Die Berufungen der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. April 2020 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Kläger begehren Kostenerstattung für Maßnahmen präimplantativer genetischer Diagnostik (Präimplantationsdiagnostik - PID).
Der 1984 geborene Kläger und die 1988 geborene Klägerin sind bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Ihr erstes 2017 geborenes Kind verstarb bereits 2017 an einer schwer verlaufenden Form der Citrullinämie Typ I (CTLN1), einem vererbten Defekt im Harnstoffzyklus, klinisch gekennzeichnet durch Hyperammonämie, progrediente Lethargie, schlechte Nahrungsaufnahme, Erbrechen, Krämpfe und eventuell Bewusstseinsverlust. Die anschließend durchgeführten molekulargenetischen Analysen ergaben, dass beide Kläger heterozygote Anlageträger der familiären ASS1-Veränderung c.1168G>A.p.(Gly390Arg) sind, die bei ihrer verstorbenen Tochter festgestellt wurde. Das Vorliegen dieser Mutation im heterozygoten Status führt nicht zur Ausprägung des klinischen Bildes der CTLN1.
Am 12. Februar 2018 beantragten die Kläger die Kostenübernahme für eine PID, die im Rahmen einer künstlichen Befruchtung durchgeführt werden solle. H der Stoffwechselambulanz des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin des Uklinikums H, gab im beigelegten Arztbrief vom 30. Januar 2018 u.a. an, die detektierte Variante p.(Gly390Arg) sei eine häufige Variante bei Patienten mit Citrullinämie Typ I und gehe mit einem schweren klinischen Verlauf einher. Da beide Elternteile Träger dieser Variante seien, liege das Risiko eines betroffenen Kindes bei einer weiteren Schwangerschaft bei 25 %. Der klinische Verlauf von Geschwistern mit demselben Genotyp sei ähnlich, so dass auch für weitere Kinder der Kläger mit einer schweren Verlaufsform der CTLN1 zu rechnen sei. Angesichts des schweren, für die Familie sehr traumatischen Krankheitsverlaufes der verstorbenen Tochter sei das Austragen eines weiteren möglicherweise betroffenen Kindes für die Familie nicht denkbar. Eine Pränataldiagnostik wäre möglich; die Kläger wünschten aber keinen Schwangerschaftsabbruch. Die PID stelle eine mögliche Option dar. Ergänzend legten die Kläger die Befundberichte des Zentrums für Humangenetik, I. vom 24. und 25. Januar 2018, ein Formblatt des Klinikums über die Durchführung der PID mit ICSI (intracytoplasmatische Spermieninjektion) bei Selbstzahlern sowie ein Informationsschreiben des PID-Zentrums des Uklinikums H vor, in dem u.a. auf den notwendigen Antrag bei der Ethikkommission der Ärztekammer Baden-Württemberg und die möglichen Kosten einer PID hingewiesen wurde sowie darauf, dass die Leistungen zur Durchführung einer PID keine Krankenkassenleistungen seien. Ein Antrag auf Kostenerstattung sei dennoch in vielen Fällen sinnvoll.
In dem daraufhin eingeholten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 19. Februar 2018 führte D aus, gesetzlich sei eine PID unter engen Voraussetzungen nach Zustimmung einer Ethikkommission erlaubt. Es handle sich aber um eine diagnostische Methode, die noch nicht in die vertragsärztliche Versorgung Eingang gefunden habe. Eine Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss sei noch nicht erfolgt. Ziel der Methode sei es, Schwangerschaften sowie Geburten schwer erkrankter Kinder zu vermeiden. Im Falle einer auf natürlicher Weise zustanden gekommene Schwangerschaft könne die als notwendig anzusehende pränatale Diagnostik als Chorionzottenbiopsie oder im Rahmen einer Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung) als Sachleistung der Krankenversicherung durchgeführt werden. Eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung liege gegenwärtig nicht vor. Etablierte Verfahren der pränatalen Diagnostik stünden bei hier fehlender männlicher Infertilität zur Verfügung und könnten zur Anwendung kommen. Die Kläger wollten aus weltanschaulichen Gründen diese diagnostische Methode nicht in Anspruch nehmen.
Mit an den Kläger adressierten Bescheid vom 26. Februar 2018 lehnte die Beklagte nach vorheriger telefonischer Mitteilung die beantragte Kostenübernahme unter Übernahme des Gutachtensergebnisses ab. Eine akut lebensbedrohliche notstandsähnliche Situation liege nicht vor und trete auch durch die Nicht-Anwendung der begehrten Methode nicht ein.
