L 3 U 253/06 ZVW

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 13 U 644/98
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 253/06 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 285/12 B
Datum
Kategorie
Urteil

I.    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 6. Mai 2002 wird zurückgewiesen.

II.    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. 

III.    Die Revision wird nicht zugelassen. 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob die beim Kläger vorliegende Polyneuropathie als Berufskrankheit oder wie eine Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen ist. 

Der im Jahr 1946 geborene Kläger übte seit April 1960 den Beruf des Malers und Anstreichers aus; seit 1971 arbeitete er nach Ablegung der Meisterprüfung als selbstständiger Malermeister im eigenen Betrieb. Nach den vom Technischen Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten getroffenen Feststellungen (Stellungnahme vom 20. Juni 1995) war der Kläger von 1960 bis 1964 durch Bleifarben, lösemittelhaltige Abbeizer und Holzschutzmittel hoch belastet. Seit 1971 war er danach der normalen Belastung eines Malers ausgesetzt gewesen. 

Unter dem 12. Dezember 1994 erstattete der Nervenarzt Dr. D. eine Anzeige über eine Berufskrankheit. Beim Kläger liege eine Muskelschädigung, Polyneuropathie, schwere Leistungs- und Wesensänderung bei dringendem Verdacht auf Entstehung durch toxische Arbeitsstoffe, insbesondere Blei und Lösungsmittel, vor. Die Beklagte zog daraufhin einen Bericht des Kreiskrankenhauses Wetzlar vom 4. September 1995, wo sich der Kläger vom 29. Juli bis zum 7. August 1985 in stationärer Behandlung befand, bei. Dort wurde im Rahmen einer neurologischen Konsil-Untersuchung u. a. eine allenfalls diskrete initiale diabetische Polyneuropathie diagnostiziert. Der Nervenarzt Dr. E. führte als vom Sozialgericht Wiesbaden (Sozialgericht) im Rahmen eines Rentenstreitverfahrens beauftragter Sachverständiger aus, dass beim Kläger auf neuro-psychiatrischem Gebiet eine anhaltend somatoforme Schmerzstörung bei Zustand nach zweimaliger Bandscheibenoperation sowie eine cervikale Wurzelirritation bestehe. In neurologischer Hinsicht hätten sich Hinweise auf ein Lendenwirbelsyndrom gefunden, das sich durch die vom Kläger geklagten Sensibilitätsstörungen, Schmerzen und Taubheitsgefühl sowie einer leichten Zehenheberschwäche manifestiere. Zu der von Dr. D. diagnostizierten Polyneuropathie bei dringendem Verdacht auf Entstehung durch toxische Arbeitsstoffe führte Dr. E. in seiner Stellungnahme vom 15. Juli 1994 aus, dass der dortige neurologische Befund im Wesentlichen mit den Befunden in den Akten übereinstimme und sich zwanglos durch die degenerativen Lendenwirbelsäulenveränderungen bei Zustand nach Bandscheibenoperation erklären lasse. Allerdings werde wegen der im Bericht von Dr. D. beschriebenen Befunde eine stärker neurologisch ausgerichtete Zusatzbegutachtung für sinnvoll erachtet. 

Der daraufhin in demselben Rentenrechtsstreit vom Sozialgericht mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Prof. Dr. F., Neurologisch-psychiatrische Klinik der Dr. Horst-Schmidt-Kliniken, Wiesbaden, stellte in dem Gutachten vom 20. Dezember 1994 fest, dass beim Kläger auf neurologischem Fachgebiet außer rezidivierenden Lumbalgien und einem beginnenden Sulcus Ulnaris-Syndrom beidseits, eine Polyneuropathie der Beine vom Mischtyp vorliege. Diese sei mit einer erheblichen Gangunsicherheit bei Dunkelheit und Trittunsicherheit gekennzeichnet. Bezüglich der Diagnosen des Dr. D. werde erheblich abgewichen. Hinweise für eine Muskelschädigung sowie für eine schwere Leistungs- und Wesensänderung hätten nicht gefunden werden können. Lediglich die von Dr. D. vorgeschriebene Polyneuropathie habe ebenfalls ermittelt werden können, die „eventuell“ toxisch bedingt sei. 

Die Beklagte veranlasste ihrerseits eine Begutachtung durch Prof. Dr. G., Leiter des Instituts und der Polyklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen. Diesem gegenüber gab der Kläger an, sich seit seiner Bandscheibenoperation 1988 nur noch um Büroarbeiten zu kümmern. Im Gutachten vom 16. Januar 1997 gelangte Prof. Dr. G. zu dem Ergebnis, dass eine beruflich bedingte Polyneuropathie vorliege. Da diese noch nicht in der Berufskrankheitenliste aufgeführt sei, indes nach der Empfehlung des ärztlichen Sachverständigenbeirates neue Erkenntnisse über einen kausalen Zusammenhang vorlägen, müsse eine Anerkennung „wie“ eine Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erfolgen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei ab Objektivierung der Beschwerden durch Prof. Dr. F. ab 21. November 1994 mit 30 v.H. einzuschätzen. 

Dieser Beurteilung hielt der Beratungsarzt der Beklagten, H., entgegen, dass die Polyneuropathie 1994 und damit lange nach Ende der Tätigkeit des Klägers als Maler aufgetreten sei. Seinerzeit hätten neurologische Symptome allein aufgrund des Bandscheibenvorfalles bestanden. Zudem bestünden konkurrierende Faktoren aufgrund diabetischer Stoffwechsellage, Hyperurikämie, Alkoholkonsum und Therapie mit ACE-Hemmern. In seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 2. Juni 1997 hielt demgegenüber Prof. Dr. G. an seiner bisherigen Auffassung fest. Bei der Polyneuropathie handele es sich um einen langsam voranschreitenden Erkrankungsprozess der peripheren Nerven; zwischen ihrer Entwicklung und der Exposition müsse nicht ein zeitlicher Zusammenhang vorliegen. Es entspreche vielmehr medizinischer Erfahrung, dass eine Polyneuropathie nach längeren Latenzzeiten auftrete. Die konkurrierenden Faktoren seien im Übrigen geringgradig. Allenfalls könne man von einer beginnenden pathologischen Glucosetoleranz, nicht jedoch von einer ausgeprägten diabetischen Stoffwechsellage sprechen. Bezüglich einer Hyperurikämie führten die früher erhöhten Werte zu einer effizienten Behandlung mit Alupurinol, wodurch Normalwerte für die Harnsäure hätten erreicht werden können; Gichtanfälle seien anamnestisch vom Kläger verneint worden. 

