1. Eine Apotheke, die Zytostatika in der Masse und auf Vorrat aus dem Ausland importiert, muss die Krankenkasse darüber informieren. 2. Bei Verstoß gegen diese nebenvertragliche Pflicht steht der Krankenkasse ein Schadensersatzanspruch in Höhe der Gesamtvergütung zu. 3. Bei der Berechnung der Verjährungsfrist ist § 199 BGB im Einzelfall entsprechend anwendbar.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 11.07.2019 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 723,67 € zu erstatten. Die Widerklage der Beklagten wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahren trägt in beiden Rechtszügen die Beklagte zu 5/6, die Klägerin zu 1/6.
III. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 444.753,53 € festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Streitig ist die Vergütung von Zytostatikazubereitungen in den Jahren 2003 bis 2007.
Die Beklagte war Inhaberin einer Apotheke, in der vertragsärztlich verordnete Zytostatikalösungen (Arzneimittel, die Zellwachstum bzw. Zellteilung verhindern oder verzögern als anwendungsfertige Zubereitung in Form einer Injektion) hergestellt wurden. Zytostatikalösungen bestehen aus ärztlich verordneten Konzentraten (Fertigarzneimittel) und einer Trägerlösung. Gemäß aktenkundiger Dokumentation der zugrundeliegenden ärztlichen Verordnungen wurden zum Teil Lösungen auf der Basis von Wirkstoffen (zB Gemcitabine, Docetaxel) bei der Beklagten bestellt, zum Teil auf der Basis von Arzneimitteln mit registrierten Marken (zB Gemzar(r), Taxoterer(r)). Hinsichtlich der betroffenen Verordnungen wird auf die Verwaltungsakte der Klägerin, Bl. 18 ff. Bezug genommen. Mit den anwendungsfertigen Zytostatikalösungen wurden u.a. Versicherte der Klägerin zur Bekämpfung von Krebserkrankungen durch Chemotherapie behandelt. Im Bundesgebiet waren im streitgegenständlichen Zeitraum ca. 250 - 300 Apotheken - neben der stationären Versorgung - berechtigt, Zytostatikalösungen zuzubereiten. Die Beklagte verfügte über eine solche Berechtigung.
Die Beklagte verwendete in 381 Fällen zur Herstellung von Zytostatikalösungen ca. 40 verschiedene zytostatische Stoffe, die sie von Pharmagroßhändlern bezog und deren Verpackungen, Packungsbeilagen und Etikettierungen keine deutsche Kennzeichnung hatten. Sie hielt die so erworbenen Konzentrate auch vorrätig. Die im Vergleich zu Inlandsprodukten deutlich preisgünstigeren Konzentrate waren für europäische (Griechenland, Portugal, Polen u.a.) und außereuropäische Länder (zB Bangladesch, Indien, Iran, Oman u.a.) bestimmt (Bezug genommen wird diesbezüglich auf die aktenkundige Anklageschrift der Staatsanwaltschaft München vom 04.04.2011, Anlage Bl. 1047, sowie den Zulassungsbeschluss des LG München II vom 10.07.2012, Az: W5 KLs 65 Js 43437/07, Bl. 1106 ff, jeweils Gerichtsakte S 55 KR 1233/10). In Deutschland standen im streitgegenständlichen Zeitraum stets jeweils wirkstoffgleiche, mit deutscher Kennzeichnung versehene Medikamente zu höheren Preisen zur Verfügung. Die Beklagte rechnete gegenüber der Klägerin und anderen gesetzlichen Krankenkassen über die V der Süddeutschen Apotheken jeweils nach den von der Arzneimittelpreisverordnung in Verbindung mit dem Vertrag zur Hilfstaxe für Apotheken geregelten einheitlichen Apothekenabgabepreisen, welche auf Basis der Inlandsbezugspreise ermittelt waren, für Zytostatikarezepturen ab und verwendete dazu die zutreffende Pharmazentralnummer (PZN) 9999092 für Rezepturarzneimittel. Durch Verwendung der PZN 9999092 für Rezepturarzneimittel ist für die vergütende gesetzliche Krankenkasse nicht ersichtlich, ob auch das verwendete Fertigarzneimittel eine PZN für in Deutschland zugelassene Arzneimittel hatte. Die Abrechnungen der Beklagten für die Jahre 2003 bis 2007 wurden von der Klägerin beglichen. Seit 2007 liefen polizeiliche Ermittlungen gegen die Beklagte. Laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft München II belief sich die Summe der Abrechnungen der Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum mit allen gesetzlichen Krankenkassen auf 1.142.011,39 € (Bezug genommen wird dabei auf die Schadenstabelle der Staatsanwaltschaft München II vom 04.04.2011, S.7 ff. aktenkundig als Anlage Bl. 1047 im Verfahren S 55 KR 1233/10).
