L 6 AS 403/21 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 13 AS 57/21 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 403/21 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Bei europarechtskonformer Auslegung von § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU spricht vieles dafür, dass das Aufenthaltsrecht des Arbeitnehmers für den Zeitraum des Bezugs von Arbeitslosengeld nach dem SGB III fortbesteht und der Arbeitnehmer in dieser Zeit nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II unterfällt.

1.    Der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 22. Juli 2021 wird geändert und der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit ab 1. Juli 2021 bis zum 31. Oktober 2021 vorläufig laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) in gesetzlicher Höhe zu gewähren. 
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

2.    Der Antragsgegner hat 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu tragen.

G r ü n d e

I.

Die Beteiligten streiten, ob ein Leistungsanspruch des Antragstellers gegen den Antragsgegner auf (ergänzende) Leistungen nach dem SGB II besteht.

Der 1974 geborene Antragsteller ist bulgarischer Staatsangehöriger. Er wohnt in einer Zweizimmerwohnung von 40 Quadratmetern zu einer Grundmiete von 350,00 Euro, Nebenkosten von 75,00 Euro und Heizkosten von 75,00 Euro monatlich (Bl. 15, 30 VA).

In dem Versicherungsverlauf des Antragstellers der Deutschen Rentenversicherung Hessen ist eine Erwerbstätigkeit mit Pflichtbeitragszeiten für die Zeit vom 7. Juli 2017 bis 22. Januar 2018 und vom 5. April 2018 bis 31. August 2018 bescheinigt (Bl. 227 GA).

Er ging vom 28. März 2019 bis 15. Februar 2020 einer weiteren sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach. Im Dezember 2019 erlitt der Antragsteller nach seinen Angaben einen Herzinfarkt und es bestand vom 9. Dezember 2019 bis 1. Mai 2020 Arbeitsunfähigkeit, ohne dass Krankengeld bezogen wurde (Bl. 224 GA).

Am 9. November 2020 nahm der Antragsteller eine erneute Erwerbstätigkeit auf. Diese wurde zum 12. März 2021 beendet (Bl. 7, 11 VA). Aus der Arbeitgeberbescheinigung ergeben sich ein Bruttoarbeitsentgelt von 805,33 Euro für November 2020, 1.139,71 Euro für Dezember 2020, 1.056,74 Euro für Januar 2021, 1.140,39 Euro für Februar 2021 und 909,15 Euro für den Zeitraum 1. Februar bis 12. Februar 2021 (Bl. 61 GA). 

Auf Bl. 33 der Verwaltungsakte befindet sich ein Aufhebungsvertrag, aus dem hervorgeht, dass das Arbeitsverhältnis zum 12. März 2021 beendet werde. Handschriftlich wird als Grund angegeben: „Arbeit zu schwer“.

Der Antragsteller beantragte am 19. März 2021 Leistungen nach dem SGB II.

Mit Schreiben vom 1. April 2021 wurde der Antragsteller vom Antragsgegner aufgefordert, u.a. die Zahlung der Kosten der Unterkunft nachzuweisen. Woraufhin der Antragsteller mitteilte, er könne nur Quittungen vorlegen, da dies der Vermieter so wolle (Bl. 53 VA). In einem weiteren Schreiben ergänzte er, dass der Vermieter die Miete bar mit Quittung wolle (Bl. 61 VA).

Mit Bescheid vom 10. Mai 2021 lehnte der Antragsgegner die Leistungsgewährung ab. Zur Begründung wird ausgeführt, der Antragsteller sei vom Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil er nur ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche habe (Bl. 66 VA). Der Antragsteller legte vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte am 20. Mai 2021 Widerspruch ein (Bl. 70 VA).

Die beigeladene Bundesagentur für Arbeit bewilligte mit Bescheid vom 10. Mai 2021 Arbeitslosengeld nach dem SGB III ab 3. Juli 2021 in Höhe von 20,87 Euro täglich. Für den Zeitraum vom 18. März 2021 bis 2. Juli 2021 wurden aufgrund einer Sperrzeit zunächst keine Leistungen bewilligt (Bl. 73 ff VA).

Auf Bl. 77 VA liegt eine Quittung über eine Mietzahlung in Höhe von 500 Euro für Mai 2021 vor.

Am 9. Juni 2021 erließ die Beigeladene einen Änderungsbescheid. Für die Zeit vom 18. März bis 19. März 2021 wurde eine Sperrzeit für verspätete Arbeitssuchendmeldung verhängt. Für den Zeitraum vom 29. April 2021 bis 19. Mai 2021 wurde noch nicht über den Leistungsanspruch entschieden. Ab 20. Mai 2021 bis 9. September 20201 erfolgte eine Bewilligung in Höhe von 20,87 Euro täglich (Bl. 106 ff VA).

Der ehemalige Arbeitgeber gab an, dass der Antragsteller vom 10. bis 12. März 2021 unentschuldigt gefehlt habe und das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag beendet worden sei (Bl. 119 VA).

Die Beigeladene führte auf Anfrage aus, dass die Beendigung der Tätigkeit auf ärztlichen Rat erfolgt (Bl. 126 VA).

Am 9. Juni 2021 hat der Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Kassel gestellt. 

In der eidesstattlichen Versicherung hat er ausgeführt, dass er 2019 und 2020 zweimal am Herzen operiert worden sei. Die letzte Arbeit habe er aufgeben müssen, weil diese zu schwer gewesen sei (Bl. 15 GA). Aus einer beigefügten ärztlichen Stellungnahme vom 25. Mai 2021 geht hervor, dass der Antragsteller im Dezember 2019 einen Herzinfarkt erlitten habe. Aufgrund der Herzinsuffienz seien schwere körperliche Arbeiten als Lagerarbeiter zu vermeiden (Bl. 16 GA).

Die Beigeladene hob mit Bescheid vom 25. Juni 2021 zunächst die Bewilligung des Arbeitslosengeldes nach dem SGB III wegen des Wegfalls der Verfügbarkeit ab 23. Juni 2021 auf (Bl. 127 VA). Der eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2021 zurückgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Antragsteller unter der angegebenen Adresse nicht gemeldet sei, er seinen Umzug nicht gemeldet habe und deshalb postalisch nicht zu erreichen sei. Er habe damit den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit ab 23. Juni 2021 nicht mehr zur Verfügung gestanden und sei somit nicht arbeitslos im Sinne des § 138 Abs. 1 SGB III und habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Bl. 134 VA).

