Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 1. März 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer höheren Verletztenrente.
Der 1951 in R geborene Kläger kam im Februar 1993 als Spätaussiedler nach Deutschland. Im September 2011 trat er an die Beklagte heran und teilte mit, er habe u.a. am 1. November 1970 einen Arbeitsunfall in der früheren U erlitten.
Bei dem streitigen Unfall vom 1. November 1970 wurde der Kläger während der Arbeit in einem Reifenwerk in O von einem Elektrokarren angefahren und an die Wand gepresst. Aufgrund eines technischen Defekt des Elektrokarrens konnte die Blockade nicht sofort gelöst werden, so dass der Kläger - nach eigenen Angaben - eine Viertelstunde eingeklemmt war. Der Kläger erlitt Verletzungen im Beckenbereich (Bruch der beiden Sitzbeine und des rechten Schambeinknochens mit Ruptur der Schamfuge; Bruch des fünften Lendenwirbelkörpers mit Ruptur der Zwischenwirbelscheibe zwischen L5/S1). Nach den Angaben des Klägers im Klageverfahren schloss sich eine mehrmonatige stationäre Behandlung im Krankenhaus an. Außer einem Attest der Gemeindebehörde für Gesundheitswesen O liegen darüber keine weiteren Krankenunterlagen vor.
S führte in seinem im Auftrag der Beklagten erstellten Gutachten vom 8. Juli 2014 aus, bei weitgehend verheilten Unfallfolgen auf unfallchirurgischem Gebiet sei eine MdE von 10 vH anzunehmen. Allerdings sei es bei einer vom Kläger angegebenen Stauungsdermatitis bei bekannter Varikosis durch den Unfall zu einer deutlichen Verschlechterung gekommen, weshalb die Einholung eines angiologischen Gutachtens empfohlen werde.
Die Beklagte folgte dieser Empfehlung und holte ein angiologisches Gutachten bei H ein. Dieser führte in seinem Gutachten vom 29. April 2015 sowie mit ergänzender Stellungnahme vom 4. September 2015 die beim Kläger bestehende chronisch-venöse Insuffizienz mit chronisch rezidivierenden Geschwüren am rechten Unterschenkel auf den 1970 erlittenen Unfall zurück und bewertete die Folgen mit einer MdE von 30 vH.
Mit Bescheid vom 13. März 2017 bewilligte die Beklagte dem Kläger beginnend ab 1. Januar 2007 eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 30 vH. Als Unfallfolgen erkannt sie an: „Bewegungseinschränkung des rechten Hüftgelenks und geringgradig ausgeprägte Arthrose der rechten Hüfte, Beckenschiefstand von 1 cm rechts gegenüber links, eine Weichteilminderung des rechten Unterschenkels, eine chronisch venöse Insuffizienz mit chronisch rezidivierenden Geschwüren am rechten Unterschenkel so-wie eine vermehrte Sklerosierung der Facettengelenke LWK 4/5 und LWK 5/LWS 1 nach unverschobener LWK 5-Fraktur, Symphysenverletzung mit Fraktur im Sitzbein-bereich sowie Beckenringfraktur beidseits und unverschobener Fissur Tibiaschaft rechts am 01.11.1970." Nicht als Unfallfolge anerkannt wurden: „Protrusion der Bandscheibe LWK 4/5, Arthrose der rechten Hüfte bei cervical-acetabulärem Impingement, Varicosis rechter Unterschenkel, Diabetes mellitus, arterieller Hypertonus."
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend. Die MdE sei mit 30 vH zu niedrig bemessen, auch die Protrusion der Bandscheibe sei als Unfallfolge anzuerkennen. Im weiteren Verlauf des Widerspruchsverfahrens machte der Kläger ergänzend geltend, der Unfall und die nachfolgende Behandlung in der U hätten zu erheblichen Schmerzen und psychischen Folgen geführt, welche nicht ausreichend gewürdigt worden seien.