Nach Einholung einer erneuten Stellungnahme ihres TAD vom 1. August 1997, der die Auffassung vertrat, dass der Summenwert der neurotoxischen Eigenschaften im Falle des Klägers unterschritten werde, zumal dieser keinen Belastungen über 8 Stunden täglich hinweg ausgesetzt gewesen sei, schaltete die Beklagte den Leiter des Instituts für Arbeits- und Sozialmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Prof. Dr. J. ein. In seinem nach Aktenlage erstatteten Gutachten 5. November 1997 gelangte Prof. Dr. J. zu der Beurteilung, dass zwar bei dem Kläger eine Polyneuropathie gegeben sei, jedoch kein typisches Krankheitsbild vorliege, welches in einer Ziffer der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) beschrieben werde. Zwar sei der Kläger in früheren Jahren gegenüber Blei und organischen Lösungsmitteln exponiert gewesen. Aus Gründen der Expositionshöhe und des Krankheitsverlaufes sei ein Zusammenhang der erstmals 1994 gesicherten Polyneuropathie mit der beruflichen Tätigkeit unwahrscheinlich. 

Nachdem sich auch der Landesgewerbearzt im Hessischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Sozialordnung in seiner Stellungnahme vom 6. Januar 1998 der Auffassung des Prof. Dr. J. angeschlossen und ausgeführt hatte, dass die lange Latenz zwischen dem Auftreten der Polyneuropathie und dem Rückzug aus der Malertätigkeit eine berufliche Verursachung unwahrscheinlich machten, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 3. März 1998 die Anerkennung der Polyneuropathie als Berufskrankheit ab. Der dagegen am 27. März 1998 erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1998).

Hiergegen hat der Kläger am 16. Juni 1998 Klage erhoben. Das Sozialgericht hat zunächst Beweis erhoben zu Art und Umfang der vom Kläger nach 1988 verrichteten Tätigkeiten durch Vernehmung der Maler K. und L. als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 7. Februar 2000 verwiesen. Des Weiteren hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Priv.-Doz. Dr. M., Oberarzt der Neurologischen Klinik und Polyklinik der Universität Mainz. Im Gutachten vom 28. Mai 2001 geht er davon aus, dass bei anzunehmender Exposition gegenüber Lösungsmittelgemischen unter denen auch N-Hexan belegt sei, dem Fehlen anderer Ursachen und der erstmaligen Erwähnung von zumindest dem Begriff einer Neuropathie 1985, von einer länger bestehenden Erkrankung auszugehen sei, die am ehesten durch beruflich bedingte toxische Einwirkungen bedingt sei (auch wenn es eine große Anzahl von Polyneuropathien gebe, deren Ursache letztlich ungeklärt bleibe). Auch sei der klinische Verlauf nicht so eindeutig, dass eine Entstehung erst in den letzten Jahren angenommen werden könne, auch wenn die Klagen über eine solche Neuropathie sich in den letzten Jahren verstärkt hätten. Dies möge durchaus auch subjektive Gründe haben. Zumindest legten die dokumentierten Berichte keine wesentliche Progredienz im Verlauf der letzten sechs bis sieben Jahre nahe, was bei einer von der beruflichen Exposition unabhängigen Ursache doch eher wahrscheinlich wäre. Beim Kläger liege eine sensomotorische axionale Polyneuropathie mäßigen Ausmaßes vor, für deren Genese mithin mehr Gründe für die Verursachung durch beruflich bedingte Einflüsse im Sinne der Berufskrankheiten Nr. 1317 als dagegen sprächen. Die MdE sei mit 30 v.H. einzuschätzen. Der Beurteilung der Vorgutachter werde im Wesentlichen zugestimmt. 

Demgegenüber führte Prof. Dr. J. in seiner von der Beklagten vorgelegten Stellungnahme vom 20. Juli 2001 aus, dass die Annahme des Dr. M., beim Kläger könnte bereits Mitte der 80er Jahre eine Polyneuropathie vorgelegen haben, spekulativ und keineswegs gesichert sei, wie es das Berufskrankheitenrecht fordere. Ein erhöhtes Expositionsrisiko seit 1988 sei nicht gesichert. Eine Polyneuropathie seit Mitte der 80er Jahre sei nicht im Sinne eines Vollbeweises gesichert. Aufgrund des Krankheitsverlaufes sei ein Zusammenhang der beim Kläger auch jetzt wieder festgestellten Polyneuropathie mit seiner beruflichen Tätigkeit nicht wahrscheinlich. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24. August 2001 führte Priv.-Doz. Dr. M. aus, dass der Vollbeweis einer Polyneuropathie in den 80er Jahren nicht erbracht werden könne. Die fehlende Progredienz und die Befunde der 80er Jahre sprächen indes mehr für als gegen eine berufsbedingte Polyneuropathie. 