Im Verfahren vor dem Sozialgericht Kassel wurde eine eidesstattliche Versicherung von Herrn C. vom 20. Juli 2021 vorgelegt, in welcher versichert wird, dass der Antragsteller unter der Meldeanschrift weiterhin wohnhaft sei (Bl. 137 VA). Die Nachbarin Frau D. versicherte ebenfalls an Eides statt, dass der Antragsteller ihr gegenüber wohne (Bl. 140 GA). 

Am 14. Juni 2021 wurde eine Zahlung der Beigeladenen in Höhe von 1.085,24 Euro und am 29. Juni 2021 in Höhe von 1.043,50 Euro auf dem Konto des Antragstellers gutgeschrieben (Bl. 156 VA).

Das Sozialgericht hat am 9. Juli 2021 gegenüber dem Antragsteller angeregt, einen Wohngeldantrag zu stellen (Bl. 82 GA).

Die Bundesagentur für Arbeit wurde mit Beschluss vom 14. Juli 2021 vom Sozialgericht zum Verfahren beigeladen (Bl. 99 VA).

Aus der gerichtlich eingeholten Einwohnermeldeanfrage vom 20. Juli 2021 geht hervor, dass der Antragsteller unter der angegebenen Adresse seit 30. Juni 2020 von Amts wegen abgemeldet ist (Bl. 133 GA).

Der Antragsteller vertrat die Ansicht, dass man ihn nicht auf Wohngeld verweisen könne. Zumindest übergangsweise sei dem Antragsteller das Existenzminimum über SGB II-Leistungen zu decken. Mit der Zahlung von 1.043,50 Euro aus dem Bescheid vom 24. Juni 2021 für nachgezahltes Arbeitslosengeld sei zumindest der Bedarf des Antragstellers für den Monat Juni nunmehr gedeckt. Allerdings bestehe weiterhin ein Leistungsanspruch gegen den Antragsgegner ab Juli 2021. Darüber hinaus sei überhaupt nicht nachvollziehbar, weshalb das Arbeitslosengeld I eingestellt worden sei, der Antragsteller wohne nach wie vor in der A-Straße. Auch sei der Briefkasten ordnungsgemäß beschriftet. 

Der Antragsteller legte Quittung aus Ende April vor, wonach er die Miete für die im Rubrum bezeichnete Wohnung gezahlt habe. Mietrückstände bestünden aktuell zum Zeitpunkt 20. Juli 2021 nicht, da die Nachzahlung der Beigeladenen dazu verwendet worden sei, die Mieten für Juni und Juli 2021 im Umfang von 2 × 500 Euro zu zahlen. Dies erfolge alles bar, eine entsprechende Quittung vom Vermieter sei angefordert, sie liege nicht vor. In dem Haus und dem Haus Nr. 152 würden vom Vermieter die Mieten immer schon in bar abkassiert. 

Für eine erneute Anmeldung bei der Stadt Kassel benötige er eine Wohnungsgeberbestätigung. Hierzu habe er mit dem Vermieter Kontakt aufgenommen, die Bestätigung liege noch nicht vor. Weiterhin habe der Antragsteller von den Zahlungen der Beigeladenen mehrere private Darlehen von etwa 500 Euro zurückgezahlt. Diese habe er aufnehmen müssen, um seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Die Rückzahlungen erfolgten jeweils in bar. Er werde sich umgehend persönlich arbeitssuchend melden und Klage gegen den Widerspruchsbescheid des Beigeladenen erheben. Ferner werde er einen Wohngeldantrag stellen, hier sei allerdings mit einer Bearbeitung von mehreren Wochen zu rechnen. 

Telefonisch habe die Antragstellerseite über die Bevollmächtigte der Kammervorsitzenden des Sozialgerichts am 20. Juli mitteilen lassen, dass es Darlehensverträge oder auch Quittungen dazu nicht gebe. Aus den Kontoauszügen ergebe sich vermutlich nichts, es würde immer alles Geld abgehoben und dann laufe alles bar. 

Des Weiteren hat der Antragsteller Unterlagen vorgelegt, wonach er den Aufhebungsvertrag vom 18. März 2021 angefochten habe, da er nicht verstanden habe, was er unterschreibe (Bl. 32 GA). Ein arbeitsrechtliches Verfahren sei jedoch nicht eingeleitet worden, da die Erfolgsaussichten schwer einzuschätzen seien (Bl. 41 GA).

Der Antragsteller führte aus, dass er dringend auf SGB II - Leistungen angewiesen sei, da er nur mit den Leistungen nach dem SGB III seinen Lebensunterhalt nicht decken könne und des Weiteren er nicht an einem Integrationskurs teilnehme könne, da dieser die Leistungsgewährung nach dem SGB II voraussetze (Bl. 69 GA). Zwar sei der Bedarf des Antragstellers im Juni 2021 gedeckt. Jedoch könne er nicht auf Wohngeld verwiesen werden. Bis zur Entscheidung über Wohngeld sei er auf SGB II - Leistungen angewiesen. Zum anderen sei davon auszugehen, dass kein Wohngeldanspruch bestehe, da der Antragsteller nicht über das notwendige Mindesteinkommen nach § 15 WoGG verfüge (Bl. 85 VA).

Der Antragsteller beantragte, den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. 

Der Antragsgegner beantragte, den Antrag abzuweisen. 

Sie trug vor, dass mit der Nachzahlung von 1.043,50 Euro aus dem Bescheid vom 24. Juni 2021 aktuell eine Hilfebedürftigkeit nicht ersichtlich sei. Nach Erkenntnissen der Agentur für Arbeit sei der Antragsteller nach unbekannt verzogen. Es sei auch zu einem Postrücklauf gekommen und eine Meldeamtsanfrage habe keine gültige Anschrift ergeben, auch telefonisch sei der Antragsteller nicht erreichbar. Darüber hinaus sei nicht erkennbar, weshalb kein Wohngeldanspruch bestehen könnte, auch dies könne der Antragsteller unschwer beantragen. Aktuell sei ein Leistungsanspruch nach dem SGB II nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, allerdings ausgeführt, dass in der Zeit vom 9. Juni 2021 bis zum 24. Juni 2021 insgesamt 2.127,70 Euro Arbeitslosengeld I für den Zeitraum vom 20. März 2021 bis insgesamt 30. Juni 2021 gezahlt worden sei. Über den Widerspruch sei entschieden, über die Erstattung werde noch entschieden. Ergänzend teilte die Beigeladene mit Schreiben vom 15. Juli 2021 mit, dass sich der Kläger nicht arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld weiter beantragt habe. Ohne eine erneute Arbeitssuchendmeldung und Antragstellung könne Arbeitslosengeld nicht erbracht werden. Der Kläger müsse postalisch erreichbar seien, weil dies für die Verfügbarkeit die gesetzliche Grundlage sei.

