I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, inwieweit eine Vielzahl von Erkrankungssymptomen des Klägers auf seine Tätigkeit als Gartenbaugehilfe mit Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln zurückzuführen und deshalb als Berufskrankheit (BK) im Sinne des § 9 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) anzuerkennen ist. Der Kläger begehrt eine BK nach der Nr. 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische), nach der Nr. 1302 (Erkrankungen durch Halogen-Kohlenwasserstoffe) und nach der Nr. 1307 (Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen) jeweils der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) oder eine Wie-BK i. S. d. § 9 Abs. 2 SGB VII.
Der 1969 geborene Kläger ist gelernter Gärtnergehilfe und arbeitete seit dem 1. September 1988 mit mehreren Unterbrechungen in verschiedenen Zierpflanzenbetrieben. Im Rahmen seiner Beschäftigung verrichtete er auch Pflanzenschutzarbeiten. Im Juli 2001 machte die Krankenkasse des Klägers bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch geltend. Anbei leitete sie der Beklagten die Ärztliche Anzeige des Nervenarztes Dr. C. vom 28. Juni 2001 über eine BK wegen Pestiziden zu. Darin gab der Arzt als Diagnose an:
Neuropathie, Myopathie, deutliche Leistungstörungen in Teilbereichen, deutliche Störungen der Glukose-Utilisation im PET.
Im weiteren Verlauf des Verfahrens legte der Kläger bei der Beklagten einen Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin – Umweltmedizin Dr. D. vom 10. Januar 2002 (70) vor, der bei dem Kläger
MCS - Multiple Chemikaliensensitivität
diagnostiziert hatte.
Des weiteren legte der Kläger ein Ärztliches Gutachten der Arbeitsamtsärztin Dr. E. vom 4. April 2002 (90) vor. Diese hatte bei ihm folgende Erkrankungen diagnostiziert:
Chronisches Erschöpfungssyndrom mit Empfindungsstörungen der Hände und Muskelschwäche bei chronischer Überempfindlichkeit nach langjähriger toxischer Belastung während seiner beruflichen Tätigkeit als Gärtner (Sensibilisierungen gegenüber Schimmelpilzen, Insektiziden, Holzschutzmitteln, Latexhandschuhen), blaurote Verfärbungen beider Hände mit Hautekzemen bei Verdacht auf rheumatische Erkrankung.
Schließlich reichte der Kläger einen Bericht des Dr. F. vom 19. April 2002 (92) vor, in dem dieser
einen Verdacht auf Lupus erythematodes (L93.)
äußerte.
Die Beklagte forderte ihrerseits eine Arbeitsplatz-Expositionsanalyse bei ihrer Technischen Abteilung (TA) an. Diese kam in ihrer Stellungnahme vom 10. Januar 2002 (64) auf Grundlage der Aktenvorgänge, den Ermittlungen des Technischen Aufsichtsbeamten (TAB) vom 31. Oktober, 7. Dezember und 10. Dezember 2001 sowie den eigenen Erfahrungen zu dem Ergebnis, dass der Kläger in seinem gärtnerischen Berufsleben unzweifelhaft Kontakt zu verschiedenen Pflanzenschutzmitteln (PSM) gehabt habe; im Sinne der BK 1302 sei hier der Kontakt zu Bromethan zu nennen. Das Arbeitsverfahren, die Örtlichkeit und die geringe Häufigkeit der Anwendungen machten eine gefährdende Exposition gegenüber dem Wirkstoff jedoch nicht wahrscheinlich. Alle befragten Arbeitgeber hätten darauf hingewiesen, dass der Kläger stets die komplette Schutzausrüstung bei der Ausbringung von PSM verwendet habe. Ferner holte sie eine Auskunft des Marineamtes G. vom 26. Juni 2002 (95) ein, über die Stoffe, mit denen der Kläger während seines Wehrdienstes bei der Bundesmarine vom 1. Oktober 1990 bis 30. September 191 in Berührung gekommen war. Auf Wunsch des Klägers holte die Beklagte dann ein Gutachten bei dem Internisten – Nephrologie/Umweltmedizin - Prof. Dr. med. J. ein. Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten vom 14. Juni 2004 bei dem Kläger
Zustand nach Pestizidbelastung, Zustand nach Belastung durch ausgeprägte Phosphorverbindungen, Erkrankung durch Halogenkohlenwasserstoffe, Erkrankung durch organische Phosphorverbindungen, Verminderung der Abwehrlage, toxische Encephalopathie.
