L 10 R 825/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 21 R 695/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 825/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29.11.2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Gründe

I.

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1967 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt und war in den 1980er und 1990er Jahren als Montagearbeiter und mit verschiedenen anderen Tätigkeiten versicherungspflichtig beschäftigt. Zuletzt stand er ab Februar 2008 bis Februar 2016 in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis als Maschinenbediener und -einrichter in einem metallverarbeitenden Betrieb. Diese Tätigkeit übte er bis zu einem am 10.05.2014 erlittenen Herzinfarkt aus. Ab 21.06.2014 bezog er Krankengeld und nach Aussteuerung aus diesem Arbeitslosengeld bis 31.12.2015. Wegen der Einzelheiten der rentenrechtlichen Zeiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 28.03.2019 (Bl. 18 ff. der Senatsakte) Bezug genommen. Bei dem Kläger ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 seit Dezember 2014 und von 40 seit 2020 anerkannt.

Der Kläger befand sich im Frühsommer 2014 wegen des erlittenen Vorderwandinfarkts, einer koronaren Eingefäßerkrankung (mittelgradig) nach PTCA und STENT-Implantation in RIVA und Hypercholesterinämie zur stationären Rehabilitationsbehandlung in der Fachklinik S, W. Die dort behandelnden Ärzte gelangten zu der Einschätzung, der Kläger könne seine letzte berufliche Tätigkeit als Maschinenbediener und -einrichter sowie Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche verrichten.

Der Kläger befand sich erneut im August 2015 zur dreiwöchigen stationären Rehabilitationsbehandlung in der Kklinik B unter den Diagnosen arteriosklerotische Herzkrankheit: Eingefäßerkrankung, alter Myokardinfarkt, Vorhandensein eines Implantates oder Transplantates nach koronarer Gefäßplastik und essentielle (primäre) Hypertonie. Die dort behandelnden Ärzte gelangten zu derselben zeitlichen Leistungseinschätzung wie schon die Ärzte in der Rehaklinik S. Sie führten aus, dass mittelschwere Tätigkeiten ohne extreme Klimabelastung und ohne Zwangshaltungen und damit auch die letzte berufliche Tätigkeit leidensgerecht seien.

Der Kläger beantragte am 04.12.2015 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte das Gutachten nach Aktenlage der W1 vom 15.04.2016 ein, die auf ihrem Fachgebiet unter Berücksichtigung der Reha-Entlassungsberichte eine koronare Eingefäßerkrankung, einen Zustand nach (Z. n.) Myokardinfarkt und eine leichtgradig eingeschränkte, linksventrikuläre Funktion diagnostizierte und die Auffassung äußerte, der Kläger könne die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Maschinenbediener/-einrichter und mittelschwere körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in wechselnder Arbeitshaltung, ohne Nachtschicht, ohne Exposition gegenüber Kälte, Hitze oder starken Temperaturschwankungen sechs Stunden und mehr arbeitstäglich ausüben. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 20.05.2016 ab.

Auf den Widerspruch des Klägers holte die Beklagte das Gutachten der H ein, die nach Untersuchung des Klägers am 28.11.2016 eine funktionell relevante Anpassungsstörung oder Affektstörung ausschloss und ausführte, dass der Kläger ein „ausgesprochen starkes Rentenbegehren“ geäußert habe und er nicht „über Arbeit, sondern Rente“ habe sprechen wollen. Aus der Schilderung seines Lebensalltags, seiner sozialen Teilhabe und dem psychopathologischen Befund lasse sich - so H - keine erwerbsminderungsrelevante Erkrankung ableiten. Aus der kardialen Erkrankung ergäben sich allenfalls qualitative Leistungseinschränkungen. Der Kläger könne weiterhin Tätigkeiten als Maschinenbediener/-einrichter oder andere Erwerbstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr verrichten. Hierauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2017 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 20.02.2017 Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben.

