Zur Frage, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzung für eine Beitragserstattung nach § 210 Abs. 1a Satz 1 SGB VI, nämlich „wenn sie die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt haben“ abzustellen ist, insbesondere auch im Zusammenhang mit einem Versorgungsausgleich und der Regelung in § 29 VersAusglG.
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 20. November 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung von Beiträgen aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Der 1980 geborene Kläger ist Arzt und versicherungspflichtig in dem Versorgungswerk der Landesärztekammer H. Nach Begründung eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zum 1. März 2014 mit der Praxisgemeinschaft H1, V in V1 wurden seitens des Arbeitgebers Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt. Mit Bescheid vom 15. Dezember 2014 erteilte die Beklagte die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) aufgrund der Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Landesärztekammer H. Die Befreiung wurde ab dem 25. November 2014 erteilt, weil der entsprechende Antrag nicht innerhalb von drei Monaten nach Beginn des Beschäftigungsverhältnisses eingereicht worden sei. Am 26. November 2014 stellte der Kläger einen Antrag auf Erstattung von Beiträgen aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Mit Beschluss vom 23. April 2015 des Amtsgerichts Lambertheim – Familiengericht – wurde die 2006 geschlossene Ehe des Klägers geschieden und u.a. dem Konto des Klägers bei der Beklagten eine Rentenanwartschaft von 2,0113 Entgeltpunkten bezogen auf den 31. Mai 2014 übertragen. Der Versorgungsausgleich wurde am 9. Juni 2015 wirksam.
Am 3. Februar 2017 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Erstattung von Beiträgen aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Mit Bescheid vom 22. Februar 2017 lehnte die Beklagte diesen Antrag des Klägers auf Erstattung der für den Zeitraum vom 1. März bis 24. November 2014 gezählten Rentenversicherungsbeiträgen gemäß § 210 SGB VI mit der Begründung ab, dass eine Erstattung nicht möglich sei, weil die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren mit Beitrags- und Ersatzzeiten erfüllt sei. Es seien auf die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren bezogen 33 Monate Pflichtbeitragszeiten und 40 Monate aus dem Versorgungsausgleich zu berücksichtigen.
Den dagegen am 21. März 2017 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 2017 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren könne auch zusammen oder allein mit Wartezeitmonaten aus einem Versorgungsausgleich erfüllt werden. Es sei stets zu prüfen, ob nach Übertragung oder Begründung von Rentenanwartschaften unter Berücksichtigung der Wartezeitmonate aus dem Versorgungsausgleich die allgemeine Wartezeit gegebenenfalls erfüllt und der Erstattungsantrag abzulehnen sei. Aufgrund des durchgeführten Versorgungsausgleichs seien 40 Monate zusätzlich bei den Beitragszeiten des Klägers berücksichtigt worden. Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sei somit erfüllt. Daher entfalle die Erstattungsberechtigung.
Hiergegen hat der Kläger am 25. Januar 2018 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Mit dieser hat er sein Begehren auf Rückerstattung der für den Zeitraum vom 1. März bis 24. November 2014 gezahlten Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung weiterverfolgt. Zur Begründung hat er vorgetragen, allein mit seinen selbst erworbenen Beitragszeiten wäre die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt, sondern lediglich durch die zusätzliche Berücksichtigung der im Wege des Versorgungsausgleichs nach seiner erfolgten Scheidung übertragenen Anwartschaften. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass der Versorgungsausgleich gemeinsam mit der Scheidung erst nach dem streitgegenständlichen Erstattungszeitraum vom 1. März 2014 bis zum 24. November 2014 durchgeführt worden sei. Zu dem Zeitpunkt, zu dem die doppelte Beitragszahlung erfolgt sei, sei die allgemeine Wartezeit somit noch nicht erfüllt gewesen. Dieser Zeitpunkt sei aber maßgeblich. Wenn wie hier nach Ablauf des Erstattungszeitraums durch einen Versorgungsausgleich noch weitere Wartezeiten hinzuträten, sei dies für den Erstattungsanspruch nicht relevant. Der von der Beklagten vorgenommene Verweis auf §§ 210 Abs. 4, 52 Abs. 1 SGB VI lasse nicht den Schluss zu, dass im Wege des Versorgungsausgleiches nachträglich, also nach Ablauf des Zeitraums, für den die Rückerstattung der Beiträge geltend gemacht werde, erworbene Wartezeitmonate zusätzlich zu berücksichtigen seien.
