L 13 AL 1816/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AL 4483/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 1816/17
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16. März 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung eines Gründungszuschusses für die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als Rechtsanwältin.

Die im Jahr 1981 geborene Klägerin ist Rechtsanwältin. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie meldete sich am 18. Februar 2016 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte, nachdem ihr Beschäftigungsverhältnis in der S bei der A AG, P/C, mit dem 29. Februar 2016 endete, die Gewährung von Arbeitslosengeld. Ihre Verfügbarkeit, eine Tätigkeit aufnehmen zu können, schränkte sie hierbei nicht ein. Mit Bescheid vom 10. März 2016 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld ab dem 1. März 2016 für 360 Tage i.H.v. 39,56 € täglich.

Am 6. April 2016 beantragte die Klägerin - formlos - bei der Beklagten die Gewährung eines Gründungszuschusses zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit. Im Rahmen des förmlichen Antragsformulars gab sie an, sie werde voraussichtlich am 1. Juni 2016 eine selbstständige Tätigkeit als Rechtsanwältin in F in einem zeitlichen Umfang von 5 Wochenstunden aufnehmen. Sie gab an, für die Anlaufphase ihrer Tätigkeit bis zur Bildung eines Kundenstamms ein gesichertes laufendes Einkommen zu benötigen. Langfristig wolle sie sich jedoch in einer selbstständigen Tätigkeit verwirklichen. Sie beabsichtige, sowohl in F, als auch in P/C tätig zu sein und mit einem breiten Beratungsangebot am Markt aufzutreten. In P/C seien die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine Tätigkeit, für die sie in das kantonale Anwaltsregister eingetragen sei, bereits geschaffen (eingerichteter Büroraum, Briefpapier und Versicherungen). Mit ihrem Antrag legte sie auch ein Gründungskonzept vom 2. Mai 2016 sowie eine fachkundige Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer F vom 17. Mai 2016 vor.

Mit Bescheid vom 14. September 2016 versagte die Beklagte den Antrag der Klägerin wegen des Fehlens einer Bestätigung der Anmeldung der Tätigkeit beim Gewerbe- bzw. Finanzamt.

Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 21. September 2016 Widerspruch. Die Beklagte ermittelte während des Widerspruchsverfahrens, dass für den räumlichen Umkreis der Stadt F 16 Stellenangebote für rechtsanwaltschaftliche Tätigkeiten vorlägen und lehnte den Antrag der Klägerin sodann, nachdem die Klägerin zuvor eine Bestätigung des Finanzamtes F-Stadt vom 14. September 2016 des Inhalts vorgelegt hatte, dass die Klägerin dort eine selbstständige Tätigkeit als Rechtsanwältin ab dem 28. September 2016 angemeldet habe, mit Bescheid vom 10. Oktober 2016 ab. Begründend führte sie aus, dass zwar die Fördervoraussetzungen vorlägen, die Gewährung sei unter Ermessensgesichtspunkten jedoch nur dann möglich, wenn die Förderung im Wege eines Gründungszuschusses zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt notwendig sei. Unter Berücksichtigung der Fähigkeiten der Klägerin bestehe bei dieser jedoch ein Vorrang der Vermittlung in Arbeit.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2016 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen die Versagung und Ablehnung ihres Antrages sodann zurück. Sie führte wiederholend aus, für die Klägerin bestünden ausreichende Integrationsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt, es seien zahlreiche Arbeitsstellen gemeldet. Die Vermittlung in Arbeit habe Vorrang vor der Gewährung von Leistungen der aktiven Arbeitsförderung. Die persönlichen Interessen der Klägerin daran, selbstständig tätig sein zu wollen, träten deswegen im Rahmen der Ermessensausübung hinter die Interessen der Versichertengemeinschaft an der bedarfsorientierten und sparsamen Mittelverwendung zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 14. November 2016 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat sie vorgetragen, dass die Beklagte lediglich freie Stellen aufgelistet habe, ohne deren jeweiligen besonderen Anforderungen und ihr persönliches Leistungsprofil zu berücksichtigen. Überdies lägen nur 5 Stellen im dem von ihr präferierten räumlichen Bereich vor. Sie habe auch nach mehrmonatiger Arbeitslosigkeit keine geeignete sozialversicherungspflichtige Stelle gefunden. Als Rechtsanwältin mit Migrationshintergrund und als Mutter zweier Kinder finde sie keinen Arbeitgeber, der bereit sei, sie einzustellen. Hierzu hat sie zahlreiche Bewerbungsablehnungen vorgelegt. Sie benötige den Gründungszuschuss (unverändert) zum Start ihrer Selbstständigkeit in F. Die Entscheidung der Beklagten stelle sich als ermessensfehlerhaft dar. Die Klägerin hat ferner - auf Anfrage des SG - mitgeteilt, dass sie seit Eintritt ihrer Arbeitslosigkeit noch in der S beruflich aktiv gewesen sei, sie habe noch zwei Mandate betreut. Nachdem diese abgeschlossen gewesen seien, habe ihre Tätigkeit in der S geruht. Gelegentlich (2 -3 x monatlich) erteile sie telefonische oder elektronische Beratungen mit einem zeitlichen Aufwand von ca. 15 Stunden monatlich. Seit Ende September 2016 werbe sie auch über Anwaltsvermittlungsplattformen (entgeltlich) Kundschaft an, wofür ein Aufwand von ca. 15 – 20 Std. wöchentlich anfalle.