Das SG hat die den Kläger behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Der M hat mitgeteilt, dass er bei dem Kläger eine gemischt ängstlich-depressive Störung und eine Anpassungsstörung nach erlittenem Myokardinfarkt diagnostiziert habe, die mäßiggradig bis schwer ausgeprägt seien. Er habe dem Kläger zu einer stationären psychosomatischen Behandlung geraten, diese jedoch nicht selbst veranlasst. Zum letzten Behandlungstermin im September 2016 sei der Kläger weder „arbeits- noch vermittlungsfähig“ gewesen. Er gehe davon aus, dass sich seitdem daran nichts geändert habe. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, auch nur regelmäßig mehr als drei Stunden pro Tag zu arbeiten.

Der W2 hat unter Vorlage einer Befunddokumentation mitgeteilt, dass der Kläger nur noch drei Stunden täglich erwerbstätig sein könne und dass qualitative Leistungseinschränkungen bestünden (keine Akkordarbeit, keine Schichtarbeit, keine Arbeiten mit Hitze und Kälte, kein Heben und Tragen von schweren Lasten, keine Arbeit in Zwangshaltungen). Der Schwerpunkt des klägerischen Leidens liege im psychischen Bereich.

Das SG hat von Amts wegen das Gutachten der Oberärztin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Uklinikums F, A, eingeholt, die nach Untersuchung des Klägers am 29.01.2018 die Diagnose „Angst und depressive Störung gemischt“ gestellt und ausgeführt hat, der Kläger könne körperlich und geistig wenig anspruchsvolle Tätigkeiten in einem zeitlichen Rahmen von unter drei Stunden nachgehen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien noch körperlich und geistig leichte Arbeiten ohne Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeit ohne vermehrten Publikumsverkehr und ohne merkliche Beanspruchung unter drei Stunden täglich möglich. Darüberhinausgehende Tätigkeiten seien auf Grund der eingeschränkten Belastbarkeit, leichter Erschöpfbarkeit, dem reduzierten Energieniveau sowie der bei bereits geringer Belastung auftretenden vegetativen Symptome bis zur Paniksymptomatik nicht möglich. Diese Einschränkungen bestünden seit dem Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung, wobei bezüglich der zeitlichen Entwicklung keine sicheren Angaben gemacht werden könnten; entsprechend der Angaben des Klägers habe die Symptomatik ohne wesentliche Veränderung seit den stattgehabten Herzinfarkten bestanden, wobei die Angaben in den Akten dies nicht lückenlos nachvollziehen lassen würden. Da bisher keine adäquate Behandlung erfolgt sei, sei davon auszugehen, dass die Symptomatik bei adäquater Behandlung deutlich bis hin zur Vollremission gebessert werden könne. In ihrer ergänzenden Stellungnahme hat A mitgeteilt, dass es sich bei der Erkrankung „Angst und Depression gemischt“ grundsätzlich um eine gut behandelbare Erkrankung handele, sie allerdings nicht sagen könne, inwieweit bei adäquater Behandlung und Ansprechen auf diese innerhalb von sechs Monaten eine Besserung erreicht werden könne. Bei gutem Ansprechen auf eine psychopharmakologische Behandlung sei durchaus mit einer für das Leistungsvermögen relevanten Besserung innerhalb von sechs Monaten zu rechnen. Bezüglich der empfohlenen störungsspezifischen Psychotherapie sei bei gutem Ansprechen auf diese eine Besserung bereits im Rahmen einer Kurzzeittherapie von 20 Sitzungen möglich.

Mit Urteil vom 29.11.2018 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung hat, da er nicht erwerbsgemindert sei. Der Schwerpunkt seiner Gesundheitsbeeinträchtigungen liege auf internistisch-kardiologischem und psychiatrischem Fachgebiet. Gestützt auf die Entlassungsberichte der Fachklinik S und der Kklinik B sowie das Gutachten von W1 und die von den behandelnden W2 und M mitgeteilten Diagnosen hat das SG ausgeführt, es lägen bei dem Kläger qualitatiMe, jedoch keine quantitativen Leistungseinschränkungen vor. Vielmehr sei der Kläger noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung qualitativen Leistungseinschränkungen nachzugehen. Das SG hat dargelegt, dass und warum - insbesondere auf Grund des vom Kläger gegenüber A und in der mündlichen Verhandlung geschilderten Tagesablaufs - es den Leistungseinschätzungen der behandelnden Ärzte und der A nicht folgt. Weiter hat es ausgeführt, dass jedenfalls ein zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen „auf nicht absehbare Zeit“ nicht vorliege, weil bislang keine adäquate ärztliche Behandlung der Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet erfolgt sei. Insoweit gestützt auf das Gutachten von A hat das SG ausgeführt, dass die Erkrankung des Klägers bei adäquater Behandlung deutlich gebessert werden oder sich sogar vollständig zurückbilden könne, sodass eine anhaltende Erwerbsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht vorgelegen habe.

