S 8 AS 667/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 8 AS 667/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 531/14
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

1.    Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 24.01.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2011 betreffend den Zeitraum 01.01.2005 bis 31.08.2005 wird aufgehoben, sofern mit ihm Leistungen für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 i.H.v. 4571,72 € zurückgefordert werden. Der Erstattungsbescheid vom 24.01.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2011 betreffend den Zeitraum 01.09.2005 bis 31.08.2010 wird aufgehoben, sofern mit ihm die Erstattung eines Betrages i.H.v. 2.458,5 € für die Monate Februar und April 2006, August 2008, Juli bis Dezember 2009 und August 2010 verfügt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2.    Die Beklagte hat dem Kläger 40 % seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rücknahme und Erstattung für in der Zeit vom 01.01.2005 – 31.08.2010 erbrachter Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II in Höhe von insgesamt 18.428,51 Euro sowie um die vorläufige Anrechnung eines Betrages in Höhe von 210,00 Euro als Einkommen aus Kapitalerträgen für die Monate November und Dezember 2010.

Der 1964 geborene Kläger stand in der Zeit vom 01.01.2005 – 31.12.2010 im Bezug von Leistungen nach dem SGB II bei der Beklagten. Seit dem 01.12.2011 bezieht er Leistungen nach dem SGB XII von der Stadt Kassel.

Bei seiner erstmaligen Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB II am 28.09.2004 kreuzte der Kläger auf dem Zusatzblatt 3 zur Feststellung zu berücksichtigenden Vermögens – wobei hier u.a. ausgeführt worden war, dass auch Wertpapiere, Aktien und Fondsanteile zum Vermögen gehören – an, dass er lediglich über 1.100,00 Euro auf einem Girokonto verfüge. Die Frage nach sonstigen Wertpapieren (z.B. Aktien, Fonds-Anteilen usw.) kreuzte er mit nein an (vgl. Bl. 5 der Verwaltungsakte). Auch in den Folgeanträgen verneinte er die Frage nach Änderungen in seinen Vermögenverhältnissen. 

In der Folge bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 22.11.2004 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 761,87 Euro für die Zeit vom 01.01.2005 – 30.06.2005. Für die Zeit vom 01.07. – 31.12.2005 wurden Leistungen mit Bescheiden vom 10.06.2005 und 14.11.2005 bewilligt. Für die Zeit vom 01.01.2006 – 30.06.2006 wurde mit Bescheid vom 18.01.2006 Leistungen bewilligt. Für die Zeit vom 01.07. – 31.12.2006 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 07.06.2006 Leistungen. Leistungen für die Zeit vom 01.01.2007 – 30.06.2007 wurden mit Bescheid vom 24.11.2006 bewilligt. Mit Bescheid vom 01.06.2007 wurden Leistungen für die Zeit vom 01.07.2007 bis 31.12.2007 bewilligt. Für die Zeit vom 01.01.2008 – 30.06.2008 bewilligte die Beklagte Leistungen mit Bescheiden vom 23.11.2007 und 18.04.2008, wobei letzterer die Leistungsbewilligung für Februar 2008 nicht berührte. Für die Zeit vom 01.07. – 31.12.2008 wurden Leistungen mit Bescheiden vom 26.05.2008 und 12.11.2008 bewilligt. Für die Zeit vom 01.01.2009 – 30.06.2009 wurden Leistungen mit Bescheid vom 24.11.2008 bewilligt. Für die Zeit vom 01.07. – 31.12.2009 wurden Leistungen mit Bescheiden vom 02.06.2009, 06.06.2009 und 20.11.2009 bewilligt. Mit Bescheid vom 01.12.2009 wurden Leistungen für die Zeit vom 01.01.2010 – 30.06.2010 bewilligt. Weiterhin wurden dem Kläger mit Bescheiden vom 31.05.2010, 24.06.2010 und 08.11.2010 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.07.2010 – 31.12.2010 bewilligt, wobei letzterer nicht die Monate Juli und August 2010 betraf. 