Das Sozialgericht Kassel lehnte den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 22. Juli 2021 ab.

Der zulässige Antrag bleibe gegenwärtig ohne Erfolg. 

Im sozialgerichtlichen Verfahren könne gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG eine einstweilige Anordnung erlassen werden, wenn die Gefahr bestehe, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des jeweiligen Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen seien neben dieser Sicherungsanordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheine. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sei damit, dass dem jeweiligen Antragsteller ohne eine entsprechende Regelung schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage sei.

Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen seien regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Nach dem Vortrag des Antragstellers dürfte es inhaltlich zwischenzeitlich um Ansprüche ab Juli gehen und nicht mehr ab Juni, dem Antragseingang des Antrags bei Gericht. 

Der Antrag sei zulässig. Die Kammer gehe gegenwärtig davon aus, dass der Antragsteller in der A-Straße wohne. In der Akte des Antragsgegners sei hierzu zumindest eine Quittung über eine Mietzahlung noch für Mai 2021 aktenkundig und des Weiteren liege eine relativ aktuelle Mietbescheinigung aus März 2021 vor. Von hier aus sei nicht weiter nachvollziehbar, warum Post als unzustellbar zurückgekommen sei, allerdings ergebe die gerichtliche Anfrage eine Abmeldung von Amts wegen seit dem 30. Juli 2020. In der aktuellen Mietbescheinigung werde allerdings eine Wohnung vom Vermieter dort bescheinigt und aus der Quittung ergebe sich noch eine Mietzinszahlung für Mai 21. Darüber hinaus seien nun zwei eidesstattliche Erklärungen vorgelegt worden, die bestätigten, dass der Antragsteller in dem Haus Nr. xx wohnhaft sei. Auch sei vorgetragen, dass am Briefkasten ein Namenschild angebracht sei. Der Eilantrag scheitere zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht daran, dass der Antragsteller etwa unbekannt verzogen, nicht erreichbar oder untergetaucht sei und damit ggfs. das Rechtsschutzinteresse entfallen sei. Insbesondere lege der Antragsteller auch aktuelle Unterlagen vor, so dass zwangsläufig Kontakt auch zur Bevollmächtigten bestehe.  

Der Antrag sei aber gegenwärtig nicht begründet. Die Kammer habe keinen Anlass, die Beigeladene für aktuell Juli/ August zur Zahlung von Arbeitslosengeld I vorläufig zu verpflichten. Es liege in der Hand des Antragstellers, wie auch mit Schriftsatz vom 15. Juli 2021 von der Beigeladenen vorgetragen, sich wieder arbeitslos zu melden und einen Antrag zu stellen und für postalische Erreichbarkeit zu sorgen. Damit scheine offensichtlich dann die weitere Bewilligung des Arbeitslosengeldes I unproblematisch zu laufen. Hier stehe dem Antragsteller ein deutlich einfacherer Weg zur Verfügung, direkt mit der Bundesagentur für Arbeit Kontakt aufzunehmen und seinen Verpflichtungen zur Erlangung des weiteren Arbeitslosengelds I nachzukommen. Die Verpflichtung im Wege einer gerichtlichen Entscheidung, ohne dass sich der Antragsteller bislang dort wieder arbeitssuchend gemeldet habe, komme zur Überzeugung der Kammer nicht in Betracht. Eine telefonische Nachfrage bei der Beigeladenen am 21. Juli 2021 um die Mittagszeit habe noch keinen Eintrag dahingehend ergeben, dass der Antragsteller dort vorgesprochen habe. Dies sei aber auch eine Voraussetzung für den weiteren Bezug des Arbeitslosengeldes I. Ungeachtet dessen stehe dem Antragsteller auch offen, ergänzend Wohngeld zu betragen, wobei hier sicherlich von einer gewissen Bearbeitungszeit auszugehen sei. Der Antragsteller hätte schon längst einen solchen Antrag stellen können anstatt darüber zu spekulieren, ob dieser Antrag Erfolg haben könnte oder nicht. 

Ungeachtet dessen habe die Kammer keinen Anlass zum Entscheidungszeitpunkt den Antragsgegner zu einer vorläufigen existenzsichernden Leistung nach dem SGB II zu verpflichten. Die Kammer habe dabei bereits erhebliche Zweifel am Bestehen eines Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes. Es spreche einiges nach summarischer Prüfung dafür, dass der Antragsteller mit Leistungen nach dem SGB II gem. § 7 Abs. 2 Nr. 2 b SGB II ausgeschlossen sei. Gegebenenfalls sei in einem Hauptsacheverfahren und dem noch anhängigen Widerspruchsverfahren durch Zeugenvernehmung und weitere Ermittlungen zu klären, ob und unter welchen Umständen der Aufhebungsvertrag zustande gekommen sei und ob der Antragsteller die Arbeitslosigkeit unfreiwillig im Sinne des FreizügigkeitsG herbeigeführt habe. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt seien jedenfalls darüber hinaus Arbeitszeiten von über einem Jahr, die ein Aufenthaltsrecht vermitteln könnten, nicht glaubhaft gemacht und auch nicht erkennbar. Nach der vorgelegten Arbeitgeberbescheinigung sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis nicht unfreiwillig beendet wurde. Dass ihm vom Arbeitgeber tatsächlich ein Aufhebungsvertrag vorsätzlich „untergeschoben“ worden sei, sei so nicht glaubhaft und könnte ggfs. in einem Hauptsacheverfahren noch durch Befragung der benannten Mitarbeiterinnen der Fa. E. geklärt werden. Ohne hier in eine vorweggenommene Beweiswürdigung einzutreten, halte die Kammer es eher für unwahrscheinlich, dass die beiden Mitarbeiterinnen bestätigen würden, ihm den Aufhebungsvertrag untergeschoben zu haben. Ob der benannte selber kaum deutschsprechende weitere Zeuge Licht ins Dunkel bringen könnte, erscheine allein schon auf Grund der Sprachbarriere zweifelhaft. Ferner habe die Beigeladene eine Bescheinigung ausgestellt, in der keine Unfreiwilligkeit bescheinigt worden sei. Zwar habe sie keine Unfreiwilligkeit angekreuzt, der angegebene Grund passe indes nicht recht zur der Begründung. Vermutlich liege hier ein Ankreuzfehler vor, was im Widerspruchsverfahren noch aufgeklärt werden könne vom Antragsgegner. Im Eilverfahren könne dies vorerst dahinstehen. An diese Bescheinigung sei zumindest mit einer sehr bedeutenden Meinung in der Rechtsprechung der Antragsgegner nicht zwingend gebunden, sondern sie könne und müsse die Unfreiwilligkeit selber beurteilen und ggfs. ermitteln. Bei summarischer Prüfung im Eilverfahren liege zwar eine Bescheinigung des Arztes mit Bl. 16 der Gerichtsakte gegenüber der Bundesagentur für Arbeit vor. Danach scheine, soweit die Kammer das richtig entziffern könne, der Arzt am 23. Januar empfohlen zu haben, die Beschäftigung aufzugeben. Ob dies allerdings tatsächlich noch im März der tragende Grund für den Aufhebungsvertrag gewesen sei, erscheine zweifelhaft. Es lägen nach der Arbeitgeberauskunft unentschuldigte Fehltage vor, der Arbeitgeber habe aber keine Kündigung beabsichtigt. Hier erscheine mehr als zweifelhaft, dass unfreiwillige Arbeitslosigkeit vorliege. Vorgetragen habe der Antragsteller lediglich, dass er nach einer leidensgerechten Tätigkeit gefragt habe, nicht, dass er die Tätigkeit per Aufhebungsvertrag auf ärztlichen Rat beendet habe. Es sei die Unfreiwilligkeit der Arbeitsaufgabe von dem Antragsteller nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden, so dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein gesetzlicher Ausschluss nach § 7 Abs. 2 SGB II bestehe. 