Nachdem das SG im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 9. Juli 2019 die Beklagte darauf hingewiesen hat, dass der Antrag des Klägers vom 26. November 2014 noch nicht verbeschieden sei, hat die Beklagte mit Bescheid vom 26. August 2019 diesen Antrag auf Erstattung von Beiträgen aus der gesetzlichen Rentenversicherung abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, auf die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren würden Kalendermonate mit Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet. Bei der Prüfung der Wartezeit sollten auch Zeiten beachtet werden, die noch rückwirkend entstehen könnten. Dazu zählten z.B. übertragene Versorgungsanwartschaften aus einem Versorgungsausgleich. Sei zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Beitragserstattung nach § 210 SGB VI ein Verfahren zum Versorgungsausgleich anhängig oder werde ein solches im Laufe des Erstattungsverfahrens anhängig, so finde § 29 Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG) Anwendung. Nach dieser Vorschrift dürften bis zum wirksamen Abschluss eines Verfahrens über den Versorgungsausgleich keine Zahlungen an den Versicherten geleistet werden, die auf die Höhe eines in den Versorgungsausgleich einzubeziehenden Anrechts Einfluss haben könnten. Das bedeute, dass eine Entscheidung über den Antrag auf Beitragserstattung erst dann getroffen werden könne, wenn das Urteil oder der Beschluss über die Durchführung des Versorgungsausgleichs rechtskräftig und wirksam geworden sei. Ergäben sich aufgrund der späteren rechtskräftigen wirksamen Entscheidung über den Versorgungsausgleich zusätzliche Wartezeitmonate, sei diese bei der Entscheidung über den Antrag auf Beitragserstattung zu berücksichtigen. Sei der Anspruch auf Beitragserstattung von der nicht erfüllten allgemeinen Wartezeit abhängig, bestehe ein solcher Anspruch nicht, wenn aufgrund der zusätzlichen Wartezeitmonate die allgemeine Wartezeit erfüllt werde. Aufgrund des durchgeführten Versorgungsausgleichs würden 40 Monate zusätzlich zu den Beitragszeiten berücksichtigt werden. Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sei somit erfüllt. Der Kläger sei daher nicht erstattungsberechtigt. Dieser Bescheid werde Gegenstand des anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens.
Mit Gerichtsbescheid vom 20. November 2020 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 22. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Dezember 2017 und des Bescheids vom 26. August 2019 verurteilt, die für den Zeitraum vom 1. März bis 24. November 2014 geleisteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in gesetzlicher Höhe zu erstatten; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die form- und fristgemäß erhobene Klage sei zulässig und begründet. Der Bescheid vom 22. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Dezember 2017 sowie der Bescheid vom 26. August 2019, der gemäß § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei, seien rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger habe einen Anspruch auf die Erstattung der von ihm im Zeitraum vom 1. März bis 24. November 2014 geleisteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Gemäß § 210 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 SGB VI würden Beiträge auf Antrag des Versicherten , die versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit seien, erstattet, wenn sie die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt hätten. Der Kläger hätte zum 1. März 2014 mit der Praxisgemeinschaft H1, V in V1 ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründet. Seitens des Arbeitgebers seien Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung bis zur Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht abgeführt worden. Die Beklagte habe den Kläger mit Bescheid vom 15. Dezember 2014 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI wegen der Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Landesärztekammer H befreit. Die Befreiung sei ab 25. November 2014 erteilt worden. Zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Beitragsrückerstattung am 26. November 2014 habe der Kläger auch die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren nach § 50 Abs. 1 SGB VI noch nicht erfüllt. Nach § 210 Abs. 2 SGB VI würden die Beiträge nur erstattet, wenn seit dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht 24 Kalendermonate abgelaufen seien und nicht erneut Versicherungspflicht eingetreten sei. Die Wartezeit sei eine Schutzfrist. Durch sie solle verhindert werden, dass bei jedem kurzfristigen Ausscheiden aus der Versicherungspflicht eine Beitragserstattung beantragt werde. Es sei unstreitig keine erneute Versicherungspflicht eingetreten.
