Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 30. Januar 2019 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und um die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen.
Der 1958 geborene Kläger wurde am 05.09.2004 Opfer einer Gewalttat: Der Täter trat dem Kläger im Bereich einer Rolltreppe zum Aufgang der x-Ebene im Hauptbahnhof C-Stadt mit dem beschuhten Fuß in das Gesicht, worauf der Kläger rückwärts die Rolltreppe hinunterfiel. Infolge des Tritts erlitt der Kläger einen Unterkieferbruch und infolge des Sturzes multiple Schürfwunden. Die Unterkieferfraktur musste operativ versorgt werden; infolgedessen befand sich der Kläger in der Zeit vom 07.09.2004 bis zum 10.09.2004 in stationärer Behandlung im St. Markus-Krankenhaus. Das Amtsgericht Frankfurt am Main verurteilte den Täter mit Urteil vom 22.08.2006 wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen (Az. 997 Ds 111 Js 4501/04). Der Täter begründete die Tat damit, er habe vermutet, dass der Kläger, der tatsächlich einen Schlüssel in seiner Socke zurechtgerückt hatte, seiner Freundin unter den Rock habe schauen wollen.
Am 05.07.2007 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem OEG und machte geltend, dass er fortlaufend Beschwerden infolge des Kieferbruchs habe; der Kiefer lasse sich nur teilweise öffnen, er empfinde ein Taubheitsgefühl und verspüre Krämpfe beim Gähnen. Der Beklagte zog die Strafakte (997 Ds 111 Js 4501/04) sowie Befundberichte des Oralchirurgen Dr. D. und des Orthopäden Dr. E. bei. Ergänzend legte der Kläger Ende 2008 ein Attest der Zahnärztin Dr. F. vom 14.05.2008 sowie eine Aufstellung über seine aktuellen Beschwerden (u.a.: Doppel-Sehen; Bl. 63 der VerwA) vor.
Nach Einholung einer HNO-ärztlichen Stellungnahme des versorgungsmedizinischen Beratungsarztes Dr. G. vom 27.01.2009 zog der Beklagte einen augenärztlichen Befundbericht des Dr. H. vom 29.11.2007, einen ausführlichen Bericht der behandelnden Zahnärztin Dr. F. vom 30.04.2009 sowie eine aktuelle MRT-Aufnahme des Kiefers vom 30.05.2009 bei und beauftragte Prof. Dr. Dr. J. mit einer kieferchirurgischen Begutachtung. Dieser bestätigte im Gutachten vom 22.06.2011 eine Mundöffnungseinschränkung nach Kieferwinkelfraktur und Kronenfraktur (Zahn 42) mit Hypästhesien im Bereich des Nervus mentalis links sowie Okklusionsstörungen und Kieferknacken. Nach Beiziehung eines weiteren Befundberichtes des Zahnarztes K. vom 27.02.2012 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 04.05.2012 fest, dass der Kläger durch die Gewalttat am 05.09.2004 eine gesundheitliche Schädigung im Sinne des § 1 OEG erlitten habe. Als Folge der Schädigung werde ab 01.07.2007 anerkannt:
Kraniomandibuläre Dysfunktion, Verlust des Zahns 38, Schädigung des Zahns 42, Sensibilitätsstörung im Unterkieferbereich links nach operativer eingerichteter Unterkieferfraktur auf der linken Seite
Ein Grad der Schädigung (GdS) in rentenberechtigender Höhe von mindestens 25 v.H. läge jedoch nicht vor. Schädigungsfolgen im Bereich des linken Knies, der Wirbelsäule, des Ellenbogens und der Augen (Doppel-Sehen) hätten nicht festgestellt werden können. Ausweislich der vorangegangenen versorgungsmedizinischen Stellungnahme des Dr. G. vom 03.05.2012 wurde die anerkannte Schädigungsfolge mit einem GdS in Höhe von 20 bewertet.
Der Kläger erhob am 23.05.2012 Widerspruch und verwies auf das psychotherapeutische Attest des Dipl.-Psych. L. vom 23.07.2012. Danach sei der Kläger seit 2009 aufgrund eines anhaltenden depressiven Syndroms, Panikattacken, starker Somatisierung u.a. in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung. Der Kläger habe infolge der Gewalttat vom 05.09.2004 eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickelt. Ergänzend legte der Kläger einen Reha-Entlassungsbericht der AHG Klinik Berus - Europäisches Zentrum für Psychosomatik und Verhaltensmedizin vom 07.06.2011 vor. Außerdem verwies der Kläger auf eine Stellungnahme des Pfarrers M. vom 15.11.2012; dieser bestätige, dass er bereits unmittelbar nach der Gewalttat von Schlafstörungen, Angstzuständen und Depressionen berichtet habe.
Der Beklagte beauftragte Dr. N. vom versorgungsmedizinischen Dienst mit der Erstellung eines Gutachtens. In ihrem nervenärztlichen Gutachten vom 07.11.2012 gelangte Dr. N. zu der Einschätzung, dass der von den behandelnden Psychotherapeuten gestellten Diagnose „PTBS“ nicht zugstimmt werden könne. Das A-2-Kriterium sei nicht erfüllt, da der Kläger unmittelbar nach dem Tatgeschehen vernünftig und besonnen habe reagieren können. Auch das C-Kriterium sei besonders im Hinblick auf die Einschränkung der allgemeinen Reagibilität nicht ausreichend erfüllt. Der Kläger habe bereits drei Wochen nach dem Tatgeschehen seine berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen können, an seinen Beziehungen zu Freunden und Bekannten habe sich nichts Wesentliches geändert, ein Gefühl der Losgelöstheit und Entfremdung von anderen sei nicht zu erfragen gewesen. Im Rahmen der Begutachtung seien zwar anfangs eine hohe Anspannung und Ängstlichkeit zu beobachten gewesen, diese habe aber unabhängig von der Thematik des Tatgeschehens bestanden und habe sich im Laufe des längeren Gespräches, auch über Einzelheiten des Tatvorganges, gebessert. Damit sei auch das C-Kriterium nicht ausreichend erfüllt. Ein relevantes seelisches Beschwerdebild habe sich erst durch das Hinzutreten der beruflichen Konflikte, die sich gleichfalls etwa ab 2004 über Jahre progedient entwickelten hätten, manifestiert, was auch erkläre, dass der Kläger erst nach fünf Jahren eine Psychotherapie aufgenommen habe. Es werde also dem Nachschaden eine wesentliche Bedeutung in der Verursachung des heutigen Beschwerdebildes zugewiesen. Nach Auswertung weiterer Befundberichte des Hausarztes Dr. O. vom 29.11.2012, des Augenarztes Dr. H. vom 28.11.2012 und des Neurologen Dr. P. vom 03.12.2012 führte Dr. N. in einer ergänzenden nervenärztlichen Stellungnahme vom 18.12.2012 aus, dass sich ein relevantes seelisches Beschwerdebild erst durch das Hinzutreten beruflicher Konflikte etwa fünf Jahre nach dem Tatgeschehen manifestiert habe und dann auch zu einer ambulanten Psychotherapie (2009) und einer stationären psychosomatischen Reha-Maßnahme (2011) geführt habe. Brückensymptome zwischen 2004 und 2009 seien nicht ausreichend nachgewiesen. Auch aus der Schwerbehindertenakte gehe hervor, dass seelische Beschwerden erstmals mit Änderungsantrag vom 27.06.2010 geltend gemacht worden seien. Schädigungsfolgen auf nervenärztlichem Gebiet seien nicht feststellbar. Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 07.01.2013 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 30.01.2013 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben und ergänzend einen Entlassungsbericht des St. Elisabethenkrankenhauses Frankfurt vom 07.07.2009 (Schlaflabor) vorgelegt; dort ist als Ursache einer sekundären Insomie (Schlafstörung) eine „PTBS oder Depression eventuell in Verbindung mit einer Angststörung“ genannt worden.