Durch Urteil vom 6. Mai 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die beim Kläger vorliegende Polyneuropathie stelle keine Berufskrankheit dar. Die Anerkennung als Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV scheitere daran, dass eine Polyneuropathie mit Beginn der 80er Jahre, was auch der Sachverständige Dr. M. eingeräumt habe, nicht im Sinne des Vollbeweises festgestellt werden könne. Zwar bleibe einzuräumen, dass insbesondere die neurologische Konsiluntersuchung im Kreiskrankenhaus Wetzlar ergeben habe, dass von einer allenfalls diskreten initialen diabetischen Polyneuropathie auszugehen sei. Darüber hinaus habe der Kläger gegen Ende der 80er Jahre auch über Taubheitsgefühle am Bein geklagt. Vor diesem Hintergrund habe Dr. M. den Krankheitsbeginn in die Mitte der 80er Jahre verlegt, obgleich er in seiner ergänzenden Stellungnahme eingeräumt habe, dass nur unter Anwendung der Beurteilungskriterien für die Wahrscheinlichkeit mehr für als gegen einen Krankheitsbeginn zu diesem Zeitpunkt spreche. Indes müsse der Gesundheitsschaden im Sinne des sog. Vollbeweises nachgewiesen sein. Im Hinblick darauf, dass eine Polyneuropathie trotz ärztlicher Behandlung des Klägers seit den 80er Jahren nicht belegt sei, vielmehr erstmals durch das im Rentenverfahren erstattete Gutachten von Prof. Dr. F. vom 20. Dezember 1994 aufgrund der pathologischen somatosensorisch evozierten Potentiale angenommen worden sei, könne nicht vom Vorliegen einer Polyneuropathie bereits Mitte der 80er Jahre ausgegangen werden. Selbst wenn Mitte der 80er Jahre eine Polyneuropathie vorgelegen hätte, stünde ihrer Anerkennung als Berufskrankheit die Rückwirkungsklausel des § 6 Abs. 1 BKV entgegen. Leide demnach ein Versicherter am 1. Dezember 1997 an einer Krankheit nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV, sei diese auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten sei. Selbst ausgehend von einem Eintritt des Versicherungsfalls Mitte der 80er Jahre käme insoweit die Rückwirkungsklausel zum Tragen. Soweit der Kläger vorbringe, dass diese Rückwirkungsklausel unwirksam sei, schließe sich das Gericht den Ausführungen des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 24. Februar 2000 – B 2 U 48/98 R – an, wonach eine durch § 6 Abs. 1 BKV vorgenommene, nur begrenzte Einbeziehung früherer Versicherungsfälle in den Versicherungsschutz nicht nur von der Ermächtigung des § 551 Abs. 1 RVO gedeckt, sondern auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Dem Kläger stehe auch kein Anspruch nach § 551 Abs. 2 RVO zu, weil die Polyneuropathie nicht „wie“ eine Berufskrankheit anerkannt werden könne. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG sei die Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO unter anderem dann ausgeschlossen, wenn der Verordnungsgeber nach § 551 Abs. 1 RVO die einschlägige Erkrankung in die Liste der Berufskrankheiten aufnehme oder deren Aufnahme prüfe oder ablehne. Ab diesem Zeitpunkt lägen nämlich, wie in § 551 Abs. 2 RVO ausdrücklich verlangt, „neue Erkenntnisse“ über die übrigen Voraussetzungen des Abs. 1 nicht mehr vor. Die Entscheidung des Verordnungsgebers habe Vorrang vor der Entscheidung des Unfallversicherungsträgers im Einzelfall. Dies gelte selbst dann, wenn der Verordnungsgeber der neu gefassten BKV eine Rückwirkung beilege. Eine wirksame Rückwirkungsvorschrift schließe auch aus, für alle Versicherungsfälle außerhalb des Rückwirkungszeitraumes noch eine Entschädigung nach § 551 Abs. 2 RVO zuzusprechen. Soweit von einem erstmalig gesicherten Auftreten der Polyneuropathie ab der neurologischen Untersuchung durch Prof. Dr. F. am 21. November 1994 auszugehen sei, könne eine Anerkennung als Berufskrankheit nach Nr.1317 der Anlage zur BKV deswegen nicht erfolgen, weil die Krankheit nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit durch die beruflichen Einwirkungen verursacht sei. Nach seiner Bandscheibenoperation im Jahre 1988 sei der Kläger nicht mehr in einem Ausmaß Lösemitteln ausgesetzt gewesen, die geeignet gewesen seien, eine Polyneuropathie zu verursachen. Dabei sei davon auszugehen, dass er sich durchschnittlich 2 Stunden pro Tag auf Baustellen begeben habe und dort den Malerarbeitsstoffen ausgesetzt gewesen sei, obgleich er gegenüber Prof. Dr. G. angegeben habe, nur noch Büroarbeiten zu verrichten. Die Zeugen K. und L. hatten indes bekundet, dass sich der Kläger jedenfalls stundenweise an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen aufgehalten habe, um das Aufmaß zu nehmen oder ihre Arbeiten zu kontrollieren. Diese Exposition reiche nicht aus, um eine Polyneuropathie hervorzurufen. Dabei könne unentschieden bleiben, ob die seit Ende der 80er Jahre verwendeten Materialien im Maler- und Lackiergewerbe überhaupt geeignet gewesen seien, neurotoxische Wirkungen zu entfalten. So habe der TAD bestätigt, dass ausschließlich in den Jahren 1960 bis 1964 toxische Einwirkungen in erheblichem Ausmaß vorgelegen hätten. Insoweit habe Prof. Dr. J. in seinem Gutachten vom 5. November 1997 darauf hingewiesen, dass zwar eine Exposition gegenüber organischen Lösemitteln bestanden habe, die neurotoxischen Schwellenwerte indes in den letzten 15 Jahren auch bei einem vollschichtigen Arbeitsplatz nicht mehr überschritten worden seien. Dies müsse somit erst recht gelten, wenn der Kläger höchstens zwei Stunden pro Tag exponiert gewesen sei, wobei hinzukomme, dass nicht nur Innen-, sondern auch Außenarbeiten verrichtet worden seien und insoweit von einer Verflüchtigung der Lösemittel ausgegangen werden müsse. Insoweit bleibe darüber hinaus festzustellen, dass der Kläger gegenüber Dr. M. selbst angegeben habe, bis Ende der 80er Jahre entsprechenden Lösemitteln ausgesetzt gewesen zu sein. Vor diesem Hintergrund sei nicht wahrscheinlich, dass aufgrund dieser geringen Einwirkungen ab 1988 eine Polyneuropathie verursacht worden sei. Die vom Kläger vorgelegte Stellungnahme des Dr. D., dass die Exposition bei einer chronischen Vergiftung keine Rolle spiele, sei völlig abwegig. Die Aufnahme der Polyneuropathie in die BKV sei nämlich ausschließlich deshalb erfolgt, weil augrund entsprechender Exposition diese Krankheitsform gehäuft aufgetreten sei. Es entspreche im Übrigen den neuesten Erkenntnissen, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen letzter Exposition und Krankheitsbeginn bestehen müsse, insbesondere nicht mehr als zwei Monate verstrichen sein dürften. Daher erscheine es auch äußerst unwahrscheinlich, dass die Polyneuropathie erst im Jahre 1994 ausgebrochen sein soll, wenn eine tatsächlich schädliche Exposition nur in den 60er Jahren gesichert sei. Schließlich stehe dem Kläger auch kein Anspruch auf Anerkennung der Nr. 1101 der Anlage zur BKV zu. Der TAD habe zwar bestätigt, dass der Kläger von 1960 bis 1964 erheblich gegenüber Bleifarben exponiert gewesen sei. Auch hier spreche indes die lange Latenz zwischen Auftreten der Erkrankung und Exposition gegen einen ursächlichen Zusammenhang, wie Prof. Dr. F. überzeugend ausgeführt habe, demzufolge der klassische Befund für eine Polyneuropathie bei Schädigung durch Blei weder in Bezug auf Klinik noch unter Berücksichtigung des EMG-Befundes gegeben sei. 

Gegen dieses ihm am 28. Juni 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. Juli 2002 beim Hessischen Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Das LSG hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 26. November 2004 zurückgewiesen. Die bei dem Kläger vorliegende Polyneuropathie könne unabhängig davon, ob die Erkrankung bereits „Mitte der 80er Jahre“ oder erst im Jahre 1994 eingetreten sei, nicht als Berufskrankheit anerkannt werden. Im ersten Fall scheitere der Anspruch an der Rückwirkungsklausel des § 6 Abs. 2 der Berufskrankheitenverordnung (BKV), weil der Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1993 eingetreten sei; ein Anspruch auf Anerkennung als „Wie-BK“ nach § 551 Abs. 2 RVO werde wegen der zwischenzeitlich erfolgten Aufnahme in die BK-Liste ausgeschlossen. Bei einem Beginn der BK im Jahre 1994 sei der Senat ebenso wie auch das Sozialgericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kausalzusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung nicht gegeben sei. 