Der Kläger hat am 07.03.2019 gegen das - seinem früheren Prozessbevollmächtigten am 28.02.2019 zugestellte - Urteil Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass bei ihm eine zeitliche Leistungsminderung vorliege, wie sich dies aus dem Gutachten von A und der Einschätzung von M und dem W2 ergebe. Im Übrigen könne aus einer nicht adäquaten Therapie nicht der Schluss gezogen werden, dass der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung ausscheide.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29.11.2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01.12.2015 Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger ist am 09.01.2019 von dem H1 untersucht worden, der eine gering eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion und eine Belastbarkeit im Rahmen der Ergometrie bis 125 Watt, ohne Nachweis einer signifikanten Ischämie, befundet und ausgeführt hat, dass der kardiale Befund stabil ist und sich keine Hinweise für eine Belastungskoronarinsuffizienz bis 125 Watt ergeben, andererseits eine stabile Einschränkung der LV-Funktion bei Zustand nach Vorderwandinfarkt bestehe. Bei der kardiologischen Nachuntersuchung im Januar 2020 ist der kardiale Befund weiterhin stabil gewesen.

Der F1 hat bei dem Kläger im August 2020 einen Tinnitus Aurium links nach Hörsturz links diagnostiziert und Hörgeräte angeraten, die vom Kläger nicht gewollt waren. Der Senat hat F1 als schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt, der mitgeteilt hat, dass die Erkrankung des Klägers nicht gegen die Ausübung leichter Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem Umfang von sechs Stunden täglich spreche.

Der Senat hat von Amts wegen das Sachverständigengutachten des S1 eingeholt. Dieser hat unter Berücksichtigung der aktenkundigen Befundunterlagen sowie einer 30-minütigen Exploration am 22.07.2021, die vom Kläger mit Verweis auf die Aktenlage beendet worden ist, die Diagnosen Angst und depressive Störung gemischt sowie Herzinfarkt mit Stenteinbringung 2014 ohne wesentliche Beeinträchtigung der Herzfunktion gestellt und ausgeführt, dass der Kläger unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen (keine Akkord- und Fließbandarbeiten, keine Arbeiten mit häufig wechselnder Schicht, keine Tätigkeiten mit besonderer geistiger Beanspruchung) in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich einer regelmäßigen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen.

Bei der kardiologischen Nachuntersuchung des Klägers im Februar 2021 hat sich ausweislich des Befundberichtes des H1 echokardiographisch weiterhin ein stabiler Befund gezeigt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.


II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das SG hat die statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG) im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid vom 20.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger ist im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Ihm steht daher weder eine Rente wegen voller noch wegen teilweiser Erwerbsminderung zu.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser (Abs. 1 Satz 1 der Regelung) bzw. voller (Abs. 2 Satz 1 der Regelung) Erwerbsminderung, wenn sie - u.a. - teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, GS 2/75 u.a., zitiert - wie alle nachfolgenden höchstrichterlichen Entscheidungen - nach juris). Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht, weil er zur Überzeugung des Senats trotz der bei ihm bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch in der Lage ist, jedenfalls leichte berufliche Tätigkeiten unter Berücksichtigung der von den gerichtlichen Sachverständigen S1 und A, der von der Gutachterin W1 - deren Gutachten der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet - sowie der von den behandelnden Ärzten im Reha-Entlassungsbericht von August 2015 und von dem W2 genannten qualitativen Einschränkungen (kein Heben und Tragen schwerer Lasten, keine Zwangshaltungen, dafür in wechselnder Arbeitshaltung, keine Schicht- und Nachtschicht, keine Exposition gegenüber Kälte, Hitze oder starken Temperaturschwankungen, keine Akkordarbeit, keine Fließbandarbeit, keine Tätigkeiten mit besonderer geistiger Beanspruchung) mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.