Auf Nachfrage der Beklagten führten S und R1 in einer (ergänzenden) Stellungnahme vom 26. Juni 2018 aus, unfallchirurgisch-orthopädisch seien nur marginale Unfallfolgen festzustellen, die mit einer MdE von 10 vH korrekt bewertet seien. Gefäßchirurgisch sei - trotz fehlender Anknüpfungstatsachen aufgrund fehlender medizinischer Unterlagen aus R - die gesamten Durchblutungsstörungen der Beine mit einer MdE von 30 vH bewertetet worden. Dies möge „per se“ gerechtfertigt sein, man dürfe es aber zur Kausalität nicht hinterfragen. Der Bandscheibenvorfall sei im Juli 2008 aufgetreten und könne keine Unfallfolge des 28 Jahre zurückliegenden Unfalls sein, denn eine Schädigung des Bandscheibenvorfaches L 4/5 durch den Unfall im Jahr 1970 sei nicht annähernd belegt. Der Bandscheibenvorfall sei eindeutig als unfallunabhängig zu sehen.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens legte der Kläger eine aus dem R übersetzte ärztliche Bescheinigung vor, wonach er im September 1971 als Folge der betrieblichen Verletzung wegen u.a. Reizbarkeit in stationärer nervenärztlicher Behandlung war, wobei der Zustand nach Entlassung als befriedigend mit abgeschlossener Therapie bezeichnet wurde.
Die Beklagte holte Auskünfte bei den behandelnden Ärzten W (früherer Hausarzt des Klägers) und F (aktueller Hausarzt) ein. F teilte unter dem 19. Oktober 2018 mit, neben multiplen somatischen Beschwerden seien auch psychische Beschwerden Beratungsanlass gewesen, hier insbesondere mit den Themen Einschränkung der Leistungs- und Erwerbsfähigkeit wegen dauernder Schmerzen, anhaltende Integrationsprobleme in Deutschland, die schwere Krankheit der Ehefrau. Es handele sich um reaktive psychische Beschwerden. Befundberichte über psychiatrische Erkrankungen lägen nicht vor, existierten soweit bekannt auch nicht. Der Hausarzt W berichtete unter dem 5. November 2018, er habe den Kläger bis Januar 2010 betreut und erinnere sich an die schlecht heilenden Wunden am rechten Unterschenkel des Klägers. Es habe sich, wenn er sich recht erinnere, um Kriegsverletzungen im Tschetschenienkrieg gehandelt. Der Kläger sei durch Kriegsereignisse und die daraus folgenden Verletzungen psychisch und physisch traumatisiert.
Die Beklagte holte in Bezug auf die geltend gemachten Unfallfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet eine beratungsärztliche nervenärztliche Stellungnahme bei T1 der Nklinik B-Kliniken B1, B2, ein, der am 15. November 2018 darlegte, es sei keine initiale psychische Beeinträchtigung dokumentiert. Es fänden sich keine Brückensymptome, sondern umgekehrt umfangreiche unfallunabhängige lebensgeschichtliche Belastungen. Es ergäben sich keine Hinweise auf unfallbedingte psychische Gesundheitsstörungen. Eine gutachterliche Untersuchung sei nicht angezeigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2019 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein Zusammenhang zwischen dem Bandscheibenvorfall L4/5 bzw. einem psychischen Krankheitsbild und dem Arbeitsunfall sei nicht hinreichend wahrscheinlich.