Zur Begründung des hiergegen mit Schreiben der Klägerin vom „15.05.2018“ (richtig 15. März 2018) am 19. März 2018 erhobenen Widerspruches verwies diese auf die Ausführungen der H über das Risiko eines betroffenen Kindes von 25 % bei erneuter Schwangerschaft. Insofern liege durchaus eine lebensbedrohliche Erkrankung bei einem Neugeborenen mit demselben Genotyp vor, für die – wie bei der verstorbenen Tochter – keine allgemeine, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung bestehe. Zwar könne die Schwangerschaft im Falle einer Krankheit abgebrochen werden. Wegen des für sie traumatischen Verlustes ihrer Tochter wünschten sie, die Kläger, aber keinen Schwangerschaftsabbruch. Die Beklagte wurde gebeten, einen Ausnahmefall zu prüfen und sie, die Kläger, bei dieser Behandlung zu unterstützen.
In einem daraufhin eingeholten weiteren MDK-Gutachten vom 11. April 2018 bestätigte F das Ergebnis des Vorgutachtens und wies ergänzend darauf hin, dass es sich bei der PID nicht um eine Krankenbehandlung i.S. des § 27 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) handle. Darüber hinaus sei die PID auch nicht als Indikation in Zusammenhang mit der Durchführung einer In-vitro-Fertilisation/intrazytoplasmatische Spermieninjektion (IVF/ICSI-Behandlung) in den maßgeblichen Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung (Richtlinien über künstliche Befruchtung) aufgeführt.
Mit an den von der Klägerin für das Widerspruchsverfahren Bevollmächtigten gerichtetem Schreiben vom 2. Mai 2018 teilte die Beklagte unter Darlegung insbesondere des Inhalts des letzten MDK-Gutachtens mit, dem Widerspruch „der Familie“ könne nicht abgeholfen werden. Wenn der Widerspruch zurückgenommen werde, dann werde kein Widerspruchsbescheid ergehen.
In der Folge legten die Kläger die der Klägerin erteilte Zustimmung der Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik bei der Landesärztekammer Baden-Württemberg vom 31. Juli 2018 zu einer PID vor. Nachdem der Kläger eine Kostenübernahme für die PID angemahnt hatte, informierte die Beklagte bei persönlichen Vorsprachen am 10. August und 17. September 2018 die Klägerin über die Möglichkeiten einer Kostenübernahme für eine künstliche Befruchtung, bestätigte aber ihre Ablehnung der Kostenübernahme für die PID.
In der weiteren Widerspruchsbegründung durch den Bevollmächtigten, der sich nun auch ausdrücklich für den Kläger legitimierte, begehrten die Kläger die Aufhebung des Bescheides vom 26. Februar 2018 und die Gewährung einer PID als Sachleistung. Trotz der Adressierung nur an den Kläger sei der Vorgang so auszulegen, dass die Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides vom 26. Februar 2018 auch an die Klägerin erfolgt sei. Der Widerspruch der Klägerin vom 15. März 2018 habe sich natürlich auf beide Kläger bezogen, die auch beide die Leistung beantragt hätten. Sollte die Beklagte der Auffassung sein, dass der Widerspruch nicht zulässig sei, werde nun ein neuer Antrag auf Kostenübernahme für eine PID gestellt. Entgegen der Annahme im Ablehnungsbescheid sei es der Klägerin gerade nicht mehr möglich, auf natürlichem Wege schwanger zu werden. Nach der traumatischen Erfahrung mit der ersten Tochter sei ihnen, den Klägern, ein gegebenenfalls nach pränataler Diagnose möglicher Schwangerschaftsabbruch nicht zumutbar. Die Ethikkommission habe ihre Zustimmung erteilt. Ihnen sei zwar bekannt, dass das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 18. Januar 2014 – B 1 KR 19/13 R) die Kostenübernahme der PID durch die gesetzlichen Krankenkassen grundsätzlich abgelehnt habe. Dennoch müsse es in Einzelfällen Ausnahmen geben.
Mit E-Mail vom 1. Oktober 2018 übersandte die Beklagte der Klägerin eine an sie adressierte, mit Rechtsbehelfsbelehrung versehene „Ausfertigung der Ablehnung“ mit der Bitte um Einreichung des „Widerspruches analog zu Ihrem Schreiben vom 15.03.2018“. Die auf den 1. Oktober 2018 datierte, auch im Original auf dem Postweg übersandte Ablehnung entsprach wortgleich dem Ablehnungsbescheid vom 26. Februar 2018.
