L 11 R 3206/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 21 R 4145/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 3206/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11.09.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für die Anschaffung und den behindertengerechten Umbau eines Pkw.

Die am 14.08.1967 geborene Klägerin leider unter eine Spina Bifida und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie verfügt über einen Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 und den Merkzeichen G (gehbehindert), aG (außergewöhnlich gehbehindert) und B (Begleitung erforderlich). Sie ist mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 9 Stunden und 45 Minuten (1,5 Tage) als Aufsicht im L, Hegelplatz 1, in 70174 S erwerbstätig. Das Arbeitsverhältnis ist unbefristet. Sie steht seit mehreren Jahren im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die Klägerin besaß in der Vergangenheit ein behindertengerecht umgebautes Kfz, dessen Kauf und Umbau die Beklagte als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben bezuschusst hatte (vgl Bescheid vom 17.09.2009). Die laufenden Betriebskosten übernahm die Beigeladene.

Am 01.04.2019 teilte die Klägerin der Beigeladenen telefonisch mit, sie sei mit ihrem Kfz liegen geblieben. Der später eingereichte Kostenvoranschlag für die Reparatur des Fahrzeugs belief sich auf 5.669,23 €.

In einem internen Aktenvermerk hielt die Beigeladene fest, dass das Kfz der Klägerin einen aktuellen Verkehrswert von 3.500 € habe. Unter Berücksichtigung der zu erwartenden Reparaturkosten, des Alters des Kfz und der Schwere des Schadens stelle sich die Frage der Wirtschaftlichkeit. Eine Neubeschaffung würde den Zweck eines Autos auf längere Zeit wohl besser erfüllen und wäre wirtschaftlicher. Die Klägerin solle daher telefonisch darüber informiert werden, hilfsweise und schriftlich zu dem Antrag auf Reparatur des Kfz einen Antrag auf Neubeschaffung eines Kfz zu stellen. Zuständig für die weitere Bearbeitung sei die Beigeladene.

Mit Schreiben vom 07.04.2019, bei der Beigeladenen am 08.04.2019 eingegangen, beantragte die Klägerin die Neuversorgung mit einem Kfz. Ihr Fahrzeug sei mit einem teuren Getriebeschaden liegen geblieben und sei derzeit in der Werkstatt. Mit großer Wahrscheinlichkeit werde sich eine Reparatur nicht mehr lohnen, da das Auto schon älter sei. Sie sei dringend auf ein Kfz angewiesen. Noch am selben Tag leitete die Beigeladene den Antrag auf Neubeschaffung eines Kfz an die Beklagte weiter (Eingang bei der Beklagten per Fax: 08.04.2019). Die Klägerin sei erwerbstätig und habe die erforderlichen Beitragszeiten erfüllt, sodass der Antrag zur weiteren Bearbeitung an die Beklagte weitergeleitet werde.

Auf Nachfrage der Beklagten reichte die Klägerin zwei Angebote der Firma Technik Rausch GmbH vom 29.04.2019 über die Kosten für einen behindertengerechten Umbau eines V1 zu den Akten. Die Kosten für die Umrüstung auf ein Handbediengerät Bremse/Gas beliefen sich auf 2.116,17 €, die Kosten für den Einbau eines Rollstuhlverladesystems auf 13.458,90 €.

Mit Bescheid vom 15.05.2019 bewilligte die Beigeladene der Klägerin auf ihren Antrag vom 13.05.2019 für die Zeit von Mai 2019 bis April 2020 96 Fahrgutscheine für Fahrten mit Taxen oder barrierefreien Spezialfahrzeugen als freiwillige Leistung.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit förmlichem Bescheid vom 21.05.2019, dem auch eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, „grundsätzlich die Übernahme von Beförderungskosten“. Sie führte hierzu aus, da eine Beschäftigung an 1,5 Tagen pro Woche durchgeführt werde, sei aus Gründen der Wirtschaftlichkeit auch die Prüfung von Beförderungskosten anstelle eines Kfz-Zuschusses einschließlich Zusatzausstattung erforderlich. Sie bitte deshalb um Übersendung von drei Kostenvoranschlägen von Beförderungsunternehmen. Bezüglich des am Altfahrzeug vorliegenden Getriebeschadens bitte sie um Erstellung eines Sachverständigengutachtens zum Verkehrswert des Kfz. Die Kosten würden in angemessener Höhe durch die Beklagte übernommen.

Hierauf erhob die Klägerin Widerspruch. Sie habe keine Beförderung durch Dritte beantragt. Sie sei berufstätig, alleinstehend und Selbstversorger. Ein eigenes Fahrzeug sei daher dringend erforderlich. Zur Aufrechterhaltung ihrer Selbstbestimmtheit, ihrer Berufstätigkeit und ihrer Teilhabe am Gemeinschaftsleben benötige sie dringend ein Fahrzeug.

Dennoch kam die Klägerin der Aufforderung der Beklagten nach und reichte eine Bewertung ihres Altfahrzeugs durch das A GmbH zu den Akten, wonach der Händlereinkaufswert des Fahrzeugs am 28.05.2019 2.200 € betrug. Weiter übersandte sie zwei Schreiben von Beförderungsunternehmen. Danach beliefen sich die Kosten für eine einfache Rollstuhlbeförderung vom Wohnort der Klägerin zu ihrem Beschäftigungsort auf 26,73 € (T1 Rollstuhl- und Krankentransport) bzw circa 18 € (T2 S). Weiter reichte sie ein Verkaufsangebot über einen V1 Limousine, Baujahr 12/2014, Kilometerstand 54.400 km für 14.480 € zu den Akten.

