Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 16. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob für ein bei Gericht am 1. Juli 2020 eingegangenes Gutachten die vom Sachverständigen zu zahlende Umsatzsteuer mit einem Umsatzsteuersatz von 19 oder von 16 Prozent zu vergüten ist.
Der Antragsteller war in einem unfallversicherungsrechtlichen Klageverfahren als Sachverständiger bestellt. Mit Schreiben vom 29. Juni 2020 an das Sozialgericht Itzehoe stellte er für das Gutachten einen Gesamtbetrag von 787,52 EUR in Rechnung. Dabei berechnete er die Netto-Leistung aus seinem Stundenhonorar, Leistungen für Röntgen nach GOÄ, Schreibkosten und Portoauslagen (letztere in Höhe von insgesamt 7,95 EUR) mit insgesamt 661,78 EUR und die darauf zu erhebende Mehrwertsteuer nach einem Steuersatz von 19 Prozent in Höhe von 125,74 EUR.
Das Schreiben vom 29. Juni 2020 ist zusammen mit dem erstatteten Gutachten am 1. Juli 2020 beim Sozialgericht Itzehoe ein.
Mit Schreiben vom 8. Juli 2020 wies die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den Antragsteller darauf hin, dass der Vergütungsanspruch nach § 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) mit dem Eingang des Gutachtens beginne. Wegen des am 1. Juli 2020 bereits geltenden abgesenkten Mehrwertsteuersatzes könne nur noch dieser und nicht mehr der reguläre Satz von 19 Prozent berücksichtigt werden. Sie bat den Antragsteller um Rechnungskorrektur.
Daraufhin hat der Antragsteller am 21. Juli 2020 gerichtliche Festsetzung beantragt. Umsatzsteuerrechtlich entscheidend sei die Ausführung der Leistung. Bewegte Lieferungen einschließlich Werklieferungen gelten mit dem Beginn der Beförderung oder Versendung als ausgeführt. Die Versendung sei aber bereits am 29. Juni 2020 erfolgt. § 2 Abs. 1 JVEG sei insoweit unerheblich, weil die Vorschrift lediglich das Erlöschen des Anspruchs auf Vergütung regele. Hier gehe es aber um die Ausführung der Leistung, die allein umsatzsteuerrechtlich zu beurteilen sei.
Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten. Er hat vorgetragen, dass der Gutachtenauftrag wie ein Werkvertrag zu behandeln, die Werkleistung nach zivilrechtlichen Maßstäben aber erst dann erbracht sei, wenn die Werkleistung körperlich übergeben worden sei. Dies sei vorliegend erst am 1. Juli 2020 mit dem Eingang des Gutachtens beim Sozialgericht der Fall gewesen. Ein Abstellen auf den Beginn der Versendung würde im Übrigen der grundsätzlichen Überprüfbarkeit der Vergütungsanträge entgegenstehen.
Mit Beschluss vom 16. Oktober 2020 hat das Sozialgericht die Vergütung des Antragstellers auf 786,01 EUR festgesetzt und die Rechnung des Antragstellers lediglich insoweit gekürzt, als eine Umsatzsteuererstattung auch für Portoauslagen verlangt habe, obwohl diese nach § 4 Nr. 11b Umsatzsteuergesetz (UStG) umsatzsteuerfrei seien. Zu Recht könne der Antragsteller jedoch nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG Ersatz für die auf die Vergütung zu zahlende Umsatzsteuer in Höhe von 19 Prozent verlangen. Der Antragsteller könne Ersatz in dieser Höhe verlangen, ohne zuvor eine bindende finanzbehördliche oder finanzgerichtliche Entscheidung herbeiführen zu müssen. Die Kammer habe zwar Zweifel daran, ob die Gutachtenerstellung für ein Sozialgericht als Werklieferungsvertrag zu qualifizieren sei und deshalb als Lieferung i.S. des § 3 Abs. 1 UStG bewertet werden müsse; eher sei von einer sonstigen Leistung auszugehen, die grundsätzlich als im Zeitpunkt ihrer Vollendung ausgeführt gelten. Letztlich könne dies aber dahinstehen, weil selbst bei Zugrundelegung dieser für den Antragsgegner günstigen Rechtsauffassung nach Maßgabe des § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG ein Steuersatz von 19 Prozent gelten würde. Denn die Absendung des Gutachtens noch im Juni 2020 unterliege nach den Umständen des Falles keinem Zweifel. Das Sozialgericht hat in dem Beschluss, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 10 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen wird, die Beschwerde zugelassen.
Gegen den ihm am 28. Oktober 2020 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 3. November 2020 Beschwerde eingelegt.
Er nimmt zur Begründung auf sein bisherige Vorbringen Bezug. Zu Unrecht stütze sich das Sozialgericht allein auf das Umsatzsteuerrecht; Rechtsgrundlage für den Anspruch sei vorliegend § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG.
Er beantragt,
die auf die unstreitige Nettovergütung entfallende Umsatzsteuer in Höhe von 16 Prozent festzusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt den angefochtenen Beschluss und vertieft sein bisheriges Vorbringen.
II.
