L 11 R 2350/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 1293/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2350/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 24.06.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.


Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1961 geborene Klägerin, gelernte Hauswirtschafterin und Altenpflegerin, war zuletzt nach einer Umschulung in der psycho- und gerontopsychiatrischen Betreuung bis September 2015 bzw nochmals kurze Zeit bis Dezember 2015 versicherungspflichtig beschäftigt. Derzeit bezieht die Klägerin Arbeitslosengeld II.

Im September und Dezember 2008 wurde die Klägerin wegen eines Bandscheibenvorfalles an der Halswirbelsäule (HWS) operiert. Es wurde eine Korporektomie (partielle oder komplette Entfernung eines Wirbelkörpers) vorgenommen; seitdem besteht eine Spondylodese (Versteifung der Wirbelkörper) von C5 auf C7. Die Klägerin ist außerdem seit Jahren wegen depressiver Episoden mit multiplen psychosomatischen Störungen, einem unspezifischen Schwindel und Panikattacken in ärztlicher Behandlung. 2014 wurde bei der Klägerin ein Dünndarmileus (Darmverschluss oder Darmlähmung, die zu einer Unterbrechung der Nahrungspassage mit einem Aufstau des Speisebreis führt) festgestellt und eine Ileumsegmentresektion (Entfernung eines Teils des Dünndarms) vorgenommen.

In einem früheren Verfahren auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung holte die Beklagte ein Gutachten der H vom 18.05.2016 ein. In dem Gutachten wurde ein HWS-Syndrom ohne radikuläre Ausfallsymptomatik und eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Die Klägerin sei in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei Beachtung von qualitativen Einschränkungen sechs Stunden arbeitstäglich auszuüben. Der G führte in seinem Gutachten vom 19.07.2016 aus, die Klägerin leide unter einem Zustand nach Halswirbelsäulen-Operation C5-C7. Unter Berücksichtigung von qualitativen Leistungseinschränkungen sei die Klägerin in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkes sechs Stunden täglich auszuüben. Der Rentenantrag blieb erfolglos (Bescheid vom 25.08.2016).

Am 21.12.2017 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen bei. Die S führte unter dem 23.03.2018 aus, die Klägerin leide unter rezidivierenden Synkopen, Halswirbelsäulen-Syndrom (Zustand nach zervikalem Bandscheibenvorfall), Zustand nach Dünndarmileus mit Teilresektion, Verwachsungsbauch mit Gewichtsverlust (-8kg/1 Monat). Die Funktionseinschränkungen wurden mit akuten Belastungsreaktionen durch ständige Synkopen und Kollaps, Schlafstörungen und Bewegungseinschränkungen der Hals- und Brustwirbelsäule beschrieben.

Die Beklagte veranlasste eine weitere nervenärztliche und eine internistische Begutachtung der Klägerin. Der B kam im Gutachten vom 17.06.2018 zum Ergebnis, die Klägerin leide an Angst und Depression gemischt, ausgeprägter Schmerzstörung mit psychischen und körperlichen Faktoren und einem Halswirbelsäulen-Syndrom ohne radikuläre Ausfälle. Aus seiner Sicht bestünden nur qualitative Einschränkungen (Vermeidung von längeren Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Arbeitsschwere maximal mittelschwer). Der Z schloss sich im Gutachten vom 16.08.2018 dieser Leistungsbeurteilung unter Nennung der Diagnosen Gallensäureverlustsyndrom (aktuell gut kompensiert unter Einnahme von Colestyramin, nebenbefundlich asymptomatische Cholelithiasis), Verwachsungsbauch nach Dünndarmileus mit Teilresektion des terminalen Ileums und Teilen des Colon ascendens, Nikotinabusus und somatoforme Schmerzstörung im Wesentlichen an.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 02.11.2018 ab.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Nach Beiziehung eines neuerlichen Berichts der S vom 08.01.2019 und des Attestes des K vom 15.01.2019 (die Klägerin gebe an, wiederkehrend an Kältegefühl im Nacken mit Schwarzwerden, Doppelbildern und Schwächegefühl zu leiden) und sozialmedizinischer Stellungnahme des L vom 31.01.2019 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2019 zurück. Da die Klägerin in der Lage sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, sei sie nicht erwerbsgemindert.