Die Kammer sähe aber zum Entscheidungszeitpunkt aktuell insbesondere keinen Anordnungsgrund, so dass sie deshalb keine weiteren Ermittlungen hinsichtlich des Anordnungsanspruchs im einstweiligen Verfahren veranlasst habe. Dies habe folgenden Hintergrund:

Die Beigeladene habe insgesamt mit Schreiben vom 15. Juli 2021 nachgängig Zahlungen des ALG I von insgesamt 2.128,74 Euro im Juni durch Überweisungen am 9. Juli und 24. Juli 2021 getätigt. Dabei könne dahinstehen, ob das monatliche Arbeitslosengeld I von 626,10 Euro existenzsichernd sei oder nicht, was allein schon bei einer Miete von gegenwärtig 500 Euro nicht der Fall sein dürfte. Der Antragsteller sei von der Kammer aufgefordert worden, Kontoauszüge vorzulegen und den Verbrauch des Geldes glaubhaft zu machen. Er habe hierzu ohne Vorlage von Belegen lediglich vorgetragen, dass er 1.000 Euro Miete für Juni und Juli, mit jeweils 500 Euro gezahlt habe. Eine Quittung habe er hierzu nicht vorgelegt. Und er habe vorgetragen, Schulden i.H.v. 500 Euro beglichen zu haben. Diesbezüglich habe er keinen Nachweis vorgelegt. Aus dem vorgelegten Kontoauszug würde sich zuletzt im Juli am 5. Juli 2021 eine Bargeldabhebung von 1.000 Euro und eine weitere Abhebung von 1.000 Euro am 15. Juni 2021 ergeben. Dass dieses Geld für Miete und Rückzahlungen in nunmehr knapp fünf Wochen alles tatsächlich verbraucht sei, sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden. 

Selbst wenn die Kammer allerdings unterstelle, dass der Antragsteller von den im Juni geleisteten 2.128,74 Euro Zahlungen Arbeitslosengeld I 1.500 Euro durch Schuldentilgung und Mietzinszahlungen verbraucht habe, so stünden ihm zum gegenwärtigen Zeitraum immer noch rund 630 Euro aus den Zahlungen zur Verfügung, wobei die Miete für Juli nach den Angaben des Antragstellers geleistet sei und demzufolge eine Kündigung durch Mietrückstände noch nicht drohen könne. Die Kammer sei der Auffassung, dass der Antragsteller damit zumindest im Juli und anteilig zumindest auch im August seinen notwendigen Lebensunterhalt weiter bestreiten könne und es selber in der Hand habe, weiteres Arbeitslosengeld I unverzüglich zu beziehen. Damit und mit dem unverbrauchten Geld aus den Nachzahlungen sei dann auch der August gesichert. Der Vertreter der Beigeladenen habe der Kammervorsitzenden telefonisch am 21. Juli mitgeteilt, dass er auch einen Vermerk in dem Vorgang gefertigt habe, dass sich die Sachbearbeitung mit ihm persönlich in diesem Fall ins Benehmen setzen solle, sobald der Antragsteller vorspreche. Dies dürfte dann zur einer beschleunigten Bearbeitung bei der Beigeladenen führen. Damit dürfte zumindest der Juli auch der August soweit gesichert sein, dass die Existenz gesichert sei. 

Davon abgesehen fehle es auch an der vom Gericht verlangten Glaubhaftmachung des Verbrauchs des Geldes. Die Barabhebungen belegten insoweit nichts. Zweifel an der Hilfebedürftigkeit zum aktuellen Zeitpunkt werfe auch der Umstand auf, dass der Antragsteller trotz laufenden Eilverfahrens und der Behauptung, dringend hilfebedürftig zu sein, vorrangig nach seinen Behauptungen offenbar 500 Euro einsetze, um Schulden zu tilgen. Sollte dies stimmen und der Antragsteller dies belegen können, stünden ihm diese Gelder natürlich nicht als bereite Mittel zur Verfügung, allerdings sei die Schuldentilgung immer nachrangig zur Existenzsicherung. Der Umstand, dass trotz laufendem Eilverfahren von geleisteten Zahlungen Schulden getilgt werden würden, anstatt aktuell und laufend damit den notwendigsten Lebensunterhalt zu bestreiten, ließen die Kammer an der Dringlichkeit der Hilfebedürftigkeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt und dem weitgehenden Verbrauch der im Juni zugeflossen 2.128 Euro zweifeln.

Dem Antragsteller stehe es frei, sollte er die Nachzahlungen annähernd verbraucht haben und dies nachweisen können, jederzeit einen neuen Eilantrag bei Gericht zu stellen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehe die Kammer keine Notwendigkeit den Antragsgegner in laufende (ergänzende) Leistungen für Juli und August zu verpflichten. Wesentlich länger hätte die Kammer ohnehin auch keine Leistungen zugesprochen, da bis dahin möglicherweise ja auch der dringend vom Antragsteller noch zu stellende Wohngeldantrag beschieden sein könnte. 