Die Beklagte ist der Klage unter Verweis auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides entgegengetreten. Ergänzend hat sie vorgetragen, mit dem Abschluss der juristischen Ausbildung bestehe die Befähigung, in allen Rechtsgebieten tätig werden zu können, weswegen nicht ersichtlich sei, dass eine Existenzgründung die einzige Möglichkeit sei, die Arbeitslosigkeit zu beenden. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits über einen Standort in der S verfüge, über dessen Internetpräsenz u.a. Terminvereinbarungen möglich seien.

Mit Gerichtsbescheid vom 16. März 2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, in Ansehung des Umstandes, dass die Klägerin nach ihren eigenen Angaben in der S anwaltlich tätig sei, bestünden bereits erhebliche Zweifel daran, dass die Klägerin tatsächlich bereit gewesen sei, durch die Aufnahme einer mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung ihre Arbeitslosigkeit beenden zu wollen. Dies könne jedoch offen bleiben, da ungeachtet hiervon kein Anspruch auf die Gewährung des begehrten Gründungszuschusses bestehe. Dieser sei als Ermessensleistung ausgestaltet. Ein Leistungsanspruch bestehe nur dann, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliege. Dies sei jedoch vorliegend nicht der Fall. Weder habe sich die Beklagte gegenüber der Klägerin gebunden, noch sei die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als Rechtsanwältin alternativlos, um die Klägerin in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Entgegen dem Vortrag der Klägerin bestehe auch für sie, als Mutter zweier schulpflichtiger Kinder, in ihrem räumlichen Umfeld ein offener Arbeitsmarkt für eine Tätigkeit als angestellte Rechtsanwältin. Auch mit ihrem hilfsweise geltend gemachten Antrag auf Neubescheidung dringe die Klägerin nicht durch, da die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt habe, Ermessenfehler lägen nicht vor. Die Beklagte habe ihr Ermessen vielmehr entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten.

