Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 27. Januar 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt nach dem Gesetz über die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG) die Verurteilung des Beklagten zur Anerkennung einer Gewalttat nach dem OEG und die Gewährung einer Beschädigtengrundrente, hilfsweise die Feststellung von Schädigungsfolgen.
Er ist 1974 im K geboren, hat dort die Schule mit dem Abitur abgeschlossen, jedoch aufgrund des K-Krieges keine Berufsausbildung absolviert. Im Jahr 1993 reiste er in das Bundesgebiet ein. Er war bei verschiedenen Zeitarbeitsfirmen beschäftigt und war ab 2015 arbeitslos. Derzeit übt er eine abhängige Beschäftigung in einem Betrieb aus, der Werkzeuge und technische Teile herstellt. Er ist verheiratet und Vater von vier minderjährigen Kindern. Seine Ehefrau arbeitet als Aushilfskraft in einem chinesischen Restaurant. Ergänzend wird Wohngeld bezogen. Am 6. Dezember 2010 ist der Kläger wegen Diebstahls einer geringfügigen Sache vom Amtsgericht (AG) Tettnang zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt worden (vgl. AG Tettnang, Urteil vom 8. Mai 2015 – 4 Ds 36 Js 7004/14 – und Protokoll vom 23. April 2015).
Am 20. Juni 2017 beantragte der Kläger beim Landratsamt Bodenseekreis (LRA) die Gewährung von Leistungen nach dem OEG. Er machte als Gesundheitsstörungen, wegen denen der Antrag gestellt werde, Schnittwunden am Schädel, am Hals und am Ohr, einen Nasenbeinbruch und eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) geltend. Diese Gesundheitsstörungen führte er auf das schädigende Ereignis am 29. Januar 2014 zurück, zu dem er ausführte:
„Antrag wegen versuchten Mordes von Frau A, Herr I, Frau I1
Am 29.01.2014 Nachts um 21:30 Uhr haben mich Frau A, Herr I und seine Frau versucht mich umzubringen. Dazu haben sie noch meine Minderjährige Tochter im Auto eingesperrt. Sie ist die Täterin weil sie uns Angegriffen hat Nachts. Am 30.01.2014 haben wir Frau A und ihre Kinder nicht gesehen. Alles was Frau A am 30.01.2014 gemacht hat, hat sie mit ihrem Schwager Herr I gemacht. Die Leute Draußen haben das gesehen. Und ihr Mann hat auch bestätigt das sie das selbst mit Herrn I gemacht hat damit sie keine Strafe für den 29.01.2014 bekommt.{meine ganze Familie ist geschädigt und wir haben erlitten Gesundheitsstörungen} wir sind Opfer.“
Der Kläger legte die Bescheinigungen einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung gemäß § 62 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) des G, vom 21. Februar 2017, die als Diagnosen ICD-10 F 43.2G (Anpassungsstörungen), G47.0G (Ein- und Durchschlafstörungen), F41.2G (Angst und depressive Störung, gemischt), G43.9G (Migräne, nicht näher bezeichnet), F43.1G (PTBS) und F43.0 (akute Belastungsreaktion) aufführten, vor.
Im Weiteren kam zur Vorlage der Bericht des G über die Vorstellung des Klägers am 9. Oktober 2017, aus dem sich als Diagnosen Angst und Depression, reduzierte Fähigkeit zu ausreichender Compliance, Durchschlafstörung, Tagesmüdigkeit und maladaptive Verarbeitung einer Lebensbelastung ergaben.
Aus dem vom LRA beigezogenen Ermittlungsbericht des Polizeipräsidiums K1 hat sich hinsichtlich des Ereignisses am 29. Januar 2014 gegen 21.45 Uhr entnehmen lassen, dass durch Frau V der Polizei telefonisch mitgeteilt worden sei, dass sich in F in der F1straße hinter der Gaststätte „C“ mehrere Personen schlagen würden. Vor Ort habe die Polizei den Kläger, V1, I1, I und A angetroffen gehabt. Der Kläger habe mehrere Kratzer im Halsbereich und eine leichte Platzwunde am Kopf rechts gehabt. I1 hätte am Kopf mehrere kahle Stellen aufgewiesen, an denen ihr Haare gewaltsam ausgerissen worden seien. Bei I hätte an der Stirn rechts eine leicht gerötete Stelle vorgelegen. V1 und A hätten keine Verletzungen geltend gemacht. Die Beteiligten hätten zum Tathergang unterschiedlichen Angaben gemacht, die in zwei Versionen zusammengefasst werden könnten:
Nach der Schilderung von I1 und I sowie A hätten sich I1 und I bei ihrer Verwandten A zu Besuch befunden. Gegen 21.40 Uhr habe I1 mit ihrem Sohn den PKW geholt, der in einer Seitenstraße geparkt gewesen sei, und vor einer Parkplatzzufahrt gehalten, während ihr Sohn ihren Mann I, der sich noch im Haus befunden habe, geholt habe. In diesem Moment sei der Kläger mit seinem PKW angefahren gekommen, habe gehupt, weil die Parkplatzzufahrt blockiert gewesen sei, und es sei zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen. I1 habe mit ihrem PKW zurückgesetzt, um dem Kläger die Zufahrt zum Parkplatz zu ermöglichen. Sie habe dann den PKW verlassen, um ihren Sohn und ihren Mann zu holen. Auf dem Parkplatz sei ihr der Kläger entgegengetreten, habe sie als Schlampe bezeichnet, sie angegriffen und an den Haaren gepackt. Es sei zu heftigen Handgreiflichkeiten gekommen, bei denen der Kläger I1 mehrere Haarbüschel ausgerissen habe. Aufgrund ihrer Hilferufe seien ihr Ehemann und A aus dem Haus gekommen. Ihr Ehemann habe den Kläger von hinten an den Armen festgehalten, damit dieser von seiner Ehefrau ablasse. Nachdem sich der Kläger beruhigt gehabt habe, habe er ihn losgelassen. Danach habe der Kläger einen Pflasterstein aufgehoben, mit diesem die anderen Personen angegriffen und I und A gestreift. I habe daraufhin den Kläger nochmals ergriffen, worauf es zwischen den Beteiligten zu einer unkontrollierten Schlägerei gekommen sei, die erst beendet worden sei, nachdem Nachbarn zum Parkplatz gekommen wären.
Der Kläger habe das Ereignis am 29. Januar 2014 dahingehend geschildert, dass I1 die Zufahrt zum Parkplatz mit ihrem Pkw versperrt habe. Auf sein Hupen habe sie ihn mit dem Wort „Arschloch“ beleidigt und ihm den Stinkefinger gezeigt. Danach habe sie den Weg freigemacht und der Kläger habe auf seinen Parkplatz fahren können. Hinsichtlich der weiteren Geschehnisse ergeben sich aus dem polizeilichen Ermittlungsbericht unterschiedliche Angaben des Klägers:
Am 29. Januar 2014 habe der Kläger ausgeführt, beim Aussteigen aus seinem Pkw sei I1 auf ihn zugekommen und habe ihm sofort mit der Hand ins Gesicht geschlagen. Es sei dann zu einem Gerangel gekommen, zu dem I und A hinzugekommen seien und ebenfalls auf den Kläger eingeschlagen hätten. I habe einen Pflasterstein ergriffen und ihm diesen gegen den Kopf geschlagen, hiervon rühre die Platzwunde am Kopf her. Auch A habe auf ihn eingeschlagen und ihn getreten. I habe plötzlich ein Messer in der Hand gehabt, dass ihm A sofort abgenommen habe. Er habe ihn mit dem Messer nicht bedroht oder es sonst irgendwie verwendet.