Mit Bescheid vom 07.08.2019 bewilligte die Beklagte der Klägerin auf den Antrag vom 08.04.2019 einen Zuschuss zu den Beförderungskosten für den direkten Weg von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Der Zuschuss zu den Beförderungskosten sei wirtschaftlicher als die beantragte Leistung. Die Inanspruchnahme des Beförderungsdienstes sei für die Klägerin zumutbar. Für anderweitige Fahrten, etwa infolge von Urlaub, Krankheit, Arbeitslosigkeit oder sonstigen Gründen, die nicht im Zusammenhang mit dem Erreichen des Arbeitsplatzes stünden, werde kein Zuschuss gewährt. Die Kosten würden für die Zeit vom 08.04.2019 bis 30.04.2024 übernommen. Es sei ein Eigenanteil zu berücksichtigen. Die Berechnung ergebe sich aus der beigefügten Anlage. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Bl 57-55 der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 13.08.2019 Widerspruch. Die Beklagte habe die monatlichen Einkünfte der Klägerin unzutreffend berechnet. Sie erhalte ein monatliches Netto-Arbeitsentgelt iHv 538,82 €, die Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) dürften keine anrechenbaren Einkünfte iSv § 6 Abs 3 Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV) sein. Der fiktive Eigenanteil der Klägerin wäre neu zu berechnen. Unter Berücksichtigung ihrer besonderen persönlichen Situation erscheine die Inanspruchnahme von Beförderungsdiensten nicht zumutbar. Gemäß § 5 Abs 2 der KfzHV sei im Einzelfall ein höherer Betrag als der Regelbetrag von 9.500 € für den Erwerb eines Fahrzeugs in Ansatz zu bringen. Sie sei zwingend auf einen viertürigen PKW angewiesen, damit der Rollstuhllifter montiert werden könne. Solche Fahrzeuge seien im Hinblick auf die Vorgabe des § 4 Abs 3 KfzHV (Verkehrswert mindestens 50 vH des seinerzeitigen Neuwagenpreises) nicht für 9.500 € zu erwerben. Aus ihrer Sicht sei ein Neuwagenpreis von etwa 30.000 € in Ansatz zu bringen, mithin ein Bemessungsbetrag in Höhe von 15.000 € nach § 5 Abs 1 KfzHV zu Grunde zu legen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.09.2019 zurück. Die Inanspruchnahme eines Beförderungsdienstes für die berufsbedingte Beförderung sei kostengünstiger. Die zu erwartenden Beförderungskosten für die Zeit von fünf Jahren seien mit circa 18.472,10 € zu veranschlagen. Die tatsächlichen Kosten würden aufgrund von zu erwartenden Fehlzeiten, etwa wegen Urlaubs, variieren. Der Fahrzeugumbau sei mit 2.116,17 €, die behinderungsbedingten Zusatzausstattung in Form eines Ladeboys in Höhe von 13.458,90 € und die Kosten für das begehrte Fahrzeug mit 14.480,00 € veranschlagt worden. Dazu seien noch Kosten für Wartung, Instandhaltung und Reparatur in Ansatz zu bringen, sodass die tatsächlichen Kosten weit höher zu veranschlagen seien. Die Klägerin sei aufgrund ihrer Behinderung nicht auf ein größeres Fahrzeug angewiesen, sodass im Höchstfall 9.500 € als Zuschuss gewährt werden könnten.

Hiergegen hat die Klägerin am 24.09.2019 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren vertieft und ergänzend vorgetragen, für den behindertengerechten Umbau würden 13.458,90 € anfallen. Bei einer Förderungssumme von 9.500 € für die Anschaffung eines neuen PKW würden die Gesamtkosten zunächst 22.959 € betragen. Aufgrund der Tatsache, dass sie aufgrund ihrer Behinderung jedoch auf ein Kfz mit höherem Kaufpreis angewiesen sei, müsse die Förderungssumme höher angesetzt werden. Kleinwagen seien für den erforderlichen Umbau ungeeignet bzw der Umbau eines Kleinwagens sei mit erheblichen Mehrkosten verbunden. Demgegenüber stünden rechnerisch Beförderungskosten durch einen Beförderungsdienst in Höhe von 427,06 € monatlich, mithin 21.353 € für fünf Jahre. Die Kosten für die Beklagte seien demnach annähernd identisch. Zudem habe die Beklagte in ihrer Entscheidung nicht berücksichtigt, dass sie zwingend auf einen PKW angewiesen sei, um neben der Teilhabe am Alltagsleben etwa Arztbesuche, Einkäufe usw zu bestreiten. Hierfür müsse sie Beförderungsdienste in Anspruch nehmen, deren Kosten von anderen Leistungsträgern übernommen werden müssten.

Mit Beschluss vom 26.11.2019 hat das SG die Stadt S - Sozialamt - notwendig zum Rechtsstreit beigeladen.