Gegen den ihr am 25. März 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 24. April 2017 beim SG Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zu deren Begründung bringt sie vor, die gesetzlichen Voraussetzungen der begehrten Leistung lägen vor. Ihr stehe jedenfalls ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zu. Das SG habe bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen, dass sie nur deswegen teilzeitig selbstständig tätig geworden sei, um ihren berufsständigen Pflichten nachzukommen. So sei auch die Anmietung von Kanzleiräumen in der S nicht mit dem Ziel erfolgt, dort dauerhaft einen Kanzleibetrieb zu etablieren. Die angestrebte berufliche Neuorientierung habe hingegen eine Tätigkeit im Bereich der öffentlichen Verwaltung zum Inhalt gehabt. Während der Zeit der Arbeitslosigkeit habe sie sich darauf konzentriert, in diesem Bereich eine Anstellung zu finden. Die von der Beklagten unterbreiteten Vermittlungsvorschläge seien i.d.S. nicht geeignet gewesen, da diese ihre Eignung, Neigung und ihr Leistungsprofil nicht wiedergespiegelt hätten. Für sie, die Klägerin, hätte zu keinem Zeitpunkt eine reale Option bestanden, eine versicherungspflichtige Beschäftigung eingehen zu können. Die Ermessensentscheidung der Beklagten sei, so die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 2021, auch deswegen fehlerbehaftet, als sowohl ihr Migrationshintergrund, als auch ihre familiäre Situation als Mutter unberücksichtigt geblieben seien. Der von der Beklagten angeführte Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit rechtfertige im Übrigen nicht, ohne eine konkrete Einzelfallprüfung von der Gewährung von Leistungen der aktiven Arbeitsförderung absehen zu können. Auf Anfrage des Senats hat die Klägerin mitgeteilt, in Deutschland als Rechtsanwältin zugelassen zu sein, die Kanzlei betriebe sie in der S. Sie habe jedoch auch in F ihre anwaltliche Tätigkeit im Umfang von 30 Std. pro Woche ausgeübt. Hierzu hat sie den Mietvertrag über die Anmietung von Geschäftsräumen in F (Wstr. 2) sowie an diese Adresse gerichtete Korrespondenz vorgelegt. Schließlich hat Hr. A1 (A.), F, unter dem 3. Juli 2019 schriftlich bestätigt, dass die Klägerin seit dem 26. September 2016 in den von ihr angemieteten Räumlichkeiten als Anwältin mit täglichen Präsenzzeiten tätig sei. Im Rahmen eines Termins zur Erörterung des Sachverhalts am 19. November 2019 hat die Klägerin ausgeführt, sie habe nach Aufnahme ihrer Tätigkeit in F noch zwei Mandate aus ihrer früheren Tätigkeit in der S abgeschlossen. Im 1. Halbjahr 2017 sei sie mehr in der S tätig gewesen, sodann habe sich der Schwerpunkt auf ihre Tätigkeit in Deutschland verlagert.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16. März 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Oktober 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Oktober 2016 zu verurteilen, ihr einen Gründungszuschuss zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit ab dem 26. September 2016 zu gewähren, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, den Antrag auf Gründungszuschuss neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrages bringt sie vor, entgegen den Ausführungen der Klägerin habe sie ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Insb. sei der Zeitraum der ihr möglichen Vermittlungsaktivitäten zu kurz gewesen, um eine negative Vermittlungsprognose, wie sie von der Klägerin angeführt werde, zu rechtfertigen. Sie, die Beklagte, habe davon ausgehen dürfen, dass gute Vermittlungschancen bestanden hätten. Dies gelte auch in Ansehung der klägerseits angeführten familiären Situation und des Migrationshintergrundes. Letzterer führe vor dem Hintergrund der zusätzlichen Sprachkenntnisse zu erhöhten Vermittlungsaussichten. Es sei überdies nicht belegt, dass die Klägerin tatsächlich eine – hauptberufliche – selbstständige Tätigkeit in F ausgeübt habe.