1. Am 21.12.2010 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München (SG) zur Unterbrechung der Verjährung auf Feststellung erhoben, dass die Beklagte zu Schadensersatz bzw. Erstattung in Höhe der abgerechneten Beträge verpflichtet ist aufgrund von Falschabrechnungen (Az.: S 17 KR 1233/10, dann S 55 KR 1233/10). Sie hat vorgetragen, erst seit dem 01.06.2007 Kenntnis davon zu haben, dass die Staatsanwaltschaft München gegen die Beklagte wegen Verdachts auf Betrug ermittele. Sie habe mangels Einsicht in die staatsanwaltlichen Unterlagen keine näheren Kenntnisse zu Vorgehen und Schadensumfang. Jedenfalls müssten Fertigarzneimittel mit der PZN auf der Basis des § 3 Abs. 1 Satz 1 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) abgerechnet werden. In Deutschland nicht zugelassene Medikamente seien dabei nicht abrechenbar. Da die Beklagte hiergegen verstoßen habe, sei sie zur Erstattung der für die Zytostatikalösungen abgerechneten Beträge verpflichtet. Das Auffüllen mit einer Kochsalzlösung sei keine Herstellung im Sinne des Arzneimittelgesetzes (AMG). Es handle sich bei den Zytostatika daher nicht um Rezepturarzneimittel, sondern um Fertigarzneimittel.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und mit Schriftsatz vom 28.02.2012 Widerklage erhoben, die in der Folgezeit mehrfach erweitert worden ist. Die Klägerin hatte nämlich von Januar 2012 bis Juli 2013 in Höhe von monatlich jeweils 20.000,00 € aus einem geltend gemachten Schadensersatz für die Jahre 2004 - 2007 aufgerechnet. Dies hat einen Betrag von insgesamt 374.275,96 € ergeben mit einem offenen Restbetrag nach Aufrechnung in Höhe von 723,67 €. Die Beklagte hat geltend gemacht, bei den Zytostatikalösungen handle es sich um Rezepturarzneimittel, die korrekt abgerechnet worden seien. Die Klägerin hat einen weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von 69.753,91 € für Abrechnungen im Jahr 2003 geltend gemacht. Diesen Betrag hatte die Klägerin nicht aufgerechnet.
Dem gerichtlichen Angebot der Durchführung eines Güteverfahrens hat die Klägerin, nicht jedoch die Beklagte zugestimmt.
In der mündlichen Verhandlung am 11.10.2013 hat das SG das Ruhen des Verfahrens bis zum Abschluss des Strafverfahrens angeordnet. Das Strafverfahren gegen die Beklagte ist mit Beschluss des LG München II vom 04.03.2015 nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt worden (Az.: W5 KLs 65 Js 43437/11 (2)). Die einstellende Kammer ist dabei der durch das Urteil des 5. Strafsenats des BGH vom 10.12.2014 (5 StR 405/13 u.a.) geänderten Rechtsprechung in gleichgelagerten Fällen dahingehend gefolgt, dass die Zubereitung von Zytostatika wohl als Rezepturherstellung zu qualifizieren sei. Die Vorwürfe nach dem AMG seien verjährt, hinsichtlich möglicher Patentverstöße seien durch den Patentinhaber SA keine weiteren Maßnahmen ergriffen worden. Das Recht habe sich mittlerweile mehrfach geändert. Daher sei die Schuld der Beklagten gering. Der BGH (Urteil vom 10.12.2014 - 5 StR 405/13 u.a.) hatte einen Betrugstatbestand iSd § 263 Abs. 1 StGB verneint, weil es aufgrund der Verkehrsanschauung, dass Zytostatika Rezepturarzneimittel seien, an einer Täuschung im Sinne konkludenter Erklärung fehle. Bei der Abgabe und Abrechnung eines Rezepturarzneimittels müsse die Verwendung des konkreten Konzentrats nicht genannt wurde. Hinsichtlich einer Lücke im preisrechtlichen Regime bei Verwendung von Fertigarzneimitteln, die von ausländischen Großhändlern bezogen wurden, könne auf die Lauer-Taxe zurückgegriffen werden.
2. Das Verfahren vor dem SG ist am 30.03.2015 wiederaufgenommen worden (Az.: S 18 KR 378/15). Die Klägerin hat an ihrem Schadensersatzanspruch festgehalten mit der Begründung, dessen Voraussetzungen seien aufgrund des bestehenden Verstoßes der Beklagten gegen das Arzneimittelrecht weiterhin erfüllt. Für importierte Arzneimittel sei die Klägerin nicht leistungspflichtig, da die Voraussetzungen für Einzelimporte nicht vorlägen. Die Beklagte habe nur Präparate mit deutscher PZN verwenden und abrechnen dürfen. Sie habe verbotswidrig so abgerechnet, als hätte sie Arzneimittel mit deutscher PZN geliefert. Die Einstellung des Strafverfahrens nur wegen geringer Schuld schließe den deshalb bestehenden Schadensersatzanspruch nicht aus.
Die Beklagte hat ihre Widerklage aufrechterhalten, denn sie habe korrekt abgerechnet. § 73 Abs. 1 AMG sei kein Schutzgesetz zu Gunsten der Klägerin. Die Beklagte hat eine Aufstellung zur Aufschlüsselung des mit der Widerklage geltend gemachten Betrages übergeben: Einbehaltene Vergütungen in Höhe von 374.275,96 €, Kürzungen wegen Verwürfen in Höhe von 30.520,51 € und abgezogene Apothekenabschläge in Höhe von 41.066,59 €. Mit Beschlüssen vom 10.05.2019 und 02.07.2019 sind die Widerklagen hinsichtlich der Retaxation wegen Verwurfs und der Apothekenabschläge als selbständige Klagen abgetrennt worden (anhängig am SG unter den Aktenzeichen S 15 KR 1375/19 und S 15 KR 1375/19).