Die Beigeladene hat ausgeführt, die Fahrten zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft würden derzeit über Freiwilligkeitsleistungen der Stadt in Form von Fahrgutscheinen für den Behinderungsdienst sichergestellt. Dies sei nur ausnahmsweise möglich gewesen, nachdem kein fahrtüchtiges Kfz mehr zur Verfügung gestanden habe. Grundsätzlich könne der Behindertenfahrdienst jedoch nicht benutzt werden, wenn im Haushalt ein Kfz zur Verfügung stehe. Die Klägerin habe gegenüber der Beigeladenen angegeben, die notwendigen Fahrten (Besorgungen, kulturelle Aktivitäten, Besuche) nicht mit dem Rollstuhl und dem öffentlichen Personennahverkehr sicherstellen zu können, da dies zur körperlicher Erschöpfung und starken Schmerzen in Armen und Schultern führe. Deshalb sei dem Anliegen der Inanspruchnahme des Behindertenfahrdienstes trotz vorhandenem Kfz ausnahmsweise entsprochen worden. Damit seien die notwendigen Fahrten zur sozialen Teilhabe anderweitig, nämlich durch den Behindertenfahrdienst, sichergestellt. Ein Anspruch auf Beschaffung eines Kfz bestehe im Rahmen der Eingliederungshilfe nicht.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Klägerin erklärt, derzeit weder den von der Beklagten angebotenen Beförderungsdienst noch die von der Beigeladenen gewährten Fahrtgutscheine zu verwenden, sondern sämtliche Wege, sowohl zur Arbeit als auch im Rahmen der Teilhabe an der Gesellschaft, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewältigen.

Mit Urteil vom 11.09.2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei als zweitangegangener Träger zuständig, da die Beigeladene den Antrag innerhalb der Frist von zwei Wochen weitergeleitet habe. Die Klägerin habe jedoch weder einen Anspruch auf Neuversorgung mit einem Kfz noch auf Neubescheidung. Bei erheblich Gehbehinderten wie der Klägerin, die bis zum Arbeitsort mehr als 2 km zurückzulegen hätten, sei lediglich im Einzelfall zu prüfen, ob sie tatsächlich auf ein Kfz angewiesen seien, um zu ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Dies sei nur dann nicht der Fall, wenn es öffentliche Verkehrsverbindungen zwischen Wohnung und Arbeitsort oder Beförderungsdienste des Arbeitgebers oder sonstige Transportmöglichkeiten gebe, die trotz der Behinderung genutzt werden könnten. Die Klägerin sei nicht tatsächlich auf ein Kfz angewiesen, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen. Sie habe in der mündlichen Verhandlung selbst vorgetragen, den Arbeitsweg derzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewerkstelligen. Gründe, warum ihr dies auf Dauer nicht zumutbar sein solle, habe sie trotz mehrfacher Nachfrage der Kammer nicht ausgeführt. Insbesondere habe sie nicht dargelegt, aus gesundheitlichen Gründen keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen zu können. Außerdem habe die Beklagte mit der angefochtenen Entscheidung einen Zuschuss zu den Beförderungskosten gewährt. Gerade vor dem Hintergrund, dass es sich bei den Fahrten zu und von dem Arbeitsort der Klägerin nicht um spontane, sondern im Vorfeld feststehende Fahrten handele und damit der Einsatz eines Beförderungsdienstes gut planbar sei, habe das SG keinen Anhaltspunkt gesehen, warum die der Klägerin zustehende Transportmöglichkeit unzumutbar sein solle. Auch das Ausmaß der beruflichen Beanspruchung an lediglich zwei Tagen pro Woche spreche gegen die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme eines Beförderungsdienstes. Es bestehe auch kein Anspruch nach dem Recht der Eingliederungshilfe. Voraussetzung für die hier begehrte Leistung zur Mobilität sei unter anderem, dass dem Leistungsberechtigten die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nach Art und Schwere der Behinderung nicht zumutbar sei. Es sei bereits nicht nachgewiesen, dass der Klägerin die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln nach Art und Schwere ihrer Behinderung nicht zugemutet werden könne. Es bestehe auch kein Anspruch auf die Leistung nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Es handele sich bei dem Fahrzeug um einen mittelbaren Behinderungsausgleich, weil durch das begehrte Hilfsmittel nicht das Gehen selbst ermöglicht werde, sondern lediglich die Folgen einer Funktionsbeeinträchtigung der Beine ausgeglichen werden solle. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich sei nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitige oder mildere und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betreffe. Das Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums umfasse die Bewegungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung und im umliegenden Nahbereich. Hiervon ausgehend eröffne das begehrte Kfz eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität. Die im Nahbereich der Wohnung liegenden Ziele könne die Klägerin mit ihrem Rollstuhl erreichen, sodass die darüber hinausgehende Versorgung mit einem Kfz nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erforderlich sei. Die hilfsweise Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung sei ebenfalls abzuweisen, weil bereits die Tatbestandsvoraussetzungen der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen nicht erfüllt seien, so dass das auf der Rechtsfolgenseite zustehende Ermessen nicht eröffnet sei.

