L 7 SO 3429/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SO 1434/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3429/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Der Nachranggrundsatz des § 2 SGB XII stellt keine isolierte Ausschlussnorm dar. Ein Leistungsempfänger ist nicht verpflichtet, hinsichtlich der Jahresabfallgebühr mit deren Gläubiger eine Ratenzahlungsverpflichtung zu vereinbaren, um eine Aufteilung auf zwölf Monate zu erreichen.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. September 2020 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) für den Monat März 2020 streitig.

Der 1964 geborene Kläger italienischer Staatszugehörigkeit lebt seit 1985 in der Bundesrepublik Deutschland. Er verfügt über eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU. Für ihn ist ein gesetzlicher Betreuer u.a. mit dem Aufgabenkreis der Vertretung gegenüber Behörden und Sozialleistungsträgern bestellt. Seit dem Jahr 2002 bezieht er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung Schwaben mit einem Zahlbetrag im März 2020 von 579,27 Euro. Der Kläger bewohnt eine 47,53 qm große Mietwohnung, für die er im streitigen Zeitraum eine Kaltmiete von 300,95 Euro zuzüglich 33,00 Euro Nebenkostenvorauszahlung und 45,00 Euro Heizkostenvorauszahlung zu entrichten hatte.

Mit Bescheid vom 17. September 2019 (Bl. 431 VA) sowie Änderungsbescheiden vom 1. Oktober 2019 (Bl. 449 VA) und 8. Januar 2020 (Bl. 463 VA) bewilligte die Beklagte dem Kläger Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1. Oktober 2019 bis 30. September 2020. Nach Aufforderung durch die Beklagte stellte der Kläger am 17. Januar 2020 einen Antrag auf Wohngeld. Mit Bescheid vom 23. Januar 2020 bewilligte ihm die Wohngeldstelle der Beklagten Wohngeld ab dem 1. Januar 2020 in Höhe von monatlich 248,00 Euro. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 22. Januar 2020 hob die Beklagte die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII mit Wirkung ab dem 1. Februar 2020 auf (Bl. 471 VA).

Mit Abfallgebührenbescheid 2020 vom 14. Februar 2020 (Bl. 484 VA) setzte die Abfallwirtschaft und Stadtreinigung Freiburg (ASF) GmbH im Auftrag der Beklagten gegenüber dem Kläger Abfallgebühren für das Jahr 2020 in Höhe von 151,20 Euro, fällig am 17. März 2020, fest. Am 20. Februar 2020 stellte der Kläger bei der Beklagten einen neuen Grundsicherungsantrag für den Monat März 2020. Da er durch den Abfallgebührenbescheid erneut grundsicherungsbedürftig werde, da er diesen aus seinem Einkommen in Form der Rente und des Wohngeldes nicht begleichen könne, beantrage er die Kostenübernahme der Abfallgebühren.

Mit Bescheid vom 28. Februar 2020 (Bl. 485 VA) lehnte die Beklagte den als Antrag auf eine einmalige Beihilfe nach § 31 Abs. 2 SGB XII ausgelegten Antrag ab. In dem vom Kläger bezogenen monatlichen Wohngeld von 248,00 Euro seien auch die Abfallgebühren mit einem Betrag von 12,60 Euro enthalten. Der Kläger solle sich unter Vorlage eines aktuellen Wohngeldbescheides an die ASF GmbH wenden, um eine monatliche Ratenzahlung zu vereinbaren. Den hiergegen am 10. März 2020 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2020 zurück.