Die Höhe des Erstattungsbetrages werde nach § 210 Abs. 3 und 4 SGB VI berechnet. Entgegen der Auffassung der Beklagten besage diese Vorschrift i.V.m. § 52 Abs. 1 SGB VI nicht, dass im Wege des Versorgungsausgleichs nachträglich erworbene Wartezeitmonate zusätzlich zu berücksichtigen seien, da es sich nach Sinn und Zweck der Vorschrift nur um eine Berechnungsvorschrift zur Höhe der Ausgleichsbeträge handele. Dies komme auch in der Berechnung des Erstattungsbetrages zum Ausdruck. Sei ein Versorgungsausgleich zugunsten des Versicherten durchgeführt worden, erhöhe sich der Erstattungsbetrag; bei einem Versorgungsausgleich zu Lasten des Versicherten mindere sich der zu erstattende Betrag.
Auch die Anwendung des § 29 VersAusglG führe zu keinem anderen Ergebnis. Nach dieser Vorschrift sei der Versicherungsträger bis zum wirksamen Abschluss eines Verfahrens über den Versorgungsausgleich verpflichtet, Zahlungen an die ausgleichspflichtige Person zu unterlassen, die sich auf die Höhe des Ausgleichswerts auswirken könnten. Das Zahlungsverbot beginne mit der Anhängigkeit des Scheidungsverfahrens, also dem Eingang der Scheidungsantragsschrift bei Gericht. Dies sei am 1. Juni 2014 gewesen und dauere bis zur Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung am 5. Juni 2015. Das Auszahlungsverbot solle verhindern, dass ein Ehegatte den Versorgungsausgleich dadurch manipuliere, dass er sich seine Versorgungen auszahlen lasse und dadurch dem Ausgleich entziehe. Denn die Auszahlung habe zur Folge, dass die entsprechenden Anrechte erlöschten und nicht mehr ausgeglichen werden könnten. Gleichzeitig unterliege die ausgezahlte Erstattungsleistung nicht dem Versorgungsausgleich. Systematisch sei § 29 VersAusglG eine Schutzvorschrift zugunsten des Ausgleichsberechtigten, durch welche eine gerechte Teilhabe im Versorgungsausgleich erreicht werden solle. Durch § 29 VersAusglG i.V.m. § 210 Abs. 4 SGB VI solle die korrekte Berechnung des Erstattungsbetrages sichergestellt werden, bis das bisherige Versicherungsverhältnis aufgelöst werde und Ansprüche aus den vor der Erstattung zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten nicht mehr bestünden. Die weitergehende Auslegung der Beklagten, dass die sich aufgrund der Scheidung aus dem Versorgungsausgleich ergebenden zusätzlichen Entgeltpunkte/Wartemonate bei dem zuvor gestellten Antrag auf Beitragserstattung zu berücksichtigen seien, lasse sich der gesetzlichen Systematik nicht entnehmen. Da dem Kläger bereits aufgrund seines Antrages vom 26. November 2014 die Beitragserstattung für den Zeitraum vom 1. März bis 24. November 2014 zugestanden habe, sei auch der Bescheid vom 22. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Dezember 2017 rechtswidrig und damit aufzuheben.
Gegen den der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 9. Dezember 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 8. Januar 2021 schriftlich beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, streitbefangen sei vorliegend die Frage, ob ein Antrag auf Beitragserstattung abzulehnen sei, wenn dieser wegen eines anhängigen oder anhängig werdenden Versorgungsausgleichsverfahrens nicht beschieden werden könne, weil das Leistungsverbot aus § 29 VersAusglG zu beachten sei und wenn später aufgrund der Entscheidung zum Versorgungsausgleich die allgemeine Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt werde. Entgegen der Auffassung des SG seien die sich aufgrund einer späteren rechtskräftigen und wirksamen Entscheidung über den Versorgungsausgleich ergebenden zusätzlichen Wartezeitmonate bei der Entscheidung über einen Antrag auf Beitragserstattung zu berücksichtigen. Sei der Anspruch auf Beitragserstattung von der nicht erfüllten allgemeinen Wartezeit abhängig, bestehe ein solcher Anspruch nicht, wenn aufgrund der zusätzlichen Wartezeitmonate die allgemeine Wartezeit erfüllt werde. Die Erstattung von Beiträgen erfolge auf Antrag einer versicherten Person, die versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit sei, wenn sie die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt habe. Werde ein entsprechender Antrag gestellt, dürfe über ihn bis zum wirksamen Abschluss eines anhängigen oder während des Verwaltungsverfahrens zu seiner Bearbeitung anhängig werdenden Verfahrens über den Versorgungsausgleich nicht positiv entschieden werden, weil der zuständige Rentenversicherungsträger verpflichtet sei, Zahlungen an die ausgleichspflichtige Person zu unterlassen, die sich auf die Höhe des Ausgleichswerts auswirken könnten. § 29 VersAusglG entspräche dem bis zum 31. August 2009 geltenden Recht. Die Vorschrift ersetze § 10d des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich. Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages habe die Einfügung dieser Regelung damit begründet, dass verhindert werden solle, dass dem Versorgungsausgleich die Grundlage entzogen werde, weil sich ein Ehegatte noch im Laufe des Versorgungsausgleichsverfahrens seine Versorgungsansprüche auszahlen lasse und damit einen Versorgungsausgleich unmöglich mache. Sobald der Versorgungsträger von einem Versorgungsausgleichsverfahren Kenntnis erhalte, dürfe er keinen Erstattungsbescheid mehr erlassen und keine Auszahlungen mehr vornehmen, solange die Entscheidung über den Versorgungsausgleich nicht wirksam geworden sei. Zu der Frage, welcher Sachverhalt bei einer Entscheidung über einen Antrag zugrunde zu legen sei, sei maßgeblich als Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts. Dies ergäbe sich auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Frage, ob und gegebenenfalls bis zu welchem Zeitpunkt Änderungen der Sachlage zu berücksichtigen seien, die im Laufe eines Verwaltungsverfahrens einträten. In seiner Rechtsprechung verweise das BSG auf die „Faustregel“, dass bei Leistungs- und Verpflichtungsklagen Änderungen der Sach- und Rechtslage bis zur letzten mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen seien. Dieser Grundsatz gelte auch im Verfahren vor den Verwaltungsbehörden und speziell im Bereich des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach § 62 SGB X würden die Vorschriften des SGG auch für förmliche Rechtsbehelfe aus dem Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung gelten. Erfasst werde damit das zum Verwaltungsverfahren zählende Widerspruchsverfahren. Wenn aber für das Widerspruchsverfahren auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen sei, spreche dies aus Gründen der Einheitlichkeit des Verwaltungsverfahrens dafür, auch für das vorhergehende Verwaltungsverfahren auf die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen. Dies bedeute, dass bei Anträgen auf Beitragserstattung die sich aus einer zwischenzeitlichen familiengerichtlichen Entscheidung ergebenden zusätzlichen Wartezeitmonate auch in den Fällen zu berücksichtigen seien, in denen sich aufgrund des Leistungsverbots aus § 29 VersAusglG erst durch die familiengerichtliche Entscheidung ein Zuwachs an Wartezeitmonaten ergäbe, der zur Erfüllung der allgemeinen Wartezeit führe. Insoweit führe die Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung am 5. Juni 2015 zur Erfüllung der allgemeinen Wartezeit und in der Folge zur Nichterstattung der Beiträge bis 24. November 2014. Dieses Ergebnis entspräche auch Sinn und Zweck des § 29 VersAusglG. Das Leistungsverbot führe dazu, dass der Versorgungsausgleich unter Berücksichtigung der Beiträge durchgeführt werde, die von dem Antrag auf Beitragserstattung erfasst seien. Die Beitragserstattung falle entsprechend geringer raus. Bei der Entscheidung über die Beitragserstattung werde damit auf die tatsächlichen Verhältnisse abgestellt, die durch die familiengerichtliche Entscheidung zum Versorgungsausgleich entstanden seien. Für eine abweichende Verfahrensweise in Fällen, in denen durch den Versorgungsausgleich – wie vorliegend – Anrechte erworben würden, sei kein Grund erkennbar.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 20. November 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung führt der Klägerbevollmächtigte aus, die Entscheidung des SG sei zutreffend, es werde insoweit auf die Entscheidungsgründe und den erstinstanzlichen Vortrag des Klägers verwiesen. Ergänzend wird noch ausgeführt, zum Zeitpunkt der Antragstellung am 26. November 2014 sei ein Versorgungsausgleich noch nicht durchgeführt worden, das Scheidungsurteil datiere vom 23. April 2015. Die Beklagte verweise auf die Vorschrift des § 210 SGB VI, hieraus ergebe sich aber nicht die von der Beklagten in Anspruch genommene Schlussfolgerung, dass im Wege des Versorgungsausgleichs nachträglich – also nach Ablauf des Zeitraums, für den die Rückerstattung der Beiträge geltend gemacht werde – erworbene Wartezeitmonate zusätzlich zu berücksichtigen seien. Eine solche Rechtsfolge ergebe sich auch nicht aus § 29 VersAusglG.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht beim SG (§ 151 Abs. 2 SGG) eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), ist gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1, 143 SGG statthaft und zulässig.
