige Unterbrechung des Weges vor. Eine Unterbrechung sei nur dann geringfügig, wenn sie auf einer Verrichtung beruhen würde, die bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach dem Ort der Tätigkeit anzusehen sei. Das sei der Fall, wenn sie nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung auf das ursprünglich geplante Ziel führe, weil sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung "ganz nebenher" erledigt werden könne. Hieran fehle es, weil das geplante Handeln in seiner Gesamtheit gerade nicht "nur nebenbei" habe erledigt werden können. Vielmehr sei der subjektive Wille der Klägerin zu prüfen, ob sie die Tür ihres Kfz verschlossen hatte, eine neue objektiv beobachtbare Handlungssequenz in Gang gesetzt, die sich auch äußerlich klar von dem versicherten Vorgang des Fußweges zur Arbeitsstätte abgrenzen lasse. Auch wenn der Zeitaufwand gering und die Distanz nur kurz gewesen sein mögen, so habe dennoch der Richtungswechsel in Richtung zum Pkw zu einer erheblichen und klar abgrenzbaren Zäsur geführt.

Gegen das am 28.1.2020 zugestellte Urteil hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 26.2.2020 unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 28. November 2019 und den Bescheid der Beklagten vom 7. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2018 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 11. Juli 2018 ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), ist begründet. Zu Unrecht hat das SG ihre Klage abgewiesen. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat am 11.7.2018 einen in der GUV versicherten Arbeitsunfall iS des § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) erlitten.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der vorinstanzlichen Entscheidung der Bescheid vom 7.8.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2018   (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte das Ereignis vom 11.7.2018 nicht als Arbeitsunfall anerkannt und die Gewährung von Leistungen aus der GUV abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich die Klägerin zu Recht mit einer zulässigen Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 56 SGG (zum Wahlrecht zwischen Feststellungs- und Verpflichtungsklage bei begehrter Anerkennung von Arbeitsunfällen vgl. stellv. BSG, Urteil vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr. 20, Rn. 13). In prozessualer Hinsicht ist nicht zu beanstanden, dass die Klägerin nicht zugleich auch die Erbringung konkreter Leistungen beantragt hat. Nachdem die Beklagte jedwede Entschädigung schon deshalb abgelehnt hat, weil kein Versicherungsfall eingetreten ist, steht es der Klägerin frei, zunächst nur die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall zu erreichen, um darauf aufbauend später gegebenenfalls Leistungen beantragen zu können; d.h. die Versicherte kann in einer solchen Situation die Grundlagen der in Frage kommenden Leistungsansprüche vorab im Wege einer Feststellungsklage klären lassen (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.2019 - B 2 U 8/18 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 71 Rn. 11; BSG, Urteil vom 7.9.2004 - B 2 U 45/03 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 2 Rn. 12). Um sich diese Möglichkeit der späteren Geltendmachung konkreter Leistungen offenzuhalten, muss die Klägerin zugleich mit der Erhebung der Anfechtungsklage verhindern, dass die Ablehnungsentscheidungen in der angefochtenen Verwaltungsentscheidung bestandskräftig (§ 77 SGG) werden.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher nach ständiger Rechtsprechung (vgl. stellv. BSG, Urteil vom 30.1.2020 - B 2 U 2/18 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 70 Rn. 20; BSG, Urteil vom 19.6.2018 - B 2 U 2/17 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 46 Rn. 13; Senatsurteil vom 28.7.2020 - L 3 U 117/18 - juris Rn. 26) voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Die Klägerin erlitt, als sie beim Umdrehen zum abgestellten Pkw auf ihre linke Schulter stürzte, eine zeitlich begrenzte, von außen kommende Einwirkung auf ihren Körper und damit einen Unfall iS des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII. Dieser führte zu einem ihre körperliche Unversehrtheit verletzenden Gesundheitsschaden in Form einer Subscapularissehnenruptur, einer Weichteilschwellung sowie eines Gelenkergusses. Im Zeitpunkt dieses Unfalls war die Klägerin gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als angestellte Hilfsarbeiterin "Beschäftigte" und damit grundsätzlich "Versicherte" in der GUV.

Ihre konkrete Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses - das Umdrehen in Richtung ihres Pkw, um dessen Verschlossensein zu überprüfen - stand entgegen der Rechtsauffassung des Vordergerichts auch in einem sachlichen Zusammenhang mit dem gemäß     § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII als versicherte Tätigkeit in Betracht kommenden Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach dem Ort ihrer Tätigkeit (Arbeitsstätte). Diesen versicherten Weg hat die Klägerin durch das Umdrehen in Richtung ihres Pkw lediglich in einer den Versicherungsschutz unberührt lassenden, geringfügigen Weise unterbrochen.

Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist versicherte Tätigkeit auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Die in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gebrauchte Formulierung "des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges" kennzeichnet den sachlichen Zusammenhang des unfallbringenden Weges mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit. Versichert ist in der GUV mithin als Vorbereitungshandlung der eigentlichen Tätigkeit das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit, wobei nicht der Weg als solcher, sondern dessen Zurücklegen versichert ist, also der Vorgang des Sichfortbewegens auf einer Strecke, die durch einen Ausgangs- und einen Zielpunkt begrenzt ist (st. Rspr., vgl. stellv. BSG, Urteil vom 6.10.2020 - B 2 U 9/19 R - juris Rn. 19; BSG, Urteil vom 23.1.2018 - B 2 U 3/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 64 Rn. 12). Betriebswege iS des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind demgegenüber Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen. Sie werden im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen und unterscheiden sich von Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit iS von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII dadurch, dass sie der versicherten Tätigkeit nicht lediglich vorausgehen oder sich ihr anschließen. Sie sind nicht auf das Betriebsgelände beschränkt, sondern können auch außerhalb der Betriebsstätte anfallen (zum Vorstehenden BSG, Urteil vom 27.11.2018 - B 2 U 7/17 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 66 Rn. 11; BSG, Urteil vom 31.8.2017 - B 2 U 9/16 R - BSGE 124, 93 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 63, Rn. 10). Entscheidend für die Abgrenzung zwischen einem gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII versicherten Betriebsweg und einem Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist, ob der konkret zurückgelegte Weg dazu dient, die gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit am arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungsort erst aufzunehmen oder nicht (BSG, Urteil vom 30.1.2020 - B 2 U 19/18 R -SozR 4-1300 § 105 Nr. 8 Rn. 17; BSG, Urteil vom 31.8.2017 - B 2 U 1/16 R - juris Rn 13). Dabei ist unter dem Ort der Tätigkeit nicht lediglich der konkrete Arbeitsplatz, sondern in der Regel das gesamte Betriebsgelände zu verstehen, jedenfalls dann, wenn es eingezäunt und nur durch Werkstore zu betreten ist. Der Weg zum Ort der Tätigkeit endet daher im allgemeinen mit dem Durchschreiten des Werkstores, während auf den innerhalb des (abgegrenzten) Werksgeländes liegenden Wegen als Betriebswegen nach § 8 Abs. 1 SGB VII Versicherungsschutz besteht. Das Durchschreiten des Werkstores bzw. der Außentür der Arbeitsstätte als maßgebliches Abgrenzungskriterium anzusehen, ist insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit gerechtfertigt (zum Vorstehenden BSG, Urteil vom 22.9.1988 - 2 RU 11/88 - SozR 2200 § 725 Nr. 12 = juris Rn. 15 f.; BSG, Urteil vom 27. März 1990 - 2 RU 32/89 - juris Rn. 15; Krasney, in Krasney/Becker/Burchardt/Kruschinsky/Heinz/Bieresborn, SGB VII, § 8 Rn. 386, Stand November 2019; zum häuslichen Bereich siehe grundlegend Reichsversicherungsamt <RVA>, EuM 43, 338 unter Aufgabe seiner früheren Rspr.).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze hatte die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfallereignisses den Ort ihrer Tätigkeit (Arbeitsstätte) noch nicht erreicht, weshalb sie noch unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung stand. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob es sich bei der Betriebsstätte des Arbeitgebers um ein umzäuntes Betriebsgelände im Sinne der Rechtsprechung des BSG handelt, weil das vorgelagerte Wiegehäuschen eine dem Werkstor vergleichbare bauliche Einrichtung - iS eines begrenzten Geländezugangs des im Übrigen äußerlich abgegrenzten Firmengeländes - darstellt mit der Folge, dass ab dessen Durchschreiten ein versicherter Betriebsweg vorliegt. Denn der Unfall ereignete sich auf dem Firmenparkplatz, der selbst weder umfriedet noch sonst gegen unbefugte Benutzung durch Dritte gesichert war, Kunden und Besuchern offenstand und darüber hinaus - getrennt durch die dem öffentlichen Verkehr gewidmete H-Straße - von sämtlichen Betriebsstätten des Arbeitgebers mehr als 80 m entfernt liegt (vgl. Holtstraeter, in K/K/W, Kommentar zum Sozialrecht, 6. Aufl. 2019, § 8 SGB VII Rn. 109; siehe auch BSG, Urteil vom 18.12.1969 - 2 RU 19/68 - SozR Nr. 6 zu § 550 RVO; abweichend LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2.10.2012 - 3 Sa 272/12 - juris für einen hier nicht vorliegenden Sonderfall). Der Weg der Klägerin vom Firmenparkplatz zum Werksgelände diente damit nicht der unmittelbaren Erfüllung arbeitsvertraglicher Dienstpflichten, sondern erst der Ermöglichung der Aufnahme der gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Tätigkeit am arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungsort.

