L 7 AS 177/21 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 19 AS 1419/20 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 177/21 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren setzt im Regelfall mindestens voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtsuchenden (Klägers, Antragstellers, usw.) genannt wird. 

2. Ausnahmen von der Pflicht, die Anschrift zu nennen, können nach den Umständen des Einzelfalls nur anerkannt werden, wenn dem Betroffenen dies aus schwerwiegenden beachtenswerten Gründen unzumutbar ist. Im Hinblick auf den aus Art. 19 Abs. 4 GG fließenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz kann die Pflicht zur Angabe der Anschrift ausnahmsweise bei fehlendem Wohnort wegen Obdachlosigkeit entfallen.

3. Ist der Rechtsuchende tatsächlich nicht obdachlos und nennt er bewusst keine Wohnanschrift, fehlt es an einer im Wesentlichen ungeschriebenen Sachurteilsvoraussetzung und es liegt kein zulässiges prozessualen Begehren vor. 

Bemerkung

verb. mit L 7 AS 179/21 B ER, L 7 AS 226 und 228 und 230/21 B ER

verb. mit S 19 AS 1444/20 ER, S 19 AS 1246/20 ER, S 19 AS 1319/20 ER, S 19 AS 289/21 ER

Die Gesuche des Antragstellers, den Richter am Landessozialgericht C. wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, werden als unzulässig verworfen. 

Die Verfahren L 7 AS 177/21 B ER, L 7 AS 179/21 B ER, L 7 AS 226/21 B ER, L 7 AS 228/21 B ER und L 7 AS 230/21 B ER werden zur gemeinsamen Entscheidung (§ 113 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) verbunden. Es führt das Verfahren mit dem Aktenzeichen L 7 AS 177/21 B ER

Die Beschwerden des Antragstellers gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. Januar 2021 bzw. 18. März 2021 bzw. 21. April 2021 werden als unzulässig verworfen. 

Gründe

I.

Mit insgesamt fünf Beschlüssen vom 20. Januar 2021 bzw. 18. März 2021 bzw. 21. April 2021 wies das Sozialgericht Frankfurt am Main Anträge des Antragstellers auf einstweiligen Rechtsschutz in den Verfahren S 19 AS 1419/20 ER, S 19 AS 1444/20 ER, S 19 AS 1246/20 ER, S 19 AS 1319/20 ER und S 19 AS 289/21 ER ab. 

Der Antragsteller legte am 6. April 2021 bzw. am 3. Mai 2021 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Beschwerde gegen diese Beschlüsse ein. Dabei gab er in den Beschwerden gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. Januar 2021 (L 7 AS 177/21 B ER und L 7 AS 179/21 B ER) seine Postadresse, D-Straße in A-Stadt, unter der er vom 30. Januar bis 29. Juli 2020 amtlich gemeldet und erreichbar war, an. In den übrigen Beschwerden gab er lediglich sein Postfach, xxx1 in A-Stadt, an. Mit Schreiben vom 6. Mai 2021 wurde der Antragsteller in den Verfahren L 7 AL 177/21 B ER und L 7 AS 179/21 B ER vom Gericht darauf hingewiesen, dass sein Rechtsschutzbegehren neben seinem Namen auch seine aktuelle Anschrift, unter der er geladen werden könne, enthalten müsse. Die Angabe seiner ehemaligen Adresse, unter der er nicht mehr gemeldet und unter der er nicht mehr erreichbar sei, sei dafür genausowenig wie die Angabe eines Postfachs ausreichend. Er werde deshalb aufgefordert, bis zum 15. Juni 2021 eine aktuelle Anschrift, unter der er geladen werden könnte, mitzuteilen. Andernfalls könne sein Rechtsschutzbegehren als unzulässig verworfen werden. In den übrigen Verfahren wurde der Antragsteller mit Schreiben vom 6. Mai 2021 darauf hingewiesen, dass sein Rechtsschutzbegehren neben seinem Namen auch seine aktuelle Anschrift, unter der er geladen werden könne, enthalten müsse und dafür die Angabe seines Postfachs nicht ausreichend sei. Er werde deshalb aufgefordert, bis zum 15. Juni 2021 eine aktuelle Anschrift, unter der er geladen werden könnte, mitzuteilen. Andernfalls könne sein Rechtsschutzbegehren als unzulässig verworfen werden. Diese Schreiben wurden dem Antragsteller jeweils öffentlich zugestellt und zusätzlich mit einfacher Post an das von ihm angegebene Postfach geschickt. Mit Schreiben ohne Datum, beim Hessischen Landessozialgericht am 27. Mai 2021 eingegangen, lehnte der Antragsteller den Richter am Landessozialgericht C. jeweils unter Bezugnahme auf die Hinweisschreiben des Gerichts, die er als Anlage vorlegte, wegen Besorgnis der Befangenheit ab und verwies zur Begründung weiter darauf, dass diese Anhänge ein Drohen mit einer Rechtsbeugung darstellten. Im Übrigen verweise er darauf, dass der Gesetzgeber die Klagebefugnis von Obdachlosen ausdrücklich bejaht habe und dass bei fehlendem Wohnort - etwa bei Obdachlosigkeit - die Pflicht zur Angabe einer Anschrift entfalle. 

