L 2 R 302/20

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 761/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 302/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 30/21 BH
Datum
Kategorie
Beschluss

I.    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. November 2020 wird zurückgewiesen.

II.    Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vormerkung von Beitragszeiten ab 1. Januar 2005 im Wege des Regresses.

Die 1968 geborene Klägerin war am 25. November 2002 als Fußgängerin an einem Verkehrsunfall beteiligt, bei dem es zur Kollision der Klägerin mit einem PKW kam. Bezüglich dieses PKW bestand eine Versicherung bei der B.-Aktiengesellschaft (B.). Bei dem Unfall wurde unter anderem die knöcherne linke Gesichtshälfte der Klägerin zertrümmert.

Zum Zeitpunkt des Unfalls war die Klägerin abhängig beschäftigt mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden, wobei das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Dezember 2002 in der Probezeit durch den Arbeitgeber gekündigt wurde. Die Klägerin erzielte im Zeitraum vom 26. August bis 31. Dezember 2002 ein beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt i.H.v. 12.438,00 €. Sie bezog vom 1. Januar bis 2. März 2003 Arbeitslosengeld mit einem Bruttowert i.H.v. 4.461,00 € und vom 3. März bis 31. August 2003 erzielte sie ein beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt i.H.v. 23.640,00 €. Im Zeitraum vom 8. September bis 7. Dezember 2003 bezog sie erneut Arbeitslosengeld mit einem Bruttowert i.H.v. 6.636,00 € und im Anschluss daran erzielte die Klägerin vom 8. Dezember 2003 bis 26. Januar 2004 ein Bruttoarbeitsentgelt i.H.v. 3.495,00 €. 

Die Klägerin erhob gegen den Führer des PKW sowie die B. Klage am Landgericht Frankfurt am Main (Az. 2-04 O 236/03). Das Verfahren wurde rechtskräftig durch Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 1. Februar 2008 (Az. 19 U 203/07) dahingehend beendet, dass festgestellt wurde, dass die beklagten Parteien verpflichtet seien, der Klägerin 50 Prozent ihres zukünftigen materiellen und immateriellen Schadens aus dem Unfallereignis vom 25. November 2002 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen seien. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich, dass für Januar und Februar 2003 ein Verdienstausfallschaden i.H.v. 2.081,80 €, sowie vom 1. September 2003 bis 31. Dezember 2004 ein Verdienstausfallschaden i.H.v. 23.453,96 € anerkannt wurden, von denen entsprechend der Quote die beklagten Parteien die Hälfte zu tragen hatten.

Erstmals mit Schreiben vom 13. November 2007 meldete die Beklagte bei der B. Ansprüche aus gesetzlichem Forderungsübergang an. Die B. erklärte mehrfach den Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung bis zuletzt 31. Dezember 2021.

Für den Zeitraum 1. Januar bis 2. März 2003 machte die Beklagte einen Beitragsschaden i.H.v. 166,55 €, vom 1. September bis 31. Dezember 2003 i.H.v. 636,00 €, vom 1. Januar bis 17. Mai 2004 i.H.v. 900,88 € und vom 18. Mai bis 31. Dezember 2004 i.H.v. 1.703,43 €, insgesamt 4.591,03 € mit Schreiben vom 22. Februar 2010 geltend. Die B. zahlte den Betrag, worauf die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 12. Mai 2011 mitteilte, dass die erstatteten Zeiträume als Pflichtbeitragszeiten aufgenommen wurden.

Auf Antragstellung im Oktober 2005 gewährt die Beklagte der Klägerin seit 1. Oktober 2005 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit am 25. November 2002 (Bescheide vom 11. Mai 2010, vom 11. Mai 2011 und vom 20. März 2012).

Die Klägerin macht in einem neuen Zivilrechtsstreit vor dem Landgericht Frankfurt am Main weitere Schadenspositionen gegen den Fahrzeugführer und die B. geltend, u.a. Verdienstausfall seit dem 1. Januar 2005 (Az. 2-27 O 447/13).

Mit Schreiben vom 6. Juni 2014 ergänzte die Beklagte ihre Forderung gegenüber der B. um die Beiträge für den Zeitraum 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2013 in Höhe von insgesamt 45.264,89 €.

Mit weiterem Schreiben vom 30. Oktober 2015 erweiterte die Beklagte ihre Forderung um die Beiträge für das Jahr 2014 i.H.v. 5.413,49 € auf insgesamt 50.678,38 €.