Der Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII wird allerdings nicht schon dadurch begründet, dass der Versicherte auf dem unmittelbaren Weg zwischen seiner Wohnung und dem Ort der versicherten Tätigkeit einen Unfall erleidet. Versicherungsschutz besteht nur dann, wenn der Weg erkennbar zu dem Zweck zurückgelegt wird, den Ort der Tätigkeit zu erreichen. Kriterium für den sachlichen Zusammenhang ist, ob die anhand objektiver Umstände zu beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges - zumindest auch - darauf gerichtet ist, eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung auszuüben, dh ob sein Handeln auf das Zurücklegen des direkten Weges ("unmittelbar") zu oder von der Arbeitsstätte gerichtet ist. Die subjektive Handlungstendenz als von den Tatsachengerichten als Ausdruck ihrer begründeten, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen freien Überzeugung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGG) festzustellende innere Tatsache muss sich mithin im äußeren Verhalten des Handelnden (Verrichtung) widerspiegeln, so wie es objektiv beobachtbar ist (st. Rspr., vgl. stellv. BSG, Urteil vom 6.10.2020 - B 2 U 9/19 R - juris Rn. 20 ff.; BSG, Urteil vom 30.1.2020 - B 2 U 2/18 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 70 Rn. 27; BSG, Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 60 Rn. 17).

Die Klägerin bewegte sich zunächst mit der Handlungstendenz fort, ihre Arbeitsstätte zu erreichen und dort ihre Beschäftigung aufzunehmen. Als sie am Morgen des 11.7.2018 auf dem Firmenparkplatz aus ihrem Pkw ausstieg und sich in Richtung des Betriebsgeländes bewegte, diente diese Verrichtung nach ihrer Vorstellung allein der Fortbewegung auf der Strecke zum Ort der versicherten Tätigkeit. Der Zeitpunkt des Parkens um 6:30 Uhr auf dem firmeneigenen Parkplatz und der sich anschließende Weg über diesen war durch das betriebliche Erfordernis bestimmt, die Beschäftigung als Hilfsarbeiterin spätestens um 7:00 Uhr am Ort der Tätigkeit pünktlich zu beginnen. Dabei befand sich die Klägerin bis zu dem von ihr eingeleiteten Richtungswechsel (dazu sogleich) auch auf dem direkten, d.h. kürzesten Weg zu ihrer Arbeitsstätte.

Entgegen der Rechtsauffassung des Vordergerichts hat das Umdrehen der Klägerin in Richtung ihres Pkw nicht zu einem Entfallen des Versicherungsschutzes geführt. Insoweit handelt es sich um eine nur geringfügige und deshalb den Schutz der GUV unberührt lassende Unterbrechung des unmittelbaren Weges zur Arbeitsstätte.

Vordergründig stand die beabsichtigte Überprüfung des Verschlossenseins als rein dem persönlichen Lebensbereich zuzurechnende Verrichtung (Eigentumsschutz; Gefahrenabwehr) nicht unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung. Dass es sich hierbei um eine betrieblich veranlasste Tätigkeit gehandelt haben könnte, mit der die Klägerin zumindest glaubte, eine im Rahmen ihrer Beschäftigung geschuldete Verrichtung zu erbringen, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich; insbesondere stand der Pkw nicht im Eigentum des Arbeitgebers. Die objektivierte Handlungstendenz der Klägerin war damit nicht auf die Erfüllung einer versicherten Verrichtung aus dem Beschäftigungsverhältnis gerichtet.

Diese Unterbrechung des Weges hatte im Zeitpunkt des Unfalls bereits begonnen und war noch nicht beendet. Maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung noch der Fortbewegung auf das ursprüngliche Ziel hin dient, ist - wie ausgeführt - ausschließlich die Handlungstendenz des Versicherten. Die Unterbrechung trat in dem Moment ein, in dem die Klägerin nach außen hin sichtbar ihre subjektive Handlungstendenz in ein für Dritte beobachtbares "objektives" Handeln umgesetzt hat, also bereits mit dem Einsetzen der körperlichen Drehung weg (Richtungswechsel) vom ursprünglichen Ziel der Fortbewegung (Arbeitsstätte).

Wird der Weg zum oder vom Ort der Tätigkeit aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen, entfällt grundsätzlich der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und damit der Versicherungsschutz. Dabei kommt es nach ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa RVA, Urteil vom 8.6.1931 - Ia 6197.29 - EuM 30, 321, 322; BSG, Urteil vom 7.5.2019 - B 2 U 31/17 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 69 Rn. 18; BSG, Urteil vom 23.1.2018 - B 2 U 3/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 64 Rn. 15) nicht darauf an, ob der Versicherte lediglich seine Fortbewegung beendet, um sich an Ort und Stelle einer anderen, nicht nur geringfügigen Tätigkeit zuzuwenden, oder ob er - wie hier - den eingeschlagenen Weg verlässt, um einer privaten Verrichtung nachzugehen und erst danach auf den ursprünglichen Weg zurückzukehren.