Daraus schlussfolgerte er, dass eine BK 1302, 1307 und 1317 vorliege und bewertete die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 60 v.H. In seinem Gutachten bezog sich Prof. Dr. J. auf ein internistisch-rheumatologisches Fachgutachten des Priv.-Doz. Dr. med. H. vom 3. März 2003 (226). Dieser hatte bei dem Kläger folgende Diagnosen gestellt:
Oligosymptomatischer systemischer Lupus erythematodes mit niedriger Aktivität
Polydipsie bei ADH-Verminderung und normaler Urinosmolarität
Autoimmunthyreoditis bei peripherer Euthyreose
Subjektive Überempfindlichkeit gegen multiple chemische Reagenzien.
Abschließend holte die Beklagte eine Einschätzung des Landesgewerbearztes Prof. Dr. K. ein. In seiner Stellungnahme vom 17. Januar 2005 (241) teilte dieser mit, dass ein Zusammenhang zwischen dem systemischen Lupus erythematodes sowie der Autoimmun-Thyreoditis einerseits und der beruflichen Pestizideinwirkung andererseits nicht bekannt sei. Darüber hinaus sei die von Prof. Dr. J. geltend gemachte multiple Chemikalienüberempfindlichkeit durch Pestizide bislang umstritten und könne daher nicht als BK anerkannt werden. Ferner seien die allermeisten Symptome durch die außerberuflich bedingten Diagnosen erklärt.
Auf dieser Grundlage lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 17. Februar 2005 die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 1302, 1307, 1317 ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte ohne weitere Ermittlungen durch Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2005 als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die am 25. Mai 2005 erhobene Klage.
Die Kammer hat im Auftrag des Klägers am 14. Dezember 2006 den (Bio)Chemiker und Toxikologen Prof. Dr. L. zum Sachverständigen ernannt und ein Gutachten bei ihm in Auftrag gegeben. Dieses erstattete er unter dem 29. Oktober 2010. Auf der Grundlage des Akteninhalts, weiterer vom Kläger vorgelegter Gutachten aus anderen Verfahren, einem neurologisch/psychiatrischem Zusatzgutachten, speziellen Laboruntersuchungen sowie eine Befragung des Klägers und einer Literaturrecherche stellt dieser fest, dass bei dem Kläger insgesamt 33 Einzeldiagnosen gestellt worden seien. Bei dem Kläger liege eine Multisystemerkrankung vor, bei der dominierend
eine chronische Müdigkeit und abnorme Erschöpfungszustände, eine Immunschwäche und erhöhte Infektanfälligkeit, eine Kopfschmerz- und Schwindelsymptomatik, ein Serotoninmangelsyndrom, Störungen des Schlaf- und Wachrhythmus, eine Chemikalien-Geruchsüberempfindlichkeit, eine raynaudartige Symptomatik, belastungsabhängige Muskel- und Gelenkschmerzen sowie eine überwiegend funktionelle Störung in Form eines Crampus-Faszikulations-Syndroms
seien. Die Multiorganerkrankung sei im Berufskrankheitenrecht nicht vorgesehen, erscheine jedoch aufgrund der relevanten Belastung durch Pestizide über Jahre als plausibel. Es liege eine etwa 13jährige Exposition durch zahlreiche Pestizide mit teilweise hohem neurotoxischem Potential vor. Zwar lägen keine quantitativen Expositionsdaten vor, jedoch würden die anamnestisch glaubhaft geklagten Beschwerden in dieser Zeit für eine relevante Belastung im Sinne der haftungsbegründenden Kausalität sprechen. Brommethan (ein Listenstoff nach BK 1302) und die nach BK 1307 zu erfassenden Organophosphate ebenso wie die Pyrethroide und – in geringem Umfang – auch einige neurotoxische Lösungsmittel (BK 1317) stünden in einem kausalem Zusammenhang mit dem komplexen Beschwerdespektrum des Klägers. Als berufsbedingt anzusehen seien die anamnestisch ärztlich belegbare toxische Enzephalopathie von 2001 bis etwa 2009, deren Beginn bereits Anfang der 90er Jahre anzunehmen sei, sowie das Serotoninmangelsyndrom. Der Nachweis dieser beiden berufsbedingten Erkrankungen genüge um auch den anderen Erkrankungen des Klägers den Status einer Berufskrankheit zuzusprechen, weil deren Entstehung in gleicher Weise auf einem oxidativen und nitrosativem Stress beruhe.