Hiergegen hat der Kläger am 12. März 2019 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, er habe nach dem Arbeitsunfall sechs Monate im Krankenhaus gelegen und danach Probleme mit der kompletten rechten Körperhälfte gehabt. Dadurch sei er nicht in der Lage gewesen, seiner ursprünglichen Tätigkeit nachzugehen, was wiederum in finanziellen Problemen gemündet habe. Nach einem zweiten Unfall im Jahr 1976 (Verlust des mittleren Fingers der rechten Hand) sei es ihm zeitweise wieder sehr schlecht gegangen, so dass er 1977 erneut habe in psychiatrische Behandlung gehen müssen. Des Weiteren sei er wegen seines stark „schmerzenden und ständig wundoffenen rechten Beines einen längeren Zeitraum bei W in psychiatrischer Behandlung“ gewesen. 2018 habe seine Frau wegen Herzproblemen den größten Teil des Jahres im Krankenhaus gelegen. Er habe sich deswegen bei F in psychiatrische Behandlung begeben. Im April 2019 hat das SG dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mitgeteilt, dass von Amts wegen keine Ermittlungen beabsichtigt seien und auf § 109 SGG hingewiesen. Geplante Termine zur mündlichen Verhandlung hat das SG mehrfach wegen Verhinderung des Prozessbevollmächtigten des Klägers verschieben müssen. In der mündlichen Verhandlung vom 1. März 2021 hat der Kläger hilfsweise die Einholung eines Gutachtens gem. § 109 SGG bei B3 beantragt.
Mit Urteil vom 1. März 2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Den hilfsweise gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Gutachtens gem. § 109 GG hat das SG mit der Begründung abgelehnt, dieser sei grob nachlässig verspätet gestellt worden.
Gegen dieses am 6. März 2021 zugestellte Urteil hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 6. April 2021 die vorliegende Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er dargelegt, der Kläger haben einen Anspruch auf einen höheren „GdB“. Durch Einholung eines psychiatrischen/psychologischen Gutachtens werde ohne weiteres der Beweis geführt werden, dass der psychisch labile Zustand des Klägers auf der posttraumatischen Belastungsstörung, die kausal auf die Unfälle zurückzuführen sei, beruhe. Der Berufungsbeklagten werde angeboten, die Sache dahingehend außergerichtlich durch zu regeln, dass bei Feststellung „einer GdB in Höhe von 60 %“ (sic!) eine Erledigungserklärung unter gegenseitiger Aufhebung der Kosten abgegeben werden könne. Sollte es nicht möglich sein, „eine vom Kläger begehrte GdB über 50 festzustellen“, so sei es notwendig, dass ein psychiatrisches/psychologisches Gutachten eingeholt werde.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 1. März 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2019 zu verurteilen, ihm ab dem 1. Oktober 2007 eine Verletztenrente nach mindestens einer MdE von mindestens 50 vH zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das Urteil des SG für zutreffend und hat darauf verwiesen.
Den erstinstanzlich hilfsweise gestellten Antrag gem. § 109 SGG hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der Berufungsschrift vom 6. April 2021 nicht weiterverfolgt. Auf eine explizite Nachfrage des Senats vom 21. April 2021, ob der Antrag gem. § 109 SGG im Berufungsverfahren gestellt werde, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers zunächst nicht reagiert. Da eine Reaktion auch nach Erinnerung durch den Senat vom 26. Mai 2021 ausblieb, hat der Senat die Beteiligten mit Schreiben vom 11. Juni 2021 zu einer beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG angehört. Hieraufhin hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 24. Juni 2021 beantragt, den Sachverständigen, B3, U-Klinik T, wie bereits in der ersten Instanz beantragt, zu hören und das erforderliche Gutachten einzuholen. Mit Schreiben vom 25. Juni 2021 hat der Senat hieraufhin die Einholung des beantragten Gutachtens gem. § 109 SGG davon abhängig gemacht, dass der Kläger die voraussichtlichen Kosten in Höhe von 2.500,00 € bis 23. Juli 2021 vorschießt und die beigefügte Kostenverpflichtungserklärung ausgefüllt und unterschrieben zurücksendet. Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2021 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gebeten, das Gutachten von B3 durchführen zu lassen. Nachdem der Senat bis 3. August 2021 weder den Eingang des angeforderten Kostenvorschusses noch der angeforderten Kostenverpflichtungserklärung feststellen konnte, hat er den Prozessbevollmächtigten des Klägers über die Absicht informiert, nunmehr über die Berufung durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 SGG zu entscheiden. Es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 2. September 2021 eingeräumt. Mit Schreiben vom 11. August 2021 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers sodann unter Vorlage eines Überweisungsbelegs mitgeteilt, er habe den angeforderten Kostenvorschuss (nunmehr) am 10. August 2021 überwiesen. Hieraufhin hat ihm der Senat mit Schreiben vom 12. August 2021 mitgeteilt, dass an der Ansicht festgehalten wird, über den Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zu entscheiden.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
1.)