Die Klägerin machte in einem parallel geführten Petitionsverfahren zum Deutschen Bundestag geltend, dass ein Verzicht auf die Einrede der Verjährung ihre Kinder nicht schütze. Es sei vielmehr notwendig, dass das Rentenkonto zeitnah geführt werde. Denn im Falle ihres Ablebens würden ihre Kinder eine extrem niedrige Waisenrente mangels der Rentenbeiträge für die Jahre 2005 bis 2015 erhalten.

Die Beklagte, der die Petition und der Schriftverkehr der Klägerin zur Kenntnis übersandt wurden, erläuterte der Klägerin mit Schreiben vom 13. November 2015 den aktuellen Stand des Regressverfahren. Der Ausgleich für den Zeitraum 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2014 sei bisher noch nicht erfolgt, da die Klägerin den erneuten Rechtsstreit gegen die B. führe. In diesem Prozess solle unter anderem der Verdienstausfallschaden seit dem Jahr 2005 geklärt werden. Diesbezüglich habe die B. die Beitragsregressforderung ab 2005 zurückgestellt. 

Die Klägerin hat am 23. November 2015 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Die Beklagte hat fortlaufend den für den zurückliegenden Zeitraum zusätzlich angefallenen Beitragsregress der Höhe nach schriftlich angemeldet. Die Versicherungsverträge der B. sind mit Einverständnis der Bundesanstalt für Finanzaufsicht am 18. Dezember 2019 nach § 13 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) auf die E. E.-AG (E.) übertragen worden. Für diese hat sich die C. GmbH bei der Beklagten gemeldet und mitgeteilt, dass die weitere Abwicklung des Regressfalles von ihr übernommen werde.

Die Klägerin hat im Klageverfahren geltend gemacht, dass die Beklagte sich weigere, den auf sie übergegangenen Anspruch pflichtgemäß zu verfolgen. Die Beklagte sei verpflichtet, Leistungsklage gegen den Unfallverursacher zu erheben. Ihr sei dadurch ein Schaden entstanden, den sie mit der vorliegenden Klage abwenden müsse. Es seien die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs anzuwenden. Würde die Klägerin versterben, würden die unterhaltsberechtigten Kinder nur eine Halbwaisenrente auf Basis der Rentenbeiträge bis zum 31. Dezember 2004 erhalten. Die Beklagte hat auf den mit der B. geführten Schriftverkehr und den erklärten Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung bis 31. Dezember 2021 verwiesen.

Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 9. November 2020 die Klage abgewiesen. Der auf eine Vormerkung von rentenrechtlichen Zeiten aufgrund des Beitragsregresses gerichtete Klageantrag sei mangels Durchführung eines Verwaltungsverfahrens unzulässig. Die Beklagte habe über die Vormerkung von rentenrechtlichen Zeiten ab 1. Januar 2005 (noch) nicht gemäß § 149 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) entschieden. Das in § 149 Abs. 5 SGB VI besonders normierte Vormerkungsverfahren bezwecke eine möglichst zeitnahe und verbindliche Feststellung von Tatsachen, die in einem künftigen Leistungsfall möglicherweise rentenversicherungsrechtlich bedeutsam werden könnten (Verweis auf BSG, Urteil vom 27. Januar 1999, B 4 RA 29/98 R). Ein solcher Bescheid und mithin eine Entscheidung der Beklagten über die Anerkennung weiterer Pflichtbeitragszeiten bezüglich eines Regresses gegen die nunmehr als Anspruchsgegnerin in Betracht kommende E. sei nicht ergangen. Zudem habe die Klägerin seit Bewilligung der Erwerbsminderungsrente keine weitere Kontenklärung beantragt, sondern vielmehr die Beklagte vermehrt aufgefordert, die Regressansprüche durchzusetzen. Dass die Klägerin hierbei inzident das Ziel verfolge, weitere Pflichtbeitragszeiten für spätere Rentenansprüche (auf Alter oder Hinterbliebenenrente für ihre vier Kinder) zu sichern, bedinge jedoch keine Entscheidung der Beklagten über die Vormerkung von Zeiten.