Mit Schriftsatz ihrer neuen Bevollmächtigten vom 31. Oktober 2018 hielten die Kläger ausdrücklich den Widerspruch vom 15. März 2018 aufrecht und erhoben Widerspruch auch gegen den Bescheid vom 1. Oktober 2018. Das BSG habe zwar im Urteil vom 18. Januar 2014 (B 1 KR 19/13 R) entschieden, dass die PID nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre. Dennoch bestehe vorliegend ein Anspruch auf Kostenübernahme nach den Grundsätzen des sog. „Nikolausbeschlusses“. Der bei ihnen beiden, den Klägern, vorliegende Gendefekt stelle eine lebensbedrohliche Erkrankung dar, für die keine allgemein anerkannte Behandlung zur Verfügung stehe.
Am 11. Dezember 2018 führte das Uklinikum H eine Vorbereitung einer PID durch.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2019 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin „vom 31. Oktober 2018 gegen den Bescheid … vom 1. Oktober 2018“ und mit Widerspruchsbescheid vom selben Tag den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 26. Februar 2019 jeweils als unbegründet zurück. Die PID zähle nicht zu den Maßnahmen der künstlichen Befruchtung. Eine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses sei bisher nicht erfolgt. Ein Ausnahmetatbestand i.S. des § 2 Abs. 1a SGB V liege nicht vor. Es handele sich schon nicht um eine Krankenbehandlung.
Am 5. März 2019 erhoben der Kläger (S 16 KR 1051/19) und die Klägerin (S 17 KR 1052/19) Klagen beim Sozialgericht Stuttgart (SG), gerichtet auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer PID als Sachleistung. Durch Beschluss vom 10. April 2019 verband das SG beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 16, später S 28 KR 1051/19.
Am 5. März 2019 bewilligte die Beklagte der Klägerin auf den Behandlungsplan der U-Frauenklinik H vom 5. März 2019 eine Kostenübernahme für eine künstliche Befruchtung im Umfang von 50 % für maximal sechs Zyklen.
Am 10. April und 12. Juli 2019 führte das Uklinikum H jeweils eine PID durch. Künstliche Befruchtungen erfolgten am 3./5. April 2019 und am 5./8. Juli 2019. Die Abrechnung der Leistungen der künstlichen Befruchtung erfolgte nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) und wurde von der Beklagten unter Berücksichtigung des Eigenanteils der Klägerin getragen. Gleiches gilt für eine Behandlung des Klägers am 3. April 2019.
Zur Begründung ihrer Klagen wiederholten die Kläger ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend führten sie aus, die Beklagte sei, nachdem sie die Kosten für eine künstliche Befruchtung übernommen habe, nun verpflichtet, auch die Kosten einer PID zu übernehmen. Diese seien von § 27a SGB V umfasst. Der hier bestehende Anspruch auf Leistungen zur künstlichen Befruchtung stelle einen Unterschied zu dem im Urteil des BSG vom 18. November 2014 entschiedenen Fall dar.
Die Beklagte trat den Klagen unter Verweis auf die Gründe der angefochtenen Bescheide entgegen. Unabhängig von einem positiven Votum der Ethikkommission gehöre die PID nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Die PID stelle keine auf die CTLN1, deren Träger die Kläger seien, gerichtete Krankenbehandlung dar, ebenso wenig sei sie auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft oder der Zeugungsfähigkeit gerichtet.
Nach Anhörung der Beteiligten wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 3. April 2020 die Klagen ab. Die Beklagte sei nicht zur Kostenübernahme für eine PID als Sachleistung verpflichtet. Die Entscheidung der Ethikkommission vom 31. Juli 2018 begründe keinen Anspruch auf Kostenübernahme für eine PID, sondern ermögliche nur deren straffreie Durchführung. Die PID ziele als Maßnahme weder auf die Heilung oder Linderung eines Leidens der Kläger i.S. einer Krankenbehandlung nach § 27 SGB V ab noch auf Herbeiführung einer Schwangerschaft i.S. des § 27a SGB V. Maßnahmen der künstlichen Befruchtung könnten des Weiteren auch ohne PID erfolgen. Es liege im Rahmen der grundsätzlichen Freiheit des Gesetzgebers, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung näher zu bestimmen. Ein Anspruch nach § 2 Abs. 1a SGB V scheide aus. Dieser solle die Heilungschancen bei lebensbedrohlichen Krankheiten erhöhen. Demgegenüber diene die PID der Untersuchung und der Auslese von künstlich befruchteten Eizellen.
Gegen diesen ihnen am 9. April 2020 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 11. Mai 2020 (Montag) Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Ihr Begehren haben sie auf Erstattung der für die PID gezahlten Kosten umgestellt und auf 12.183,13 € beziffert. Hierzu haben sie Rechnungen des Uklinikums H vom 10., 27. und 28. Mai, 11. Juni und 15. Oktober 2019 sowie 25. Februar, 17. und 18. September 2020 vorgelegt; auf Bl. 44/62 der Senatsakte wird insoweit Bezug genommen.