Hiergegen richtet sich die am 12.10.2020 (Montag) beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung der Klägerin. Sie führt aus, die Entscheidung stütze sich zu Unrecht im Wesentlichen auf die Annahme, ihr sei es seit dem Fahrzeugschaden möglich gewesen, die Fahrt zur Arbeit und die Erledigung ihrer sozialen Angelegenheiten mithilfe öffentlicher Verkehrsmittel zu bewerkstelligen. Diese Überlegung greife jedoch nur dann, wenn diese notgedrungene Übergangslösung eine für sie - die Klägerin - dauerhaft zumutbare und machbare Alternative zur Benutzung eines eigenen PKW darstellen würde. Mit dieser Frage habe sich das SG nicht auseinandergesetzt, sondern schlichtweg unterstellt, der Klägerin sei auch auf Dauer die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar. Auf Dauer zumutbar könne die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht sein, wenn hierdurch ihr Gesundheitszustand verschlechtert werde. Durch die jetzt schon längere Zeit andauernde Notwendigkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel habe sich ihr physischer Zustand nicht unerheblich verschlechtert. Es seien bereits jetzt dauerhafte starke Schmerzen und körperlicher Erschöpfung entstanden, die zu einer deutlichen Verschlechterung ihrer Lebensqualität führten. Laut ärztlichen Ausführungen seien Langzeitfolgen kaum abzuschätzen, wobei diese durchaus sogar dazu führen könnten, dass eine bisher nicht erforderliche Pflegebedürftigkeit eintrete. Die überobligatorische Beanspruchung und Belastung der Gliedmaßen und Gelenke der oberen Körperhälfte führe zwangsläufig zu einer Überbeanspruchung und Abnutzung, die sich bereits jetzt in anhaltenden Schmerzen zeige. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel beeinträchtige den Ablauf ihres täglichen Lebens, das krankheitsbedingt ohnehin einer exakten Planung unterliege. Wenn dieser erforderliche plangemäße Ablauf des täglichen Lebens nicht mehr gewährleistet sei, führe dies zwingend zu Einschränkungen der bisher selbstständigen und selbstbestimmten Bewältigung ihres Alltags und damit auch zu einer zusätzlichen Belastung, deren Langzeitfolgen nicht abzusehen seien. Die Klägerin weist auf die UN-Behindertenrechtskonvention hin. Wenn einem gesunden Menschen die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zugemutet werden könne, müsse dies im Falle eines behinderten Menschen nicht gleichermaßen gelten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11.09.2020 und den Bescheid der Beklagten vom 07.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.09.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Leistungen gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 und 2 KfzHV zu bewilligen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und ihr Vorbringen aus der ersten Instanz. Gründe, warum der Klägerin die Zurücklegung des Arbeitsweges mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zumutbar sei, seien trotz mehrfacher Nachfrage nicht dargelegt worden. Aus welchen Gründen die Klägerin öffentliche Verkehrsmittel nutze und den von der Beklagten gewährten Zuschuss zu den Beförderungskosten zur Erreichung des Arbeitsplatzes nicht in Anspruch genommen habe, seien nicht dargelegt worden. Die Teilnahme der Klägerin am Leben in der Gesellschaft sei durch den Träger der Eingliederungshilfe gesichert, auch hier sei nicht erforderlich, dass die Klägerin öffentliche Verkehrsmittel nutze. Durch die Erteilung von Fahrgutscheinen könne die Beförderung durch den Transportdienstleister in Anspruch genommen werden. Warum die Nutzung dieser Transportmöglichkeit nicht zumutbar sein solle, sei nicht dargelegt worden. Dass die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel zu Lasten der Gesundheit der Klägerin geschehe, sei weder notwendig noch nachvollziehbar.

Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 04.08.2021, die Beklagte mit Schreiben vom 05.08.2021 und die Beigeladene mit Schriftsatz vom 24.08.2021 das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist ein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Gewährung eines Zuschusses zur Anschaffung und zum Umbau eines behindertengerechten Kfz, den die Beklagte mit Bescheid vom 07.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.09.2019 (§ 95 SGG) abgelehnt hat. Dieser Bescheid enthält zwei Regelungen: die Bewilligung eines Zuschusses zu den Beförderungskosten für den Weg zur Arbeit und die Ablehnung eines Zuschusses für die Anschaffung und den Umbau eines Kfz. Die Klägerin ist nur durch die Ablehnungsentscheidung beschwert; nur diese greift sie mit ihrer Klage auch an. Richtige Klageart für den geltend gemachten Anspruch ist in Bezug auf den Hauptantrag die mit einer (Teil-)Anfechtungsklage kombinierte Leistungsklage und hinsichtlich des hilfsweise gestellten Antrags die mit der (Teil-)Anfechtungsklage verbundene Verpflichtungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG). Im sozialgerichtlichen Verfahren handelt es sich bei der Verpflichtungsklage um einen Unterfall der Leistungsklage (Ulmer in Hennig, SGG, § 54 Rn 123). Nicht Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 21.05.2019, mit dem die Beklagte die Übernahme von Beförderungskosten grundsätzlich (gemeint wohl: dem Grunde nach) bewilligt hat. Dieser Bescheid wurde durch den Bescheid vom 07.08.2019 vollständig ersetzt. Mit dem Bescheid vom 07.08.2019 hat die dem Beklagte den Zuschuss für die Beförderungskosten insoweit präzisiert, als nur noch die Kosten für den Weg zur Arbeit übernommen werden.