Gegen den am 7. April 2020 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 5. Mai 2020 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für den Monat März 2020 in Höhe von 134,88 Euro geltend gemacht. Mit Urteil vom 25. September 2020 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. März 2020 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für den Monat März 2020 laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII in Höhe von 134,88 Euro zu gewähren. Der Kläger habe im März 2020 ein Renteneinkommen von 579,27 Euro und Wohngeld in Höhe von 248,00 Euro bezogen. Er habe damit ein nach § 82 SGB XII auf den Bedarf anzurechnendes Einkommen von insgesamt 827,27 Euro erzielt. Dem habe ein Bedarf von insgesamt 962,15 Euro gegenübergestanden (Regelbedarf für Alleinstehende 432,00 Euro, laufende angemessene Kosten der Unterkunft und Heizung 378,95 Euro sowie Jahresabfallgebühr 2020 151,20 Euro). Die Jahresabfallgebühr sei Teil der Kosten der Unterkunft, die im März 2020 nach § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in die Bedarfsberechnung einzustellen sei. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Jahresabfallgebühr nicht auf hypothetische monatliche Teilbeträge umzurechnen und nur in deren Höhe (hier 12,60 Euro) als Bedarf anzuerkennen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei die Bedürftigkeit in der Grundsicherung nach dem sogenannten Monatsprinzip zu ermitteln. Auch seltenere als monatliche Zahlungsverpflichtungen im Bereich der Kosten der Unterkunft und Heizung könnten für einzelne Monate einen Anspruch auf „laufende“ Leistungen auslösen. Für eine Abweichung vom Monatsprinzip gebe es keine gesetzliche Grundlage. Es bestehe auch keine generelle Obliegenheit des Betroffenen, im Rahmen der Selbsthilfe nach § 2 Abs. 1 SGB XII vorrangig vor der Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen dem Gläubiger Teilzahlungen anzubieten. Eine Bedarfsberechnung unter Zugrundelegung lediglich von monatlichen Teilbeträgen sei nur zulässig, wenn Teilzahlungen vom Gläubiger festgesetzt seien, nicht aber schon dann, wenn sie – wie hier – lediglich nach der allgemeinen Erfahrung mit dem betroffenen Gläubiger voraussichtlich auf Anfrage festgesetzt würden (Verweis auf BSG, Urteil vom 15. April 2008 – B 14/7b AS 58/06 R – juris Rdnr. 36: Soweit die Abfallgebühren in einer Summe zu zahlen waren, wären sie im Monat der Fälligkeit dem Bedarf hinzuzurechnen. Soweit Teilzahlungen festgesetzt waren, wäre deren konkrete Höhe und Fälligkeitstermin festzustellen und im betreffenden Monat bedarfserhöhend zu berücksichtigen). Im Übrigen entspreche es der Verwaltungspraxis der Beklagten, die jährlichen Abfallgebühren stets in Summe im Monat der Fälligkeit als Bedarf anzuerkennen und zu übernehmen. Unbeachtlich sei schließlich, dass bei der Berechnung des Wohngeldes bereits ein monatlicher Teilbetrag für Abfallgebühren berücksichtigt sei, sodass im Ergebnis eine unzulässige doppelte Bedarfsdeckung vorliege. Denn die Berechnung des Wohngeldes folge anderen Grundsätzen als die Grundsicherung nach dem SGB XII. Das Wohngeld ziele gerade nicht auf eine volle Deckung des „angemessenen“ Wohnbedarfs ab, sondern sei nach der Intention des Gesetzgebers lediglich als Zuschuss ausgestaltet. Dementsprechend erfolge die Berechnung in stark pauschalierter Form. Das SG hat die Berufung zugelassen.

Gegen das am 15. Oktober 2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29. Oktober 2020 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie trägt vor, gemäß § 2 SGB XII sei eine vorrangig zur Verfügung stehende Selbsthilfemöglichkeit, die geeignet sei, den Bedarf an Sozialhilfe gänzlich zu vermeiden, in Anspruch zu nehmen. Das BSG habe sich zu der Rechtsfrage, ob im Rahmen des § 2 SGB XII eine Kostensenkungsobliegenheit bestehe, nicht explizit verhalten (BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 – B 14 AS 20/18 R – juris Rdnr.17). Zwar stelle § 2 SGB XII keine eigenständige Ausschlussnorm dar, sie könne jedoch im Zusammenhang mit anderen Normen dazu führen, dass vor Inanspruchnahme von Sozialleistungen eine zumutbare und mögliche Selbsthilfehandlung ausgeführt werden müsse (z.B. BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 – B 4 KG 1/10 R; BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 23/08 R – juris). Danach führe eine Selbsthilfemöglichkeit, die ohne größere Mühen durchzuführen und zu erreichen sei, dazu, dass diese vorrangig umzusetzen sei und deshalb Bedürftigkeit nicht bestehe. Eine solche Selbsthilfemöglichkeit sei hier gegeben. Die Abfallbetriebe erklärten sich generell dazu bereit, Ratenzahlungen nach den individuellen Bedürfnissen der Gebührenschuldner zu akzeptieren. Dies gelte insbesondere für Bezieher von öffentlichen Leistungen. Der Kläger sei im Bescheid vom 28. Februar 2020 auch auf die Möglichkeit einer Ratenzahlung hingewiesen worden. Dem Argument, dass das Wohngeld nicht bedarfsdeckend sei, trage die von ihr praktizierte Handhabe Rechnung, indem sie die Abfallgebühren auf mehrere Monate aufteile und Leistungen nur dann erbringe, wenn sich trotzdem ein darüber hinausgehender Bedarf ergeben sollte. Darüber hinaus enthalte das SGB XII an anderen Stellen wie z.B. in § 82 Abs. 7 SGB XII auch Abweichungen vom Monatsprinzip.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25. September 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Es fehle bereits an einer Kostensenkungsaufforderung durch die Beklagte. Zudem sei zu berücksichtigen, dass durch eine Ratenzahlungsvereinbarung das Problem nur nach hinten verlagert würde, wenn weitere einmalige Bedarfe wie z. B. Nebenkostennachzahlungen anfielen. Der Kläger würde sich bei Hinzutreten eines weiteren Bedarfs einem unüberschaubaren Risiko aussetzen, da es sich dann bei dem vorher durch die Ratenzahlung gedeckten Bedarf sozialhilferechtlich um unbeachtliche Schulden handle. Maßgeblich bleibe, dass die Verteilung von einmaligen Bedarfen nach § 35 SGB XII gesetzlich nicht vorgesehen sei. Bedarfe nach § 35 SGB XII seien immer im Monat der Fälligkeit zu berücksichtigen. § 35 SGB XII sei gegenüber § 2 SGB XII eine vorrangige Norm. Dem stehe auch der Verweis der Beklagten auf § 82 Abs. 7 SGB XII nicht entgegen. Dort sei gerade nur für die Verteilung von Einkommen eine Abweichung vom Zuflussprinzip normiert worden, die im Regelungsbereich des § 35 SGB XII nicht gelte.