Bei der Vernehmung am 30. Januar 2014 habe der Kläger angegeben, er sei aus seinem Pkw noch nicht richtig ausgestiegen gewesen, als ihm I1 mit der Faust gegen den Kopf geschlagen und die Autotür wieder zugemacht habe. Nach dem Aussteigen habe er gesehen, dass I und A im Dunkel gestanden hätten. Seine Tochter habe auf dem Beifahrersitz gesessen; als sie habe aussteigen wollen, habe I die Tür mit dem Fuß zugeschlagen. Dann hätten alle drei auf ihn eingeschlagen. Wegen eines Gipses an der linken Hand habe er sich nicht richtig zur Wehr setzen können. I habe ihn am Hals festgehalten und die beiden Frauen hätten auf ihn eingeschlagen.
Rechtsanwalt M. führte schriftlich am 10. Februar 2014 aus, der Kläger sei von allen drei Personen geschlagen worden. I habe ein Messer in der Hand gehalten und gedroht, den Kläger umzubringen. Der Kläger sei zu Boden gegangen und sei dann von A mit einem Stein geschlagen worden. I habe das Messer dann seiner Schwägerin (A) gegeben, die es versteckt habe.
Bei der Vernehmung am 26. Februar 2014 habe der Kläger angegeben, beim Aussteigen aus dem PKW sei I auf ihn zugekommen und habe ihn an der Jacke aus dem Auto gezogen. Er habe ein Messer in der Hand gehalten. Als er versucht habe, die Hintertür seines Pkw zu öffnen, damit seine dreijährige Tochter aussteigen könne, habe I die Tür zugeschlagen, sie sei hierbei gegen den Fuß seiner Tochter geschlagen. Dann hätten I1 und I sowie A angefangen, auf ihn einzuschlagen. Sie hätten auch ein Messer gehabt. Wegen eines Gipses an der linken Hand habe er sich nicht wehren können; er habe gar nichts machen können. Während der ganzen Zeit habe ihm I ein Messer an den Hals gehalten und im Verlauf sei er von beiden Frauen mit Steinen geschlagen worden. Als er auf dem Boden gelegen habe, habe er zu seiner Tochter geschrien, sie solle seine Frau holen. Seine Tochter habe es geschafft aus dem Auto zu kommen, und habe scheinbar an irgendwelchen Türen geklingelt. Dann seien Nachbarn und Restaurantbesucher gekommen. Auf Nachfrage gab der Kläger an, die beiden Frauen hätten ihn festgehalten und auf ihn eingeschlagen. Während dieser Zeit habe I mehrfach versucht, ihm mit dem Messer in den Arm, den Oberkörper oder die Beine zu stechen. Er habe gesagt, er wolle ihn umbringen. A habe zu I gesagt, er solle noch mehr schlagen. Als seine Frau dazugekommen sei, habe A das Messer an sich genommen und irgendwie weggebracht.
Aus dem polizeilichen Ermittlungsbericht ergab sich im Weiteren, dass ein Messer am Tatort nicht habe gefunden werden können.
Der Kläger wurde durch das AG Tettnang (Urteil vom 8. Mai 2015 – 4 Ds 36 Js 7004/14 –) wegen gefährlicher Köperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Er habe am 30. April 2014 gegen 8.30 Uhr ohne rechtfertigenden Grund seine Nachbarin A im Treppenhaus mit den Worten „Jetzt bist du dran.“ gegen die Wand gedrückt und ihr sodann mit einem Klappmesser zwei Schnittwunden im Gesicht – eine oberflächliche auf der rechten Wange unterhalb des Auges mit einer Länge von etwa 4 cm und die andere linksseitig quer über die gesamte Gesichtshälfte mit einer Länge von etwa 8 cm, in der Mitte leicht klaffend, – zugefügt. Der Kläger habe sich hierdurch für die Geschehnisse am Vortag rächen und die Geschädigte einschüchtern wollen. Der genaue Verlauf der tätlichen Auseinandersetzung am 29. Januar 2014 habe letztlich nicht aufgeklärt werden können. Der neutrale Zeuge M habe davon gesprochen, dass bei dem Vorfall alle aufeinander eingeschlagen hätten; in diese Richtung deute auch die Aussage des neutralen Zeugen B. Die Zeugin A1 habe geschildert, dass der Kläger auf dem Boden gelegen habe und auf ihn eingeschlagen worden sei. Dieser Handlungskomplex sei deshalb in der Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden. Der Kläger habe den Tatvorwurf hinsichtlich der Ereignisse am 30. Januar 2014 bestritten, seine Ausführungen seien jedoch durch die Aussagen der Geschädigten und der vernommenen Zeugen widerlegt worden.
Durch Bescheid vom 20. April 2018 lehnte das LRA den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG ab. Zur Begründung führte es aus, es sei nicht erwiesen, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei. Es sei zwar durchaus möglich, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei, nachgewiesen bzw. ausreichend glaubhaft sei dies jedoch nicht. Unabhängig hiervon bleibe nach Auswertung der Aktenunterlagen auch festzustellen, dass der Versagungsgrund nach § 2 Abs. 1 OEG vorliege, weil der Kläger die Schädigung selbst verursacht habe. Das Verhalten des Klägers stelle einen Tatbeitrag dar, der als rechtlich wesentliche mitwirkende Ursache im Sinne der Kausalitätstheorie anzusehen sei. Nach dem Normzweck des OEG sei eine Opferentschädigung – weil unbillig – zu versagen, wenn Eigenarten des Einzelfalls eine staatliche Hilfe als sinnwidrig und damit als ungerecht bewerten ließen. Unbillig seien Leistungen dann, wenn sie mit der grundlegenden Wertung des Gesetzes im Widerspruch stünden. Der Kläger sei vom AG Tettnang am 8. Mai 2015 als Täter einer gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der A verurteilt worden. Da die beiden Geschehensabläufe eine Einheit darstellten (laut dem Urteil habe sich der Kläger für die Tat am 29. Januar 2014 bei A rächen und sie einschüchtern wollen), stehe die Gewährung von Leistungen nach dem OEG mit der grundlegenden Wertung des Gesetzes im Widerspruch.
Deswegen erhob der Kläger Widerspruch, den er mit dem versuchten Mord gegenüber ihm, der Verletzung seiner Ehefrau, der bei ihm und seiner Ehefrau seitdem bestehende psychischen und chronischen Krankheit, dem Einsperren seiner Tochter im Auto und der bei dieser seitdem vorliegenden psychischen Krankheit begründete. Auch hätten seine Tochter und sein Sohn das ganze Geschehen mitansehen müssen. Das Urteil des AG Tettnang sei nicht gerecht, es beruhe auf falschen Aussagen.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2018 zurück. Das Vorbringen des Klägers im Widerspruchsverfahren habe keine neuen Gesichtspunkte enthalten, wegen denen sich eine andere Beurteilung ergebe. Der Hergang des Geschehens am 29. Januar 2014 lasse sich nicht mehr aufklären. Der Version des Klägers stünden die Darstellung der anderen Beteiligten gegenüber. Anhaltspunkte dafür, dass die Schilderung des Klägers deutlich glaubhafter sei als die der anderen Beteiligten, lägen nicht vor. Die Angaben des Klägers seien demnach nicht genügend, um als glaubhaft im Rahmen der Beweiserleichterung zugrunde gelegt werden zu können. Die bloße Möglichkeit, dass sich das Geschehen so wie vom Kläger geschildert zugetragen habe, sei nicht ausreichend. Unabhängig hiervon stehe der Gewährung einer Beschädigtenversorgung auch deren Unbilligkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 OEG) entgegen. Da die Geschehnisse am 29. und am 30. Januar 2014 eine Einheit bildeten, wäre es in Anbetracht des Verhaltens des Klägers nicht gerechtfertigt, Versorgung zu gewähren.