Der (vormalige) Berichterstatter hat Hrn. A1. am 19. November 2019 im Rahmen eines Termins zur Erörterung des Sachverhalts als Zeugen einvernommen. Dieser hat u.a. ausgesagt, er habe der Klägerin Räumlichkeiten in F vermietet. Diese habe er zuvor selbst genutzt. Er sei sodann in das obere Geschoss des Hauses umgezogen. Die Klägerin habe ab etwa Oktober 2016 ihre Tätigkeit in den Räumlichkeiten aufgenommen. Soweit er habe feststellen können, sei die Klägerin dort täglich ca. 5 – 6 Stunden anwesend gewesen. Er habe auch immer wieder Mandantschaft der Klägerin wahrgenommen. Hinsichtlich der weiteren Angaben des Zeugen wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 19. November 2019 (Bl. 89 – 92 der Senatsakte) verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die bei der Beklagten geführte Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 2021 geworden sind, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 2021 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, insb. statthaft (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 SGG), führt jedoch für die Klägerin inhaltlich nicht zum Erfolg.

Der Senat konnte in der Sache entscheiden, obschon die Beklagte - wie zuvor schriftsätzlich angekündigt - keinen Sitzungsvertreter zur mündlichen Verhandlung am 11. Mai 2021 entsandt hat. Die Beklagte ist mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle des Ausbleibens von Beteiligten (bzw. Bevollmächtigten) Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 SGG).

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der streitgegenständliche Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Oktober 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Bescheid vom 14. September 2016, mit dem die Beklagte die Leistungsgewährung nach § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) versagt hatte, hat sich durch den streitgegenständlichen Ablehnungsbescheid vom 10. Oktober 2016 i.S.d. § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch erledigt.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung eines Gründungszuschusses.

Nach § 93 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der ab dem 1. April 2012 geltenden Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S.2854) können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten. Nach § 93 Abs. 2 Satz 1 SGB III kann ein Gründungszuschuss geleistet werden, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht allein auf § 147 Abs. 3 SGB III beruht (Nr. 1), der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist (Nr. 2) und ihre oder seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit darlegt (Nr. 3). Nach § 93 Abs. 2 Satz 2 SGB III ist zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung der Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vorzulegen; fachkundige Stellen sind insb. die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute.

Diese (tatbestandlichen) Voraussetzungen hat die Klägerin zur Überzeugung des Senats erfüllt. Die Klägerin hat insb. eine hauptberufliche selbstständige Tätigkeit als Rechtsanwältin aufgenommen. Dies folgt für den Senat aus den Ausführungen des Zeugen A., der anlässlich seiner Einvernahme am 19. November 2019 mitgeteilt hat, dass die Klägerin ab Oktober 2016 in den von ihr angemieteten Räumlichkeiten ihre Tätigkeit aufgenommen hat und dort täglich anwesend gewesen ist. Da er schließlich auch davon berichtet hat, dort Mandantschaft der Klägerin wahrgenommen zu haben, steht für den Senat nicht in Zweifel, dass die Klägerin im Anschluss an die Anmietung der Räumlichkeiten in F unmittelbar anwaltlich tätig geworden ist. Bei dem vom Zeugen mitgeteilten zeitlichen Umfang von 5 – 6 Std. täglich ist der Senat überdies davon überzeugt, dass die Mindestdauer der selbstständigen Tätigkeit von 15 Wochenstunden (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 9. Juni 2017 - B 11 AL 13716 R -, in juris) überschritten worden ist und die Tätigkeit der Klägerin in F den zeitlichen Schwerpunkt ihrer Erwerbstätigkeit gebildet hat, mithin hauptberuflich ausgeübt worden ist. Dass die Klägerin nach ihren eigenen Bekundungen daneben auch, bis ins 1. Quartal 2017, noch in der S tätig geworden ist, steht der Überzeugung einer hauptberuflichen Tätigkeit im Geltungsbereich des SGB III nicht entgegen. Die Klägerin hat insofern nachvollziehbar erläutert, dass dies in Zusammenhang mit der Abwicklung von Mandaten aus ihrer vorherigen Tätigkeit als angestellte Rechtsanwältin in der S erfolgt ist und die Beibehaltung der dortigen Organisationsstrukturen nur vor dem Hintergrund erfolgt ist, die berufsständischen Voraussetzungen einer Tätigkeit in der S aufrechtzuerhalten.

