Der Beschluss des Senats vom 26. August 2014 wird aufgehoben.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 2. Juli 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Die am 1. August 2014 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Beschwerde der Antragstellerin mit dem (sinngemäßen) Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 2. Juli 2014 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig und vorbehaltlich einer Folgeverordnung auch über den 14. Juli 2014 hinaus - bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache - zu verpflichten, der Antragstellerin gemäß dem Inhalt entsprechender ärztlicher Verordnungen häusliche Krankenpflege über 24 Stunden an 7 Tagen in der Woche in Form spezieller Krankenbeobachtung ab Antragstellung zu gewähren,
ist zulässig, aber unbegründet. Der Beschluss des Senats vom 26. August 2014 ist daher aufzuheben und die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) setzt voraus, dass eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, d.h., dass dem Antragsteller ohne eine entsprechende Regelung schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, sodass ihm das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Anordnungsgrund) und ihm aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen bei Prüfung der Rechtslage ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Handlung bzw. Unterlassung zusteht (Anordnungsanspruch). Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 11. Auflage 2014, § 86b, Rdnrn. 16b f.). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen dabei nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr verhalten sich beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Hessisches Landessozialgericht, Beschlüsse vom 21. Dezember 2009, L 4 KA 77/09 B ER - juris -; vom 21. März 2013, L 1 KR 32/13 B ER; Keller, a.a.O., § 86b Rn. 27 ff. m.w.N.). Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen solchen verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, hat das Gericht im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen zum Erlass einer einstweiligen Anordnung nach Vorlage des vorläufigen Phoniatrischen und Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen Gutachtens von Prof. Dr. D. (Klinik der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt am Main) vom 7. Januar 2015 nach stationärer Untersuchung der Antragstellerin nicht (mehr) gegeben.
Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 1. Hs. Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (sog. Behandlungssicherungspflege). Der krankenversicherungsrechtliche Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungssicherungspflege besteht neben dem Anspruch auf Leistungen bei häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung. Zur Behandlungssicherungspflege gehören alle Pflegemaßnahmen, die nur durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden (BSG, Urteil vom 10. November 2005, B 3 KR 38/04 R). Die Beobachtung eines Versicherten durch eine medizinische Fachkraft wird grundsätzlich auch von dem Anspruch auf Behandlungssicherungspflege erfasst, wenn diese wegen der Gefahr von ggf. lebensgefährdenden Komplikationen jederzeit einsatzbereit sein muss (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 10. November 2005, B 3 KR 38/04 R).
Von der medizinischen Erforderlichkeit einer solchen Behandlungssicherungspflege kann aufgrund der vorliegenden Gutachten von Dr. E. und Prof. Dr. D. nicht (mehr) ausgegangen werden.
Im Verfahren S 8 KR 653/13 hat Dr. E. (Facharzt für Allgemeinmedizin, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Sozialmedizin, Betriebsmedizin, Sportmedizin und Geriatrie) bereits unter dem 20. Januar 2014 ein Gutachten nach Untersuchung der Antragstellerin erstellt und darin eine 24-stündige Behandlungspflege für nicht notwendig eingeschätzt. Er hat allerdings ausgeführt, dass eine organische Ursache der beschriebenen funktionellen Auswirkungen der bronchialen Symptomatik der Antragstellerin (vermehrte Schleimproduktion, unzureichendes Abhusten) letztendlich nicht geklärt sei. Erforderlich seien eine Hals-Nasen-Ohren-ärztliche Diagnostik, eine logopädische Schluckdiagnostik mit endoskopischer Untersuchung des Schluckaktes nebst einer neurologischen und ggf. auch einer bronchoskopischen Untersuchung. Ob eine Behandlungspflege für 24 Stunden täglich erforderlich sei, könne erst nach Abschluss dieser Diagnostik eindeutig beantwortet werden. Im Rahmen der Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 25. August 2014 in den Verfahren S 8 KR 653/13, S 8 KR 99/14, S 8 KR 276/14, S 8 KR 449/14 und S 8 KR 450/14 (Verordnungszeitraum: 29. April 2013 bis 14. Juli 2014) hat Dr. E. ferner ausgeführt, dass auch nach der Vorlage weiterer Befundberichte - insbesondere über die endoskopische Untersuchung des Schluckaktes und die computertomografische Untersuchung des Brustkorbes - keine organische Ursache dafür erkennbar ist, wegen derer bei der Antragstellerin regelmäßig eine Absaugung durch die Luftröhre (d.h. auch unterhalb des Kehlkopfes) erfolgen müsse. Die bislang erfolgten Absaugungen dürften ausschließlich den Mund- und Rachenbereich betroffen haben. Im Übrigen sei eine Absaugung der Lunge nur unter entsprechenden begleitenden medizinischen Sicherheitsmaßnahmen (Intubationsbereitschaft, Reanimationsbereitschaft, Vorhandensein einer Sauerstoffabligation) durchzuführen. Es sei weiterhin diagnostisch nicht abgeklärt, in welchem Umfang eine Schluckstörung vorliege, welche Ursachen sie habe und wie sie zu behandeln sei.