Am 8. August 2018 hat der Kläger beim Sozialgericht Konstanz (SG) Klage erhoben, die er damit begründet hat, dass alle Zeugen am 29. Januar 2014 nicht zugegen gewesen seien; nur seine Familie sei anwesend gewesen. Die Zeugen hätten nur ausgesagt, um den Tätern zu helfen.
Das SG hat das Protokoll über die öffentliche Sitzung des AG Tettnang am 23. April 2015 (4 Ds 36 JS 7004/14) beigezogen.
Der Kläger habe ausgesagt, am 29. Januar 2014 sei seine Tochter krank gewesen und er sei deshalb mit ihr ins Krankenhaus gefahren. Bei der Rückkehr habe sie jemand verfolgt. Als er zu seinem Parkplatz habe fahren wollen, habe I1 ihm mit ihrem Auto den Weg abgeschnitten. Er habe deshalb gehupt. Sie habe dann das Autofenster heruntergelassen, zu ihm „Arschloch“ gesagt und ihm ihren Mittelfinger gezeigt. Schließlich habe sie den Weg zum Parkplatz freigemacht und er habe geparkt. Dann seien A und ihr Schwager (I) zu seinem Auto gekommen. I habe ihn aus dem Auto gezerrt und ihm ein Messer an den Hals gehalten. Dann habe I ihn an der Jacke gepackt und sei auf ihn losgegangen. Wegen eines Gipses am Arm habe er sich nicht richtig wehren können. Er sei auf den Boden geworfen worden, die beiden Frauen hätten Steine auf ihn geworfen und I habe ihn mit dem Messer angegriffen. Als er auf dem Boden gelegen habe, habe er zu seiner Tochter geschrien, dass sie zu seiner Ehefrau rennen solle, damit diese Hilfe holen könne. Seine Tochter sei ausgestiegen und habe seine Ehefrau herbeigeholt. I habe versucht, auf ihn einzustechen. Als seine Ehefrau gekommen sei, habe sie geschrien, sie sei dann von den beiden Frauen ebenfalls zu Boden geworfen worden. Seine Ehefrau sei danach ins Krankenhaus gebracht worden. Sie seien nach dem Vorfall beide bei einem Psychiater in Behandlung gewesen, der sie sogar habe stationär aufnehmen lassen wollen; wegen ihrer Kinder sei das jedoch nicht möglich gewesen. Seit dem Ereignis ginge seine Tochter nicht mehr in den Kindergarten. Auf Nachfrage habe der Kläger ausgeführt, I habe mit den Messer auf seinen Kopf eingestochen; ihm sei Blut über das Gesicht gelaufen. Er habe gesagt: „Ich bringe dich um.“ Er sei am Hals, am Ohr und an den Beinen getroffen worden. Frau A habe ihm mit einem Stein mehrfach ins Gesicht geschlagen. Als Leute aus dem Restaurant gekommen seien, habe sich die Sache gelegt. Frau A habe das Messer zu Hause versteckt. Er habe nichts gemacht und habe auch niemanden an den Haaren gezogen. Die Frau habe gesagt, dass sie zuvor ihrer Haare an der Garagentür eingeklemmt gehabt habe. Bei der polizeilichen Vernehmung sei er unkonzentriert gewesen, er habe nicht genau gewusst, was er sage. Er sei bei der Auseinandersetzung ohnmächtig geworden und habe nichts mehr mitbekommen.
Zu dem Ereignis am 30. Januar 2014 habe der Kläger angegeben, gegen 6 Uhr oder 6.30 Uhr habe I an ihrer Tür geklingelt. Seine Frau habe ihn aus dem Fenster gesehen, er selbst sei noch im Bett gelegen. Sie hätten die Tür nicht geöffnet. Danach habe Frau A bei ihnen geklingelt. Seine Frau habe ihm später erzählt, sie habe am Fenster gestanden und mit Frau A gestritten. Er habe erst seine Wohnung nach dem Eintreffen der Polizei verlassen. Frau B1 und andere Personen hätten gesehen, wie Frau A in ihr Auto eingestiegen sei, sich dann I zu ihr gebeugt und etwas an ihrem Gesicht gemacht habe. Er habe ihr Gesicht verletzt, damit sie die Tat ihm später anhängen könnten. Auf Nachfrage habe der Kläger angegeben, die Polizei gerufen zu haben, weil er gedacht habe, sie würden seine Haustür einschlagen.
A habe ausgeführt, sie hätten am 29. Januar 2014 den Geburtstag ihres Sohnes gefeiert. Nachdem ihr Neffe aufgebracht an der Tür geklingelt habe, seien sie runter gegangen und hätten gesehen, wie der Kläger ihre Schwester am Arm gepackt habe. Ihr Ehemann habe versucht, sie zu befreien. Herr M sei dazugekommen und habe versucht zu schlichten. Der Kläger habe ihre Schwester an den Haaren gepackt und ihr Schwager habe versucht, sie vom Kläger wegzuziehen. Der Kläger habe sie dann losgelassen, einen Stein ergriffen und nach ihr geworfen. Der Stein habe ihr Gesicht gestreift, sie habe eine Beule am Kopf gehabt. Ihr Schwager habe den Kläger dann zur Wand geschoben; in diesem Moment sei Herr M dazugekommen. Der Kläger sei nicht verletzt worden und weder sie noch ihre Schwester hätten einen Stein in der Hand gehabt, auch habe niemand ein Messer gezogen. Der Kläger habe nicht auf dem Boden gelegen. Die Frau des Klägers sei kurz nach ihr dazugekommen und habe nur geschrien. Sie habe sich in den Streit einmischen wollen. Am 30. Januar 2014 habe sie ihre Kinder in den Kindergarten bringen wollen, der Kläger sei aus seiner Wohnung gestürmt und habe zu ihr gesagt „Jetzt bist du dran.“. Er habe sie an die Wand gedrückt und ihr ins Gesicht geschnitten. Als er sie dann losgelassen habe, sei sie aus dem Haus gestürmt, ins Auto gestiegen und losgefahren, habe aber nach ein paar Metern wieder angehalten. Sie habe unter Schock gestanden. Eine Passantin habe sie gesehen, zufällig sei dann ihr Schwager vorbeigekommen. Sie habe an dem Tag nicht gesehen, dass der Arm des Klägers in Gips gewesen sei.
Die Ehefrau des Klägers habe ausgesagt, der Kläger sei mit ihrer Tochter im Krankenhaus gewesen. Ihre Tochter sei weinend zu ihr gekommen und habe gesagt, dass der Kläger geschlagen werde. Sie sei dann rausgegangen und habe gesehen, wie drei Personen auf den Kläger eingeschlagen hätten. Sie habe gesehen, wie der Mann versucht habe, auf den Kläger mit einem Messer einzustechen, auch habe sie gesehen, wie einige Personen mit einem Stein auf ihn losgegangen seien. Das Messer sei dann in die Wohnung gebracht worden. Auch sie sei geschlagen worden und auf den Boden gefallen; im Gesicht habe sie ein Stein gestreift. Der Kläger habe niemanden geschlagen, er habe einen Arm in Gips gehabt. Der Gips sei weiß gewesen. Der Kläger habe insofern angegeben, der Gips sei weiß mit einem blauen Verband gewesen. Am 30. Januar 2014 habe sie Geräusche im Treppenhaus gehört und gesehen, wie die drei Personen vom Vortag in das Treppenhaus rein- und rausgelaufen seien. Als sie aus dem Fenster geschaut habe, habe sie Frau A gesehen und sie gefragt, warum sei bei ihnen geklingelt habe. Frau A habe gesagt, ihr Mann solle rauskommen, damit sie mit ihm so wie gestern weitermachen könnten. Aus dem Fenster habe sie gesehen, dass der Mann unter seiner Jacke eine Pistole versteckt gehabt habe. Sie habe zum Kläger gesagt, er solle die Polizei rufen. Frau A habe gesund den Parkplatz verlassen.