Im Rahmen eines im November 2009 durchgeführten Kontoabrufverfahrens (Bl. 131 der Verwaltungsakte) nach § 52 SGB II wurde offensichtlich, dass der Kläger im Jahre 2008 Kapitalerträge bei der C-Bank GmbH in Höhe von 195,00 erzielt hatte. Mit Schreiben vom 30.11.2009 wurde der Kläger daraufhin aufgefordert, bis spätestens zum 19.12.2009 sein Einkommen bzw. Vermögen, das er aufgrund des Datenabgleichs habe, zu belegen. Da die behördlichen Ermittlungen aber zu keinem eindeutigen Ergebnis führten, wurde seitens der Beklagten im August 2010 erneut ein Kontoabrufverfahren nach § 52 SGB II eingeleitet. Hieraus ergab sich, dass der Kläger im Jahre 2010 Kapitalerträge in Höhe von 764,00 Euro bei der A-Stadt Sparkasse erzielt hatte (Bl. 200 der Verwaltungsakte). In der Folge stellte sich dann heraus, dass der Kläger zwei Konten bei der C-Bank und zwei Konten und ein Wertpapierdepot bei der A-Stadt Sparkasse hatte. Für letzteres kamen zur Vorlage die Jahreskontoauszüge der Jahre 2004 (Bl. 285 der Verwaltungsakte), 2005 (Bl. 286 der Verwaltungsakte), 2006 (Bl. 209 der Verwaltungsakte), 2007 (Bl. 214 der Verwaltungsakte), 2008 (Bl. 222 der Verwaltungsakte) und 2009 (Bl. 277 der Verwaltungsakte). Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28.03.2013 hat der Kläger den Jahreskontoauszug für das Jahr 2010 vorgelegt (Bl. 82 der Gerichtsakte). Mit zwei Schreiben vom 08.11.2010 wurde der Kläger zu einer beabsichtigten vollständigen Aufhebung und Erstattung der Leistungen für die Zeit vom 01.01.2005 – 31.08.2005 in Höhe von 6.094,96 Euro sowie zu einer beabsichtigten teilweisen Aufhebung und Erstattung der Leistungen für die Zeit vom 01.09.2005 – 31.08.2010 in Höhe von insgesamt 12.634,84 Euro angehört. In der Zeit vom 01.01.2005 – 31.08.2005 habe der Kläger über Vermögen in einer Höhe verfügt, dass er nicht hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II gewesen sei. In der Zeit vom 01.09.2005 – 31.08.2005 habe er Einkommen aus Wertpapieren und Kapitalerträgen erzielt. Am 24.01.2011 erließ die Beklagte zwei Rücknahme- und Erstattungsbescheide. Mit dem einen hob sie die Entscheidungen vom 22.04.2005 und 10.06.2005 über die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 01.01.2005 – 31.08.2005 in Höhe von insgesamt 6.094,96 Euro gem. § 45 Abs.2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ganz auf. Mit dem anderen Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 24.01.2011 hob sie die Entscheidungen vom 10.06.2005, 14.11.2005, 07.06.2006, 24.11.2006, 01.06.2007, 23.11.2007, 26.05.2008, 24.11.2008, 02.06.2009, 20.11.2009, 01.12.2009 und 31.05.2010 für die Zeit vom 01.09.2005 – 31.08.2010 teilweise gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X in Höhe von insgesamt 12.634,84 Euro auf. Gleichzeitig erließ die Beklagte am 24.01.2011 15 Änderungsbescheide, die die Leistungsbewilligung vom 01.09.2005 – 01.07.2010 betrafen. 