Das Vergleichsangebot der Klägerin vom 28.03.2019 hat die Beklagte nicht angenommen. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 11.07.2019 abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Die Zytostatika-Zubereitungen der Beklagten seien als patientenindividuelle Rezepturarzneimittel mit der zutreffenden PZN versehen gewesen.
3. Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Nach der Rechtsprechung des BSG dürften Arzneimittel nur im Ausnahmefall zu Lasten der GKV importiert werden und zwar unabhängig davon, ob es sich um Fertig- oder Rezepturarzneimittel handele. Bei Auslandsimporten sei es auch im streitgegenständlichen Zeitraum üblich gewesen, dass nach Kontaktaufnahme durch die Apotheken Preise im Einzelfall verhandelt wurden. Die Beklagte habe die Klägerin bewusst im Unklaren gelassen. Durch jahrelange und massenhafte Importe sei der Schutzmechanismus des Arzneimittelzulassungsrechts und des AMG unterlaufen worden. Sie - die Klägerin - hätte bei Kenntnis der Sachlage die auf nicht zugelassenen Fertigarzneimittel basierenden Rezepturarzneimittel nicht zur Behandlung ihrer Versicherten abgenommen und auch nicht vergütet.
Die Beklagte hat bestritten, dass die verwendeten Fertigarzneimittel keine Zulassung in Deutschland hatten und auf das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen (v. 18.12.2019 - L 4 KR 274/18) verwiesen, welches in einem ähnlich gelagerten Fall einen Rückerstattungsanspruch der Krankenkassen verneint hat. Zudem hat sie auf die stoffliche Identität der verwendeten Konzentrate hingewiesen und auf die identisch strengen Herstellervorschriften für alle Herstellungsstätten weltweit im Rahmen der Good Manufacturing Practices.
In der mündlichen Verhandlung am 12.10.2021 haben die Beteiligten unstreitig gestellt, dass die verwendeten Fertigarzneimittel keine deutsche PZN hatten. Ebenfalls wurde unstreitig gestellt, dass kein rechtmäßiger Einzelimport gemäß § 73 Abs. 3 AMG stattgefunden habe. Zu Höhe und Umfang der Rechnungs- und Verrechnungsbeträge haben die Beteiligten nichts Strittiges vorgetragen.
Die Klägerin hat die Klage in Höhe von 69.753,91 € zurückgenommen. Aufgrund eines Hinweises des Vorsitzenden, dass der Senat entgegen dem Verständnis der Klägervertreterin keinen Hinweis dahingehend erteilt hätte, dass die Rückforderung für das Jahr 2003 verjährt wäre, hat der Beklagtenvertreter einen Antrag wegen Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden des Senats gestellt. Dieser ist mit rechtskräftigen Beschluss vom 22.10.2021 abgelehnt worden (L 5 SF 242/21 AB).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
In der Folge hat die Beklagte das Fehlen eines gerichtlichen Hinweises gemäß § 106 SGG gerügt und zusammengefasst vorgetragen, das Fehlen einer Täuschung nach § 263 StGB schließe auch jegliche Nebenpflichtverletzungen aus. Es gelte die vierjährige Verjährungsfrist. Auf den gerichtlichen Hinweis des Senats vom 28.10.2021 hat die Beklagte zusammengefasst erwidert, dem Senat ginge es ausschließlich um die finanzielle Begünstigung der Klägerin, seine Gedankenführung sei völlig unzusammenhängend, denkgesetzlich nicht nachvollziehbar und im Ergebnis als Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG schlechterdings unvertretbar. Die Gewinnerzielungsabsicht von Apotheken sei systemkonform. Dem gerichtlichen Vergleichsvorschlag ist die Klägerin nicht nähergetreten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 11.07.2019 aufzuheben, die Beklagte zu einem Schadenersatz in Höhe von 723,67 € zu verurteilen sowie die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Gegenstand der Entscheidung waren die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Klägerin. Auf diese wird ergänzend Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin (§§ 143f, 151 SGG), über die der Senat gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist vollumfänglich begründet.
Das SG hat zu Unrecht die statthafte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) der Klägerin abgewiesen und der Widerklage der Beklagten stattgegeben. Das Urteil des SG war daher aufzuheben, die Widerklage der Beklagten war abzuweisen und die Beklagte war zur Zahlung eines Restbetrags in Höhe von 723,67 € zu verurteilen.
Nicht mehr Gegenstand der vorliegenden Entscheidung ist die Rückforderung der Klägerin in Höhe von 69.753, 91 € für das Jahr 2003. Die Klägerin hat diesbezüglich die Klagerücknahme zu Protokoll erklärt (§ 122 SGG iVm § 160 Abs. 3 Nr. 8 ZPO). Das Verfahren ist insoweit in der Hauptsache erledigt (§ 102 Abs. 1 SGG).