Streitgegenständlich ist der Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Dezember 2017 und der gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens gewordene Bescheid vom 26. August 2019.
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Auffassung des SG und des Klägers hat er keinen Anspruch auf Erstattung der von ihm entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum 1. März bis 24. November 2014. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Dezember 2017 und der Bescheid vom 26. August 2019 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die vom Kläger erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4, § 56 SGG – vgl. Bundessozialgericht – BSG – vom 29. Juni 2000 – B 4 RA 57/98 R in SozR 3-2600 § 210 Nr. 2) bleibt daher ohne Erfolg.
Die Erstattung rechtmäßig gezahlter Beiträge zur Rentenversicherung richtet sich nach § 210 SGB VI. Maßgeblich ist dabei die Fassung des § 210 SGBVI zum Zeitpunkt der erforderlichen Antragstellung auf Beitragsrückerstattung (BSG, Urteil vom 10. Juli 2012 – B 13 R 26/10 R in SozR 4-2600 § 210 Nr. 3), hier somit § 210 SGB VI in der bis zum 25. November 2015 geltenden Fassung. Die Voraussetzungen der Nr. 2 (Versicherte, die u.a. die Regelaltersgrenze erreicht haben und Witwer und überlebende Lebenspartner) des § 210 Abs. 1 SGBVI sind ersichtlich nicht erfüllt. Aber auch eine Beitragserstattung gemäß § 210 Abs. 1 Nr. 1 SGBVI scheidet aus. Hiernach werden Versicherten, die das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Beiträge auf Antrag erstattet, wenn sie nicht versicherungspflichtig sind und nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung haben. Vorliegend kann sich der Kläger freiwillig versichern, sodass § 210 Abs. 1 Nr. 1 SGBVI nicht erfüllt ist.
Einer freiwilligen Versicherung des Klägers gemäß § 7 SGB VI steht vorliegend nichts entgegen.
Eine Beitragserstattung gemäß § 210 Abs. 1a SGB VI scheidet vorliegend jedoch deshalb aus, weil der Kläger, der gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI mit Bescheid vom 15. Dezember 2014 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund der Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Landesärztekammer H befreit ist, ausweislich des Kontospiegels vom 22. Februar 2017 die allgemeine Wartefrist von fünf Jahren (§§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 SGB VI) erfüllt. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Erstattungsantrag des Klägers – sowohl zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 22. Februar 2017 wie auch zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 26. August 2019 – wies der Kläger aufgrund des am 9. Juni 2015 wirksam gewordenen Versorgungsausgleichs 33 Monate Pflichtbeitragszeiten und 40 Monate aus dem Versorgungsausgleich als zu berücksichtigende Wartezeitmonate (Beitragszeiten und Ersatzzeiten gemäß § 51 Abs. 1 und 4 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – SGB IV -) auf. Mit Blick auf die gesetzliche Anspruchsvoraussetzung für eine Beitragserstattung des § 210 Abs. 1a Satz 1 SGB VI, nämlich „wenn sie die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt haben“ ist auf diesen Zeitpunkt, nämlich auf den Erlass der Bescheide über den Antrag auf Erstattung der Beiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung abzustellen. Als Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts ist bei kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen – wie vorliegend – bei Tatsachenfragen – also bezogen auf die Sachlage – soweit sich aus dem materiellen Recht nichts anderes ergibt – auf die letzte mündliche Verhandlung in der Tatsacheninstanz abzustellen (vgl. JurisPK, § 54 Rn. 51 SGG). Dieser Grundsatz gilt – hierin ist der Beklagten zuzustimmen – auch im Verwaltungsverfahren (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Aufl., 2020, § 54 Rn. 33a) und speziell im Bereich des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach § 62 SGB X gelten die Vorschriften des SGG auch für förmliche Rechtsbehelfe aus dem Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung. Erfasst wird damit auch das zum Verwaltungsverfahren zählende Widerspruchsverfahren. Wenn aber für das Widerspruchsverfahren auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Entscheidung abgestellt wird, spricht dies aus Gründen der Einheitlichkeit des Verwaltungsverfahrens dafür, auch für das vorhergehende Verwaltungsverfahren auf die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen.