Das Bundessozialgericht hat auf die Revision des Klägers das Berufungsurteil durch Urteil vom 27. Juni 2006 aufgehoben und den Rechtstreit an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichten für die abschließende Entscheidung über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung einer Polyneuropathie als Berufskrankheit und Gewährung einer Verletztenrente nicht aus. Das LSG habe zwar bindend festgestellt, dass bei dem Kläger eine Polyneuropathie vorliege und dass seine versicherte Tätigkeit als Maler eine Exposition gegenüber Schadstoffen im Sinne der BK Nr. 1317 Anlage BKV jedenfalls in der Zeit von 1960 bis 1988 bedingt habe. Für den Fall eines möglicherweise erst im Dezember 1994 eingetretenen Versicherungsfalles habe es den Zusammenhang zwischen schädigender Einwirkung und Erkrankung jedoch als nicht wahrscheinlich abgelehnt und dabei nicht den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt. Die Einschätzung, nach Beendigung der berufsbedingten Schadstoffexposition stelle sich eine Besserung, wenn nicht gar eine Rückbildung der Schädigung ein, so dass bei Eintritt der Erkrankung längere Zeit nach dieser Beendigung insofern kein ursächlicher Zusammenhang mit der beruflich bedingten Schadstoffexposition bestehen könne, beruhe auf veralteten Materialien. Sie stehe etwa im Widerspruch zu dem neu herausgegebenem Merkblatt zur BK Nr. 1317 Anlage BKV, wonach eine Persistenz oder eine Verschlechterung der Erkrankung nach Unterlassen der gefährdenden Tätigkeit eine Verursachung durch Lösemittel nicht ausschließe. Das LSG werde auf der Grundlage des von ihm festzustellenden wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu ermitteln haben, wann die Neuropathie des Klägers erstmals aufgetreten ist und ob sie durch die berufsbedingte Exposition gegenüber den einschlägigen nachgewiesenen Schadstoffen verursacht worden sei. Der Zeitpunkt des Eintritts der Erkrankung könne nicht offen bleiben. Gehe man vom Eintritt des Versicherungsfalls „Mitte der 80er Jahre“ aus, sei eine Anerkennung dieser Krankheit als BK Nr.1317 Anlage BKV wegen der Rückwirkungsklausel des § 6 Abs. 1 BKV nicht möglich. In diesem Fall habe, weil ein Feststellungsverfahren wegen einer einschlägigen BK bereits vor dem In-Kraft-Treten der Änderungsverordnung eingeleitet worden sei, eine objektive retrospektive Beurteilung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzung gemäß § 551 Abs. 2 RVO zu erfolgen. 

Der Senat hat von Amts wegen von Prof. Dr. N. ein toxikologisches Gutachten und auf Antrag des Klägers von Prof. Dr. G. ein arbeits- und sozialmedizinisches Gutachten eingeholt. 

Prof. Dr. N. hat in seinem Gutachten vom 5. November 2009 zu fünf möglichen Verlaufsformen einer lösemittel-bedingten Polyneuropathie vorliegende epidemiologische Studien und Erkenntnisse aus der neueren wissenschaftlichen Literatur ausgewertet. Zusammenfassend hat er folgende Feststellungen getroffen: 

1. Die im BK-Report 2/2007 für die BK 1317 zur Entstehung und dem Verlauf einer durch Organische Lösemittel bedingten Polyneuropathie zitierten wissenschaftlichen Arbeiten beschreiben Krankheitsverläufe, bei denen die Auslösung einer Polyneuropathie in einem engen zeitlichen Zusammenhang zu der Phase der Exposition steht. Zwar lassen sich hinsichtlich des chronischen Verlaufs der Erkrankung, einer möglichen Verschlechterung der klinischen Symptomatik und der elektroneuromyographischen Befunde sowie der zeitlichen Länge des Krankheitsverlaufs gewisse Unterschiede in den postulierten Verlaufsformen 1 - 4 feststellen, allen wissenschaftlichen Berichten ist jedoch gemein, dass zwischen dem Ende der Exposition und dem ärztlicherseits diagnostizierten Beginn der Polyneuropathie kein längeres zeitliches Intervall (Latenzzeit) besteht, dass vielmehr die Polyneuropathie während der Phase der Exposition gegenüber den Organischen Lösemitteln aufgetreten ist.

2. Bei einigen Publikationen lässt sich aus den mitgeteilten Daten nicht erkennen, ob zwischen dem Ende der Exposition und dem ärztlicherseits diagnostizierten Beginn der Polyneuropathie eine Latenzzeit besteht. Aus den mitgeteilten Daten kann jedoch auch nicht abgeleitet werden, dass eine Latenzzeit vorgelegen hat.

3. In keiner der vorliegenden Publikationen wurde expressis verbis das Ergebnis mitgeteilt, dass zwischen dem Ende der Exposition gegenüber Organischen Lösemitteln und dem ärztlicherseits diagnostizierten Beginn der Polyneuropathie eine Latenzzeit besteht.

4. Eine durch Organische Lösemittel verursachte Polyneuropathie besteht in sehr vielen Fällen nach Expositionsende weiter, wobei sie sich in ihrer Symptomatik während einiger Monate noch verstärken kann und/oder zu Langzeitfolgen führen kann, die zwar in der Regel nach ca. 2 - 3 Jahren abgeklungen sind, die jedoch in Einzelfällen bis zu 10 Jahre andauern können. Daher ist es nach dem vorliegenden Datenmaterial problematisch, im Einzelfall eine einigermaßen sichere Aussage über die Kausalität zwischen Exposition gegenüber Organischen Lösemitteln einerseits und dem zeitlichen Verlauf einer Polyneuropathie zu machen. Die in der Vergangenheit häufig vertretene Lehrmeinung, wonach bei Fortbestehen einer Polyneuropathie über einen Zeitraum von mehr als 2 Jahren ein Kausalzusammenhang mit einer vorher stattgehabten Lösemittel-Exposition abzulehnen ist, kann auf der Basis des vorliegenden Datenmaterials nicht aufrechterhalten werden. Es ist zwar richtig, dass in der Regel nach 2 - 3 Jahren nach Expositionsende eine Polyneuropathie ausgeheilt ist, es gibt jedoch eine erhebliche Zahl von Ausnahmen, die eine sichere Aussage zu Ungunsten eines Betroffenen nicht zulassen.

5. Auch in der wissenschaftlichen Literatur, die für die Zeit nach dem Abschluss der Literaturrecherchen des BK-Reports 2/2007, also etwa ab dem Jahr 2005 vorliegen, lassen sich keine Hinweise dafür finden, dass eine Polyneuropathie der oberen und/oder unteren Extremitäten in einem relevanten zeitlichen Intervall, etwa im Bereich mehrerer Monate oder Jahre, nach dem Ende der Exposition gegenüber Organischen Lösemitteln aufgetreten ist. Im Übrigen gelten alle unter 1. bis 4. getroffenen Feststellungen auch für diejenigen Arbeiten, die ab etwa 2005 publiziert worden sind.