Der Klägerin steht für geleistete Zahlungen auf die Versorgung ihrer Versicherten durch die Beklagte mit Zytostatikalösungen in den Jahren 2004 - 2007 ein Ersatzanspruch zu, weil die Beklagte gegen vertragliche Nebenpflichten verstoßen hat. Durch diesen Pflichtverstoß ist der Klägerin ein Schaden in Höhe von zutreffend berechnet 374.275,96 € und weiteren 723,67 € entstanden (dazu I.). Der Anspruch ist nicht verjährt (dazu II.). Mit diesem durfte die Klägerin rechtmäßig die Aufrechnung in Höhe von 374.275,96 € erklären gegenüber unstreitigen Vergütungsansprüchen der Beklagten vom Januar 2012 bis Juli 2013 (dazu III).
I.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Rückzahlung der 2004 - 2007 abgerechneten Leistungen als Schadensersatz. Die gesetzlichen Grundlagen (dazu 1.) führen nach den Feststellungen im vorliegenden Fall (dazu 2.) zu einer schadensersatzpflichtigen Pflichtverletzung der Beklagten zu Lasten der Klägerin (dazu 3.). Der Schaden ist in Höhe der Gesamtvergütung entstanden (dazu 4.).
1. Gesetzlich Krankenversicherte haben gegen ihre Krankenkasse (hier die Klägerin) einen Sachleistungsanspruch, der sich nach §§ 27, 31 SGB V auf die Versorgung mit nach § 15 SGB V verordneten Medikamenten erstreckt. Die Medikamente erhalten die Versicherten von den als Leistungserbringer für die gesetzlichen Krankenkassen zugelassenen Apotheken (hier die Beklagte). Mit der Arzneimittelabgabe der Apotheken an die Versicherten entsteht gegenüber der Krankenkasse nach §§ 129 ff SGB V ein Vergütungsanspruch. Dieser folgt unmittelbar aus § 129 SGB V in den hier anzuwendenden Fassungen mit Gültigkeit und Kraft vom 1.1.2004 bis 30.6.2008 in Verbindung mit den zu diesen Normen bestehenden ergänzenden Vereinbarungen (BSG, Urt. v. 28.09.2010 - B 1 KR 3/10 R).
Mit der Zulassung der Beklagten als leistungserbringende Apothekeninhaberin ist ein Dauerrechtsverhältnis entstanden mit gegenseitigen Rechten und Pflichten von Krankenkasse und Apotheke. Aus diesem Dauerrechtsverhältnis folgen Rechtsnatur und Struktur des Vergütungsanspruches der Beklagten als Apothekeninhaberin im Zusammenhang mit der zum 1.1.2004 erfolgten Neufassung des § 69 SGB V, wonach die Einbindung der Apotheken in den öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag der Krankenkassen betont wird (BSG, 28.09.2010 - B 1 KR 3/10 R).
Mit der Abgabe vertragsärztlich verordneter Medikamente erfüllt die Krankenkasse ihre im Verhältnis zu den Versicherten bestehende Pflicht zur Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB V und § 31 SGB V. Dabei dokumentiert die vertragsärztliche Verordnung, dass das Medikament als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung im Sinne von § 27 Abs. 2 SGB V auf Kosten der Krankenkasse den Versicherten abgegeben wird.
Spiegelbildlich zur Leistungsberechtigung und -verpflichtung entsteht mit der Abgabe des Medikaments ein Vergütungsanspruch der Apotheke gegen die Krankenkasse. Dieser Vergütungsanspruch wiederum ist geprägt durch besondere Rechte des Vergütungsberechtigten, die vorliegend Ausdruck finden in den einheitlichen Apothekerabgabepreisen für Rezepturarzneimittel. Der einheitliche Apothekenabgabepreis mit seiner differenzierten Berechnungsgrundlage beruht auch auf der Beratung - und Schlüsselfunktion der Apotheken in der Versorgung der gesetzlichen Versicherten. Im Zusammenhang damit steht, dass durch den einheitlichen Apothekenabgabenpreis ein Preiswettbewerb auf der Handelsstufe der Apotheken ausgeschlossen oder jedenfalls vermindert werden soll. Im öffentlichen Interesse wird hierdurch die gebotene flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sichergestellt (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, 22.08.2012 - GMS-OGB 1/10 Rn. 25).
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG haben die Versicherten keinen Anspruch auf Arzneimittel, welche deutschen arzneimittelrechtlichen Zulassungsstandards nicht genügen, bzw. ein solcher Anspruch ist auf eng umgrenzte Sachverhalte mit notstandsähnlichen Charakter begrenzt. Das innerstaatliche arzneimittelrechtliche Zulassungserfordernis dient dem allgemein geltenden Schutz der Gesundheit der Versicherten (st. höchstrichterliche Rechtsprechung: BSG, Urt. v.19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R, Urt. v. 04.04.2006 - B 1 KR 7/05; Urt. v. 13.12.2016 - B 1 KR 10/16 R). Dies gilt unabhängig davon, ob Fertigarzneimittel nach dem Import in Verkehr gebracht werden ob diese - wie zum Beispiel bei dem Krebsmedikament Avastin (B 1 KR 10/16 R aaO) - als Konzentrat importiert und dann als Infusionslösung abgegeben werden. Im Falle zulassungspflichtiger Arzneimittel wird die Arzneimittelsicherheit dadurch gewährleistet, dass das Inverkehrbringen von Arzneimittel unter einem strikten Verbot mit Erlaubnisvorbehalt steht.