Das materielle Recht steht dieser Rechtsauffassung nicht entgegen, sondern bestätigt sie.
Gemäß § 29 VersAusglG ist der Versorgungsträger bis zum wirksamen Abschluss eines Verfahrens über den Versorgungsausgleich verpflichtet, Zahlungen an die ausgleichspflichtige Person zu unterlassen, die sich auf die Höhe des Ausgleichswerts auswirken können. Das Zahlungsverbot beginnt mit der Anhängigkeit des Scheidungsverfahrens, also dem Eingang der Scheidungsantragsschrift bei Gericht. Dies war vorliegend am 1. Juni 2014 der Fall und dauerte bis zur Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung am 5. Juni 2015. Dieses Auszahlungsverbot soll verhindern, dass ein Ehegatte den Versorgungsausgleich dadurch manipuliert, dass er sich seine Versorgungen auszahlen lässt und dadurch dem Ausgleich entzieht. Denn die Auszahlung hat zur Folge, dass die entsprechenden Anrechte erlöschen und nicht mehr ausgeglichen werden können; gleichzeitig unterliegt die ausgezahlte Erstattungsleistung nicht dem Versorgungsausgleich. Wird somit ein Antrag auf Beitragserstattung gestellt, darf über ihn bis zum wirksamen Abschluss eines anhängigen oder während des Verwaltungsverfahrens zu seiner Entscheidung anhängig werdenden Verfahrens über den Versorgungsausgleich nicht positiv entschieden werden, weil der zuständige Rentenversicherungsträger verpflichtet ist, Zahlungen an die ausgleichspflichtige Person zu unterlassen, die sich auf die Höhe des Ausgleichswerts auswirken können. Sobald der Versorgungsträger von einem Versorgungsausgleichsverfahren Kenntnis erhält, darf er keinen Erstattungsbescheid mehr erlassen und keine Auszahlungen mehr vornehmen, solange die Entscheidung über den Versorgungsausgleich nicht wirksam geworden ist. Ist sodann diese Entscheidung wirksam geworden, ist die Entscheidung über die Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung auf der Grundlage der (auch) durch den Versorgungsausgleich ergebenden Beiträge zu treffen. Hierbei ist § 210 Abs. 3 SGB VI als generelle Regelung über die Höhe des Erstattungsbetrages zu berücksichtigen sowie § 210 Abs. 4 SGB VI, der die Berechnung bezüglich der Höhe des Erstattungsbetrages um die Beträge aus den zugunsten oder zu Lasten des Versicherten durchgeführten Versorgungsausgleichs anpasst. Dies bedeutet im Sinne der Höhe der zu erstattenden Beiträge, dass die Erstattung an den durch den Versorgungsausgleich Begünstigten höher ausfällt bzw. die Erstattung an den durch den Versorgungsausgleich Benachteiligten geringer ausfällt. Wenn allerdings im Sinne der materiellen Entscheidung über den Erstattungsantrag die durch den Versorgungsausgleich angefallenen Beiträge zu berücksichtigen sind, und diesbezüglich somit also auf die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Erstattungsantrag abzustellen ist, so ist für den Senat kein sachlicher Grund erkennbar, warum mit Blick auf die Anspruchsvoraussetzung über den Erstattungsantrag des § 210 Abs. 1a Satz 1 SGB VI, dass nämlich die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt sein darf, nicht auf den gleichen Zeitpunkt für die tatsächlichen Verhältnisse, also wiederum auf den Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung über den Erstattungsantrag abzustellen sein sollte. Zu diesem Zeitpunkt jedoch – Bescheid vom 22. Februar 2017 bzw. Bescheid vom 26. August 2019 – hatte der Kläger die fünf Jahre betragende allgemeine Wartezeit erfüllt. Dies wurde durch die Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung über den Versorgungsausgleich zum 15. Juni 2015 bewirkt. Ab diesem Zeitpunkt wies der Kläger 73 Wartezeitmonate auf.
Im Ergebnis hat der Kläger deshalb keinen Anspruch auf Beitragserstattung, sodass die Berufung der Beklagten Erfolg hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.