Die Kammer hat von Amts wegen den Direktor des Instituts und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg Prof. Dr. med. Dipl.-Chem. M. zum Sachverständigen ernannt und ein Gutachten bei ihm in Auftrag gegeben. Nachdem sich der Kläger geweigert hat, sich einer ambulanten Untersuchung bei Prof. Dr. M. zu unterziehen, hat dieser das Gutachten im Auftrag des Gerichts nach Aktenlage erstattet. In seinem Gutachten vom 13. Mai 2014 stellt der Sachverständige zunächst fest, dass als einzige BK-relevante Diagnose ein Zustand nach durchgemachter Enzephalopathie (2001-2008) sicher festgestellt werden kann. Im übrigen handele es sich um keine exakten Diagnosen, sondern um Zustandsbeschreibungen. Allerdings würden sich aus der Arbeitsanamnese und den arbeitstechnischen Ermittlungen keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Kläger einer relevanten Gefährdung durch die Listenstoffe der BK 1317 ausgesetzt gewesen ist. Dies ergebe sich bereits anhand der arbeitsmedizinischen Erfahrung, wonach Gärtner nicht zu einer Berufsgruppe zählten, die ein erhöhtes Risiko für eine BK 1317 haben. Typische Berufe mit erhöhter BK-Gefährdung seien: Spritzlackierer, Metallreiniger oder Drucker. Im übrigen könne anhand der Ermittlungen zwar gefolgert werden, dass der Kläger Umgang mit einigen Produkten hatte, die als neurotoxisch im Sinne der BK 1317 anzusehen seien. Der zeitliche Umfang sei allerdings als gering zu beurteilen, da der Kläger nicht täglich alle Produkte verwendet habe. Es würden auch keine Erkenntnisse über die Höhe der Lösungsmittelexposition vorliegen. Schließlich würden umfangreiche Erkenntnisse belegen, dass sich eine toxische Enzephalopathie meist erst nach einer Expositionsdauer von 10 Jahren und mehr entwickelt. Gegen eine Brommethan-Intoxikation im Sinne einer BK 1302 spreche die Symptomatik sowie der zeitliche Verlauf. Die Verwendung von Brommethan durch den Kläger habe 1991/92 stattgefunden. Die Krankheitssymptomatik sei aber nach den eigenen Angaben des Klägers erst 1999, d.h. rund 8 Jahre später aufgetreten. Es würden sich auch keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Vergiftung durch Organphosphate im Sinne der BK 1307 finden. Zwar habe der Kläger Umgang mit dem Produkt Etrimphos gehabt, das als einziges Pflanzenschutzmittel einen organischen Phosphorsäureester enthalten habe. Die entscheidende toxische Wirkung sei die Hemmung der Acetylcholinesterase. Diese Hemmung führe akut zu einer raschen Anhäufung des Neurotransmitters Acetylcholin an den cholinergen Synapsen. Im Bereich des peripheren Nervensystems komme es zu Speichel- und Tränenfluß, enge Pupillen, Sehstörungen, Augenschmerzen, Übelkeit, Brechreiz, Darmkoliken, Durchfällen, Bronchialsekretion, Atemnot, Hustenreiz, Muskelzuckungen. Aufgrund der Krankheitssymptomatik und dem zeitlichen Verlauf, würden sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Vergiftung durch Organophosphate im Sinne der BK 1317 finden. Eine Polyneuropathie – als mögliche Langzeitfolge einer Intoxikation – sei durch die Begutachtung durch Dr. N. ausgeschlossen worden.
Der Kläger sieht sich durch das Gutachten von Prof. Dr. L. in seiner Auffassung bestätigt.
Er beantragt (schriftsätzlich),
unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Februar 2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2005 die Berufskrankheit gemäß den Listennummern 1302, 1307 sowie 1317 anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt (schriftsätzlich),
die Klage abzuweisen.