In den Verfahren L 7 AS 177/21 B ER und L 7 AS 179/21 B ER lehnte der Antragsteller mit Schriftsatz ohne Datum, eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht am 2. Juni 2021, den Richter am Landessozialgericht C. erneut wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung führte der Antragsteller an, dass dessen Beschluss im Eilverfaren in derselben Sache den Straftatbestand der Rechtsbeugung darstelle. Im Übrigen könne der Richter am Landessozialgericht C. nicht zeitgleich als Lehrer an der Universität, Datenschutzbeaufragter der Hessischen Justiz und Richter tätig sein. 

Mit Schreiben vom 2. Juni 2021 wurde der Antragsteller in den Verfahren L 7 AL 177/21 B ER und L 7 AS 179/21 B ER erneut vom Gericht darauf hingewiesen, dass er seine aktuelle Anschrift mitzuteilen habe. Unter der angegebenen Adresse D-Straße in A Stadt sei er seit dem 29. Juli 2020 nicht mehr gemeldet. In den Verfahren L 7 AS 177/21 B ER und L 7 AS 179/21 B ER lehnte der Antragsteller mit Schriftsatz ohne Datum, eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht am 11. Juni 2021, den Richter am Landessozialgericht C. nochmals wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung führte der Antragsteller unter Bezugnahme auf die Hinweisschreiben des Gerichts vom 2. Juni 2021, die er als Anlage vorlegte, an, dass diese Anhänge ein Drohen mit einer Rechtsbeugung darstellten und dass gerichtsbekannt sei, dass der Antragsteller obdachlos sei.

II.

Der Senat konnte über die Beschwerden unter Mitwirkung des wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnten Richters am Landessozialgericht C. in der Sache entscheiden, da das Ablehnungsgesuch unzulässig ist.