Nach § 153 Abs. 4 SGG kann der Senat – nach vorheriger Anhörung der Beteiligten – in Ausübung seines richterlichen Ermessens die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Den Beteiligten wurde im Vorfeld der Entscheidung Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Dabei hat der Senat den Kläger am 12. August 2021 sogar erneut zu einer Entscheidung durch Beschluss angehört, nachdem dieser zuvor mitgeteilt hatte, den Kostenvorschuss nach § 109 Abs. 1 SGG nunmehr - wenn auch verspätet - eingezahlt zu haben. Durch diese Erklärung war eine neue prozessuale Lage entstanden, weswegen eine erneute Anhörung nötig war (vgl. BSG, Beschluss vom 14. November 2013, - B 9 SB 6/13 B -, juris Rn. 6). Die am 12. August 2021 verbliebene Stellungnahmefrist bis zum 2. September 2021 war auch ausreichend lang.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet.
Mit dem streitigen Bescheid der Beklagten vom 13. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Februar 2019 (§ 95 SGG), hat die Beklagte dem Kläger eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 30 vH gewährt. Trotz des Vortrags des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der Berufungsschrift, die „Voraussetzungen für eine GdB von über 50 %“ lägen vor, ist aus dem Gesamtzusammenhang unzweifelhaft zu erkennen, dass der Kläger keineswegs von der hierfür unzuständigen Beklagten die Feststellung eines GdB (also eines Grades der Behinderung) begehrt, sondern in der Sache eine Verletztenrente nach einer höheren MdE als 30 vH geltend macht. Das SG hat die hierauf gerichtete, zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) auf Gewährung einer Verletztenrente unter Berücksichtigung einer höheren MdE als 30 vH allerdings zu Recht abgewiesen.
Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, das dieses gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011, - B 2 U 5/10 R -, juris, Rn. 16). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (BSG, aaO). Betreffen die Unfallfolgen mehrere Körperteile und Organe, so ist das Gesamtbild aller Funktionseinschränkungen mit einem MdE-Wert im Ganzen zu würdigen, d. h. eine Gesamt-MdE zu bilden, wobei die Gesamt-MdE bei sich überlagerndem oder überschneidendem Funktionseinschränkungen geringer zu bemessen ist als die Summe der einzelnen MdE-Werte (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. März 2006 – L 17 U 178/04 –, Rn. 32, juris)
Von diesen Maßstäben ausgehend ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch den im Jahr 1970 erlittenen Unfall jedenfalls nicht um mehr als die bereits von der Beklagten zuerkannten 30 vH kausal gemindert worden. Der Senat stützt sich hierbei wie bereits das SG auf das unfallchirurgische Gutachten des S sowie auf das angiologische Gutachten des H. S hat in seinem Gutachten überzeugend dargelegt, dass die Unfallfolgen auf unfallchirurgischem Gebiet - welche er in der ergänzenden Stellungnahme vom 26. Juni 2018 als „marginal“ bewertete - weitgehend ausgeheilt sind und eine MdE von 10 vH bedingen. Die maßgebliche Beeinträchtigung sah S nachvollziehbar auf angiologischem Fachgebiet, nämlich in der beim Kläger bestehenden chronisch venösen Insuffizienz mit chronisch rezidivierenden Geschwüren. Diese hat H mit Gutachten vom 29. April 2015 und ergänzender Stellungnahme vom 4. September 2019 in sich schlüssig begründet mit einer MdE von 30 vH bewertet. Da die Beklagte die chronisch venöse Insuffizienz mit chronisch rezidivierenden Geschwüren bereits als Unfallfolge anerkannt hat, ist der Senat nicht zu einer Prüfung berufen, inwieweit diese Erkrankungen tatsächlich kausal auf den im Jahr 1970 erlittenen Unfall zurückgeführt werden können.