6. Das Auftreten eines zeitlichen Intervalls zwischen Expositionsende und Beginn einer Polyneuropathie lässt sich jedoch auch unter Berücksichtigung der vorangegangenen Feststellungen 1. bis 5. nicht prinzipiell ausschließen. Wie oben dargestellt, gibt es mindestens drei unterschiedliche Gründe, weshalb ein solches Intervall auftreten könnte, auch wenn diese Verlaufsform der Polyneuropathie bislang in der wissenschaftlichen Literatur noch nicht beschrieben wurde. Der wesentliche Grund für die Annahme, dass ein zeitliches Intervall doch auftreten kann, ist die Tatsache, dass in der Realität der beruflichen Praxis neben der alleinigen Exposition gegenüber Organischen Lösemitteln auch Mischexpositionen auftreten, bei denen noch zusätzlich andere Schadstoffe vorhanden sind. Dies gilt für Schwermetallionen und insb. für Blei. Aufgrund der sehr langen biologischen Halbwertszeit dieses Schadstoffs dürfen die allein für Organische Lösemittel vorliegenden Daten nicht ohne Abklärung der durch Blei zusätzlich verursachten Effekte übertragen werden. Die für eine sichere Beurteilung einer Mischexposition aus Organischen Lösemitteln und Blei notwendigen Daten liegen jedoch (derzeit noch) nicht vor.

7. Wie bereits zu Beginn des Gutachtens betont, dürfen die vorliegenden Erkenntnisse und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen unter keinen Umständen auf den Verlauf und insbesondere die Prognose einer Encephalopathie übertragen werden.

Prof. G. hat in seinem Gutachten vom 30. Juni 2011 ebenfalls epidemiologische Studien und wissenschaftliche Fachliteratur ausgewertet und ist zu mit dem Gutachten des Prof. Dr. N. übereinstimmenden Ergebnissen gelangt. Zum Krankheitsbeginn hat der Sachverständige ausgeführt: Prof. Dr. F. habe erstmals im November 1994 die periphere Polyneuropathie bei dem Kläger diagnostiziert. Die hierfür erforderlichen, gezielten neuropysiologischen-feindiagnostischen Nachweisverfahren seien zuvor noch niemals angewendet worden. Im Hinblick auf die mehrere Jahre (seit 1988) zurückliegenden, sicherheitstechnisch bestätigten besonders gravierenden Expositionszeiträume handele es sich in der Tat um eine erst relativ verspätet erfolgte „erstmalige Diagnose“ im Sinne der Formulierung des BK Reports 2/2007 des KVBG zur BK 1317 und eben nicht um ein „erstmaliges Auftreten der Erkrankung“. Die Gründe für diese verspätete Wahrnehmung lägen in den wiederholten zusätzlich mitgestaltenden und überlagernden radikulären Nervenschmerzen in Folge bandscheibenbedingter, akuter (d.h. hexenschussartiger) Attacken sowohl im Halswirbelsäulen- als auch im Lendenwirbelsäulen-Bereich. Diese Auffassung habe auch Dr. O., A-Stadt, in seinem Gutachten vom 26. März 1997 geäußert. Es könne davon ausgegangen werden, dass von dem Kläger nach 1988 die deutlich geringer schmerzhaften, ebenso wie die relativ geringgradigeren Sensibilitätsstörungen im Bereich beider Beine (Dysästhesien und Hypästhesien), und wohl auch das Schwächegefühl, z.B. beim Treppen steigen, wohl als weitaus weniger gravierend empfunden worden sei, als die in jenen Jahren dreimalig aufgetretenen schweren, akuten (hexenschussartigen) Bandscheibenattacken, die zweimalige Operationen erforderlich gemacht hätten. Auch Prof. Dr. N. habe darauf hingewiesen, dass auch der Fall denkbar sei, dass eine Polyneuropathie bereits lange vor der ärztlichen Diagnose noch während der Expositionsphase mit nicht deutlich ausgeprägter klinischer Symptomatik begonnen habe, ohne dass der Betroffene hierzu den Arzt aufgesucht hat. Im Grenzfall sei es durchaus möglich, dass eine Polyneuropathie noch während eine Expositionsphase begonnen hat, und dass die entstandene Polyneuropathie eine Persistenz oder Progression zeige. Im Falle des Klägers erkläre die Überlagerung durch mehrfache akut-neurologische, rezidivierende, schmerzhafte Lumbalgien und Zervikalneuralgien, einschließlich vertebragener Kopfschmerzen den verspäteten Facharztbesuch und den dadurch verzögerten Einsatz der feindiagnostisch zwingend erforderlichen neurophysiologischen Verfahren der Elektromyographie und Elektroneurographie. Die Abklärung sei erstmals, aber verspätet, durch Prof. Dr. F. erfolgt. Danach sei die Polyneuropathie am 21. März 1997 fachneurologisch durch Dr. O., A-Stadt, bestätigt worden. 

Der Kläger hat ein neurologisches Gutachten des Dr. P., P-Stadt, vom 28. August 2009 zu den Akten gereicht, das Dr. P. für das Sozialgericht Wiesbaden im Rahmen eines Rechtsstreits wegen Höherbewertung des Grades der Behinderung erstattet hatte. Dr. P. hat bei dem Kläger eine Polyneuropathie mit Missempfindungen und einer leichten Ataxie diagnostiziert. 

Der Kläger ist der Auffassung, der Beurteilung des Prof. Dr. G. sei zu folgen.

Der Kläger beantragt, 
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 6. Mai 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. März 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 1998 aufzuheben, die bei ihm vorliegende Polyneuropathie als bzw. wie eine Berufskrankheit festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Berufskrankheit Rente nach einer MdE von 30 v.H. zu gewähren,
hilfsweise nach § 106 SGG eine arbeitstechnische Expertise einzuholen unter Auswertung des Schreibens des Klägers vom 10. Mai 1999 und der mit Schreiben vom 17. Dezember 1998 überreichten Belege über den Einsatz und die Verwendung von Lösemitteln und Blei unter Exposition des Klägers für die Zeit ab 1988.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen. 

Sie ist der Auffassung, es sei nicht nachgewiesen, dass die Polyneuropathie bei dem Kläger bereits vor 1994 aufgetreten sei. 
Zum Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen. 

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung und Entschädigung der bei ihm diagnostizierten Polyneuropathie als BK i.S. der Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV.

Der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung – RVO –, weil die von dem Kläger als Berufskrankheit geltend gemachte Schädigung vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) am 1. Januar 1997 datiert (Art. 37 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, §§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII). Nach § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO sind Berufskrankheiten diejenigen Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet. Die Träger der Unfallversicherung sollen im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, „wie“ eine Berufskrankheit entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO erfüllt sind (§ 551 Abs. 2 RVO).

Nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV ist eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische eine Berufskrankheit. Diese Berufskrankheit wurde mit Erlass der BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl I 2623), die am 1. Dezember 1997 in Kraft trat (§ 8 Abs. 1 BKV), als sogenannte Listenkrankheit in die Anlage 1 zur BKV aufgenommen. Nach der Rückwirkungsklausel des § 6 Abs. 1 BKV (in der vom 1. Dezember 1997 bis zum 30. September 2002 geltenden Fassung) ist eine Krankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn ein Versicherter am 1. Dezember 1997 an einer solchen Krankheit leidet und der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1992 eingetreten ist.

