S 27 AS 845/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 27 AS 845/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 250/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 35/21 BH
Datum
Kategorie
Urteil

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Leistungsgewährung in Bezug auf die Kosten der Unterkunft und Heizung für den Zeitraum Juni bis November 2016.

Die Klägerinnen beziehen von der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Zum 01.04.2016 zogen die Klägerinnen zusammen mit der Mutter der Klägerin zu 1) und deren Sohn (dem Zeugen A.) in eine gemeinsame Wohnung ein. Die Klägerin zu 2) ist die Tochter der Klägerin zu 1) und die Schwester des Zeugen A. Der Zeuge A. ist auf Mieterseite alleinige Vertragspartei des Mietvertrages. Er zahlt die gesamte Bruttomiete in Höhe von rund 1150 € an den Vermieter. Im Mietvertrag haben die Vertragsparteien festgehalten, dass 4 Personen in die Wohnung einziehen. Die Klägerin zu 2) bewohnt ein eigenes Zimmer. Die Klägerin zu 1) schläft, nach eigenen Angaben, im Wohnzimmer.

Unter dem 20.05.2016 unterschrieben die Klägerin zu 1) und der Zeuge A. eine Mietbescheinigung zur Vorlage bei der Behörde. Darin war die Klägerin zu 1) als Untermieterin und der Zeuge A. als Mieter angegeben.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 30.05.2016 bewilligte die Beklagte den Klägerinnen vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, ohne Berücksichtigung von Leistungen für die Unterkunft und Heizung.

Hiergegen legten die Klägerinnen am 09.06.2016 Widerspruch ein. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass sie zur Untermiete bei dem Zeugen A. wohnen. Dieser verlange eine Untermiete in Höhe von rund 575 €. Diese Kosten seien von der Beklagten zu übernehmen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.07.2016 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerinnen zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der vorgelegte Hauptmietvertrag des Zeugen A. nicht ausreichend sei, um von einem ordentlichen Mietverhältnis ausgehen zu können, da darin keinerlei Angaben zum Vermieter aufgezeigt seien. Es sei auch nicht klar, ab wann wie viele Personen in der Wohnung wohnten. Auch aus der Mietbescheinigung könne sich die Höhe des von den Klägerinnen zu entrichtenden Mietzinses nicht entnehmen lassen. Die Mietbescheinigung entbehre jeder Grundlage für die Feststellung eines Bedarfs, da der Zeuge A. als Vermieter genannt sei, aber zugleich angekreuzt sei, dass kein Verwandtschaftsverhältnis bestehe. Ein Ermessensfehlgebrauch liege nicht vor, da sie einen Bedarf der Klägerinnen erkannt habe, aber die Höhe des anfallenden Mietzinses nicht glaubhaft dargelegt sei und anhand der vorgelegten Unterlagen auch nicht geschätzt werden könne.

Die Klägerinnen haben am 11.08.2016 Klage erhoben. Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus, dass im Rahmen der Leistungsgewährung auch die anteiligen Kosten der Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen seien. Dies ergäbe sich aus dem eingereichten Hauptmietvertrag. Die Bekanntgabe der Anschrift des Vermieters verbiete sich aus datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten.

Die Klägerinnen beantragen sinngemäß,
den Bescheid vom 30.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2016 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie zusätzlich Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 574,76 € zu erbringen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte beruft sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Ergänzend trägt sie vor, dass aus den vorgelegten Unterlagen keine Verpflichtung zur Mietzahlung bzw. keine konkrete Höhe festzustellen sei.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und den Inhalt der Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid vom 30.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben keinen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als darin festgestellt.

Die Klägerinnen haben im streitgegenständlichen Zeitraum die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II erfüllt. Die Klägerinnen erfüllen die Altersvoraussetzung (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II), haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II), sind erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II) und hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II).

Streitig ist im vorliegenden Fall, ob die Klägerinnen in weitergehendem Maße hilfebedürftig waren als vom Beklagten angenommen. Dies ist zur Überzeugung der Kammer zu verneinen.

Hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 9 Abs. 1 SGB II ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen, sichern und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhalten kann. Nach § 9 Absatz 2 Satz 3 SGB II ist zur Berechnung des individuellen Leistungsanspruchs einerseits der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft und andererseits deren Gesamteinkommen zu ermitteln.

Nach Überzeugung der Kammer haben die Klägerinnen keine tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, welche bei der Bedarfsermittlung zu berücksichtigen wäre. Die Klägerinnen haben keine Rechtspflicht zur Zahlung einer Untermiete gegenüber dem Zeugen A., da –nach der Überzeugung der Kammer- zwischen den Klägerinnen und dem Zeugen A. keine Zahlungsverpflichtung besteht.

Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Dabei handelt es sich um Geldaufwendungen, die der Leistungsberechtigte in der Bedarfszeit für die Nutzung bzw. Gebrauchsüberlassung einer Unterkunft Dritten gegenüber kraft bürgerlichen Rechts aufzubringen hat (vgl. Münder, Sozialgesetzbuch II, 6. Auflage 2017, § 22, Rn. 24, m.w.N.).

Insofern ist zu berücksichtigen, ob eine wirksame Zahlungsverpflichtung besteht (vgl. Münder, Sozialgesetzbuch II, 6. Auflage 2017, § 22, Rn. 26). Ob ein wirksames Mietverhältnis zwischen Familienangehörigen vorliegt, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. Eicher/Luik, Sozialgesetzbuch II, 4. Auflage 2017, § 22, Rn. 48, m.w.N.). Der Leistungsberechtigte muss einer wirksamen, nicht dauerhaft gestundeten Mietforderung ausgesetzt sein (Urteil des Bundessozialgerichts vom 03.03.2009, Az. B 4 AS 37/08 R, Rn. 24). Diesbezüglich kommt es auf die Glaubwürdigkeit der vorgetragenen Tatsachen und auf die feststellbaren Indizien an, aus denen sich die richterliche Überzeugung speist (vgl. Eicher/Luik, Sozialgesetzbuch II, 4. Auflage 2017, § 22, Rn. 48, m.w.N.). Ein Mietvertrag bzw. Untermietvertrag kommt zustande, wenn sich die Parteien zumindest über den wesentlichen Vertragsinhalt (essentialia negotii) geeinigt haben (vgl. Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Auflage 2017, Vorbemerkung zu § 535 BGB, Rn. 14). Allein die tatsächliche Nutzung der Mietsache begründet kein Mietverhältnis (vgl. Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Auflage 2017, Vorbemerkung zu § 535 Bürgerliches Gesetzbuch –BGB-, Rn. 15).

Zwar kommt es nicht darauf an, ob ein schriftlicher Untermietvertrag zwischen den Parteien geschlossen wurde, da ein Mietvertrag nach § 550 S. 1 BGB auch mündlich geschlossen werden kann. Nach Überzeugung der Kammer besteht zwischen dem Zeugen A. und den Klägerinnen jedoch keine wirksame Zahlungsverpflichtung. 

Auf Befragen der Kammer konnten die Klägerinnen weder angeben, wann sie eine Zahlungsvereinbarung mit dem Zeugen A. getroffen haben, noch in welcher Höhe diese bestehen sollte. Demnach geht die Kammer davon aus, dass sich die Klägerinnen und der Zeuge A. nicht über den wesentlichen Vertragsinhalt geeinigt haben. Eine Zahlungsverpflichtung scheidet demnach aus. Zwar trug der Zeuge A. vor, die Zahlungsverpflichtung zwischen ihm und den Klägerinnen sei mündlich vereinbart worden und betrage 574,76 € monatlich, dies ist nach Überzeugung der Kammer jedoch nicht glaubhaft. Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich die Klägerinnen weder an den Zeitpunkt, noch an die Höhe der vermeintlichen Zahlungsvereinbarung erinnern können. Eine wirksame Zahlungsvereinbarung setzt voraus, dass sich die Parteien über den wesentlichen Vertragsinhalt geeinigt haben. Sofern nur eine Partei Auskunft über die wesentlichen Vertragsbestandteile geben kann, so ist nicht von einer Einigung der Parteien auszugehen. Daran ändert auch die am 02.05.2017 vom Zeugen A. ausgestellte Bescheinigung (Bl. 43 d. Gerichtsakte) nichts, da dieser darin nur angibt, dass die Klägerinnen an ihn pro Monat eine Miete von jeweils 287,38 €, insgesamt 574,76 € zahlen. Aus dieser Bescheinigung kann nicht auf eine Zahlungsvereinbarung geschlossen werden, da sie allein vom Zeugen A. ausgestellt worden ist.