Die Berufung hat im Haupt- und Hilfsantrag in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 07.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.09.2019 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Die Berufung ist allerdings nicht schon deshalb unbegründet, weil die Klage unzulässig wäre. Das LSG muss außer der Zulässigkeit der Berufung auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen des angegriffenen Urteils prüfen. Alle Sachentscheidungsvoraussetzungen der ersten Instanz mit Ausnahme der persönlichen Prozessvoraussetzungen - Beteiligtenfähigkeit (§ 70 SGG), Prozessfähigkeit (§§ 71, 72 SGG), Postulationsfähigkeit (§ 73 SGG) - werden in der Berufungsinstanz zu Voraussetzungen der Begründetheit (Urteil des Senats vom 28.04.2009, L 11 KR 2930/06, juris). Die Klage ist nicht wegen Fehlens eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Eine Verwaltungsentscheidung einschließlich eines abgeschlossenen Widerspruchsverfahrens (§ 78 Satz 1 SGG) liegt vor (vgl Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl 2020, § 54 Rn 39b). Bei dem Schreiben der Beklagten vom 07.08.2019 handelt es sich um einen Verwaltungsakt iSd § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) über die Ablehnung der Bewilligung der Versorgung mit einem behindertengerechten Kfz, obwohl die Beklagte nicht ausdrücklich diese von der Klägerin beantragte Leistung abgelehnt hat. Für die Auslegung von behördlichen Mitteilungen gelten §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zur Auslegung von Willenserklärungen entsprechend. Dies gilt sowohl für die Frage, welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, als auch für die hier relevante Frage, ob überhaupt ein Verwaltungsakt vorliegt. Maßgeblich ist der Sinngehalt der Erklärung, wie ihn der Empfänger der Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen muss. Allein aus dem Fehlen eines ausdrücklichen Verfügungssatzes kann nicht geschlossen werden, dass es sich nicht um einen Verwaltungsakt handelt, wenn ein für einen Verwaltungsakt typischer Rechtsbindungswille der Behörde aus dem Zusammenhang geschlossen werden kann und der Regelungsgehalt hinreichend bestimmt ist. Die äußere Form der Erklärung ist nicht entscheidend, wenn die kennzeichnenden Merkmale eines Verwaltungsakts vorliegen, dieser insbesondere hinreichend bestimmt in seinem Regelungsgehalt ist und der rechtliche Bindungswille deutlich in Erscheinung tritt. Zwar ergibt sich aus dem Bescheid vom 07.08.2019 nicht ausdrücklich die Ablehnung der Versorgung mit einem behindertengerechten Kfz. Allerdings hat die Beklagte bei der Bewilligung des Zuschusses zugleich ausgeführt, dass ein Zuschuss zu den Beförderungskosten wirtschaftlicher sei als die beantragte Leistung. Hieraus ergibt sich, dass die Beklagte die Versorgung mit einem behindertengerechten Kfz abgelehnt hat. Im Widerspruchsbescheid vom 17.09.2019 wird dies dann auch eindeutig mit der Formulierung „Mit Ihrem Widerspruch begehren Sie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Anschaffung eines behindertengerecht ausgestatteten Kraftfahrzeuges. Ihrem Begehren kann nicht entsprochen werden.“. Der Bescheid vom 07.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2018 ist daher ein Verwaltungsakt über die Ablehnung der begehrten Versorgung mit dem Kfz.

Dieser Bescheid ist rechtmäßig. Die Beklagte ist zuständiger Rehabilitationsträger, weil der beigeladene Träger der Eingliederungshilfe (§ 94 Abs 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch <SGB IX> iVm § 1 Abs 1 Gesetz des Landes Baden-Württemberg zur Ausführung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch <AGSGB IX>) den am 08.04.2019 eingegangenen Antrag fristgemäß am selben Tag weitergeleitet hat (vgl § 14 Abs 1 und 2 SGB IX). Nach § 14 Abs 1 Satz 1, 1. HS SGB IX stellt der Rehabilitationsträger, bei dem Leistungen zur Teilhabe beantragt sind, binnen zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Wird der Antrag - wie hier - weitergeleitet, stellt der zweitangegangene Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest (§ 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX). Die in § 14 Abs 1 und 2 SGB IX geregelte Zuständigkeit erstreckt sich dann im Außenverhältnis (behinderter Mensch/Rehabilitationsträger) auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation für Rehabilitationsträger vorgesehen sind (dazu grundlegend Bundessozialgericht < BSG > 20.04.2016, B 8 SO 20/14 R, juris Rn 15). Die Klägerin hat weder nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV; hierzu nachfolgend unter 1.) noch nach dem Recht der Eingliederungshilfe (hierzu unter 2.) noch nach dem Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV; hierzu unter 3.) einen Anspruch auf die geltend gemachte Leistung.

1. Die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung erbringen gem § 16 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der ab 01.01.2018 geltenden Fassung die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den §§ 49 bis 54 SGB IX. Nach § 49 Abs 1 SGB IX (vgl die inhaltsgleiche Regelung des § 33 Abs 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung <aF>) werden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Nach § 49 Abs 3 SGB IX (so auch § 33 Abs 3 SGB IX aF) umfassen die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben insbesondere (1.) Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Leistungen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung, (2.) eine Berufsvorbereitung einschließlich einer wegen der Behinderung erforderlichen Grundausbildung, (3.) die individuelle betriebliche Qualifizierung im Rahmen Unterstützter Beschäftigung, (4.) die berufliche Anpassung und Weiterbildung, auch soweit die Leistungen einen zur Teilnahme erforderlichen schulischen Abschluss einschließen, (5.) die berufliche Ausbildung, auch soweit die Leistungen in einem zeitlich nicht überwiegenden Abschnitt schulisch durchgeführt werden, (6.) die Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit durch die Rehabilitationsträger nach § 6 Abs 1 Nr 2 bis 5 SGB IX und (7.) sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um Menschen mit Behinderungen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten. Bei der gewünschten Förderung handelt es sich um Hilfen zur Erhaltung eines Arbeitsplatzes (§ 49 Abs 3 Nr 1, 7 SGB IX). Diese Leistungen umfassen nach § 49 Abs 8 Nr 1 SGB IX die Kraftfahrzeughilfe nach der KfzHV. Die Klägerin begehrt konkret die in § 4 KfzHV geregelte Hilfe zur Beschaffung eines Kfz einschließlich der in § 7 KfzHV normierten behinderungsbedingten Zusatzausstattung. Nach § 13 Abs 1 Satz 1 SGB VI bestimmt der Träger der Rentenversicherung im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen sowie die Rehabilitationseinrichtungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Hierbei kommen auch Leistungen nach der KfzHV in Betracht.

