Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. Juli 2020 abgeändert.
Der Bescheid des Beklagten vom 23. August 2018 in der Fassung der Teilabhilfebescheide vom 12. Oktober 2018 und 6. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2019 wird aufgehoben, soweit der Bescheid vom 17. Januar 2013 über die Feststellung eines GdB von 50 hinaus ab dem 27. August 2018 aufgehoben worden ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin hat der Beklagte in beiden Instanzen 2/3 zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) von 80 auf 40 aufgrund einer eingetretenen Heilungsbewährung nach einer Brustkrebserkrankung.
Sie ist 1975 geboren, hat nach dem Abitur ein Jurastudium abgeschlossen, danach jedoch keine Anstellung gefunden. Sie ist seit 2003 mit einem Mediziner verheiratet, die beiden Kinder sind 2006 und 2008 geboren. Sie bewohnt mit dem Ehemann und den Kindern ein Eigenheim, der Ehemann ist von Montag bis Mittwoch in seiner Praxis in T.
Am 6. Dezember 2012 beantragte sie bei dem Landratsamt K (LRA) erstmal die Feststellung des GdB und legte den Entlassungsbericht des K1 Klinikums M über die stationäre Behandlung vom 11. bis 12. Oktober 2012 wegen eines invasiv duktalem Mamma-Karzinoms links vor.
Nachdem W einen GdB von 80 aufgrund einer Erkrankung der linken Brust in Heilungsbewährung sah, stellte das LRA diesen mit Bescheid vom 17. Januar 2013 ab dem 20. September 2012 fest.
Am 23. Januar 2017 beantragte die Klägerin eine unbefristete Ausstellung bzw. Verlängerung ihres Schwerbehindertenausweises, da eine wesentliche Änderung ihres Gesundheitszustandes nicht zu erwarten sei. Vorgelegt wurde ein Gutachten ihres Ehemannes, Facharzt für Chirurgie. Dieser führte aus, dass im Juli 2013 eine onkologische Anschlussheilbehandlung erfolgt sei. Nach Empfehlung des behandelnden Brustzentrums habe im Uklinikum H eine genetische Beratung stattgefunden, wo eine pathogene BRCA-1-Mutation als Ursache der Tumorerkrankung diagnostiziert worden sei. Leitliniengerecht sei am 14. November 2014 die laparoskopische Ovarektomie und Salpingektomie erfolgt. Hinweise auf ein Tumorrezidiv oder einen Zweittumor hätten sich nicht ergeben. Die plötzliche Hormondeprivation durch die Ovarektomie im November 2014 habe bei der prämenopausalen Klägerin einen schwersten dauerhaften Leistungsknick verursacht. Da das Mammakarzinom initial Hormonrezeptor-positiv gewesen sei, dürfe lebenslang keinerlei Hormonsubstitution erfolgen. Es resultierten das soziale Leben deutliche einschränkende psychoreaktive depressive Episoden. Als neurologische Folgen der Hochdosis-Chemotherapie bestünden eine beinbetonte Polyneuropathie (PNP) mit überwiegend sensiblen Störungen sowie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Die PNP verursache durch häufiges Umknicken eine Einschränkung in der alltäglichen Mobilität. Die Hirnleistungsstörungen schränkten im sozialen Leben ein, da immer wieder z. B. Termine vergessen oder Verabredungen nicht eingehalten würden. An direkten Folgen der brusterhaltenden Karzinomresektion bestehe eine deutliche Delle durch das ehemalige Tumorbett im Dekolleté-Bereich fort. Am linken Arm finde sich nach Axilla-Dissektion kein dauerhaftes Lymphödem, bei Überlastung trete aber eine funktionseinschränkende Schwellneigung des Armes auf. Die Elevationsfähigkeit des linken Armes sei endgradig eingeschränkt.
Das LRA verlängerte zunächst den Schwerbehindertenausweis, leitete im Januar 2018 von Amts wegen ein Überprüfungsverfahren ein und erhob den Befundschein der J. Diese führte aus, dass die letzte Kontrolluntersuchung eine Rezidiv-Freiheit gezeigt habe. Eine halbjährliche Diagnostik finde statt. An persistierenden Funktionsbeeinträchtigungen bestünden, bedingt durch die chemotherapieinduzierte PNP, Störungen der Feinmotorik mit überwiegend sensiblen Störungen im Bereich der Hände und Füße. Die Elevation des linken Armes sei durch eine Verkürzung des Musculus serratus anterior eingeschränkt. Im psychovegetativen Bereich bestünden Folgeerscheinungen. Bedingt durch die prophylaktische Adnexektomie beidseits und das damit verbundene Klimakterium praecox leide die Klägerin unter Gelenkschmerzen, östrogenmangelbedingten Kohabitationsproblemen, Hitzewallungen und wiederholten depressiven Episoden.
Z führte versorgungsärztlich aus, dass die Heilungsbewährung eingetreten sei. Nach Aktenlage bestehe kein Hinweis auf ein Rezidiv oder eine neu aufgetretene Metastasierung, sodass die Behinderung entfalle. Neu anerkannt werden könne ein Verlust der Eierstöcke und eine spärlich beschriebene PNP mit Feinmotorikstörung. Der Teil-GdB für die PNP betrage 20, derjenige für den Verlust der Eierstöcke 10.
Nach Anhörung (§ 24 Zehntes Buch Sozialsetzbuch [SGB X]) änderte der Beklagte mit Bescheid vom 23. August 2018 den Bescheid vom 17. Januar 2013 ab und stellte den GdB ab dem 27. August 2018 mit nur noch 20 fest. Nach Ablauf der Heilungsbewährung komme ein höherer GdB nicht mehr in Betracht.
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, dass allein für den Verlust der Eierstöcke ein GdB von 20 bis 30 anzuerkennen sei. Die PNP sei nicht hinreichend bewertet worden und die Konzentrations- und Gedächtnisstörungen müssten ebenfalls berücksichtigt werden.
G nahm versorgungsärztlich dahingehend Stellung, dass die Heilungsbewährung abgelaufen sei. Eine nachgewiesene karzinogene Mutation führe nicht zu einer Verlängerung der Heilungsbewährung. Zu den geltend gemachten Folgen der Tumorbehandlung lägen keine neuropsychiatrischen Befundberichte vor. Das Gutachten des Ehemannes könne allenfalls ergänzend verwertet werden. Im Übrigen sei der Tumor seinerzeit zu hoch bewertet worden und habe nur mit einem GdB von 60 bis 70 bewertet werden dürfen. Der Verlust der Eierstöcke, der Teilverlust der linken Brust und der Östrogenmangel mit Folgeerscheinungen sei mit einem Teil-GdB von 30, die PNP und die Störungen der Koordination mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten, sodass der Gesamt-GdB 30 betrage.