Gegen beide Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 24.01.2011 legte der Kläger mit Schreiben vom 30.01.2011 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2011 als unbegründet zurückwies. In ihrem Widerspruchsbescheid führte sie aus, dass der Kläger in der Zeit vom 01.01.2005 – 31.08.2005 über Vermögen verfügt habe, welches die Vermögensfreigrenzen überstiegen habe. Für die Zeit vom 01.09.2005 – 31.08.2010 sei die Leistungsbewilligung teilweise wegen Einkommens, welches der Kläger erzielt habe, gem. § 48 Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X aufzuheben gewesen. Insgesamt reduzierte die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid vom 15.06.2011 den Erstattungsbetrag für die Zeit vom 01.09.2005 – 31.08.2010 um 301,29 Euro auf 12.333,55 Euro. Gegen diesen Widerspruchsbescheid richtet sich die am 21.06.2011 zum Sozialgericht Kassel erhobene Klage, die unter dem Az: S 8 AS 667/11 angelegt wurde, und mit der der Kläger die Aufhebung der beiden Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 24.01.2011 begehrt. 

Das Gericht hat Auskünfte bei der A-Stadt Sparkasse vom 23.04.2013 und der Cbank vom 03.06.2013 über die Höhe der beiden Sparkassenkonten und die Höhe des Wertpapierdepots bei der Sparkasse und der zwei Konten bei der Cbank zu den unterschiedlichen SGB II-Antragsdaten eingeholt. 

Mit Änderungsbescheid vom 08.11.2010 hatte die Beklagte dem Kläger vorläufig Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 423,23 Euro für die Monate November und Dezember 2011 bewilligt und hierbei Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 210,00 Euro angerechnet. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.06.2011 als unbegründet zurück, wogegen sich die am 21.06.2011 zum Sozialgericht Kassel erhobene Klage richtet, die unter dem Az.: S 8 AS 666/11 angelegt wurde. Beide Klagen hat das Gericht im Termin zur mündlichen Verhandlung am 22.05.2014 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. 

Der Kläger ist der Auffassung, dass bei den Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden ein fiktiver Vermögensverbrauch zu berücksichtigen sei. 

Er beantragt, 

die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide der Beklagten vom 24.01.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2011 aufzuheben und den Bescheid vom 08.11.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.06.2011 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 01.11.2010 – 31.12.2010 Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung eines Einkommens in Höhe von 210,00 Euro zu gewähren.  

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass ein fiktiver Vermögensverbrauch nicht zu berücksichtigen sei. Die Rücknahme der Leistungsbewilligung stelle sich rechtlich als das Spiegelbild derselben dar. Es sei nicht ersichtlich, warum derjenige, der sich den Besitz des Vermögens durch den Bezug rechtswidrig erlangter Sozialleistungen erhalte, bessergestellt werden solle als derjenige, der überhaupt erst um die Leistungsbewilligung streite. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die das Gericht beigezogen hat und deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung der Kammer gewesen ist. Wegen der Einzelheiten der Auskünfte der A-Stadt Sparkasse vom 23.04.2013 und der C-Bank vom 03.06.2013 wird auf Bl. 105 f. und Bl. 117 f. der Gerichtsakte verwiesen. 


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nur in Teilen begründet, nämlich sofern die Beklagte Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01.2005 – 30.06.2005 aufgehoben und von dem Kläger insofern einen Betrag in Höhe von 4.571,72 Euro erstattet verlangt.  Darüber hinaus stellt sich der Erstattungsbescheid der Beklagten vom 24.01.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2011 hinsichtlich der Monate Februar und April 2006, August 2008, Juli – Dezember 2009 und August 2010 als rechtswidrig dar. Insofern reduziert sich der Betrag, den die Beklagte von dem Kläger zurückfordern kann, um 7.030,22 Euro auf 11.398,29 Euro.


Zunächst stellt sich der Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 24.01.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2011 insofern als rechtswidrig dar, als dass mit ihm die Leistungsgewährung für die Zeit vom 01.01.2005 – 30.06.2005 gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X aufgehoben wird und gemäß § 50 Abs. 1 SGB X der zu erstattende Betrag insofern in Höhe von 4.571,72 Euro festgesetzt wird.