Indes haben das RVA (vgl. etwa Urteile vom 28.6.1928 - Ia 3496.27 - EuM 23, 168, vom 18.6.1931 - Ia 6197.29 - EuM 30, 321 und vom 8.12.1932 - Ia 3171.31 - EuM 33, 268) und ihm folgend das BSG (vgl. etwa Urteile vom 16.4.1957 - 2 RU 157/55 - SozR Nr. 5 zu § 543 RVO aF, vom 9.12.1964 - 2 RU 133/63 - juris, vom 31.1.1974 - 2 RU 165/72 - juris, vom 31.7.1985 - 2 RU 63/84 - juris, vom 5.5.1998 - B 2 U 40/97 R - BSGE 82, 138 = SozR 3-2200 § 550 Nr. 18, vom 2.12.2008 - B 2 U 17/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 28 und vom 23.1.2018 - B 2 U 3/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 64) seit jeher entschieden, dass ausnahmsweise auch bei einer privat veranlassten Unterbrechung der Schutz der Wegeunfallversicherung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII fortbestehen kann, wenn die Unterbrechung nur geringfügig ist. Eine Unterbrechung ist nur dann geringfügig, wenn sie auf einer Verrichtung beruht, die bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit anzusehen ist (grundlegend RVA, Urteil vom 18.6.1931 - Ia 6197.29 - EuM 30, 321, 322). Das ist der Fall, wenn sie nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung auf das ursprünglich geplante Ziel führt, weil sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung "im Vorbeigehen" oder "ganz nebenher" erledigt werden kann (BSG, Urteil vom 23.1.2018 - B 2 U 3/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 64, Rn. 16; BSG, Urteil vom 31.8.2017 - B 2 U 11/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 62 Rn. 16; BSG vom 5.7.2016 - B 2 U 16/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 58 Rn. 21; Senatsurteil vom 8.12.2015 - L 3 U 402/13 - juris Rn. 20). Abzustellen ist dabei auf die Gesamtheit des vom Versicherten geplanten Handelns (vgl. RVA, Urteil vom 18.6.1931 - Ia 6197.29 - EuM 30, 321, 322; BSG, Urteil vom 19.3.1991 - 2 RU 45/90 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 8 Rn. 16; BSG, Urteil vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 50 Rn. 16; BSG, Urteil vom 31.8.2017 - B 2 U 11/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 62 Rn. 16). D.h. die Geringfügigkeit oder Erheblichkeit einer Unterbrechung kann nur bei Berücksichtigung all ihrer beabsichtigten Einzelheiten (räumlich wie zeitlich) richtig beurteilt werden. Demzufolge darf die Unterbrechung bei der anschließenden rechtlichen Wertung nicht wieder in Teile von unterschiedlicher rechtlicher Bedeutung aufgespalten werden. Anderenfalls würden dem Weg zur Arbeitsstätte willkürlich Abschnitte zugerechnet, denen der innere Zusammenhang mit der Tätigkeit des Versicherten fehlt. Bei einem Abweg in der hier vorliegenden Form bedeutet dies, dass sowohl der Hinweg zu dem eingeschobenen Ziel (Pkw) als auch der Rückweg zum Ausgangspunkt (Ort des Richtungswechsels) als tatsächliche und rechtliche Einheit den Unterbrechungstatbestand ausfüllen. Denn der gesamte eingeschobene Weg, wozu auch der Rückweg rechnet, wird geprägt durch die Eigenwirtschaftlichkeit als das die Unterbrechung allein bedingende Element (vgl. BSG, Urteil vom 19.3.1991 - 2 RU 45/90 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 8 Rn. 16; siehe weiterführend BSG, Urteil vom 31.8.2017 - B 2 U 1/16 R - juris Rn. 21).