Mit Teil-Abhilfebescheid vom 12. Oktober 2018 stellte das LRA einen GdB von 30 seit dem 27. August 2018 fest.
Im – fortgeführten – Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, sich hinsichtlich der psychischen Störungen gegen Therapien, weitere Behandlungen und Untersuchungen entschieden zu haben und legte ein weiteres Gutachten ihres Mannes vor. Danach bestünden durch die neu aufgetretenen Raumforderungen in den Ovariallogen bei bekannter BRCA1-Mutation wieder häufigere reaktiv-depressive Verstimmungen durch Tumorangst. Somit sei zu dem als Funktionsbeeinträchtigung anerkannten Verlust der Eierstöcke unter Berücksichtigung der außergewöhnlichen psychoreaktiven Störungen und zusätzlichen körperlichen Störungen insgesamt ein GdB von 40 bis 50 anzusetzen. Bezüglich der PNP sei der GdB in Analogie zu den peripheren Nervenschäden einzuschätzen. Diese betreffe beide Unterschenkel und Füße in Form von ausgeprägten Taubheitsgefühlen sowie dadurch resultierende Störungen der Feinmotorik. Da die Nervenausfälle nicht vollständig, aber beidseits und vor allem zu Beginn des Tages recht ausgeprägt seien, sei ein GdB von mindestens 40 bis 50 anzusetzen. Zu der PNP nach Chemotherapie seien die seit der Chemotherapie bestehenden, deutlich ausgeprägten Konzentrations- und Gedächtnisstörungen hinzuzurechnen. Diese fielen im Alltag immer wieder unangenehm z. B. durch versäumte Termine und verunglückte Absprachen, aber auch in vielen anderen Situationen auf. Zu den hirnorganischen Allgemeinsymptomen würden vor allem Beeinträchtigungen der Merkfähigkeit und der Konzentration gerechnet. Hirnschäden mit psychischen Störungen, die sich im Alltag gering auswirkten, seien mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten. Für die Funktionsbeeinträchtigungen sei ein Gesamt-GdB von 60 bis 80 dauerhaft anzusetzen.
W1 führte versorgungsärztlich aus, dass vom Ehemann der Klägerin fachübergreifende Diagnosen gestellt würden, die in keiner Weise objektiv nachvollziehbar seien. Ein aussagefähiger neurologischer und psychiatrischer Befundbericht, mit welchem eine entsprechende GdB-Bewertung erfolgen könne, finde sich nicht. Eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung solle veranlasst werden. Gegenwärtig sei aus den Teil-GdB-Werten integrativ ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden.
Das LRA ließ eine fachpsychiatrische Untersuchung durch die M1, Versorgungsärztlicher Dienst des LRA, durchführen. Diese führte aus, dass Schlafstörungen, eine Grübelneigung, eine subdepressive Verstimmung, eine Affektlabilität, eine erhöhte Irritierbarkeit, eine allgemein erhöhte Erschöpfbarkeit, eine Antriebsminderung, Leistungsinsuffizienz sowie mäßige Konzentrationsschwierigkeiten bestünden. Des Weiteren bestehe konsekutiv ein Interessenverlust an Hobbies und Freizeitaktivitäten, der soziale Empfangsraum sei reduziert bzw. auf die Ursprungsfamilie begrenzt. Bei zwanghafter Grundpersönlichkeit liege eine mittelschwere Depression vor, die erheblich die Fähigkeit zur Alltagsgestaltung und zur Genussfähigkeit beeinträchtige. Die Beschwerdesymptomatik sei mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten.
S beschrieb im neurologischen Gutachten aufgrund ambulanter Untersuchung vom 24. Mai 2019, dass die Klägerin derzeit keine Antidepressiva einnehme und nicht psychotherapeutisch behandelt werde. Eine Therapie aufgrund neuropathischer Schmerzen erfolge nicht. Zur Dämpfung von Nacken- oder Kopfschmerzen nehme sie mehrmals pro Monat Ibuprofen ein. Die neurologische Untersuchung habe keine Auffälligkeiten hinsichtlich Motorik und Koordination gezeigt. Bei distal-asymmetrischen sensiblen Auffälligkeiten am linken Fuß und Sensibilitätsstörungen in der linken Achsel sowie am linken Oberarm sei der weitere Befund bei seitengleich lebhaft erhältlichen Muskeleigenreflexen und negativem Zeichen nach Babinski unauffällig gewesen. Im psychischen Befund habe es sich um eine freundliche und kooperative Probandin von überdurchschnittlicher Intelligenz gehandelt, bei der sich keine Hinweise auf ein hirnorganisches Syndrom, Hirnleistungsstörungen oder eine mehr als leichte psychische Störung gefunden hätten. Die Anamnese habe für eine chronifizierte Anpassungsstörung mit ängstlich-depressiver Verstimmung gesprochen. Auf eine elektroneurographische und elektromyographische Untersuchung zur Frage des Ausmaßes einer möglichen PNP sei bei nur geringen sensiblen Auffälligkeiten in der neurologischen Untersuchung verzichtet worden. In der neurovegetativen Untersuchung hätten sich keine Hinweise auf eine Störung des Schwitzens an den Füßen ergeben. In der testpsychometrischen Untersuchung hätten die neurokognitiven Leistungen im überdurchschnittlichen Bereich gelegen. Es bestehe eine leichte depressiv-ängstliche Störung, die sich offenbar auf dem Boden einer chronifizierten Anpassungsstörung nach Krebserkrankung entwickelt habe. Solche Störungen gingen erfahrungsgemäß fast regelhaft mit leichten Einschränkungen der Aufmerksamkeit und der Konzentrationsfähigkeit einher und auch mit Einschränkungen der psychophysischen Belastbarkeit. Vermutlich seien ein Teil der körperlichen Beschwerden und insbesondere die Verspannung im Nacken sowie die morgendlichen Gliederschmerzen auf eine Somatisierung bei primär psychischer Störung zurückzuführen. Hinweise auf eine sehr selten auftretende toxische Enzephalopthie unter bzw. nach Chemotherapie bestünden nicht. Die psychische Störung sei leicht ausgeprägt, sie gehe allerdings mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einher, sodass ein Teil-GdB von 30 anzunehmen sei. Vermutlich durch die Chemotherapie mit Taxanen sei es zu einer Sensibilitätsstörung vor allem am linken und deutlich geringer auch am rechten Fuß gekommen. Die sensible Störung gehe nicht mit einer wesentlichen Einschränkung der Tiefensensibilität und damit des Gleichgewichts einher. Zudem fehlten Auffälligkeiten der Motorik und Koordination bei gut darstellbaren Muskeleigenreflexen. Wesentliche neuropathische Beschwerden bestünden nicht. Die sensiblen Störungen begründeten keine wesentliche Funktionseinschränkung, der Teil-GdB sei auf 10 einzuschätzen. Am linken Arm seien Sensibilitätsstörungen in der linken Axilla und an der Innenseite des linken Oberarmes, schmerzhafte Sensationen von der Achsel bis zum Ellenbogen sowie Bewegungseinschränkungen bei Arbeiten über Kopf mit geringgradiger Funktionseinschränkung gegeben (Teil-GdB 10).