Das Sozialgericht hat im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen Nachweise über die Arbeitsunfähigkeitszeiten im Zeitraum 2004 bis 2009 der zuständigen Krankenkasse sowie die Schwerbehindertenakte des Beklagten beigezogen. Das Versorgungsamt hat zuletzt mit (Neufeststellungs-)Bescheid vom 02.12.2013 einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 festgestellt und dabei folgende Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigt: Schädigungsfolge lt. Bescheid nach dem Sozialen Entschädigungsrechts vom 04.05.2012 (20), Depressive Störung (30), Funktionsstörung der Wirbelsäule mit Ausstrahlung (20), Funktionsstörung im Fuß (links) (20), Gynäkomastie (10), Schulterfunktionsstörung (links) (10). Der Psychologe L. hatte im Rahmen des Schwerbehindertenverfahrens am 27.08.2010 einen Befundbericht vorgelegt; danach habe der Kläger unter einem schweren anhaltenden depressiven Syndrom mit Angstsymptomatik und Panikattacken sowie starker Somatisierung gelitten; eine Diagnose „PTBS“ wurde in diesem Befundbericht nicht genannt (Bl. 130 der Schwerbehindertenakte). Außerdem hat das Sozialgericht weitere Befundberichte der Zahnärztin Dr. F. vom 10.09.2014 nebst Anlagen und des Hausarztes O. vom 24.10.2014 beigezogen. Der Beklagte hat weitere Stellungnahmen des versorgungsmedizinischen Dienstes (Dr. G. vom 05.01.2015 und Dr. Q. vom 14.12.2014) vorgelegt und eine oralchirurgische Begutachtung angeregt.
Das Sozialgericht hat sodann ein mund-, kiefer- und gesichtschirurgisches Gutachten bei Dr. R. eingeholt. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 13.04.2016 zu der Einschätzung gelangt, dass die Unterkieferfraktur von 2004 vollständig ausgeheilt sei. Es liege jedoch eine schwere Myoarthropathie (Funktionsstörung der Kaumuskeln und des Kiefergelenkes) vor. Ein Kausalzusammenhang mit der Unterkieferfraktur sei unwahrscheinlich; wahrscheinlich sei die Myoarthropathie die Folge einer inadäquaten Stressverarbeitung, psychosomatischer oder psychischer Störungen. Die unmittelbaren Folgen der Fraktur und der Sensibilitätsstörung seien mit einem GdS von 10 zu bewerten. Die Gewichtung der psychischen Komponente der Verarbeitung der Tätlichkeit vom 05.09.2004 im Vergleich zu sonstigen Belastungen bezüglich der psychischen Ursachen der Myoarthropathie könnten nur im Rahmen eines psychiatrischen Gutachtens geklärt werden.
Das Sozialgericht hat daraufhin ein neuropsychiatrisches Gutachten bei Prof. Dr. S. eingeholt. Prof. Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 25.08.2016 ausgeführt, dass anzuerkennende Schädigungsfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet nicht vorlägen. Bei dem Kläger liege ein genereller Leistungsabfall mit Konzentrationsstörungen und Einengung des sozialen Umfeldes vor, ferner Kränkung am Arbeitsplatz sowie phobische Ängste vor Rolltreppen. Insgesamt bestehe eine Verbitterung, die jedoch nicht gemäß ICD 10 kodierbar sei. Zwar könne die Angst vor Rolltreppen auf das schädigende Ereignis zurückgeführt, ein GdS könne insoweit jedoch nicht festgestellt werden. Mangels Vorliegen des A-Kriteriums (Ereignis katastrophalen Ausmaßes wie Lagerhaft, Folter oder außergewöhnliche Bedrohung) liege eine PTBS aber nicht vor. In einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 22.11.2016 hat der Sachverständige Prof. S. zu dem vom Kläger ergänzend vorgelegten Reha-Entlassungsbericht der Klinik Berus vom 27.09.2016 (Diagnose u.a. PTBS) ausgeführt: Der Reha-Bericht lasse erkennen, dass das hier traumatische Ereignis eine sehr marginale Beachtung finde. Der Schwerpunkt liege in der Arbeitsplatzsituation und dem dysfunktionellen Persönlichkeitsrepertoire des Klägers. Die seitens der Reha-Klinik (zu Recht) angewandte PTS-Skala bilde lediglich die subjektive Sichtweise des Klägers ab. Er schildere seine Erinnerungen an das traumatische Ereignis, jedoch keine Intrusionen im engeren Sinne.
Das Sozialgericht hat außerdem ein augenärztliches Gutachten bei Dr. T. eingeholt. Die Sachverständige gelangt in ihrem Gutachten vom 13.12.2017 zu der Einschätzung, dass die vom Kläger beschriebenen Doppelbilder nicht kausal auf das schädigende Ereignis zurückgeführt werden könnten, sondern durch Augentrockenheit zu erklären seien.