Auch wenn das BSG unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung, wonach eine infolge privater Besorgung notwendige räumliche Unterbrechung des versicherten Weges grundsätzlich erst mit dem Verlassen des öffentlichen Verkehrsraumes angenommen wurde, nunmehr darauf abstellt, ob nach der objektivierten Handlungstendenz das Abweichen vom direkten Weg oder die Unterbrechung des direkten Weges begonnen hat oder beendet ist (st. Rspr. seit BSG, Urteil vom 9.12.2003 - B 2 U 23/03 R - BSGE 91, 293 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 3), hat dies nicht zur Folge, dass die Geringfügigkeit einer Unterbrechung als selbständiges, den Versicherungsschutz erhaltendes Merkmal durch die Rechtsentwicklung überholt wäre. Die Verneinung der auf die grundsätzlich versicherte Tätigkeit bezogenen Handlungstendenz im Zeitpunkt des Unfallereignisses ausgehend von der kleinsten beobachtbaren Verhaltensweise schließt es nicht aus, wegen der Geringfügigkeit der Unterbrechung weiterhin ausnahmsweise Versicherungsschutz zu bejahen (BSG, Urteil vom 7.5.2019 - B 2 U 31/17 R - juris Rn. 19 ff.; Senatsurteil vom 23.9.2020 - L 3 U 305/19 - juris Rn. 23; Schur/Spellbrink, SGb 2014, 589, 593; Krasney, SGb 2013, 313, 317 f.; Spitzlei, NZS 2020, 609, 612). Der insoweit im Schrifttum geäußerten Kritik (etwa Siefert NZS 2021, 81, 87; Köhler, SGb 2020, 379, 382 ff.; Bultmann, SGb 2020, 601; Lauterbach/Schwerdtfeger, SGB VII, § 8 Rn. 474 a, Stand Januar 2018) ist zuzugestehen, dass sich Begründung und Inhalt der Rechtsfigur der "geringfügigen Unterbrechung" nicht unmittelbar aus dem Gesetz selbst ergeben. Sie ist auch nicht in einer Weise latent normativ angelegt, als dass sie mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation (vgl. dazu Berchtold, in Festschrift 50 Jahre BSG, 2004, S. 97, 111 ff.) nur mehr manifest gemacht werden müsste. Es handelt sich letztlich um eine vom (historischen) Gesetzgeber (vgl. Bericht des 9. Ausschusses über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zu Änderungen in der Unfallversicherung, Reichstagsprotokolle 1924/28, 19, Anlage Nr. 1060 S. 6, 22 f.; Reichstagsprotokolle 1924/28, 2, Stenographische Berichte S. 1275) für sachgerecht empfundene und von der Rechtsprechung des RVA und des BSG mit Inhalt gefüllte Billigkeitserwägung, der tragend der Gedanke zugrunde liegt, dass durch eine kurze Unterbrechung oder einen kurzen Abweg der Weg nicht sein Gepräge als Weg nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII verliert und deshalb der endgültige Verlust des Versicherungsschutzes nach den Anschauungen des Lebens nicht sachgerecht wäre, weil die in sachlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehende Verrichtung der wesentliche Grund dafür ist, dass der Versicherte in dieser Situation ist, in der er dann ganz nebenher oder im Vorbeigehen die private Verrichtung ausübt (vgl. Senatsurteil vom 23.9.2020 - L 3 U 305/19 - juris Rn. 25 ff.; Becker, BG 2011, 462, 466; Schur/Spellbrink, SGb 2014, 589, 593). Hinzukommt, dass derartige rechtliche Wertungen z. B. auch erforderlich sind, um zu entscheiden, ob dem persönlichen Lebensbereich zuzurechnende Verrichtungen während der Arbeitszeit am Arbeitsort eine Unterbrechung des Versicherungsschutzes zur Folge haben, ob ein Versicherter seinen Betriebsweg in rechtlich bedeutsamer Weise unterbrochen oder ob der Übergang zu derartigen Verrichtungen den Versicherungsschutz für einen Heimweg von der Arbeitsstätte endgültig beendet hat. All diesen Wertungen ist gemeinsam, dass es der Rechtsprechung angesichts der Vielfalt des Lebens nur selten möglich ist, durch allgemein gültige Grundsätze klare Grenzziehungen zu schaffen; vielmehr bedarf es jeweils einer Würdigung der tatsächlichen Gesamtumstände des Einzelfalls (BSG, Urteil vom 28.2.1964 - 2 RU 185/61 - juris Rn. 21).