Der Senat entscheidet gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG durch den Einzelrichter, obwohl das Sozialgericht die grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit bejaht und deshalb die Beschwerde zugelassen hat. Zumindest die erforderliche Breitenwirkung sieht der erkennende Einzelrichter nicht mehr als gegeben an, um seinerseits die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat zu übertragen, nachdem die hier maßgebliche umsatzsteuerrechtliche Sonderregelung des § 28 Abs. 1 UStG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Umsetzung steuerrechtlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29. Juni 2020 (BGBl. I S. 1512) zum 31. Dezember 2020 wieder außer Kraft getreten ist. Im Übrigen sind Gründe für die Übertragung auf den Senat (vgl. § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG) nicht erkennbar, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist.
Die Beschwerde ist zulässig, weil das Sozialgericht sie mit für den Senat bindender Wirkung zugelassen hat (§ 4 Abs. 3 Alternative 2 JVEG).
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Vergütung des Antragstellers im Wesentlichen antragsgemäß auf 786,01 EUR festgesetzt. Der Senat weist die Beschwerde deshalb nach eigener Prüfung und Überzeugungsbildung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht von einer eigenständigen Darstellung der Gründe ab (§ 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Das Beschwerdevorbringen des Antragsgegners gibt lediglich zu folgenden ergänzenden Ausführungen Anlass:
Zutreffend geht der Antragsgegner im Grundsatz davon aus, dass der die Vergütung der Umsatzsteuer betreffende Anspruch des Antragstellers aus § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG folgt. Danach wird – neben der Vergütung nach §§ 9-11 JVEG und den damit abgegoltenen üblichen Gemeinkosten – die auf die Vergütung entfallende Umsatzsteuer gesondert ersetzt, sofern diese nicht nach § 19 Abs. 1 UStG unerhoben bleibt. Der Wortlaut die systematische Stellung des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG im Gefüge des Gesetzes, die Binnensystematik des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG, die mit der Kleinunternehmerregelung auf eine dezidiert umsatzsteuerrechtliche Vorschrift verweist, und der Sinn und Zweck der Regelung charakterisieren den Anspruch nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG jedoch als einen Aufwendungsersatzanspruch mit streng umsatzsteuerrechtsakzessorischer Wirkung: Die Landeskasse hat „die auf die Vergütung entfallende Umsatzsteuer“ zu ersetzen, um den Sachverständigen eben von diesen Aufwendungen freizuhalten. In welcher Höhe Aufwendungen entstehen, die dann – ganz oder teilweise – zu ersetzen sind, bestimmt sich aber nicht nach den Regelungen über den Aufwendungsersatzanspruch, sondern nachgerade zwangsläufig nach den vorgelagerten Regelungen des Umsatzsteuerrechts. Zu einer anderen Auslegung könnte man überhaupt nur gelangen, wenn man den § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 (i.V.m. § 2 Abs. 1) JVEG als umsatzsteuerrechtliche Sonderregelung außerhalb des UStG verstehen wollte, wofür indes nichts spricht.
Umsatzsteuerrechtlich kommt es hingegen weder auf die Ablieferung eines werkvertragsrechtlich geschuldeten Werks, noch auf die Ingangsetzung einer sachverständigenvergütungsrechtlichen Verjährungsfrist an. Entscheidend für den geschuldeten Umsatzsteuersatz ist nach §§ 12 Abs. 1, 28 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG der Zeitpunkt der Ausführung der Leistung nach Maßgabe des Umsatzsteuerrechts. Der Senat schließt sich insoweit der Einschätzung des Sozialgerichts an, dass es sich vorliegend umsatzsteuerrechtlich um eine sonstige Leistung i.S. des § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG handeln dürfte. Entscheidungserheblich ist diese Bewertung aber nicht. Denn auch wenn es sich bei der hier in Rede stehenden Leistung um eine Lieferung i.S. des § 3 Abs. 1 UStG handeln sollte, wäre die Leistung als bewegte Lieferung (vgl. § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG) vorliegend vor dem 1. Juli 2020 und damit noch unter Geltung des Umsatzsteuersatzes von 19 Pro-zent ausgeführt. Denn während sonstige Leistungen, insbesondere Werkleistungen, grundsätzlich im Zeitpunkt ihrer Vollendung ausgeführt sind (Abschn. 13.1 Abs. 3 Satz 1 Umsatzsteuer-Anwendungserlass des Bundesministeriums der Finanzen [UStAE]), werden Lieferungen, bei denen der Lieferort nach § 3 Abs. 6 UStG bestimmt wird, im Zeitpunkt des Beginns der Beförderung oder Versendung des Gegenstands ausgeführt (Abschn. 13.1 Abs. 2 Satz 2 UStAE; vgl. auch BFH, Urteil vom 6. Dezember 2007 – V R 24/05 – BFHE 219, 476, juris Rn. 44). Angesichts der Rechnungstellung am 29. Juni 2020 und dem Eingang des Gutachtens per Post beim Sozialgericht am 1. Juli 2020 ist bei lebensnaher Betrachtung von einer Vollendung des Gutachtens am oder vor dem 29. Juni 2020 und von einer Versendung am 29. oder 30. Juni 2020 auszugehen. Alle diese Zeitpunkte liegen vor dem 1. Juli 2020.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 4 Abs. 8 JVEG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 2 und 3 JVEG, § 177 SGG).
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Vizepräsident des LSG