Die Zeugin B1 habe angegeben, am 30. Januar 2014 aus dem Fenster Frau A gesehen zu haben, die weinend schnell ihre Kinder ins Auto gebracht habe. Verletzungen und Blut habe sie nicht gesehen. Es sei ein Schreien und Weinen gewesen. Nach einiger Zeit sei sie raus gegangen und habe Blut an den Händen der Frau A gesehen.
Der Zeuge M habe berichtet, am 29. Januar 2014 gesehen zu haben, wie sich der Kläger, dessen Ehefrau, Frau A und ihr Schwager gegenseitig geschlagen hätten; keiner sei nur dabeigestanden. Ein Messer habe er nicht gesehen. Einer, er glaube der Schwager von Frau A, habe einen Stein in der Hand gehalten.
Die Zeugin A1 habe mitgeteilt, am 29. Januar 2014 habe Frau V2 im Hof gestanden und sei außer sich gewesen. Der Kläger habe am Boden gelegen, die anderen Personen seien auf ihm drauf gewesen. Am 30. Januar 2014 habe Frau A am Auto gestanden und mit Frau V2, die am Fenster gestanden habe, gestritten. Nachdem Frau A ins Auto gestiegen und losgefahren sei, habe sie einen lauten Knall gehört und gesehen, wie eine Mülltonne am Boden gelegen habe. Ein Auto habe angehalten, aus dem ein Mann ausgestiegen sei. Er habe sich zu Frau A ins Auto gesetzt. Nachdem er wieder ausgestiegen sei, sei Frau A aus dem Auto gesprungen und habe geschrien, sie sei verblutet gewesen. Zuvor habe sie bei Frau A keine Verletzungen wahrgenommen.
PMA L habe mitgeteilt, der Kläger habe angegeben, ein PKW habe ihm die Einfahrt in den Hof versperrt. Nach längerem Hupen sei die PKW-Führerin zur Seite gefahren. Beim Aussteigen sei diese auf ihn zugekommen und habe ihm mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Ihr Ehemann sei dazugekommen und habe ihm mit einem Stein auf den Kopf geschlagen. Der Kläger habe nicht angegeben, dass er mit einem Messer bedroht worden sei. Er habe lediglich ein Messer gesehen. Auch habe er nicht geäußert, dass seine Verletzungen von einem Messer herrührten. Ein Gips sei ihm nicht aufgefallen gewesen.
PHM H habe ausgeführt, es seien am 29. Januar 2014 mehrere Varianten zum Hergang geäußert worden. Der Kläger habe angegeben, dass ihm Frau I1 ins Gesicht geschlagen habe, dann seien ihr Ehemann und dessen Schwägerin hinzugekommen und man habe ihm mit einem Stein auf den Kopf geschlagen. Frau I1 habe hingegen den Vorfall dahingehend geschildert, dass der Kläger sie beleidigt habe und dass er sie, als sie ihn habe zu Rede stellen wollen, sofort an den Haaren gerissen habe. Ihr Ehemann und ihre Schwägerin seien ihr dann zur Hilfe gekommen. Der Kläger habe angegeben, dass I ein Messer gehabt habe, ihn damit aber nicht direkt bedroht habe. Ein Messer sei nicht aufgefunden worden. Auch ein Gips des Klägers sei nicht erkennbar gewesen.
PHM R habe ausgesagt, der Kläger habe angegeben, am 29. Januar 2014 habe die PKW-Fahrerin, die ihm zunächst die Zufahrt zum Hof versperrt gehabt habe, ihm mit der Hand auf den Kopf geschlagen. Zu diesem Zeitpunkt seien auch ein weiterer Mann und eine weitere Frau anwesend gewesen. Es hätten sich körperliche Übergriffe ereignet, bei dem ihn der Mann festgehalten und die Frauen auf ihn, auch mit Steinen, eingeschlagen hätten. Bei der Vernehmung am Folgetag habe der Kläger mitgeteilt, dass der Mann versucht habe, mit einem Messer auf ihn einzustechen, er aber durch das Messer nicht verletzt worden sei. Die Wunde am Kopf rühre von den Schlägen mit den Steinen her. Zum 30. Januar 2014 habe der Kläger ausgeführt, er habe seine Tochter in die Schule bringen wollen, als eine Frau und ein Mann vor seiner Tür gestanden hätten. Er habe die Tür wieder zugemacht und sei in seiner Wohnung geblieben.
PK S habe angegeben, am 30. Januar 2014 habe der Kläger beim Eintreffen der Polizei nicht sofort aus seiner Wohnung kommen wollen. Es habe circa 10 Minuten gedauert, der Bruder des Klägers habe mit ihm über Telefon gesprochen, bis der Kläger mit hinter dem Nacken verschränkten Händen das Haus verlassen habe. Im Treppenhaus und im Hauseingang seien frische Bluttropfen auf dem Boden gewesen.
PK M1 habe mitgeteilt, dass am 30. Januar 2014 die Geschädigte vor dem Haus auf dem Gehweg gesessen und angegeben habe, ein Mann habe sie ins Gesicht geschnitten. Es hätte lange gedauert, bis der Kläger aus dem Haus gekommen sei; er habe das Haus erst nach einem Telefonat mit seinem Bruder verlassen.
I1 habe ausgeführt, sie sei mit ihrem PKW am 29. Januar 2014 in der Hofeinfahrt gestanden, als der Kläger mit seinem PKW angefahren gekommen sei. Er habe sich aufgeregt und gehupt, sie habe den PKW zur Seite gefahren. Der Kläger habe sie als Schlampe beschimpft, mit der Faust auf die Lippe geschlagen und sie an den Haaren gezogen; er habe ihr büschelweise Haare ausgerissen. Ihr Ehemann habe den Kläger von hinten gepackt und nachdem er von ihr abgelassen habe, ihn wieder losgelassen. Dann habe der Kläger einen Stein genommen und ihn auf ihren Ehemann geworfen. Ihr Ehemann sei ausgewichen und habe den Kläger wiederum von hinten ergriffen. Der Kläger habe ihrem Ehemann auf das Knie geschlagen und sie wieder an den Haaren gepackt. Ihr Sohn hätte dann Frau A zur Hilfe geholt. Als ihr Ehemann sie und Frau A zur Straße habe führen wollen, habe der Kläger mit einem Stein auf Frau A geworfen und sie getroffen. Plötzlich seien viele Menschen da gewesen. Frau V2 sei auf sie zugerannt gekommen und habe auf sie eingeschlagen. Der Kläger habe sich die blutende Wunde am Kopf selbst zugefügt, als er sich von ihrem Ehemann habe losreisen wollen. Es sei nicht so gewesen, dass der Kläger am Boden gelegen und mehrere Leute über ihm gewesen seien. Sie habe vier kahle Stellen am Kopf erlitten, eine sei 8 x 7 cm groß gewesen.