Die Voraussetzungen für die begehrten Leistungen sind jedoch nicht erfüllt. Gemäß § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VI erbringt die Rentenversicherung ua Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, um (1.) den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und (2.) dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Die Leistungen sind zu erbringen, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind (§ 9 Abs 2 SGB VI). Die sich aus § 11 Abs 1 SGB VI ergebenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 11 Abs 1 Nr 1 SGB VI) und auch die persönlichen Voraussetzungen des § 10 Abs 1 SGB VI erfüllt die Klägerin unstreitig. Ausschlussgründe des § 12 SGB VI bestehen nicht.

Allerdings müssen auch die in der KfzHV geregelten persönlichen Voraussetzungen vorliegen. Nach § 3 Abs 1 KfzHV setzen die Leistungen voraus, dass 1. der behinderte Mensch infolge seiner Behinderung nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist, um seinen Arbeits- oder Ausbildungsort oder den Ort einer sonstigen Leistung der beruflichen Bildung zu erreichen, und 2. der behinderte Mensch ein Kraftfahrzeug führen kann oder gewährleistet ist, dass ein Dritter das Kraftfahrzeug für ihn führt. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin jedoch nicht. Auch für den Bereich des Rentenversicherungsrechts ist jedenfalls bei Behinderten mit dem Merkzeichen "G" und - wie hier - einer zurückzulegenden Wegstrecke von ca 3 bis 3,5 km nicht zu prüfen, ob sie auch ohne die Behinderung auf ein Kfz angewiesen wären oder ob auch andere Ursachen (etwa ungünstige Verkehrs- oder Arbeitsplatzlage) nicht die sich aus der Behinderung ergebende Notwendigkeit verdrängen, ein Kfz zu benutzen (BSG 21.03.2001, B 5 RJ 8/00 R, juris Rn 19). Bei erheblich Gehbehinderten, die bis zum Arbeitsort mehr als zwei Kilometer zurückzulegen haben, ist lediglich im Einzelfall zu prüfen, ob sie tatsächlich auf ein Kfz angewiesen sind, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen. Das ist nur dann nicht der Fall, wenn es öffentliche Verkehrsverbindungen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz oder Beförderungsdienste des Arbeitgebers oder sonstige Transportmöglichkeiten gibt, die trotz der Behinderung benutzt werden können (BSG 21.03.2001, B 5 RJ 8/00 R, juris Rn 19).

Die Klägerin ist in der Lage, die Arbeitsstelle im L in S mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Die Klägerin wohnt in der Stadt S, V. Die Entfernung zur ihrem Arbeitsplatz L in S beträgt laut google-maps je nach gewählter Route als Fußweg 3,4 bis 3,6 km, mit dem Kfz werden 5,3 bis 5,7 km angegeben. Es verkehren verschiedene U-Bahnlinien, die die Klägerin nutzen kann. Der Weg zur Haltestelle „M“ beträgt 350 m, von der Ankunft am B sind weitere 500 m bis zur Arbeitsstelle zurückzulegen. Die Fahrtzeit der U-Bahnlinie 14 beträgt 11 Minuten, die Linie verkehrt im 10-Minuten-Takt. Die Klägerin hat zwar geltend gemacht, die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel führe zu dauerhaft starken Schmerzen und körperlicher Erschöpfung, laut ärztlichen Ausführungen seien Langzeitfolgen kaum abzuschätzen, eine derzeit nicht erforderliche Pflegebedürftigkeit könne eintreten. T hat in ihrer Bescheinigung vom 18.01.2021 jedoch nicht auf körperliche Beeinträchtigungen hingewiesen, sondern das Angewiesensein auf ein Kfz mit einem erheblichen Aufwand auch in zeitlicher Hinsicht begründet. Auch K hat in seinem Bericht vom 14.01.2021 ebenfalls nicht von körperlichen Beeinträchtigungen berichtet, sondern auf die Selbständigkeit hingewiesen. Dass die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln zur Pflegebedürftigkeit führt, ist reine Spekulation. Der Senat verkennt nicht, dass die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel für die Klägerin mit größeren Anstrengungen verbunden ist, als die Fahrt mit dem eigenen Kfz. Allerdings hat die Klägerin nunmehr in über zwei Jahre sei dem Schadenseintritt an ihrem alten Kfz weder den Zuschuss der Beklagten noch die Fahrgutscheine der Beigeladenen in Anspruch genommen.

Da es der Klägerin nach alledem bereits an den persönlichen Voraussetzungen des § 3 KfzHV fehlt, kommt die Gewährung von Kraftfahrzeughilfe als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben auch unter Annahme eines besonderen Härtefalls oder als Darlehen nicht in Betracht, weil die insoweit einschlägige Rechtsgrundlage des § 9 KfzHV hiervon keine Ausnahme zulässt (vgl LSG Hessen 10.05.2017, L 4 SO 63/16, juris Rn 22).