Da der Klägerin mit Bescheid vom 10. März 2016 ab dem 1. März 2016 Arbeitslosengeld für 360 Tage bewilligt worden ist, hatte sie bis zum Ablauf des Monats September 2016 auch noch den erforderlichen Arbeitslosengeld-Restanspruch von 150 Tagen (§ 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III). Für die Zeit vom 1. März – 30. September 2016 sind von der ursprünglichen Anspruchsdauer nur 210 Tage (7 x 30 Tage [vgl. § 339 Satz 1 SGB III]) verbraucht gewesen. Die Klägerin hat ferner die Tragfähigkeit der Existenzgründung durch die Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer F vom 17. Mai 2016 nachgewiesen (§ 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB III) und ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit dargelegt (§ 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III).

Da schließlich auch keine Ruhens- oder Leistungsausschlussgründe i.S.d. §§ 93 Abs. und Abs. 4 SGB III ersichtlich sind, liegen in der Person der Klägerin die tatbestandlichen Leistungsvoraussetzungen vor, § 93 SGB III eröffnet der Beklagten jedoch, wie die Formulierung „können“ zeigt, ein Ermessen.

Mit der Ermächtigung, nach Ermessen zu entscheiden, hat der Gesetzgeber der Beklagten eine Auswahlbefugnis eröffnet. Diese bezieht sich im Rahmen des § 93 SGB III nur auf das „Ob“ der Leistung (Entschließungsermessen; vgl. Hassel in Brand, SGB III, 8. Aufl. 2018, § 93, Rn. 16a), nicht jedoch auf deren Umfang, die Dauer und die Höhe des Anspruchs. Diese Rechtsfolgen hat der Gesetzgeber vielmehr in § 94 SGB III selbst normiert. Hieraus folgt, dass der mit dem Hauptantrag verfolgte Anspruch auf die (positive) Leistungsgewährung nur dann bestehen kann, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Eine derartige Verdichtung des Ermessens liegt vor, wenn jede andere als die begehrte Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre (vgl. st. Rspr. des BSG, u.a. Urteil vom 12.10.2017 - B 11 AL 24/16 R -, in juris). Dies ist im gegebenen Zusammenhang bspw. dann anzunehmen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es sich bei der aufgenommenen selbstständigen Tätigkeit um die einzige Möglichkeit handelt, mit der eine dauerhafte berufliche Eingliederung erreicht werden kann (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Januar 2013 - L 18 AL 5/13 B ER -, in juris dort Rn. 4). Hiervon ist vorliegend nicht auszugehen, da, wie die von der Beklagten eruierten offenen Stellen aufzeigen, für die Klägerin auch unter Berücksichtigung von deren persönlicher Situation anderweitige Eingliederungsmöglichkeiten, insb. durch die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Rechtsanwältin, bestanden haben und weiterhin bestehen. Dem entgegenstehenden Vortrag der Klägerin, eine dauerhafte Vermittlung in den Arbeitsmarkt als angestellte Rechtsanwältin sei mangels geeigneter Stellen für Mütter nicht möglich, vermag sich der Senat, wie bereits das SG, nicht anzuschließen. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass das Erfordernis, Kinder zu beaufsichtigen, die Anzahl der verfügbaren Stellen einschränkt, davon, dass es in Ansehung der vielfältigen Einsatzmöglichkeit für Juristen unmöglich ist, eine versicherungspflichtige Beschäftigung eingehen zu können, ist der Senat vor dem Hintergrund, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zunehmend auch von Arbeitgebern von Juristen gewährleistet wird, jedoch nicht überzeugt.

Da der Senat auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null sieht, hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Gewährung des begehrten Gründungszuschusses.

