L 7 SO 1557/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 21 SO 168/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1557/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30. April 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Übernahme von Kosten für eine in einem abgetrennten, vor dem Verwaltungsgericht (VG) Freiburg geführten Verfahren begehrte Unterbringung in einem Wohnheim als Leistung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach den §§ 67 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Der 1975 geborene Kläger befand sich in der Zeit vom 13. September 2011 bis zum 28. Januar 2020 mit Unterbrechungen in verschiedenen Justizvollzugsanstalten (JVA) in Haft. Zuletzt war er in der JVA F.  inhaftiert, aus der er am 28. Januar 2020 ohne festen Wohnsitz ausgetreten ist.

Am 5. Oktober 2018 beantragte der Kläger beim VG Sigmaringen Eilrechtsschutz gegen den Bezirksverein für soziale Rechtspflege e.V. sowie den Beklagten (Az. 2 K 5692/18). Zugleich hat er Klage erhoben (Az. 2 K 5690/18). Dabei begehrte er u.a. die Verpflichtung des Bezirksvereins für soziale Rechtspflege e.V., ihm im Hinblick auf seine bevorstehende Haftentlassung aus der JVA O. einen Platz in einem Wohnheim zuzuweisen, sowie den Beklagten als Sozialhilfeträger dazu zu verpflichten, gemäß §§ 67 ff. SGB XII die Kosten der Unterbringung zu finanzieren. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2018 hatte der Bezirksverein für soziale Rechtspflege e.V. dem Kläger mitgeteilt, dass er in seiner Einrichtung nur Klienten aufnehmen könne, die vor ihrer Inhaftierung im S.Kreis gelebt hätten.

Am 5. November 2018 ist der Kläger aus der Haft in der JVA O. entlassen worden und war im Anschluss, soweit bekannt, zunächst in F. gemeldet.

Mit Beschluss vom 5. November 2018 hat das VG Sigmaringen den Rechtsstreit an das VG Freiburg verwiesen (dortiges Az. 1 K 6229/18). Mit Beschluss vom 5. März 2019 hat das VG Freiburg das Verfahren gegen den Beklagten bezüglich der Finanzierung der Unterbringung abgetrennt und unter dem Aktenzeichen 1 K 963/19 fortgeführt. Mit Beschluss vom 11. März 2019 hat das VG Freiburg diesen Rechtsstreit an das Sozialgericht Freiburg (SG) verwiesen (S 21 SO 168/20). Mit Beschluss vom 29. November 2019 hat der Verwaltungsgerichtshof Baden‑Württemberg eine Beschwerde des Klägers (2 S 1156/19) gegen den Verweisungsbeschluss des VG Freiburg vom 11. März 2019 verworfen.

Nachdem sich der Kläger in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt F. befunden hatte, hat er mit E-Mail vom 2. Februar 2020 mitgeteilt, dass er aus der Haft entlassen worden und unter einer Adresse in F. erreichbar sei.

Mit Beschluss vom 17. Februar 2020 hat das Gericht den nach Abtrennung des Antrags gegen den Beklagten und Verweisung an das SG Freiburg unter dem Aktenzeichen S 21 SO 169/20 ER weitergeführten Eilantrag des Klägers auf Übernahme der Wohnheimkosten durch den Beklagten abgelehnt.

Die Klage hat das SG nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 30. April 2020 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Eine Entscheidung des Beklagten über die vom Kläger geltend gemachte Übernahme der Kosten für eine Wohnheimunterbringung durch den Bezirksverein für soziale Rechtspflege e.V. liege nicht vor, ein Verwaltungsverfahren habe nicht stattgefunden. Es fehle somit an einer in einem gerichtlichen Verfahren anfechtbaren Entscheidung des Beklagten.

Gegen den ihm am 2. Mai 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 6. Mai 2020 unter Angabe der Anschrift „S.,  F.“ Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat er auf sein erstinstanzliches Vorbringen verwiesen. Er sei weiterhin obdachlos und lediglich in einer Notunterkunft. Im Übrigen beginne die Leistungspflicht nach Maßgabe des § 18 SGB XII.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30. April 2020 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten für eine Unterbringung in einem Wohnheim des Bezirksvereins für soziale Rechtspflege e.V. als Leistung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 ff. SGB XII zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Der Kläger habe sich, ohne jemals mit dem Beklagten Kontakt aufgenommen zu haben, an das Verwaltungsgericht Sigmaringen gewandt.