Auf weiteres Befragen der Kammer gab die Klägerin zu 1) an, dass sie für die Kosten der Unterkunft einen Betrag in unterschiedlicher Höhe an den Zeugen A. gezahlt habe. Sie habe mal 100 € oder 200 € gezahlt, je nachdem wieviel Geld im Monat übrig geblieben sei. Diesen Betrag habe sie dem Zeugen A. entweder in bar gegeben oder auf sein Konto eingezahlt. Auch in Bezug auf die Höhe der beim Zeugen A. angefallenen Rückstände konnten die Klägerinnen keine Angabe machen.

Die Aussage der Klägerin zu 1), dass sie dem Zeugen A. mal 100 € oder 200 € gezahlt habe, ist nicht glaubhaft. Aufgrund der in der Verwaltungsakte der Beklagten enthaltenen Kontoauszüge ist für den streitgegenständlichen Zeitraum ersichtlich, dass die Klägerinnen jeden Monat zwischen 500 € und 660 € von ihrem Konto abgehoben haben. Es erscheint fernliegend, dass von einem solchen Geldbetrag zwei Personen ihren kompletten Lebensbedarf decken können und zusätzlich sogar noch 100 € bis 200 € angespart werden können, welche an den Zeugen A. ausgezahlt worden sein sollen. Auch der Zeuge A. gab, auf Befragen der Kammer, an, dass die Klägerinnen ihren Anteil in Bezug auf die Kosten der Unterkunft und Heizung bisher nicht in kompletter Höhe an ihn zahlen konnten. Diese Erklärungen stehen im Widerspruch zu der Bescheinigung des Zeugen A. vom 02.05.2017. In dieser gab der Zeuge A. an, dass die Klägerinnen zusammen einen Betrag in Höhe von 574,76 € monatlich an ihn zahlen. In Bezug auf eine nur teilweise erfolgte Zahlung bzw. das Vorhandensein von Rückständen geht die Bescheinigung nicht ein. Diese bestätigt vielmehr, dass die Klägerinnen Kosten der Unterkunft und Heizung tatsächlich erbringen, obwohl die Klägerin zu 1) und der Zeuge A. im Termin zur mündlichen Verhandlung selbst angeben, dass die Klägerinnen finanziell nicht in der Lage waren, sich in entsprechender Höhe an den Kosten der Unterkunft und Heizung zu beteiligen.

Die Kammer geht ferner davon aus, dass der Zeuge A., welcher einer Erwerbstätigkeit nachgeht, nicht nur der Mutter der Klägerin zu 1), sondern auch den Klägerinnen die Mitbenutzung der Wohnung unentgeltlich zur Verfügung stellt. Auf Befragen der Kammer gab sowohl die Klägerin zu 1), als auch der Zeuge A. an, dass die Kosten für Strom vom Zeugen A. getragen werden. Nachdem die Stromkosten (ohne den anfallenden Anteil für Heizung und der Erzeugung von Warmwasser) bereits Bestandteil des Regelbedarfs nach § 20 Abs. 1 S. 1 SGB II sind, erhalten die Klägerinnen auch insoweit finanzielle Hilfe durch den Zeugen A.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Die Rechtsmittelbelehrung beruht auf §§ 144, 145 SGG.

Rechtskraft
Aus
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