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die begehrte Kraftfahrzeughilfe als Leistung zur Sozialen Teilhabe in Form der Leistung zur Mobilität gemäß § 99 SGB IX iVm § 102 Abs 1 Nr 4, § 113 Abs 2 Nr 7 SGB IX. Nach § 99 Abs 1 SGB IX erhalten Menschen mit Behinderungen im Sinne von § 2 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX, die wesentlich in der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt sind (wesentliche Behinderung) oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe nach § 90 SGB IX erfüllt werden kann. Nach § 90 Abs 1 SGB IX ist Aufgabe der Eingliederungshilfe, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung soll sie befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können. Besondere Aufgabe der Sozialen Teilhabe ist es, die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin, die auf einen Rollstuhl angewiesen ist, mit einem Grad der Behinderung von 100 vor. Mit einem Kfz mit einer behindertengerechten Zusatzausstattung kann diese wie von ihr vorgetragen - und was auch unstreitig ist - ihr Leben selbständig und eigenverantwortlich führen.

Die begehrte Übernahme der Kosten für die Anschaffung des Kfz nebst behindertengerechter Zusatzausstattung kommt auch grundsätzlich als Leistung zur Teilhabe in Betracht. Leistungen zur Sozialen Teilhabe werden gemäß § 113 Abs 1 Sätze 1, 2 SGB IX erbracht, um eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, soweit sie nicht nach den Kapiteln 3 bis 5 des SGB IX erbracht werden. Hierzu gehört, Leistungsberechtigte zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum sowie in ihrem Sozialraum zu befähigen oder sie hierbei zu unterstützen. Leistungen zur Teilhabe sind insbesondere nach § 113 Abs 2 Nr 7 SGB IX Leistungen zur Mobilität. Die Leistungen bestimmten sich nach den §§ 77 bis 84 SGB IX, sofern im Teil 2 des SGB IX nichts Abweichendes ergibt. Die Leistungen zur Mobilität umfassen nach § 83 Abs 1 SGB IX Leistungen zur Beförderung, insbesondere durch einen Beförderungsdienst und Leistungen für ein Kraftfahrzeug. Nach § 83 Abs 2 SGB IX erhalten diese Leistungen Leistungsberechtigte nach § 2 SGB IX, denen die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und Schwere ihrer Behinderung nicht zumutbar ist. Leistungen für ein Kraftfahrzeug werden nur erbracht, wenn die Leistungsberechtigten das Kraftfahrzeug führen können oder gewährleistet ist, dass ein Dritter das Kraftfahrzeug für sie führt und Leistungen zur Beförderung nicht zumutbar oder wirtschaftlich sind. Einschränkend sieht § 114 SGB IX für Leistungen zur Mobilität nach § 113 Abs 2 Nr 7 SGB IX vor, dass § 83 SGB IX mit der Maßgabe gilt, dass 1. die Leistungsberechtigten zusätzlich zu den in § 83 Abs 2 SGB IX genannten Voraussetzungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ständig auf die Nutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen sind und 2. abweichend von § 83 Abs 3 Satz 2 SGB IX die Vorschriften der §§ 6 und 8 KfzHV nicht maßgeblich sind.

Die Klägerin ist jedoch nicht ständig auf die Nutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen. Inwieweit der behinderte Mensch auf ein Kfz angewiesen ist, beurteilt sich in erster Linie nach dem in § 90 SGB IX genannten Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe (BeckOK SozR/Kaiser, 62. Ed. 01.09.2021, SGB IX § 114 Rn 2). In der Begründung zum Gesetzesentwurf wurde zu der Voraussetzung der ständigen Angewiesenheit ausgeführt, dass die leistungsberechtigte Person zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht nur vereinzelt oder gelegentlich auf die Nutzung eines Kfz angewiesen sein muss. Der Schwerpunkt der Versorgung mit einem Kraftfahrzeug liegt im Bereich der Teilhabe am Arbeitsleben. Damit sind andere Gründe nicht von vornerein ausgeschlossen, müssen aber mindestens vergleichbar gewichtig sein (BT-Drs 18/9522, S 285 f). Im Zusammenhang mit der Frage nach einem Anspruch auf Beschaffung eines Kfz (noch nach § 8 Eingliederungshilfe-Verordnung) zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft hat das Bundessozialgericht zum Angewiesensein ausgeführt: „Im Hinblick auf das bei jeder Eingliederungsmaßnahme zu prüfende Merkmal der Notwendigkeit ist dies nur zu bejahen, wenn das Kfz als grundsätzlich geeignete Eingliederungsmaßnahme unentbehrlich zum Erreichen der Eingliederungsziele ist […]“ (vgl BSG 12.12.2013, B 8 SO 18/12 R; BSG 28.08.2018, B 8 SO 9/17 R, BSGE 126, 210-217, SozR 4-3500 § 18 Nr 4; siehe auch BeckOK SozR/Kaiser, 62. Ed. 01.09.2021, SGB IX § 114 Rn 2).