I habe ausgesagt, als er in den Hof gekommen sei, habe der Kläger seine Ehefrau als Schlampe bezeichnet. Der Kläger habe seine Ehefrau, als sie gehen wollten, nochmals Schlampe genannt und sie an den Haaren gezogen. Er habe dann den Kläger von hinten gepackt, worauf der Kläger von seiner Ehefrau abgelassen habe. Nachdem er ihn losgelassen habe, habe er einen Stein ergriffen und sei auf ihn zugekommen. Er habe ihn wieder ergriffen und der Kläger habe nochmals seine Ehefrau an den Haaren gezogen. Irgendwann habe sie es geschafft, sich zu befreien. Nachdem sich der Kläger beruhigt hatte, habe er ihn losgelassen. Dann sei er wieder gekommen und habe ihm ins Gesicht geschlagen. Seine Schwägerin sei dazugekommen, der Kläger habe seine Ehefrau an der Kaputze gezogen und irgendwann sei seine Schwägerin auf dem Boden gelegen. Als Frau V2 dazugekommen sei, habe sie seine Ehefrau beschimpft. Er habe kein Messer gehabt und keinen Stein genommen. Als er am nächsten Tag mit seiner Ehefrau auf dem Weg zum Arzt gewesen sei, seien sie am Haus seiner Schwägerin vorbeigekommen. Er habe seine Schwägerin aus der Ausfahrt fahren sehen, sie habe sich an die Seite gestellt, ihre Hände und ihr Gesicht seien voller Blut gewesen. Sie habe gesagt, der Kläger habe sie angegriffen; er habe ihr die Augen rausschneiden wollen. Er habe die Polizei gerufen und sei zu seiner Schwägerin zurückgegangen. Eine Passantin sei da gewesen und habe sich mit dieser unterhalten.
Die Zeugin M2 habe ausgesagt, auf dem Weg zur Arbeit sei ihr ein Auto aufgefallen, in dem eine weinende Frau gesessen habe. Sie habe Blut gesehen. Sie habe versucht, sie zu beruhigen, dann sei ihr Schwager dazugekommen. Die Frau sei nicht von ihrem Schwager verletzt worden; sie habe angegeben, ihr Nachbar habe sie mit einem Teppichmesser angegriffen.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage auf Gewährung einer Beschädigtengrundrente, hilfsweise auf Verpflichtung des Beklagten, festzustellen, dass beim Kläger Gesundheitsstörungen vorliegen, die ursächlich durch schädigende Ereignisse im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG hervorgerufen worden sind, durch Gerichtsbescheid vom 27. Januar 2020 abgewiesen. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff auf den Kläger in der Nacht des 29. Januar 2014 sei nicht nachgewiesen. Es habe letztlich im Strafverfahren nicht ermittelt werden können, wer die Schlägerei begonnen habe. Es blieben ernsthafte Zweifel an der Einlassung des Klägers, dass dieser zuerst angegriffen worden sei. Dessen Angaben könne keine besondere Glaubwürdigkeit beigemessen werden. Das Gericht sei auch nicht zu der Überzeugung gekommen, dass die Angriffe gegen den Kläger, wenn dieser den Streit und die tätliche Auseinandersetzung begonnen habe, in einer das Notwehr- oder Nothilferecht überschreitenden Weise erfolgt seien. Darüber hinaus sei der Ansicht des Beklagten zuzustimmen, dass die Gewährung einer Entschädigung nach dem OEG unbillig wäre, weil sich der Kläger – wie das AG Tettnang festgestellt habe – am 30. Januar 2014 für die bei der Schlägerei erlittenen Verletzungen in einer Weise gerächt habe, die zu einer Leistungsversagung nach § 2 OEG führen müssen. Letztlich käme es hierauf aber nicht an.
Am 9. März 2020 hat der Kläger gegen den ihm am 7. Februar 2020 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt.
Zugleich hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten beantragt. Der Senat hat den Antrag durch Beschluss vom 19. Oktober 2021 mangels hinreichender Erfolgsaussicht des Berufungsverfahrens abgelehnt.
Zur Berufungsbegründung macht der Kläger geltend, der erstinstanzliche Gerichtsbescheid sei unzutreffend. Am 29. Januar 2014 sei er von seiner damaligen Nachbarin Frau A und deren Familie geschlagen worden. Er sei von Frau I1 beleidigt und von deren Ehemann mit einem Messer bedroht worden; er habe gedroht, ihn umzubringen. Hierdurch habe er eine PTBS, eine Anpassungsstörung, Angst und depressive Störung gemischt sowie Ein- und Durchschlafstörungen erlitten. Das SG habe verkannt, dass bei einem vorsätzlichen tätlichen Angriff die Rechtswidrigkeit indiziert sei. Der Beklagte müsse deshalb die Rechtswidrigkeit (wohl Rechtmäßigkeit) im Bestreitensfall darlegen und nachweisen. Im Hinblick auf die vom SG angenommene Unbilligkeit einer Entschädigung nach dem OEG, habe das SG nicht beachtet, dass es sich bei den Taten vom 29. und vom 30. Januar 2014 um zwei unterschiedliche Taten handele. Auch habe er die Tat am 30. Januar 2014 bestritten.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 27. Januar 2020 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2018 zu verurteilen, eine Gewalttat nach dem Opferentschädigungsgesetz anzuerkennen und eine Beschädigtengrundrente nach einem Grad der Schädigung von mindestens 25 zu gewähren, hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, festzustellen, dass bei ihm Gesundheitsstörungen vorliegen, die ursächlich durch schädigende Ereignisse im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz hervorgerufen worden sind.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er ist der Berufung entgegengetreten und hat auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.
Der Kläger persönlich hat am 16. November 2021 die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Folgebescheinigung) der K, S1, L1 vom 15. November 2021 für den Zeitraum vom 15. bis zum 24. November 2021 vorgelegt und Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 18. November 2021 gebeten. Der Senat hat den Antrag abgelehnt, da ein Verlegungsgrund nicht glaubhaft gemacht wurde.
Am 17. November 2021 um 19:44 Uhr hat der Kläger persönlich ein ärztliches Attest der K, S1, L1 zur Vorlage gebracht, wonach er derzeit aus gesundheitlichen Gründen und sedierenden Medikamenten nicht in der Lage sei, zu einer Gerichtsverhandlung nach Stuttgart zu kommen. Sein Prozessbevollmächtigter hat am Tag der mündlichen Verhandlung, am 18. November 2021, das vorgenannte Attest an das Gericht per Fax geschickt (Eingang um 9:52 Uhr) und eine Verlegung des Termins um 12:30 Uhr wegen der Erkrankung des Klägers beantragt. Der Senat die Terminverlegung abgelehnt. Mit Fax, dem Bevollmächtigten des Klägers um 10:32 Uhr zugegangen, hat er diesem mitgeteilt, dass der Termin aufrechterhalten bleibt, da auch weiterhin ein Verlegungsgrund nicht glaubhaft gemacht ist. Im Weiteren ist der Kläger anwaltlich vertreten, so dass sein Prozessbevollmächtigter den Termin zur mündlichen Verhandlung wahrnehmen kann und damit der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör gewahrt ist.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl weder der Kläger noch dessen Prozessbevollmächtigter im Termin zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, da mit der ordnungsgemäßen, ausweislich dem Empfangsbekenntnis am 6. Oktober 2021 zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die Verlegungsanträge des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten hat der Senat abgelehnt. Ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung im Sinne des § 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) hat nicht vorgelegen, da der Kläger seine Verhandlungsunfähigkeit nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Hierfür ist erforderlich, dass sich aus der ärztlichen Bescheinigung die Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung ergeben, denn nur dann kann das Gericht die Frage der Verhandlungsfähigkeit selbst beurteilen. Gerade bei – wie hier – kurzfristig vor dem Termin gestellten Anträgen auf Terminverlegung bestehen hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 28. September 2018 – B 9 V 22/18 B –, juris, Rz. 11). Weder die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch das ärztliche Attest der K, S1, L1 genügen den vorgenannten Voraussetzungen, aus diesen ergibt sich nicht einmal, die Art der Erkrankung des Klägers. Im Übrigen hat ein anwaltlich vertretene Beteiligter keinen Anspruch darauf, neben seinem Anwalt in der mündlichen Verhandlung gehört zu werden (vgl. BSG, Beschluss vom 8. Dezember 2020 – B 1 KR 58/19 B –, juris, Rz. 14; BSG, Urteil vom 22. September 1999 – B 5 RJ 22/98 R –, juris, Rz. 17), da das bloße Anwesenheitsinteresse durch das Recht auf rechtliches Gehör nicht geschützt wird (vgl. Bundesverwaltungsgericht [BVerwG]; Urteil vom 31. Mai 1990 – 7 CB 31.89 –, juris, Rz. 9). Der Kläger hat keine Gründe dafür aufgezeigt, dass seine Anwesenheit im Termin unerlässlich ist (vgl. BSG, Beschluss vom 5. März 2004 – B 9 SB 40/03 B –, juris, Rz. 6).