Der Kläger – seit dem 01.07.2017 im „Vorruhestand“ (Altersteilzeit) - ist weiterhin der Auffassung gewesen, dass sein gesamtes psychisches Beschwerdebild auf die Gewalttat zurückzuführen sei. Er hat hierzu im Anschluss an die Begutachtungen neue Atteste seines Hausarztes Dr. O. vom 22.05.2017 und seines Psychotherapeuten Dipl.-Psych U. vom 22.04.2017 vorgelegt: Dr. O. hat darauf verwiesen, dass es erst nach der Gewalttat zu den Störungen im privaten und beruflichen Umfeld des Klägers gekommen sei; Beschwerden wie Schlafstörungen, Schweißausbrüche, Palpationen, Stuhlgangunregelmäßigkeiten, Bauchschmerzen seien nachweislich aktenkundig bereits seit dem Jahr 2004 aufgetreten. Der Dipl.-Psych. L. hat erneut eine PTBS bescheinigt; es sei auch psychologisch erklärbar, warum der Kläger erst so spät die Therapie begonnen habe; er habe es zunächst allein schaffen wollen. Im August 2018 habe er wegen eines extremen Flashbacks notfallmäßig ins Waldkrankenhaus Köppern eingeliefert werden müssen. Es habe eine akute Suizidgefahr bestanden. Nunmehr bemühe er sich um eine stationäre Behandlung in der Klinik Hohe Mark.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat die Klage mit Urteil vom 30.01.2019 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Auch die im Klageverfahren durchgeführten weiteren Ermittlungen führten nicht zu einem für den Kläger positiven Ergebnis. Die vorliegende psychische Störung und die Doppelbilder seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die angeschuldigte Gewalttat zurückzuführen. Dies beruhe auf folgenden Gesichtspunkten: Der Kläger habe erstmals im Widerspruchsverfahren im Mai 2012 eine psychische Störung als Folge der Gewalttat geltend gemacht. Weder in seinem Entschädigungsantrag im August 2007, der ohnehin erst drei Jahre nach der Tat gestellt worden sei, habe er entsprechende Beschwerden erwähnt noch ergäben sich bis 2010 - trotz diverser ausführlicher Neufeststellungsanträge und Widersprüche seitens des Klägers im Schwerbehindertenverfahren - Hinweise auf psychische Beschwerden. In Gesamtwürdigung der medizinischen Unterlagen gelinge der Nachweis einer relevanten seelischen Störung zur Überzeugung der Kammer erst mit Beginn der Behandlung bei dem Dipl.-Psych. L. im November 2009. Die gelte ungeachtet des Umstandes, dass dieser Therapeut darauf verweise, dass der Kläger seine seelischen Beschwerden zunächst einmal selbst habe versuchen wollen „in den Griff zu bekommen“. Auch der Hausarzt habe zunächst keine psychischen Auffälligkeiten beschrieben und erst später festgestellt, dass der Kläger seine psychischen Beschwerden indirekt ausgelebt habe, nämlich durch vermehrte grippale Infekte. Der Kläger habe das Vorliegen von Art und Ausmaß der geltend gemachten Gesundheitsstörungen nachzuweisen und wenn dieser Nachweis nicht bzw. nicht früher gelinge, habe er die Folgen der Nichterweislichkeit zu tragen. Hieraus folge, dass zwischen der Gewalttat in 2004 und der Feststellung eines psychischen Beschwerdebildes im November 2009 immerhin fünf Jahre gelegen hätten, eine Zeit, in der der Kläger nach eigenen Angaben gravierenden Problemen am Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen sei in Form von technischen Veränderungen ohne konkrete Einarbeitung, Konflikte mit Vorgesetzten und Kollegen, von Demütigungen und Beschuldigungen, mithin eine Mobbingsituation, die sich nach seinen eigenen Angaben im Laufe der Jahre noch weiter zugespitzt habe. Dies ergebe sich eindrucksvoll aus den Reha-Entlassungsberichten der AHG Berus Klinik vom 07.06.2011 und 27.09.2016 sowie aus dem Gutachten der Frau Dr. N. Während im Entlassungsbericht der ersten Reha-Maßnahme in 2011 die streitbefangene Gewalttat nicht einmal Erwähnung finde, werde in dem Bericht aus 2016 festgestellt, dass sich vor dem Hintergrund einer rezidivierenden depressiven Störung, einer Persönlichkeit mit histrionischen Anteilen, mit hohem Gerechtigkeitssinn, ausgeprägtem Pflichtbewusstsein und Gewissenhaftigkeit sowie höhere Grundanspannung aufgrund zahlreicher beruflicher und privater Belastungen erneut eine depressive Episode entwickelt habe. Auslöser und Symptome seien Situationen, in denen er (der Kläger) sich durch Vorgesetzte und Kollegen nicht wertgeschätzt und ungerecht behandelt fühle. Dagegen lasse sich zur Überzeugung der Kammer eine PTBS nicht nachweisen. Dies ergebe sich übereinstimmend aus den vorliegenden Gutachten, wonach die nach DSM 5 oder ICD-10 geforderten strengen Kriterien für die Bejahung dieser Gesundheitsstörung nicht erfüllt seien. So finde während des ersten Aufenthaltes des Klägers in der AHG Berus Klinik im Jahre 2011 eine PTBS keine Erwähnung und auch in 2016 werde das Vollbild dieser Erkrankung nicht bestätigt. Bezüglich einer PTBS sei hier die PTS-Skala angewendet worden, die allein die subjektive Sichtweise der Betroffenen abbilde und somit in diesem Fall die subjektive Überzeugung des Klägers, dass er an einer PTBS leide. Prof. Dr. S. führe hierzu überzeugend aus, dass der Kläger Erinnerungen an das traumatische Erlebnis schildere, jedoch nicht im engeren Sinne Intrusionen, d.h. sich aufdrängende szenische Bilder von dem Ereignis, die sich immer wieder in das Alltagserleben unwillkürlich und überwältigend eindrängten. Die somit seit 2009 nachgewiesene depressive Störung sei nach Auffassung der Kammer nicht wesentlich auf die angeschuldigte Gewalttat vom 05.09.2004 zurückzuführen. Zwar reiche für den Ursachenzusammenhang die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Doch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (u.a. Urteil vom 16.12.2014, Az: B 9 V 6/13 R) gelte im sozialen Entschädigungsrecht die Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung in der spezifisch versorgungsrechtlichen Ausprägung. Diese beinhalte, dass bei mehreren Teilursachen dem schädigenden Tatbestand in seiner Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht zukomme wie den übrigen Umständen zusammen. Dies bedeute für den vorliegenden Fall, dass die Gewalttat vom 05.09.2004 allein so viel Bedeutung und Tragweite für die seelische Störung haben müsse wie die übrigen Umstände zusammen, z.B. den zahlreichen belastenden beruflichen Einwirkungen am Arbeitsplatz und der Persönlichkeitsstruktur des Klägers. In Gesamtwürdigung des Sachverhalts sei die Kammer insbesondere vor dem Hintergrund der Entwicklung des psychischen Krankheitsverlaufs und dem Umstand, dass die Gewalttat im Rahmen der ersten Rehabilitationsmaßnahme in der AHG Berus Klinik im Jahr 2011 nicht einmal erwähnt werde, davon überzeugt, dass den Geschehnissen am Arbeitsplatz die überragende Bedeutung für die Entstehung der seelischen Störung zukomme. Es könne vorliegend auch nicht angenommen werden, dass die Schwierigkeiten am Arbeitsplatz zu einer wesentlichen Verschlimmerung einer einstmals schädigungsbedingt eingetretenen psychischen Störung geführt hätten, denn hierzu hätte es des Nachweises eines objektivierten, abgrenzbaren psychischen Befundes unmittelbar nach der Gewalttat bedurft. Dieser liege nicht vor. Nach dem überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. S. könne als Folge der Gewalttat allein eine Phobie vor Rolltreppen angenommen werden. Deren Ausmaß führe nach Auffassung der Kammer indes nicht zu einer relevanten Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und damit nicht zur Erhöhung des bisherigen GdS der Schädigungsfolgen von 20. Es ließen sich dem vom Gericht in Auftrag gegebenen kieferchirurgischen Gutachten keine Hinweise darauf entnehmen, dass sich die Mundöffnungsstörung und die Sensibilitätsstörung im Unterkieferbereich links verschlimmert hätten. Ungeachtet dessen, dass beide insoweit vorliegenden Gutachten einen ursächlichen Zusammenhang dieser Gesundheitsstörung mit der Gewalttat ablehnten, ergäben sich aus beiden Reha-Entlassungsberichten der AHG Berus Klinik keinerlei Befunde und auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger über entsprechende Beschwerden geklagt hätte. Ein GdS über 20 komme mithin nicht in Betracht. Schließlich sei das vom Kläger geltend gemachte Doppelsehen nicht auf die angeschuldigte Gewalttat zurückzuführen. Dies ergebe sich aus dem augenärztlichen Gutachten des Dr. T., wonach sich die Doppelbilder am ehesten durch trockene Augen erklären ließen und durch Tränenersatzmittel zu beheben seien.
Der Kläger hat gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 28.03.2019 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 16.04.2019 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht erhoben.