Die Beklagte hat insofern ihre Aufhebung auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II gestützt. 

Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 – 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn er rechtswidrig ist. 

Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf dem Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist nach Satz 2 in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Gemäß Satz 3 kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit

1.    er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.    der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder
3.    er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. 

Sofern die Beklagte die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidung für die Zeit vom 01.01.2005 – 30.06.2005 damit begründet hat, dass der Kläger über die Vermögenfreigrenzen des § 12 SGB II übersteigendes Vermögen verfügt habe, das vorrangig zur Sicherung seines Lebensunterhaltes einzusetzen gewesen sei, kann dem nicht gefolgt werden. Laut den Auskünften, die das Gericht im laufenden Verfahren bei der A-Stadt Sparkasse und der C-Bank GmbH eingeholt hat, verfügte der Kläger bei der Erstantragstellung am 28.09.2004 über ein Wertpapierdepotguthaben in Höhe von 6.143,50 Euro zzgl. eines Betrages in Höhe von 1.732,80 Euro auf dem Konto bei der A-Stadt Sparkasse mit der Kto-Nummer XXX1 zzgl. eines Betrages in Höhe von 364,34 Euro bei der A-Stadt Sparkasse mit der Kontonummer XXX2, mithin also über einen Betrag in Höhe von 8.240,64 Euro. Nach den seinerzeit geltenden Vermögensfreigrenzen nach § 12 Abs. 2 SGB II betrug das Schonvermögen des Klägers zu diesem Zeitpunkt allerdings 8.750,00 Euro, sodass das Vermögen des Klägers unter diesem Freibetrag lag. Die Auskunft der A-Stadt Sparkasse zeigt, dass erst bei der Folgeantragstellung am 23.05.2005 für Leistungen ab dem 01.07.2005 der Vermögensfreibetrag des Klägers, der zu diesem Zeitpunkt bei 8.950,00 Euro lag, durch die Guthaben von den beiden Sparkonten und dem Wertpapierdepot überschritten wurden. Dementsprechend stellt sich die Bewilligungsentscheidung für den Zeitraum 01.01.2005 – 22.05.2005 als rechtmäßig dar und konnte nicht gemäß § 45 SGB X aufgehoben werden. Sofern es um den Zeitraum vom 23.05.2005 bis 30.06.2005 geht, käme zwar eine Umdeutung des Aufhebungsbescheides in einen solchen nach § 48 Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X in Betracht, wonach der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden kann, wenn nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Gleichwohl scheidet eine solche Umdeutung aus. Denn insofern hat die Beklagte in ihrem Ausgangsbescheid vom 24.01.2011 einen Bescheid vom 22.04.2005, nicht hingegen den Bescheid vom 22.11.2004 aufgehoben. Nach einer Entscheidung des BSG vom 29.11.2012 zum Az.: B 14 AS 196/11 R berührt die unterbliebene Benennung von Leistungsbescheiden in einem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid zwar nicht die Bestimmtheit dieses Bescheides, wohl aber die Rechtmäßigkeit des Erstattungsverwaltungsaktes. Das BSG hat in dieser Entscheidung ausgeführt, dass eine Erstattung zu Unrecht erbrachter Geldleistungen auf § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X nur gestützt werden kann, soweit ein Verwaltungsakt (mithin die entsprechende Leistungsbewilligung) aufgehoben worden ist (vgl. BSG, a.a.O., RdNr. 19). Insofern stellt sich auch der Erstattungsbescheid für in der Zeit vom 23.05.2005 bis 30.06.2005 erbrachter Leistungen als rechtswidrig dar. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Beklagte in der Begründung ihres Widerspruchsbescheides vom 15.06.2011 ausgeführt hat, bei der Aufhebung des Bescheides vom 22.04.2005 sei der Bewilligungsbescheid vom 22.11.2004 gemeint gewesen.

