S 8 KR 653/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 8 KR 653/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 280/14
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Streitig sind Leistungen der häuslichen Krankenpflege für 24 Stunden täglich ohne Anrechnung von Grundpflegezeiten und ohne Anrechnung von Leistungen der Pflegestufe III.

Die Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Die Klägerin ist geistig behindert und bekommt von der Pflegekasse der AOK Hessen Leistungen nach der Pflegestufe III in Form des Pflegegeldes. Seit Anfang des Jahres 2013 leidet die Klägerin zudem an einer chronischen Bronchitis. Am 30.04.2013 verordnete der Internist und Lungenarzt Dr. D. für den Zeitraum vom 29.04.2013 bis 26.05.2013 24 Stunden Behandlungspflege, spezialisierte Krankenbeobachtung durch examiniertes Fachpersonal, Krisenbereitschaft für Absaugungen mehrfach täglich nach Bedarf und intermittierende Sauerstoffgaben.

Am 27.05.2013 verordnete Dr. D. für den Zeitraum vom 27.05.2013 bis 27.08.2013 erneut 24 Stunden Behandlungspflege, spezialisierte Krankenbeobachtung durch examiniertes Fachpersonal, Krisenbereitschaft für Absaugungen mehrfach täglich nach Bedarf und intermittierende Sauerstoffgaben.

Mit Bescheid vom 06.06.2013 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die beantragte 24-Stunden Behandlungspflege betreffend den Zeitraum vom 29.04.2013 bis 26.05.2013 ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) habe im Rahmen eines Gutachtens nach Aktenlage festgestellt, dass kein hinreichender Bedarf vorliege.

Mit einem weiteren Bescheid vom 06.06.2013 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die beantragte 24-Stunden Behandlungspflege betreffend den Zeitraum vom 27.05.2013 bis 27.08.2013 ebenfalls mit derselben Begründung ab.

Gegen den Bescheid vom 06.06.2013, betreffend den Zeitraum vom 27.05.2013 bis 27.08.2013 erhob die Klägerin am 10.06.2013 Widerspruch. Gegen den Bescheid vom 06.06.2013, betreffend den Zeitraum vom 29.04.2013 bis 26.05.2013 erhob die Klägerin am 14.06.2013 Widerspruch.

Mit dem Widerspruchsbescheid vom 06.09.2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, nach den Feststellungen des MDK seien die Voraussetzungen der Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V im Fall der Klägerin nicht erfüllt. Eine schwergradige Atemwegsinfektion mit respiratorischer Insuffizienz bestehe nicht. Die Sauerstoffsättigung habe mit 94 % annähernd im Normalbereich gelegen. Beatmungspflicht habe ebenfalls nicht bestanden.

Am 09.10.2013 hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben. Zur Begründung trägt die Klägerin vor, entgegen der Annahme der Beklagten reiche es keinesfalls aus, dass ab und zu jemand nach der Klägerin sieht und bei Anzeichen für einen Hilfebedarf einen Arzt oder eine Pflegekraft herbeiruft. Erforderlich sei eine ständige Anwesenheit einer zur Krisenintervention bereiten Hilfskraft. Die Sekretverlegungen und die damit einhergehenden Atemprobleme der Klägerin würden unvorhersehbar und unplanbar in unregelmäßiger Folge und Schwere auftreten und könnten nur durch ein umgehendes eingreifen unter Einsatz des Absauggerätes nebst Sauerstoffgabe verhindert werden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 06.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2013 zu verurteilen, der Klägerin im Zeitraum vom 29.04.2013 bis 27.08.2013 Leistungen der häuslichen Krankenpflege für 24-Stunden täglich ohne Anrechnung von Grundpflegezeiten und ohne Anrechnung von Leistungen der Pflegestufe III zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklage auf die angefochtenen Bescheide.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Dr. E. aufgrund einer Untersuchung der Klägerin in häuslicher Umgebung.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichts- und Beklagtenakte verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege für 24-Stunden täglich ohne Anrechnung von Grundpflegezeiten und ohne Anrechnung von Leistungen der Pflegestufe III.

Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie etc. als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist; der Anspruch umfasst nach § 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. SGB V verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 SGB XI zu berücksichtigen ist. Als Ziele der ärztlichen Behandlung im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V kommen die in § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Ziele der Krankenbehandlung in Betracht. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB V umfasst die Krankenbehandlung häusliche Krankenpflege. Gemäß § 37 Abs. 3 SGB V besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. Für Art und Umfang der häuslichen Krankenpflege sind die „Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege“ in der Fassung vom 17.09.2009 aufgrund von § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, Abs. 7 SGB V maßgebend. Ebenso wie für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 SGB V ist die Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege für die Leistungserbringer verbindlich und nur darauf zu überprüfen, ob der Gemeinsame Bundesausschuss die Grenzen seiner Ermächtigung überschritten hat. Allerdings kann trotz eines Ausschlusses einer bestimmten Leistung durch die Bestimmungen der Richtlinien ein Anspruch auf Leistungen der Krankenpflege bestehen, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass der konkrete Leistungsfall vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht berücksichtigt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 26.01.2006, Az. B 3 KR 4/05 R; Padé, in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 37 SGB V Rn. 15).

Gemäß § 1 Abs. 4 der Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege, Häusliche Krankenpflege-Richtlinie (Krankenpflege-RL) sind die in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege dem der Richtlinie als Anlage beigefügten Leistungsverzeichnis zu entnehmen. Gemäß § 1 Abs. 4 Satz 2 Krankenpflege-RL sind dort nicht aufgeführte Maßnahmen grundsätzlich nicht als häusliche Krankenpflege verordnungs- und genehmigungsfähig. In § 2 Krankenpflege-RL sind die Formen und Ziele der häuslichen Krankenpflege geregelt. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Krankenpflege-RL kann häusliche Krankenpflege unter anderem mit dem Ziel verordnet werden, die ambulante ärztliche Behandlung zu ermöglichen und deren Ergebnis zu sichern. In den Nr. 6 ff. des Anhangs der Krankenpflege-RL sind Leistungen der Behandlungspflege aufgelistet. Ausweislich der Vorbemerkung zu den Nr. 6 ff. des Anhangs der Krankenpflege-RL ist die allgemeine Krankenbeobachtung Bestandteil jeder einzelnen Leistung der häuslichen Krankenpflege und von daher nicht gesondert verordnungsfähig.

Die Voraussetzungen des Nr. 6 der Anlage zur Krankenpflege-RL liegen im vorliegenden Fall nicht vor. In Nr. 6 der Anlage zur Krankenpflege-RL ist das Absaugen unter anderem der oberen Luftwege als Leistung der Behandlungspflege aufgeführt. Danach ist das Absaugen der oberen Luftwege bei hochgradiger Einschränkung der Fähigkeit zum Abhusten bzw. der bronchialen Selbstreinigungsmechanismen zum Beispiel bei schwerer Emphysembronchitis, Aids, Mukoviszidose und bei beatmeten Patientinnen oder Patienten verordnungsfähig. Es ist nicht ersichtlich, dass bei der Klägerin eine hochgradige Einschränkung der Fähigkeit zum Abhusten bzw. der bronchialen Selbstreinigungsmechanismen gegeben ist. Insbesondere liegt bei der Klägerin weder eine schwere Emphysembronchitis noch Aids noch Mukoviszidose vor. Auch wird die Klägerin und wurde die Klägerin nie beatmet. Es liegt ausweislich der vorhandenen Gutachten auch keine vergleichbar schwere Erkrankung bei der Klägerin vor. Im vorliegenden Fall erstattete der MDK ein Gutachten vom 12.07.2013 aufgrund einer Untersuchung im Rahmen eines Hausbesuchs am 10.07.2013. Bei dieser Untersuchung konnte die Gutachterin Frau Dr. F. kein auffälliges Atemgeräusch feststellen. Es bestanden auch keine Anzeichen für eine bronchiale Verschleimung. Die Notwendigkeit einer oralen oder trachealen Absaugung war nicht erkennbar. Zum selben Ergebnis kommt auch der Gutachter Dr. E. aufgrund einer Untersuchung in häuslicher Umgebung am 13.01.2014. Auch bei dieser Untersuchung war die Lunge der Klägerin völlig frei. Die Atemgeräusche waren normal. Des Weiteren waren keine eindeutigen Organischen Veränderungen oder Beeinträchtigungen zu erkennen, die eine regelmäßige Absaugung erforderlich machen. Mithin kam der Gutachter nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass die Notwendigkeit für eine 24-stündige Behandlungspflege nicht abgeleitet werden kann. Zu dieser Einschätzung kam der Gutachter aufgrund der eigenen Untersuchung am 13.01.2014 sowie aufgrund der Auswertung der Befundunterlagen in den Akten und der Auswertung des Gutachtens durch Dr. F. vom MDK. Auch die Computertomographie Untersuchung des Brustkorbes und der Bronchien der Klägerin am 10.03.2014 ergab keinen relevanten pathologischen Befund. Insbesondere fanden sich keine Hinweise dafür, dass bei der Klägerin innerhalb des Bronchialsystems größere Mengen an Sekret vorhanden sind, die die Notwendigkeit einer regelmäßigen Absaugung in der Luftröhre rechtfertigen würden. Auch eine körperliche Ursache für eine organische Schluckstörung wurde ausgeschlossen. So erläuterte der Gutachter Dr. E. auch in der mündlichen Verhandlung am 25.08.2014, dass aufgrund der vorliegenden Befunde insbesondere auch aufgrund der nach der Untersuchung durch Dr. E. am 13.01.2014 nachgereichten ärztlichen Befunde die Notwendigkeit einer regelmäßigen Absaugung von Sekret aus der Luftröhre sich nicht ergibt.

