Im Rahmen der Prüfung einer unangemessenen Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens nach § 198 Abs. 1 GVG sind bis zu drei Monate zwischen der Anberaumung und der Durchführung einer mündlichen Verhandlung als aktive Zeiten zu bewerten.
Das beklagte Land wird verurteilt, dem Kläger wegen überlanger Verfahrensdauer des Verfahrens L 8 U 14/14 eine Entschädigung in Höhe von 1.600,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens zu 4/5 und der Kläger zu 1/5.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 2.100,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Dauer eines vor dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) geführten Berufungsverfahrens (Az. L 8 U14/14 [im Folgenden: Ausgangsverfahren]).
Mit der am 5. September 2012 bei dem Sozialgericht Kiel erhobenen Klage begehrte der Kläger von der dort beklagten Berufsgenossenschaft die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Diese Klage wies das Sozialgericht Kiel mit Urteil vom 11. Februar 2014, zugestellt an die Klägerbevollmächtigte am 24. Februar 2014, ab.
Dagegen richtete sich die am 24. März 2014 erhobene Berufung des Klägers zum Landessozialgericht. Der Kläger wurde zunächst durch das Landessozialgericht zur Begründung seiner Berufung aufgefordert. Seine Bevollmächtigte bat im Folgenden mehrfach um Verlängerung der Begründungsfrist und begründete die Berufung schließlich mit am 20.Oktober 2014 beim LSG eingegangenen Schriftsatz. Der Begründungsschriftsatz wurde der dortigen Beklagten zur Stellungnahme übersandt. Die Stellungnahme der beklagten Berufsgenossenschaft ging am 12. November 2014 beim Landessozialgericht ein. Dieser Schriftsatz wurde der Klägerbevollmächtigten zur Stellungnahme übersandt, die am 3. Dezember 2014 einging. Der Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten ist sodann der Beklagten zur Kenntnis- und eventuellen Stellungnahme binnen eines Monats übersandt worden.
Nach Wiedervorlage bei dem Berichterstatter am 21. Januar 2015 erfolgten zunächst keine weiteren Verfahrenshandlungen des Senats. Dieser antwortete im April 2015 nur einmal auf eine Sachstandsanfrage der Klägerbevollmächtigten. Die Klägerbevollmächtigte erhob am 21. April 2016 Verzögerungsrüge.
Mit Verfügung vom 11. Mai 2017 terminierte das LSG das Berufungsverfahren zur mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 2017. Dieser Termin wurde auf Bitten der Klägerbevollmächtigten wegen deren Verhinderung wieder aufgehoben. Das LSG terminierte sodann das Verfahren mit Verfügung vom 15. Juni 2017 erneut und zwar für den 8. November 2017. Mit Urteil vom 8. November 2017, zugestellt der Klägerbevollmächtigten am 12. Februar 2018, hat das LSG die Berufung zurückgewiesen.
Mit der am 11. September 2018 erhobenen Entschädigungsklage begehrt der Kläger die Gewährung einer Entschädigung wegen Überlänge des Gerichtsverfahrens L 8 U 14/14. Er trägt vor, das Verfahren sei seit Dezember 2014 reif für die Anberaumung eines Verhandlungstermins gewesen. Zum Zeitpunkt der Verzögerungsrüge sei bereits 16 Monate lang nichts geschehen. Auch nach der Verzögerungsrüge sei über ein Jahr keine Reaktion des Gerichts erfolgt. Erst mit der Terminsmitteilung vom Mai 2017 sei wieder Bewegung in die Sache gekommen. Er sei der Auffassung, dass die Verfahrensdauer des Berufungsverfahrens unangemessen lang sei. Dabei beschränke er seine Entschädigungsforderung auf den Zeitraum, von dem an seiner Auffassung nach ein Verhandlungstermin hätte anberaumt werden müssen bis zu dem tatsächlich anberaumten ersten Verhandlungstermin im Oktober 2017. Dies bedeute, dass er für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis 30. September 2017 einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 2100,- EUR habe. Dabei sei der in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelte Zwölfmonatszeitraum bereits berücksichtigt. Er akzeptiere nicht die Bewertung, dass die Untätigkeit des Gerichts erst nach Ablauf einer zur eventuellen Stellungnahme gesetzten Frist eingetreten sei. Insgesamt sei von 33 Monaten Untätigkeit auszugehen, nämlich vom 1. Januar 2015 bis zunächst 31. März 2016 sodann habe die Untätigkeit bis zu dem zuerst anberaumten Verhandlungstermin am 11. Oktober 2017 angedauert. Dabei sei berücksichtigt worden, dass im Oktober 2017 eine Aktivität des Gerichtes erfolgt wäre. Die Ladung im Mai 2017 für Oktober 2017 sei allerdings nicht als zeitnah zu bewerten. Außer der Terminsanberaumung selbst sei von keinen vorbereitenden Aktivitäten in diesem Zeitraum auszugehen.