Der Senat hat zunächst weitere Behandlungsberichte der Vitos Klinik - Waldkrankenhaus Köppern, vom 04.09.2018 (Diagnose: Rezidivierende depressive Störung), der Vitos Klinik, Psychiatrische Tagesklinik vom 21.09.2018 (Diagnose: Schwere depressive Episode) und der Klinik Hohe Mark vom 04.02.2019 (Diagnose: PTBS, schwere depressive Episode) beigezogen.
Der Senat hat sodann von Amts wegen ein weiteres Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet bei Dr. V. (Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie) eingeholt. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 15.06.2020 zu der Einschätzung gelangt, dass lediglich für die Dauer von wenigen Wochen nach dem schädigenden Ereignis eine kurzzeitige Anpassungsstörung angenommen werden könne. Die auf Seiten des psychisch-psychosomatischen Fachgebietes bei dem Kläger bestehenden Erkrankungen einer Agoraphobie mit Panikstörung und einer rezidivierenden depressiven Störung (zeitweise schwergradig, zum Zeitpunkt der Begutachtung leichtgradig) seien hingegen nicht schädigungsbedingt. In der Gesamtschau sei bei dem Kläger festzustellen, dass im Hinblick auf diese Diagnosen die schädigungsunabhängigen Faktoren überragende Bedeutung für die Entstehung und Ausprägung dieser Gesundheitsstörungen hätten. Es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sich die festgestellten Gesundheitsstörungen auch ohne die Schädigung in Form des Ereignisses vom 05.09.2004 zu etwa derselben Zeit in etwa derselben Ausprägung entwickelt hätten, nämlich krankheitswertig ab etwa 2009 (erstmalige Inanspruchnahme fachpsychotherapeutischer Hilfe und Beginn der ambulanten Psychotherapie) mit sodann Symptomzunahme und -ausweitung (Crescendo-Entwicklung). Sowohl die sehr lange zeitliche Latenz von über fünf Jahren als auch die sodann eingetretene Crescendo-Entwicklung als auch die weitreichende Angst- und depressive Symptomatik, die weit über eine spezifische umschriebene Ereignisbezogenheit hinausgingen, sprächen gegen eine wesentliche ursächliche Bedeutung des Einzelereignisses vom 05.09.2004. Die Kumulation ereignisunabhängiger Faktoren zum Zeitpunkt der psychischen Dekompensation in 2009 liefere zudem ein sehr viel plausibleres Entstehungsmodell als die Annahme einer psychoreaktiven Störung als Folge eines Einzelereignisses. Nahezu sämtlichen psychotherapeutischen Vorberichten sei zudem erhebliche persönlichkeitsbedingte interaktionelle Schwierigkeiten zu entnehmen, die zu Konflikten im Stationsalltag bis hin zur Notwendigkeit des Abbruchs einzelner Gruppentherapien (insbesondere der Traumagruppe in der Reha-Klinik Berus 2016) geführt hätten. Hintergrund hierfür erscheinten aus psychodynamischer Sicht vor allem innerseelisch abgewehrte aggressive Impulse, die aus einer lebensgeschichtlichen Kränkungs- und Enttäuschungswut stammten, die nur sehr wenig bewusstseinsnah, d. h. dem Kläger selbst kaum zugänglich seien. Das Ereignis vom 05.09.2004 habe sich vor diesem Hintergrund für den Kläger als Projektionsfläche seiner ungelösten Persönlichkeitsthematik angeboten und stelle in diesem Sinne aber allenfalls eine sog. Gelegenheitsursache dar, die dem Begutachteten ein für ihn plausibles Erklärungsmodell seiner psychischen Störung liefere. Dass er in teils kämpferischer Weise an diesem Erklärungsmodell festhalte, erkläre sich persönlichkeitsimmanent. Die Kriterien für das Bild einer ereignisbezogenen PTBS (F43.1) seien nicht mit Wahrscheinlichkeit erfüllt. Das Kriterium B (Intrusionen) sei nicht nachzuweisen. Ein inhaltliches Erleben des Ereignisses vom 05.09.2004 ergebe sich aus den Schilderungen des Klägers nicht. Die seitens des Klägers vorgenommene Attribuierung auf das Ereignis vom 05.09.2004 erfolge eher sekundär. Angst-Träume und Träume des Fallens seien grundsätzlich weit verbreitet und träten auch bei gesunden Erwachsenen auf. Das Kriterium C (Vermeidung) könne ereignisbezogen nicht mit Wahrscheinlichkeit als erfüllt angesehen werden. Das weitreichende Angst-Meide-Verhalten erkläre sich vielmehr durch die Agoraphobie als komplexer Angststörung. Auch das Kriterium D (Überregung) sei nicht hinreichender Wahrscheinlichkeit belegt. Schlafstörungen, Reizbarkeit, erhöhte Vorsicht seien unspezifische Symptome, die bei vielen psychischen Störungen vorkämen.
Im Anschluss hat der Senat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 25.11.2020 Dr. W. (Fachärztin für Psychotherapie und Psychotherapie) mit der Erstellung eines Gutachtens auf psychiatrischem Fachgebiet beauftragt. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 28.04.2021 festgestellt, dass bei dem Kläger auf psychiatrischem Fachgebiet eine PTBS sowie eine linksbetonte Masseterhypertrophie beidseits - als psychisch bedingte körperliche Folge der PTBS - ursächlich auf das schädigende Ereignis zurückzuführen seien. Die außerdem bestehende depressive Episode sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit schädigungsunabhängig. Die Traumatisierung durch den Übergriff sowie der zeitliche und inhaltliche Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der PTBS habe nachgewiesen werden können. Alle Kriterien einer PTBS seien erfüllt und würden durch Testbefunde als auch Vorbefunde bestätigt. Ab wann das Vollbild einer PTBS als Folgeschaden bestanden habe, sei aus heutiger Sicht nicht mehr zweifelsfrei exakt zu bestimmen, da der Kläger zwar unter Symptomen gelitten habe, diese aber erst in einer ersten psychotherapeutischen Behandlung ab November 2011 (gemeint wohl 2009) bei Dipl.-Psych L. als PTBS diagnostiziert und in einem Befund vom 23.07.2012 dargelegt worden seien. Bei der Frage nach Brückensymptomen sei zu berücksichtigen: In der Stellungnahme des Dr. O. vom 24.10.2014 habe dieser in engem zeitlichen Verhältnis zum Schadensereignis diagnostiziert, dass der Kläger am 06.09.2004, also am Folgetag „nach Rolltreppensturz“ in seiner Praxis eine Erstsymptomatik in Form einer erlebnisreaktiven Störung, psychovegetativen Störungen und Panikattacken gezeigt habe. Er spreche von anhaltender Symptomatik diesbezüglich bis 2009. Diese Befunde sprächen eindeutig für den Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und Erstsymptomen, welche Brückensymptome in engem zeitlichem und inhaltlichem Verhältnis zum Schadensereignis darstellten. Brückensymptome würden weiterhin deutlich in Form des V.a. auf eine sekundäre lnsomnie vorliegen. Der Kläger habe sich von 14.05. bis 16.05.2009 zu schlafmedizinischer Untersuchung im St. Elisabeth Krankenhaus Frankfurt vorgestellt mit folgender Symptomatik: Nicht erholsamer Schlaf, häufiges Wachwerden in der Nacht, Grübeln und nachts dem Gefühl, als würde er fallen. Der V.a. sekundäre Insomnie wurde einem V.a posttraumatische Belastungsstörung (DD Angststörung, DD Depression) zugeordnet. Die langjährig behandelnde Zahnärztin Dr. X. berichte, dass der Kläger erstmals nach dem schädigenden Ereignis unter starker Anspannung in der Kiefermuskulatur gelitten habe, mit Knacken und Krachen beim Kauen bei ungenügender Mundöffnung. Die behandelnde Zahnärztin habe selbst einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den gezeigten Symptomen und dem Schadensereignis hergestellt. Sie beschreibe darüber hinaus eine Verschlechterung der Beschwerden seit 2009 und dass der diagnostizierte Bruxismus nach Traumatisierung und „eventuell auch psychischer Projektion mit reflektorischer Verspannung auf den Traumatisierten Bereich" hervorgerufen sein könne durch Tritt und Sturz und Kieferfraktur. Nebenbefundlich halte die Zahnärztin „Schlafstörungen, Alpträume, Phobien" fest, die nach Auffassung der Sachverständigen ebenfalls in die Symptomatik einer PTBS einzuordnen seien. Damit würden hier nicht nur Brückensymptome seit dem Schadensereignis berichtet, sondern es gebe auch Hinweise auf einen sekundären Körperschaden, der aus den Folgen des psychischen Erstschaden im Sinne einer funktionellen Störung erwachsen sei. Eine schwere Myopathie werde im fachärztlichen mund- kiefer- und gesichtschirurgischen Gutachten Dr. R. 2016 entsprechend auch festgehalten. Die im körperlichen Befund bis heute feststellbare Masseterhypertrophie stehe in ursächlichem Zusammenhang zur traumatisch bedingten dysfunktionalen Stressverarbeitung im Rahmen der PTBS. Die PTBS sei von 2004 bis 2009 mit einem GdS von 20, von November 2009 bis Juli 2018 mit einem GdS von 30 und ab August 2018 mit einem GdS von 40 zu bewerten.