Nicht nur die Arzneimittelhersteller, sondern alle am Rechtsverkehr Teilnehmenden einschließlich der Leistungserbringer und der Versicherten haben die mangelnde Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels zu beachten. Dieser Vorrang des Arzneimittelzulassungsrechts entspricht auch dem Zweck des Sozialgesetzbuch V als System der kollektiven Versorgung der Versicherten mit qualitativ hochwertigen, sicheren, nebenwirkungsfreien und wirksamen Arzneimitteln (B 1 KR 10/16 R aaO). Diese Grundsätze gelten auch für Arzneimittel, welche nach Zubereitung von Konzentraten mithilfe von Trägerlösungen an gesetzlich krankenversicherte abgegeben werden.
In der öffentlich-rechtlichen Leistungsbeziehung zwischen Apotheken und Krankenkassen, welche durch gesetzliche Pflichtbeiträge der Beitragszahler finanziert wird, bestehen wechselseitige Rücksichtnahme-, Informations- und Schutzpflichten gemäß § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V, § 61 S. 2 SGB X iVm § 241 Abs. 2 BGB (BSG, Urt. v. 24.01.2008 - B 3 KR 2/07 R).
Die Regelungen in §§ 387 ff. BGB sind in öffentlich-rechtlichen Vertragsbeziehungen analog anwendbar (BSG, Urt. v. 03.08.2006 - B 3 KR 7/06 R). Eine Aufrechnung setzt nach § 387 BGB voraus, dass sich zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gegenseitige gleichartige und fällige Forderungen gegenüberstehen.
2. In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf die vorliegende Berufung ist in Auswertung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten, der Abrechnungsdokumentation sowie des Vorbringens beider Beteiligter in beiden Rechtszügen Folgendes festzustellen:
a) Im hier streitbestimmenden Zeitraum von 2004-2007 war die Beklagte Inhaberin einer der rund 250-300 von über 20.000 öffentlichen Apotheken in Deutschland, welche die Berechtigung hatten, Zytostatika herzustellen und abzugeben. Auf ärztliche Verordnung hin erstellte die Beklagte in diesem Zeitraum Zytostatikalösungen. Die ärztlichen Verordnungen zulasten der Klägerin betrafen teilweise Wirkstoffe, teilweise Originalarzneimittel. Auf diese Verordnungen hin hat die Beklagte Wirkstoffe bezogen, welche für verschiedene Märkte außerhalb der Bundesrepublik Deutschland (Griechenland, Portugal, Polen u.a in Europa, in Asien zB Bangladesh, Iran, Oman) zugelassen und bestimmt waren. Dies erfolgte im Wesentlichen über die ausländischen Großhändler AP (Isle of Man) und H (Dänemark) sowie über in Deutschland ansässigen Firmen wie zum Beispiel P und XP. Die aktenkundigen Rechnungen der Großhändler enthalten Chargennummern/Batchcodes, aber keine pharmazeutischen Zulassungsnummern (PZN). Alternativmedikamente mit deutscher PZN hätten die Beklagten jeweils zur Verfügung gestanden. Die von der Beklagten eingekauften Wirkstoffe waren jedoch im Erwerb deutlich billiger.
Diese Feststellungen basieren auf Auswertung und Würdigung der Ermittlungsakten, insbesondere der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft München II vom 04.04.2011, welche aktenkundig sind gemäß Anlageblatt 1047 im Verfahren S 55 KR 1233/10. Der Bezug bei den jeweiligen Großhändlern ist in jedem Einzelfall dokumentiert: AP Bl. 20-33, H Bl. 21-50, P Bl. 51-53, XP Bl. 74-80; weitere Händler sind auf Blatt 81 aufgelistet.
Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung vom 12.10.2021 zudem unstreitig gestellt, dass die Beklagte für die Herstellung der Zytostatikalösungen Konzentrate ohne deutsche PZN verwendet hatte.
b) Die Beklagte hat in der Masse und auf Vorrat importiert und dabei über keine Ausnahmegenehmigung für den Import von Arzneimitteln, welche keine deutsche PZN hatten, verfügt. Es lag insbesondere in keinem Falle eine Verordnung zum Einzelimport vor gem. § 73 Abs. 3 AMG. Weil die inhaltsgleichen Wirkstoffe bzw. Markenmedikamente in Deutschland zugelassen waren, hatte für eine Verordnung eines Einzelimportes in keinem Falle ein sachlich begründeter Anlass bestanden. Dies ergibt sich aus den Akten der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und ist auch zwischen beiden Beteiligten nicht streitig.
Sofern für einzelne Wirkstoffe EU-Zentralpharmanummern existiert haben (Docetaxel, Topocetan, Rituximab), bestand keine entsprechende Bezugszulassung für Deutschland. Aus den Einkaufsunterlagen der Beklagten ist ersichtlich, dass keine PZN vorlagen, die einen zulässigen Reimport oder Parallelimport belegt hätten. Im Gegenteil kann festgestellt werden, dass den Einkäufen, welche der Anspruch der Klägerin zugrunde liegen, ausschließlich ausländische Chargennummern/Batches zugewiesen waren.