Nach § 60 Abs. 1 SGG, § 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es darauf an, ob für einen Verfahrensbeteiligten berechtigter Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters bei vernünftiger Würdigung aller Umstände besteht (allg. Auff., vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Mai 2017 - 2 BvR 865/17 -; BVerfG, Beschluss vom 5. April 1990 - 2 BvR 413/88 - BVerfGE 82, 30, 38; BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 1986 - 1 BvR 713/83 u. a. - BVerfGE 73, 330, 335 ; BSG, Beschluss vom 1. März 1993 - 12 RK 45/92 - NJW 1993, 2261; BSG, Beschluss vom 31. Juli 1985 - SozR 1500 § 60 Nr. 3 -; Keller in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 60 Rn. 7 m. w. N.). In der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte und des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass rechtsmissbräuchliche oder gänzlich untaugliche Ablehnungsgesuche ausnahmsweise im vereinfachten Ablehnungsverfahren behandelt werden können, wenn für die Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Dies ist der Fall, wenn das Gericht einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts für sachfremde Zwecke verhindern will oder lediglich eine bloße Formalentscheidung über ein offensichtlich unzulässiges Gesuch trifft, die keinerlei Beurteilung des eigenen Verhaltens durch die entscheidenden Richter und kein Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erfordert (vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 29. Juni 2017   1 BvR 1081/17 -; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 11. März 2013 - 1 BvR 2853/11 - NJW 2013, 1665; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 20. Juli 2007 - 1 BvR 2228/06 - NJW 2007, 3771; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 2. Mai 2006 – 1 BvR 698/06 - NJW 2006, 924; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 3. März 1966 - 2 BvE 2/64; BSG, Beschluss vom 31. August 2015 – B 9 V 26/15 B -; BSG, Beschluss vom 19. Januar 2010 - B 11 AL 13/09 C - SozR 4-1500 § 60 Nr. 7; BVerwG, Beschluss vom 14. November 2012 - 2 KSt 1/11 - NVwZ 2013, 225; BFH, Beschluss vom 25. August 2009 - V S 10/07 - BFHE 226, 109; BAG, Beschluss vom 20. April 2016 – 7 ABN 55/15 -; Keller in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 12. Aufl. 2017, § 60 Rn. 10d m. w. N.). Rechtsmissbrauch wird etwa angenommen, wenn verfahrenswidrige Zwecke verfolgt werden, z. B. um Richter, die eine missliebige Rechtsansicht vertreten, auszuschalten (vgl. Bayer. LSG, Beschluss vom 1. Februar 2001 - L 5 AR 9/01 RA - m. w. N.; Keller s. o. § 60 Rn. 10c m. w. N.). Offensichtlich ungeeignet ist ein Ablehnungsantrag, wenn keinerlei substantiierte Tatsachen vorgetragen werden (BVerwG, Beschluss vom 7. August 1997 - 11 B 18/97 - NJW 1997, 3327), das Gesuch entweder überhaupt nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 1975 - VI C 129.74 - BVerwGE 50, 36) oder nur mit solchen Umständen begründet wird, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 1 BvR 1273/07 - NVwZ-RR 2008, 289), das Gesuch ausschließlich mit der Mitwirkung des abgelehnten Richters an einer Vor- oder Zwischenentscheidung (BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 11. März 2013 s. o.) oder an einem Verfahren über rechtlich gleich gelagerte Streitfragen begründet wird (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 2. Mai 2006 s. o.). Auch auf den bloßen Vorwurf der falschen Rechtsanwendung ohne Hinzutreten besonderer Umstände kann ein Ablehnungsgesuch in zulässiger Weise nicht gestützt werden (BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 6. Mai 2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr. 11). Unter keinen Umständen ist schließlich die Besorgnis der Befangenheit begründet, wenn lediglich eine für den Betroffenen ungünstige Rechtsansicht des Richters beanstandet wird, ohne dass Gründe dargetan werden, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters beruht (BFH, Beschluss vom 16. Januar 2007 - VII S 23/06 (PKH); Keller s.o. § 60 Rn. 10b m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze konnte der Senat unter Mitwirkung des abgelehnten Richters eine Entscheidung in der Sache treffen, da unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ein erfolgversprechendes Befangenheitsgesuch des Antragstellers vorliegt. Denn der Vortrag des Antragstellers ist völlig ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters zu begründen. Das Befangenheitsgesuch wird im Wesentlichen mit der an ihn ergangenen Aufforderung, in den Verfahren eine ladungsfähige Adresse anzugeben, begründet und darauf hingewiesen, dass eine Verpflichtung zur Angabe einer Adresse bei Obdachlosen nicht bestehe und dass der Richter am Landessozialgericht C. durch diese Aufforderung mit einer Rechtsbeugung drohe. In den Verfahren L 7 AS 177/21 B ER und § 179/21 B ER wird zusätzlich angeführt, ein Beschluss dieses Richters den Straftatbestand der Rechtsbeugung erfülle. Auf den bloßen Vorwurf der falschen Rechtsanwendung ohne Hinzutreten besonderer Umstände kann ein Ablehnungsgesuch in zulässiger Weise jedoch nicht gestützt werden. Derartige besondere Umstände hat der Antragsteller nicht dargetan und sie sind auch sonst nicht erkennbar. Auch der Hinweis, dass der Richter am Landessozialgericht C. nicht zeitgleich als Lehrer an der Universität, Datenschutzbeaufragter der Hessischen Justiz und als Richter tätig sein könne, begründet keine solchen besonderen Umstände. Der Vortrag des Antragstellers ist daher von vornherein ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.

Die Beschwerden des Antragstellers gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. Januar 2021 bzw. 18. März 2021 bzw. 21. April 2021 sind unzulässig. 