Am 26.03.2019 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) unter Verweis auf ständig wiederkehrende Synkopen erhoben.

Vom 14.03.2019 bis 08.05.2019 hat sich die Klägerin stationär in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Klinikums S1 aufgehalten. Im Kurzbrief vom 08.05.2019 sind die Diagnosen Somatisierungsstörung, chronische Sinusitis, Übelkeit und Erbrechen und sonstige näher bezeichnete Hypothyreose genannt. Die Entlassung ist in einem etwas gebesserten und stabilisierten Zustand erfolgt.

Am 19.07.2019 ist bei der Klägerin ein duktales Carcinoma in situ (DCIS), rechte Brust, operativ entfernt worden.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der G1 hat mit Bericht vom 24.10.2019 ausgeführt, die vorbestehende schwere Somatisierungsstörung habe sich durch die jetzt zusätzlich bestehenden organischen Probleme (Mamma-Karzinom) kompliziert, weshalb der Klägerin auch leichte Tätigkeiten nicht mindestens sechs Stunden täglich möglich seien. Der K hat mit Auskunft vom 01.11.2019 darauf verwiesen, dass die orthopädischen Gesundheitsstörungen lediglich qualitative Einschränkungen bedingten. S hat mit Auskunft vom 19.12.2019 ausgeführt, die Klägerin sei nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Es träten häufig Schmerzschübe der Halswirbelsäule (HWS) und Schwindelattacken mit Übelkeit und Konzentrationsstörungen auf. Zudem habe sich der Zustand wegen des duktualen Carcinoms verschlechtert. S2, Chefarzt der Gynäkologie im Stauferklinikum, hat mit Schreiben vom 11.02.2020 ausgeführt, bei ausreichender psychotherapeutischer Begleitung stehe einer Arbeitsfähigkeit der Klägerin nichts entgegen.

Anschließend hat das SG das nervenärztliche Gutachten des W vom 02.09.2020 eingeholt. Dieser hat bei der Klägerin Angst und depressive Störung gemischt, Somatisierungsstörung, Migräne ohne Aura und Karpaltunnelsyndrom beidseits diagnostiziert und ausgeführt, es sei kein Grund erkennbar, warum die Klägerin nicht in der Lage sein sollte, noch leichte körperliche Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.

Die Klägerin hat noch ältere ärztliche Berichte sowie den Arztbrief des G1 vom 27.10.2020 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, dass die Argumentation des Gutachtens schlüssig sei. Eine Erhöhung/Umstellung der antidepressiven Therapie sei aktuell jedoch nicht sinnvoll, sodass zunächst das laufende Therapieregime unverändert fortgeführt werden solle.

Mit Gerichtsbescheid vom 24.06.2021 hat das SG die Klage abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die am 19.07.2021 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhobene Berufung der Klägerin. Unter Darlegung ihres Krankheitsverlaufs beruft sie sich auf eine seit 2008 nahezu durchgängig vorliegende Arbeitsunfähigkeit. Sowohl die Tätigkeit als Hauswirtschafterin als auch als Altenpflegehelferin könne sie unstreitig nicht erbringen. Die Beklagte habe ihr zwar eine Ausbildung zu einer Altentherapeutin ermöglicht. In dieser Tätigkeit habe sie bislang jedoch keine Arbeitsstelle erhalten. Aufgrund ihres gesamten gesundheitlichen Zustandes, insbesondere im Hinblick auch auf die aktuelle Arbeitsunfähigkeit, könne sie eine derartige Arbeit nicht ausüben.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 24.06.2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2019 zu verurteilen, der Klägerin ab 01.12.2017 eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids und im Übrigen auf ihr Vorbringen im ersten Rechtszug.