D sah versorgungsärztlich einen Teil-GdB von 30 für den Verlust der Eierstöcke und den Teilverlust der linken Brust, einen Teil-GdB von 30 für die seelische Störung und jeweils Teil-GdB von 10 für die PNP, Veränderungen der Wirbelsäule und eine Gebrauchseinschränkung des linken Armes. Der Gesamt-GdB sei auf 40 einzuschätzen.
Mit weiterem Teil-Abhilfebescheid vom 6. Juni 2019 stellte das LRA einen GdB von 40 seit dem 27. August 2018 fest.
Den Widerspruch im Übrigen wies das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 2019 zurück. Die Heilungsbewährung von fünf Jahren sei abgelaufen, sodass der GdB nunmehr allein unter Berücksichtigung der tatsächlichen Funktionseinschränkungen bzw. des verbliebenen Organschadens neu festgestellt werden müsse. Nachdem kein Rezidiv der malignen Grunderkrankung aufgetreten sei, bedinge die als Operationsfolge verbliebene Gebrauchseinschränkung des linken Armes einen Teil-GdB von 10. Unter Berücksichtigung der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen ergäbe sich ein Gesamt-GdB von 40. Ein GdB von 50 könne beispielsweise angenommen werden, wenn die Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen so erheblich wie etwa beim Verlust einer Hand, eines Beines im Unterschenkel, bei einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule oder bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen mit schweren Störungen sei. Ein solches Ausmaß erreiche die Behinderung bei der Klägerin nicht.
Am 30. Juli 2019 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, welches zur weiteren Sachaufklärung die sachverständige Zeugenauskunft des M2 erhoben hat. Dieser hat ausgeführt, dass ein leicht- bis mittelgradiges Zervikalsyndrom, eine leichtgradige Blockierung der Brustwirbelsäule (BWS) und eine geringfügige asymptomatische Schultergelenksarthrose links bestehe. Die degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule (HWS) seien eine dauerhafte Gesundheitsstörung. Die wiederholten Blockierungen der BWS an sich seien immer nur vorübergehende Gesundheitsstörungen. Die Ursache liege in diesem Fall aber vermutlich in der Behandlung des Mammakarzinoms mit Operation und Bestrahlung, welche strukturelle Veränderungen bzw. Schädigungen auch an der Rumpfmuskulatur zur Folge habe und damit immer wieder die Entstehung von Blockierungen insbesondere der BWS begünstige. Ein GdB von 20 für die immer wiederkehrenden Störungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten sei anzunehmen.
B hat versorgungsärztlich dargelegt, dass die Beweglichkeit der HWS mit 60-0-70° beschrieben werde, was einem Normalbefund entspreche. Die Lendenwirbelsäule (LWS) sei ohne Druckschmerz, zudem sei anamnestisch über rezidivierende Blockierungen der BWS berichtet worden. Eine Änderung der Bewertung ergebe sich nicht.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. Juli 2020 abgewiesen. Hinsichtlich des Teilverlustes der linken Brust nach Mamma-Karzinom sei Heilungsbewährung eingetreten. Das Funktionssystem „weibliche Geschlechtsorgane“ rechtfertige nur noch einen Teil-GdB von 30. Die Therapie sei mittels brusterhaltender Segmentresektion erfolgt, sodass der Teil-GdB mit 0 bis 20 zu bewerten sei. Wundheilungsstörungen oder ähnliches ließen sich den Unterlagen nicht entnehmen. Die Funktionseinschränkungen im linken Arm seien gesondert zu berücksichtigen. Die im November 2014 erfolgte prophylaktische Adnexektomie sei bei noch bestehendem Kinderwunsch und bei unzureichender Ausgleichbarkeit des Hormonhaushaltes durch Substitution mit einem Teil-GdB von 20 bis 30 zu bewerten. Der Teil-GdB im Funktionssystem sei daher nur noch mit 30 zu bewerten. Im Funktionssystem „Nervensystem und Psyche“ betrage der Teil-GdB ebenfalls 30. Die Klägerin leide unter einer mittelschweren depressiven Erkrankung, wobei zwar eine Einschränkung in der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bestehe, diese aber im unteren Bereich des Bewertungsrahmens anzusiedeln sei. Die Klägerin kümmere sich um den Haushalt und ihre beiden Kinder, gehe dreimal die Woche walken und fahre selbstständig Auto. Es finde keine psychotherapeutische Behandlung statt und sie nehme kein Antidepressivum ein. Der psychische Befund sei im Rahmen der Begutachtung lediglich leicht auffällig gewesen. Die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit ausreichend, die Auffassung ungestört. Die Einschränkungen durch die PNP führten zu keiner anderen Beurteilung. In der neurologischen Untersuchung durch S hätten sich keine Auffälligkeiten hinsichtlich Motorik und Koordination ergeben. Bei distal-asymmetrischen sensiblen Auffälligkeiten am linken Fuß und Sensibilitätsstörungen in der linken Achsel sowie am linken Oberarm sei der weitere Befund bei seitengleich lebhaft erhältlichen Muskeleigenreflexen und negativem Zeichen nach Babinsky unauffällig. Der Gang sei auf Zehenballen und Fersen unauffällig, Romberg- und Seiltänzergang seien sicher durchgeführt worden. Wesentliche Funktionsbeeinträchtigungen würden hierdurch nicht begründet. Im Funktionssystem „Rumpf“ betrage der Teil-GdB allenfalls 20, da M2 nur endgradige Einschränkungen beschrieben habe und mittelgradige funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten daher nicht bestünden. Letztlich betrage der Teil-GdB für die oberen Extremitäten 10. Die asymptomatische Schultergelenksarthrose sei nach der sachverständigen Zeugenaussage des M2 lediglich gering ausgeprägt. Eine hierdurch bedingte eingeschränkte Beweglichkeit lasse sich den medizinischen Unterlagen nicht entnehmen. Auch M2 habe diesbezüglich keine GdB-Relevanz erkennen können. Aufgrund der Einschränkung der Elevation des linken Armes nach Axilladissektion sei ein Teil-GdB von 10 zu berücksichtigen. Aus den Teil-GdB-Werten von 30, 30, 20 und 10 sei ein Gesamt-GdB von 40 zu bilden.