Die hält an ihren Bescheiden fest und sieht sich in ihrer Auffassung durch das Gutachten von Prof. Dr. M. bestätigt.
Beide Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits im schriftlichen Verfahren erklärt (anwaltlicher Schriftsatz vom 15. Juli 2014, Schriftsatz der Beklagten vom 21. August 2014).
Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die die Kammer aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt im Fall des Klägers eine BK 1302, 1307 oder 1317 anzuerkennen.
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 04. Juli 2013 – B 2 U 11/12 R –, juris Rn. 12 m.w.N.).
In Anwendung dieser Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung einer BK 1317. Für die Anerkennung einer Erkrankung als BK 1317 müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Bei dem Versicherten muss eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie vorliegen, die durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische entstanden ist, deren Einwirkungen der Versicherte infolge seiner versicherten Tätigkeit ausgesetzt war (BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 5/05 R –, juris Rn. 13).
Eine Polyneuropathie kann bei dem Kläger im Vollbeweis nicht gesichert werden. Zwar hatte der Nervenarzt Dr. C. eine entsprechende Diagnose gestellt. Allerdings hat der Facharzt für Neurologie Dr. N. auf Seite 27 seines neuropsychiatrischen Zusatzgutachtens vom 13. Juli 2010 belegt, dass die von Dr. C. erhobenen Befunde nicht ausreichend waren, um eine Polyneuropathie im Sinne eines Vollbeweises zu sichern. Er hat zu Recht beanstandet, dass Dr. C. die Diagnose nur auf die subjektive Angabe einer Sensibilitätsstörung an Armen und Beinen gestützt, jedoch keine neurophysiologische Messung der nervlichen Funktionsstörung durchgeführt habe. Diese Beanstandung ist für die Kammer nachvollziehbar, denn sie steht im Einklang mit dem unfallmedizinischen Schrifttum, wonach die Diagnose einer Polyneuropathie auf der Basis typischer klinischer Befunde (Paresen, Muskelatrophien, erloschene Muskeleigenreflexe, Sensibilitätsstörungen in Form handschuh- und sockenförmiger Hypästhesie) und mittels neurophysiologischer Methoden (EMG, Neurographie, evozierte Potenziale) gestellt werden kann (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., 2010, S. 240 m.w.N.). Angesichts dessen reichen allein subjektive Angaben des Klägers nicht aus, um eine Polyneuropathie sicher festzustellen.
Soweit Dr. N. auf Seiten 23ff. seines Gutachtens vom 13. Juli 2010 bei dem Kläger eine Enzephalopathie und damit eine Erkrankung im Sinne der BK 1317 diagnostiziert hatte, ist dies allerdings nicht ausreichend für die Feststellung einer BK 1317. Denn diese Erkrankung nicht hinreichend wahrscheinlich auf die vom Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit verwendeten organischen Lösungsmittel oder deren Gemische zurückgeführt werden. Denn es kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Kläger diesen Stoffen regelmäßig in ausreichender Höhe und Zeitdauer ausgesetzt war (vgl. Schönberger u.a., a.a.O.). Die Kammer folgt insoweit den nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr. M. in seinem Gutachten vom 13. Mai 2014.
Dass Dr. N. auf Seite 25 seines Gutachtens eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Erkrankung des Klägers und den beruflich eingesetzten Lösungsmitteln angenommen hat, gebietet bereits deshalb keine andere Sicht der Dinge, weil er die entscheidende Frage, ob eine ausreichende Exposition nachzuweisen ist, dem Hauptgutachter Prof. Dr. L. überlassen hat. Dieser hat jedoch eine ausreichende Exposition nicht belegt. Vielmehr hat sich Prof. Dr. L. auf Seite 63 seines Gutachtens darauf beschränkt die Schlussfolgerung des TAD, dass nur in „geringem Umfang“ Pflanzenschutzarbeiten von dem Kläger durchgeführt wurden, anzugreifen, weil diese mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sei und zu den Beschwerdeangaben des Klägers kontrastiere, die deutlich auf eine relevante Exposition hinweisen würden. Dies ist nicht ausreichend um eine ausreichende Exposition des Klägers gegenüber Listenstoffen im Sinne der BK 1317 zu belegen. Zu Recht hat Prof. Dr. M. beanstandet, dass der Betrachtungsweise von Prof. Dr. L. eine differenzierte Beurteilung hinsichtlich der täglichen Expositionsdauer, der verwendeten Produkte, der Anwendung von Schutzmaßnahmen, dem Symptomverlauf während der Arbeitswoche, am Wochenende bzw. im Jahresurlaub fehle. Die Kammer hat diese Beanstandungen überprüft und vermochte nicht festzustellen, dass Prof. Dr. L. die genannten Überlegungen angestellt hat.
