Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 4. Februar 2014 abgeändert.
Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, der Antragstellerin häusliche Krankenpflege im Umfang von 24 Stunden in Form von Krankenbeobachtung sowie Krisenbereitschaft für das Absaugen in der Trachea mehrfach täglich plus nachts bis zu 7 mal nach Bedarf und intermittierende Sauerstoffgaben bei Bedarf entsprechend der ärztlichen Verordnung vom 7. Januar 2014 an 7 Tagen in der Woche ab Beschlussfassung vorläufig bis zum 15. April 2014 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Die am 28. Februar 2014 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Beschwerde der Antragstellerin mit dem (sinngemäßen) Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 4. Februar 2014 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig und vorbehaltlich einer Folgeverordnung auch über den 15. Januar 2014 hinaus - bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache - zu verpflichten, der Antragstellerin gemäß dem Inhalt entsprechender ärztlicher Verordnungen häusliche Krankenpflege über 24 Stunden an 7 Tagen in der Woche in Form spezieller Krankenbeobachtung ab Antragstellung, hilfsweise ab Beschlussfassung, zu gewähren,
ist zulässig und auch teilweise begründet.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) setzt voraus, dass eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, d.h. dass dem Antragsteller ohne eine entsprechende Regelung schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, sodass ihm das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Anordnungsgrund) und ihm aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen bei Prüfung der Rechtslage ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Handlung bzw. Unterlassung zusteht (Anordnungsanspruch). Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 10. Auflage 2012, § 86b, Rdnrn. 16b, 16c). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen dabei nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr verhalten sich beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Hessisches Landessozialgericht, Beschlüsse vom 21. Dezember 2009, L 4 KA 77/09 B ER - juris -; vom 21. März 2013, L 1 KR 32/13 B ER; Keller, a.a.O., § 86b Rn. 27 und 29, 29a m.w.N.). Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen solchen verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, hat das Gericht im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen zum Erlass einer einstweiligen Anordnung für den Zeitraum ab dem Tag der Entscheidung des Senats bis zum 15. April 2014 im zugesprochenen Umfang gegeben.
Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 1. HS Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (sog. Behandlungssicherungspflege). Der krankenversicherungsrechtliche Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungssicherungspflege besteht neben dem Anspruch auf Leistungen bei häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung. Zur Behandlungssicherungspflege gehören alle Pflegemaßnahmen, die nur durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden (BSG, Urteil vom 10. November 2005, B 3 KR 38/04 R). Die Beobachtung eines Versicherten durch eine medizinische Fachkraft wird grundsätzlich auch von dem Anspruch auf Behandlungssicherungspflege erfasst, wenn diese wegen der Gefahr von ggf. lebensgefährdenden Komplikationen jederzeit einsatzbereit sein muss (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 10. November 2005, B 3 KR 38/04 R).
Wie der Senat bereits ausführlich in seinem Beschluss vom 14. Oktober 2013 (L 1 KR 252/13 B ER) für den Zeitraum bis zum 27. November 2013 ausgeführt hat, wäre es im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorliegend geboten, die Sachlage abschließend zu prüfen. Dies erfordert jedoch die vollständige Aufklärung des medizinischen Sachverhalts, was aber aus Zeitgründen erneut nicht möglich ist. Aus dem Attest des Dr. E. vom 19. August 2013 geht hervor, dass er die Antragstellerin am 19. August 2013 körperlich untersucht und eine Röntgenaufnahme der Lunge angefertigt hat. Im Attest führt er aus, es bestünden ein chronischer Husten mit chronischer Verschleimung sowie eine neurogene Schluckstörung mit Neigung zu Aspiration. Im Röntgenbild zeige sich eine Verschleimung in den Unterfeldern, vor allem im Lingulasegment; es sei mit Bronchiektasen zu rechnen. Unter den Diagnosen führt er u.a. auf: Rezidivierende Erstickungsanfälle. Nach Auffassung des behandelnden Arztes benötigt die Antragstellerin eine ständige Überwachung sowie mehrere Schleimabsaugungen aus der Trachea und Sauerstoffgaben, um den rezidivierenden Erstickungsanfällen vorzubeugen. Für den streitgegenständlichen Zeitraum liegen weitere ärztliche Folgeverordnungen über die Notwendigkeit einer 24-stündigen Behandlungspflege (spezialisierte Krankenbeobachtung durch examiniertes Fachpersonal, Krisenbereitschaft für Absaugen in der Trachea mehrfach täglich plus nachts bis zu 7 mal nach Bedarf und intermittierende Sauerstoffgaben bei Bedarf) durch den Internisten und Lungenarzt Dr. E. vom 12. November 2013 (Zeitraum vom 29. November 2013 bis zum 15. Januar 2014) und vom 7. Januar 2014 (Zeitraum vom 16. Januar 2014 bis zum 15. April 2014) nebst einem ärztlichen Attest von Frau S. (versorgender Pflegedienst) vom 3. März 2014 vor. Als verordnungsrelevante Diagnosen nennt Dr. E. wieder: Bronchitis, Verschleimung und Luftnot, dadurch bedingt Panikattacken. Damit hat erneut eine Abwägung der durch die begehrte Entscheidung berührten Rechtsgüter zu erfolgen.