Die Klägerin kann auch nicht, wie hilfsweise geltend gemacht, die Neubescheidung ihres Antrages beanspruchen. Die gerichtliche Rechtskontrolle einer behördlichen Ermessensentscheidung ist auf die Überprüfung beschränkt, ob die Behörde von einem vollständigen und richtigen Sachverhalt ausgegangen ist, die rechtlichen Grenzen ihres Ermessensspielraums eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Eine danach rechtsfehlerfreie Auswahlentscheidung muss das Gericht hinnehmen; es ist nicht befugt, anstelle der Behörde eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Erweist sich die getroffene Ermessensentscheidung als fehlerhaft, ist die Behörde zur Neubescheidung zu verurteilen. Hierzu hat sich in der Verwaltungslehre und Rechtsprechung eine Klassifikation von Ermessensfehlern entwickelt, deren Terminologie nicht völlig einheitlich ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rn. 27). Eine Ermessensüberschreitung ist anzunehmen, wenn eine Rechtsfolge gesetzt wird, die die gesetzliche Regelung so überhaupt nicht vorsieht. Eine Ermessensunterschreitung liegt vor, wenn die Verwaltung - gleich aus welchen Gründen - überhaupt keine Ermessenserwägungen anstellt und so handelt, als ob sie eine gebundene Entscheidung zu treffen hätte. Im Hinblick auf diese Ermessensfehler unterliegt die Entscheidung der Beklagten offensichtlich keinen Bedenken, da diese Ermessenserwägungen angestellt hat und mit der Entscheidung, trotz der erfüllten tatbestandlichen Voraussetzungen keinen Gründungszuschuss zu bewilligen, eine zulässige Entscheidung getroffen hat.

Die Beklagte hat auch im Übrigen von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer Weise Gebrauch gemacht, die einer rechtlichen Überprüfung standhält. Ein Ermessensfehler i.S. eines Ermessenfehlgebrauchs liegt vor, wenn die Behörde ihr Ermessen gerade nicht entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausübt, bspw. indem sie sachfremde Erwägungen einstellt, wenn sie nicht alle maßgebenden Ermessensgesichtspunkte in ihre Entscheidung einbeziehen oder wenn sie die abzuwägenden Gesichtspunkte fehlerhaft gewichtet. Auch dies vermag der Senat, wie bereits das SG, nicht zu erkennen; die Beklagte hat vielmehr die sich aus dem Zweck des § 93 SGB III ergebenden und zu berücksichtigen Ermessensüberlegungen umfänglich eingestellt, ordnungsgemäß gewichtet und sachfremde Gesichtspunkte außer Acht gelassen. Die Einräumung von Ermessen mit dem Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt (a.a.O.) erfolgte mit dem Bestreben, hierdurch eine höhere Flexibilität bei der Förderung von Gründungen zu ermöglichen. Über die Beurteilung der Tragfähigkeit des Geschäftskonzepts hinaus sollte auch die persönliche Eignung der Gründerin oder des Gründers eingeschätzt werden (vgl. BT-Drs. 17/6277, S. 86 zu den Nummern 3 und 4). Anerkannt als bei der Ermessensausübung relevanter Gesichtspunkte ist bspw. die Eigenleistungsfähigkeit des Selbständigen (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juni 2006 - B 7a AL 34/05 R - in juris). Ferner darf im Rahmen der anzustellenden Ermessensentscheidung die Erwägung, dass nach § 4 Abs. 2 SGB III die Vermittlung in Arbeit Vorrang hat vor der Gewährung sonstiger Leistungen der aktiven Arbeitsförderung, eingestellt werden (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Februar 2014 - L 8 AL 1515/13 -, in juris). Es ist daher nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte prüft, ob der Arbeitslose dauerhaft im Rahmen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden kann. Auf den letztgenannten Aspekt kann sich die Beklagte im Rahmen der Ermessensausübung berufen, wenn sie bei der Feststellung der Vermittlungsaussicht eine nachvollziehbar dokumentierte Einzelfallbetrachtung unter Einbeziehung der in der Person des Arbeitsuchenden liegenden Umstände, der bisherigen Vermittlungsbemühungen, sowie weiterer Umstände des Einzelfalles angestellt hat, deren Prognoserelevanz sich im konkreten Fall aufdrängt (LSG Hamburg, Urteil vom 23. September 2015 - L 2 AL 20/14 -, in juris dort Rn. 52). Dies hat die Beklagte beachtet, indem sie gestützt auf eine Sichtung der offenen Stellen zu der Einschätzung gelangt ist, dass der Vermittlung der Klägerin in eine abhängige Beschäftigung der Vorzug gegenüber der Gewährung von Leistungen der aktiven Arbeitsförderung zu geben ist. Entgegen der Einschätzung der Klägerin bestand die konkrete Möglichkeit, diese zeitnah in eine ihr zumutbare versicherungspflichtige Beschäftigung als Rechtsanwältin zu vermitteln. Weder Aspekte der potentiellen Entlohnung, etwaiger Pendelzeiten (vgl. § 140 SGB III) oder andere anerkennenswerte Gründe standen einer Tätigkeit in einem Angestelltenverhältnis entgegen. Soweit die Klägerin u.a. anführt, dass sie Kinder zu beaufsichtigen habe, führt dies vorliegend nicht dazu, den Kreis der zumutbaren Stellen einzuschränken, da die Klägerin in ihrem Antrag auf die Gewährung von Arbeitslosengeld ihre (zeitliche) Verfügbarkeit nicht eingeschränkt hat, sie sich vielmehr in vollem Umfang dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt hat, weswegen die Beklagte nicht verpflichtet gewesen ist, der Kindererziehung der Klägerin im Rahmen der Ermessensausübung ein größeres Gewicht beizumessen. Der weitere Einwand der Klägerin, die Beklagte habe ihren Migrationshintergrund nicht ausreichend in die Ermessensentscheidung eingestellt, ist dem Senat nach Durchführung der mündlichen Verhandlung am 11. Mai 2021 bereits nicht nachvollziehbar, da in der Person der Klägerin keine - mit dieser Begrifflichkeit üblicherweise konnotierten - Vermittlungshindernisse, insb. Sprachbarrieren, bestehen.