Die maßgeblichen gesundheitlichen Beschwerden des Klägers betreffen das psychiatrische und kardiologische Fachgebiet.

Auf psychiatrischem Fachgebiet liegt bei dem Kläger eine „Angst und depressive Störung gemischt“ vor. Diese Diagnose haben insoweit übereinstimmend die gerichtlichen Sachverständigen S1 und A sowie der behandelnde M gestellt. Indes führt diese Erkrankung entgegen den Leistungseinschätzungen von A und M sowie dem W2 nicht zu einer rentenrelevanten Leistungseinschränkung. Diese Überzeugung stützt der Senat auf das schlüssige Gutachten des S1, das dieser unter Berücksichtigung der aktenkundigen Befundunterlagen und unter dem Eindruck der 30-minütigen Exploration des Klägers erstattet hat. Bei der - wenn auch nur kurzen - Exploration ist der Kläger - so S1 - bewusstseinsklar und orientiert gewesen, energievoll und keineswegs antriebsgemindert, schwunglos oder ohne Vitalität gewesen ist. Auch ist er nicht tiefer deprimiert gewesen. Er ist reizbar und missgelaunt gewesen, wobei die affektive Schwingungsfähigkeit - so S1 - jedenfalls nicht aufgehoben war und der Gedankengang zusammenhängend gewesen ist. Auch haben sich sonst keine psychopathologischen Auffälligkeiten gezeigt, insbesondere keine Störungen von Konzentration und Aufmerksamkeit.

Zwar ist dieser von S1, wie er selbst ausgeführt hat, auf Grund der Kürze des Explorationsgesprächs erhobene Befund nicht vollständig. Indes hat der Kläger, was S1 ebenfalls dargelegt hat, von Anfang an eine ablehnende Haltung gegenüber der Begutachtung zum Ausdruck gebracht, ist unter Verweis auf einen mitgebrachten Ordner wenig auskunftswillig und kaum kooperativ gewesen und hat von sich aus - trotz des Hinweises, dass er darlegen und beweisen müsse, dass er erwerbsgemindert sei - die Begutachtung unter Verweis auf die Akten beendet.

Im Rahmen der prozessualen Mitwirkungslast - auf die der Kläger hingewiesen worden ist - sind Beteiligte verpflichtet, sich im gerichtlichen Verfahren u.a. ärztlich untersuchen zu lassen; nur bei triftigen Gründen kann ausnahmsweise eine Untersuchungspflicht entfallen (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 103 Rdnr. 14a m.w.N. zur Rspr.).

Unter Zugrundelegung dessen ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger eine Durchführung der vollständigen gutachterlichen Exploration unzumutbar gewesen wäre. Soweit er der Auffassung ist, dass sich seine Erwerbsminderung bereits aus den Akten ergebe, begründet dies keine Unzumutbarkeit einer (weiteren) gutachterlichen Exploration. Denn die Überprüfung der Schlüssigkeit von (früheren) Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen und ggf. deren Verifizierung durch die Einholung weiterer Gutachten obliegt dem Gericht und nicht dem Kläger.

Ist der Kläger damit - wie hier - seiner Mitwirkungsobliegenheit ohne triftigen Grund nicht nachgekommen, geht dies zu seinen Lasten. Denn die anspruchsbegründenden Tatsachen müssen erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84, zitiert - wie alle nachfolgenden höchstrichterlichen Entscheidungen - nach juris). Ist ein solcher Nachweis wie vorliegend auf Grund der Explorationsvereitelung des Klägers nicht möglich, geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90). So liegt der Fall hier hinsichtlich einer vollständigen Befunderhebung durch S1.