Die ASF GmbH hat mit Schreiben vom 5. März 2021 mitgeteilt, Ratenzahlungen von Abfallgebühren unterlägen den Vorgaben des § 222 Abgabenordnung. Es sei eine Stundung zu beantragen und dem Antrag müssten die notwendigen Unterlagen zur Überprüfung der Vermögensverhältnisse aller im Haushalt lebender Personen beiliegen. Der bloße Nachweis von Wohngeldbezug reiche somit nicht aus. Liege das dem Haushalt zur Verfügung stehende Einkommen unterhalb der Pfändungsgrenze nach der Zivilprozessordnung und seien aus Vorjahren keine Gebühren offen, werde die Ratenzahlung grundsätzlich gewährt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 143 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig, da das SG die Berufung zugelassen hat (§ 144 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGG).

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. April 2020, mit dem sie die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich der Kläger zutreffend mit der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 SGG).

Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung ist Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Gemäß § 19 Abs. 2 SGB XII haben Anspruch auf Grundsicherungsleistungen (nur) Personen, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Nach § 41 Abs. 1 SGB XII sind Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus Einkommen und Vermögen nach § 43 SGB XII bestreiten können, leistungsberechtigt nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, wenn sie die Voraussetzungen nach Absatz 2, 3 oder 3a SGB XII erfüllen.

Der Kläger hatte im streitigen Zeitraum seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Er hatte des 18. Lebensjahr vollendet und war auch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage dauerhaft voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI.

Der Kläger war auch bedürftig. Die im März 2020 fällige Jahresabfallgebühr 2020 ist als Bedarf im Monat März 2020 bei den Kosten der Unterkunft nach § 35 SGB XII zu berücksichtigen. Der Kläger konnte seinen Bedarf, der sich im Monat März 2020 auf insgesamt 962,15 Euro belaufen hat (Regelbedarf für Alleinstehende 432,00 Euro, laufende angemessene Kosten der Unterkunft und Heizung 378,95 Euro, Jahresabfallgebühr 2020 151,20 Euro), nicht aus seinem Einkommen in Höhe von 827,27 Euro (Rente 579,27 Euro, Wohngeld 248,00 Euro) decken, so dass ein Leistungsanspruch in Höhe von 134,88 Euro besteht.

Das SG hat im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, dass die Abfallgebühren als Teil der Kosten der Unterkunft in dem Monat zu berücksichtigen sind, in dem sie anfallen, und nicht auf monatliche Teilbeträge aufzuteilen war. Es hat weiter zutreffend ausgeführt, dass der Kläger nicht verpflichtet war, im Rahmen der Selbsthilfe nach § 2 SGB XII eine Verteilung der Abfallgebühren auf zwölf Monate mit dem Gläubiger zu vereinbaren. Hierauf wird gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Ergänzend ist auszuführen, dass sich auch aus dem Vortrag des Beklagten im Berufungsverfahren keine andere Beurteilung ergibt.

