Zur Statthaftigkeit und Formwirksamkeit der Beschwerde im sozialgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz im Bereich der Sozialhilfe.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. November 2021 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
Die am 17. November 2021, jedenfalls am 24. November 2021 erhobene Beschwerde des Antragstellers, mit der er sinngemäß beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. November 2021 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, an ihn höhere Leistungen der Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) in gesetzlicher Höhe ab 1. August 2021 zu gewähren, insbesondere:
Mehrleistungen i. H. v. 64 € wegen Ausgaben auf Versicherungen,
unter Gewährung eines Freibetrages auf die Erwerbsminderungsrente i. H. v. 30 Prozent zuzüglich 100 €,
unter Berücksichtigung des Nettobetrages der Rente ohne Abzüge für Krankenversicherung,
und damit im Ergebnis ungekürzt unter Berücksichtigung einer Regelleistung i. H. v. 446 € auszuzahlen,
ist zulässig.
Die Beschwerde ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin statthaft. Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Beschwerde ausgeschlossen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 € nicht übersteigt. Die Beschwer übersteigt diesen Betrag.
Der zu Grunde liegende Bescheid vom 14. Juli 2021 ist hinsichtlich des Leistungszeitraums auslegungsbedürftig. Im Verfügungssatz heißt es: „… erhalten Sie folgende Leistungen [Absatz] Hilfe zum Lebensunterhalt ab 01.08.2021 bis 31.07. 2022 in Höhe von monatlich 331,92 €“. Sodann erfolgt die Erläuterung der Berechnung für August 2021. In Widerspruch hierzu wird unter „Vorbehalte, Hinweise und Mitwirkungspflichten“ auf S. 3 darauf hingewiesen, dass dieser Bescheid kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung sei. Entsprechend der ständigen Auslegungspraxis des Senats zu dieser Problematik kann ein bloßer Hinweis, dem kein Regelungscharakter zukommen soll, einen hinreichend bestimmten Verfügungssatz zu Beginn des Bescheides zur Leistungsdauer nicht relativieren; eine Formulierung „bis auf weiteres“ oder gar die Festsetzung eines konkreten Zeitraumes mit Anfangs- und Enddatum – wie hier – spricht auch dann für einen Dauerverwaltungsakt, wenn lediglich eine Berechnung oder eine Bezifferung für einen bestimmten Leistungsmonat genannt wird (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Juni 2020 – L 4 AY 7/20 B ER –, juris Rn. 13).
Der Senat braucht nicht zu klären, welcher Zeitraum bei der Berechnung der Beschwer bei einer Leistungsbewilligung über ein Jahr im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu Grunde zu legen ist (vgl. zur Problematik bei der Bewilligungspraxis nach dem AsylbLG Senatsbeschluss vom 13. April 2021 – L 4 AY 3/21 B ER –, juris Rn. 22). Das nach Sprache und Form in hohem Maße auslegungsbedürftige Vorbringen des Antragstellers war – wie oben dargestellt – dahingehend auszulegen, dass sich der Antrag nicht auf Mehrleistungen i.H.v. 64 € pro Monat beschränkt. Bereits das erstinstanzliche Vorbringen ist nach einer Gesamtwürdigung so zu verstehen, dass er über die Bewilligung mit Bescheid vom 14. Juli 2021 höhere Leistungen in gesetzlicher Höhe unter Anwendung des Meistbegünstigungsgrundsatzes beansprucht. Mit der Beschwerde hat er dies weiter als „Klageänderung“ konkretisiert, nämlich indem er einen Freibetrag auf die Rente in Höhe von 100 € bzw. weiteren 30 Prozent auf den Zahlbetrag beansprucht (vgl. Schriftsatz vom 23. November 2021 an das Sozialgericht Frankfurt am Main, S. 3 f., Bl. 152 f. d.A.). Auszugehen ist damit zwar nicht von Mehrleistungen in Höhe von 134,20 € pro Monat, wie vom Antragsteller beziffert, aber von nachvollziehbaren 114,08 € pro Monat. Geht man von einem denkbaren Leistungszeitraum im Eilrechtsschutz vom 6. Oktober 2021 bis 31. Juli 2022 aus, überschreitet die Summe von (9 + 24/30) x 114,08 € = 1.117,98 € eine Beschwer von 750 €.