Für einen zulässigen Parallelvertrieb hat es an dem erforderlichen Notifizierungsverfahren bei der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) gemangelt.
c) Für die von der Beklagten importierten Arzneimittel bestand für den streitbestimmenden Zeitraum kein Preisregime, weil ein Import von Arzneimitteln, welche in Deutschland verfügbar waren, arzneimittel - und arzneimittelpreisrechtlich nicht vorgesehen waren.
d) Die Beklagte hat die Klägerin von dieser festgestellten Vorgehensweise beim Erwerb von Konzentraten zu keinem Zeitpunkt informiert. Sie hat nicht darauf hingewiesen, dass sie Fertigarzneimittel ohne deutsche PZN verwendet hat. Hätte die Beklagte die Klägerin von diesem Sachverhalt informiert, hätte die Klägerin nach ihren glaubhaften Angaben, u.a. in der mündlichen Verhandlung am 12.10.2021 vorgetragen, ihre Versicherten nicht mit den so entstandenen Zytostatikalösungen versorgt und keine Vergütung erbracht.
e) Das Vorgehen der Beklagten wurde der Klägerin erstmals bekannt, als diese im Jahr 2007 von den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen Kenntnis erlangt hat. Mangels spezifischen Überprüfungssystems war die Klägerin systembedingt nicht in der Lage, das Vorgehen der Beklagten zu erkennen. Insbesondere konnte sie nicht erkennen, dass die Beklagte Arzneimittel ohne PZN verwendet hatte, weil der Klägerin nur die PZN für die hergestellten Rezepturen mitgeteilt worden sind.
3. Die Beklagte hat gegen ihre im vorliegenden Fall aus der besonderen Leistungsbeziehung zur Klägerin resultierenden Nebenpflichten dadurch verstoßen, dass sie diese nicht über den Sachverhalt aufgeklärt hat. Vielmehr hat die Beklagte sich Regelungslücken, welche später durch den Gesetzgeber geschlossen wurden, zur Erhöhung der eigenen Gewinnspanne stillschweigend über Jahre hinweg zu Nutze gemacht.
a) Das Inverkehrbringen von Fertigarzneimitteln ohne Zulassung für den deutschen Markt war im streitgegenständlichen Zeitraum und ist bis heute aus arzneimittelsicherheitsrechtlichen Gründen unzulässig (§§ 21 Abs. 1, 73 Abs. 1, 96 Nr. 5 AMG).
b) Es war im streitgegenständlichen Zeitraum aus Sicht der Beklagten keineswegs rechtssicher geklärt, dass die Zubereitung von Zytostatikalösungen, d.h. die Hinzugabe einer Trägerlösung zu einem Konzentrat, zur Folge hat, dass nunmehr ein Rezepturarzneimittel in den Verkehr gebracht wird ohne die zulassungsrechtlichen Vorgaben des Wirkstoffs. Denn zunächst hatte der 1. Strafsenat des BGH im Jahr 2012 entschieden, dass die Zubereitung einer Injektionslösung aus dem in Deutschland nicht zugelassenen Impfstoff Gezmar einen Verstoß gegen § 21 Abs. 1 AMG aF darstellt (Urt. v. 04.09.2012 - 1 StR 534/11). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Feststellung als verfassungsrechtlich unbedenklich eingestuft (BVerfG, Beschluss vom 13.05.2014 - 2 BvR 9/10). Erst als der 5. Senat des Bundesgerichtshofs am 14.12.2014 (5 StR 405/13 u.a.) zu dem Ergebnis gekommen war, dass dieses Verhalten in ähnlich gelagerten Fällen nicht strafbar ist, war diese von der bisherigen Wertung abweichende Einschätzung höchstrichterlich positiv beurteilt. Zu diesem Zeitpunkt allerdings lag das Handeln der Beklagten mehr als sieben Jahre zurück.
c) Aus der Entscheidung des 5. Strafsenats kann nicht gefolgert werden, dass die Beklagte mangels Strafbarkeit ihres Verhaltens im hier zu entscheidenden Falle ihren konkreten vertraglichen Pflichten vollumfänglich entsprochen hat. Sie hat sich vielmehr eine rechtliche Unsicherheit mit u.a. arzneimittelsicherheitsrechtlicher Relevanz zu ihrem eigenen ganz wesentlichen finanziellen Vorteil zu Nutze gemacht, aber ihre Vertragspartnerin darüber insoweit nicht informiert. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass es durch ihr Verhalten nicht zu einem Schaden der Versicherten der Klägerin gekommen ist und eine Wirkstoffgleichheit zwischen den nur für ausländische Märkte und für Deutschland zugelassenen Arzneimitteln bestand.