Der Beklagte hat zum Gutachten der Sachverständigen Dr. W. eine versorgungsmedizinische Stellungnahme der Neurologin und Psychiaterin Dr. Q. vom 19.05.2021 vorgelegt. Dr. Q. hat darauf verwiesen, dass die von dem Hausarzt Dr. O. unmittelbar nach der Tat beschriebenen psychischen Symptome einer erlebnisreaktiven Störung eine durchaus normale Reaktion seien, die erst einmal nicht auf die Entwicklung einer PTBS hinwiesen. Die im Rahmen des Schlaflabors untersuchten Schlafstörungen seien multifaktoriell verursacht, zudem habe die Sachverständige Dr. W. die seit 2004 parallel aufgetretenen Life-Events wie den Tod der Eltern sowie einen schwerwiegenden Arbeitsplatzkonflikt unzureichend berücksichtigt. Die eingeschränkte Mundöffnung sei als Folge der organischen Veränderung infolge des Kieferbruchs zu sehen und in der festgestellten Schädigungsfolge in Form der kraniomandibulären Dysfunktion bereits berücksichtigt.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 23.08.2021 hat sich die Sachverständige Dr. W. darauf verwiesen, dass die von Dr. Q. als „normale“ Reaktion beschriebenen Symptome unmittelbar nach der Gewalttat ihren Krankheitswert nicht verlören und als Brückensymptome zu berücksichtigen seien. Zudem könne das spezifische Symptom „nachts zu fallen“ als Indiz einer PTBS angesehen werden. Dr. Q. ignoriere die ausdrücklichen Befunde der behandelnden Zahnärztin. Arbeitsplatzkonflikte, Unfälle u.a. habe sie als Ursachen der schädigungsunabhängigen Depression ausreichend berücksichtigt.
Der Kläger verweist im Rahmen seiner Berufsbegründung auf seinen erstinstanzlichen Vortrag sowie auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. W. Es sei im Übrigen unzutreffend, dass sich ein Arbeitsplatzkonflikt bereits ab 2004 entwickelt habe, dies sei erst später der Fall gewesen. Bereits unmittelbar nach dem schädigenden Ereignis sei es zu Schlafstörungen gekommen, die der Hausarzt medikamentös behandelt habe. Die psychische Betreuung habe der Pfarrer M. übernommen. Erst als die Schlafstörungen nicht besser geworden seien, habe ihn Dr. P. an den Psychologen L. überwiesen. Ergänzend legt er ein Attest des Psychotherapeuten Dipl.-Psych. Y. vom 14.10.2021 vor.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 30.01.2019 aufzuheben sowie den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 04.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.01.2013 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der Gewalttat vom 05.09.2004 eine Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verweist auf das erstinstanzliche Urteil sowie auf die Gutachten der Dr. N. vom 07.11.2012, des Prof. Dr. S. sowie des Dr. V. Aufgrund mehrerer Ursachen, die zur Entwicklung der psychischen Erkrankung beigetragen hätten, ergebe sich keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem schädigenden Ereignis eine überragende Bedeutung zukomme. Es fehle daher an einem kausalen Zusammenhang.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, sowie die beigezogene Akte des Versorgungsamtes (Schwerbehindertenakte), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 30.01.2019 die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 04.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.01.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG wegen der Folgen der Gewalttat vom 05.09.2004; es ist auch keine weitere Schädigungsfolge „PTBS“ festzustellen.
Das Begehren des Klägers richtet sich nach § 1 OEG in Verbindung mit den §§ 1, 30, 31 und 60 BVG. Wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG). Beschädigte erhalten als Versorgungsleistung u. a. nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 BVG eine Beschädigtenrente. Hierzu zählt auch die monatliche Grundrente, deren Höhe abhängig vom Grad der Schädigungsfolgen (GdS) ist und die ab einem GdS von 30 geleistet wird (§ 31 Abs. 1 BVG). Der GdS ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG). Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu 5 Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten (§ 30 Abs. 1 Satz 3 BVG).
Der Senat orientiert sich bei der Prüfung, welche gesundheitlichen Schäden Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs sind, an der seit 01.01.2009 geltenden Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV). Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a). Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze ist die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1). Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt („voll bewiesen“) sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3). Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Als Schädigungsfolgen (bzw. deren Verschlimmerung) sind nur solche nachgewiesenen Gesundheitsstörungen anzuerkennen, die wenigstens mit Wahrscheinlichkeit durch das schädigende Ereignis verursacht worden sind. Wahrscheinlichkeit in dem genannten Sinn liegt vor, wenn nach geltender medizinischer Lehrmeinung mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht, d.h. wenn die für den Zusammenhang sprechenden Umstände mindestens deutlich überwiegen. Danach gilt als Ursache im Rechtssinn nicht jede Bedingung, gleichgültig mit welcher Intensität sie zum Erfolg beigetragen hat und in welchem Zusammenhang sie dazu steht. Als Ursachen sind vielmehr nur diejenigen Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (Theorie der wesentlichen Bedingung). Das ist der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges als annähernd gleichwertig anzusehen sind. Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich jedoch nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2). Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Haben also neben einer Gewalttat mehrere weitere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen, ist der tätliche Angriff versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge der Gewalttat zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Schädigung in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen. Konkret bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen. Im Einzelfall muss die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 9 V 6/13 R). Die Kausalitätsbeurteilung ist auf die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie auf die Einzelpersönlichkeit abzustellen. Maßgebend ist auch die individuelle Belastung und Belastbarkeit (BSG, Urteil vom 29.10.1980, 9 RV 23/80, juris).
Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Grundrente.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid 04.05.2012 hat der Beklagte zwar festgestellt, dass der Kläger aufgrund der Gewalttat vom 05.09.2004 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs i. S. des OEG geworden ist und eine „Kraniomandibuläre Dysfunktion, Verlust des Zahns 38, Schädigung des Zahns 42, Sensibilitätsstörung im Unterkieferbereich links nach operativer eingerichteter Unterkieferfraktur auf der linken Seite“ als Schädigungsfolge besteht. Ein Anspruch auf Grundrente besteht gleichwohl nicht, denn weder ist für die anerkannte Schädigungsfolge ein GdS von mindestens 25 festzustellen noch ist eine weitere Schädigungsfolge auf psychiatrischem Gebiet anzuerkennen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe; sie sind überzeugend und würdigen die fallentscheidenden Aspekte vollständig.
Auch aufgrund der im Berufungsverfahrens durchgeführten weiteren Ermittlungen durch Einholung der Behandlungsberichte der Vitos-Klinik vom 04.09.2018 und vom 21.09.2018 und der Klinik Hohe Mark vom 04.02.2020 sowie der Gutachten der Sachverständigen Dr. V. vom 15.06.2020 und Dr. W. vom 28.04.2021 ergibt sich aus Sicht des Senats keine andere Beurteilung.
In Zusammenschau der Gutachten der Dr. N. vom 07.11.2013, des Prof. Dr. S. vom 25.08.2016 und des Dr. V. vom 15.06.2020 steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das schädigende Ereignis vom 05.09.2004 bei dem Kläger keine PTBS verursacht hat.
Der Senat orientiert hat sich bei der Beurteilung der Frage, ob eine PTBS vorliegt, an den (aktuell) gängigen Diagnosesystemen entsprechend der Nomenklatur der ICD-10 und der DSM-IV/V, die auch alle Sachverständigen zugrunde gelegt haben. Denn die konkret zu bezeichnenden Krankheiten bilden die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens zu beurteilen ist (so auch BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R). Die PTBS (ICD-10: F43.1) entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über. Ähnlich beschreibt DSM IV/V das Traumaerleben. Die nach den beiden Klassifikationssystemen notwendigen Kriterien bzw. die dafür erforderlichen Unterkriterien müssen im Vollbeweis feststehen, um die Diagnose einer PTBS stellen zu können. Hinsichtlich der medizinischen Voraussetzungen bezieht sich diese Anforderung auf den aktuellen Gesundheitszustand des Geschädigten. Nicht zwingend notwendig ist, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen bereits unmittelbar nach dem Ende der Traumatisierung vorgelegen haben oder seitdem ununterbrochen bestanden, da sog. „Brückensymptome“ weder nach der ICD-10 noch nach dem DSM-IV/V zu fordern sind. Zwar ist dann, wenn solche Symptome nicht alsbald nach der Schädigung entstanden und nachweisbar sind, die Zusammenhangfrage besonders sorgfältig zu prüfen und nur anhand eindeutiger objektiver Befunde zu bejahen. Aber diese Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang ist erst zu stellen, wenn die Diagnose positiv feststeht. Diese Ansicht entspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 02.12.2010, B 9 VH 3/09 B, Rz. 14, juris; Beschluss vom 16.02.2012 – B 9 V 17/11 B, Rz. 16, juris).
Der Senat hat bereits erhebliche Zweifel daran, ob das schädigende Ereignis das sog. A Kriterium einer PTBS erfüllt. Nach dem ICD-10 erfordert das A-Kriterium einer PTBS eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Hierzu gehören beispielsweise durch Naturereignisse oder von Menschen verursachte Katastrophen, Kampfhandlungen, schwere Unfälle oder Zeuge eines gewaltsamen Todes anderer oder selbst Opfer von Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderen Verbrechen zu sein (vgl. AWMF-Leitlinie Nr. 051/029 zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen, Seite 104). Der Kläger hat am 16.09.2004 gegenüber der Polizei zum Vorfall geschildert, dass er auf einer Rolltreppe im C-Stadter Hauptbahnhof seinen Autoschlüssel im Socken habe zurechtrücken wollen und plötzlich einen heftigen Schlag im Gesicht bemerkt habe, dadurch sei er rückwärts die Rolltreppe hinuntergefallen, wobei er sich bereits am Ende der Rolltreppe befunden habe. Anschließend sei er benommen gewesen, habe aber dennoch die Verfolgung des Täters aufnehmen können. Bei diesem Vorfall handelt es sich ohne Frage um eine gezielt gegen den Kläger gerichtete körperliche Gewalt, die aber in zeitlicher Hinsicht sehr begrenzt war und nur mäßige Körperschäden hervorgerufen hat; Lebensgefahr bestand nicht. Diese Einschätzung wird sowohl von Prof. Dr. Z. (Bl. 235 der Gerichtsakte) als auch von Dr. V. (Bl. 505 der Gerichtsakte) geteilt. Soweit die Sachverständige Dr. W. in ihrem Gutachten das A-Kriterium einer PTBS als erfüllt ansieht, kann der Senat dem nicht folgen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Kläger bis zur Begutachtung durch die Sachverständige Dr. W. 17 Jahre nach dem schädigenden weder davon berichtet hat, dass er die „gesamte“ Treppe hinuntergefallen sei, noch, welche Gedanken er sich während des Sturzes machte („bum… bum …. bum … jetzt ist es aus mit dir“…. „sich das Genick zu brechen …“). Aus den Schilderungen des Klägers gegenüber der Polizei als auch gegenüber Frau N. vom versorgungsmedizinischen Dienst und den übrigen Sachverständigen geht vielmehr hervor, dass der Schlag den Kläger völlig unvorbereitet traf und er nach kurzer Benommenheit aufstehen konnte und die Verfolgung des Klägers aufnahm. Eine außergewöhnliche Bedrohung ist hieraus ebenso wenig ableitbar wie aus der anschließenden verbalen Auseinandersetzung mit dem Täter (Täter: „Wenn du nicht umgehend verschwindest, schlage ich dir jeden Zahn einzeln aus.“), denn die in diesem Zusammenhang ggf. anzunehmende Nötigung/Bedrohung ist weder Streitgegenstand noch erfüllt sie die Kriterien eines tätlichen Angriffs im Sinne des OEG noch liegt hier eine Todesbedrohung vor.
Nach Auffassung des Senats ist aber auch das Vollbild einer erlebnisbezogenen PTBS (F43.1.) im Übrigen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit belegt. Der durch den Senat beauftragte Sachverständige Dr. V. verneint - ebenso wie Dr. N. vom versorgungsmedizinischen Dienst des Beklagten und Prof. Dr. S. - in seinem Gutachten vom 15.06.2020 auch die weiteren Kriterien einer PTBS. Das Kriterium B (Intrusionen) sei nicht nachzuweisen. Ein inhaltliches Erleben des Ereignisses vom 05.09.2004 ergebe sich aus den Schilderungen des Klägers nicht. Die seitens des Klägers vorgenommene Attribuierung auf das Ereignis vom 05.09.2004 erfolge eher sekundär. Angst-Träume und Träume des Fallens seien grundsätzlich weit verbreitet und träten auch bei gesunden Erwachsenen auf. Das Kriterium C (Vermeidung) könne ereignisbezogen nicht mit Wahrscheinlichkeit als erfüllt angesehen werden. Das weitreichende Angst-Meide-Verhalten erkläre sich vielmehr durch die Agoraphobie als komplexer Angststörung. Auch das Kriterium D (Überregung) sei nicht hinreichender Wahrscheinlichkeit belegt. Schlafstörungen, Reizbarkeit, erhöhte Vorsicht seien unspezifische Symptome, die bei vielen psychischen Störungen vorkämen.