Hingegen stellen sich die Rücknahme- und Erstattungsentscheidungen der Beklagten vom 24.01.2011 für die Zeit vom 01.07.2005 – 31.08.2010 nur insofern als rechtswidrig dar, als dass mit ihnen die Leistungsbewilligung für die Monate Februar und April 2006, August 2008, Juli – Dezember 2009 und August 2010 aufgehoben und von dem Kläger ein Betrag in Höhe von 2.458,05 Euro zurückgefordert wird.

Zunächst geht das Gericht – anders als die Beklagte – davon aus, dass es sich bei dem Wertpapierdepot des Klägers zzgl. der Guthaben auf den beiden Konten bei der Sparkasse und der beiden Konten bei der C-Bank um Vermögen des Klägers handelt, welches bei den Folgeantragstellungen nach dem Erstantrag jeweils die für den Kläger geltenden Vermögensfreigrenzen überstieg. Denn bei den Wertpapierguthaben handelte es sich jeweils um den jeweils gleichen Bestand von Wertpapieren, die lediglich aufgrund von Kursschwankungen unterschiedliche Kurswerte erzielten. Allerdings ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass bei einem Vergleich der Depotauszüge per 31.12.2004 und 31.12.2005 auffällt, dass am 31.12.2004 eine Stückzahl von 1.800 bei den E. Wertpapieren bestand, am 31.12.2005 hingegen eine Stückzahl von 3400 und dieser Umstand bisher nicht erklärt worden ist. Verfügte der Kläger bei den Folgeantragstellungen nach der Erstantragstellung am 28.09.2004 jeweils über Vermögenswerte, die die jeweiligen Vermögensfreigrenzen überstiegen, so stand dies einer Leistungsgewährung entgegen und die Beklagte war gemäß § 45 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 SGB X berechtigt, die Leistungsbewilligung insofern aufzuheben. Zwar hat die Beklagte ihre Aufhebung jedenfalls für die Zeit ab dem 01.09.2005 insofern auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützt, jedoch steht einer Umdeutung seitens des Gerichts in eine Aufhebung nach § 45 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 SGB X nicht der Umstand entgegen, dass es sich bei letzterer um eine Ermessensnorm handelt. Ein Austausch der Rechtsgrundlage aus dem Bescheid der Beklagten vom 24.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2011 ist möglich, weil nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt – wegen § 330 Abs. 2 SGB III – gleichfalls ohne Ermessensausübung – mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit er auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Dies ist hier der Fall, indem der Kläger bereits bei Erstantragstellung, aber auch bei allen weiteren Folgeanträgen sein Wertpapierdepot verschwieg und auch bei den Folgeanträgen keinerlei Angaben zu den jeweiligen Kontoguthaben bei der A-Stadt Sparkasse und der C-Bank machte.

