S 21 AS 571/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 21 AS 571/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 268/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die endgültige Festsetzung und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – (SGB II).

Die in den Jahren 1954 und 1950 geborenen, verheirateten Kläger standen im Jahr 2011 im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die Klägerin zu 1) betrieb ein Gewerbe „Import und Export von Möbeln, Metall etc.“. Der Kläger zu 2) war geringfügig im Unternehmen angestellt. Nach Meinung der Kläger genügte der Gewinn seinerzeit nicht, um den Lebensunterhalt sicherzustellen. 

Am 28.11.2011 stellten die Kläger einen Fortzahlungsantrag für die Zeit ab dem 01.12.2011. Die Beklagte gewährte ihnen durch Bescheid v. 12.12.2011 vorläufig Leistungen für den Zeitraum 01.12.2011 – 31.05.2012 in Höhe v. 1.555,20 € (12/2011) bzw. 1.409,20 € (01-05/2012). Hierbei wurde zunächst ein Einkommen i.H.v. 200 € monatlich zugrunde gelegt. Die Beklagte wies darauf hin, dass die Festsetzung vorläufig und eine abschließende Entscheidung erst möglich sei, wenn die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum festständen. Ggf. zu viel gezahlte Leistungen müssten dann erstattet werden. Die abschließenden Angaben sollten auf einem bestimmten Formular gemacht werden. Desweiteren fand sich im Bescheidtext der Hinweis, die zu zahlenden Leistungen würden monatlich im Voraus überwiesen.

Mit Schreiben v. 27.03.2012 teilte die Klägerin zu 1) mit, die Beklagte solle ihnen ab dem 01.04.2012 keine Leistungen mehr zahlen. Sie würden hoffen, ihren Lebensunterhalt ab dann wieder selbst sicherstellen zu können. Dennoch wurde am 30.03.2012 auf das Konto der Klägerin zu 1) nochmals ein Betrag i.H.v. 923,20 € und an ihren Vermieter ein Betrag i.H.v. 486 € überwiesen. Als Verwendungszweck der Leistungen war u.a. die Bedarfsgemeinschaftsnummer angegeben, jedoch kein Hinweis auf den Leistungsmonat. Danach erhielten die Kläger von der Beklagten allerdings keine Überweisungen mehr.

Durch zwei Bescheide v. 18.08.2016 hob die Beklagte die Leistungsgewährung an die Kläger für den Zeitraum „01.04.2012 bis 31.05.2012“ auf und forderte die Erstattung der gesamten Leistungen i.H.v. 1.720,72 € betreffend die Klägerin und i.H.v. 1.097,68 € betreffend den Kläger. Hierbei berief sie sich auf den erklärten Leistungsverzicht ab dem 01.04.2012.

Hiergegen legten die Kläger mit Schreiben v. 14.09.2016 Widerspruch ein. Sie hätten nach Durchsicht ihrer Kontoauszüge nicht feststellen können, solche Leistungen erhalten zu haben.

Durch zwei Bescheide v. 27.02.2017 (bzw. 07.03.2017) hob die Beklagte die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide v. 18.08.2016 auf. Dem Widerspruch habe demnach in vollem Umfang entsprochen werden können. Die Einzelheiten sollten die Kläger den ihnen gesondert zugehenden Bescheiden entnehmen.

Durch die zwei weiteren Bescheide v. 07.03.2017 forderte die Beklagte jedoch erneut die Erstattung der für den Monat April 2012 erbrachten vorläufigen Leistungen i.H.v. 860,36 € betreffend die Klägerin bzw. 548,84 € betreffend den Kläger. Sie begründete dies damit, nach der endgültigen Festsetzung zu viel gezahlte vorläufige Leistungen seien zu erstatten. Die Kläger hätten ab April 2012 auf die Leistungen verzichtet.

Hiergegen legten die Kläger mit Schreiben v. 03.04.2017 erneut Widerspruch ein. Sie machten geltend, die Beklagte habe ihnen doch mitgeteilt, dass ihrem Widerspruch im vollen Umfang entsprochen werde. Die Widersprüche wurden durch getrennte Bescheide v. 18.05.2017 zurückgewiesen. Die „vollumfänglichen“ Abhilfebescheide v. 27.02.2017 bzw. 07.03.2017 seien lediglich aus formellen Gründen ergangen, da für den Monat Mai tatsächlich keine Leistungen erbracht worden seien.

Die Kläger haben am 19.06.2017 Klage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben.

Sie tragen vor, es könne nicht sein, dass erst eine Abhilfe verkündet und dann doch noch eine Erstattung gefordert werde. Weiter sei eine Rückforderung von Leistungen nach so langer Zeit nicht mehr möglich. Sie seien zudem davon ausgegangen, dass die Beklagte ihren Fall abgeschlossen habe und keine Rückforderung mehr geltend gemacht werde. Schließlich befinde sich das Unternehmen der Klägerin in einer schwierigen Situation, so dass sie nicht in der Lage seien, den Erstattungsanspruch zu befriedigen.