Dieses Ergebnis kann auch durch das in dem vom Senat beigezogenen Hauptsacheverfahren (Az.: S 8 KR 653/13) erstellte Gutachten von Dr. J. vom 20. Januar 2014 keine Änderung erfahren. Zwar vertritt Dr. J. darin die Auffassung, dass die Notwendigkeit für eine 24-stündige Behandlungspflege derzeit nicht abgeleitet werden könne. Wesentliches Argument seiner diesbezüglichen Begründung ist jedoch, dass eine organische Ursache der beschriebenen funktionellen Auswirkungen der bronchialen Symptomatik der Antragstellerin (vermehrte Schleimproduktion, unzureichendes Abhusten) letztendlich nicht geklärt ist. So stehen nach den für den Senat nachvollziehbaren Ausführungen von Dr. J. u.a. eine hals-nasen-ohrenärztliche Diagnostik, dringend eine logopädische Schluckdiagnostik mit endoskopischer Untersuchung des Schluckaktes nebst einer neurologischen und ggf. auch einer bronchoskopischen Untersuchung an. Dies insbesondere deshalb, weil nach Dr. J. auch raumfordernde Prozesse oder Lähmungserscheinungen, zum Beispiel der Stimmbänder oder der Schluckmotorik, die bei der Antragstellerin bestehende Symptomatik auslösen können. Eine diesbezügliche Aufklärung war Dr. J., Facharzt für Allgemeinmedizin, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Sozialmedizin, Betriebsmedizin, Sportmedizin und Geriatrie insoweit im Rahmen der Untersuchung der Antragstellerin in häuslicher Umgebung, bei der eine genaue körperliche Untersuchung der Antragstellerin nach seinen Angaben kaum möglich war, nicht leistbar. So ist Dr. J. zufolge die Frage, ob eine Behandlungspflege für 24 Stunden täglich erforderlich ist, erst nach Abschluss der erforderlichen Diagnostik eindeutig beantwortbar, die nach der Auffassung des Senats ggf. im Rahmen einer stationärer Untersuchung der Antragstellerin effektiv erfolgen kann. Nach Dr. J. verbleibt vorliegend aber gerade aufgrund der mangelhaften Diagnostik eine gewisse Unsicherheit für das tatsächliche Bestehen einer vitalen Bedrohung der Antragstellerin. Dr. J. plädiert deshalb – eine Kostenübernahmeerklärung der Antragsgegnerin bis zum 15. April 2014 unterstellend – für eine diagnostische Abklärung in diesem Zeitrahmen.
Im Rahmen der Abwägung sind demzufolge auf Seiten der Antragstellerin das Rechtsgut aus Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz und auf Seiten der Antragsgegnerin sowie der Versichertengemeinschaft im Wesentlichen wirtschaftliche Interessen abzuwägen. Diese Güterabwägung hat zum Ergebnis, dass die Antragsgegnerin vorläufig die begehrte Behandlungspflege grundsätzlich zu gewähren hat. Die grundgesetzlich besonders geschützten Güter der Antragstellerin auf Leben und Gesundheit genießen Vorrang, weil die Vorenthaltung der begehrten Behandlungspflege im Falle eines positiven Ausganges der Hauptsache zur Folge hätte, dass die Behandlungspflege in Form spezialisierter Krankenbeobachtung sowie Krisenbereitschaft für das Absaugen mehrfach täglich und intermittierende Sauerstoffgaben möglicherweise zu spät käme. Dieses Risiko einer notstandsähnlichen Situation bei der Antragstellerin hat Dr. J. im Rahmen seines Gutachtens ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Demgegenüber stehen die Interessen der Versichertengemeinschaft, keine Leistungen erbringen zu müssen, die möglicherweise anderweitig abgesichert sind. Im Falle des negativen Ausgangs des Hauptsacheverfahrens würden zwar die wirtschaftlichen Interessen der gesetzlichen Krankenversicherung in erheblichem Maße verletzt, weil die Behandlungspflege mehrere Tausend Euro monatlich kostet und die Antragstellerin nach ihren finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnissen Rückzahlungen voraussichtlich nicht wird leisten können. Demgegenüber wiegt aber das Grundrecht auf Leben und körperlicher Unversehrtheit deutlich schwerer.
Ein Anordnungsgrund ist zu bejahen. Dr. J. weist insoweit im Rahmen seines Gutachtens vom 20. Januar 2014 darauf hin, dass eine endotracheale Absaugung bei Erforderlichkeit nur durch eine geschulte Pflegekraft durchgeführt werden kann. Insoweit hält der Senat seine Auffassung zur stundenweisen Übernahme der streitigen Behandlungspflege durch die Pflegeperson C. A. im Rahmen seines Beschlusses vom 14. Oktober 2013 ausdrücklich nicht aufrecht.
Hinsichtlich des verbleibenden Zeitraums ab Eingang des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung am 20. Dezember 2013 bei dem Sozialgericht Darmstadt bis zur Entscheidung durch den Senat ist die Beschwerde unbegründet. Es fehlt an einem Anordnungsgrund. Maßgeblich ist, dass es sich bei der Zeit ab Antragseingang bis zur Entscheidung durch den Senat um einen abgelaufenen Zeitraum handelt, der auch im Wege des Sachleistungsanspruchs nachträglich nicht mehr befriedigt werden kann. Ein noch fortdauernder, gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil ist von der Antragstellerin für den abgelaufenen Zeitraum weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden. Insoweit nimmt der Senat auf seine Ausführungen im Beschluss vom 14. Oktober 2013 Bezug.
Die Kostenentscheidung beruht auf dem Ausgang des Beschwerdeverfahrens in entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.