In dem am 24.08.2021 durchgeführten Erörterungstermin haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und statthafte Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente besteht nicht. Der Bescheid der Beklagten vom 02.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2019, gegen den sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG) wendet, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt.

Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin trotz gesundheitlicher Einschränkungen noch leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen ausüben kann.

Die Klägerin leidet an Angst und Depression gemischt, Somatisierungsstörung, Migräne ohne Aura, Karpaltunnelsyndrom beidseits, Spondylodese C5 auf C7, Osteochondrose L 2/3, Zustand nach DCIS rechts, Gallensäureverlustsyndrom und Verwachsungsbauch. Hieraus ergeben sich lediglich qualitative Leistungseinschränkungen. Nicht zumutbar sind aufgrund der Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet Tätigkeiten unter Zeitdruck wie Akkord- und Fließbandarbeiten und Arbeiten im Schichtbetrieb. Aufgrund des Karpaltunnelsyndroms sind Tätigkeiten mit schwerer bimanueller Beschäftigung nicht möglich. Nicht zumutbar sind aufgrund der orthopädischen Störungen schweres Heben und Tragen und Tätigkeiten mit der Notwendigkeit des schnellen Lagewechsels. Aufgrund des von der Klägerin angegebenen Schwindels und der Synkopen sollen Tätigkeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten nicht verrichtet werden. Schwere Tätigkeiten in Zwangshaltungen sollen ausgeschlossen sein. Bei Beachtung dieser Einschränkung sind Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes an mindestens sechs Stunde pro Tag an fünf Tagen in der Woche möglich.

Der Senat stützt seine Beurteilung des Leistungsvermögens maßgeblich auf das Gutachten des W sowie die von der Beklagten eingeholten Gutachten der H, des G, des B und des Z, die der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet.

Die Beschwerden der Klägerin liegen auf orthopädischem, internistischem und im Schwerpunkt auf nervenärztlichem Fachgebiet.

Die orthopädischen Erkrankungen bestehen in einer Spondylodese C5 auf C7 und einer Osteochondrose L 2/3. Hieraus ergibt sich keine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens. Der Senat stützt sich dabei auf die Einschätzung des G in seinem Gutachten vom 19.07.2016. Auch der behandelnde Arzt K hat lediglich qualitative Leistungseinschränkungen angegeben, eine rentenrelevante Erwerbsminderung sah er nicht.

Das auf internistischem Fachgebiet bestehende Gallensäureverlustsyndrom ist medikamentös gut kompensiert. Es begründet ebenso wie der Verwachsungsbauch keine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit, wie der Senat dem Gutachten des Z entnimmt. Wie S2 angegeben hat, bedingt das operativ entfernte DCIS rechts ebenfalls keine zeitliche Einschränkung der Erwerbsfähigkeit.