Entscheidend für diese Nebenpflicht der Beklagten zur Mitteilung des Sachverhaltes ist vorliegend, dass der Beklagten das System und die Grundzüge der pharmazeutischen Preisbildung und der Festlegung der einheitlichen Apothekerabgabe infolge langjähriger Tätigkeit als zugelassene Leistungserbringern wohlbekannt war. Sie hatte aus diesem System insofern gewisse Vorteile, als ihr durch die fixen Abgabepreise eine kalkulierbare Preisspanne zustand, welche ihr gleichzeitig vor einem Preiskampf durch konkurrierende Apotheken Schutz geboten hat. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin zu dem Kreis der bundesweit doch wenigen Apotheken zählte, welche zur Zytostatikazubereitung zugelassen waren. Zugleich war der Beklagten die substantielle Preisdifferenz bekannt zwischen den zur Zubereitung in Deutschland zur Verfügung stehenden Arzneimitteln einerseits und den von den Pharmagroßhändlern zu beziehenden Konzentraten für den ausländischen Markt, zT für Märkte in Entwicklungsländern. Diese Besonderheiten des Einzelfalls haben eine spezielle Informationspflicht der Beklagten gegenüber der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum entstehen lassen.
d) Diese Informationspflicht als vertragliche Nebenpflicht kollidiert nicht mit der Frage, ob preisrechtliche Bestimmungen tatsächlich verletzt wurden. Denn die vorliegend einen Ersatzanspruch auslösende Pflichtverletzung der Beklagten liegt gerade nicht im Preisbildungssystem, sondern in der nicht bekanntgegebenen Abgabe von Arzneimitteln mit Inhaltsstoffen, welche nicht mit der deutschen PZN verstehen waren und entsprechend billiger importiert worden waren, an die Versicherten der Klägerin. Dabei ist nicht entscheidend der Zweck der einheitlichen Indikationsschlüssel PZN. Vielmehr ist relevant, dass die Beklagte im Falle der Information entsprechende Leistungen verweigert und nicht vergütet hätte.
e) Nicht entscheidungserheblich ist insoweit, wo die Grenzen des Gewinnstrebens bei Apotheken grundsätzlich anzusetzen sind (zur legitimen Ausnutzung der Apotheker von Gesetzeslücken zur Gewinnverlagerung: LSG Niedersachsen-Bremen. Urt. v. 18.12.2019 - L 4 KR 274/18; VG Halle, Urt. v. 14.04.2016 - 5 A 2/15 HAL, Rn. 63ff.). Soweit die Beklagte vorträgt, ihr Streben nach Gewinn sei systemkonform gewesen, insbesondere nicht "per se verboten", kann dies in seiner Allgemeinheit dahinstehen. Es findet jedoch im vorliegenden Einzelfall dort seine Grenze, wo die oben ausgeführten nebenvertraglichen Pflichten zum Schutz und der Information der Klägerin und ihrer Versicherten nur aus Gründen des Gewinnstrebens verletzt werden.
f) Es ist insoweit der Beklagten nicht zu folgen, dass im vorliegenden Fall Sozialrecht und Strafrecht zwingend zu parallelen Ergebnissen kommen müssten. Denn nicht jede Verletzung vertraglicher Nebenpflichten ist eine Verletzung strafrechtlicher Normen. Dies gilt in zivilrechtlichen wie auch in öffentlichen Vertragsverhältnissen. Vorliegend ist der Prüfungsumfang einer Anspruchsgrundlage entgegen LSG Niedersachsen-Bremen (Urt. v. 18.12.2019 - L 4 KR 274/18) nicht auf die arzneimittelrechtlichen und arzneimittelpreisrechtlichen Regelungen und die Frage beschränkt, ob die Beklagte diesbezüglich gegen Treu Glauben verstoßen hat. Im hier zu entscheidenden Fall ergibt sich vielmehr aus den Umständen des Einzelfalles, dass nur das vertragsrechtliche Vertretenmüssen (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB) für das Unterlassen der Mitteilung von für die Klägerin relevanter Informationen, welches nicht mit der strafrechtlichen Schuldfrage gleichzusetzen ist, einen Ersatzanspruch auslöst.
4. Dadurch ist der Klägerin in Schaden in Höhe der gesamten Vergütung entstanden, welche sie aufgrund der abgegebenen Zytostatikalösungen mit der Beklagten abgerechnet hat. Insofern ist ausreichend erwiesen, dass die Klägerin ihre Versicherten nicht mit Zytostatikalösungen der Beklagten versorgt hätte, wenn sie von dem Sachverhalt Kenntnis gehabt hätte.
Ausschlussgründe für die Rückforderung bestehen nicht. Die Rückforderung der Klägerin ist insbesondere nicht nach § 814 BGB ausgeschlossen. Aufgrund des Abrechnungssystems im streitgegenständlichen Zeitraum ist es der Klägerin zum Zeitpunkt der Vergütung nicht bekannt und auch nicht durch Überprüfung erkennbar gewesen, mit welchen Wirkstoffen die Beklagte die Zytostatikalösungen zubereitet hatte, insbesondere, dass die Beklagte Arzneimittel ohne PZN für die Zubereitung verwendet hatte. Dieser Sachverhalt ist der Klägerin erst nach Einsichtnahme in die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten bekannt geworden.
II.
Die der Klägerin zustehenden Rückforderungen sind im streitgegenständlichen Zeitraum (2004 - 2007) nicht verjährt. Diese fallen nicht unter die Ausschlussfrist des § 9 Abs. 1 AV-Bay (dazu 1.). Die 4-jährige Verjährungsfrist beginnt erst mit Möglichkeit der Kenntnisnahme der Klägerin von der Verletzung der vertraglichen Nebenpflichten zu laufen (dazu 2.).