Dass der Antragsteller weder bei der Bundesagentur vorgesprochen habe noch den Wohngeldantrag bisher gestellt habe, lasse die Kammer im Übrigen auch an der Dringlichkeit der Hilfsbedürftigkeit zweifeln, weil die Kammer unterstelle, dass üblicherweise dann jeder Antrag so schnell wie möglich gestellt werde, der auch nur im entferntesten Aussicht auf Erfolg verspreche. 

In Ermangelung eines glaubhaft gemachten Anordnungsgrundes und Anordnungsanspruchs zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei der Antrag somit abzulehnen.
Der Beschluss ist der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 22. Juli 2021 zugestellt worden (Bl. 164 GA).

Der ehemalige Arbeitgeber des Antragstellers hat am 9. August 2021 mitgeteilt, dass der Antragsteller vom 9. November 2020 bis 12. März 2021 im Unternehmen beschäftigt gewesen sei. Am 12. März 2021 sei er ins Büro gekommen und habe mitgeteilt, dass er nicht mehr für das Unternehmen arbeiten möchte, da ihm die Arbeit zu schwer sei. Da er seinen Arbeitsvertrag sofort habe beenden wollen und einen alternativen Einsatz abgelehnt habe, habe das Unternehmen der Aufhebung des Arbeitsvertrages zugestimmt (Bl. 163 VA). 

Die Beigeladene hat am 19. August 2021 bescheinigt, dass unfreiwillige Arbeitslosigkeit im Hinblick auf die letzte Beschäftigung vorliege (Bl. 166 VA).

Der Antragsteller hat am Montag, den 23. August 2021 Beschwerde beim Landessozialgericht eingelegt (Bl. 168 GA). 

An diesem Tag hat der Antragsteller Wohngeld beantragt (Bl. 187 GA).

Mit Bescheid vom 25. August hat die Beigeladene dem Antragsteller Arbeitslosengeld nach dem SGB III bis einschließlich 19. Oktober 2021 bewilligt (Bl. 212 VA).

Der Widerspruch des Antragstellers gegen den leistungsablehnenden Bescheid des Antragsgegners vom 10. Mai 2021 wurde durch Widerspruchsbescheid vom 24. August 2021 zurückgewiesen. In der Begründung wird u.a. ausgeführt, dass der Widerspruchsführer nicht freizügigkeitsberechtigt im Sinne des § 2 Absatz 3 Freizügigkeitsgesetz/ EU sei. Da eine Freizügigkeitsberechtigung in diesem Sinne nur bei unfreiwilliger, durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbstständigen Tätigkeit nach mehr als einem Jahr Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbstständige keinen Einfluss gehabt habe, vorliege. Eine durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigte unfreiwillige Arbeitslosigkeit liege nicht vor (Bl. 167 ff VA). Der Antragsteller hat zwischenzeitlich gegen die Leistungsablehnung der Antragstellerin Klage erhoben (Bl. 201 GA).

Im Beschwerdeverfahren hat der Antragsteller eine eidesstattliche Versicherung von Herrn F. vorgelegt. Aus dieser geht hervor, dass Herr F. den Antragsteller am 12. März 2021 zum Arbeitgeber begleitet habe, weil er etwas Deutsch spreche. Der Antragsteller habe gesagt, dass die Arbeit für ihn zu schwer sei und er etwas Leichtes möchte. Man habe ihm gesagt, dass es momentan keine freien Plätze gebe, man ihn aber anrufen werde. Er solle erst kündigen und dann einen neuen Vertrag unterschreiben. Er habe erst später verstanden, dass das ein Aufhebungsvertrag sei und was das bedeute (Bl. 206 GA).

Der Antragsteller verweist darauf, dass er seit einigen Jahren in Deutschland lebe. Er sei verschiedenen Beschäftigungen nachgegangen. Er sei wegen einer Herzoperation im Dezember 2019 zum 15. Februar 2020 von seinem damaligen Arbeitgeber gekündigt worden. Im November 2020 habe er eine neue Beschäftigung bei E. angenommen. Die Anforderungen seien allerdings für ihn wegen seiner koronaren Einschränkungen nicht zu schaffen gewesen und so sei er im März 2021 gedrängt worden, einen Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen. Ihm sei bei der Unterzeichnung die Tragweite und Folgen des Vertrags vom 12. März 2021 nicht bewusst gewesen. Eine Anfechtung des Aufhebungsvertrags dürfte aber an der Beweislage scheitern. 
Auf die Anfrage des Antragsgegners vom 16. August 2021 habe die Beigeladene zudem mit Schreiben vom 19. August 2021 erneut bestätigt, dass die Arbeitsunfähigkeit unfreiwillig eingetreten sei. 
Die Angabe des Antragstellers, welche durch den Zeugen belegt werden könne, er habe den Arbeitgeber gebeten, ihm eine leichtere Tätigkeit zuzuweisen, und sei vom Arbeitgeber durch falsche Angaben „Sie haben dadurch keinen Nachteil“ zur Unterschrift überredet worden, seien nachvollziehbar. 
Die gegenteilige Darstellung des Mitarbeiters von E. sei nicht glaubhaft. Er behaupte, der Antragsteller habe trotz drohender Arbeitslosigkeit einen Aufhebungsvertrag verlangt. Es liege auf der Hand, dass der Arbeitgeber wenig Interesse an der Fortführung des Beschäftigungsverhältnisses mit dem Antragsteller hatte, da dieser durch die Herzerkrankung vorbelastet sei und der Arbeitgeber immer wieder mit Krankheitstagen und Entgeltfortzahlung habe rechnen müssen. Daher dürfe dem Arbeitgeber unterstellt werden, den Inhalt des Gesprächs zu seinen Gunsten zu „beschönigen“. 
Es sei davon auszugehen, dass eine Aufklärung im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens mit Vernehmung der Zeugen erfolgen könne und eine Entscheidung zugunsten des Antragstellers überwiegend wahrscheinlich sei.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 22. Juli 2021 zum Aktenzeichen S 13 AS 57/21 ER aufzuheben und den Antragsgegner im Rahmen einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller ab 9. Juni 2021 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 22. Juli 2021 − S 13 AS 57/21 ER – zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung ihres Antrags auf die den Beschluss tragenden Gründe sowie ihre Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren. Sie ist der Ansicht, es liege keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit vor. Leistungsansprüche nach dem SGB II seien im Hinblick auf die Einlassungen des Arbeitgebers mangels eines fortwirkenden Arbeitnehmerstatus nicht ersichtlich und glaubhaft gemacht.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und mitgeteilt, dass vorläufig Arbeitslosengeld mit Bescheid vom 25. August 2021 bewilligt und ausgezahlt worden sei.