Die Kläger beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. April 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Februar 2018 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 4. Februar 2019 zu verurteilen, ihnen Kosten für die Präimplantationsdiagnostik im Uklinikum H in Höhe von 6.401,80 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Des Weiteren habe das Bundesgesundheitsministerium 2019 Pläne gestoppt, umstrittene Gen-Analysen bei künstlichen Befruchtungen zur Kassenleistung zu machen. Es werde weiter beraten, ob die PID in Ausnahmefällen von den Krankenkassen bezahlt werden solle. Zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung habe sie jedoch nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehört.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegten Berufungen der Kläger sind nach §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulässig. Denn die von den Klägern begehrte Erstattung in Höhe von 12.183,13 € übersteigt den Beschwerdewert von 750,00 €.
2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nicht mehr das Begehren der Kläger auf Erbringung der PID als Sachleistung. Dieses haben sie im Berufungsverfahren zulässig (§§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG) auf Kostenerstattung für die durchgeführten Maßnahmen der PID geändert. Nicht Gegenstand sind hingegen Kosten für die beiden durchgeführten Versuche der künstlichen Befruchtung. Diese Kosten hat die Beklagte in gesetzlichem Umfange unter Berücksichtigung des Eigenanteils der Versicherten (vgl. § 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V) übernommen. Dies ergibt sich aus dem bewilligten Behandlungsplan, der Kostenübernahmeerklärung vom 5. März 2019 und den vorgelegten Rechnungen des Uklinikums H vom 27. und 28. Mai 2019 sowie 25. Februar 2020 über nach dem EBM abgerechnete ambulante Leistungen (Bl. 66/71 der Senatsakte). Zwar haben die Kläger auch diese Rechnungen vorgelegt und die dort ausgewiesenen Beträge in die bezifferte Klageforderung eingestellt. Dabei gingen sie jedoch erkennbar davon aus, dass die Rechnungen sich auf PID-Leistungen bezogen. Denn zu keinem Zeitpunkt haben die Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme auch der gesetzlich vorgesehenen Eigenanteile an den Leistungen zur künstlichen Befruchtung geltend gemacht. Ein solches Begehren war des Weiteren weder Gegenstand der angefochtenen Bescheide der Beklagten noch des Gerichtsbescheids des SG. Auch der im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 15. März 2021 formulierte Antrag („12.183,13 € als Kosten für die Präimplantationsdiagnostik“) zeigt, dass eine diesbezügliche Klageerweiterung nicht beabsichtigt war, sondern lediglich die streitbefangenen Kosten für Maßnahmen der PID (i.H.v. tatsächlich insgesamt 6.401,80 € = 4.994,10 € <Vorbereitung der PID am 11. Dezember 2018 mit Rechnung vom 15. Oktober 2019> + 402,20 € <PID monogen am 10. April 2019 mit Rechnung vom 28. Mai 2019> + 1.005,50 € <PID monogen am 12. Juli 2019 mit Rechnung vom 15. Oktober 2019>) – insoweit unrichtig – beziffert werden sollten. Dementsprechend hat die Prozessbevollmächtigte der Kläger den Antrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf 6.401,80 € berichtigt.