Sofern infolge dieser geänderten Rechtsprechung eine Ungleichbehandlung von Autofahrern gegenüber Fußgängern gesehen werden sollte, liegt diese gleichsam "in der Natur der Sache" (BSG, Urteil vom 7.5.2019 - B 2 U 31/17 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 69 Rn. 23; kritisch Siefert NZS 2021, 81, 87). Bei Fußgängern existieren in der Regel - abgesehen von einem Richtungswechsel oder dem Verlassen des Straßengrundes - keine äußeren, objektiv wahrnehmbaren Grenzen, wie sie ein Pkw darstellt. Zudem ist - wie auch sonst im Recht der GUV - stets auf die letzte ganz konkrete Verrichtung vor dem Unfallereignis abzustellen, d.h. ein hinreichender sachlicher Grund für etwaige Ungleichbehandlungen ergibt sich aus der Tatsache, dass ein Autofahrer für dieselbe eigenwirtschaftlichen Zwecken dienende Besorgung (z.B. Briefeinwurf in einen am Wegesrand befindlichen Briefkasten) längere Zeit benötigt und ganz andere, faktisch wesentlich stärker unterbrechende Verrichtungen (Blinkern, Anhalten, Abschnallen, Öffnen der Autotür, Aussteigen, Fortbewegung zum Briefkasten usw. usf.) vornimmt, bei denen er ggf. dann nicht versichert sein kann (vgl. BSG, Urteil vom 7.5.2019 - B 2 U 31/17 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 69 - offen gelassen hat der 2. Senat, ob das Anhalten an einem Briefkasten, bei dem der Briefeinwurf ohne Verlassen des Fahrzeugs möglich ist, noch als geringfügige Unterbrechung bewertet werden kann; BSG, Urteil vom 31.8.2017 - B 2 U 11/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 62 Rn. 16; Schur/Spellbrink, SGb 2014, 589, 591; Krasney, SGb 2013, 313, 318).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze liegt hier eine den Versicherungsschutz unberührt lassende, lediglich geringfügige Unterbrechung des Weges vor, weil das geplante Handeln in seiner Gesamtheit betrachtet "ganz nebenher" erledigt werden konnte. Zwar setzte - wie das Vordergericht zutreffend ausgeführt hat - der subjektive Wunsch der Klägerin zu prüfen, ob sie ihren Pkw abgeschlossen hatte, eine neue objektiv beobachtbare Handlungssequenz in Gang (Umdrehen), die sich auch äußerlich von dem versicherten Vorgang des "Zur-Arbeit-Gehens" abgrenzen lässt. Für das beabsichtigte Umdrehen, den nur wenige Schritte dauernde Gang zurück zum Auto (etwa 2 m), das kurze Innehalten und den anschließenden Weg zurück wäre indes fast kein Zeitaufwand (wenige Sekunden) nötig gewesen. Da die Klägerin bis unmittelbar vor dem Zeitpunkt des Unfalls den versicherten Weg zu Fuß zurücklegte und dieser Vorgang des "Zu-Fuß-Gehens" durch den beabsichtigten Prüfvorgang auch nicht aufgehoben worden wäre, scheidet es aus, allein mit dem Richtungswechsel eine äußerlich wahrnehmbare deutliche Zäsur des versicherten Vorgangs "Gehens" anzunehmen, ohne dass es noch auf eine Einzelfallbeurteilung unter Berücksichtigung aller zeitlichen und sonstigen räumlichen Momente ankäme. Weiter gilt es zu bedenken, dass die beabsichtigte Prüftätigkeit zwar wesentlich eigenwirtschaftlicher Art war, daneben aber auch in nachvollziehbarer Weise von der Klägerin als geboten erachtet wurde (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 2 StVO), um den Weg zur Arbeitsstätte weiter zurücklegen zu können (vgl. zu diesbezüglichen Erwägungen BSG, Urteil vom 11.8.1988 - 2 RU 80/87 - juris Rn. 15 f.). Bei der gebotenen Gesamtschau ist mithin von einer lediglich geringfügigen, den Versicherungsschutz nicht unterbrechenden Handlung auszugehen (so auch Senatsurteil vom 24.4.2007 - L 3 U 447/04 - juris für einen Abweg um wenige Meter und für ein paar Sekunden), zumal sich die Rechtslage wertungsmäßig nicht anders darstellt, als im Falle des Briefeinwurfs am Wegesrand durch einen Fußgänger, den Rechtsprechung und Schrifttum weiterhin vom Schutzbereich der Wegeunfallversicherung erfasst sehen (vgl. BSG, Urteil vom 7.5.2019 - B 2 U 31/17 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 69 Rn. 23; Krasney, SGb 2020, 453, 455; Schur/Spellbrink, SGb 2014, 589, 591; Bieresborn, in Francke/Gagel/Bieresborn, Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht, 2. Aufl. 2017, § 4 Rn. 6 Fn. 12; Wagner, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, § 8 Rn. 205, Stand 26.5.2020).