Einem Anspruch des Klägers steht zunächst nicht entgegen, dass gem. § 7 Abs. 1 Nr. 5 Wohngeldgesetz (WoGG) die Empfänger und Empfängerinnen von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII vom Wohngeld ausgeschlossen sind. Dieser Leistungsausschluss betrifft nur den - vorliegend nicht streitigen - Anspruch auf Wohngeld. Eine entsprechende Ausschlussnorm, wonach Empfänger von Wohngeld vom Bezug von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII ausgeschlossen sind, enthält das SGB XII nicht.

Der Kläger kann auch nicht auf eine aus § 2 SGB XII resultierende Kostensenkungsobliegenheit in der Weise verwiesen werden, dass er mit dem Gläubiger der Jahresabfallgebühr eine Ratenzahlungsvereinbarung schließt. Eine solche Ratenzahlungsvereinbarung ist zwar grundsätzlich möglich, wie der Auskunft der ASF GmbH vom 5. März 2021 entnommen werden kann. Eine Verpflichtung hierzu folgt jedoch nicht aus § 2 Abs. 1 SGB XII (sog. Nachranggrundsatz). Danach erhält Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem durch den Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Diese Vorschrift ist keine eigenständige Ausschlussnorm. Hierfür spricht zunächst der Wortlaut der Norm, der nicht auf bestehende andere Leistungsansprüche, sondern auf den Erhalt anderer Leistungen abstellt. Ebenso spricht hierfür die Stellung im Gesetz in den Allgemeinen Vorschriften des Ersten Kapitels des SGB XII und nicht in den Vorschriften über die Leistungen (Zweites bis Neuntes Kapitel des SGB XII) sowie der Umstand, dass das SGB XII konkrete Leistungsausschlussnormen enthält, wie etwa § 39a SGB XII. § 2 SGB XII kommt deshalb regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw. konkretisierenden sonstigen Vorschriften des SGB XII Bedeutung zu.

Dies steht auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 23. März 2021 - B 8 SO 2/20 R - Terminbericht Nr. 13/21). Danach stellt der Nachranggrundsatz grundsätzlich keine isolierte Ausschlussnorm, sondern als Programmsatz lediglich ein Gebot der Sozialhilfe dar, aus dem sich auch bei extremen Ausnahmefällen keine unmittelbaren Rechtsfolgen ableiten lassen. Der Nachrang wird vielmehr ausreichend durch spezielle, den Nachranggrundsatz konkretisierende Normen umgesetzt.

Vorliegend ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 SGB XII nur auf vorrangige anderweitige Möglichkeiten zur Deckung eines bestehenden Bedarfs - Einsatz der Arbeitskraft, des Einkommens und Vermögens oder Leistungen Dritter - verwiesen wird. Demgegenüber ist die vorliegende Konstellation dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger seinen Bedarf im streitigen Zeitraum senken soll.

Etwas anderes folgt auch nicht aus der von der Beklagten angeführten Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 15. November 2012 - B 8 SO 25/11 R - juris Rdnr. 21), wonach bei einem Umzug im Rahmen des § 35 SGB XII nur die unvermeidbaren Kosten zu übernehmen sind. Denn hierbei ist zu berücksichtigen, dass den Kläger keine Kostensenkungsobliegenheit nach § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII getroffen hat. Diese greift nur ein, wenn die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen. Durch die Berücksichtigung der Abfallgebühren werden die angemessenen Kosten jedoch nicht überschritten, so dass insoweit auch keine aus § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII resultierende Kostensenkungsverpflichtung besteht (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10. Januar 2019 - L 8 AS 247/18 B ER - juris Rdnr. 27; a.A. LSG Thüringen, Urteil vom 14. März 2013 - L 9 AS 1302/10 - juris Rdnr. 32).

Eine andere Beurteilung ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass das SGB XII auch Abweichungen vom Monatsprinzip wie z. B. in § 82 Abs. 7 Abs. 2 SGB XII enthält, wonach einmalige Einnahmen, bei deren Berücksichtigung in einem Monat der Leistungsanspruch entfiele, auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig zu verteilen sind. Denn hierbei handelt es sich nicht um Normen, die eine Obliegenheit des Leistungsempfängers begründen, sondern lediglich um Berechnungsvorschriften, die im Übrigen einen Leistungsanspruch begründen, der bei einer strikten Einhaltung des Zuflussprinzips nicht gegeben wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG) liegen nicht vor, nachdem das BSG mit Urteil vom 23. März 2021 die vorliegend maßgebliche Rechtsfrage, ob und inwieweit § 2 SGB XII eine Ausschlussnorm darstellt, geklärt hat.

Rechtskraft
Aus
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