Soweit die Prozessbevollmächtigte des Klägers ausgeführt hat, dass jedenfalls ein fiktiver Vermögensverbrauch zu berücksichtigen sei, folgt die erkennende Kammer dem nicht. Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass für den Fall, dass er bei der Folgeantragstellung am 23.05.2005 die vorhandenen Vermögenswerte richtig und vollständig angegeben und aufgrund dessen zunächst keine Leistung erhalten hätte, vermutlich schon nach kurzer Zeit hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II gewesen wäre und dann einen entsprechenden Leistungsanspruch gehabt hätte. Nach dem Konzept des SGB II kommt es darauf jedoch nicht an. Danach besteht ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nur dann, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt einzusetzendes Einkommen oder Vermögen nicht vorhanden ist („Alles – oder – nichts -  Prinzip“, vgl. Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Kommentar, Stand November 2009, § 12 RdNr. 308 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Auch bei nur geringfügiger Überschreitung der Freigrenze nach § 12 Abs. 2 SGB II besteht erst dann ein Anspruch, wenn der die Hilfebedürftigkeit ausschließende Teil des Vermögens aufgezehrt ist. Solange das anzurechnende Vermögen nicht verbraucht ist, etwa weil der Betreffende zu Unrecht Leistungen erhalt hat und daher auf seine Ersparnisse nicht hat zurückgreifen müssen, schließt es, etwa im Falle einer erneuten Antragstellung, die rechtmäßige Gewährung von Leistungen jederzeit und für unbegrenzte Dauer aus, auch wenn es tatsächlich nur für eine kurze Zeit ausgereicht hätte. Eine Bilanzierung dergestalt, dass der Wert des anzurechnenden Vermögens dem im Anspruchszeitraum entstandenen Bedarf gegenübergestellt wird und Leistungen insoweit zu gewähren sind, als ein Bedarfsüberhang verbleibt, sieht das Gesetz nicht vor (so LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.03.2010, Az. L 5 AS 2340/08; vgl. auch Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Kommentar, Stand November 2009, § 12, RdNr. 311 m.w.N.). Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in der Sozialhilfe seine entgegengesetzte Auffassung, nach der der Wert des Vermögens dem Gesamtbedarf im Bedarfszeitraum gegenüberzustellen und für den über den Vermögenswert hinausgehenden Bedarf Sozialhilfe zu gewähren sei, im Jahr 1997 ausdrücklich aufgegeben (vgl. BVerwGE 106,105). Auch im Recht der Arbeitslosenhilfe, dem die Berücksichtigung von Vermögen im Rahmen des § 12 SGB II nach dem Willen des Gesetzgebers folgt (vgl. BT-Drucksachen 15/1516, Seite 53), wurde der mit der Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV) 2002 die zuvor ausgeschlossene Mehrfachanrechnung von Vermögen (vgl. § 9 AlhiV 1974) zulässig. Dies hat das BSG nicht beanstandet (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit der AlhiV 2002: BSG, SozR 4/4220, § 6 Nr. 1 = BSGE 91, 94; BSG, SozR 4/4220 § 6 Nr. 3). Nach dem Grundsatz der Subsidiarität ist der Hilfebedürftige solange auf sein Vermögen zu verweisen, bis es verbraucht ist. Entsprechend ist auch im Erstattungsfall die gesamte überzahlte Leistung zurückzufordern ohne Beschränkung auf die Höhe des verwertbaren Vermögens (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2011, Az. L 12 AS 4994/10, a.A. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25.07.2012, Az: L 5 AS 55/10). 

Allerdings war gleichwohl der Erstattungsbescheid der Beklagten vom 24.01.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2011 aufzuheben, sofern mit ihm Erstattungen für die Monate Februar und April 2006, August 2008, Juli – Dezember 2009 und August 2010 verfügt worden sind. Denn insofern hat die Beklagte weder in ihrem Ausgangsbescheid vom 24.01.2011 noch in ihrem Widerspruchsbescheid vom 15.06.2011 die Bescheide vom 18.01.2006, 12.11.2008, 06.06.2009 und 24.06.2010 aufgehoben. Nach der bereits oben genannten Entscheidung des BSG vom 29.11.2012 zum Az: B 14 AS 196/11 R führt dies zur Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheides vom 24.01.2011. 

Insgesamt kann die Beklagte demnach von dem Kläger einen Betrag in Höhe von 11.398,29 Euro für in der Zeit vom 01.07.2005 – 31.08.2010 zu unrecht erbrachter Leistungen zurückfordern. 

Darüber hinaus hat der Kläger aber hat auch keinen höheren Leistungsanspruch für die Monate November und Dezember 2010 gegen die Beklagte, da auch insofern sein vorhandenes Vermögen bei der Antragstellung am 31.05.2010 seinen Vermögensfreibetrag in Höhe von 7.650,00 Euro überschritt. Dementsprechend stellt sich der Bescheid der Beklagten vom 08.11.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.06.2011 als rechtmäßig dar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das gegenseitige Verhältnis von Obsiegen zu Verlieren.


 

Rechtskraft
Aus
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