Um die Ziele der Eingliederungshilfe zu erreichen, ist die Klägerin nicht ständig auf die Nutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen. Die Klägerin kann öffentliche Verkehrsmittel zumutbar erreichen, eine U-Bahn-Haltestelle findet sich in der Nähe. Der Hauptbahnhof S kann zu Weiterfahrt erreicht werden. Im Übrigen gelten die Ausführungen zu Angewiesenheit auf ein Kfz für den Weg zur Arbeitsstelle entsprechend. Es sind daher keine Gründe nachgewiesen worden, warum zwingend ein Kfz erforderlich sein sollte, um Arztbesuche, Besuche von Freunden, Einkäufe und sonstige Freizeitaktivitäten zu absolvieren. Die angebotenen Beförderungsgutscheine wurden nicht in Anspruch genommen. Es bestehen auch nach Ansicht des Senats keine Zweifel, dass die Nutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs für die Klägerin eine Erleichterung wäre. Dies allein genügt aber für einen Anspruch auf Eingliederungshilfe nicht (vgl Verwaltungsgericht Dresden 22.01.2020, 1 K 1362/19, juris).

3. Auch nach dem Recht der gesetzlichen Krankversicherung kommt die Anschaffung eines Kfz nebst behindertengerechter Zusatzausstattung nicht in Betracht. Nach § 33 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Ein Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln besteht nur, soweit das begehrte Hilfsmittel ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; nicht entscheidend für den Versorgungsanspruch ist, ob das begehrte Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V gelistet ist, denn es handelt sich bei diesem Verzeichnis nicht um eine abschließende Regelung im Sinne einer Positivliste (BSG 07.10.2010, B 3 KR 5/10 R, juris Rn 11).

Es bedarf dabei keiner Entscheidung, ob das begehrte Kfz aufgrund der behindertengerechten Zusatzausstattung als Hilfsmittel und nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen ist. Der Anspruch scheidet bereits deshalb aus, weil das Kfz nicht zum Ausgleich der Behinderung nach § 33 Abs 1 Satz 1 3. Alt SGB V erforderlich ist. Die mit dem Leistungsbegehren der Klägerin verfolgten Zwecke reichen über die Versorgungsziele hinaus, für die die Krankenkassen im Bereich der Mobilitätshilfen aufzukommen haben. Leistungen zum Zweck des Behinderungsausgleichs iS von § 33 Abs 1 Satz 1 3 Alt SGB V sind von der GKV im Rahmen der medizinischen Rehabilitation zu erbringen und von den Aufgabenbereichen anderer Rehabilitationsträger und deren Eigenverantwortung abzugrenzen. Die GKV hat nicht jegliche Folgen von Behinderung in allen Lebensbereichen - etwa im Hinblick auf spezielle Sport- oder Freizeitinteressen - durch Hilfsmittel auszugleichen und der Ausgleich für spezielle berufliche Anforderungen fällt in den Aufgabenbereich anderer Sozialleistungssysteme. Auch nach den Regelungen des Rechts der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nach dem SGB IX ist die GKV nur für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie für unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen zuständig (§ 6 Abs 1 Nr 1, § 5 Nr 1 und 3 SGB IX), nicht aber für die übrigen Teilhabeleistungen nach dem SGB IX (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft - § 5 Nr 2 und 4 SGB IX aF bzw Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, an Bildung und Leistungen zur sozialen Teilhabe - § 5 Nr 2, 4 und 5 SGB IX idF des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016, BGBl I 3234 - BTHG; hierzu ausführlich BSG 10.09.2020, B 3 KR 15/19 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 55, Rn. 15).

Ein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG von der Krankenkasse nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Als ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens ist in Bezug auf die Mobilität nur die Erschließung des Nahbereichs um die Wohnung eines Versicherten anerkannt, nicht aber das darüber hinausreichende Interesse an der Erweiterung des Aktionsraums. Maßgebend für den von der gesetzlichen Krankenversicherung insoweit zu gewährleistenden Basisausgleich ist der Bewegungsradius, den ein Nichtbehinderter üblicherweise noch zu Fuß erreicht (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29, 31 und 32 sowie BSG SozR 3-1200 § 33 Nr 1). Dazu haben die Krankenkassen die Versicherten so auszustatten, dass sie sich nach Möglichkeit in der eigenen Wohnung bewegen und die Wohnung verlassen können, um bei einem kurzen Spaziergang „an die frische Luft zu kommen“ oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (BSG 16.09.1999, B 3 KR 8/98 R, SozR 3-2500 § 33 Nr 31 - Rollstuhl-Bike II). Dagegen können die Versicherten - von besonderen zusätzlichen qualitativen Momenten abgesehen - grundsätzlich nicht beanspruchen, zB den Radius der selbstständigen Fortbewegung in Kombination von Auto und Rollstuhl (erheblich) zu erweitern, auch wenn im Einzelfall die Stellen der Alltagsgeschäfte nicht im Nahbereich liegen, dafür also längere Strecken zurückzulegen sind, die die Kräfte eines Rollstuhlfahrers möglicherweise übersteigen (BSG 18.05.2011, B 3 KR 10/10 R, Behindertenrecht 2012, 145 mwN - Sportrollstuhl). Zur Erschließung des Nahbereichs ist die Klägerin bereits ausreichend mit einem Rollstuhl versorgt.

Da bereits die Leistungsvoraussetzungen nicht vorliegen, hat die Beklagte die begehrte Leistung zu Recht abgelehnt. Einer Ermessensausübung bedurfte es nicht, da bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Hilfsantrag auf Neubescheidung bleibt daher ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, da ein Grund hierfür (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) nicht vorliegt.

Rechtskraft
Aus
Saved