Der Senat folgt dieser Einschätzung des Sachverständigen Dr. V. Der Sachverständige stellt die einzelnen Kriterien der PTBS nachvollziehbar dar und erläutert deren Nichtvorliegen anhand der von ihm erhobenen Befunde als auch unter Auswertung aller medizinische Unterlagen. Zudem sprechen sowohl der Zeitablauf bis zu einer psychotherapeutischen Behandlung ab 2009 als auch die jedenfalls seit 2009 - nach Auffassung aller Sachverständigen - bestehenden behandlungsbedürftigen, aber schädigungsunabhängigen Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet mit Crescendo-Verlauf gegen das Vorliegen einer erlebnisbezogenen PTBS infolge des Schadensereignisses vom 05.09.2004. Tatsache ist, dass in der Zeit zwischen dem schädigenden Ereignis am 05.09.2004 und einer erstmals im November 2009 begonnenen psychotherapeutischen Behandlung nachweislich keine psychiatrische oder psychologische Behandlung stattfand. In Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. V. bestanden bei dem Kläger nachvollziehbar unmittelbar nach der Tat psychische Irritationen und Schlafstörungen (Bl. 511 der GA), so dass insoweit durchaus von einer kurzzeitigen Anpassungsstörung ausgegangen werden kann. Eine fachärztliche Behandlung war bis 2009 jedoch offensichtlich nicht erforderlich und fand nicht statt. Wenn der Hausarzt Dr. O. mit Attest vom 29.11.2012 (Bl. 203 der VerwA) und im Befundbericht vom 24.10.2014 (Bl. 62 der GA), d.h. acht bzw. zehn Jahren nach der Tat bestätigt, dass der Kläger unmittelbar nach der Tat über erlebnisreaktive Störungen geklagt habe, so ist dies durchaus nachvollziehbar, aber aus Sicht des Senats noch kein Beleg für das Entstehen einer PTBS. Dass sich diese psychischen Störungen (Schlafstörungen, Ängste, Depressionen) - schädigungsabhängig - dauerhaft bis 2009 und darüber hinaus fortsetzten, ist nicht nachgewiesen. Eine Krankschreibung aufgrund grippaler Infekte belegt entgegen den Ausführungen des Hausarztes in seinem Befundbericht an das Sozialgericht auch keine „indirekte“ reaktive Störung. Der Kläger war bereits drei Wochen nach dem Schadensereignis wieder arbeitsfähig. Nach seinen Schilderungen gegenüber Frau Dr. N. am 07.11.2012 sei es aber bereits ab 2004 zu Konflikten am Arbeitsplatz durch Einsparungen und Personalabbau gekommen. Durch die Krankheitszeiten infolge des Schadensereignisses von 2004, der Fußgelenksfraktur in 2005 und der Schulterverletzung in 2007 habe er zunehmend unter Beobachtung seines Arbeitgebers gestanden, ab 2007 habe er sich gemobbt gefühlt. Wenn der Kläger nunmehr in der Berufungsinstanz vortragen lässt, der Arbeitsplatzkonflikt hätte sich nicht bereits in 2004 abgezeichnet, so widerspricht dies seinem Vorbringen gegenüber Frau Dr. N. im Jahr 2012.
Erstmals im Rahmen einer Untersuchung im Schlaflabor im Mai 2009 wurde der Verdacht formuliert, dass die vom Kläger geklagte Schlaflosigkeit auf eine PTBS oder aber auf eine Depression in Verbindung mit einer Angststörung zurückgeführt werden könne (Bl. 18 der GA); eine weitergehende fachärztliche Diagnostik fand zu diesem Zeitpunkt nicht statt. Seit November 2009 war der Kläger sodann in psychotherapeutischer Behandlung bei Dipl.-Psych. L., der aber in einem Befundbericht vom 27.08.2010 an das Versorgungsamt (Bl. 130 der SchwbA) selbst „nur“ von den Diagnosen „schwere, anhaltende depressives Syndrom mit Angstsymptomatik (Panikattacken) und starker Somatisierung“ ausging. Die Diagnose PTBS stellte er zu diesem Zeitpunkt offensichtlich (noch) nicht; das Schadensereignis wurde nicht erwähnt. Der Kläger suchte den Neurologen P. einmalig am 16.04.2010 auf, weil er „nach einem Umzug mit psychischen Druck am 26.02. akute Schmerzen“ habe. Mangels neurologischer Ausfallerscheinungen wurde eine konservative Behandlung empfohlen (Bl. 206 der Verwaltungsakte). Unzutreffend ist insoweit die Angabe des Klägers gegenüber der Sachverständigen Dr. W., er sei bereits 2004 wegen Schwindelgefühlen bei dem Nervenarzt P. gewesen (Bl. 570 der GA). Auch im Rahmen des ersten Reha-Aufenthaltes im Frühjahr 2011 wurde das Schadensereignis überhaupt nicht erwähnt, sondern ausschließlich auf diverse Belastungen im sozialen Umfeld (Tod des Vaters, Tod der Mutter, zunehmende körperliche Einschränkungen durch div. Unfälle) und den zu diesem Zeitpunkt bereits länger andauernden Arbeitsplatzkonflikt („langjährig bestehende Arbeitsplatzkonflikte mit Ausgrenzung und Mobbingerfahrungen …. sehr große Belastung“) als Ursache für die Diagnosen „Angst und depressive Störung, gemischt“ herangezogen. Erstmals in einem Attest vom 23.07.2012, d.h. acht Jahre nach dem schädigenden Ereignis, vertrat der behandelnde Psychotherapeut L. (Bl. 169 der VerwA) die Auffassung, der Kläger habe eine PTBS entwickelt.