Die Durchführung eines solchen Vormerkungsverfahrens sei auch nicht im Hinblick auf den Bezug der Erwerbsminderungsrente auf Dauer durch die Klägerin überflüssig geworden. Denn durch die Bescheide vom 11. Mai 2010, 11. Mai 2011 und 20. März 2012 seien lediglich die im Rahmen der Erwerbsminderungsrente maßgeblichen rentenrechtlichen Zeiten bis 25. November 2002 festgestellt worden, vgl. § 75 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Zutreffend sei über diesen Zeitpunkt hinaus nur die nach § 75 Abs. 1 SGB VI zur berücksichtigende Zurechnungszeit nach § 59 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI weiter anerkannt. Weitere rentenrechtliche Zeiten, die nach dem 25. November 2002 aufgetreten seien oder bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze der Klägerin noch auftreten könnten, seien von der Bescheidung bzgl. der Erwerbsminderungsrente nicht umfasst. Die diesbezügliche Sicherung müsse weiterhin durch Vormerkungsbescheide sichergestellt werden. Ob die Klägerin bereits vor Eingang der Regresszahlungen Anspruch auf Vormerkung von Pflichtbeitragszeiten ab 1. Januar 2005 habe, könne daher dahinstehen (vgl. hierzu § 119 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X); Verweis auf LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. Januar 2012, L 4 R 266/11). 

Mit ihrer Klage begehre die Klägerin inzident die Verurteilung der Beklagten, nunmehr Klage am zuständigen Landgericht zu erheben und die Regressforderungen tatsächlich einzuziehen. Die so verstandene Klage sei als Leistungsklage statthaft (Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. März 2007, L 9 R 917/05). Sie sei zudem zulässig, insbesondere bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis. Denn die Klägerin begehre nicht ein grundsätzliches Tätigwerden der Beklagten, die Beiträge als Regress von der B. bzw. nunmehr E. zu fordern, sondern die gerichtliche Durchsetzung und anschließende Vollstreckung der Forderung auf der Grundlage eines sich daraus ergebenden Titels. Ein solch eigenständiges Gerichtsverfahren sei, wie die Beklagte selbst ausführt, nicht anhängig. Der erklärte Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung zuletzt bis 31. Dezember 2021 lasse das Rechtsschutzbedürfnis ebenso nicht entfallen, da der Beklagten durch diese weiterhin kein vollstreckbarer Titel zur Verfügung stehe. Die Klage sei jedoch unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte den ihr nach § 119 Abs. 1 SGB X zustehenden Regressanspruch hinsichtlich derjenigen Beiträge, die aufgrund des Unfalls entgangen seien, durch Erhebung einer zivilrechtlichen Klage durchsetze. Aus fürsorgerischen Gründen übertrage § 119 SGB X die Aktivlegitimation für den Anspruch auf Ersatz des dem Versicherten entstandenen Beitragsschadens treuhänderisch auf den Sozialversicherungsträger, der die Beitragsforderung (in fremdem Interesse) einziehen und entsprechend als Pflichtbeiträge verbuchen müsse (Verweis auf BSG, Urteil vom 31. Januar 2002, B 13 RJ 23/01 R). Sie begründe daher ein besonderes Treuhand- und Fürsorgeverhältnis zwischen Rentenversicherungsträger und betroffenem Versicherten, aufgrund dessen dieser grundsätzlich verpflichtet sei, ein Regressverfahren durchzuführen (Verweis auf BGH, Urteil vom 11. April 2018, XII ZB 377/17). Weder aus dem Wortlaut des § 119 SGB X, noch aus einer anderen Regelung oder dem besonderen Treuhand- und Fürsorgeverhältnis ergebe sich jedoch eine Pflicht, den Regress auf bestimmte Art und Weise insbesondere auf Wunsch der betroffenen Person durchzuführen (Verweis auf Vogts, Die Rentenversicherung, 2012, S. 173 (174)). Dies würde der gesetzlichen Konzeption widersprechen: § 119 SGB X sei Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, dass die Geltendmachung und Forderung des Beitragsregresses allein dem Rentenversicherungsträger obliege. Weder aus eigenem Recht noch in gewillkürter Prozessstandschaft könne der Versicherte die Beiträge gegenüber dem Schädiger geltend machen (Verweis auf BGH, Urteil vom 2. Dezember 2003, VI ZR 243/02). Diese Konzeption würde jedoch umgangen, wenn man nunmehr dem Geschädigten/Versicherten einen Anspruch auf Durchführung des Regresses in bestimmter Art und Weise zubilligen würde, wodurch er den Rentenversicherungsträger lenken, dieser mithin als „Marionette“ das Regressverfahren nach den Wünschen und Vorstellungen des Versicherten führen müsste. Vielmehr sei dem Rentenversicherungsträger ein gewisser Spielraum bei der Führung des Regressverfahrens zuzubilligen, solange das Regressverfahren an sich geführt werde. Dies sei vorliegend gegeben. Die Beklagte berechne regelmäßig für das vorhergegangene Jahr die ihrer Meinung nach bestehende Beitragsregressforderung und erweitere ihre Forderung gegenüber der B.. Zudem habe diese eine Verzichtserklärung gültig bis 31. Dezember 2021 auch für ihre Rechtsnachfolger hinsichtlich der Erhebung der Einrede der Verjährung erklärt. Die Klägerin werde hierdurch auch nicht rechtlos gestellt. Soweit der Beitragsregress nicht durchgeführt werde, dies auf einem pflichtwidrigen Handeln der Beklagten beruhe und die Klägerin (oder ihre Hinterbliebenen) hierdurch bei einer zukünftigen Rente benachteiligt werde, ermögliche der sozialrechtliche Herstellungsanspruch die Anerkennung der Pflichtbeitragszeiten, die mangels verfolgtem und durchgeführtem Beitragsregresses nicht durch tatsächliche Beitragszahlung erfolgt seien, indem ein fiktiver Beitragsregress der dann durchzuführenden Rentenberechnung trotz Nichteingangs der Regresszahlungen zugrunde gelegt werde (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. März 2013, L 3 R 969/11; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. Januar 2012, L 4 R 266/11). 