Es fehlt bereits an einem formal-ordnungsgemäßen prozessualen Begehren, da der der Antragsteller in seiner Korrespondenz mit dem Senat bewusst keine Wohnanschrift genannt hat und nennt. An dieser im Wesentlichen ungeschriebenen weiteren Sachurteilsvoraussetzung fehlt es in den vorliegenden Fällen. 

Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren setzt im Regelfall mindestens voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtsuchenden (Klägers, Antragstellers, usw.) genannt wird (Bundessozialgericht, Beschluss vom 18. November 2003, B 1 KR 1/02 S, Juris, Rdnr. 4 m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur, so auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. November 2019, L 31 AS 2127/18, Juris, Rdnr. 11; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 2. August 2017, L 9 AL 212/14, Juris, Rdnrn. 43 ff.; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 9. Juni 23016, L 7 SO 46/19/15, Juris, Rdnr. 20; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 24. April 2012, L 8 SO 182/11, Juris, Rdnr. 27). 

Auch in dem sich allgemein durch Bürgerfreundlichkeit und fehlende Formenstrenge auszeichnenden sozialgerichtlichen Verfahren ist es in mehrfacher Hinsicht geboten, §§ 90, 92 SGG nach ihrem Sinn und Zweck so auszulegen, dass sie den Rechtsuchenden zumindest dazu verpflichten, eine Anschrift zu nennen (BSG, a.a.O., Rdnr. 5). Der Angabe des Wohnsitzes bzw. Aufenthalts- oder Beschäftigungsortes des Rechtsuchenden bedarf es hier - ähnlich wie in anderen Gerichtszweigen - bereits, um die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nach § 57 Abs. 1 bis 3 SGG (bzw. nach Sonderregelungen in den einzelnen Sozialleistungsbereichen) feststellen zu können und damit ein Tätigwerden des zuständigen „gesetzlichen Richters“ iS von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) zu gewährleisten (BSG, a.a.O., Rdnr. 5). Da im Sozialgerichtsverfahren die örtliche Zuständigkeit nicht disponibel ist (vgl. § 59 SGG), diese Zuständigkeit umstritten sein kann, liegt auch hier das Bedürfnis nach Offenlegung einer Anschrift auf der Hand (BSG, a.a.O., Rdnr. 5). In gleicher Weise ist das Anschriftenerfordernis unumgänglich, um die rechtswirksame Zustellung gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen bewirken zu können (vgl. § 63 Abs. 2 SGG iVm §§ 166 ff. ZPO, siehe BSG, a.a.O., Rdnr. 5). Dass auf das verfahrensrechtliche Mittel einer öffentlichen Zustellung wegen unbekannten Aufenthalts des Betroffenen (§ 185 Nr. 1 ZPO) zurückgegriffen werden könnte, steht dem nicht entgegen (BSG, a.a.O., Rdnr. 5). Diese Zustellungsart kommt nach ihren strengen Voraussetzungen wegen der Gefahr der möglichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur in atypischen Ausnahmefällen in Betracht; als Regelzustellung bei planmäßigem, nicht gerechtfertigtem Schweigen eines Betroffenen über seinen Aufenthalt ist sie nicht vorgesehen (BSG, a.a.O., Rdnr. 5). 

Gleichermaßen erfordert der Schutz des Rechtsuchenden die Offenlegung der Anschrift zu seiner einwandfreien Identifizierung (BSG, a.a.O., Rdnr. 6). So muss im gerichtlichen Verfahren feststehen, dass es sich bei einem zur Erlangung von Rechtsschutz eingereichten Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es dem Spruchkörper mit Wissen und Willen eines identifizierbaren Berechtigten zur Entscheidungsfindung im konkreten Fall zugeleitet worden ist, entsprechen zu können, sind handhabbare und sichere Kommunikationswege mit einer zustellungsfähigen Anschrift des Betroffenen unverzichtbar (BSG, a.a.O., Rdnr. 6). Denn der nach Art. 19 Abs. 4 GG garantierte Rechtsschutz dient keinem Selbstzweck, sondern soll sicherstellen, dass der Betroffene mit gerichtlicher Hilfe die ihm zustehenden Ansprüche durchsetzen bzw. rechtswidrige Eingriffe abwehren kann (BSG, a.a.O., Rdnr. 6). Mit der Einleitung eines sozialgerichtlichen Verfahrens begibt sich der Rechtsuchende in eine Rolle, die trotz des hier geltenden Amtsermittlungsprinzips regelmäßig ein Mindestmaß an aktiver Mitwirkung erfordert (vgl. § 103 Satz 1 Halbsatz 2, § 106 Abs. 1, § 111 Abs. 1 SGG); dies ist ohne sichere, auch für den Prozessgegner transparente Kommunikationsmöglichkeiten mit ihm (vgl. § 128 Abs. 2 SGG) nicht gewährleistet (BSG, a.a.O., Rdnr. 6). 