Auch das Bestreben der Klägerin, Mandanten aus dem Bereich der Grenzgänger und Migranten rekrutieren zu wollen, grenzt den Vermittlungsvorrang nicht zu Gunsten der Förderung einer selbstständigen Tätigkeit ein. Es ist vielmehr nicht zu beanstanden, dass die Beklagte in Ansehung des Alters, der Ausbildung und des beruflichen Werdegangs einer Vermittlung der Klägerin in eine versicherungspflichtige Beschäftigung den Vorrang gegenüber den Wünschen der Klägerin beimisst.

Der Berücksichtigung des Ermessensgesichtspunkts des Vorrangs der Vermittlung in Arbeit stehen vorliegend auch zeitliche Aspekte nicht entgegen. Der Zeitraum zwischen der Arbeitslosmeldung am 18. Februar 2016 und der abschließenden Entscheidung der Beklagten über den Antrag der Klägerin im Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2016 (vgl. § 40 Abs. 2 SGB I) von lediglich 8 Monaten, d.h. innerhalb des laufenden Arbeitslosengeld-Bewilligungszeitraums (vgl. hierzu Kuhnke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 93 SGB III, Rn. 65), lässt eine belastbare negative Vermittlungsprognose, d.h. den Rückschluss, dass aus einzelnen erfolglosen Bewerbungsversuchen auf eine generelle Aussichtslosigkeit von Vermittlungsbemühungen geschlossen werden kann, (noch) nicht zu.

Da die Ermessensentscheidung der Beklagten hiernach nicht mit Ermessensfehlern behaftet ist, die Beklagte vielmehr die rechtlichen Grenzen ihres Ermessensspielraums eingehalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, ist der Bescheid vom 10. Oktober 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Oktober 2016 nicht zur Neubescheidung durch die Beklagte aufzuheben.

Der Bescheid vom 10. Oktober 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Oktober 2016 erweist sich hiernach als rechtmäßig. Die Berufung der Klägerin gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG vom 16. März 2017 ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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