Diesen grundlegenden Fehler hat Prof. Dr. M. nicht begangen. Er hat für die Kammer zunächst differenziert herausgearbeitet, dass der Kläger berufsbedingt Kontakt zu dem Lösungsmitteln Xylol, einem Listenstoff im Sinne der BK 1317, durch das von ihm verwendete Produkt Ekamet hatte. Ferner hat er festgestellt, dass der Kläger für einige Tage Rostschutz- bzw. Deckfarben verwendet hatte, die in der Regel ein Gemisch organischer Lösungsmittel enthalten, die auch Listenstoffe der BK 1317 sind. Prof. Dr. M. hat sodann vorab darauf hingewiesen, dass genaue Erkenntnisse über die Konzentration der relevanten Stoffe in der Luft am Arbeitsplatz des Klägers nicht vorhanden sind, da Luftmessungen oder ein biologisches Monitoring nicht vorhanden sind. Sodann hat er unter Bezugnahme auf den BK-Report 1317 (2007) S. 128 sowie auf epidemiologische Studien belegt, dass sich eine toxische Enzephalopathie meist erst nach einer Expositionsdauer von 10 Jahren und mehr entwickelt. Ausgehend hiervon hat er seine Schlussfolgerung, dass keine ausreichende Exposition des Klägers gegenüber Lösungsmitteln festzustellen ist, nachvollziehbar aus den feststellbaren Arbeitsbedingungen heraus abgeleitet. So hat er eingangs darauf betont, dass der Kläger als Gärtnergehilfe nicht zu der Berufsgruppe zählt, die im Sinne der BK 1317 besonders gefährdet ist; hierzu gehören Spritzlackierer, Metallreiniger und Drucker. Sodann hat er darauf hingewiesen, dass aufgrund der oftmals mehrmonatigen Unterbrechungen der Arbeitsverhältnisse keine 10jährige Expositionsdauer festgestellt werden kann. Schließlich hat er bemerkt, dass der zeitliche Umfang ohnehin als gering zu beurteilen ist, weil der Kläger den genannten Lösungsmitteln nicht täglich ausgesetzt gewesen ist.
Aufgrund der aufgezeigten Unzulänglichkeiten vermag sich die Kammer der Einschätzung von Prof. Dr. L. im Hinblick auf die BK 1317 nicht anzuschließen, zumal die Gegenauffassung von Prof. Dr. M. nachvollziehbar und differenziert aus den feststellbaren Arbeitsbedingungen des Klägers abgeleitet wurde.
Nach alledem bleibt festzuhalten, dass der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung einer BK 1317 hat.
Ferner scheidet auch die Anerkennung einer BK 1302 - Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe – im Fall des Klägers aus. Die Halogenkohlenwasserstoffe (HKW; Verbindungen von Kohlenwasserstoffen mit Fluor, Chlor, Brom, Jod) sind laut dem Merkblatt zur BK 1302 (Bek. des BMA v. 29. März 1987, BABI. 6/1985) eine heterogene Gruppe zahlreicher organischer Verbindungen, die auch in toxikologischer Hinsicht uneinheitlich sind. HKW werden industriell vielseitig verwendet, teilweise auch als Stoffgemische, was die Beurteilung der gesundheitlichen Gefährdung erschwert. Man findet sie auch vielfach als Verunreinigung technischer Produkte. Der Einsatz von HKW erfolgt vorrangig als Lösemittel, ferner in der Landwirtschaft (Pflanzenschutz, Schädlingsbekämpfung), in der Kühltechnik, als Feuerlöschmittel, als Isoliermittel, als Narkose- und Desinfektionsmittel und im häuslichen Bereich. In Frage kommt hier nur der Einsatz als Schädlingsbekämpfungsmittel. Unter 1.2. des Merkblattes werden dazu als gefährdende Substanzen Brommethan, Hexachlorcyclohexan, Chlorbenzol, Hexachlorbenzol, Polyzyklische Chlorkohlenwasserstoffe (PCKW), Chlorierte Camphene / Toxaphen, Polychlorierte Phenole (z. B. PCP), DDT sowie Dieldrin aufgelistet.