Die Feststellung einer Berufskrankheit sowohl nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO als auch nach § 551 Abs. 2 RVO setzt voraus, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, wegen der Entschädigungsleistungen beansprucht werden, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sind. Eine absolute Sicherheit ist bei der Feststellung des Sachverhaltes nicht zu erzielen. Erforderlich ist jedoch eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale zweifelt (vgl. BSGE 6, 144; Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 128 Rdnr. 3b). Es muss ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; 61, 127, 128). Diese Grundsätze gelten auch für die Feststellung des Erkrankungsbeginns. Dieser kann nicht durch Schätzung ermittelt werden (vgl. Urteil des Senats vom 30. Juni 2011 – L 3 U 209/06). Für die Beurteilung, ob die Erkrankung rechtlich wesentlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist (Kausalzusammenhang) gelten geringere Beweisanforderungen. Es genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Diese ist gegeben, wenn nach Feststellung, Prüfen und Abwägen aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles im medizinischen Bereich auch unter Berücksichtigung der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinungen insgesamt mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht.

Die Feststellung einer Berufskrankheit im Sinne der Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV, einer durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische verursachten Polyneuropathie, setzt voraus, dass zwischen dem Expositionsende und dem erstmaligen Auftreten der Polyneuropathie ein engerer zeitlicher Zusammenhang besteht. Diesbezüglich hat Prof. Dr. N. in seinem Gutachten vom 5. November 2009 ausführlich nach Auswertung auch neuerer medizinisch-wissenschaftlicher Publikationen dargelegt, dass es keine Erkenntnisse gibt, dass zwischen dem Expositionsende und dem Auftreten einer Polyneuropathie eine längere Latenzzeit, z.B. über Monate oder gar Jahre, liegt. 

Hier konnte die Anerkennung einer Polyneuropathie als Berufskrankheit nicht erfolgen, weil ein engerer zeitlicher Zusammenhang zwischen dem erstmaligen Auftreten der Polyneuropathie und dem Expositionsende nicht besteht. 

Der vorliegende Fall war nach § 551 Abs. 1 RVO i.V.m. der Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV zu beurteilen, weil der Eintritt des Versicherungsfalls nach dem 31. Dezember 1992 (vgl. § 6 Abs. 1 BKV a.F.) festzustellen wäre. Der Senat hatte im Rahmen seiner Beweiswürdigung anhand der in den Akten vorliegenden ärztlichen Berichte sowie der gutachterlichen Beurteilungen zu entscheiden, wann die Polyneuropathie erstmals bei dem Kläger aufgetreten ist. Er ist dabei zu der Beurteilung gelangt, dass dies nicht bereits Mitte der 80er Jahre, d.h. 1985, der Fall gewesen ist, sondern dass das Vorliegen einer Polyneuropathie mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit erstmals aufgrund der von Prof. Dr. F. durchgeführten Untersuchungen im November 1994 festgestellt werden kann. 

Unstreitig steht fest, dass der Kläger seit November 1994 an einer peripheren Polyneuropathie leidet, die zu diesem Zeitpunkt von Prof. Dr. F. sicher diagnostiziert wurde. Außerdem ist aufgrund eines Arztbriefes der Medizinischen Klinik II des Kreiskrankenhauses Wetzlar vom 4. September 1985 bekannt, dass dort anlässlich einer stationären Behandlung im Juli/August 1985 nach einer neurologischen Konsiluntersuchung der Verdacht auf das Vorliegen einer allenfalls diskreten initialen diabetischen Polyneuropathie geäußert wurde. Daneben wurden ein leichtes Sulcus-Ulnaris-Syndrom links und eine Wurzelreizsymptomatik L5/S1 links diagnostiziert. Zu den bei dem Kläger vorliegenden Beschwerden und Erkrankungen liegen ab März 1987 zahlreiche orthopädische, neurologische und internistische ärztliche Berichte und auch Gutachten von Sachverständigen vor. In einem Bericht der Orthopädischen Klinik Braunfels vom 6. März 1987 ist festgehalten, dass der Kläger dort über ein „Taubheitsgefühl“ an der gesamten linken Körperhälfte und Schmerzen im LWS-Bereich ohne Ausstrahlung in das Gesäß geklagt hat (Blatt 174 der V-Akte). Über ähnliche Beschwerden klagte der Kläger auch in der Folgezeit und in den Jahren 1988, 1989, 1991, 1992 und 1993. Im Bericht der Medizinischen Klinik II der Universitätsklinik Gießen vom 6. Dezember 1989 werden Parästhesien im linken Bein und linken Arm, dort ulnarseitig, sowie eine Muskelschwäche des linken Beines genannt. Der Internist Dr. Y. teilt unter dem 21. Dezember 1989 mit, bei dem Kläger bestünden Parästhesien am linken Bein. Ein Bericht des Brüderkrankenhauses St. Josef vom 19. Mai 1989 vermerkt, nach Bandscheibenoperation bestünden noch Schmerzen und Missempfindungen streifenförmig an der Vorderseite des linken Ober- und Unterschenkels und an der Großzehe links. Die Sensibilitätsprüfung habe eine Hypalgesie links deutlich im Dermatom L5 am Unterschenkel gezeigt, außerdem eine fragliche Hypalgesie am rechten Fußaußenrand, entsprechend S1. Die Abteilung Klinische Neurophysiologie am Universitätsklinikum Gießen berichtet am 17. Oktober 1989 über ein von dem Kläger geklagtes Taubheitsgefühl im gesamten linken Bein mit Schwerpunkt L5. Im orthopädischen Gutachten des Prof. Dr. Q., Universitätsklinik Mainz, erstellt im Auftrag des Landgerichts Wiesbaden, vom 4. August 1989 wird neben einer Zehenheberschwäche links und einer Pronationsschwäche links festgestellt, nach Bandscheibenprolaps bei L4/5 bestehe eine Sensibilitätsdifferenz bzw. Zehenheberschwäche links fort. Im Bereich L4 sei die Sensibilität rechts und links nahezu gleich. Eine Hyposensibilität bestehe im Segment L5 und S1 links. Laut orthopädischem Gutachten des Dr. R. vom 24. Januar 1992, das dieser zur Feststellung des Grades der Behinderung für das Sozialgericht Wiesbaden erstellt hatte, werden als Klagen des Klägers angegeben, es bestehe kein richtiges Gefühl im linken Bein, das Treppengehen sei links schwierig. Außerdem klagte der Kläger über Sensibilitätsstörungen an der Ellenseite des linken Unterarmes und der linken Hand bis in den Kleinfinger. Im Bereich des linken Beines wurde ein dem L5 Segment zugeordnetes Parästhesie-Syndrom mit Unsicherheitsgefühl des linken Beines festgestellt. Die Neurologin U. teilt in ihrem Bericht vom 29. November 1993 mit, es bestünden bei dem Kläger Hypästhesien links im Bereich des gesamten Oberschenkels und im Bereich der Unterschenkelaußenseite und des Fußes. Erstmals im Gutachten des Nervenarztes Dr. E. vom 6. Mai 1992 (Blatt 443 der V-Akte) wird mitgeteilt, dass der Kläger über ein Unsicherheitsgefühl in beiden Beinen geklagt habe.