S1 hat auf Grund des in der Kürze der Zeit von ihm unvollständig erhobenen Befundes sowie unter Berücksichtigung der weiteren aktenkundigen Befundunterlagen des M (Kläger äußert Ängste, sterben zu können) sowie der Gutachten von H (wach und ausreichend zu allen Qualitäten orientiert, Denken unauffällig, Stimmung neutral, Affekt ausreichend auslenkbar, Psychomotorik und Antrieb unauffällig, gutes Kontroll- und Steuerungsverhalten, kein Anhalt für Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen) - das der Senat ebenfalls im Wege des Urkundsbeweises verwertet - und A (wach, bewusstseinsklar, keine Vigilanzstörungen, zu allen Qualitäten orientiert, keine wesentlichen Aufmerksamkeits-, Merkfähigkeits- und Gedächtnisstörungen, affektive Schwingungsfähigkeit leicht eingeschränkt, keine Antriebshemmung, ausgeprägte Ängste vor erneutem Herzinfarkt) für den Senat schlüssig ausgeführt, dass es sich bei der Erkrankung des Klägers auf psychiatrischem Fachgebiet seit der ersten Kontaktaufnahme mit M im November 2014 bis zu seiner Begutachtung durchgängig um eine lediglich leichte psychische Störung des Klägers handelt, da nie eine depressive Episode oder eine relevante Angststörung diagnostiziert wurde und das ärztliche Inanspruchnahmeverhalten (nach 2014 sporadisch 2015 und dann erst wieder im Rahmen des Widerspruchsverfahrens 2016 bei M vorstellig; keine stationäre psychiatrische Behandlung, keine Richtlinienpsychotherapie durchgeführt und auch nicht von M veranlasst) sowie die von M angesetzte Medikation mit 15 mg Mirtazapin täglich, die in dieser Dosierung keinerlei antidepressiven Effekt hat und die der Kläger nach eigenen Angaben gegenüber A nur vorübergehend nach dem Herzinfarkt eingenommen hat, jeder relevanten psychiatrischen Erkrankung widerspricht. Konsequenterweise war auch von M und A unter Berücksichtigung der von ihnen erhobenen Befunde sowie auch von ihm selbst - so S1 - lediglich die Diagnose einer Angst und depressive Störung gemischt gestellt worden. Denn, so hat der Sachverständige weiter schlüssig dargelegt, diese Diagnose wird gestellt, wenn leichtere Symptome einer Depressivität bestehen, ohne dass eine depressive Episode diagnostiziert werden kann und wenn außerdem Ängste und eine Besorgtheit bestehen, ohne dass eine eigenständige Angststörung festgestellt werden kann. Diese leichte psychische Störung hat, auch dies hat S1 nachvollziehbar dargelegt, keine rentenrelevante Einschränkung des Leistungsvermögens zur Folge. Sie kann überdies durch eine psychotherapeutische Behandlung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten deutlich gebessert werden. Dies bestätigen im Ergebnis sowohl S1 als auch A.

Soweit A zu der Auffassung eines eingeschränkten zeitlichen Leistungsvermögens des Klägers auf Grund dieser psychischen leichten Störung gelangt ist, überzeugt dies den Senat - wie auch schon das SG - nicht. Denn S1 hat ihre Leistungseinschätzung - wie zuvor dargelegt - unter Berücksichtigung der mit der Diagnose und den Befunden lediglich verbundenen funktionellen Einschränkungen widerlegt. Überdies zeigt auch der vom Kläger gegenüber A, H und gegenüber dem SG in der mündlichen Verhandlung geschilderte Tagesablauf (6 Uhr aufstehen, die Tochter für die Schule vorbereiten, seine Frau zur Arbeit bringen, dann Hausarbeiten, mit Pulsuhr 5 bis 6 km/ 2 Stunden je Tag Spaziergang, Fahrradfahren, Abholen seiner Frau zum Mittagessen, danach seine Frau wieder zur Arbeit bringen, nachmittags Hausaufgabenbetreuung der Tochter, abends seine Frau von der Arbeit abholen, Abendessen, Fernsehen) keinerlei relevante Antriebsminderung oder andere, aus der psychischen Erkrankung rentenrelevante Einschränkung, sondern vielmehr eine gut erhaltene Tagesstruktur.