Aus dem Verfahrensablauf in der ersten Instanz Zeitkontingente ableiten zu wollen, die das LSG berechtigten, noch länger als 12 Monate mit Rechtfertigung untätig zu bleiben, erscheine geradezu abenteuerlich. Auch sei die Verfahrensführung erster Instanz nicht außerordentlich zügig gewesen, da erst 5 Monate nach Eingang der ergänzenden Klagebegründung ein Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt worden sei. Seines Erachtens stelle sich das erstinstanzliche Verfahren mit einer Verfahrensdauer von 18 Monaten, ohne dass irgendeine Ermittlungstätigkeit des Gerichtes notwendig gewesen wäre, ebenfalls als unzumutbar lang dar.
Der Kläger beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, ihm – dem Kläger - wegen unangemessener Dauer des Berufungsverfahrens L 8 U 14/14 vor dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eine Entschädigung in Höhe von 2100,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Entschädigungsklage abzuweisen.
Das Land räumt ein, dass die Bearbeitung des Ausgangsverfahrens vor dem LSG Längen aufweise und die dem Gericht zuzubilligende Bearbeitungs- und Bedenkzeit ausgeschöpft sein dürfte. Es ließen sich zunächst 30 Monate feststellen, in denen das Verfahren in zweiter Instanz ohne Tätigkeitsentfaltung des LSG angedauert habe. Davon sei aber der Zeitraum zwischen Ladung und Termin nicht entschädigungspflichtig. Dieser Zeitraum wäre nur dann entschädigungspflichtig, wenn er übermäßig weiträumig wäre. Als Richtwert wären hier 3 Monate anzusetzen. Im vorliegenden Fall erscheine der Zeitraum zwischen Ladung und Termin nicht zu weiträumig. Weiter sei die Bearbeitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten pro Instanz in Abzug zu bringen. In Anknüpfung an § 198 Abs. 6 Nr. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) könne insoweit eine instanzübergreifende Betrachtung erfolgen, sodass bei sehr zügiger Bearbeitung einer Sache vor dem Sozialgericht das zweitinstanzliche Verfahren entsprechend länger dauern dürfe. Im konkreten Fall seien für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Sozialgericht Kiel lediglich 4 Monate Bearbeitungs- und Bedenkzeit zu berücksichtigen, denn das Sozialgericht Kiel habe, nachdem die von ihm angeforderte weitere Begründung der Klage erst am 6. August 2013 erfolgt sei, auf die der Beklagte nochmal am 16. August 2013 reagiert habe, zügig im Anschluss daran im Januar 2014 die Ladung für den Februar 2014 verfügt. Das Sozialgericht habe von seiner Bearbeitungs- und Bedenkzeit daher nur 4 Monate verbraucht, so dass 8 Monate auf das zweitinstanzliche Verfahren zu übertragen seien und im Berufungsverfahren somit insgesamt 20 Monate in Abzug zu bringen seien. Entschädigungspflichtig seinen daher nur 7 Kalendermonate. Zum Abschluss eines entsprechenden Vergleichs sei das beklagte Land bereit.
Nachdem der vom Land vorgeschlagene Vergleich nicht zustande gekommen ist, hat der Senat den Beteiligten einen modifizierten Vergleichsvorschlag unterbreitet. Auch dieser Vergleich ist nicht zustande gekommen.
Ergänzend wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der Gerichtsakte zum Verfahren L 8 U 14/14 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft. Maßgebend für das Entschädigungsklageverfahren sind die §§ 198 ff. GVG sowie die §§ 183, 197a und 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 202 Satz 2 SGG sind die Vorschriften des SGG über das Verfahren im ersten Rechtszug heranzuziehen. Nach § 54 Abs. 5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Der Kläger stützt die Entschädigungszahlung auf § 198 GVG, wonach angemessen entschädigt wird, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet (Satz 1 der Vorschrift). Eine vorherige Verwaltungsentscheidung sieht das Gesetz nicht vor.
Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Die Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz GVG, wonach eine auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer gerichtete Klage spätestens 6 Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden muss, ist eingehalten, denn das Urteil des LSG ist mit Ablauf des 12. März 2018 in Rechtskraft erwachsen, so dass die Klagefrist mit Ablauf des 12. September 2018 endete. Der Kläger hat aber bereits einen Tag zuvor Klage erhoben. Auf den Zeitpunkt der Zahlung des Gerichtskostenvorschusses durch den Kläger kommt es nicht an, denn zur Fristwahrung ist „nur“ die Klageerhebung erforderlich. Im Sozialgerichtsprozess setzt die Klagerhebung aber im Gegensatz zu § 253 Abs.1 Zivilprozessordnung (ZPO) keine Zustellung der Klage voraus. Lediglich der Eintritt der Rechtshängigkeit ist gemäß § 94 S.2 SGG aufgeschoben (siehe auch Schmidt, in Meyer-Ladewig u.a., SGG 13. Aufl., § 202 Rn. 30). Die Klage ist auch nicht entgegen § 198 Abs.5 S.1 GVG vor Ablauf von 6 Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge vom 21. April 2016 erhoben worden.
Die Klage ist in aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet. Das Berufungsverfahren vor dem LSG, auf das der Kläger seinen Entschädigungsanspruch wirksam begrenzt hat, war unangemessen lang. Insgesamt ergeben sich 16 Kalendermonate der Verzögerung. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise, insbesondere durch Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer, ist nach den Umständen des Einzelfalles nicht ausreichend. Der Kläger kann eine Entschädigung in Höhe von 1.600,- EUR beanspruchen.
Grundlage für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch ist § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Danach wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 S. 2 GVG). Die Entschädigung beträgt 1.200,- EUR für jedes Jahr der Verzögerung, es sei denn dieser Betrag ist nach den Umständen des Einzelfalles unbillig- (§ 198 Abs.2 Sätze 3 u.4 GVG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG).
Nach § 198 Abs. 3 S. 2 GVG kann die Verzögerungsrüge erst dann erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Sinn dieser Regelung ist, zu verhindern, dass Verzögerungsrügen bereits höchst vorsorglich z.B. mit der Klageinreichung erhoben werden. Eine verfrüht erhobene Rüge ist demgemäß unwirksam und bleibt dies auch, wenn später tatsächlich eine Verfahrensverzögerung eintritt (Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage, § 202 Rn. 40; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. Juni 2014 – L 11 SF 364/12 VE AS -, Rn. 18). Die Voraussetzungen des § 198 Abs. 3 S. 2 GVG sind nach den Gesetzesmaterialien erfüllt, wenn der Betroffene bereits Anhaltspunkte hatte, dass das Verfahren keinen zügigen Fortgang nehmen werde, also die konkrete Möglichkeit einer Verzögerung bestand. Zur Gewissheit verdichtet muss diese Möglichkeit im Zeitpunkt der Rüge noch nicht gewesen sein (BT-Drs. 17/3802 S. 20).
Vorliegend ist nicht von einer vorzeitig erhobenen Verzögerungsrüge auszugehen, denn der Kläger hat die Verzögerungsrüge mehr als ein Jahr nach der letzten erkennbaren Verfahrenshandlung des LSG, nämlich der Weiterleitung des klägerischen Schriftsatzes vom 2. Dezember 2014 zur eventuellen Stellungnahme, erhoben und nachdem ihm durch das LSG mitgeteilt worden war, dass ein zeitnaher Termin nicht in Aussicht gestellt werden könne. Er durfte daher damit rechnen, dass das Verfahren keinen zügigen Fortgang nehmen würde.
