L 4 KA 50/19 B

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
S 11 KA 68/18 WA
Datum
2. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
L 4 KA 50/19 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde der Beschwerdeführer wird der Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 31. Juli 2019 (S 11 KA 68/18 WA) abgeändert und der endgültige Streitwert auf 20.000,00 € festgesetzt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Die Beschwerdeführer vertraten im erstinstanzlichen Klageverfahren vor dem Sozialgericht Marburg als Rechtsanwälte den dortigen Kläger Dr. B. in einem Rechtsstreit gegen die Beklagte. Streitig waren der Honorarbescheid für das Quartal 1/2011 vom 29. November 2011, der Honorarbescheid für das Quartal 2/2011 vom 1. Februar 2012, der Bescheid zum Antrag auf Sonderregelung im Rahmen des Regelleistungsvolumens für die Quartale 1/2011 und 2/2011 vom 16. Mai 2011 sowie der Bescheid zum Antrag auf Sonderregelung im Rahmen des Regelleistungsvolumens für die Quartale 3/2011 und 4/2011 vom 28. Oktober 2011, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2012. Mit Schriftsatz vom 7. Mai 2019 nahm der Kläger die Klage zurück.

Durch Beschluss vom 31. Juli 2019 setzte das Sozialgericht unter anderem den Streitwert auf 5000,00 € fest. Dabei vertrat das Sozialgericht die Auffassung, dass streitgegenständlich zwei Honorarbescheide der Beklagten und vier Bescheide, mit denen sie über Anträge des Klägers auf Sonderregelungen des jeweils Quartals bezogenen Regelleistungsvolumens entschieden habe. In welcher Höhe dem Kläger im Erfolgsfall von der Beklagten Nachzahlungen zuerkannt worden wären, lasse sich nach Aktenlage nicht einmal annäherungsweise schätzen. Daher gebiete sich der Rückgriff auf den Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Entgegen der Ansicht des Klägers und entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Beschluss des Bundessozialgerichts <BSG> vom 8. August 2018, B 6 KA 30/06 B) folge ein anderes Ergebnis auch nicht aus dem Umstand, dass mit der Klageschrift vom 19. Juni 2012 im Wege objektiver Klagehäufung mehrere abtrennbare Streitgegenstände zur Entscheidung des Gerichts gestellt worden seien. Zwar weise das BSG zutreffend auf die Regelung des § 39 Abs. 1 GKG hin, wonach in demselben Verfahren und in demselben Rechtszug die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet würden, soweit nichts anderes bestimmt sei. Diese Vorschrift komme aber nur dort zur Anwendung, wo sich die einzelnen Werte bestimmen ließen, also etwa im Anwendungsbereich des § 52 Abs. 1 GKG. Dagegen böte sie keine Grundlage zur Multiplikation des Pauschalbetrags von 5000,00 €. Denn diese beziehe sich nicht auf einen einzelnen Streitgegenstand, sondern auf ein gesamtes Klageverfahren. Dieser unterschiedliche Ansatzpunkt komme etwa in § 39 Abs. 2 GKG zum Ausdruck, der die Addition nach § 39 Abs. 1 GKG dadurch begrenze, dass er für ein einzelnes Gerichtsverfahren (mit allen seinen Streitverhältnissen) einen Höchstbetrag von insgesamt 30 Millionen € anordne. Dieser Höchstwert betrage in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gemäß § 52 Abs. 4 Nr. 2 GKG nur 2,5 Millionen €. Auch dieser Betrag beziehe sich auf das gesamte Verfahren. Dasselbe müsse dann nach der Binnensystematik des § 52 GKG auch für den Auffangstreitwert gelten.

Dagegen haben die Beschwerdeführer am 15. August 2019 Beschwerde eingelegt und dabei klargestellt (Schriftsatz vom 4. September 2019) dass sie die Beschwerde aus eigenem Recht (§ 32 Abs. 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz <RVG>) erhoben hätten. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Vermerk vom 11. September 2019).