Am 25. August 2020 hat die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Der Teil-GdB für das Funktionssystem „Nervensystem und Psyche“ sei zu gering bemessen. Es bestehe eine mittelschwere depressive Erkrankung, die eine Ausschöpfung des Bewertungsrahmens für stärker behindernde Störungen rechtfertige und mit 40 zu bewerten sei. Die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten gäben ihren Gesundheitszustand nicht ordnungsgemäß wieder und berücksichtigten den Umstand nicht hinreichend, dass sie einen transsexuellen Vater gehabt habe, der sich erst im hohen Alter einer Geschlechtsumwandlung unterzogen habe, was von ihr als traumatisch erlebt worden sei. Hinsichtlich der PNP habe geprüft werden müssen, ob diese psychische Ursachen habe, nachdem S in seinem rein neurologischen Gutachten zu dem Ergebnis komme, dass die motorischen und sensorischen Ausfälle psychische Ursachen hätten.
Die Klägerin beantragt, sachdienlich gefasst,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30.07.2020 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. August 2018 in der Fassung der Teil-Abhilfebescheide vom 12. Oktober 2018 und 6. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2019 aufzuheben, soweit die Herabsetzung auf einen GdB von weniger als 70 erfolgt ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er verweist auf die angefochtene Entscheidung.
Nachdem der Beklagte den gerichtlichen Vergleichsvorschlag (vgl. Beschluss vom 27. November 2020) abgelehnt hat, hat der Senat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten der E aufgrund ambulanter Untersuchung vom 21.07.2021 erhoben. Dieser gegenüber hat die Klägerin angegeben, dass ihr Vater 2018 wahrscheinlich an einem Herzinfarkt gestorben sei. Über seine Transsexualität habe sie erst nach seinem Tod öffentlich sprechen können. Seit ihrer Krebserkrankung 2012 leide sie an Erschöpfung, Antriebslosigkeit und starken Konzentrationsproblemen. Sie verspüre ein Taubheitsgefühl an ihrem linken Oberarm, der bewegungseingeschränkt sei und bei Beanspruchung schmerze. Seit der Chemotherapie bestehe ein solches auch in der linken Fußsohle und im linken Unterschenkel. Nachdem ihre Kinder in den Kindergarten gekommen seien, habe sie sich wieder eine Stelle suchen wollen, dann aber die Krebsdiagnose erhalten. Dadurch hätten sich ihre Prioritäten verschoben, da sie habe gesund werden und viel Zeit mit den Kindern verbringen wollen. Da ihre Kinder nun selbstständig und sie wieder gesund sei, wolle sie sich erneut auf Stellen bewerben. Sie fahre nur ungern mit dem Auto, da sie starke Konzentrationsschwierigkeiten und das Gefühl habe, nicht alles in ihrer Umgebung richtig wahrnehmen zu können. Öffentliche Verkehrsmittel benutze sie selten, da sie in der Stadt hauptsächlich mit dem Fahrrad fahre. Zum Tagesablauf habe sie angegeben, morgens den Kindern das Frühstück und Pausenbrot vorzubereiten und kleinere Hausarbeiten wie Staubsaugen oder Wäsche waschen zu erledigen. Sie lese die Tageszeitung und gehe, falls nötig, für das Mittagessen einkaufen. Mittags koche sie das Mittagessen, das sie zusammen mit den Kindern einnehme. Nachmittags erledige sie die restlichen Aufgaben, das Abendessen werde gemeinsam eingenommen. Sie habe keine Hobbys oder regelmäßige Aktivitäten. Ihren Sport habe sie in den letzten Jahren immer weiter zurückgefahren. Nach der Krebserkrankung sei sie dreimal die Woche walken gegangen, dazu habe sie keinen Antrieb mehr. In der Untersuchung habe die Klägerin zunächst aggressiv auf Nachfragen reagiert, sie habe lange Monologe gehalten, sich hin und wieder wiederholt und Unterbrechungsversuche ignoriert und überredet. Sie sei bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten orientiert gewesen, Konzentrationsstörungen hätten sich in der Untersuchung nicht gezeigt. Die Klägerin habe keine Pause benötigt und konzentriert auf die gestellten Fragen geantwortet, ohne Hinweise auf Einschränkungen von Konzentration und Aufmerksamkeit in der mehrstündigen Untersuchung. Sie habe sich an alle erfragten Ereignisse erinnern, lediglich keine Jahreszahlen benennen können. Einschränkungen von Merkfähigkeit und Gedächtnis hätten sich nicht objektivieren lassen. Sie habe gereizt und dysthym verstimmt gewirkt, teils unhöflich auf Fragen geantwortet und sehr energisch berichtet. Es mache den Anschein, als sei sie eher wütend als traurig und würde sich vom Leben ungerecht behandelt fühlen. Die affektive Schwingungsfähigkeit sei leichtgradig zum depressiven Pol eingeengt, positive Emotionen aber auslösbar gewesen. Anzeichen einer Erschöpfung hätten nicht wahrgenommen werden können, eine Antriebsstörung sei nicht aufgefallen.
Die Klägerin habe berichtet, eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert bekommen zu haben, ein genaues Erlebnis oder wiederkehrende Ereignisse als Ursache aber nicht benennen können. Flashbacks oder Albträume bestünden keine. Zur Begutachtung mitgebracht worden sei ein Bericht der P von Juli 2021 nach Erstvorstellung, in dem diagnostisch eine mittelgradige Episode einer rezidivierenden depressiven Störung angegeben werde. Die klinisch-neurologische Untersuchung habe nur geringe Auffälligkeiten gezeigt. Die Hirnnerven seien intakt, es werde ein beidseitiger Tinnitus angegeben. Die Muskeleigenreflexe seien seitengleich auslösbar, ohne pathologische Reflexe und ohne Paresen. Beschrieben worden sei ein leichter ziehender Schmerz im Bereich des lateralen linken Oberarms bei Elevation und Abduktion im Schultergelenk. Bei Prüfung der Sensibilität habe eine Hypästhesie und geringer Hyperalgesie der linken Fußsohle, eine strumpfförmig leichtgradige Hypalgesie des gesamten linken Beines bis zur Leistenbeuge bestanden. Außerdem bestünden Sensibilitätsstörungen für alle Qualitäten im Bereich der linken Achselhöhle nach Axillardissektion und am lateralen Oberarm vom Ansatz des Musculus deltoideus links etwa 5 cm breit und 10 cm nach distal reichend. Das Vibrationsempfinden sei an der linken Tibiakante, dem linken lateralen Malleolus und der linken Großzehe fraglich geringfügig abgeschwächt und nicht sicher reproduzierbar. Die elektroenzephalografische Untersuchung sei unauffällig gewesen, hier insbesondere keine Vigilanzschwankungen. Es bestehe eine geringgradige distal-asymmetrische PNP als Folge der Chemotherapie. Die Sensibilitätsstörungen im Bereich der linken Achselhöhle seien am ehesten Folgen der Axillardissektion links mit Schädigung peripherer Hauterven eventuell einzelner Plexusfasern. Der klinische Befund des S stimme mit dem aktuellen überein, lediglich die Sensibilitätsstörungen am linken Bein gebe dieser als weiterreichend an. Es sei jedoch nicht von einer Progredienz der Beschwerdesymptomatik auszugehen, da weitere Befunde, die auf eine ausgeprägte PNP hindeuteten, fehlten. Motorische Einschränkung bestünden ebenfalls nicht, der Tinnitus sei offensichtlich bei der Voruntersuchung nicht erwähnt worden. Die PNP führe zwar zu keinen wesentlichen Funktionseinschränkungen, allerdings könnten subjektive Beschwerden durchaus schwerwiegender sein als objektiv festzustellende Befunde, was bei der Einschätzung des GdB berücksichtigt werden solle.