Die Klägerin hat gegen das ihr am 12. November 2020 zugestellte Urteil am 16. November 2020 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte pflichtwidrig die Einziehung des Schadenersatzanspruches unterlassen habe. Auch wäre der Gemeinschaft der Versicherten damit gedient, wenn die Beklagte die Forderung einziehe. Dann müsse die Rentenversicherung keine Finanzierungslücken mehr beklagen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. November 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Pflichtbeiträge für Beitragsausfälle in der Rentenversicherung der Klägerin ab 1. Januar 2005 bis zum Eintritt der Regelaltersrente im August 2035 vorzumerken.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 2. Februar 2021 zu einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört worden.

Zum weiteren Sach- und Streitstand wird im Übrigen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte die Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richterinnen oder Richter zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden.

Die Berufung bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. November 2020 ist nicht zu beanstanden. 

Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Vormerkung weiterer rentenrechtlicher Zeiten noch auf die Verurteilung der Beklagten auf klageweise Durchsetzung des Beitragsausfallschadens gegen die B. und deren Rechtsnachfolgerin.

Nach § 119 Abs. 1 SGB X geht, soweit der Schadenersatzanspruch eines Versicherten den Anspruch auf Ersatz von Beiträgen zur Rentenversicherung umfasst, dieser auf den Versicherungsträger über, wenn der Geschädigte im Zeitpunkt des Schadensereignisses bereits Pflichtbeitragszeiten nachweist oder danach pflichtversichert wird; dies gilt nicht, soweit

1. der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt fortzahlt oder sonstige der Beitragspflicht unterliegende Leistungen erbringt oder
2. der Anspruch auf Ersatz von Beiträgen nach § 116 SGB X übergegangen ist.

Die eingegangenen Beiträge oder Beitragsanteile gelten gemäß § 119 Abs. 3 SGB X in der Rentenversicherung als Pflichtbeiträge. Durch den Übergang des Anspruchs auf Ersatz von Beiträgen darf der Versicherte nicht schlechter gestellt werden, als er ohne den Schadenersatzanspruch gestanden hätte.

Ausweislich des Urteils des OLG Frankfurt am Main vom 1. Februar 2008 wurden die B. und der Unfallverursacher verpflichtet, der Klägerin ihre zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden dem Grunde nach zu 50 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind. Grundsätzlich besteht mithin ein Schadenersatzanspruch bezüglich des Beitragsausfallschadens, der von der Beklagten geltend zu machen ist.

Die Beklagte hat einen solchen auch jährlich gegenüber der B. bzw. deren Rechtsnachfolgerin geltend gemacht, jedoch überwiegend noch keine Zahlungen erhalten. Soweit Zahlungen eingegangen sind, hat die Beklagte dem Versicherungsverlauf der Klägerin Pflichtbeitragszeiten gutgeschrieben. Soweit jedoch Zahlungen bisher nicht erfolgt sind, kommt eine Vormerkung der Pflichtbeitragszeiten gemäß § 119 Abs. 3 SGB X nicht in Betracht.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einem Anspruch der Klägerin aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches.