Der Senat folgt der Bewertung des SG, wonach die vom Gutachter S als „marginal“ bezeichneten Folgen auf unfallchirurgischem Fachgebiet vorliegend nicht dazu führen, dass die angiologisch bedingte MdE von 30 vH weiter erhöht werden kann. Vom Kläger selbst wurden auch gegenüber S hauptsächlich „Schmerzen im rechten Bein“ beklagt, welche in erster Linie durch die angiologischen Erkrankungen bedingt sind. Das Gutachten des S bietet hingegen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass auf unfallchirurgischem Fachgebiet Unfallfolgen verblieben sind, die eine eigenständige Funktionseinschränkung im MdE erhöhendem Umfang bedingen.
Soweit der Kläger eine höhere MdE mit den Folgen eines Bandscheibenvorfalls sowie mit psychischen Erkrankungen begründet hat, hat bereits das SG zutreffend und ausführlich begründet dargelegt, dass ein Kausalzusammenhang mit dem Unfall aus dem Jahr 1970 weder für die Bandscheibenvorfälle des Klägers noch für dessen geltend gemachte psychische Erkrankungen wahrscheinlich zu machen ist.
Eine Gesundheitsstörung ist Unfallfolge (im engeren Sinne) eines Versicherungsfalls im Sinne des § 8 SGB VII, wenn sie spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls wesentlich verursacht worden ist. Ob ein Gesundheitsschaden dem Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls als Unfallfolge im engeren Sinne zuzurechnen ist (sog. haftungsausfüllende Kausalität), beurteilt sich nach der Zurechnungslehre der Theorie der wesentlichen Bedingung (st. Rspr., vgl. stellvertretend BSG, Urteil vom 5. Juli 2011 - B 2 U 17/10 R -, BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr. 1 Rn. 28 ff. m.w.N.). Die Zurechnung erfolgt danach in zwei Schritten: Erstens ist die Verursachung der weiteren Schädigung durch den Gesundheitserstschaden im naturwissenschaftlich-naturphilosophischen Sinne festzustellen. Ob die Ursache-Wirkung-Beziehung besteht, beurteilt sich nach der Bedingungstheorie. Nach ihr ist eine Bedingung dann notwendige Ursache einer Wirkung, wenn sie aus dem konkret vorliegenden Geschehensablauf nach dem jeweiligen Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse (Erfahrungssätze) nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine-qua-non). Ist der Gesundheitserstschaden in diesem Sinne eine notwendige Bedingung des weiteren Gesundheitsschadens, wird dieser ihm aber nur dann zugerechnet, wenn er ihn wesentlich (ausreichend: mit-) verursacht hat. Die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Unfallfolge geltend gemachte, konkrete und klar definierte Gesundheitsstörung müssen iS eines Vollbeweises erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können. Hingegen genügt für die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R –, BSGE 96, 196-209, SozR 4-2700, § 8 Nr 17). Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Es genügt nicht, wenn der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich ist.
Unter Beachtung dieser Gesichtspunkte vermögen weder der dokumentierte Bandscheibenvorfall noch der psychisch labile Zustand des Klägers eine höhere MdE als die vom Beklagten zu Grunde gelegten 30 vH zu begründen.
Bezüglich des dokumentierten Bandscheibenvorfalls im Juli 2008 hat S klargestellt, dass dieser keine zumindest wahrscheinliche Folge des damals bereits 38 Jahre (soweit S einen zeitlichen Abstand von 28 Jahren annahm, handelt es sich um einen Rechenfehler) zurückliegenden Unfalls ist, da eine Schädigung des Bandscheibenvorfaches L 4/5 durch den Unfall im Jahr 1970 nicht annähernd belegt ist. Vielmehr wurde der Bandscheibenvorfall durch S als „eindeutig unfallunabhängig“ bewertet.
Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers einen höheren Rentenanspruch mit einer unfallbedingten posttraumatischen Belastungsstörung begründet, lässt sich bereits nicht mit ausreichender Sicherheit feststellen, dass der Kläger überhaupt an einer solchen Erkrankung leidet. Auch sonstige rentenrelevante psychische Erkrankungen sind nicht im Vollbeweis gesichert. Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (ICD-10; DSM IV) erforderlich (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, aaO). Bereits hieran fehlt es. Soweit der Kläger selbst vorgetragen hat, er habe sich bei Herrn W und F in „psychiatrischer Behandlung“ befunden, ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei beiden Ärzten um Allgemeinmediziner handelt. Nach Auskunft des Hausarztes F liegen beim Kläger reaktive psychische Beschwerden vor, eine primäre psychiatrische Erkrankung liegt hingegen nicht vor. Er hat zudem mitgeteilt, dass Befundberichte über psychiatrische Erkrankungen nicht vorliegen und soweit bekannt auch nicht existierten. Eine konsequente nervenärztliche Behandlung, die Anlass für weitere Ermittlungen geben könnte, ist damit nicht nachgewiesen.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass zudem auch ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall im Jahr 1970 und den geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen des Klägers bereits auf der ersten Stufe der Kausalitätsprüfung nicht hinreichend wahrscheinlich ist. Die im Widerspruchverfahren vorgelegte, aus dem R übersetzte ärztliche Bescheinigung, wonach der Kläger im September 1971 als Folge der betrieblichen Verletzung wegen u.a. Reizbarkeit in stationärer nervenärztlicher Behandlung war, bestätigt einen befriedigenden Zustand nach Entlassung mit abgeschlossener Therapie. Der Hausarzt F hat zwar mitgeteilt, dass neben multiplen somatischen Beschwerden auch psychische Beschwerden Beratungsanlass waren. Die von ihm mitgeteilten Themen, dauernde Schmerzen, anhaltende Integrationsprobleme in Deutschland und die schwere Krankheit der Ehefrau, lassen allerdings keinen konkreten Zusammenhang mit dem Unfall im Jahr 1970 erkennen. Gleiches gilt für die Auskunft des früheren Hausarztes W, der darüber berichtete, dass es sich bei den schlecht heilenden Wunden am rechten Unterschenkel des Klägers nach seiner Erinnerung um Kriegsverletzungen aus dem Tschetschenienkrieg handelt und der Kläger durch Kriegsereignisse und die daraus folgenden Verletzungen psychisch und physisch traumatisiert sei. T1 hat dementsprechend in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme überzeugend herausgearbeitet, dass umfangreiche unfallunabhängige lebensgeschichtliche Belastungen belegt sind und sich gerade keine Hinweise auf eine unfallbedingte psychische Gesundheitsstörung ergeben.
Ebenso wie das SG sieht der Senat vor diesem Hintergrund keinen Anlass für weitere Ermittlungen von Amts wegen.
Es gibt nach alledem keine Anhaltspunkte, die für eine MdE-Bewertung von mehr als 30 vH sprechen könnten. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die ausführliche und überzeugende Argumentation des SG verwiesen, die sich der Senat nach eigener Prüfung zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG).
2.)
Der Antrag des Klägers, ein Gutachten gemäß § 109 Abs. 1 SGG bei B3 einzuholen, ist abzulehnen. Nach § 109 Abs. 1 S. 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Nach Abs. 2 der Vorschrift kann das Gericht den Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für die Ablehnung des Antrags nach § 109 Abs. 2 SGG erfüllt.