Soweit M darüber hinaus bei dem Kläger vom Vorliegen eine Anpassungsstörung und eines psychovegetativen Erschöpfungssyndroms ausgegangen ist, sind diese Diagnosen von den beiden gerichtlichen Sachverständigen nicht bestätigt worden. Überdies ließen sich auch aus einer Anpassungsstörung keine funktionellen Einschränkungen ableiten und handelt es sich bei dem psychovegetativen Erschöpfungssyndrom um eine reine Befundbeschreibung subjektiven Empfindens ohne Krankheitswert, was S1 in seinem Gutachten schlüssig dargelegt hat.

Unabhängig davon, kommt es im Rahmen der Prüfung von Erwerbsminderung nicht maßgeblich auf eine bestimmte Diagnosestellung, die Art oder Anzahl von Diagnosen oder auf die Bezeichnung von Befunden an, sondern auf die Beeinflussung des individuellen quantitativen sowie qualitativen Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen (BSG, Beschluss vom 28.02.2017, B 13 R 37/16 B), also auf die durch die Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen. Dem entsprechend spielen auch die Ursachen der Gesundheitsstörung keine entscheidende Rolle (BSG, a.a.O.).

Auf kardiologischem Fachgebiet besteht bei dem Kläger - wie sowohl dem Reha-Entlassungsbericht von August 2015 als auch dem Gutachten der W1 und den Befundunterlagen des behandelnden H1 zu entnehmen ist - eine koronare Eingefäßerkrankung und ein Zustand nach Myokardinfarkt im Jahr 2014. Trotz dieser liegt - was sich ebenfalls aus dem Reha-Entlassungsbericht, dem Gutachten der W1 und den Befundunterlagen des H1 ergibt - nur eine gering eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion und eine Belastbarkeit bis 125 Watt und damit eine stabile kardiale Situation vor, die wiederum nur eine jährliche Kontrolluntersuchung von Nöten macht. Eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens lässt sich hieraus indes nicht ableiten, sondern ausschließlich solche von qualitativer Natur. Dies stützt der Senat auf das - unter Berücksichtigung der in der Rehaklinik 2015 erhobenen Befunde - erstattete und schlüssige Gutachten der W1, nach dem seither keine Verschlechterungen des kardialen Gesundheitszustands eingetreten sind.

Zuletzt führt auch der beim Kläger vorliegende Tinnitus ausweislich des behandelnden HNO-Arztes F1 zu keiner rentenrelevanten Einschränkung des Leistungsvermögens.

Schließlich führt auch ein GdB des Klägers zu keiner anderen Beurteilung, denn dem kommt hinsichtlich der zumutbaren beruflichen Einsetzbarkeit eines Versicherten keinerlei Aussagekraft zu (BSG, Beschluss vom 19.09.2015, B 13 R 290/15 B).

Unter Zugrundelegung all dessen steht mithin auch zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger noch in der Lage ist, jedenfalls leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung der oben genannten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, sodass er weder voll noch teilweise erwerbsgemindert ist (§ 43 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB VI).

Dabei ist es grundsätzlich unerheblich (BSG, Urteil vom 14.05.1996, 4 RA 60/94), ob dem Versicherten ein für ihn geeigneter, freier Arbeitsplatz angeboten werden kann. Denn das Risiko, ob ein Versicherter auch tatsächlich einen für ihn geeigneten und zumutbaren Arbeitsplatz erhält, fällt in den Bereich der Arbeitslosenversicherung und ist deshalb nicht von der Rentenversicherung zu tragen, die ihre Versicherten allein vor den Nachteilen einer durch Krankheit oder Behinderung geminderten Leistungsfähigkeit zu schützen hat. Dem entsprechend bestimmt das Gesetz für alle Erwerbsminderungstatbestände ausdrücklich, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer die jeweils zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann und dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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