Streitbefangen ist für beide Kläger der Bescheid vom 26. Februar 2018 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2019 (§ 95 SGG). Auch wenn im Adressfeld des Bescheides vom 26. Februar 2018 lediglich der Kläger bezeichnet wurde, richtete er sich bei Auslegung nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont an beide Kläger. Für die Auslegung von Verwaltungsakten i.S. des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gelten die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften des §§ 157, 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprechend. Maßgeblich ist insofern der objektive Sinngehalt der Erklärung, wie ihn der Empfänger der Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen musste (Luthe, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, Stand Oktober 2021, § 31 Rn. 26). Am 12. Februar 2018 beantragten beide Kläger unter Vorlage des sie beide betreffenden Arztbriefes von H und der Befundberichte des Zentrums für Humangenetik vom 25. Januar 2018 mit dem Hinweis, dass sie beide Träger des Gendefektes seien, die Kostenübernahme für eine PID. Eine Beschränkung des Antrags auf einen Elternteil erfolgte nicht. Diesen gemeinschaftlichen Antrag lehnte die Beklagte mit dem Bescheid vom 26. Februar 2018 insgesamt ab. Erkennbar wollte sie damit über das gesamte beantragte Begehren entscheiden. Eine Beschränkung auf den Kläger enthielt der Bescheid nach seinem Inhalt nicht. Es wurde keine gesonderte Entscheidung über den Antrag der Klägerin in Aussicht gestellt oder die Unzulässigkeit ihres Antrags angenommen. Auch im Schreiben vom 2. Mai 2018 ging die Beklagte davon aus, dass der Ablehnungsbescheid gegenüber beiden Klägern ergangen war. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut („Widerspruch der Familie“; „hat die Familie die Kostenübernahme für die Präimplantationsdiagnostik beantragt“; „Dies wurde der Familie … telefonisch sowie im Ablehnungsschreiben vom 26. Februar 2018 schriftlich mitgeteilt“). Tatsächlich hat die Klägerin den Bescheid vom 26. Februar 2018 auch als einen ihr gegenüber ergangenen Ablehnungsbescheid verstanden. Denn sie war es, die das Widerspruchsschreiben vom 15. März 2018 unterschrieb, ohne dabei ausschließlich im Namen ihres Ehemannes zu handeln. Vielmehr stellte sie ausdrücklich klar, dass beide Kläger keinen Schwangerschaftsabbruch wünschten und die Beklagte bäten, einen Ausnahmefall zu prüfen und sie, die Kläger, bei dieser Behandlung zu unterstützen.
Bei dem „Bescheid“ vom 1. Oktober 2018 handelt es sich hingegen lediglich um eine sog. wiederholende Verfügung, die wegen fehlender Rechtsfolgensetzung keine Regelung und damit kein Verwaltungsakt i.S. des § 31 Satz 1 SGB X ist (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2016 – B 5 R 26/15 R – juris, Rn. 19). Zwar war das Schreiben vom 1. Oktober 2018 mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, inhaltlich wurde in diesem hingegen keine eigenständige Regelung getroffen. Vielmehr entsprach es wortgleich dem Ablehnungsbescheid vom 26. Februar 2018. Der gesamte Vorgang nach diesem Ablehnungsbescheid (insbesondere das zweite MDK-Gutachten, die Ausführungen im Schreiben vom 2. Mai 2018, der Vortrag der Klägerin über die nicht bestehende Möglichkeit einer natürlichen Schwangerschaft, die Zustimmung der Ethikkommission) fanden keinerlei Erwähnung. Dies zeigt, dass es sich inhaltlich nicht um eine neue Entscheidung handelt. Da bereits der Ablehnungsbescheid vom 26. Februar 2018, wie dargelegt, auch gegenüber der Klägerin erging, handelt es sich nur um eine wiederholende Verfügung und nicht um einen Zweitbescheid (vgl. hierzu BSG, a.a.O., Rn. 21 f.).
3. Die Berufungen der Kläger sind nicht begründet. Das SG hat die Klagen zu Recht abgewiesen. Keiner der Kläger hat Anspruch auf Kostenerstattung für die durchgeführten Maßnahmen der PID. Weder hat die Beklagte die Leistung zu Unrecht abgelehnt (dazu a) noch besteht ein Anspruch auf Kostenerstattung aufgrund einer Genehmigungsfiktion (dazu b).
a) Keiner der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrte Kostenerstattung.
aa) Nach § 13 Abs. 1 SGB V darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 SGB V) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) vorsieht. Eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V hatte keiner der Kläger gewählt, was sie selbst auch nicht geltend machen.
bb) Ein Kostenerstattungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
(1) Eine Unaufschiebbarkeit im Sinne der 1. Alternative scheidet vorliegend aus. Nach der Normstruktur des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V besteht diese Regelung in Abgrenzung zur 2. Alternative um Eilsituationen aufgrund der Unaufschiebbarkeit Rechnung zu tragen, bei denen der Versicherte die Entscheidung seiner Krankenkasse nicht mehr abwarten kann (BSG, Urteil vom 8. September 2015 – B 1 KR 14/14 R – juris, Rn. 15). Liegt bei Selbstbeschaffung der Leistung eine ablehnende Entscheidung der Krankenkasse bereits vor, kommt somit nur noch ein Anspruch nach der 2. Alternative in Betracht. Die begehrte PID haben sich die Kläger frühestens im Dezember 2018 beschafft. Dies entnimmt der Senat der vorgelegten Rechnung des Uklinikums H vom 15. Oktober 2019 über eine dort am 11. Dezember 2018 durchgeführte Vorbereitung einer PID. Ein früherer Zeitpunkt der Selbstbeschaffung ergibt sich weder aus den vorliegenden Akten noch wurde ein solcher von einem der Beteiligten vorgetragen. Die weiteren PID monogen erfolgten am 10. April und 12. Juli 2019. Dies entnimmt der Senat den vorgelegten Rechnungen des Uklinikums H vom 28. Mai 2019 und 15. Oktober 2019. Sowohl die Vorbereitung als auch die nachfolgenden PID erfolgten mithin nach dem Ablehnungsbescheid vom 26. Februar 2018 und auch noch nach der Übersendung der wiederholenden Verfügung vom 1. Oktober 2018.