Den erstinstanzlich hilfsweise gestellten Antrag gem. § 109 SGG, den das SG als grob nachlässig verspätet gestellt abgelehnt hat, hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der Berufungsschrift vom 6. April 2021 zunächst nicht weiterverfolgt. Ein erstinstanzlich gestellter Antrag gem. § 109 SGG wirkt jedoch im Berufungsverfahren nicht weiter, sondern muss neu gestellt werden (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, Rn. 11b). Selbst auf eine explizite Nachfrage des Senats vom 21. April 2021, ob der Antrag gem. § 109 SGG im Berufungsverfahren gestellt werde, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers - trotz Erinnerung - zunächst nicht reagiert. Erst nach Ankündigung einer Entscheidung gemäß § 153 Abs. 4 SGG wurde dann im Berufungsverfahren am 24. Juni 2021 ein wirksamer Antrag gem. § 109 SGG gestellt, über den der Senat zu entscheiden hat. Hieraufhin hat der Senat die Einholung dieses Gutachtens mit Schreiben vom 25. Juni 2021 davon abhängig gemacht, dass der Kläger die voraussichtlichen Kosten in Höhe von 2.500,00 € bis 23. Juli 2021 vorschießt und die beigefügte Kostenverpflichtungserklärung ausgefüllt und unterschrieben zurücksendet. Entgegen der eindeutigen und unmissverständlichen Fristsetzung hat der Kläger bis 23. Juli 2021 keinen Kostenvorschuss erbracht und auch die angeforderte Entbindungserklärung nicht unterschrieben. Die Zahlung des gem. § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG angeforderten Vorschusses ist eine prozessuale Obliegenheit. Sie kann nicht erzwungen werden, sondern die Nichtzahlung führt zu dem Rechtsnachteil, dass die Einholung des Gutachtens unterbleibt (Kühl in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 109 SGG [Gutachterliche Anhörung eines bestimmten Arztes], Rn. 11). Wird der Kostenvorschuss nicht fristgerecht eingezahlt, ist § 109 Abs. 2 SGG anwendbar (vgl. Keller, aaO, § 109 SGG, Rn. 14c; Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 109 SGG, Stand: 12.04.2021, Rn. 21). Konkret bedeutet dies, dass das Gericht einen Antrag gem. § 109 Abs. 2 SGG ablehnen kann, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und die Zahlung des Kostenvorschusses nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher erfolgt ist.
Die Einholung des beantragten Gutachtens würde hier eine mehrmonatige Verzögerung des entscheidungsreifen Rechtsstreits bedingen.
Von grober Nachlässigkeit ist im Rahmen des § 109 Abs. 2 SGG dann auszugehen, wenn das Gericht den Hinweis bzw. die Anhörung mit einer Fristsetzung verbindet und der Verfahrensbeteiligte – ohne ggf. Fristverlängerung zu beantragen – diese Frist verstreichen lässt. Fehlt es an einer Fristsetzung, ist von grober Nachlässigkeit dann auszugehen, wenn der Verfahrensbeteiligte nach Erkennbarkeit länger als einen Monat untätig bleibt (vgl. Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 109 SGG, Stand: 12.04.2021, Rn. 32, mwN). Vorliegend ist damit die nicht fristgerechte Zahlung des angeforderten Vorschusses als grobe Nachlässigkeit zu bewerten. Nachdem bereits das SG den erstinstanzlichen Antrag gem. § 109 Abs. 2 SGG wegen grober Nachlässigkeit abgelehnt hat und der Senat mangels wirksamer Stellung eines Antrags gem. § 109 SGG bereits mit Schreiben vom 11. Juni 2021 eine verfahrensbeendende Entscheidung angekündigt hatte, stellt das kommentarlose verstreichen lassen einer gerichtlichen Frist - ohne begründeten Antrag auf Fristverlängerung - ein grob nachlässiges Verhalten dar. Ein Prozessbevollmächtigter hat selbst zu prüfen, ob ein im Rahmen des § 109 SGG angeforderter Kostenvorschuss fristgerecht bei Gericht eingezahlt worden ist; tut er dies nicht, ist grobe Nachlässigkeit anzunehmen (so bereits Urteil des erkennenden Senats vom 28. November 2005 – L 1 U 719/05 –, juris). Hieran vermag die erst nach erneutem Hinweis auf eine Entscheidung gem. § 153 Abs. 4 SGG veranlasste, am 12. August 2021 und damit verfristet eingegangene Zahlung des Kostenvorschusses nichts mehr zu ändern. Die Entscheidung durch Beschluss über die Berufung hätte dann nicht mehr in der angekündigten Zeit nach dem 2. September 2021 ergehen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.