Sie beantragen,

die Bescheide v. 07.03.2017 in Gestalt der Widerspruchsbescheide v. 18.05.2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf die in den Bescheiden gegebene Begründung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht kann gem. § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da der Sachverhalt geklärt ist und die Sache keine wesentlichen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Bescheide v. 07.03.2017 in Gestalt der Widerspruchsbescheide v. 18.05.2017 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat den Leistungsanspruch für den Monat April 2012 durch die endgültige Festsetzung zutreffend abgelehnt.

Unerheblich ist hier zunächst, dass vor Erlass der angefochtenen Bescheide eine Abhilfe hinsichtlich der Bescheide v. 18.08.2016 stattgefunden hat. Denn auch nach der Rücknahme von Bescheiden in einem Rechtsbehelfsverfahren steht es der Behörde frei, innerhalb der gesetzlichen Voraussetzungen (ggf. Vertrauensschutzeinschränkungen, Fristen) neue Entscheidungen zur selben Frage zu erlassen.

Maßgeblich sind für die vorliegende endgültige Festsetzung und Erstattung noch § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 2 und 3 SGB III, da der streitgegenständliche Bewilligungszeitraum vor dem 01.08.2016 beendet war (BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 4 AS 39/17 R – , Juris).

Eine vorläufige Entscheidung ist gem. § 328 Abs. 2 SGB III auf Antrag der berechtigten Person für endgültig zu erklären, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist. Auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen sind nach Absatz 3 der Vorschrift auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten.

Die vorläufige Bewilligung der Leistungen war vorliegend aufzuheben, d.h. auf 0 € festzusetzen, und die Erstattung der erhaltenen Leistungen zu fordern, weil die Kläger mit schriftlicher Erklärung v. 27.03.2012 auf die Leistungen ab dem 01.04.2012 verzichtet hatten. Hierbei handelte es sich um einen wirksamen Verzicht auf Sozialleistungen für die Zukunft nach § 46 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch – (SGB I), durch den der Leistungsanspruch ab dem 01.04.2012 erlosch. Einer Feststellung der Wirkungen des Verzichts in einem Bescheid ist möglich aber nicht erforderlich (BeckOK SozR/Gutzler, 52. Ed. 1.12.2018, SGB I § 46 Rn. 16).

Ein Leistungsanspruch der Kläger hat im Ergebnis für den Zeitraum April 2012 nicht bestanden. Die für diesen Zeitraum erlangten Leistungen sind zu erstatten.

Die Rückforderung nach endgültiger Festsetzung war hier auch nicht verfristet. Insbesondere stand dem Erlass des endgültigen Bescheides nicht die Frist des § 41 a Abs. 5 SGB II entgegen, da der Fristbeginn hier durch die Übergangsregelung des § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II dahingehend modifiziert wird, dass die Jahresfrist erst am 01.08.2016 begann. Die endgültige Festsetzung erfolgte innerhalb dieser Frist durch Bescheid v. 07.03.2017. Die Frist des § 48 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X, wonach die Behörde die Rücknahme innerhalb eines Jahres seit Kenntnis von der Änderung vornehmen muss, greift im Falle der endgültigen Festsetzung nicht ein, da die Frist des § 41 a Abs. 5 SGB II die speziellere Regelung darstellt.

Auch eine Verwirkung des Erstattungsanspruches vermag das Gericht nicht zu erkennen. Zwar waren zur Zeit der endgültigen Festsetzung seit dem Leistungsbezug bereits über vier Jahre verstrichen. Jedoch fehlt es an einem sog. Umstandsmoment, d.h. es gibt keine ausreichenden, der Beklagten zurechenbaren Umstände, aus denen die Kläger schließen durften, dass eine Rückforderung nicht mehr erfolgen würde. Ein solcher Umstand liegt auch nicht etwa darin, dass die Kläger bereits kurz nach dem Ende des Leistungsbezugs eine betriebswirtschaftliche Auswertung und eine Gewinn- und Verlustrechnung eingereicht hatten und die Beklagte hierauf untätig blieb. Denn die Kläger waren durch den vorläufigen Leistungsbescheid eindeutig darauf hingewiesen worden, dass eine endgültige Festsetzung erst nach Bekanntgabe sämtlicher im Bewilligungszeitraum erzielter Gewinne des Unternehmens erfolgen könne und die Vorlage eines speziellen Formulars hierfür erforderlich sei. Die von den Klägern im Jahr 2012 eingereichten Unterlagen bezogen sich aber lediglich auf Teilzeiträume des Bewilligungszeitraumes. Auch legten sie nicht das von der Beklagten (rechtmäßigerweise) verlangte Formular vor. Sie durften daher nicht davon ausgehen, dass die Beklagte bereits alle notwendigen Unterlagen hatte, um über die endgültige Leistungshöhe im kompletten Zeitraum des Leistungsbezugs zu entscheiden.

Für die Berücksichtigung einer etwaigen schlechten wirtschaftlichen Lage der Kläger gibt es im Erstattungsverfahren schließlich keine Handhabe. Den Klägern steht es allerdings frei, nach Bestandskraft der Bescheide im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens einen Erlass oder eine Stundung der Forderungen zu beantragen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang. Das zulässige Rechtsmittel der Berufung ergibt sich aus §§ 105 Abs. 2, 143 SGG.  

Rechtskraft
Aus
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