Aber auch die Erkrankungen auf nervenärztlichem Fachgebiet führen nicht zur Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Dem Karpaltunnelsyndrom kann mit qualitativen Einschränkungen begegnet werden. Die Migräne ohne Aura kann zwar zu Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit führen, eine dauerhafte Erwerbsminderung resultiert hieraus jedoch nicht. Aber auch aus der Angst und Depression gemischt ergibt sich keine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens. Gleiches gilt für die Somatisierungsstörung. In diesem Zusammenhang sind die Schwindelattacken und die Synkopen zu sehen. Andere Ursachen waren nicht feststellbar, die behandelnden Ärzte haben diese als Somatisierungsstörung eingeordnet. W, auf dessen sorgfältiges und nachvollziehbares Gutachten sich der Senat stützt, hat festgestellt, dass der Kontakt mit der Klägerin zugewandt ist und sie bereitwillig, wenn auch mit gewissen Verdeutlichungstendenzen berichtet. Der formale Gedankengang ist geordnet, nicht verlangsamt, nicht beschleunigt, nicht umständlich oder weitschweifig. Die Auffassungsgabe ist regelrecht. Aufmerksamkeit und Konzentration sind zwar leichtgradig herabgesetzt. Die Rekonstruktion der Anamnese gelang jedoch ohne Schwierigkeiten. Die Klägerin war auch in der Lage, den verlorenen Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. Relevante Störungen der Gedächtnisfunktion ergaben sich nicht. Die Klägerin war in der Stimmungslage etwas gedrückt, leichtgradig eingeschränkt, schwingungsfähig, Antrieb und Psychomotorik waren ungestört, Mimik und Gestik normal moduliert. Die Panikattacken sind mittlerweile abgeklungen wie die Klägerin bei W berichtet hat. In seinem Bericht vom 27.10.2020 hat G1 den Lagerungsschwindel als remittiert angegeben. Nach den Angaben der Klägerin bei W sind die Synkopen zuletzt 2019 aufgetreten und haben sich damit ebenfalls gebessert. Im Ergebnis ergibt sich hieraus nachvollziehbar, dass aus den Gesundheitsstörungen qualitative Leistungseinschränkungen, jedoch keine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens ergeben.

Soweit die Leistungsfähigkeit der Klägerin von ihren behandelnden Ärzten negativer eingeschätzt wird als von den Sachverständigen W, H, G, B und Z, folgt der Senat deren Leistungsbeurteilung nicht. Der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch (gerichtliche) Sachverständige kommt nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens in der Regel keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen. Darüber hinaus hat G1 in seinem Bericht vom 27.10.2020 auf das stichhaltige Gutachten des W verwiesen.

Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre, bestehen nicht. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Die zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze sind auch für Ansprüche auf Rente wegen Erwerbsminderung nach dem ab 01.01.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (BSG 11.12.2019, B 13 R 7/18 R, BSGE 129, 274-290 = SozR 4-2600 § 43 Nr 22). Vom praktisch gänzlichen Fehlen von Arbeitsplätzen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die nur mit leichten körperlichen und geistigen Anforderungen verknüpft sind, kann derzeit nicht ausgegangen werden, auch nicht aufgrund der Digitalisierung oder anderer wirtschaftlicher Entwicklungen (BSG 11.12.2019, aaO, juris Rn 27). Eine spezifische Leistungseinschränkung liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG 27.04.1982, 1 RJ 132/80, SozR 2200 § 1246 Nr 90). Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn - wie hier - typische Verrichtungen wie zB das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen möglich sind. Einschränkungen, die dem entgegenstehen könnten, lassen sich den vorliegenden Gutachten nicht entnehmen. Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden zu der Frage, welche konkrete Tätigkeit der Klägerin noch leidensgerecht und zumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs 3 letzter Halbsatz SGB VI).

Die Klägerin ist auch wegefähig im rentenrechtlichen Sinne. Da eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich ist, gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (BSG 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2 mwN; 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R). Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des nach § 43 SGB VI versicherten Risikos (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2; 14.03.2002, B 13 RJ 25/01 R); das Defizit führt zur vollen Erwerbsminderung. Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand (ca 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (zB Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 30.01.2002, B 5 RJ 36/01 R, juris mwN). Vorliegend ist die Klägerin in ihrer Wegefähigkeit nicht eingeschränkt, da sie zu den von der Rechtsprechung geforderten Fußwegen - auch unter Berücksichtigung des unspezifischen Schwindels - in der Lage ist und auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen kann.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist gemäß § 240 SGB VI, dass der Versicherte vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Da die Klägerin am 31.08.1961 und damit nach dem Stichtag geboren wurde, kommt dieser Anspruch von vornherein nicht in Betracht.

Der Sachverhalt ist in medizinischer Hinsicht vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Die vorliegenden Gutachten des W, H, G, B und Z haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 Zivilprozessordnung [ZPO]). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und geben auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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