Durch die Legalzession (§§ 412, 399 ff. BGB) hat die Klägerin als Zwangszedent die Verfügungsbefugnis über ihre Schadenersatzansprüche, soweit sie sich auf den Beitragsausfallschaden beziehen, verloren. Für die Geltendmachung des Beitragsausfallschadens ist allein die Beklagte aktivlegitimiert, eine Geltendmachung durch die Klägerin ist nicht möglich. Der Geschädigte ist weder aus eigenem Recht noch in gewillkürter Prozessstandschaft des Sozialversicherungsträgers zur Geltendmachung von auf diesen nach § 119 SGB X übergegangenen Ansprüchen vor den Zivilgerichten prozessführungsbefugt (statt vieler: BGH, Urteil vom 2. Dezember 2003, VI ZR 243/02, NJW-RR 2004, 595, 596 f.; Breitkreuz in Diering/Timme/Stähler, SGB X, § 119 Rn. 1; Schlaeger, jurisPR-SozR 13/2020 Anm. 3). Der Anspruch geht somit vollständig auf den Rentenversicherungsträger als Treuhänder über, dem Geschädigten verbleibt keinerlei „Einzugsermächtigung“ (vgl. OLG Celle, Urteil vom 19. Februar 2020, 14 W 4/20, juris; OLG Bamberg, Urteil vom 4. September 2017, 5 U 63/17, r+s 2019, 117; OLG Celle, Urteil vom 27. Juni 2012, 14 U 193/10, VersR 2013, 1052, 1058; Jahnke, VersR 2016, 1283, 1288; Lang, jurisPR-VerkR 9/2019 Anm. 1). Dem Rentenversicherungsträger wird damit kraft öffentlichen Rechts ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch des sozialversicherten Geschädigten gegen den Schädiger übertragen, den er nicht auf den Versicherten zurück übertragen kann (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. März 2007, L 9 R 917/05, NJOZ 2007, 3373, 3381). Denn als Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung können die Zahlungen nach § 119 Abs. 3 SGB X nur gelten, wenn sie an den zuständigen Rentenversicherungsträger erbracht wurden. Die Geltendmachung gegenüber dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung erfolgt mangels Verwaltungsaktbefugnis nicht mittels Verwaltungsakt. 

Die Beklagte ist jedoch zur Durchsetzung des Anspruchs nicht nur - allein - aktivlegitimiert, sondern auch dazu verpflichtet. Als gesetzlich bestimmter, fremdnütziger Treuhänder der Klägerin hat die Beklagte die Beiträge rechtzeitig geltend zu machen und die vereinnahmten Zahlungen dem Rentenkonto der Klägerin als (fiktive) Pflichtbeiträge gutzuschreiben. Erfüllt der Rentenversicherungsträger seine sozialrechtlichen Pflichten zum Einzug der Beiträge nicht und kommt es daher zu einer Rentenminderung, hat der Geschädigte keinen persönlichen Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger, sondern allenfalls einen Schadensersatzanspruch gegen den Rentenversicherungsträger (vgl. z. B. BGH, Urteil vom 21. August 2018, VI ZR 375/17, BeckRS 2018, 25175; OLG Celle, Urteil vom 27. Juni 2012, 14 U 193/10, VersR 2013, 1052, 1058). 

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist dagegen auf den Ausgleich der Folgen von (pflichtwidrigen) Amtshandlungen und -unterlassungen gerichtet und steht damit rechtssystematisch auf derselben Stufe wie diese Ansprüche. Er setzt eine dem Sozialleistungsträger zurechenbare behördliche Pflichtverletzung voraus, die (als wesentliche Bedingung) kausal zu einem sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten geworden ist. Außerdem ist erforderlich, dass durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung der Zustand hergestellt werden kann, der bestehen würde, wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht verletzt hätte (so z. B. BSG, Urteil vom 16. März 2016, B 9 V 6/15 R, SozR 4-3100 § 60 Nr. 7 m. w. N.). Wenn der Rentenversicherungsträger verabsäumt, den Beitragsregress herbeizuführen, kommt eine Verpflichtung zur Gutschrift von Pflichtbeitragszeiten im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches in Betracht.

Ein solcher Anspruch besteht im vorliegenden Fall jedoch nicht. Denn er kommt erst dann zum Tragen, wenn die Beklagte tatsächlich durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln vereitelt, dass Schadenersatzzahlungen bei ihr eingehen, die für die Klägerin im Versicherungskonto gutzuschreiben sind. Bisher ist dies jedoch nicht der Fall, denn es liegt weder ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln vor noch ist ein Nachteil bei der Klägerin eingetreten. Bis zum Ende des Jahres 2021 liegt eine Verzichtserklärung der B. bzw. ihrer Rechtsnachfolgerin bezüglich der Verjährungseinrede vor. Zugleich hat die Beklagte außergerichtlich den Beitragsausfallschaden beziffert und geltend gemacht. 