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 27. Januar 2020, mit dem das SG die vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) auf Aufhebung des Bescheides vom 20. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2018 (§ 95 SGG) und auf Verurteilung des Beklagten zur Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach einem GdS von mindestens 25 sowie die hilfsweise erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) auf Aufhebung des vorgenannten Bescheides und Verpflichtung des Beklagten, festzustellen, dass bei ihm Gesundheitsstörungen vorliegen, die ursächlich durch schädigende Ereignisse im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG hervorgerufen worden sind, abgewiesen hat. Im Berufungsverfahren verfolgt der Kläger zwei kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen, die darauf gerichtet sind, den Beklagten unter Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verurteilen, eine Gewalttat nach dem Opferentschädigungsgesetz anzuerkennen und eine Beschädigtengrundrente nach einem GdS von mindestens 25 zu gewähren; hilfsweise verfolgt er die im erstinstanzlichen Verfahren ebenso hilfsweise erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage weiter. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei den vorliegenden Klagearten der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 R –, BSGE 104, 116 [124]; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 34), ohne eine solche derjenige der Entscheidung.
Die Unbegründetheit der Berufung ergibt sich aus der teilweisen Unzulässigkeit und teilweisen Unbegründetheit der im Berufungsverfahren verfolgten Klagen.
Die Klage ist insoweit unzulässig, als der Kläger die Anerkennung einer Gewalttat nach dem OEG verfolgt. Für die Anerkennung einer Gewalttat nach dem OEG gibt es keine gesetzliche Grundlage. Soweit der Kläger mit diesem Klageantrag sinngemäß die Feststellung, dass er Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG), begehrt, kann er auch diese Feststellung nicht in zulässiger Weise verfolgen. Ein solches Feststellungsbegehren kann weder auf § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG noch auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG gestützt werden, weil nur eine isolierte Feststellung (Anerkennung) von Schädigungsfolgen im Sinne des OEG zulässig ist, nicht aber die Klärung einzelner Elemente als Vorfrage des Anspruchs nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 1/13 R –, juris, Rz. 10; Senatsurteil vom 23. Juni 2016 – L 6 VG 5048/15 –, juris, Rz. 48).
Die Klage und damit auch die Berufung ist insofern unbegründet, als der Kläger die Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach einem GdS von mindestens 25 verfolgt. Der Senat hat sich – wie auch das SG – nicht davon überzeugen können, dass dieser am 29. Januar 2014 infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen und tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ist § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in Verbindung mit §§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1, 30, 31 Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz – BVG). Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, unter anderem auch Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs. 1 BVG, wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Versorgung umfasst nach dem insoweit entsprechend anwendbaren § 9 Abs. 1 Nr. 3 BVG die Beschädigtenrente (§§ 29 ff. BVG). Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der GdS – bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13. Dezember 2007 (BGBl I S. 2904) am 21. Dezember 2007 als Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bezeichnet – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung (vgl. Senatsurteil vom 18. Dezember 2014 – L 6 VS 413/13 –, juris, Rz. 42; Dau, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 31 BVG, Rz. 2).
Für einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 – B 9 V 1/12 R –, BSGE 113, 205 <208 ff.>):
Ein Versorgungsanspruch setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 – B 9 VG 1/08 R –, juris, Rz. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person („wer“), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. In Altfällen, also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und dem Inkrafttreten des OEG am 16. Mai 1976 (BGBl I S. 1181), müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG in Verbindung mit § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in diesem Zeitraum geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Eine Schwerbeschädigung liegt nach § 31 Abs. 2 BVG vor, wenn ein GdS von mindestens 50 festgestellt ist.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs „vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 VG 2/10 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer – jedenfalls versuchten – vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 – B 9 VG 1/09 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 25 m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 Strafgesetzbuch (StGB) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 VG 2/10 R –, SozR 4 3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m. w. N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 1/13 R –, juris, Rz. 23 ff.).
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, a. a. O., § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 – B 11 AL 35/09 R –, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).
Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 6/13 R –, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein „deutliches“ Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
Bei dem „Glaubhafterscheinen“ im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3 3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m. w. N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a. a. O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin nicht eingeengt, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15).
Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend – seit Juli 2004 – den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 6/13 R –, juris, Rz. 17).
Gemessen an diesen gesetzlichen Vorgaben und unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat der Beklagte zu Recht durch Bescheid vom 20. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2018 die Gewährung von Beschädigtenversorgung abgelehnt. Demnach hat auch das SG die Klage zu Recht durch Gerichtsbescheid vom 27. Januar 2020 abgewiesen. Wie auch das SG kann sich der Senat nicht davon überzeugen, dass der Kläger am 29. Januar 2014 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG muss der Angriff nicht nur vorsätzlich und tätlich sein, er muss darüber hinaus auch rechtswidrig sein. Das OEG knüpft insoweit an die strafrechtlichen Begrifflichkeiten an. Dementsprechend indiziert die Verwirklichung eines Tatbestandes nach dem StGB, worauf der Kläger hingewiesen hat, zwar die Rechtswidrigkeit, das Vorliegen von Rechtfertigungsgründe widerlegt jedoch diese Indizwirkung (vgl. Rademacker, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG, Rz. 66 f.). Zur Überzeugung des Senats hat der Kläger nicht nachweisen können, dass die von ihm angeführten vorsätzlichen und tätlichen Angriffe von I1 und I sowie A nicht gerechtfertigt waren, weil in Notwehr (§ 32 StGB) erfolgt. Maßgeblich ist insofern, ob der Kläger oder die vorgenannten Personen gehandelt haben, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden (sog. Notwehrlage, § 32 Abs. 2 StGB), mithin ob vom Kläger oder den vorgenannten Personen zuerst ein Angriff ausgegangen ist. Der Senat, wie auch das SG, hat sich nicht davon überzeugen können, dass die vorgenannten Personen den Kläger zuerst angegriffen haben und damit ihre vorsätzlichen und tätlichen Angriffe nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt waren.
Die Angaben des Klägers und der vorgenannten Personen zum Ereignis am 29. Januar 2014 widersprechen sich und stehen sich in den wesentlichen Punkten diametral entgegen. Anhaltspunkte dafür, dass seine Schilderung glaubhafter ist als die der anderen beteiligten Personen, ergeben sich für den Senat daher nicht. Darüber hinaus haben die Angaben des Klägers zum Ereignis am 29. Januar 2014 gegenüber der Polizei und im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem AG Tettnang am 23. April 2015, der Senat verwertet die entsprechenden Protokolle im Wege des Urkundsbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 415 ff. ZPO), mehrfach variiert, was zudem gegen deren Glaubhaftigkeit spricht, weil keine Aussagenkonsistenz besteht, die Angaben vielmehr immer drastischer bis zum Mordvorwurf werden.