(2) Ein Kostenerstattungsanspruch der Kläger folgt nicht aus § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V. Danach sind dem Versicherten die für eine von ihm selbst beschaffte Leistung entstandenen Kosten von der Krankenkasse zu erstatten, wenn die Krankenkasse diese Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, die Leistung notwendig und die Ablehnung für die Entstehung der Kosten ursächlich war. Dieser Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 19/20 R – juris, Rn. 7 m.w.N.).
(a) Rechtsgrundlage eines Anspruchs gegen die Beklagte auf Versorgung mit PID im Rahmen der Krankenbehandlung als Naturalleistung ist § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung. „Krankheit“ im Rechtssinne erfordert einen regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSG, Urteile vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 19/20 R – juris, Rn. 8 und vom 18. November 2014 – B 1 KR 19/13 R – juris, Rn. 14 m.w.N.).
Beide Kläger sind zwar heterozygote Anlageträger der familiären ASS1-Veränderung c.1168G>A.p.(Gly390Arg). Dies ist durch molekulargenetische Analysen nachgewiesen. Das Vorliegen dieser Mutation im heterozygoten Status führt aber nicht zur Ausprägung des klinischen Bildes der CTLN1. Dies entnimmt der Senat den Befundberichten des Zentrums für Humangenetik, I. vom 25. Januar 2018. Eine Behandlungsbedürftigkeit gerade der Kläger bezogen auf diese genetische Veränderung ist nicht erkennbar, so dass es bereits an einer Krankheit der Kläger im krankenversicherungsrechtlichen Sinne fehlt. Jedenfalls aber handelt es sich bei der PID nicht auf eine hierauf gerichtete Krankenbehandlung. Durch die PID-Behandlung sollte bei keinem der Kläger eine Funktionsbeeinträchtigung erkannt, geheilt, gelindert oder ihre Verschlimmerung verhütet werden. Sie bezweckte vielmehr, befruchtete Eizellen zu untersuchen und sie gegebenenfalls absterben zu lassen, wenn sie nach ärztlicher Erkenntnis den CTLN1 verursachenden Gendefekt aufweisen. Die künstliche Erzeugung eines Embryos und dessen Bewertung nach medizinischen Kriterien, um bei ihm und seiner Nachkommenschaft dem Ausbruch schwerwiegender Erbkrankheiten entgegenzuwirken, dient der Vermeidung zukünftigen Leidens eines eigenständigen Lebewesens, nicht aber der Behandlung eines vorhandenen Leidens bei den die PID-Behandlung begehrenden Eltern. Sie gehört damit auch nicht zu den von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V ebenfalls erfassten Leistungen zur Herstellung der Zeugungsfähigkeit. Ein Systemversagen kommt daher schon im Ausgangspunkt nicht in Betracht (BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 1 KR 19/13 R – juris, Rn. 15 f.).
(b) Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 27a Abs. 1 SGB V. Danach umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung unter den dort näher bestimmten Voraussetzungen auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Die PID-Behandlung ist zur Herbeiführung einer gewünschten Schwangerschaft – generell – nicht erforderlich und daher vom Anspruch aus § 27a SGB V per se nicht umfasst. Ihr Zweck liegt – wie dargelegt – gerade nicht in der Herbeiführung einer Schwangerschaft, sondern darin, befruchtete Eizellen zu untersuchen und sie gegebenenfalls absterben zu lassen, wenn sie nach ärztlicher Erkenntnis den CTLN1 verursachenden Gendefekt aufweisen. Dabei ist es unerheblich, dass die PID auf den Gesamtvorgang der künstlichen Befruchtung angewiesen ist. Denn Maßnahmen der künstlichen Befruchtung wie IVF oder ICSI sind nicht auf PID angewiesen (BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 1 KR 19/13 R – juris, Rn. 18). Daher stellt es entgegen dem Vorbringen der Kläger keinen relevanten Unterschied dar, dass vorliegend – anders als in dem vom BSG im Urteil vom 18. November 2014 entschiedenen Fall – ein Anspruch auf Leistungen zur künstlichen Befruchtung von der Beklagten anerkannt wurde.