Über von dem Kläger geklagte Sensibilitätsstörungen im Bereich des rechten Beines finden sich folglich in den zahlreichen ärztlichen Berichten keine Angaben. Zwar erscheint es möglich, dass der Kläger solche Beschwerden nicht wahrgenommen hat, weil diese durch andere, auch stärkere bandscheibenbedingte Beschwerden im linken Bein überlagert wurden, es lässt sich jedoch nach Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Fall gewesen ist. Denn hiergegen spricht, dass der Kläger auch andere von ihm empfundene Sensibilitätsstörungen benannt hat, so z. B. eine Hypalgesie am rechten Fußaußenrand (Bericht des Brüderkrankenhauses St. Josef vom 19. Mai 1989, Blatt 202 V-Akte) und eine Hypästhesie im Bereich der linken Wange, des Kinns und der Lippe im Jahre 1991 gegenüber dem Neurologen Dr. S. (Bericht vom 11. Juli 1991, Blatt 254 V-Akte).

Auch die vor 1994 durchgeführten elektromyographischen und elektroneurographischen Untersuchungen können das Vorliegen einer Polyneuropathie vor November 1994 nicht sicher belegen. Der Neurologe und Psychiater Dr. T. hat den Kläger laut Befundbericht vom 6. November 1988 (Blatt 188 V-Akte) am 2. November 1988 elektromyographisch untersucht. Dabei zeigte sich laut ENG-Beurteilung durch Dr. T. eine deutliche Reduktion der Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus fibularis links gegenüber rechts ohne frische Verletzungszeichen. Dr. T. deutete den Befund als ein Bild einer älteren peripher-neurogenen Schädigung, wie man sie bei Neuroradiculitiden häufiger findet. Eine weitere elektromyographische Untersuchung fand am 16. Mai 1989 im Brüderkrankenhaus St. Josef statt (Bericht vom 19. Mai 1989, Blatt 202 V-Akte). Dabei zeigten sich „im musculus tibialis anteriua, tibialis posterior und extensur digitorum brevis links einzelne Faszikulationen keine Denervierungsaktivität, kein neurogener Umbau der Aktionspotentiale.“ Es wurde eine leichte Läsion bei L5 links diagnostiziert und elektromyographisch passend dazu Faszikulationen im Kernmuskel von L5 als Ausdruck einer Irritation auch motorischer Fasern, ohne Nachweis eines floriden oder abgelaufenen Denervierungsprozesses. Ein rechts festgestellter abgeschwächter und latenzverzögerter Achillessehnenreflex sprach nach Meinung der Untersucher für eine leichte Läsion auch der Wurzel S1 rechts. In der Abteilung Klinische Neurophysiologie der Universitätsklinik Gießen wurde der Kläger am 17. Oktober 1989 untersucht (Bericht Seite 217 der V-Akte). Hierüber wurde festgehalten: „ENG (N. Peromeus links): NLG o. B.“, „EMG: in verschiedenen von L4-S1 versorgten Muskeln keine Denervationsaktivität, Interferenzmuster bei nicht optimaler Innovation nicht beurteilbar.“ Eine elektromyographische und elektroneurographische Untersuchung wurde am 24. November 1993 auch von der Ärztin für Neurologie U. durchgeführt (Bericht vom 29. November 1993 Blatt 284 V-Akte). Die Neurologin teilt hierzu mit, elektromyographisch seien links die Kernmuskeln der Myotome L3-L5 und rechts die Kernmuskel des Myotoms L5 untersucht worden. In keinem der untersuchten Muskeln hätten sich pathologische Spontanaktivitäten gefunden. Die Aktionspotentiale seien überwiegend bi – und triphasisch, links im musculus tibialis anterior ausschließlich polyphasisch gewesen. Elektroneurographisch wurde für den linken nervus peronaeus eine normale distale Latenzzeit gemessen und eine noch normale distale Nervenleitgeschwindigkeit im Unterschenkelbereich. Die Neurologin gelangte zu der Beurteilung, es hätten sich Hinweise für eine alte Wurzelschädigung L4 ohne derzeitiges klinisches Korrelat ergeben. Zwar wurden vor November 1994 nicht die gleichen „neurophysiologischen-feindiagnostischen Nachweisverfahren“ wie von Prof. Dr. F. durchgeführt, worauf Prof. Dr. G. hinweist, jedoch fanden die Untersucher sowohl bei den neurophysiologischen als auch bei klinischen Untersuchungen keine Hinweise auf eine Polyneuropathie. Deshalb bestehen berechtigte Zweifel, ob eine solche Erkrankung bei dem Kläger bereits vor 1994 aufgetreten ist.

Da nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, dass bei dem Kläger bereits Mitte 1985 oder 1988 eine Polyneuropathie vorgelegen hat und eine Exposition gegenüber organischen Lösungsmittel ab 1988 nicht mehr bestanden hat, kann ein Kausalzusammenhang zwischen der Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit des Klägers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. 