Etwas Anderes folgt insbesondere nicht aus dem Umstand, dass sich die Klägerin im Unfallzeitpunkt in die entgegengesetzte Richtung von ihrer Arbeitsstätte wegbewegen wollte. Die Rechtsprechung hat stets betont, dass auch für Versicherte, die sich nicht auf direktem Weg in Richtung ihrer Arbeitsstätte, sondern in entgegengesetzte Richtung von diesem Ziel fortbewegen, Unfallversicherungsschutz bestehen kann, wenn es sich bei diesem Abweg (zur Unterscheidung zwischen Ab- und Umweg vgl. Krasney, in Krasney/Becker/Burchardt/Kruschinsky/Heinz/Bieresborn, SGB VII, § 8 Rn. 483 f., Stand Juni 2020) um eine lediglich geringfügige Unterbrechung des direkt zurückgelegten Weges handelt (BSG, Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 60 Rn. 17 f.; BSG, Urteil vom 5.7.2016 - B 2 U 16/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 58 Rn. 19 und 21; BSG, Urteil vom 8.8.2001 - B 9 VS 2/00 R - BSGE 88, 247 = juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 18.3.1997 - 2 RU 17/96 - SozR 3-2200 § 550 Nr. 16 Rn. 19 f.; BSG, Urteil vom 28. Juni 1991 - 2 RU 70/90 - juris Rn. 19; BSG, Urteil vom 31.7.1985 - 2 RU 63/84 - juris Rn. 15; BSG, Urteil vom 22.1.1976 - 2 RU 73/75 - BSGE 41, 141 = juris Rn. 18; RVA, Urteil 28.6.1928 - Ia 3496.27 - EuM 23, 168, 169; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.09.2018 - L 6 U 418/18 - juris Rn. 34; BayLSG, Urteil vom 7.5.2014 - L 2 U 308/09 - juris Rn. 56; Junge/Brose, in Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner, SGB VII, 2. Aufl. 2019, § 8 Rn. 128; Krasney, in Krasney/Becker/Burchardt/Kruschinsky/Heinz/Bieresborn, SGB VII, § 8 Rn. 499, Stand Februar 2020, Stand November 2019; Jung, BePr 2020, 323, 324; a.A. BSG, Urteil vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 50 Rn. 15 für einen Pkw-Fahrer sowie BSG, Urteil vom 21.1.1997 - 2 RU 11/96 - juris Rn. 19 für einen Fußgänger jeweils unter Bezugnahme auf BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 8 <dazu sogleich>; Spellbrink, in SRH, 6. Aufl. 2018, § 16 Rn. 132; Siefert, NZS 2017, 766, 768; Keller, in Hauck/Noftz, SGB VII, § 8 Rn 240a, Stand Juni 2018; Ziegler, in LPK-SGB VII, 5. Aufl. 2018, § 8 Rn. 248; Ricke, in KassKomm, § 8 SGB VII Rn. 202, Stand Juli 2020; Wietfeld, in BeckOK Sozialrecht, § 8 SGB VII Rn. 200, Stand 1.12.2020; offengelassen BSG, Urteil vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 32 Rn. 15). Dass derartige Erwägungen infolge der geänderten Rechtsprechung zur Maßgeblichkeit der objektiven Handlungstendenz in Bezug auf Kraftfahrzeugführer bestenfalls noch im Bereich des theoretisch Denkbaren verbleiben, hat nicht zur Folge, dass sie in Bezug auf Fußgänger ihren Sinn oder ihre Grundlage verlören bzw. gar unanwendbar wären. Sofern darin eine Ungleichbehandlung gesehen werden könnte, liegt dies - wie dargetan - in der "Natur der Sache". Auch kann es bei wertender Betrachtung (siehe dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 334) und ohne Berücksichtigung der sonstigen Umstände des Einzelfalles (insbesondere des zeitlichen Moments) für sich alleine keinen Unterschied machen, ob sich ein Versicherter in entgegengesetzter Richtung, schrägwinklig oder rechtwinklig weg vom Ziel des versicherten Weges bzw. vom direkten Weg bewegt (vgl. bereits BSG, Urteil vom 19.3.1991 - 2 RU 45/90 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 8 Rn. 16). Auch würden sich in der Praxis nicht vermeidbare Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben, die zu erheblichen Unsicherheiten bei der Rechtsanwendung führen würden.

Die Rechtsauffassung des erkennenden Senats steht auch in Einklang mit der Entscheidung des BSG vom 19.3.1991 (2 RU 45/90 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 8). Dort hatte der 2. Revisionssenat den Abweg eines Fußgängers in entgegengesetzte Richtung über eine Länge von 13 Metern als rechtlich bedeutsame Unterbrechung des geschützten Weges erachtet. Dieses Urteil war in tatsächlicher Hinsicht durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass bei natürlicher Betrachtungsweise das Verhalten des Versicherten vor dem Überqueren der Straße auf seine veränderte Handlungstendenz schließen ließ, seinen Heimweg abzubrechen und einer auf der anderen Straßenseite in entgegengesetzter Richtung gehende Dame in ein nahegelegenes Tanzlokal zu folgen. D.h. die Willensrichtung des später Verunglückten war im Unfallzeitpunkt nicht mehr auf die unmittelbare Fortsetzung des eingeschlagenen Heimweges nach der Unterbrechung dieses Weges gerichtet. Nicht nur mit diesem Richtungswechsel und dem Überschreiten der Fahrbahn in entgegengesetzter Richtung, sondern auch durch die sie tragende Handlungstendenz hatte der Versicherte eine deutliche Zäsur gesetzt. Die weitere Annäherung an seine Wohnung als Ziel des Weges wurde aufgehoben, und zwar derart, dass - nach dem beabsichtigten Besuch des Tanzlokals - an die bisher zurückgelegte Wegstrecke nicht mehr angeknüpft werden konnte. Dies stand der Annahme einer Geringfügigkeit der Unterbrechung, die der 2. Senat des BSG grundsätzlich für möglich erachtet und auch geprüft hat, unausweichlich entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 2.7.1996 - 2 RU 16/95 - SozR 3-2200 § 550 Nr. 14 = juris Rn. 21; BSG, Urteil vom 25.6.1992 - 2 RU 31/91 - juris Rn. 18). Im vorliegenden Fall hingegen wollte die Klägerin unmittelbar nach dem Prüfvorgang ihren Fußweg zum Ort der Tätigkeit fortsetzen. Soweit dieses Judikat vom 19.3.1991 in einer (wohl) vereinzelt gebliebenen Entscheidung des BSG (Urteil vom 21.1.1997 - 2 RU 11/96 - juris Rn. 19) dahingehend verstanden wurde, dass allein der Richtungswechsel eines Fußgängers in entgegengesetzte Richtung eine deutliche Zäsur bewirke, ohne dass es noch auf die Länge des Rückweges und zeitliche Aspekte ankomme, folgt dem der erkennende Senat aus den dargelegten Gründen nicht.