Vor diesem Hintergrund ist der Senat in Übereinstimmung mit den Sachverständigen Dr. V. davon überzeugt, dass die bei dem Kläger unstreitig zumindest seit 2009 bestehenden und sich bis heute auch verschlechterten komplexen psychischen Störungen in Form der allgemeinen Angststörung und einer depressiven Störung keine psychoreaktiven Störungen darstellen, sondern mit hinreichender Wahrscheinlichkeit - multifaktoriell - aus dem Zusammenwirken von genetischer Veranlagung, kindlichen Prägeerfahrungen und Bedingungen äußerer Lebensumstände und innerer Befindlichkeiten entstanden sind. Der Sachverständige Dr. V. stellt hierzu im Einzelnen fest: Bei dem Kläger besteht eine deutliche und anhaltende Furcht davor, das Haus alleine zu verlassen, alleine zu reisen sowie vor Menschenmengen, verbunden mit weitgehender Vermeidung solcher Situationen. In den gefürchteten Situationen treten folgende Angstsymptome auf: Herzrasen, Zittern, Blasendruck, Durchfall, Schweißausbruch, Mundtrockenheit, Beklemmungsgefühl, Atemnot mit Hyperventilation, Kribbelgefühl in den Händen, weiche Knie, Nervosität, Hitzegefühl, Anspannung, Schwindelgefühl, Angst vor Kontrollverlust. Es besteht eine deutliche emotionale Belastung durch die Angstsymptomatik, weniger durch das Vermeidungsverhalten. Die Symptome beziehen sich weit überwiegend auf die genannten Situationen bzw. Gedanken daran. Die Symptomatik wird durch keine andere psychische (insbesondere psychotische) oder körperliche Erkrankung besser erklärt. Zusätzlich besteht eine Panikstörung mit wiederkehrenden umschriebenen Panikattacken, die nicht auf eine spezifische auslösende Situation bezogen sind. Somit liegen die vollständigen Kriterien einer Agoraphobie mit Panikstörung (F40.01) vor. Diese Störung hat sich langsam schleichend ab 2004 entwickelt und kann in krankheitswertiger Ausprägung ab etwa 2009 angenommen werden. Aus dem Bericht des ambulanten Psychotherapeuten Dipl.-Psych. L. vom 23.07.2012 ergibt sich, dass ab November 2009 eine Behandlung wegen eines schweren anhaltenden depressiven Syndroms mit vorherrschender Angstsymptomatik (Panikattacken), starker Somatisierung und tiefgehender psychischer Zerrüttung durchgeführt wurde. Auch aus dem nervenärztlichen Gutachten der Frau Dr. N. vom 07.11.2012 und ihrer Stellungnahme vom 18.12.2012 ergibt sich die Diagnose einer Panikstörung. Nachdem die Reha-Klinik Berus in ihrem Bericht vom 07.06.2011 zunächst noch eine unspezifische Störung in Form einer Angst und depressiven Störung gemischt (F41.2) beschrieben hatte, ergibt sich auch aus ihrem Bericht vom 27.09.2016 eine Agoraphobie mit Panikstörung (F40.01). Wenn in den späteren Berichten des Psychotherapeuten Dipl-Psych. L. (ab Bericht vom 22.04.2017), des Dipl.-Psych. Y. vom 14.10.2021 sowie in dem Entlassungsbericht der Klinik Hohe Mark vom 04.02.2020 von einer PTBS-Diagnose gesprochen wird, so ergibt sich hieraus zunächst, dass ihrerseits die phobische Angstsymptomatik mit Meide-Verhalten als PTBS-Symptom eingeordnet wurde. Dies ist - wie der Sachverständige Dr. V. nachvollziehbar darlegt - allerdings bereits deshalb nicht schlüssig und nicht nachvollziehbar, weil anders als dies bei einer ereignisspezifischen PTBS zu erwarten wäre, sich die phobische Angstsymptomatik nicht spezifisch darstellt, sondern in generalisierender Weise weit darüber hinausgeht.
Sowohl Dr. V. als auch die Sachverständige Dr. W. bestätigen darüber hinaus eine rezidivierende depressive Störung, die auch seit 2009 in den ärztlichen Behandlungsberichten dokumentiert ist: Aus dem Bericht des ambulanten Psychotherapeuten Dipl.-Psych. L. vom 23.07.2012 ergibt sich, dass ab November 2009 eine krankheitswertige depressive Symptomatik vorlag. Laut Bericht der Klinik Berus vom 27.09.2016 sei aufgrund der depressiven Symptomatik 2011 eine erste psychosomatische Reha-Maßnahme durchgeführt worden. In 2015 sei es zu einer erneuten depressiven Zuspitzung mit „Zusammenbruch" im Rahmen einer Mobbingsituation gekommen. Es wird eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert. Aus den Berichten der Vitos Klinik Hochtaunus Friedrichsdorf vom 04.09.2018 und vom 21.09.2018 ergibt sich sodann eine schwergradige depressive Episode mit akuter Suizidalität vor dem Hintergrund innerfamiliärer Konflikte mit der Ehefrau und Patentochter.
Im Hinblick auf die durch den Sachverständigen Dr. V. festgestellten Diagnosen Agoraphobie mit Panikstörung (F40.01) und rezidivierende depressive Störung (F33.0) ist festzustellen, dass die schädigungsunabhängigen Faktoren überragende Bedeutung für die Entstehung und Ausprägung dieser Gesundheitsstörungen haben. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. V. kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sich die festgestellten Gesundheitsstörungen auch ohne die Schädigung in Form des Ereignisses vom 05.09.2004 zu etwa derselben Zeit in etwa derselben Ausprägung entwickelt hätten, nämlich krankheitswertig ab etwa 2009 (erstmalige Inanspruchnahme fachpsycho-therapeutischer Hilfe und Beginn der ambulanten Psychotherapie) mit sodann Symptomzunahme und -ausweitung (Crescendo-Entwicklung). Sowohl die sehr lange zeitliche Latenz von über fünf Jahren als auch die sodann eingetretene Crescendo-Entwicklung als auch die weitreichende Angst- und depressive Symptomatik, die weit über eine spezifische umschriebene Ereignisbezogenheit hinausgehen, sprechen gegen eine wesentliche ursächliche Bedeutung des Einzelereignisses vom 05.09.2004. Die Kumulation ereignisunabhängiger Faktoren zum Zeitpunkt der psychischen Dekompensation in 2009 liefert zudem ein sehr viel plausibleres Entstehungsmodell als die Annahme einer psychoreaktiven Störung als Folge eines Einzelereignisses.
Das hiervon abweichende Gutachten der Sachverständigen Dr. W. überzeugt den Senat nicht. Wie bereits dargelegt, sieht der Senat entgegen der Ausführungen der Sachverständigen Dr. W. die Kriterien einer PTBS nicht als erfüllt an. Aus Sicht des Senats grenzt die Sachverständige nicht ausreichend die Symptome der sich seit 2004 entwickelten - schädigungsunabhängigen - rezidivierenden depressiven Störung sowie der generellen Angststörung von einer aus ihrer Sicht seit 2004 entwickelten PTBS ab. Die Sachverständige Dr. W. schreibt allen seit 2004 bis 2009 aufgetretenen psychischen Auffälligkeiten (Schlafstörungen, Träume, Beeinträchtigung der Kiefermuskulatur, Ängste, Panikattacken) die Qualität von Brückensymptomen einer PTBS zu, berücksichtigt aber nicht, dass sich nach Angaben des Klägers im Rahmen des Reha-Aufenthaltes 2011 und gegenüber Dr. N. 2012 das Ausmaß der sich seit 2004 entwickelten massiven Belastungen am Arbeitsplatz (Mobbing, drohende Disziplinarmaßnahmen) und seine Persönlichkeitsstruktur für die Entwicklung der progredienten psychischen Erkrankung im Vordergrund standen und die psychische Erkrankung wesentlich verursacht haben.
Die von der Sachverständigen Dr. W. beschriebene linksbetonte Masseterhypertrophie (vergrößerter Kaumuskel) sowie die sowohl von Dr. V. als auch von Dr. W. beschriebenen Knackgeräusche bedingen nach Auffassung des Senats keine Erhöhung des GdS für die anerkannte Schädigungsfolge. Unter Berücksichtigung der Feststellungen aller Sachverständigen liegt keine Behinderung der Mundöffnung mit deutlicher Auswirkung auf die Nahrungsaufnahme vor. Dr. V. vermerkt einen Zahnreihenabstand von 3,5 cm, Dr. W. von 3 cm (aber: „deutlich weitere Mundöffnung möglich“); die Versorgungsmedizinverordnung nimmt eine Behinderung der Mundöffnung erst bei einer Schneidekantendistanz zwischen 5mm und 25mm an (Teil B, 7.2.).
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).