Nicht Streitgegenstand ist indes ein möglicherweise an die Antragsgegnerin gerichteter Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten im Schreiben vom 23. August 2021. Das an die Antragsgegnerin adressierte Schreiben hat der Antragsteller dem Sozialgericht mit der Antragsschrift übersandt; es findet sich allerdings nicht in der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin. Auch nimmt der Antragsteller in seinen Schreiben an die Gerichte nicht Bezug auf diesen Antrag. Wegen dieser gänzlich fehlenden Bezugnahme und der Ungewissheit, ob ein solcher Antrag überhaupt bei der Antragsgegnerin eingegangen ist, kann der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht dahingehend ausgelegt werden, dass auch Leistungen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten begehrt werden. Diese stellen im Übrigen einen selbstständigen Streitgegenstand dar und können daher auch nicht im Rahmen einer Auslegung nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz in den Antrag bezüglich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hineingelesen werden.
Die Beschwerdeeinlegung ist formwirksam erfolgt. Sowohl die offensichtlich in Unkenntnis des Beschlusses des Sozialgerichts am 17. November 2021 eingelegte Beschwerde als auch die am 24. November 2021 fristgerecht eingegangene Änderung der vorherigen Beschwerde sind per Computerfax an den zentralen Faxempfang übersandt worden und sind mit einer eingescannten Unterschrift versehen. Der Senat hält aus Gründen der Rechtssicherheit und wegen der Verkörperung der o.g. Schriftsätze in der Gerichtsakte an der noch vorherrschenden Rechtsprechung fest, wonach bestimmende Schriftsätze formwirksam durch elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift auf das Fax des Gerichts übermittelt werden können, soweit der Zweck der Schriftform auf diese Weise gewährleistet wird (GmS-OGB, Beschluss vom 5. Februar 2000 - Gms-OGB 1/98; BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2002 - 2 BvR 2168/00 -, juris). Den Bedenken, ob hieran wegen Medienbrüchen durch E-Mail-Übermittlung des Inhalts des Telefaxes auf Sender- oder Empfängerseite noch festgehalten werden kann (zur Kritik zusf. Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 1. Aufl., § 130 ZPO (Stand: 15.11.2021) Rn. 27 ff.) wird daher jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor Einführung einer führenden elektronischen Akte nicht weiter nachgegangen. Hinsichtlich des am 25. November 2011 auch zur hiesigen Akte gelangten Antrages an das Sozialgericht unter dem Datum vom 24. November 2011, der per De-Mail ohne Absenderauthentifizierung versandt wurde, wird auf die Berichterstatterverfügung vom 25. November 2021 (Bl. 237 d.A.) verwiesen. Dessen etwaige Formunwirksamkeit als bestimmender Schriftsatz wäre aber wegen der beiden vorangegangenen Schreiben im Ergebnis ohne Folgen für den Ausgang dieses Verfahrens.
Die Beschwerde ist indes unbegründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist damit, dass der Antragsteller einen materiell-rechtlichen Leistungsanspruch in der Hauptsache hat (Anordnungsanspruch) und es ihm nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.
Zwar besteht ein einer vorläufigen Regelung zugängliches Rechtsverhältnis. Sollte das als Widerspruch gegen den Bescheid vom 14. Juli 2021 zu wertende Schreiben vom 23. August 2021 nicht fristgerecht eingegangen sein, so wäre das Schreiben des Antragstellers vom 16. September 2021 als Antrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) zu werten.
Gemessen an dem o.g. Maßstab hat der Antragsteller jedoch nur einen Anordnungsanspruch auf Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i. H. v. 4,34 € glaubhaft gemacht, für den kein Anordnungsgrund besteht.
Bei ihrer Leistungsberechnung ist die Antragsgegnerin zutreffend von einem Regelbedarf i.H.v. 446 € ausgegangen (Regelbedarfsstufe 1, siehe § 8 Nr. 1 Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch ab dem Jahr 2021 – RBEG 2021).