Die Beschwerdeführer tragen vor, bezüglich der am 19. Juni 2012 erhobenen Klage habe es sich um eine objektive Klagehäufung gehandelt, da vier Quartale aus dem Jahre 2011 betroffen gewesen seien. Dafür, dass im Falle des § 52 Abs. 2 GKG eine Anwendung des § 39 Abs. 1 GKG nicht in Betracht komme, wie es das Sozialgericht annehme, gebe es keine Anhaltspunkte. Insbesondere ergebe sich dies nicht aus der „Binnensystematik“ des § 52 GKG. Wäre in den Fällen des § 52 Abs. 2 GKG die Vorschrift des § 39 Abs. 1 GKG unanwendbar, so wäre die Streitwertangabe in § 52 Abs. 2 GKG gleichsam eine absolute Höchstsumme für das entsprechende Verfahren, ganz gleich, wie viele Streitgegenstände in diesem Verfahren im Streit stünden. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass diese Folge (Höchstgrenze) eintrete und eine Anwendung des § 39 GKG im Falle des § 52 Abs. 2 GKG ausschließen habe wollen, so hätte er die Unanwendbarkeit ausdrücklich ausschließen müssen. Dies ergebe sich bereits aus § 39 Abs. 2 GKG, der nur bei einer abweichenden Regelung eine andere Höchstgrenze als 30 Millionen € zulasse. Die Beschwerdeführer verweisen auf die zu dieser Fragestellung ergangene Rechtsprechung, insbesondere auf die Entscheidung des BSG vom 8. August 2018 (B 6 KA 76/17 B). Wäre es zu einer unproblematisch möglichen und im Übrigen auch seitens des Sozialgerichts in gleich gelagerten Fällen häufig praktizierten Abtrennung der Streitgegenstände (hier: In vier Verfahren) nach Quartalen gekommen, wäre für jedes der Verfahren unstreitig ein Streitwert von 5000 € anzunehmen gewesen. Dann wären die Anwaltsvergütungen für jedes der Verfahren entstanden, was zu einer deutlich höheren Kostenbelastung der kostentragenden Partei geführt hätte.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Festsetzung des Streitwerts durch das Sozialgericht sei zutreffend erfolgt.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gerichtsakte des Sozialgerichts Marburg (S 11 KA 68/18 WA) sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet durch den Berichterstatter als Einzelrichter nach § 32 Abs. 8 GKG

Zur Begründung wird insoweit auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 16. Oktober 2009 (L 4 KA 61/09 B) verwiesen, worin der Senat zur wortgleichen Parallelvorschrift des § 66 Abs. 6 GKG folgende Ausführungen gemacht hat:

„…Zwar behält § 68 Abs. 1 S. 5 i. V. m. § 66 Abs. 6 S. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) die Entscheidung über die Beschwerde dem Einzelrichter vor, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung im sozialgerichtlichen Verfahren ist umstritten (bejahend Sächsisches LSG, Beschluss vom 9. Juni 2008 - L 1 B 351/07 KR; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Dezember 2008 – L 10 R 5747/08 W-B; für den Bereich des Bundesverwaltungsgerichts vgl. BVerwG Beschluss vom 25. Januar 2006 - 10 KSt 5/05 u. a. -; a. A. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. Februar 2006 - L 10 B 21/05 KA -), nach Auffassung des erkennenden Senats jedoch zu bejahen. Das sozialgerichtliche Verfahrensrecht kennt zwar den Begriff des Einzelrichters nicht, nach § 155 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind jedoch Entscheidungen eines einzelnen Mitglieds des Senats an dessen Stelle vorgesehen. Insbesondere können nach Abs. 3 und 4 dieser Vorschrift im Einverständnis der Beteiligten der Vorsitzende beziehungsweise das zum Berichterstatter bestellte Senatsmitglied anstelle des Senats entscheiden. Unabhängig davon, ob die durch den Vorsitzenden oder Berichterstatter hiernach gefällten Entscheidungen Einzelrichterentscheidungen im rechtstechnischen Sinne sind, wird hierdurch deutlich, dass den Landessozialgerichten durch einen einzelnen Richter außerhalb der ansonsten vorgesehenen Senatsbesetzung gefällte Sach- und Nebenentscheidungen nicht grundsätzlich fremd sind (i. d. S. BVerwG a. a. O.), es somit den Einzelrichter in einem funktionalen Sinne ebenfalls gibt. Der in § 66 Abs. 6 S. 1 GKG mit der Übertragung der Streitentscheidung über die Erinnerung bzw. die Beschwerde an den Einzelrichter angestrebte Beschleunigungseffekt kann im sozialgerichtlichen Verfahren mithin ohne weiteres ebenfalls umgesetzt werden. Ferner hat das Sozialgericht entsprechend § 66 Abs. 6 S. 1 GKG auch durch den Einzelrichter entschieden. Entscheidend ist auch insoweit nicht der Begriff des Einzelrichters, sondern der Umstand, dass der Vorsitzende einer Kammer des Sozialgerichts allein, d.h. ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 12 Abs. 1 S. 2 SGG) entschieden hat, wie es bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung und - wie vorliegend - bei Gerichtsbescheiden der Fall ist (ebenso Sächsisches Landessozialgericht a. a. O.)...“

Diese Gesichtspunkte gelten genauso im Bereich des RVG. Dem Einzelrichter im funktionalen Sinne kommt hier die gleiche Rolle zu wie im Bereich des GKG.

Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, dass nicht der Kläger des Ausgangsverfahrens, sondern dessen bevollmächtigte Rechtsanwälte die Beschwerde erhoben haben. § 32 Abs. 2 RVG eröffnet dem Rechtsanwalt die Möglichkeit, aus eigenem Recht die Festsetzung des Streitwerts zu beantragen und Rechtsmittel gegen die Festsetzung einzulegen. Die Beschwerdeführer haben im Klageverfahren eine entsprechende Prozessvollmacht des Klägers vorgelegt, so dass sie in der Lage sind, aus eigenem Recht Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts einzulegen.

In der Sache selbst sieht der Senat keinen Anlass, von seiner bisherigen Rechtsprechung, die zugleich der Rechtsprechung des BSG (Beschluss vom 19. Juni 2006, B 6 KA 30/06 B, Beschluss vom 8. August 2018, B 6 KA 76/17 B) entspricht, abzuweichen (vgl. etwa Beschluss vom 16. Oktober 2009, L 4 KA 61/09 B; Urteil vom 17. März 2010, L 4 KA 25/08; Beschluss vom 9. November 2017, L 4 KA 46/15).

Ausgangspunkt für eine Streitwertfestsetzung ist § 52 Abs. 1 GKG. Danach wird in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen bestimmt. Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 GKG). Sofern der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet, ist ein Streitwert von 5000 € anzunehmen. In § 39 Abs. 1 GKG ist geregelt, dass in demselben Verfahren und in demselben Rechtszug die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet werden, soweit nichts anderes bestimmt ist. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift beträgt der Streitwert höchstens 30 Millionen €, soweit kein niedrigerer Höchstwert bestimmt ist. Ein solcher Höchstwert ist in § 52 Abs. 4 GKG bestimmt, wonach in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz ein Streitwert nicht über 2,5 Millionen € angenommen werden kann.

Aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Regelungen in den Vorschriften von § 39 und § 52 GKG ergibt sich nach Auffassung des Senats, dass der Streitwert für einen Rechtsstreit streitgegenstandsmäßig bestimmt werden muss. Bei mehreren Streitgegenständen – etwa im Rahmen einer objektiven Klagehäufung – sind diese einzelnen Streitgegenstände zusammenzurechnen. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus § 39 Abs. 1 GKG

§ 52 GKG enthält insoweit keine Sonderregelung. Diese Vorschrift gibt für die einzelnen Streitgegenstände die notwendigen Vorgaben, wie diese zu berechnen sind, entweder nach der Bedeutung der Sache für den Kläger nach Ermessen (§ 52 Abs. 1 GKG), nach dem Wert der Geldleistung (§ 52 Abs. 3 GKG) oder mangels genügender Anhaltspunkte in Höhe des Auffangstreitwerts von 5000 € (§ 52 Abs. 2 GKG). 

Dabei schafft § 52 Abs. 2 GKG keine (absolute) Höchstgrenze für den Fall, dass sich für einen, mehrere oder alle Streitgegenstände eines Rechtsstreits nach Abs. 1 oder 3 dieser Vorschrift keine Werte bilden lassen. Der Senat kann keinen Grund dafür erkennen, wieso z.B. ein Auffangstreitwert nach der Regelung des § 52 Abs. 2 GKG nicht mit einem Streitwert nach § 52 Abs. 3 GKG addiert werden kann, wie es die Regelung des § 39 Abs. 1 GKG vorsieht. Für die insoweit von dem Sozialgericht angenommene Auslegung enthält das Gesetz weder im Wortlaut noch aus Sinn und Zweck eine Stütze.
Lediglich § 52 Abs. 4 GKG sieht in Abweichung von § 39 Abs. 2 GKG einen absoluten Höchststreitwert in sozialgerichtlichen Verfahren von 2,5 Millionen € vor. Diese Höchstgrenze ist auch in Fällen einer objektiven Klagehäufung maßgebend. Sie lässt sich bei mehreren Streitgegenständen klägerseitig nur dadurch vermeiden, dass von vornherein getrennte Klagen erhoben werden.

Vorliegend hatte der Kläger eine Klage vor dem Sozialgericht erhoben, die im Rahmen einer objektiven Klagehäufung vier Streitgegenstände umfasste. Für keinen dieser Streitgegenstände konnte ein Streitwert nach § 52 Abs. 1 oder § 52 Abs. 3 GKG gebildet werden, so dass für jeden dieser Streitgegenstände der Auffangstreitwert von 5000 € anzusetzen war. Entsprechend der Regelung des § 39 Abs. 1 GKG beträgt damit der endgültige Streitwert für das Klageverfahren 20.000 €.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Rechtskraft
Aus
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