Ziel des Beitragsregresses ist die soziale Sicherung des Versicherten nach Eintritt des Schadensfalles zu verbessern. Ist der Schaden durch Zahlung von Beiträgen zur Sozialversicherung ausgleichbar, soll sichergestellt werden, dass der Sozialversicherte später Sozialleistungen erhält, deren Berechnung auch die Zeit nach der Verletzung umfasst. Dagegen ist es nicht Sinn und Zweck der Regelung, für eine finanzielle Entlastung der Rentenversicherungsträger zu sorgen (BSG, Urteil vom 31. Januar 2002, B 13 RJ 23/01, BSGE 89, 151 <156> m. w. N.).

Aktuell kann die Klägerin für die Höhe der ihr seit 2005 gewährten Erwerbsminderungsrente keinen Vorteil durch die Vormerkung weiterer Pflichtbeitragszeiten erreichen, so dass die bisher nicht erfolgte Zahlung und Vormerkung der Pflichtbeitragszeiten für die Klägerin keinen im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auszugleichenden Nachteil verursacht hat.

Nach § 75 Abs. 1 SGB VI werden für Zeiten nach Beginn der zu berechnenden Rente Entgeltpunkte nur für eine Zurechnungszeit und für Zuschläge an Entgeltpunkten aus Beiträgen nach Beginn einer Rente wegen Alters ermittelt. Bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden gemäß § 75 Abs. 2 SGB VI für 

1.    Beitragszeiten und Anrechnungszeiten, die nach Eintritt der hierfür maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit liegen,
2.    freiwillige Beiträge, die nach Eintritt der hierfür maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit gezahlt worden sind,

Entgeltpunkte nicht ermittelt. Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 bestimmt ergänzend zu Absatz 1, dass bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auch für Beitragszeiten und Anrechnungszeiten zwischen dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit und dem Rentenbeginn Entgeltpunkte grds. nicht zu ermitteln sind. Dies bedeutet, dass alle Beitragszeiten, die zeitlich nach dem Unfallereignis im Jahr 2002 liegen, bei der Berechnung der laufenden Erwerbsminderungsrente der Klägerin unberücksichtigt bleiben.

Anderes kann sich erst Ende nächsten Jahres ergeben. Auf Antrag der Klägerin nach § 75 Abs. 3 SGB VI sind ggf. für ihre Rente wegen voller Erwerbsminderung Entgeltpunkte auch für Beitragszeiten und Anrechnungszeiten nach Eintritt der vollen Erwerbsminderung zu ermitteln, wenn diese Beitragszeiten 20 Jahre umfassen. Die Vorschrift gewährt einen Anspruch auf Neufeststellung der Rente. In diesem Zusammenhang kann es somit auf die bisher nicht eingezogenen Schadenersatzzahlungen ankommen und zwar ab dem Jahr 2022. Denn bei Ersatz des vollen Beitragsausfallschadens seit 2002 für jedes folgende Kalenderjahr, würde die Klägerin 20 weitere Beitragsjahre erzielt haben. Den Beginn der neu festgestellten Rente bestimmt § 100 Abs. 1 SGB VI; zu den Voraussetzungen zählt auch ein Antrag nach § 75 Abs. 3 SGB VI. Ein solcher Antrag kommt für die Klägerin nicht vor Ende nächsten Jahres in Betracht.

Eine gerichtliche Geltendmachung wird zum Ende des Jahres 2021 ohnehin erforderlich werden, wenn die Rechtsnachfolgerin der B. nicht erneut auf die Erhebung der Einrede der Verjährung verzichtet und zudem nicht bereit sein sollte, den geltend gemachten Anspruch zu erfüllen. Versäumt die Beklagte sodann pflichtwidrig die Einziehung der Forderung, kann die Gutschrift der entsprechenden Beiträge im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in Betracht kommen.

Aktuell sieht der Senat – diesen Ausführungen zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch folgend – noch keinen Anspruch der Klägerin auf Verurteilung der Beklagten zu gerichtlichen Durchsetzung der Schadenersatzforderung im Wege der Leistungsklage (siehe hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. März 2007, L 9 R 917/05, juris). 

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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