(c) Ein Sachleistungsanspruch der Kläger auf Maßnahmen der PID ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 1a SGB V.
Die Vorschrift des § 2 Abs. 1a SGB V in der ab 1. Januar 2012 geltenden Normfassung des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2983) lautet: Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Diese Regelung setzt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 – juris, Rn. 47 ff) – den von den Klägern angeführten sog. „Nikolaus-Beschluss“ – und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG (z.B. BSG, Urteile vom 4. April 2006 – B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R – und Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 1 KR 11/08 R – alle juris) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden, die Untersuchungsmethoden einschließen würden, in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung um (Senatsurteil vom 9. November 2018 – L 4 KR 1540/17 – juris, Rn. 40).
Keiner der Kläger leidet, wie oben festgestellt, an einer gerade für den Kläger oder die Klägerin lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlichen oder vergleichbaren Erkrankung. Die PID ist auch nicht auf Heilung oder positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf einer Krankheit gerichtet. Dies gilt auch in Bezug auf ein ungeborenes Kind. Zum Zeitpunkt der Vornahme einer PID existiert ein solches noch nicht. Vielmehr ist die PID darauf gerichtet, eine befruchtete Eizellen zu untersuchen und sie gegebenenfalls – bei positivem Befund – absterben, also ein (ungeborenes) Kind gar nicht erst entstehen zu lassen. Die Heranziehung von § 2 Abs. 1a SGB V verbietet sich daher schon im Ausgangspunkt (BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 1 KR 19/13 R – juris, Rn. 16).
(d) Der Ausschluss der PID aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Kläger liegt ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vor.
Art. 3 Abs. 1 GG enthält das Gebot, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (BVerfG, Beschluss vom 10. Dezember 1985 – 2 BvL 18/83 – juris, Rn. 51). Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das Grundrecht, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders und nachteilig behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“ (BVerfG, Urteil vom 3. April 2001 – 1 BvR 1681/94 – juris, Rn. 63) und „sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt“ (BVerfG, Beschluss vom 15. März 2000 – 1 BvL 16/96 – juris, Rn. 72). Differenzierungen bedürfen somit stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2021 – 1 BvR 2237/14 – juris, Rn. 110).
Die Kläger haben bereits keine Vergleichsgruppen aufgezeigt, zwischen denen eine unzulässige Ungleichbehandlung vorliegen sollte. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es jedenfalls nicht, dass die Gerichte die Behebung einer Fertilitätsstörung i.S. des § 27a SGB V mit der Embryonen-Vorauswahl zur Vermeidung erbkranken Nachwuchses gleichsetzen (BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 1 KR 19/13 R – juris, Rn. 19; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30. November 2001 – 1 BvR 1764/01 – juris, Rn. 2). Gleiches gilt für einen grundsätzlich möglichen, zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehörenden späteren Schwangerschaftsabbruch (vgl. § 24b SGB V; BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 1 KR 19/13 R – juris, Rn. 20). § 27a SGB V regelt keinen Kernbereich der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern begründet einen eigenständigen Versicherungsfall. Es liegt daher im Rahmen der grundsätzlichen Freiheit des Gesetzgebers, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der GKV näher zu bestimmen.
b) Auf die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V (in der hier anzuwendenden, ab 1. Januar 2018 geltenden Fassung des Art. 6 Nr. 5 Buchst. b des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen, Bundesteilhabegesetz – BTHG – vom 23. Dezember 2016, BGBl. I, S. 3234) kann keiner der Kläger sein Begehren erfolgreich stützen.
Danach hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 1 bis 3). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 (zahnärztliches Gutachterverfahren) nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 5 bis 7).
aa) Die Beklagte hat vorliegend selbst die kurze Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V gewahrt. Denn sie hat den am 12. Februar 2018 gestellten Antrag der Kläger bereits mit Bescheid vom 26. Februar 2018 abgelehnt, also innerhalb der am 5. März 2018 ablaufenden Drei-Wochen-Frist (§ 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB), entschieden. Einen späteren, insbesondere nicht fristgerechten Zugang haben die Kläger selbst nicht behauptet. Wie oben bereits dargelegt, erging der Bescheid vom 26. Februar 2018 nicht nur gegenüber dem Kläger, sondern auch gegenüber der Klägerin. Diese hat jenen auch als gegen sie ergangene Ablehnungsentscheidung verstanden. Dies entnimmt der Senat, wie ausgeführt, insbesondere dem von ihr selbst verfassten und (auch) in eigenem Namen eingelegten Widerspruch gegen den genannten Bescheid. Daraus ergibt sich weiter, dass auch die Klägerin bei Selbstbeschaffung der Leistung im Dezember 2018 nicht von einer durch Genehmigungsfiktion wegen nicht fristgerechter Bescheidung des Antrags geschaffenen Vertrauensgrundlage ausging. Damit fehlt es auch an einer Kausalität zwischen einem Fristablauf und der Selbstbeschaffung.
bb) Einem Anspruch der Kläger aus § 13 Abs. 3a SGB V steht des Weiteren die fehlende Gutgläubigkeit der Kläger zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung entgegen.