Mit Bescheid vom 29. September 2021 wurde der Wohngeldantrag abgelehnt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners und der Beigeladenen Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet. 

Der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 22. Juli 2021 ist dahingehend aufzuheben als der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten ist, dem Antragsteller für die Zeit ab 1. Juli 2021 bis zum 31. Oktober 2021 vorläufig Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

1. Die Beschwerde ist angesichts des Umfangs der streitigen Leistungen statthaft (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] i.V.m. § 144 Abs. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässig, namentlich frist- und formgerecht erhoben (§ 173 Satz 1 SGG).

2. Die Beschwerde ist, soweit Leistungen vom 9. Juni 2021, Tag der Antragstellung beim Sozialgericht, bis 30. Juni 2021 begehrt werden, unbegründet, für die Monate Juli bis Oktober 2021 hingegen begründet.

a) Das Gericht kann eine entsprechende Anordnung erlassen, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Ein solcher Nachteil ist (nur) anzunehmen, wenn einerseits dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner - möglicherweise - ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm andererseits nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund).
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert neben-, sondern in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit beziehungsweise Schwere des drohenden Nachteils, dem Anordnungsgrund, zu verringern sind und umgekehrt (vgl. für die st. Rspr. des Hess. LSG: Beschl. v. 29. Juni 2005 - L 7 AS 1/05 ER -, info also 2005, 169; Beschl. v. 7. September 2012 - L 9 AS 410/12 B ER - sowie Beschl. v. 5. September 2018 - L 6 AS 216/18 B ER -; außerdem Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG - Kommentar, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 27 ff.): Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn auf diesen nicht gänzlich verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn also eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind grundrechtliche Belange der Beteiligten, soweit diese durch die Entscheidung berührt werden, umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, info also 2005, 166; Hessisches LSG, Beschluss vom 7. Dezember 2018 – L 6 AS 503/18 B ER –, Rn. 18 - 23, juris).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Sozialgericht zutreffend zunächst das Vorliegen eines Anordnungsgrunds verneint, soweit der Antragsteller vorläufige Leistungen für die Zeit ab der Antragstellung beim Sozialgericht am 9. Juni 2021 bis 30. Juni 2021 begehrt. Daher ist die Beschwerde für diesen Zeitraum unbegründet. 
Zu Recht ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass eine Eilbedürftigkeit für diesen Zeitraum nicht glaubhaft gemacht wurde. Es fehlt aufgrund der Nachzahlung der Beigeladenen von 2.128,79 Euro im Juni 2021 an einer Eilbedürftigkeit, da mit dieser Zahlung der existenzsichernde Bedarf des Antragstellers gedeckt werden konnte. 

c) Die Beschwerde ist jedoch begründet, soweit der Antragsteller vorläufige Leistungen ab Juli 2021 begehrt. Zu Unrecht hat das Sozialgericht das Vorliegen der Voraussetzungen einer auf die vorläufige Gewährung von Arbeitslosengeld II für den streitigen Zeitraum gerichteten einstweiligen Anordnung verneint, die in Form einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu ergehen hat.

Es erscheint als hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsteller gestützt auf §§ 7 ff. SGB II in der Hauptsache erfolgreich einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II wird geltend machen können.

aa) Der 47-jährige Antragsteller hält sich in den Altersgrenzen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 7a SGB II.

bb) Bedenken hinsichtlich seiner Erwerbsfähigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 8 SGB II) bestehen weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht. Dem steht nach derzeitiger Erkenntnis nicht die vorübergehende Arbeitsunfähigkeit des Antragstellers in der Zeit vom 19. Dezember 2019 bis 1. Mai 2020 entgegen, da dieser im November 2020 erneut eine Erwerbstätigkeit aufnahm und dieser bis zum 12. März 2021 nachging.
 
Der Senat geht nach den Erkenntnissen des Eilverfahrens zwar davon aus, dass der Antragsteller die zuletzt ausgeübte Tätigkeit auf ärztlichen Rat und damit unfreiwillig aufgegeben hat. Der Antragsteller hat angegeben schwere Pakete getragen zu haben. Diese Tätigkeit sei auf ärztlichen Rat aufgebeben worden. Der Senat geht aber deshalb nicht von einer Erwerbsunfähigkeit aus, da keine Hinweise ersichtlich sind, dass eine Erwerbsfähigkeit für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten nicht fortbesteht.

cc) Der Senat sieht auch für das einstweilige Rechtsschutzverfahren keinen weiteren Aufklärungsbedarf bezüglich seiner Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. §§ 9 ff. SGB II), sondern hält diese für ausreichend glaubhaft gemacht. 
Der alleinstehende Antragsteller hat einen monatlichen Bedarf von 946 Euro. Dieser setzt sich aus dem Regelbedarf von 446 Euro und den Kosten der Unterkunft von Heizung von 500 Euro zusammen (§ 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Diesen Bedarf kann der Antragsteller mit dem derzeit gewährten Arbeitslosengeld nach dem SGB III nicht vollumfänglich decken, da nur ein Anspruch auf Leistungen in Höhe von 626,10 Euro monatlich besteht.

Vor diesem Hintergrund ist für den Senat nicht ersichtlich, worauf die von dem Antragsgegner und dem Gericht geäußerten Bedenken hinsichtlich der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers beruhen. Es sind keine konkreten Umstände ersichtlich, die eine derzeitige Hilfebedürftigkeit zweifelhaft erscheinen lassen. Der Umstand, dass der Antragsteller (Miet)Schulden tilgte und nicht sofort einen Wohngeldantrag stellte, ist nicht geeignet die Hilfebedürftigkeit in Zweifel zu ziehen. Insbesondere wenn man davon ausgeht, dass der Antragsteller seit Ende des Arbeitsverhältnisses keine weiteren Leistungen bezogen hat, ist es nachvollziehbar, dass er zur Bestreitung des Lebensunterhalts auf Darlehen Dritter angewiesen war.