Die daraufhin vom Senat veranlasste Begutachtung durch Prof. Dr. D. (Klinik der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt am Main) nach Untersuchung der Antragstellerin hat ausweislich des vorläufigen Phoniatrischen und Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen Gutachtens vom 7. Januar 2015 ergeben, dass die Antragstellerin keine nennenswerte bzw. therapierelevante oropharyngeale Schluckstörung aufweist. Die apparative Dysphargiediagnostik hat nach den gutachterlichen Ausführungen auch keinen Hinweis auf Sekret in der Mundhöhle, des Oropharynx (Mundrachenraumes) oder aber des Hypopharynx (unterer Rachenraum) bzw. des Kehlkopfes ergeben, welches eine Absaugung rechtfertigen könnte. Da ausweislich des Gutachtens keine Schluckstörung vorliegt, ist weder ersichtlich noch glaubhaft gemacht, dass eine Krankenpflege oder Krankenbeobachtung aus medizinischen Gründen erforderlich ist.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin steht der Verwertung dieses vorläufigen Gutachtens auch nicht entgegen, dass die Untersuchung von PD Dr. F. durchgeführt worden ist. Gemäß § 407a Abs. 2 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ist ein Sachverständiger zwar nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt, § 407a Abs. 2 Satz 1 ZPO. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss der Sachverständige die zentralen Aufgaben der Begutachtung selbst erbringen. Inwieweit die Durchführung der persönlichen Untersuchung zum unverzichtbaren Kern der vom Gutachter selbst zu leistenden Tätigkeit zählt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei psychologischen und psychiatrischen Gutachten muss der Sachverständige die persönliche Begegnung mit dem Probanden und das explorierende Gespräch im wesentlichen Umfang selbst durchführen. Je stärker die Begutachtung auf objektivierbare und dokumentierbare organmedizinische Befunde bezogen ist, umso eher ist hingegen die Einbeziehung von Mitarbeitern möglich. Der Sachverständige muss aber die wissenschaftliche Auswertung der Erhebung selbst durchführen oder zumindest in vollem Umfang nachprüfen. Eine bloße Plausibilitätsprüfung genügt nicht (BSG, Beschluss vom 17. April 2013, B 9 V 36/12 B; Keller in: Meyer-Ladewig /Keller/ Leitherer, SGG, Kommentar, 11. Aufl., § 118 Rn. 11h). Bei einer phoniatrischen und Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen Untersuchung werden vorrangig objektivierbare und dokumentierbare organmedizinische Befunde erhoben. Daher konnte Prof. Dr. D. die insoweit fachlich ausgewiesene PD Dr. F. mit der Durchführung der Untersuchung beauftragen. Ferner ist nicht erkennbar, dass Prof. Dr. D. lediglich eine bloße - nicht genügende - Plausibilitätsprüfung vorgenommen hat.
Darüber hinaus steht der Verwertbarkeit des vorläufigen Gutachtens nicht entgegen, dass die Untersuchung der Antragstellerin nicht über eine Dauer von 24 Stunden erfolgt ist. Die Beweisanordnung war auf eine stationäre Untersuchung der Antragstellerin „bis zu 2 Tagen“ gerichtet. Damit sollte nicht die Dauer der Untersuchung der Antragstellerin vorgegeben, sondern vielmehr dem Sachverständigen ermöglicht werden, bei Bedarf eine entsprechend umfangreiche Untersuchung durchzuführen.
Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung führt die aktuelle Sachlage zu dem Ergebnis, dass die begehrte Behandlungspflege nicht mehr vorläufig zu gewähren ist. Aufgrund der vorliegenden Gutachten ist nunmehr davon auszugehen, dass hieraus keine relevante gesundheitliche Gefährdung für die Antragstellerin resultiert. Damit wiegen die Interessen der Versichertengemeinschaft, keine unnötigen Leistungen mit erheblichen monatlichen Kosten vorläufig erbringen zu müssen, schwerer als das - nicht glaubhaft beeinträchtigte - Recht der Antragstellerin auf Leben und körperlicher Unversehrtheit.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.