Schließlich sprechen Gründe des Kostenrechts für das Erfordernis, dem Gericht eine Anschrift zu nennen (BSG, a.a.O., Rdnr. 7). Das sozialgerichtliche Verfahren ist zwar für eine natürliche Person grundsätzlich kostenfrei und in der Regel auch nicht mit der Pflicht zur Erstattung außergerichtlicher Kosten des Prozessgegners verbunden (vgl. §§ 183, 184 SGG in der ab 2. Januar 2002 geltenden Fassung des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17. August 2001 - BGBl I S 2144 (BSG, a.a.O., Rdnr. 7). Als Ausnahme vom Grundsatz der Kostenfreiheit können jedoch nach § 192 SGG einem uneinsichtigen Rechtsuchenden die durch das Betreiben eines aussichtslosen Rechtsstreits entstandenen Kosten ganz oder teilweise auferlegt werden (BSG, a.a.O., Rdnr. 7). Dieses Mittel liefe leer, wenn die Vollstreckung der auf dieser Grundlage festgesetzten Kosten gefährdet wäre, nur weil der Rechtsuchende sich durch bloßes Verschweigern seiner Anschrift der Durchsetzung einer ihn treffenden Kostenlast entziehen könnte (BSG, a.a.O., Rdnr. 7). 

Ausnahmen von der Pflicht, die Anschrift zu nennen, können nach den Umständen des Einzelfalls nur anerkannt werden, wenn dem Betroffenen dies aus schwerwiegenden beachtenswerten Gründen unzumutbar ist (BSG, a.a.O., Rdnr. 8). Im Hinblick auf den aus Art. 19 Abs. 4 GG fließenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz kann die Pflicht zur Angabe der Anschrift ausnahmsweise bei fehlendem Wohnort wegen Obdachlosigkeit entfallen (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. Februar 2012, 9 B 79/11 u.a., Juris, Rdnr. 11 m.w.N.). 

Der Antragsteller verweist zwar darauf, dass die Klagebefugnis eines Obdachlosen bestehe und in diesem Ausnahmefall die Pflicht, dass eine ladungsfähige Adresse genannt werden müsse, entfalle. Der Antragsteller ist jedoch nicht obdachlos. Aus anderen Verfahren ist dem Gericht vielmehr bekannt, dass der Antragsteller regelmäßig in Hotels übernachtet. Beispielsweise hat der Antragsteller in den Berufungsverfahren L 7 AL 43/20, L 7 AS 190/20, L 7 AS 45/20 und L 7 AS 46/20 am 29. März 2021 ein Formular über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht und darin den monatlichen Bezug von Arbeitslosengeld von 1.176 Euro und zugleich monatliche Hotelkosten von ca. 1.000 Euro angegeben. Auch aus den Verwaltungsakten des Antragsgegners, von dem der Antragsteller immer wieder Leistungen nach dem SGB II bezogen hat, ist bekannt, dass der Antragssteller immer wieder in Hotels in A-Stadt übernachtet und die entsprechenden Kosten als Kosten der Unterkunft und Heizung beim Antragsgegner geltend macht. Da der Antragsteller auch immer wieder Arbeitsstellen wahrnimmt und dauerhaft eine Vielzahl von Verfahren vor den verschiedensten Gerichten betreibt, in denen er eine Vielzahl von computergeschriebenen Schriftsätzen einreicht, ist ausgeschlossen, dass der Antragsteller obdachlos ist und auf der Straße lebt und deswegen daran gehindert ist, eine Adresse anzugeben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Antragsteller - aus welchen Gründen auch immer - dem Senat bewusst keine Wohnanschrift nennt. 

Die Kostenentscheidung ergibt sich in analoger Anwendung vom § 193 SGG

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Rechtskraft
Aus
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