Auch ist zu berücksichtigen, dass mit dem Bezug von Wohngeld der existenzsichernde Bedarf nicht umfassend sichergestellt werden könnte. Ausgehend von einer durch den Senat durchgeführten Probeberechnung ergäbe sich ein Anspruch von 241 Euro, der nicht bedarfsdeckend wäre, denn 626 Euro Arbeitslosengeld nach dem SGB III zzgl. 241 Euro Wohngeld ergäbe 847 Euro, so dass der Bedarf von 946 Euro nicht vollumfänglich gedeckt werden könnte. Darüber hinaus wurde der Antrag mit Bescheid vom 29. September 2021 abgelehnt.

Nachdem solche pauschalen und damit letztlich von vornherein nicht widerlegbaren Zweifel an der Hilfebedürftigkeit sogar im Hauptsacheverfahren einen Anspruch nicht in Frage stellen könnten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05  , juris, Rn. 30; Hessisches LSG, Beschluss vom 7. Dezember 2018 – L 6 AS 503/18 B ER  , Rn. 29 - 30, juris), hat der Senat keine Bedenken, einen Anordnungsanspruch insoweit als glaubhaft gemacht anzusehen.

dd) Am gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II) in der Bundesrepublik bestehen ebenfalls keine durchgreifenden Zweifel; wie sich aus der zuletzt eingeholten Einwohnermeldeabfrage ergibt, ist der Antragsteller seit 30. Juni 2017 durchgehend unter seiner Anschrift gemeldet. Dies wird für den derzeitigen Zeitraum auch von zwei Nachbarn eidesstattlich versichert. 
Anhaltspunkte dafür, dass die unionsrechtlich und innerstaatlich verbürgte Freizügigkeit des Antragstellers und damit ein zukunftsoffener Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland konkret in Frage stehen könnten, sind nicht ersichtlich. Namentlich bestehen keine Hinweise darauf, dass der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt auf der Grundlage von § 6 Abs. 1 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU festgestellt worden wäre, so dass offenbleiben kann, welche Konsequenzen eine derartige Feststellung für das Grundsicherungsrecht hätte.

ee) Weiter steht dem Anordnungsanspruch nach den Erkenntnissen im Eilverfahren kein Ausschlusstatbestand entgegen; namentlich gilt dies für die Regelung aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 b) SGB II, wonach Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sind. Die Vorschrift ist nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen Prüfung derzeit nicht einschlägig, weil sich der Antragsteller auf die unionsrechtlich durch Art. 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und innerstaatlich durch § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 FreizügigG/EU gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen kann.

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. hierzu m.w.Nw. EuGH, Urteil vom 21. Februar 2013 - C-46/12; RS N. -, juris) ist der Begriff "Arbeitnehmer" im Sinne von Art. 45 AEUV ein autonomer Begriff des Unionsrechts, der nicht eng ausgelegt werden darf (vgl. in diesem Sinne u. a. EuGH, Urteil vom 3. Juli 1986 - 66/85; RS Lawrie-Blum -; Urteil vom 21. Juni 1988 - 197/86; RS Brown -; Urteil vom 26. Februar 1992 - C-3/90; RS Bernini - und Urteil vom 6. November 2003 - C-413/01; RS Ninni-Orasche -). Außerdem ist dieser Begriff anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Juli 1986 - 66/85; RS Lawrie-Blum - und Urteil vom. 6. November 2003 - C-413/01; RS Ninni-Orasche -). Die beschränkte Höhe dieser Vergütung, der Ursprung der Mittel für diese, die stärker oder schwächere Produktivität des Betroffenen oder der Umstand, dass er nur eine geringe Anzahl von Wochenstunden Arbeit leistet, schließen es nicht aus, dass eine Person als "Arbeitnehmer" im Sinne von Art. 45 AEUV anerkannt wird (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urteil vom 3. Juli 1986 - 66/85; RS Lawrie-Blum -; Urteil vom 31. Mai 1989 - 344/87; RS Bettray - und Urteil vom 26. Februar 1992 - C-3/90; RS Bernini -). Allerdings ist für die Qualifizierung als "Arbeitnehmer" erforderlich, dass eine Person eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, die keinen so geringen Umfang hat, dass sie sich als vollständig untergeordnet und unwesentlich darstellt. (vgl. u.a. EuGH, Urteil vom 23. März 1982 - 53/81; RS Levin - und Urteil vom 4. Juni 2009 - C 22/08 u.a.; RS Vatsouras und Koupatantze -). Bei der Prüfung, ob im konkreten Fall eine tatsächliche und echte Tätigkeit vorliegt, muss das entscheidende Gericht objektive Kriterien heranziehen und alle Umstände des Falles, die sich auf die Art sowohl der fraglichen Tätigkeiten als auch des fraglichen Arbeitsverhältnisses beziehen, in ihrer Gesamtheit beurteilen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. November 2003 - C-413/01; RS Ninni-Orasche -) (Hessisches LSG, Beschluss vom 7. Dezember 2018 – L 6 AS 503/18 B ER –, Rn. 32, juris).

Der Antragsteller hat zuletzt eine abhängige Tätigkeit ausgeübt und mit dieser Tätigkeit in den Monaten November 2020 bis März 2021 einen Bruttoverdienst zwischen 805,93 Euro und 1.158,13 Euro monatlich erzielt. Damit ist er aufgrund der erzielten Vergütung unzweifelhaft als Arbeitnehmer im Sinne der oben genannten Grundsätze einzustufen.

Nach den Erkenntnissen des Eilverfahren besteht das Aufenthaltsrecht des Antragstellers auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses über den 12. März 2021 fort. 

Zwar kann sich der Antragsteller nicht auf § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU berufen, wonach die Freizügigkeitsberechtigung bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit unberührt bleibt. Der Antragsteller kann sich nicht auf diese Norm berufen, da er seit seiner Einreise keine Tätigkeit von mehr als einem Jahr ausgeübt hat.
 
Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsteller vom 28. März 2019 bis 15. Februar 2020 in einem Arbeitsverhältnis stand und er in dieser Zeit einen Herzinfarkt erlitt, der zur Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 1. Mai 2020 führt. Auch wenn für den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit die Rechtstellung als Freizügigkeitsberechtigter nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU fortdauert (Oberhäuser, in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage, 2016, § 2 FreizügG/EI, Rn. 34), kann durch den Tatbestand nicht ein Tätigkeitszeitraum von mehr als einem Jahr fingiert werden.
Diese Fiktion der Erwerbstätigeneigenschaft nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU endet zudem, sobald der Unionsbürger erneut eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, d.h. als Arbeitnehmer einer Beschäftigung nachgeht oder wieder selbstständig tätig wird (Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 2 FreizügG/EU, Rn. 109). Eine solche Erwerbtätigkeit nahm der Antragsteller im November 2020 auf. Diese Tätigkeit endete im März 2021 und damit vor Ablauf eines Jahres. 