Einen pauschalen Freibetrag von 100 € auf die Rentenzahlung kann der Antragsteller nicht beanspruchen. Entgegen seiner Rechtsauffassung ist dies nach § 82 Abs. 4 SGB XII allein für Zahlungen aus einer „zusätzlichen“ Altersvorsorge anzuerkennen, nicht aber für Leistungen der gesetzlichen Erwerbsminderungsrente. Daher sind auch nicht entsprechend dieser Vorschrift der 100 €-Freibetrag und ein 30-prozentiger weiterer Freibetrag für den 100 € übersteigenden Betrag zu kombinieren. Die Regelung schützt die freiwillige Vorsorge und begegnet in ihrer Beschränkung auf die zusätzliche Altersvorsorge daher auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch eine Analogie zum Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) ist nicht möglich. Die Förderung der Erwerbstätigkeit durch Freibeträge dort dient der Wiedereingliederung in Arbeit sowie der Aufrechterhaltung einer nicht vollständig existenzsichernden Beschäftigung und ist nicht auf Rentenleistungen übertragbar.
Vom Einkommen sind im hier zu prüfenden Leistungszeitraum Aufwendungen für Versicherungen abzuziehen, allerdings nur in Höhe von 4,34 € monatlich. Soweit es sich nicht um Pflichtversicherungen handelt, sind sonstige Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII nur von den Einnahmen abzuziehen, wenn sowohl die Art der Versicherung als auch die Höhe der geschuldeten Beiträge angemessen sind. Der Begriff Angemessenheit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Maßgeblich ist, ob eine in bescheidenen Verhältnissen lebende, aber nicht sozialhilfebedürftige Person in einer vergleichbaren Lage den Abschluss einer entsprechenden Versicherung auch als sinnvoll erachtet hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2003 - 5 C 8/02 - BVerwGE 118, 211; BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2002 - 5 C 43/01 - BVerwGE 116, 342, 343).
Entgegen dem erstinstanzlichen Vorbringen der Antragsgegnerin, das allein auf unterschiedliche Berechnungspraxen zwischen dem SGB II und dem SGB XII verweist, sind hiernach hinreichend dargelegte Ausgaben für eine angemessene Privathaftpflichtversicherung (vom Antragsteller mit 4,34 € monatlich beziffert) bei der B-Versicherung in Abzug zu bringen. In den vorgelegten Ausdrucken der Kontenhistorie der App „Nuri – New Reality Banking“ sind entsprechende Abbuchungen der „B./Europa Verbund“ für September und Oktober 2021 belegt (vgl. Bl. 531 R und 534 R der Verwaltungsakte). Nicht berücksichtigungsfähig am Maßstab einer in bescheidenen Verhältnissen lebenden, aber nicht sozialhilfebedürftigen Person, ist eine Unfallkrankenhaustagegeldversicherung sowie eine private Krankenzusatzversicherung mit den Leistungen Zweibettzimmer und Chefarztbehandlung. Jedenfalls ohne nähere Darlegungen zum Leistungsspektrum der Versicherung, die hier fehlen, ist eine weitere Krankenzusatzversicherung „Brille + Zahn + Auslandsschutz“ ebenfalls nicht in Abzug zu bringen.
Soweit ein Anordnungsanspruch in Höhe von 4,34 € monatlich glaubhaft gemacht wurde, fehlt es am Anordnungsgrund. Hinsichtlich des Anordnungsgrundes muss der Antragsteller darlegen, welche Nachteile zu erwarten sind, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen wird. Der Senat hat eine wertende Betrachtung vorzunehmen, ob im konkreten Einzelfall ein wesentlicher Nachteil vorliegt, der die Anordnung rechtfertigen kann. Dabei führt auch bei Personen, die auf existenzsichernde Leistungen angewiesen sind, nicht jede mögliche Unterdeckung eines Bedarfs zu einer abzuwendenden Notlage (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2020 – 1 BvR 1106/20, juris Rn. 18).
Der Vortrag des Antragstellers lässt keinen Grund erkennen, warum es einen wesentlichen Nachteil darstellen könnte, bei pauschalierten Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 unter Anrechnung der Rente auf weitere 4,34 € im Monat bis zu einer Anpassung bzw. zur Entscheidung über den Widerspruch oder Antrag nach § 44 SGB X bzw. bis zur Hauptsache verzichten zu müssen.
Aus dem Schriftsatz des Antragstellers vom 9. Dezember 2021 folgt nichts anderes.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Die Entscheidung über die Ablehnung des Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf §§ 73a SGG, 114 Zivilprozessordnung – ZPO –. Hinreichende Erfolgsaussichten bestanden zu keinem Zeitpunkt des Beschwerdeverfahrens; auf die obige Begründung in der Sache wird verwiesen.