Da mithin keine beachtliche Unterbrechung des versicherten Weges vorliegt, kann dahinstehen, ob eine solche im Falle ihrer Beachtlichkeit ausgehend von § 14 Abs. 2 Satz 2 StVO aufgrund eines engen sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit als (ggf. erweiterte) Vorbereitungshandlung unter Versicherungsschutz gestanden hätte (dazu BSG, Urteil vom 23.1.2018 - B 2 U 3/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 64 Rn. 14 ff.).

Schließlich ist im vorliegenden Falle neben dem sachlichen Zusammenhang auch die für die Annahme eines Arbeitsunfalles erforderliche Unfallkausalität gegeben, weil die versicherte Tätigkeit den Unfall rechtlich wesentlich verursacht hat. Typische Fallgestaltungen, in denen die Unfallkausalität näherer Erörterung bedarf, sind u.a. Fälle einer gemischten Tätigkeit oder einer unerheblichen Unterbrechung (zur Unterscheidung vgl. Senatsurteil vom 23.9.2020 - L 3 U 305/19 - juris Rn. 21 ff.). Denn bei diesen Fallgestaltungen kann gerade nicht ausgeschlossen werden, dass neben der im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung zur Zeit des Unfalls eine weitere, nicht versicherten Zwecken zuzurechnende Ursache hinzutritt. Nur wenn eine solche konkurrierende Ursache neben der versicherten Ursache als naturwissenschaftliche Bedingung für das Unfallereignis wirksam geworden ist, ist zu entscheiden, welche der Ursachen rechtserheblich nach der Theorie der wesentlichen Bedingung ist (BSG, Urteil vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 31 Rn. 13; BSG, Urteil vom 30.1.2007 - B 2 U 23/05 R - BSGE 98, 79 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 22, Rn. 14 f.). Vorliegend hat sich durch den Unfall eine Gefahr verwirklicht, vor der der Versicherungstatbestand des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gerade schützen sollte, nämlich die Gefahr eines Sturzes während des der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Gehens (eigenes Verkehrsverhalten). Anders läge es nur dann, wenn das Unfallereignis in Auswirkung einer aus der privaten Tätigkeit entspringenden Gefahr entstanden wäre (vgl. auch Schur/Spellbrink, SGb 2014, 589, 594; Keller, in Hauck/Noftz, SGB VII, § 8 Rn. 38b, Stand Juni 2018). Das ist hier nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat (vgl. eingehend dazu Berchtold, in Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2. Aufl. 2016, § 8 Rn. 93 ff.; Karmanski, in beckOGK, § 160 SGG Rn. 26 ff., Stand 1.1.2021). Die im vorliegenden Falle entscheidungserhebliche abstrakte Rechtsfrage, ob allein der bloße Richtungswechsel eines Fußgängers in entgegengesetzte Richtung eine erhebliche, den Versicherungsschutz in der Wegeunfallversicherung aufhebende Unterbrechung darstellt, hat über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende Bedeutung. Sie ist auch klärungsbedürftig, weil sie - wie dargelegt - weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum einheitlich beantwortet wird. Zudem ist vielfach unklar (vgl. stellv. Köhler, SGb 2020, 379, 382 ff.), ob und inwieweit die mit guten Gründen von der Rechtsprechung des RVA begründete Rechtsfigur der geringfügigen Unterbrechung in der neuesten Rechtsprechung des 2. Senats des BSG in Bezug auf Fußgänger noch Platz finden kann bzw. soll (dagegen etwa Siefert, NZS 2021, 81, 87).

Rechtskraft
Aus
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