Der Senat geht nach derzeitigem Kenntnisstand davon aus, dass sich der Antragsteller sich auf § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU berufen können wird. Bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung bleibt gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU das Recht aus § 2 Abs. 1 FreizügG/EU während der Dauer von sechs Monaten unberührt. 

Der Senat ist der Ansicht, dass – nach den Erkenntnissen des Eilverfahrens – diese Voraussetzungen vorliegen. Hierfür sprechen folgende Umstände: Zum einen bezieht der Antragsteller derzeit Arbeitslosengeld nach dem SGB III. Die Beigeladene hat zwar eine Sperrzeit für eine verspätete Arbeitslosenmeldung verhängt, nicht jedoch eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe (§ 159 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). Insoweit wird auf die Akte der Beigeladenen verwiesen. Zum anderen ist für die Bestätigung über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit die Beigeladene zuständig. Nur in Fällen, in denen keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben wurde, ist für das Ausstellen der Bescheinigung das Jobcenter und nicht die Agentur für Arbeit zuständig (Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 2 FreizügG/EU, Rn. 130). Die Beigeladene hat am 19. August 2021 bescheinigt, dass unfreiwillige Arbeitslosigkeit im Hinblick auf die letzte Beschäftigung vorliege (Bl. 166 VA). 

Darüber hinaus ist der Erhalt der Erwerbstätigeneigenschaft an den Nachweis gebunden, dass der Betroffene zur Verfügung steht oder fähig ist zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit und damit zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt binnen angemessener Frist (Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 2 FreizügG/EU, Rn. 130). Aufgrund des Arbeitslosengeldbezuges nach dem SGB III geht der Senat im Rahmen des Eilverfahrens davon aus, dass diese Voraussetzungen aktuell erfüllt sind, so dass die Freizügigkeitsberechtigung des Antragstellers mindestens bis zum 12. September 2021 fortbestanden hat.

Rechtlich nicht abschließend geklärt ist die - hiesige - Konstellation, bei der ein nicht bedarfsdeckender Leistungsanspruch nach dem SGB III gegenüber der Beigeladenen länger besteht als die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU. 
Hier ist beachtlich, dass die Regelung über die Fortgeltung der Arbeitnehmerstellung sowie der Eigenschaft als Selbständiger nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU nicht abschließend ist (Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 2 FreizügG/EU, Rn. 105 unter Verweis auf: EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014, C-507/12, Celex-Nr. 62012CJ0507).
Daher spricht bei europarechtskonformer Auslegung von § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU vieles dafür, dass das Aufenthaltsrecht des Arbeitnehmers unter Zugrundelegung einer angemessenen Frist fortbesteht. Diese angemessene Fortdauer ist unter Heranziehung des Zeitraums des Bezugs von Arbeitslosengeld sowie der Entstehungsgeschichte des Art. 7 Abs. 3 UnionsbürgerRL zu bestimmen (in diesem Sinne: Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 2 FreizügG/EU, Rn. 130). Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass ansonsten der Arbeitnehmer Gefahr läuft, seine versicherungsrechtlichen Ansprüche zu verlieren. Denn sollte sich die Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder einem anderen materiellen Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz aufhalten, kann durch die Ausländerbehörde der Verlust der Freizügigkeitsberechtigung durch Verwaltungsakt festgestellt werden (§ 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU). Nach der förmlichen Verlustfeststellung wird die sofortige Ausreisepflicht begründet (§ 7 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU), so der Versicherungsanspruch gegen die Beigeladene bei Ausreise mangels Verfügbarkeit verloren zu gehen droht. Dieses Ergebnis nicht mit der ständigen Rechtsprechung in Einklang zu bringen, wonach der Zweck der Art. 45 bis 48 AEUV darin besteht, dass Arbeitnehmer der Gemeinschaft, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit nicht verlieren sollen, die ihnen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats sichern (BSG, Urteil vom 09. Oktober 2012 – B 5 R 54/11 R –, SozR 4-2600 § 210 Nr. 4, Rn. 35, juris). Mit Art. 45 AEUV soll nach der Rechtsprechung des EuGH somit insbesondere verhindert werden, dass ein Arbeitnehmer, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und in mehr als einem Mitgliedstaat beschäftigt war, ohne objektiven Grund schlechter gestellt wird als ein Arbeitnehmer, der seine gesamte berufliche Laufbahn in einem einzigen Mitgliedstaat zurückgelegt hat (vgl. EuGH, Urteil vom 7. März 1991, Masgio, C-10/90, EU:C:1991:107, Rn. 17, EuGH, Urteil vom 21. Januar 2016, Kommission/Zypern, C-515/14, EU:C:2016:30, Rn. 42, EuGH, Urteil vom 7. März 2018, DW, C-651/16, EU:C:2018:162, Rn. 23; EuGH, Urteil vom 12. Mai 2021 – C-27/20  , Rn. 32, juris).

Im Hinblick darauf, dass sowohl tatsächlich wie rechtlich offen ist, ob zumindest bis zum 19. Oktober 2021 ein Aufenthaltsrecht des Antragstellers i.S.v. § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU besteht und damit der Leistungsausschluss i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II nicht zu Ungunsten des Antragstellers eingreift, sieht der Senat den Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen an. Es besteht die Möglichkeit, dass die Antragsteller im Hauptsachverfahren zumindest für die oben genannten Teilzeiträume obsiegt.

Im Hinblick auf die Bedeutung der durch den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II betroffenen grundrechtlichen Belange der Antragsteller in Form der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. hierzu BVerfG, Urteile vom 9.  Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 und vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. August 2016 – L 19 AS 1437/16 B ER  , Rn. 30 - 32, juris) hält es der Senat daher für gerechtfertigt, im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers und das Interesse des Antragsgegners an Verhinderung einer rechtswidrigen Mittelvergabe berücksichtigt.

Im Rahmen dieser Abwägung tritt das Vollzugsinteresse der Antragsgegner, bei ungeklärter Rechtslage keine Leistungen an den Antragsteller zu erbringen, hinter den Interessen der Antragsteller zurück, weshalb der Antragsgegner zum vorläufigen Leistungserbringung im tenorierten Umfang verpflichtet wird. Da der Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III am 19. Oktober 2021 endet, übt der Senat sein Ermessen dahingehend aus, dass der vorläufige Leistungsanspruch nur bis Ende Oktober 2021 erstreckt wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Rechtskraft
Aus
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