Nach den übereinstimmenden Angaben von I1 und I sowie von A hat der Kläger I1 zuerst als Schlampe beleidigt und sie dann an den Haaren gepackt. Im Nachfolgenden soll er sie mit einem Stein angegriffen haben. Demnach wäre, wenn diese Ausführungen zutreffend sind, ihr Handeln als Notwehr gerechtfertigt gewesen, weil sie einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einen anderen abgewendet hätten (§ 32 Abs. 2 StGB).
Nach den Ausführungen des Klägers hingegen soll der erste vorsätzliche tätliche Angriff nicht von ihm, sondern von I1 oder I ausgegangen sein. Bereits in diesem Punkt weichen seine Angaben im Verlauf voneinander ab, was gegen deren Glaubhaftigkeit spricht. So hat der Kläger am 29. Januar 2014 gegenüber der Polizei wie auch bei der polizeilichen Vernehmung am 30. Januar 2014 angegeben, I1 habe ihm zuerst ins Gesicht geschlagen. Bei der polizeilichen Vernehmung am 26. Februar 2014 und in der mündlichen Verhandlung vor dem AG Tettnang am 23. April 2015 hat er jedoch ausgeführt, I habe ihn an der Jacke aus dem Auto gezerrt und die beiden Frauen hätten auf ihn eingeschlagen.
Auch im Übrigen weisen die Angaben des Klägers zum Tathergang erheblichen Inkonsistenzen auf und können deshalb vom Senat nicht als glaubhaft gewertet werden. Als nicht stichhaltig ist die Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem AG Tettnang zu werten, dass er bei der polizeilichen Vernehmung unkonzentriert gewesen sei und deshalb nicht genau gewusst habe, was er sage, womit er die ersichtlichen Widersprüche zu erklären versucht hat. Die Aussagen sind vielmehr sehr detailliert, auch angesichts des Umfangs der Aussage ist eher das Gegenteil belegt. Zum anderen kann dies die erheblichen Widersprüche zu maßgeblichen Details nicht erklären.
Erhebliche Widersprüchlichkeiten ergeben sich insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob bei den Angriffen auf den Kläger ein Messer verwendet worden ist, was nicht sichergestellt werden konnte, obwohl die Polizei zeitnah kam. Die behaupteten schweren Verletzungen sind ebenfalls gerade nicht eingetreten. Bei der polizeilichen Vernehmung am 29. Januar 2014 hat der Kläger insofern angegeben, I habe plötzlich ein Messer in der Hand gehabt, dass ihm A sofort wieder abgenommen habe. Er habe ihn mit dem Messer nicht bedroht oder es sonst irgendwie verwendet. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat am 10. Februar 2014 hingegen ausgeführt, I habe ein Messer in der Hand gehalten und sogar gedroht, den Kläger umzubringen. Der Kläger selbst hat am 26. Februar 2014 im Rahmen der polizeilichen Vernehmung ausgesagt, I habe ihm ein Messer an den Hals gehalten und habe im weiteren Verlauf versucht, ihm mit dem Messer in den Arm, den Oberkörper oder die Beine zu stechen. In der mündlichen Verhandlung vor dem AG Tettnang hat nach den Angaben des Klägers I mit dem Messer auf seinen Kopf eingestochen. Die Ehefrau des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung hingegen ausgesagt, sie habe gesehen, wie ein Mann lediglich versucht habe, mit einem Messer auf den Kläger einzustechen. Ein Messer hat letztlich am Tatort von der Polizei jedoch nicht aufgefunden werden können. Als Zeugen haben PMA L, PHM H und PHM R vor dem AG Tettnang angegeben, dass der Kläger am 29. Januar 2014 nicht vorgebracht habe, dass seine Verletzungen von einem Messer herrührten. Nach dem polizeilichen Ermittlungsbericht des Polizeipräsidiums K1 wies der Kläger am 29. Januar 2014 keine typischen Verletzungen wie Stich- oder Schnittwunden auf, die von einem Angriff mit einem Messer hergerührt haben, er hatte lediglich mehrere Kratzer im Halsbereich und eine leichte Platzwunde am Kopf rechts. PMA L hat in der mündlichen Verhandlung vor dem AG Tettnang bestätigt, dass der Kläger am 29. Januar 2014 nicht angegeben habe, dass seine Verletzungen von einem Angriff mit einem Messer verursacht worden seien. Nach der Aussage von PHM R in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger bei der polizeilichen Vernehmung am 30. Januar 2014 ebenso eine Verletzung durch ein Messer verneint.
Widersprüchlich sind die Ausführungen des Klägers im Weiteren dahingehend, als dass er sich am 29. Januar 2014 wegen eines Gipses an der linke Hand nicht habe wehren können. Denn außer dem Kläger und dessen Ehefrau hat keiner der (unbeteiligten) Zeugen, insbesondere nicht die als Zeugen vernommenen Polizisten, bestätigen können, dass der Kläger am 29. Januar 2014 einen Gips am Arm getragen hat. Die diesbezüglichen Angaben des Klägers und dessen Ehefrau sind darüber hinaus insoweit nicht deckungsgleich, als seine Ehefrau in der mündlichen Verhandlung vor dem AG Tettnang ausgesagt hat, der Gips sei weiß gewesen, der Kläger hingegen, dass er weiß mit einem blauen Verband gewesen sei.
Die unbeteiligten Zeugen M und A1 haben vor dem AG Tettnang keine Angaben machen können, vom wem der erste Angriff am 29. Januar 2014 ausgegangen ist. Der Zeuge M hat aber ausgesagt, dass sich alle Beteiligte gegenseitig geschlagen hätten und dass er kein Messer gesehen habe. Insofern spricht dies gegen die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass er nichts gemacht habe. Die Zeugin A1 hat zwar mitgeteilt, dass der Kläger am Boden gelegen habe und die anderen Personen über ihm gewesen seien. Aber auch aus diese Bekundung der Zeugin A1 steht nicht der Möglichkeit entgegen, dass der erste Angriff und demnach das Herbeiführen der Notwehrlage vom Kläger selbst ausgegangen sein kann.
Eine Beweiserleichterung zu Gunsten des Klägers besteht ebenfalls nicht. Die Voraussetzungen des § 15 Satz 1 KOVVfG liegen nicht vor. Nach § 15 Satz 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, der Entscheidung zu Grunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Diese besondere Beweiserleichterung kommt vorliegend aber nicht in Betracht. § 15 KOVVfG sollte ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befunden haben, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse die über sie geführten Krankengeschichten, Befundberichte usw. nicht mehr erlangen konnten. Die Beweiserleichterung ist jedoch auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind. Nach dem Sinn und Zweck des § 15 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Hier liegen indes umfangreiche Zeugenaussagen vor. Der Kläger kann lediglich den erforderlichen Vollbeweis für den schädigenden Vorgang nicht erbringen; eine Konstellation der Beweisnot im Sinne der Grundsätze des § 15 KOVVG liegt damit nicht (vgl. Senatsurteil vom 22. September 2016 – L 6 VG 1927/15 –, juris, Rz. 71; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14. Dezember 2016 – L 7 VE 19/13 –, juris, Rz. 55). Darüber hinaus sprechen auch die vorgenannten Inkonsistenzen in den Ausführungen des Klägers (vgl. oben) gegen eine Glaubhaftmachung.