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die Gesamtverfahrensdauer, wie sie § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definiert. Verzögerungen, die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, bewirken daher nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung insbesondere zu überprüfen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden. Maßgeblich ist, ob am Ende des Verfahrens die Angemessenheitsgrenze überschritten worden ist. Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind. So ist jedes Gericht berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen oder rechtlichen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als vordringlich anzusehen, auch wenn ein solches „Vorziehen“ einzelner Verfahren zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG beziehungsweise Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht verlangt. Erst wenn die Verfahrenslaufzeit in Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auch bei Berücksichtigung dieses Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen ist, liegt eine unangemessene Verfahrensdauer vor (BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 –, juris). Das Bundessozialgericht (BSG) hat für dies für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit dahin gehend konkretisiert, dass dem Ausgangsgericht bei Verfahren mit etwa durchschnittlicher Schwierigkeit und Bedeutung eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten pro Instanz eingeräumt werden könne, sodass insoweit inaktive Zeiten unschädlich seien und nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer beitragen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden könnten (BSG, Urteile vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/13 R -, Rn. 45 ff.; BSG, Beschluss vom 12. Februar 2015 – B 10 ÜG 7/14 B –, Rn. 11; BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 – B 10 ÜG 7/14 R –, Rn. 37, juris). Die zeitliche Lage dieser Vorbereitungs- und Bedenkzeit müsse und werde sich in der Regel nicht vollständig direkt an die Erhebung der Klage bzw. die Einlegung der Berufung anschließen, denn in dieser „Frühphase“ sorge das Gericht normalerweise für einen Schriftsatzwechsel und ziehe Entscheidungsunterlagen bei. Die Vorbereitungs- und Bedenkzeit könne vielmehr auch am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein. Angemessen bleibe die Gesamtverfahrensdauer regelmäßig zudem dann, wenn sie zwölf Monate überschreite, aber insoweit auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruhe oder durch Verhalten des Klägers oder Dritter verursacht werde, die das Gericht nicht zu vertreten habe (BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/13 R -).
Nach diesen Maßstäben ist von insgesamt 16 Kalendermonaten gerichtlicher Inaktivität auszugehen, die nicht durch eine dem LSG einzuräumende Bearbeitungs- und Bedenkzeit abgedeckt sind. Das Ausgangsverfahren war von durchschnittlicher Bedeutung und Schwierigkeit. Daher besteht zur Überzeugung des erkennenden Senats auch kein Anlass, von einer zwölfmonatigen Bearbeitungs- und Bedenkzeit noch oben oder unten abzuweichen.
Als aktiv zu bewerten ist der Zeitraum ab Erhebung der Berufung bis einschließlich Januar 2015. Diese Phase war zunächst von dem Warten auf die Berufungsbegründung und dann von dem durch das LSG geförderten Austausch von Schrift-
sätzen durch die Beteiligten geprägt. Auch der Januar 2015, in dem das LSG noch eine eventuelle Stellungnahme des Beklagten abgewartet hat, ist entgegen der Ansicht der Klägerbevollmächtigten nicht als inaktiver Zeitraum zu werten, denn das Abwarten einer ins Belieben des Beteiligten gestellten Stellungnahme ist als aktive Bearbeitungszeit zu werten, solange nicht unangemessen lange Wiedervorlagefristen gesetzt werden oder wenn nicht ohne aktive Erinnerungen über einen sehr langen Zeitraum abgewartet wird. Der Senat berücksichtigt dabei, dass es ein durchaus probates Mittel der Verfahrensführung darstellt, einem Beteiligten frei zu stellen, ob er sich zu einem Schriftsatz des Gegners noch äußern möchte, auch wenn das Gericht eine Stellungnahme nicht unbedingt für erforderlich hält. Dies gebietet in vielen Fällen bereits der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör.
Der anschließende Zeitraum von Februar 2015 bis April 2017, mithin 27 Monate, ist hingegen vollständig als inaktiv zu bewerten. Verfahrensfördernde Tätigkeiten des LSG haben in diesem Zeitraum nicht stattgefunden. Allein die kurze Beantwortung einer Sachstandsanfrage der Klägerbevollmächtigten und die Entgegennahme der Verzögerungsrüge rechtfertigen es nicht, die betreffenden Kalendermonate als aktiv zu bewerten.
Eine aktive Verfahrensförderung durch das LSG hat schließlich wieder mit der Anberaumung der Verhandlungstermine durch Ladungsverfügungen zunächst im Mai und sodann im Juni 2017 und schließlich mit der tatsächlichen Durchführung der mündlichen Verhandlung im November 2017 stattgefunden.