Der Kläger war aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit als Maler und Anstreicher seit April 1960 gegenüber neurotoxisch wirkenden Lösungsmittel exponiert. Hinsichtlich der Dauer der Einwirkung ist der Senat, ebenso wie das Sozialgericht, zu der Überzeugung gelangt, dass eine Exposition des Klägers gegenüber organischen Lösungsmitteln ab dem Jahre 1988 nicht mehr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann: Am 16. September 1987 stürzte der Kläger beim Tragen zweier Farbeimer an einer Bordsteinkante. In der Folgezeit traten linksbetonte ichialgieforme Beschwerden auf. Ein medio-lateraler Bandscheibenvorfall L4/5 links wurde am 14. Oktober 1987 (Brüderkrankenhaus St. Josef in Koblenz) diagnostiziert. Am 1. August 1988 erfolgte in der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg eine perkutane Diskotonomie L4/5 links. Daraufhin bestand nur eine kurzzeitige Schmerzfreiheit, weshalb am 20. Dezember 1988 in der Gießener Universitätsklinik eine Renucleotomie durchgeführt wurde. Der Kläger war wegen des Bandscheibenvorfalls und der Wirbelsäulenbeschwerden nach den Angaben der Ortskrankenkasse A-Stadt vom 16. September 1987 bis 8. April 1989 arbeitsunfähig. Dem Kläger war es aus gesundheitlichen Gründen ab Mitte September 1987 nicht mehr möglich, auf den Baustellen aktiv mitzuarbeiten. Er hielt sich dort auch in den Folgejahren täglich nur ca. zwei Stunden auf, um das Aufmaß zu nehmen und die von seinen Mitarbeitern ausgeführten Arbeiten zu kontrollieren. Es kann folglich – wie das Sozialgericht überzeugend dargelegt hat – nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger ab 1988 noch eine relevante Exposition zu neurotoxischen Lösungsmitteln hatte.
In den ersten Berufsjahren von 1960 – 1964 war der Kläger nach den Ermittlungen des TAD der Beklagten (Stellungnahme des Dr. V. vom 20. Juli 1995) in besonderem Maße gegenüber organischen Lösemittel exponiert, weil er häufigen Umgang mit lösemittelhaltigen Abbeizern, Holzschutzmitteln, Neoprene-Klebern, Heizkörperlacken hatte und häufig Pulverfarben mit Lösemitteln angemischt hat. Während seiner Tätigkeit als Geselle bei verschiedenen Firmen von 1964 – 1971 ist nach Beurteilung des TAD von einer deutlich geringeren Belastung durch Lösemittel auszugehen. Jedoch bestand während dieses Zeitraums im Rahmen von Arbeiten auf dem Gelände der Firma W. über längere Zeit eine sehr hohe Lösemittelbelastung, weil Heizkörper geflutet wurden. Ab 1971 führte der Kläger einen eigenen Betrieb in dem die üblichen Arbeiten eines Malerbetriebes ausgeführt wurden. Anfang der 70er Jahre wurden noch Heizkörper geflutet, auch wurden in A-Stadt im Rahmen der Altstadtsanierung Arbeiten in Häusern ausgeführt, deren Holzgerüst zuvor von Zimmerern mit Holzschutzmitteln bespritzt worden war (Stellungnahme des Dr. V. vom 20. Juli 1995). Grundsätzlich kann nach Aussage des TAD der Beklagten (Stellungnahme des Dr. V. vom 11. November 1996) unterstellt werden, dass in den 70er Jahren und auch noch anfangs der 80er Jahre die Lösemittelbelastung im Malerhandwerk deutlich höher lag als in den Jahren danach. Diesbezüglich hat der TAD der Beklagten in seinen Stellungnahmen vom 11. November 1996, 1. August 1997, 22. April 1999 und 12. August 1999 unter Bezugnahme auf die Broschüre „Beschichtungsarbeiten – zur Schadstoffexposition beim Auftragen und Entfernen von Beschichtungen auf Baustellen“ (erste Auflage, Mai 1997) – die von dem Kläger zu den Akten gereicht worden war – für den Senat überzeugend dargelegt, dass bei zahlreichen Messungen Anfang der 90er Jahre nachgewiesen werden konnte, dass bei den üblichen Malerarbeiten die Lösemittelbelastung bezogen auf eine Achtstundenschicht unterhalb der gültigen Grenzwerte gelegen hat und neurotoxische Schwellenwerte nicht erreicht wurden. Dies bestätigen auch die Konzentrationsmessungen von einzelnen neurotoxischen Inhaltsstoffen wie n-Hexan und Toluol, die ebenfalls in der Broschüre „Beschichtungsarbeiten“ Seite 31 f. dargestellt sind. Der TAD der Beklagten ist deshalb zu der für den Senat nachvollziehbaren Beurteilung gelangt, dass der Kläger als Bystander bei einer Anwesenheit auf den Baustellen von ca. zwei Stunden täglich keiner relevanten Exposition gegenüber neurotoxischen Lösemitteln ausgesetzt gewesen sein kann. Die von dem Kläger mit Schriftsatz vom 17. Dezember 1998 eingereichten Rechnungsbelege und sein Schreiben vom 10. Mai 1999 belegen nicht, dass im Betrieb des Klägers ab 1988 von der Auskunft des TAD der Beklagten abweichende Verhältnisse vorgelegen haben. Die von dem Kläger zu den Akten gereichten Rechnungen sind auf das Jahr 1986 datiert und können schon aus diesem Grunde nicht als Belege für die Jahre ab 1988 gelten. Den Aufstellungen des Klägers über im Betrieb verbrauchte lösemittelhaltige Arbeitsstoffe ab dem Jahr 1980 kann vielmehr entnommen werden, dass der Betrieb ab 1988 pro Jahr wesentlich weniger Mengen an lösemittelhaltigen Produkten eingekauft hat als in den Jahren davor. Dies korreliert auch mit der Aussage des Klägers anlässlich der gutachterlichen Untersuchung durch Prof. Dr. X. im Herbst 1990, wonach er in den letzten Jahren auf umweltverträgliche Farben und Lacke umgeschwenkt ist und zusehends den Kontakt zu konventionellen Lacken gemieden hat. Zudem weist der TAD der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 22. April 1999 daraufhin, dass die von dem Kläger in seiner Aufstellung vorgenommene Einteilung der Produkte aufgrund der Durchsicht von beilgelegten Rechnungen nicht zutreffend sei, der Kläger habe alle Verdünnungen als Nitroverdünnungen angegeben, unter dem Begriff „Verdünnung“ jedoch chemisch verschiedene Zusammensetzungen zu berücksichtigen seien. Da im Einzelnen nicht feststeht, wie oft und in welchem Umfang Produkte mit organischen Lösemitteln ab 1988 im Betrieb des Klägers verarbeitet wurden und ebenfalls nicht feststeht, wann und in welchem Umfang der Kläger bei Ausführung solcher Arbeiten sich auf der Baustelle aufhielt, kann nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Kläger ab 1988 gegenüber organischen Lösemitteln in seine Gesundheit gefährdender Art und Weise exponiert war. Aufgrund der oben dargelegten Gesamtumstände kann ab dem Jahr 1988 eine derartige Exposition auch nicht unterstellt werden. Vielmehr bestätigen die Angaben des Klägers, dass er zusehends den Kontakt mit konventionellen Lacken gemieden hat und er versuchte, sich so kurz wie möglich in den Räumlichkeiten, wo Lackdünste und verschmutzte Luft sich auf seine Atemwege schlugen, aufzuhalten (Stellungnahme des Klägers vom 14. September 1999), die Auskunft des TAD, wonach ab 1988 eine relevante Exposition gegenüber organischen Lösungsmitteln nicht mehr stattgefunden hat. 

Angesichts der Gesamtumstände sah sich der Senat nicht veranlasst, dem Antrag des Klägers, von Amts wegen eine arbeitstechnische Expertise einzuholen, nachzukommen. Zumal der Kläger nicht dargelegt hat, welche noch offenen Fragen durch ein solches Gutachten zu klären wären. Zwar war der Kläger nicht nur gegenüber organischen Lösemitteln, sondern auch gegenüber Blei exponiert, so dass eine Mischexposition in seinem Falle zu bejahen ist. Jedoch liegen nach Auskunft des Prof. Dr. N. derzeit noch keine Daten vor, die eine sichere Beurteilung einer Mischexposition aus organischen Lösemitteln und Blei zuließen. Es liegen folglich auch keine Erkenntnisse vor, dass beim Vorliegen einer Mischexposition zwischen dem Expositionsende und dem Auftreten einer Polyneuropathie auch eine längere Latenzzeit auftreten kann. Es waren deshalb auch keine weiteren arbeitstechnischen Ermittlungen zur Bleiexposition des Klägers angezeigt. 

Da das Vorliegen einer Polyneuropathie als Berufskrankheit bei dem Kläger nicht festgestellt werden konnte, war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG, die über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 SGG.

Rechtskraft
Aus
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