1. § 9 Abs. 1 AV-Bay gilt nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 17.12.2009 - B 3 KR 13/08 R) nur im Rahmen der regulären Retaxation. Nicht ausgeschlossen sind Schadensersatzansprüche der Krankenkasse wegen Verhaltensweisen des Apothekers, die außerhalb des Rahmens von arzneimittelrechtlichen und arzneipreisbildungsrechtlichen Bestimmungen stehen. Die Schadensersatzansprüche der Klägerin werden deshalb auch nicht durch den Ablauf der Ausschlussfrist des § 9 AV-Bay berührt. Nach den obigen Ausführungen sind vorliegend Nebenpflichten verletzt § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V und § 61 Satz 2 SGB X iVm §§ 241 Abs. 2, 280 BGB (Schütze/Engelmann, SGB X, 6., § 61 Rn. 6). Vertragliche Regelungen, die Rückforderungen ausschließen, verstoßen gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot im System der GKV (entsprechend zu den Grundsätzen zur Krankenhausabrechnungen, BSG Urt. v. 21.04.2015 - B 1 KR 11/15 R).
2. Die sozialrechtliche Regelverjährung, wie sie in § 45 SGB I (bzgl. Ansprüchen auf Sozialleistungen) und § 113 Abs. 1 SGB X (bzgl. Regress der Leistungsträger untereinander) normiert ist, beträgt vier Jahre. Die Rechtsprechung des 1. und 3. Senats des BSG geht bezugnehmend auf diese Regelungen davon aus, dass für Vergütungsforderungen der Krankenhäuser die kurze, sozialrechtliche vierjährige Verjährungsfrist gilt, da die in § 45 SGB I bestimmte Verjährungsfrist Ausdruck eines allgemeinen Prinzips ist, das der Harmonisierung der Vorschriften über die Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche dient (bspw. Urt. v. 12.05.2005 - B 3 KR 32/04 R; Urt. v. 19.11.2019 - B 1 KR 10/19 R).
Im vorliegenden Fall des besonderen Vertragsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten ist es sachgerecht, den Gründen des 6. Senats des BSG zu folgen, wonach sich der Verjährungsbeginn bei Verletzungen öffentlich-rechtlicher Vertragspflichten nach § 199 BGB richtet (Urt. v. 20.03.2013- B 6 KA 18/12 zur Rückforderung bei überhöhten Zahnersatzzahlungen; Urt. v. 16.05.2018 - B 6 KA 45/16 R zur Vergütung von Hochschulambulanzen). Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die Klägerin im hier zu entscheidenden Rechtsstreit keine im Abrechnungs- und Vergütungssystem installierte Möglichkeit hatte, die Vertragsverletzung der Beklagten - anders als im Krankenhausrecht (§ 301 SGB V) oder bei der Versorgung mit Orthopädie-Schuhtechnik (dazu Urt. des Senats v. 21.07.2015 - L 5 KR 414/13) - im Zeitpunkt der Entstehung der Vergütungsforderung bzw. im Rahmen einer geregelten oder turnusmäßigen Abrechnungsprüfung zu erkennen. Sie hat erstmals im Jahr 2007 Kenntnis von dem möglichen Schaden erhalten und dann im Jahr 2010 die Verjährung durch Klageerhebung gehemmt.
III.
Die Aufrechnung der Klägerin ist rechtmäßig erfolgt. Denn sie hatte den abgerechneten Leistungen der Beklagten zunächst vollumfänglich entsprochen und dieser die Vergütung zukommen lassen. Da diese jedoch zu Unrecht geleistet wurden, stand der Klägerin ein Rückforderungsanspruch gegenüber der Beklagten zu. Diese hat sie mit unstreitigen rechtmäßigen Leistungsanforderungen durch Aufrechnungserklärung im Sinne des § 389 BGB zum Erlöschen kommen lassen. In der Konsequenz ist die für die entsprechenden Beträge von der Beklagten zulässig erhobene Widerklage (§ 100 SGG) in der Sache ohne Erfolg geblieben. Zudem steht der Klägerin der bislang nicht aufgerechnete Betrag von 723, 67 € zu.
Damit war die Berufung der Klägerin vollumfänglich erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO und berücksichtigt die Klagerücknahme in Höhe von 69.753,91 € für Vergütungsansprüche im Jahr 2003.
Der Streitwert beruht auf § 197a SGG iVm §§ 45 Abs. 1 S. 2, 52 Abs. 1 und 3 GKG und betrifft die Vergütungsansprüche im Zeitraum von 2003 bis 2007. Die Beteiligten sind dazu gehört worden.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht. Soweit die Beklagte Divergenzen und grundsätzliche Rechtsfragen geltend macht, wird dies nur pauschal behauptet. Weder werden Divergenzen konkret geltend gemacht, noch sind solche ersichtlich. Grundsätzlich Rechtsfragen sind ebenfalls weder konkret vorgetragen noch - schon bereits aufgrund der sich mittlerweile mehrfach geänderten Rechtslage - sonst ersichtlich.