Die Zeit zwischen der letzten Ladungsverfügung im Juni und der mündlichen Verhandlung im November 2017 (Juli bis Oktober 2017 = 4 Kalendermonate) ist differenziert zu betrachten. In der Literatur wird vertreten, übermäßig weiträumige Terminierungen als Zeit der gerichtlichen Nichtaktivität zu werten. Dabei wird vorbehaltlich von dem Gericht nicht zuzurechnenden Verzögerungen durch Vertagungsanträge ein Richtwert von bis zu drei Monaten vorgeschlagen, der noch nicht als übermäßig weiträumig zu qualifizieren sei. (Marx/ Roderfeld „Rechtschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren“ § 198 GVG Rn.31,38). Auf diese Auffassung beruft sich auch der Beklagte, hat dabei aber die Monate Juni und Juli 2017 verwechselt und im Ergebnis übersehen, dass hier 4 Monate zwischen Ladung und Termin lagen. In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung wird demgegenüber z.T. angenommen, dass nur ein zwischen Ladungsmonat und Verhandlungsmonat liegender voller Kalendermonat unschädlich ist, im Ergebnis also Ladungen mit einem Vorlauf von ca. 2 Monaten als aktive Bearbeitungszeit gewertet werden. (so LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 25.02.2016, L 37 SF 128/14 EK AL). Der erkennende Senat berücksichtigt bei dieser Frage, dass Terminierungen mit hinreichendem zeitlichen Vorlauf grundsätzlich geeignet sind, sich positiv auf die Dauer eines konkreten Verfahrens aber auch die durchschnittliche Verfahrensdauer bei einem Gericht auszuwirken. Es können dadurch nämlich oftmals Vertagungsanträge infolge anderweitiger Termine der Beteiligten vermieden werden und wenn dennoch eine Vertagung wegen Verhinderung eines Beteiligten notwendig werden sollte, wie es auch im Ausgangsverfahren der Fall war, bleibt meist genügend Zeit, um stattdessen ein anderes Verfahren nachzuladen. Weiträumige Terminierungen sind daher prinzipiell auch im Interesse der Vermeidung überlanger Verfahrensdauern eher positiv zu bewerten. Dies kann gleichwohl nicht uferlos Geltung beanspruch und findet dort seine Grenze, wo eine weiträumige Terminierung nicht mehr durch eine vorausschauende Planung und das Bestreben der Vermeidung von Verhandlungsausfällen gerechtfertigt werden kann. Der Senat schließt sich deshalb der zitierten Literaturmeinung an und bewertet bis zu 3 Kalendermonate zwischen Ladung und Termin nicht als inaktiv. Bezogen auf das Ausgangsverfahren bedeutet dies, dass neben den oben identifizierten 27 inaktiven Kalendermonaten ein weiterer als inaktiv zu bewerten ist. Insgesamt ergeben sich so 28 Kalendermonate ohne gerichtliche Aktivität im entschädigungsrechtlichen Sinn.
Von diesen 28 Monaten sind 12 Monate Bearbeitungs- und Bedenkzeit zur Ermittlung der Entschädigungspflicht in Abzug zu bringen. Eine instanzübergreifende Verrechnung der pauschalierten Bearbeitungs- und Bedenkzeit ist nicht vorzunehmen. Die dem LSG einzuräumende Bearbeitungs- und Bedenkzeit ist nicht um die Anzahl der Monate zu erhöhen, die da erstinstanzliche Verfahren weniger als 12 Monate inaktiv war.
Der Beklagte möchte die nicht aufgebrauchten Monate der Bearbeitungs- und Bedenkzeit aus der ersten Instanz mit der inaktiven Zeit während des Berufungsverfahrens verrechnen und stützt sich insoweit auf Rechtsprechung des LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 6.Juli 2017, L37 SF 352/15 EK KR; ähnlich Urteil vom 25.02.2016, a. a. O.). Das LSG Berlin- Brandenburg stützt sich wiederum auf die Rechtsprechung des BSG vom 3. September 2014, die wiederum unter Bezug auf ähnliche Rechtsprechung des BGH (Urteile vom 13. März 2014, III ZR 91/13 und vom 14. Nov.2013, III ZR 776/12) betont, dass Verzögerungen, die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es sei vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung insbesondere zu überprüfen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden.
Eine Legitimation der instanzübergreifenden Verrechnung vermag der erkennende Senat dieser Rechtsprechung nicht zu entnehmen (so auch Röhl, in jurisPK SGG, § 198 GVG Rn.81). Der Rückgriff auf verschiedene Verfahrensstadien ist nach dem Verständnis des Senats eher als Bezugnahme auf verschiedene Phasen innerhalb einer Instanz zu verstehen. Dies auch, weil das BSG betont hat, dass die inaktiven Zeiten üblicherweise nicht in der Frühphase nach Erhebung der Klage oder Einlegung der Berufung liegen werden, es also im Hinblick auf die Verteilung der Bearbeitungs- und Bedenkzeit durchaus zwischen den Instanzen differenziert hat.