Der Teil-GdB sei auf 20 einzuschätzen, der Tinnitus bedinge einen Teil-GdB von 10, die angegebene Halswirbelsäulenproblematik führe nicht zu funktionellen Einschränkungen und rechtfertige keinen höheren Teil-GdB als 10. Den Ausführungen des Ehemannes der Klägerin könne nicht gefolgt werden. Eine PNP liege dann vor, wenn gleichzeitig mehrere periphere Nerven im Körper nicht richtig funktionierten, habe aber niemals eine Beeinträchtigung von Merkfähigkeit und Konzentration zur Folge. Insoweit erfolge eine Verwechslung peripherer und zentraler Ursachen sowie deren Folgen. Hinweise auf eine hirnorganische Ursache fänden sich nicht, eine Hirnleistungsstörung lasse sich nicht feststellen. Die Schilderung einer verminderten Belastbarkeit, raschen Erschöpfung und von Konzentrationsschwächen seien einfühlbar und würden nicht selten nach einer solchen Behandlung geschildert. Eine depressive Verstimmung sei nachvollziehbar, wenn man bedenke, dass eine Mutter mit damals zwei kleinen Kindern eine so schwerwiegende Diagnose erhalte, von ihrer genetischen Vorbelastung wisse und ihr ganzes Leben dadurch eine Veränderung erfahre. Allerdings gebe es hierfür zahlreiche therapeutische Angebote, die die Klägerin nie in Anspruch genommen habe, sodass nicht auf eine schwergradige depressive Symptomatik geschlossen werden könne. Eine psychiatrische Behandlung sei gerade erst begonnen worden, das Antidepressivum Escitalopram nehme sie erst seit zwei Wochen ein. Ein laborchemischer Nachweis sei nicht gelungen. Im biographischen Verlauf fänden sich keine Brüche, die die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit begründen können, sodass allenfalls von einer Persönlichkeitsakzentuierung mit im Vordergrund stehenden zwanghaften Zügen ausgegangen werden könne. Der Teil-GdB sei auf 20 einzuschätzen, die versorgungsärztliche Zuordnung mit einem Teil-GdB von 30 sei im oberen Bereich des Ermessenspielraums zu sehen. Die von dem Ehemann der Klägerin angeführte Angst vor einem Zweitkarzinom mit der Folge einschränkender psychoreaktiver depressiver Episoden sei verständlich und nachvollziehbar, begründe aber keinen Teil-GdB von 40. Eine mittelgradige Episode einer depressiven Störung liege nicht vor. Hinsichtlich der körperlichen Beeinträchtigungen bestünden Einschränkungen der Hebe-, Trage- und Haltefunktionen, die PNP führe zu Einschränkungen in der Stand- und Gangsicherheit. Die psychischen Störungen seien als leichtgradig, bezüglich Flexibilität und Umstellungsfähigkeit sowie Durchhaltefähigkeit als leicht bis mittelgradig einzuschätzen. Die getroffene Einschätzung gelte uneingeschränkt auch retrospektiv. Keine der festgestellten Erkrankungen habe in der Vergangenheit zu mehr als leicht bis allenfalls mittelgradigen Einschränkungen in der Lebensführung und im Alltag geführt.
Die seelische Störung sei mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten, der Gesamt-GdB mit 40. Den Ausführungen des Ehemannes der Klägerin könne nicht gefolgt werden. Seine Gutachten enthielten keine Befunde oder Funktionseinschränkungen, die die vorgenommene Einschätzung begründen könnten. Er nehme daher fachfremde Einschätzungen vor, die Zuordnung zur Höhe des jeweiligen GdB erscheine willkürlich gewählt und lasse sich sozialmedizinisch nicht begründen. Eine angenommene zentrale Auswirkung (Einschränkung von Merkfähigkeit und Konzentration) eines peripheren Nervenleidens (hier Polyneuropathie) sei anatomisch auszuschließen. Der Vorwurf, man hätte den Ermessensspielraum hinsichtlich der psychischen Erkrankung mit Zuerkennung eines Teil-GdB von 40 ausschöpfen können, sei menschlich verständlich, aber medizinisch nicht begründbar.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG), auch im Übrigen zulässig und teilweise begründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 30. Juli 2020 mit dem die isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) gegen den Herabsetzungsbescheid vom 23. August 2018 in der Fassung der Teilabhilfebscheide vom 12. Oktober 2019 und vom 6. Juni 2019 (§ 86 SGG) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 3. Juli 2019 abgewiesen worden ist. Nachdem bei der Klägerin bereits ein GdB von 80 festgestellt ist, sie aber nur einen GdB von 70 begehrt hat, sind die Bescheide zum einen hinsichtlich der Herabsetzung des GdB auf 70 bestandskräftig geworden, zum anderen ist die Verpflichtungsklage auf Feststellung eines GdB von 70 mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Die Klägerin kann ihr Klageziel nämlich bereits mit der isolierten Anfechtungsklage erreichen, abgesehen davon, dass der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid nicht über eine Neufeststellung des GdB entschieden, sondern nur eine Herabsetzungsentscheidung getroffen hat. Der Senat hat den Berufungsantrag daher entsprechend ausgelegt. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 33), mithin derjenige des Ergehens des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2019.