Die Mitteilung vom 10. Juli 2020 über die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 24. September 2020 wurde an die vom Kläger angegebene Anschrift mit Postzustellungsurkunde versandt. Ein am 13. Juli 2020 erfolgter Zustellungsversuch war jedoch erfolglos, weil der Empfänger unbekannt verzogen sei. Eine Meldeauskunft vom 16. Juli 2020 ergab die vom Kläger bei Einlegung der Berufung angegebene Wohnanschrift. Mit Beschluss vom 12. August 2020 hat der Senat die öffentliche Zustellung der Terminsmitteilung vom 10. Juli 2020 angeordnet. Ab 13. August 2020 erfolgte ein Aushang der Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung an der Gerichtstafel, der bis zum 29. September 2020 dort verblieb. Ein zusätzlicher weiterer Zustellversuch mit Postzustellungsurkunde am 13. August 2020 war ebenfalls erfolglos, weil der Kläger unbekannt verzogen sei. Eine Auskunft des Einwohnermeldeamtes bestätigte am 24. August 2020 unverändert die Wohnanschrift des Klägers im S. in F.. Nach der Meldeauskunft vom 29. September 2020 ist der Kläger zwischenzeitlich nach „unbekannt“ abgemeldet worden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Der Senat konnte trotz des Ausbleibens des Klägers im anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, denn dieser ist ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (vgl. § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Terminsbestimmung vom 10. Juli 2020 wurde dem Kläger gegenüber auch wirksam zugestellt. Zwar sind nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGG Ladungen und Terminsbestimmungen (nur) bekannt zu geben; eine Zustellung ist nicht (mehr) vorgeschrieben. Der Vorsitzende kann jedoch die Zustellung anordnen, wenn er dies für zweckmäßig erachtet (vgl. BSG, Beschluss vom 7. Dezember 2017 – B 14 AS 195/17 B – juris, Rdnr. 7; Schmidt in Meyer‑Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 110 Rdnr. 12). Die Zustellung kann hierbei nach § 63 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SGG i.V.m. § 185 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) durch eine öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgen, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Obwohl der Kläger unter der von ihm bei Berufungseinlegung mitgeteilten Anschrift gemeldet war, waren Zustellversuche am 13. Juli 2020 und 13. August 2020 erfolglos, weil der Kläger nach der Angabe des Zustellers auf der Postzustellungsurkunde unbekannt verzogen ist. Zuletzt (am 29. September 2020) war auch beim Einwohnermeldeamt keine Wohnanschrift des Klägers bekannt. Da der Aufenthaltsort des Klägers somit nicht ermittelt werden kann und die Zustellung an einen Vertreter bzw. Zustellungsbevollmächtigten ebenfalls nicht möglich ist, ist dem Senat die Möglichkeit der öffentlichen Zustellung eröffnet gewesen, die vom Senat mit Beschluss vom 12. August 2020 angeordnet worden ist. Die Benachrichtigung darüber, dass die Terminsbestimmung auf der Geschäftsstelle des Senats eingesehen werden kann und dass die Versäumung des Termins Rechtsnachteile zur Folge haben kann, wurde sodann ab Zeit vom 13. August 2020 bis zum Termin am 24. September 2020 an der Gerichtstafel ausgehängt (vgl. § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG i.V.m. § 186 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft, da sie nicht der Zulassung bedarf (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGG). 

Ein besonderer Vertreter gemäß § 72 Sozialgerichtsgesetz (SGG) war nicht zu bestellen, da der Kläger prozessfähig ist (zuletzt BSG, Beschluss vom 16. Oktober 2019 – B 8 SO 19/18 BH – juris Rdnr. 11).    

Gegenstand des Verfahrens ist der Antrag des Klägers, den Beklagten zur Übernahme der Kosten für eine Unterbringung in einem Wohnheim des Bezirksvereins für soziale Rechtspflege e.V. als Leistung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 ff. SGB XII zu verurteilen. Der Senat hat sich dabei von den vom Kläger in seiner Klageschrift vom 2. Oktober 2018 ausdrücklich gestellten Anträgen leiten lassen, Entsprechendes hat auch das SG seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger auf seine Anträge und Begründung aus der Klageschrift verwiesen.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Klage ist unzulässig, weil der Beklagte über den Antrag auf Kostenübernahme für eine Unterbringung in einem Wohnheim als Leistung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 ff. SGB XII keine Entscheidung getroffen hat, es also schon an der für eine Leistungsklage notwendigen vorherigen Behördenentscheidung mangelt (vgl. insoweit schon Senatsurteile vom 2. Oktober 2018 – L 7 SO 1726/18 – und vom 28. Mai 2020 – L 7 SO 3427/18 – beide n.v.). Zu Recht hat das SG das Klageverfahren auch nicht in entsprechender Anwendung des § 114 SGG ausgesetzt, da es – anders als bei einem fehlenden Widerspruchsverfahren (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 114 SGG, Rdnr. 5) – nicht nur an einer Prozessvoraussetzung für die Durchführung eines Klageverfahrens, sondern schon an einem Klagegegenstand für eine Anfechtungs-(und Leistungs-)Klage fehlt. Die unzulässige Klage würde daher auch nicht durch Erlass eines Ablehnungsbescheides zulässig werden (vgl. Senatsurteil vom 28. Mai 2020 – L 7 SO 101/20 – n.v. – m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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