Dogmatischer Anknüpfungspunkt für eine mögliche instanzübergreifende Verrechnung inaktiver Zeiten ist § 198 Abs.6 Nr.1 GVG, der als Verfahrensgegenstand die Zeit von der Einleitung eines Gerichtsverfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss definiert. So hat auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die Kompensation der überlangen Verfahrensdauer in der einen Instanz durch zügige Bearbeitung in einer anderen Instanz ausdrücklich auch in den Fällen für möglich erachtet, in denen der Entschädigungsanspruch zulässig auf eine Instanz beschränkt war (Urteile vom 11. Juli 2013, 5 C 23/12, und vom 27. Februar 2014, 5 C 1/13 D) - dies allerdings ohne Bezug zu einer instanzweise pauschalierten Bearbeitungs- und Bedenkzeit.
Zur Überzeugung des erkennenden Senats ist eine schematische instanzübergreifende Verrechnung inaktiver Zeiten mit der Annahme einer pauschalierten Bearbeitungs- und Bedenkzeit, die die flexible Handhabung in jeder Instanz ermöglichen soll, nicht vereinbar. Gerade die flexible Verteilung der Bedenkzeit auf verschiedene Verfahrensabschnitte innerhalb einer Instanz gibt den Spruchkörpern in der jeweiligen Instanz hinreichend Spielraum, um den vom BSG angenommen Erfordernissen nach sachgerechter und ökonomischer Verfahrensgestaltung in vielen parallel anhängigen Rechtstreitigkeiten gerecht zu werden. Gleiches gilt für die Sicherung effektiven Rechtschutzes durch die Justizministerien des Bundes und der Länder durch hinreichende aber auch ausreichende personelle und sachliche Ausstattung der Gerichte. Ein Bedürfnis für eine instanzübergreifende Verrechnung kann insoweit nicht erkannt werden. Die Einräumung einer pauschalierten Bearbeitungs- und Bedenkzeit stellt gerade deshalb einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Ziel der Vermeidung unangemessener Verfahrensdauern und einer von der EMRK nicht geforderten sachlichen und personellen Überausstattung der Gerichte dar, weil sie es den jeweils befassten Spruchkörpern ermöglicht, aus der Vielzahl der bei ihnen anhängigen Streitigkeiten solche ähnlichen Inhalts zu bündeln und gleichzeitig zu fördern, bestimmte Verfahren ungeachtet ihres Alters zu priorisieren und Verhandlungstermine mit verfahrensübergreifenden thematischen Schwerpunkten zu konzipieren. Bei dieser Sachlage mag es noch vertretbar erscheinen, von der 12-monatigen Bearbeitungs- und Bedenkzeit in Anbetracht der jeweiligen Schwierigkeit des Verfahrens oder der Bedeutung der Angelegenheit für die Beteiligten abzuweichen. Zu sachwidrigen Ergebnissen führte es aber, wenn die Länge der Bearbeitungs- und Bedenkzeit in einer Rechtsmittelinstanz von vom Inhalt des Verfahrens unabhängigen und aus Sicht der Rechtsmittelinstanz zufälligen Umständen wie der Länge der inaktiven Zeiten während der Vorinstanz abhängig gemacht wird.
Nach Abzug der pauschalen Bearbeitungs- und Bedenkzeit für das Berufungsverfahren im Umfang von 12 Monaten verbleiben vorliegend daher 16 entschädigungspflichtige Kalendermonate. Gründe, die eine Entschädigung in Höhe von 1.200,- EUR jährlich bzw. 100,- EUR monatlich unbillig erscheinen lassen, liegen nicht vor. Der Entschädigungsanspruch des Klägers besteht daher in Höhe von 1.600,- EUR.
Der Zinsanspruch hat seine Grundlage in §§ 291 Satz 1, 288 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs.1 SGG in Verbindung mit § 155 Abs.1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und orientiert sich am Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten
Die Entscheidung zur Zulassung der Revision beruht auf § 160 Abs. 2 Nr.1 SGG und berücksichtigt, dass die Frage der instanzübergreifenden Verrechnung pauschalierter Bearbeitungs- und Bedenkzeiten in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht höchstrichterlich entschieden ist, sich aber gleichwohl in vielen Entschädigungsverfahren stellt.
Der Streitwert ist gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs.3 GKG in Höhe von 2.100 € festzusetzen.