Die teilweise Begründetheit der Berufung folgt aus der teilweisen Begründetheit der Klage. Der Bescheid vom 23. August 2018 in der Fassung der Teilabhilfebescheide vom 12. Oktober 2018 und vom 6. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG), soweit der GdB darin auf unter 50 abgesenkt worden ist. Im Übrigen ist der Bescheid nicht zu beanstanden, nachdem der Beklagte im Grundsatz zutreffend von einer Heilungsbewährung ausgegangen ist und eine Neufeststellung vorgenommen hat.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten der Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Dabei liegt eine wesentliche Änderung vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, dass sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Von einer wesentlichen Änderung im Gesundheitszustand ist auszugehen, wenn diese einen um wenigsten 10 veränderten Gesamt-GdB rechtfertigt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 12). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt – teilweise – aufzuheben und durch die zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 – 9a RVs 55/85 –, juris, Rz. 11 m. w. N.). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des – teilweise – aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 – B 9 V 2/10 R –, SozR 4-3100 § 35 Nr. 5, Rz. 38 m. w. N.). Nach den VG, Teil B, Nr. 1 c ist nach der Behandlung bestimmter Krankheiten, die zu Rezidiven neigen, insbesondere bei bösartigen Geschwulsterkrankungen, eine Heilungsbewährung abzuwarten. Der Zeitraum beträgt in der Regel fünf Jahre und zwar ab dem Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation oder andere Primärtherapie als beseitigt angesehen werden kann. Die Anhaltswerte sind auf den Zustand nach operativer oder anderweitiger Beseitigung der Geschwulst bezogen und beziehen den regelhaft verbleibenden Organ- oder Gliedmaßenschaden mit ein. Soweit keine außergewöhnlichen Folgen oder Begleiterscheinungen der Krebserkrankung vorliegen, legen die VG die Höhe des GdB pauschal fest. Erst für die Zeit danach ist der GdB nach den konkreten Auswirkungen der vorliegenden Gesundheitsstörung zu bemessen. Beruht daher die Höhe des GdB auf einer Erkrankung, für welche die einschlägigen Normen einen erhöhten GdB-Wert während des Zeitraums der Heilungsbewährung ansetzen, ändert das Verstreichen dieses Zeitraums die wesentlichen, d. h. rechtserheblichen tatsächlichen Verhältnisse, die der Feststellung des GdB zu Grunde lagen (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/15 R –, juris, Rz. 15; BSG, Urteil vom 12. Februar 1997 – 9 RVs 12/95 –, juris, Rz. 14). Somit begründet schon der reine rezidivfreie Zeitablauf den Eintritt der Heilungsbewährung und damit die wesentliche Änderung. Eine Beschwerdefreiheit oder eine folgenlose Ausheilung der Erkrankung wird nicht vorausgesetzt.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, nachdem die Brustkrebserkrankung über den von den VG vorgesehenen Zeitraum von fünf Jahren (Operation im Oktober 2012 – vgl. VG, Teil B, Nr. 14.1) rezidivfrei geblieben ist, wie der Senat der sachverständigen Zeugenauskunft der J entnimmt. Nachdem durch den Eintritt der Heilungsbewährung eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen zum maßgeblichen Vergleichsbescheid vom 17. Januar 2013 vorliegt, rechtfertigt sich die Neufeststellung bzw. Herabsetzung, sodass es nicht entscheidungserheblich darauf ankommt, dass G versorgungsärztlich die Einschätzung des GdB im Bescheid vom 17. Januar 2013 für zu hoch, diesen mithin als rechtswidrig erachtet hat. Nach Ablauf der Heilungsbewährung ist der GdB allerdings nach Überzeugung des Senats weiterhin mit 50 zu bewerten.
Der Anspruch richtet sich nach § 152 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der aktuellen, seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch Art. 1 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (Satz 2). Menschen sind im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Nachdem noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen, somit die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), entsprechend (§ 241 Abs. 5 SGB IX). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (vgl. BSG, Urteil vom 1. September 1999 – B 9 V 25/98 R –, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als „Alterskrankheiten“ (etwa „Altersdiabetes“ oder „Altersstar“) bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B –, juris, Rz. 5).
Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (vgl. BSGE 82, 176 [177 f.]). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.
In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Gesamt-GdB nach Ablauf der Heilungsbewährung zwar nicht mehr 80, indessen aber weiterhin 50 beträgt, die Schwerbehinderteneigenschaft mithin noch gegeben ist.
Die vorwiegenden Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin liegen auch nach Ablauf der Heilungsbewährung noch im Funktionssystem „Weibliche Geschlechtsorgane“ und sind mit einem Teil-GdB von 40 zu bewerten.
Nach den VG, Teil B, Nr. 14.1 beträgt der GdB nach einer Segment- oder Quadrantenresektion der Brust 0 bis 20 wobei Funktionseinschränkungen im Schultergürtel, des Armes oder der Wirbelsäule als Operations- oder Bestrahlungsfolgen (z. B. Lymphödem, Muskeldefekte, Nervenläsionen, Fehlhaltung) ggf. zusätzlich zu berücksichtigen sind. Die Unterentwicklung, der Verlust oder der Ausfall beider Eierstöcke, ohne Kinderwunsch und ohne wesentliche Auswirkungen auf den Hormonhaushalt – immer in der Postmenopause – führt nach den VG, Teil B, Nr. 14.3 zu einem GdB von 10, im jüngeren Lebensalter bei noch bestehendem Kinderwunsch oder bei unzureichender Ausgleichbarkeit des Hormonausfalls durch Substitution zu einem GdB von 20 bis 30.
Nach der Brustkrebserkrankung besteht bei der Klägerin infolge der brusterhaltenden Operation eine dauerhafte Delle im Operationsbereich, sodass eine kosmetische Auffälligkeit verblieben ist. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Ehemannes der Klägerin, welches er als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertet. Der Ehemann der Klägerin führt die Bezeichnung Facharzt für Chirurgie, sodass dieser eine fachkundige Beschreibung der Operationsfolgen abgeben kann.
Verblieben sind weiterhin Sensibilitätsstörungen in der linken Axilla und an der Innenseite des linken Oberarmes, schmerzhafte Sensationen von der Achsel bis zum Ellenbogen sowie Bewegungseinschränkungen bei Arbeiten über Kopf, wie der Senat dem Gutachten des S entnimmt, das er im Wege des Urkundsbeweises (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]) verwertet. Aus der sachverständigen Zeugenauskunft des M2 folgt weiter, dass es neben den Beschwerden in der Armhebung zu rezidivierenden Blockierungen der HWS und BWS kommt, die er überzeugend den Folgen der Chemotherapie zuschreibt.