Im Weiteren sind dem Kläger, selbst wenn er am 29. Januar 2014 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG geworden sein sollte, Leistungen nach dem OEG nach § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG zu versagen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG sind Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung entweder selbst verursacht hat (1. Alternative) oder wenn es aus sonstigen, insbesondere aus in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren (2. Alternative). Als Sonderfall der Unbilligkeit (2. Alternative) ist die 1. Alternative der Vorschrift – Mitverursachung – stets zuerst zu prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 18. April 2001 – B 9 VG 3/00 R –, BSGE 88, 96; vgl. zum Verhältnis der beiden Alternativen insbesondere BSG, Urteile vom 6. Dezember 1989 – 9 RVg 2/89 –, BSGE 66, 115 und vom 25. März 1999 – B 9 VG 1/98 R – BSGE 84, 54).
Aufgrund der letztlich bestehenden Unaufklärbarkeit des Ereignisses vom 29. Januar 2014 kann zwar nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger die Schädigung im Sinn des § 2 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative OEG selbst verursacht hat. Aus sonstigen, im eigenen Verhalten des Klägers liegenden Gründen ist es jedoch unbillig, ihm eine Entschädigung nach dem OEG zu gewähren (§ 2 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative OEG).
Der Senat ist ebenso wie auch das AG Tettnang davon überzeugt, dass der Kläger am 30. Januar 2014 ohne rechtfertigenden Grund seine Nachbarin A im Treppenhaus mit den Worten „Jetzt bist du dran.“ gegen die Wand gedrückt und ihr sodann mit einem Messer zwei Schnittwunden im Gesicht – eine oberflächliche auf der rechten Wange unterhalb des Auges mit einer Länge von etwa 4 cm und die andere linksseitig quer über die gesamte Gesichtshälfte mit einer Länge von etwa 8 cm, in der Mitte leicht klaffend, – zugefügt hat. Der Kläger und auch dessen Ehefrau haben in der mündlichen Verhandlung vor dem AG Tettnang zwar diese Tat bestritten. Maßgeblich für eine Täterschaft des Klägers spricht zur Überzeugung des Senats jedoch, dass sich am 30. Januar 2014 im Treppenhaus frische Blutspuren gefunden haben, wie der Senat der Zeugenaussage des PK S entnimmt, und dass A nach der Aussage der Zeugin M2 bereits Schnittverletzungen im Gesicht hatte, bevor ihr Schwager, I, eingetroffen ist. Durch diese Zeugenaussagen ist das Vorbringen des Klägers, dass I der Geschädigten die Schnittverletzungen zugefügt habe, um ihn zu Unrecht einer Straftat als Racheakt für die Vorgänge am 29. Januar 2014 bezichtigen zu können, widerlegt. Auch hält es der Senat für nicht plausibel, dass sich A selbst oder ihr mit ihrer Einwilligung I erhebliche Schnittwunden im Gesicht, die zu bleibenden Narben führen können, nur deshalb zugefügt hat, um dem Kläger zu Unrecht eine Straftat zu Last zu legen. Im Weiteren spricht das Verhalten des Klägers am 30. Januar 2014 nach dem Eintreffen der Polizei für seine Täterschaft. PK S und PK M1 haben vor dem AG Tettnang als Zeugen ausgesagt, dass es nach dem Eintreffen der Polizei am 30. Januar 2014 lange gedauert habe – bestimmt zehn Minuten – bis der Kläger mit hinter dem Nacken verschränkten Händen und auch erst nach einem Telefonat mit seinem Bruder das Haus verlassen habe. Sollte der Kläger, wie er angegeben hat, nicht zuvor A bedroht und mit einem Messer im Gesicht verletzt haben, ist ein solches Verhalten nicht erklärbar. Jemand, der keine Straftat verübt hat, verhält sich so nicht. Er wird unmittelbar nach dem Eintreffen der Polizei das Haus verlassen und nicht erst nach einem erheblichen Zeitraum und zudem einem telefonischen Gespräch mit einer ihm vertrauten Person. Auch ist schlichtweg nicht erklärbar, wieso eine vermeintlich unschuldige Person mit hinter den Nacken verschränkten Armen der Polizei gegenübertritt und damit verdeutlichen will, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgeht, wenn er zuvor nicht einen tätlichen Angriff gegenüber einer dritten Person verübt hat. Für den Senat ist dieses Verhalten des Klägers ein weiterer maßgeblicher Gesichtspunkt, der für seine Täterschaft spricht.
Auch wenn die Taten am 29. und am 30. Januar 2014, worauf der Kläger im Berufungsverfahren hingewiesen hat, im strafrechtlichen Sinn nicht als eine einheitliche Tat zu bewerten sind, steht dies eine Berücksichtigung des Verhaltens des Klägers am 30. Januar 2014 im Rahmen des § 2 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative OEG als „unbillig“ nicht entgegenstehen. Den der hierfür erforderliche enge zeitliche Zusammenhang (vgl. Senatsurteil vom 29. April 2014 – L 6 VG 4545/13 –, juris, Rz. 27) liegt noch vor.
Die zur Versagung von Leistungen nach dem OEG führende Unbilligkeit des Verhaltens des Klägers ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der im OEG geregelten Entschädigung von Opfern für Gewalttaten. Demnach hat der Staat ein Monopol für die Verbrechensbekämpfung und ist deswegen für den Schutz der Bürger vor Schädigungen durch kriminelle Handlungen, insbesondere durch Gewalttaten, im Bereich seines Hoheitsgebietes und damit seiner Herrschaftsgewalt verantwortlich. Vielfach können das unmittelbare Opfer und seine Hinterbliebenen überhaupt keinen oder keinen ausreichenden Schadensersatz vom Täter erhalten und konnten auch keine zumutbare allgemeine Privatversicherung gegen solche Schäden abschließen, geraten also infolge der Gewalteinwirkung in wirtschaftliche Not. Aus diesen Gründen hat die staatliche Gemeinschaft ihre Pflicht zur Hilfe beim Versagen der Schutzvorkehrungen anerkannt (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 1979 – 9 RVg 2/78 –, juris, Rz. 13). Das Monopol des Staates für die Verbrechensbekämpfung und den Schutz seiner Bürger hat der Kläger aber, selbst wenn gegenüber ihm am 29. Januar 2014 ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG verübt worden sein sollte, durch seine Tat am 30. Januar 2014 in hohem Maße missachtet. Denn er hat nicht das staatliche Gewaltmonopol anerkannt und darauf vertraut, dass der Staat die Täter vom 29. Januar 2014 zur Verantwortung ziehen wird, sondern hat sich im Wege der Selbstjustiz Genugtuung für das vermeintlich gegenüber ihm am Vortag verübte Unrecht verschafft. Der Kläger hat damit in hohem Maße zu erkennen gegeben, dass er das staatliche Gewaltmonopol nicht anerkennt, wodurch sein Verhalten treuwidrig und damit unbillig ist. Die Treuwidrigkeit ergibt sich für den Senat daraus, dass er durch die Forderung einer Entschädigung nach dem OEG sich auf das Versagen des staatlichen Gewaltmonopols beruft, aber zugleich mit seiner Tat am 30. Januar 2014 zu erkennen gegeben hat, dass er dieses Gewaltmonopol nicht beachtet.
Mangels des Nachweises eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs hat auch der auf Feststellung von Schädigungsfolgen gerichtete Hilfsantrag des Klägers keinen Erfolg.
Weitere Ermittlungen hatte der Senat nicht vorzunehmen. Die vorliegenden vom Beklagten und dem SG aus dem polizeilichen Ermittlungs- und dem Strafverfahren vor dem AG Tettnang beigezogenen Unterlagen haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen Grundlagen vermittelt. Bei weiteren Sachverhaltsermittlungen würde es sich mithin um Ermittlungen ins Blaue hinein handeln und um eine Ausforschung des Sachverhaltes, zu der der Senat nicht verpflichtet ist (vgl. BSG, Beschluss vom 17. Oktober 2018 – B 9 V 20/18 B –, juris, Rz. 19).
Nach alledem war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.