Das gegebenenfalls durch die Genehmigungsfiktion begründete Recht zur Selbstbeschaffung auf Kosten der Krankenkasse besteht zwar auch bei materieller Rechtswidrigkeit der selbstbeschafften Leistung, aber nur sofern der Versicherte im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom Nichtbestehen des materiellen Leistungsanspruchs hat („Gutgläubigkeit“). Grob fahrlässig handelt (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X), wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, d.h. wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen. Eine nähere Kenntnis des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung darf den Versicherten nicht abverlangt werden. Das Tatbestandsmerkmal der groben Fahrlässigkeit soll nur eine Kostenerstattung offensichtlich rechtswidriger Leistungen ausschließen. Je offensichtlicher die beantragte Leistung außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegt, desto eher ist von einer zumindest grob fahrlässigen Unkenntnis (Bösgläubigkeit) der Versicherten im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung auszugehen. Das ist dann der Fall, wenn sich Versicherte trotz erdrückender Sach- und Rechtslage besserer Erkenntnis verschließen (BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 9/18 R – juris, Rn. 24 f.).
Zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung im Dezember 2018 lagen diese Voraussetzungen der Gutgläubigkeit bei keinem der Kläger, insbesondere auch nicht bei der Klägerin, vor. Bereits in dem bei Antragstellung von den Klägern selbst vorgelegten Informationsschreiben des PID-Zentrums des Uklinikums H (Bl. 10 der Verwaltungsakten) wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Leistungen zur Durchführung einer PID keine Krankenkassenleistungen seien. Zwar wurde darin weiter ausgeführt, ein Antrag auf Kostenerstattung sei dennoch in vielen Fällen sinnvoll. Gründe hierfür wurden aber nicht angegeben. Bereits dies spricht dagegen, dass die Kläger davon ausgehen durften, dass ein Leistungsanspruch auf PID-Maßnahmen besteht, obwohl diese ausdrücklich bereits nach Angaben der Uklinik keine Kassenleistungen darstellten. Letztlich kann der Senat dies ebenso offenlassen, wie die Frage, ob der Gutgläubigkeit der Kläger vorliegend die Leistungsablehnung durch die Beklagte und die zwei negativen MDK-Beurteilungen entgegenstanden (vgl. allerdings generell zur Leistungsablehnung nach MDK-Gutachten BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 9/18 R – juris, Rn. 25), ohne dass die Kläger neuerlichen Rat beim durchführenden Arzt suchten. Denn den Klägern war zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung im Dezember 2018 bekannt, dass die PID nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehört und dies bereits durch das Urteil des BSG vom 18. Januar 2014 (B 1 KR 19/13 R) auch ausdrücklich bestätigt worden war. Sowohl in der Widerspruchsbegründung ihres ersten – rechtskundigen – Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren vom 25. September 2018 wurde ausdrücklich eingeräumt, dass das genannte Urteil des BSG den Klägern bekannt sei. Soweit dort weiter ausgeführt wird, die Beklagte habe Ausnahmen angeboten, ist das in der Verwaltungsakte nicht dokumentiert. Lediglich die Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung wurde dargelegt, aber ausdrücklich ohne PID. Dies entnimmt der Senat dem Aktenvermerk über die persönliche Vorsprache der Klägerin am 17. September 2018 (Bl. 47 der Verwaltungsakte). Auch im Schriftsatz ihrer neuen – ebenfalls rechtskundigen – Bevollmächtigten vom 31. Oktober 2018 wird ausdrücklich der Ausschluss aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung durch das Urteil des BSG vom 18. Januar 2014 angeführt. Bei Kenntnis dieses Urteils musste es sich den Klägern ohne Weiteres aufdrängen, dass ihr Verweis auf den sog. „Nikolausbeschluss“ diesen Leistungsausschluss nicht überwinden kann. Denn das BSG hatte bereits im genannten Urteil ausdrücklich klargestellt, dass sich ein Gedanke an einen Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V aus den oben genannten strukturellen Gründen schon im Ausgangspunkt verbietet. Zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung musste es sich den Klägern daher ohne Weiteres aufdrängen, dass kein Anspruch auf die PID bestand.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.