Letztlich hat die Chemotherapie zu einer PNP geführt, die zwar zu keinen Einschränkungen der Tiefensensibilität und des Gleichgewichts führt und die keine Auffälligkeiten in der Motorik und Koordination begründet, wie S ausgeführt hat, jedoch Sensibilitätsstörungen vor allem am linken und deutlich geringer auch am rechten Fuß begründet. Wesentliche Funktionseinschränkungen sind durch die Sachverständige E ebenfalls verneint worden, was hinsichtlich Motorik, Koordination und Gleichgewicht deshalb plausibel ist, nachdem die Klägerin ihr gegenüber angegeben hat, in der Stadt hauptsächlich Fahrrad zu fahren, was gegen relevante Beeinträchtigungen vor allem des Gleichgewichtssinns spricht. Dennoch weist E darauf hin, dass die subjektiven Beeinträchtigungen durch die PNP trotzdem glaubhaft sind, auch wenn die objektivierbaren Befunde nur leichte Auffälligkeiten zeigten, sodass sie einen Teil-GdB von 20 empfiehlt. Dies korrespondiert mit den VG, Teil B, Nr. 3.11, wonach sich bei den PNP die Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund motorischer Ausfälle, sensibler Störungen oder einer Kombination von beidem ergeben. Der GdB für motorische Ausfälle, die bei der Klägerin nicht bestehen, ist in Analogie zu den peripheren Nervenschäden einzuschätzen. Bei den sensiblen Störungen und Schmerzen ist zu berücksichtigen, dass schon leichte Störungen zu Beeinträchtigungen – z. B. bei Feinbewegungen – führen können.
Auch wenn der Senat nicht verkennt, dass die Einschränkungen der Armbeweglichkeit dem Funktionssystem „Arme“ (vgl. insbesondere VG, Teil B, Nr. 18.13), die Bewegungseinschränkungen bzw. Blockierungen der HWS und BWS dem Funktionssystem „Rumpf“ (vgl. insbesondere VG, Teil B, Nr. 18.1) und die PNP dem Funktionssystem „Nervensystem einschließlich Psyche“ (vgl. insbesondere VG, Teil B, Nr. 3.11) zuzuordnen sind, wird eine solche Zuordnung den Vorgaben der VG nicht gerecht.
Nach den VG, Teil B, Nr. 14.1 sind nämlich ausdrücklich Funktionseinschränkungen als Operations- und Bestrahlungsfolgen zusätzlich im Funktionssystem „Weibliche Geschlechtsorgane“ zu berücksichtigen. Eine Zergliederung der Funktionseinschränkungen (vgl. insbesondere die versorgungsärztliche Stellungnahme des D), die aus der operativen Behandlung und/oder Chemotherapie resultieren, soll damit vermieden werden.
Dass ausgehend hiervon sowohl die Einschränkung der Armhebung wie auch die PNP Folge der Operation bzw. der Chemotherapie sind, hat S zutreffend herausgearbeitet, die Blockierungen von HWS und BWS hat M2 ebenfalls nachvollziehbar der Chemotherapie zugeschrieben. Dass eine Zusammenfassung im Funktionssystem sachgerecht ist, wird im Falle der Klägerin insbesondere dadurch verdeutlicht, dass eine künstliche Aufspaltung auf Funktionssysteme letztlich dazu führt, dass die deutlichen Folgen der Krebsbehandlung unbeachtlich bleiben, da sie isoliert betrachtet jeweils keine höhere GdB-Einschätzung als 10 erlauben und damit nicht erhöhend wirken (vgl. VG, Teil A, Nr. 3 d ee). In der Gesamtschau rechtfertigt es sich daher, die Funktionseinschränkungen nach der Brustoperation und Krebstherapie weiterhin mit einem GdB von 20 einzuschätzen und damit den Bewertungsrahmen nach den VG, Teil B, Nr. 14.1 auszuschöpfen.
Daneben ist im Funktionssystem weiter die beidseitige Ovarektomie zu berücksichtigen, die bei der Klägerin im prämonopausalen Zeitraum durchgeführt werden musste. Aus den Gutachten des Ehemannes der Klägerin ergibt sich insoweit nachvollziehbar – und ohne das den Ausführungen versorgungsärztlich etwas entgegengesetzt worden wäre –, dass die Entfernung der Eierstöcke infolge einer BRCA-1-Mutation erfolgt ist, deswegen die eigentliche Standardbehandlung in Form der Hormonsubstitution dauerhaft nicht durchgeführt werden kann. Denn das Mammakarzinom ist Hormonrezeptor-positiv gewesen, wodurch die Rezidivgefahr durch eine Hormonbehandlung steigt. Es liegt somit nicht nur eine unzureichende Ausgleichbarkeit vor, sondern eine solche ist gar nicht möglich, sodass der Bewertungsrahmen mit einem GdB von 30 auszuschöpfen ist.
Innerhalb des Funktionssystems ist daher in Rechnung zu stellen, dass die Brustkrebserkrankung, deren Folgen zu berücksichtigen sind, sich somit negativ auf die Folgen der Eierstockentfernung auswirkt, sodass jedenfalls keine Überschneidungen, sondern eher eine Verstärkung gegeben ist, woraus sich ein Teil-GdB von 40 für das Funktionssystem „Weibliche Geschlechtsorgane“ rechtfertigt.
Der Teil-GdB im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ ist entgegen der versorgungsärztlichen Einschätzung gegenwärtig nur mit 20 zu bewerten, ein Teil-GdB von 30 wird noch nicht erreicht, wie letztlich auch die Sachverständige E dargelegt hat, indem sie darauf verweist, dass ein Teil-GdB von 30 am oberen Ende des Ermessensspielraums liegt.
Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 begründen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen einen GdB von 0 bis 20, stärkere Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 80 bis 100. Die funktionellen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, insbesondere wenn es sich um eine affektive oder neurotische Störung nach F30.- oder F40.- ICD-10 GM handelt, manifestieren sich dabei im psychisch-emotionalen, körperlich-funktionellen und sozial-kommunikativen Bereich (vgl. Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MedSach 6/2015, S. 255 ff.). Diese drei Leidensebenen hat auch das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung angesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 – B 9 V 12/17 B –, juris, Rz. 2). Dabei ist für die GdB-Bewertung, da diese die Einbußen in der Teilhabe am Leben in der (allgemeinen) Gesellschaft abbilden soll, vor allem die sozial-kommunikative Ebene maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 61). Bei dieser Beurteilung ist auch der Leidensdruck zu würdigen, dem sich der behinderte Mensch ausgesetzt sieht, denn eine „wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“ meint schon begrifflich eher Einschränkungen in der inneren Gefühlswelt, während Störungen im Umgang mit anderen Menschen eher unter den Begriff der „sozialen Anpassungsschwierigkeiten“ fallen, der ebenfalls in den VG genannt ist. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztlicher Behandlung in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt (Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris, Rz. 42; vgl. auch LSG Baden- Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2010 – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31).