Des Weiteren liegen aber auch die Voraussetzungen für eine spezielle Krankenbeobachtung nach Nr. 24 der Anlage zur Krankenpflege-RL nicht vor. In Nr. 24 der Anlage zur Krankenpflege-RL ist die spezielle Krankenbeobachtung geregelt. Dabei handelt es sich um eine kontinuierliche Beobachtung und Intervention mit den notwendigen medizinisch pflegerischen Maßnahmen. Sowie um die Dokumentation der Vitalfunktionen wie Puls, Blutdruck, Temperatur, Haut und Schleimhaut einschließlich aller in diesem Zeitraum anfallenden pflegerischen Maßnahmen. Die Leistung ist ausweislich der Bemerkung zu Nr. 24 der Anlage zur Krankenpflege-RL verordnungsfähig wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige Pflegerische bzw. ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich ist und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können. Die spezielle Krankenbeobachtung setzt die permanente Anwesenheit der Pflegekraft über den gesamten Versorgungszeitraum voraus. Zur speziellen Krankenbeobachtung gehören auch die dauernde Erreichbarkeit der Ärztin oder des Arztes und die laufende Information der Ärztin oder des Arztes über Veränderungen der Vitalzeichen. Auch hier ist noch einmal verdeutlicht, dass die allgemeine Krankenbeobachtung Bestandteil jeder pflegerischen Leistung ist. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist vorliegend die ständige Anwesenheit und Einsatzbereitschaft einer qualifizierten Pflegeperson nicht erforderlich. Eine organisch bedingte Schluckstörung wurde ausgeschlossen. In Betracht kommt nach Aussage des Gutachters in der mündlichen Verhandlung möglicherweise eine psychogene Ursache für eine Schluckstörung. Bei Vorliegen einer Schluckstörung mit resultierender Aspirationsgefahr und gleichzeitig bestehender geistiger Behinderung ist die richtige Maßnahme ausweislich des Gutachtens des Dr. E. aber nicht eine spezielle Krankenbeobachtung sondern die Anlage einer Ernährungssonde. Dies allein ist zweckmäßig und ausreichend, um der Gefährdung einer Aspiration bei anhaltender Dysphagie zu begegnen. Sofern eine Verschleimung möglicherweise im Mundbereich auftritt begründet dies ebenfalls nicht das Erfordernis einer speziellen Krankenbeobachtung. Es ist gerade nicht ersichtlich, dass die Klägerin aufgrund des Einatmens dieses Schleims ersticken könnte. Vielmehr verfügt die Klägerin ausweislich der Erläuterung des Dr. E. in der mündlichen Verhandlung über ausreichende Schutzfunktionen, nämlich eine Spontanatmung und einen intakten Hustenreflex.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Aus
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