Nach den Ausführungen des TAD hat der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit als Gärtner bei der Firma O. in der Zeit vom 1. November 1991 bis zum 31. Dezember 1992 zweimal ein Bodenentseuchungsmittel verwandt, das Brommethan, ein Listenstoff im Sinne der BK 1302, enthielt. Allerdings ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die Enzephalopathie in seinem Fall durch diesen Listenstoff hervorgerufen wurde. Auch insoweit folgt die Kammer der Einschätzung von Prof. Dr. M. Denn dieser hat für die Kammer nachvollziehbar dargelegt, dass keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, die einen Zusammenhang hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen. Der im Auftrag des Gerichts gehörte Sachverständige hat weder eine akute Intoxikation in den Jahren 1991 und 1992 noch einen zeitlichen Zusammenhang zu dem Auftreten der ersten Erkrankungsanzeichen – nach Angaben des Klägers im Jahr 1999 – feststellen können. Die Kammer hat diese Feststellungen von Prof. Dr. M. nochmals überprüft und vermag nicht festzustellen, dass er irgendwelche Befunde übersehen haben könnte, die einen Zusammenhang zwischen der Anwendung von Brommethan durch den Kläger und seiner Erkrankung hinreichend wahrscheinlich erscheinen ließe. Vielmehr ist noch ergänzend darauf hinzuweisen, dass die hauptsächlich dokumentierten Stoffe für eine toxische Enzephalopathie Trichloräthylen, Perchloräthylen und Dichlormethan sind (vgl. Schönberger u.a., a.a.O., S. 1237), nicht jedoch Brommethan. Ferner liegt die notwendige Expositionsdauer bei über fünf Jahren (Schönberger, u.a., a.a.O., S. 1237), was beim Kläger ebenfalls nicht der Fall war.
Die gegenteilige Auffassung von Prof. Dr. L. ist für die Kammer demgegenüber nicht überzeugend, da sie nicht begründet wurde. Vielmehr zieht Prof. Dr. L. unzulässigerweise offenbar allein aus dem Umstand, dass der Kläger beruflichen Kontakt mit Brommethan gehabt hat, den Schluss, dass dieser Stoff ursächlich für die Enzephalopathie ist und setzt sich weder mit der kurzen Expositionsdauer des Klägers gegenüber diesem Stoff noch mit der langen Latenz zum Auftreten der Enzephalopathie auseinander. Unter diesen Umständen kann seine Auffassung nicht überzeugen.
Schließlich scheidet auch eine Anerkennung einer BK 1307 – Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen – aus. Die Kammer schließt sich auch insoweit den Ausführungen von Prof. Dr. M. an. Dieser weist zwar darauf hin, dass eine berufliche Gefährdung des Klägers durch den Umgang mit dem Produkt Etrimphos möglich sei, das als einziges Pflanzenschutzmittel einen organischen Phosphoprsäureester enthalte. Allerdings konnte er bereits keine Erkrankung im Sinne dieses BK sicher feststellen. Hinsichtlich der von Dr. C. diagnostizierten Polyneuropathie wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Nach alldem kam die Feststellung einer BK gem. § 9 Abs. 1 SGB VII nicht in Betracht.
Auch eine Anerkennung als Wie-BK kommt nicht in Betracht. Zu recht hat die Beklagte dies erstmals in ihrem Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2005 abgelehnt. Gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII haben Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung als BK erfüllt sind. Vorliegend scheitert ein Anspruch des Klägers auf die Feststellung einer Wie-BK bereits daran, dass die Krankheit nicht schon durch Rechtsverordnung tatbestandlich erfasst sein darf. Die einzig gesicherte Erkrankung des Klägers in Form einer Enzephalopathie ist jedoch bereits durch die BK 1317 erfasst. Ungeachtet dessen hat Prof. Dr. M. auch neuere Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft ausdrücklich verneint.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.