Nach dem urkundsbeweislich zu verwertenden Gutachten der M1 bestehen bei der Klägerin Schlafstörungen, eine Grübelneigung, eine subdepressive Verstimmung, eine Affektlabilität sowie eine erhöhte Irritierbarkeit. S hat bei überdurchschnittlicher Intelligenz Hinweise auf ein hirnorganisches Syndrom, Hirnleistungsstörungen oder eine mehr als leichte psychische Störung ausgeschlossen. Für den Senat überzeugend hat E diese Vorbefunde mit dem Hinweis bestätigt, dass die Schilderung verminderter Belastbarkeit, rascher Erschöpfung und Konzentrationsschwäche einfühlbar sind und häufig nach einer Chemotherapie auftreten, sowie dass eine depressive Verstimmung aufgrund der schwerwiegenden Diagnose und der genetischen Vorbelastung verständlich ist. Ebenso überzeugend führt die Sachverständige aber weiter aus, dass erst vor kurzem eine fachärztliche, wenngleich wöchentliche, Behandlung in Anspruch genommen worden ist, das seit kurzem vermeintlich eingenommene Antidepressivum im Serumspiegel aber nicht nachweisbar war. Zum augenblicklichen Zeitpunkt lässt sich daher nicht sicher einschätzen, ob die Klägerin von der Psychotherapie profitieren kann, so dass es ihr insgesamt psychisch besser geht, oder es zu einer Verschlimmerung kommt, was natürlich nicht Zielsetzung der Behandlung ist. Zur Zeit verhält es sich so, dass die Klägerin durch ihre nachvollziehbare psychische Erkrankung nicht nennenswert eingeschränkt ist, sie vielmehr ihre Alltagsaufgaben, wenngleich mit entsprechender Einteilung und Pausen, gut bewältigen kann, ohne dass sie Unterstützung von ihrem größtenteils ortsabwesenden Ehemann erhält. Eine schwerwiegende Einschränkung im Tagesablauf der Klägerin konnte die Sachverständige demzufolge nicht erheben, vielmehr stellt sich dieser als geregelt dar. Die Klägerin versorgt den Haushalt und ihre Kinder, hat darüber berichtet, in der Stadt vorwiegend das Fahrrad zu nutzen und die Tageszeitung zu lesen. Ein erhaltendes Interessenspektrum mit Mediennutzung liegt somit vor, auch wenn sie angegeben hat, ihre sportlichen Aktivitäten zurückgefahren zu haben. Das Ausmaß einer stärker behindernden Störung mit wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit wird daher noch nicht erreicht, sodass der Teil-GdB gegenwärtig nur auf 20 einzuschätzen ist.
Aus den Darlegungen des Ehemannes der Klägerin in seinen Gutachten folgt nichts Anderes. W1 hat versorgungsärztlich bereits zu Recht bemängelt, dass die Ausführungen in weiten Teilen fachfremd sind und nicht durch Befunde gestützt werden. In diesem Sinne hat E in aller Deutlichkeit darauf verwiesen, dass die Einschätzungen der Teil-GdB und des Gesamt-GdB willkürlich gewählt sind, sich sozialmedizinisch nicht begründen lassen und insbesondere eine zentrale Auswirkung (Einschränkung von Merkfähigkeit und Konzentration) eines peripheren Nervenleidens anatomisch auszuschließen ist. Insbesondere führt sie auch aus, dass die Beurteilung nach Sichtung der Befunde in den Akten retrospektiv ab 2016 gilt, also auch in der Vergangenheit keine Befunde beschrieben sind, die die GdB-Einschätzungen des Ehemannes der Klägerin stützen.
Aus den Teil-GdB von 40 im Funktionssystem „Weibliche Geschlechtsorgane“ und 20 im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ rechtfertigt sich vorliegend weiterhin ein Gesamt-GdB von 50. Auch wenn die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ nur mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten sind, sind diese aber nicht nur so leicht ausgeprägt, dass sich der Schluss auf eine wesentliche Zunahme der Behinderung nicht rechtfertigen würde (vgl. VG, Teil A, Nr. 3 d ee). Dass den Einschränkungen eine eigenständige Bedeutung beizumessen ist, ergibt sich sowohl aus den Gutachten der M1 und des S und ist durch die Sachverständige E bestätigt worden. Deren Einschätzung des Gesamt-GdB auf 40 vermochte sich der Senat indessen nicht anzuschließen, wobei E keine eigene Bewertung des Funktionssystems „Weibliche Geschlechtsorgane“ vorgenommen hat, da dies nicht ihr Fachgebiet betrifft und der Senat insofern zu einer von den versorgungsärztlichen Einschätzungen abweichenden Bewertung gelangt ist (vgl. oben). Die von der Klägerin zuletzt gegen die Ausführungen der Sachverständigen E erhobenen Einwände beziehen sich auf keine tragenden Gesichtspunkte zur Einschätzung des GdB und erweisen sich daher nicht als entscheidungserheblich. Weshalb die medikamentöse Behandlung im Serumspiegel nicht nachweisbar gewesen ist, kann dahinstehen, da jedenfalls feststeht, dass die Behandlung erst um den Begutachtungszeitpunkt herum begonnen worden ist und damit zum maßgeblichen Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage (vgl. oben) noch nicht aufgenommen war. Aus einer medikamentösen Behandlung allein rechtfertigt sich im Übrigen keine Erhöhung des Teil-GdB.
Lediglich ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass der Beklagte der versorgungsärztlichen Einschätzung nicht Rechnung getragen hat. Denn bereits W1 hat ausgehend von Teil-GdB-Werten von 30 im Funktionssystem „Weibliche Geschlechtsorgane“ und 20 im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ einen Gesamt-GdB von 40 gesehen, eine Abklärung auf neurologisch-psychiatrischen Gebiet für nötig erachtet, die dann einen deutlich ausgeprägten Befund ergab, als bislang zu Grunde gelegt worden war. Der Gesamt-GdB ist trotzdem nicht erhöht worden.
Auf die Berufung war daher der Gerichtsbescheid des SG vom 30. Juli 2020 abzuändern und der Bescheid des Beklagten vom 23. August 2018 in der Fassung der Teilabhilfebescheide vom 12. Oktober 2018 und 6. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2017 insoweit aufzuheben, als er den Bescheid vom 13. Januar 2013 über die Feststellung eines GdB von 50 hinaus ab dem 27. August 2018 aufhebt.
Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin den Fortbestand der Schwerbehinderteneigenschaft zu Recht geltend gemacht hat.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.