S 8 AS 585/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 8 AS 585/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 359/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

1.    Der Bescheid vom 01.12.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2017 wird aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid vom 01.09.2016 abzuändern und der Klägerin die Kosten für Kontaktlinsen i. H. v. monatlich 66,00 € für die Zeit vom 01.10.2016 bis 30.06.2017 und i. H. v. 68,00 € monatlich für die Zeit vom 01.07.2017 bis 30.09.2017 zu erstatten.

2.    Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Übernahme der Kosten für ein Kontaktlinsen-Abo in Höhe von monatlich 66,00 bzw. 68,00 €. 

Die 1957 geborene Klägerin steht im Bezug von Leistungen nach dem SGB II bei dem Beklagten. Insofern waren ihr mit Bescheid vom 01.09.2016 (Bl. 206 f. der Verwaltungsakte) für die Zeit vom 01.10.2016 bis zum 31.05.2017 Leistungen in Höhe von insgesamt monatlich 917,39 € und in Höhe von monatlich insgesamt 861,39 € für die Zeit vom 01.06.2017 bis 30.09.2017 gewährt worden. 

Am 12.10.2016 (Bl. 219 der Verwaltungsakte) stellte die Klägerin einen Antrag bei dem Beklagten, „ihr ihre fixen und variablen Kosten aus Zuzahlungen der Krankenkasse, die aus Arztverordnungen resultierten, zu übernehmen“. Mit Bescheid vom 13.10.2016 (Bl. 220 f. der Verwaltungsakte) hatte der Beklagte dies abgelehnt mit der Begründung, dass Sonderleistungen nur gemäß § 24 Abs. 3 SGB II gewährt werden könnten, weitere einmalige Sonderleistungen (z.B. die Übernahme der Gebühren für Zuzahlungen der Krankenkasse für therapeutische Anwendungen oder ähnliches) das SGB II jedoch nicht vorsehe. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. 

Mit Schreiben vom 01.12.2016 (Bl. 222 f. der Verwaltungsakte) stellte die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X. Ausgeführt wurde, dass nach dortiger Auffassung ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 S. 1 SGB X bestehe. Hiernach sei bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anzuerkennen, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf bestehe. Mit Bescheid vom 01.12.2016 (Bl. 225 der Verwaltungsakte) lehnte der Beklagte die Überprüfung des Bescheides vom 13.10.2016 ab. Ein Verwaltungsakt sei, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, mit Wirkung für die Vergangenheit gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergebe, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erwiesen habe und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden seien. Der Bescheid vom 13.10.2016 sei jedoch nicht zu beanstanden. Es sei bei dessen Erlass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden. Gegen diesen Bescheid wurde über den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 06.12.2016 (Bl. 230 der Verwaltungsakte) Widerspruch erhoben. Der Beklagte habe den Sachverhalt unter Berücksichtigung der §§ 20 und 21 SGB X gegebenenfalls erneut zu untersuchen und zu bewerten. Mit Schreiben vom 07.03.2017 konkretisierte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Antrag dahingehend, dass die Kosten für ein Monats-Abo für Kontaktlinsen begehrt würden. Vorgelegt wurde insofern eine Rechnung des Augenoptikers „B.“ vom 29.09.2016. Hierin wurde ein Rechnungsbetrag i. H. v. 792,00 € ausgewiesen bei monatlich anfallenden Raten i. H. v. 66,00 € ab dem 01.07.2016 bis zum 01.06.2017. 

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.03.2017 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 01.12.2016 als unbegründet zurück. Gemäß § 21 Abs. 6 SGB II werde bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf bestehe. Der Mehrbedarf sei unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt sei und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweiche. Vorliegend sei kein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 anzuerkennen, denn im Rahmen der Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Versorgung decke die gesetzliche Krankenkasse die Anschaffungskosten für Kontaktlinsen ab, wenn eine entsprechende medizinische Indikation festgestellt worden sei. Verwiesen wurde auch auf ein Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 21.11.2012 zum Az. L 4 AS 6/11. Könne im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster Bedarf und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden, erbringe die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewähre der oder dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Darlehen (§ 24 Abs. 1 S. 1 SGB II). Ein Anspruch nach § 24 Abs. 1 SGB II scheide aus, da die Klägerin kein Darlehen, sondern vielmehr eine zuschussweise Übernahme der Anschaffungskosten für Kontaktlinsen begehre. 

Hiergegen richtet sich die am 11.04.2017 zum Sozialgericht Kassel erhobene Klage, die unter dem Aktenzeichen S 8 AS 193/17 angelegt wurde. 

Die Klägerin ist der Auffassung, dass ihr ein Anspruch auf Kostenübernahme für die Beschaffung von Kontaktlinsen als unabweisbarer Bedarf gegen den Beklagten zustehe. Ihre Krankenkasse habe einen solchen Kostenersatz abgelehnt. Insofern hat die Klägerin einen Bescheid ihrer Krankenkasse, der DAK Gesundheit vom 29.03.2017 vorgelegt. Bei ihr sei es so, dass ihr linkes Auge durch eine operative Verletzung eine Narbe erlitten habe, die ihr das Sehen ohne Kontaktlinsen praktisch unmöglich mache. Zur Vorlage kam ein augenärztliches Gutachten vom 31.07.1980 sowie ein augenärztliches Attest vom 20.03.2017. 

In einem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung am 21.07.2017 stellte sich heraus, dass die Klägerin nicht einmalig mit Kontaktlinsen versorgt worden war, sondern fortlaufend versorgt wird. Auch im Hinblick darauf, dass das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid der Krankenkasse vom 29.03.2017 noch nicht abgeschlossen war, stellte das Gericht das Verfahren mit Beschluss vom 21.07.2017 ruhend. Es wurde dann am 13.11.2017 wieder aufgerufen und seitdem unter dem Az. S 8 AS 585/17 fortgeführt, nachdem die Krankenkasse der Klägerin   die DAK Gesundheit   mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2017 den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 29.03.2017 als unbegründet zurückgewiesen hatte. Das Gericht hat weitere Ermittlungen angestellt, und zwar einen Befundbericht vom 19.03.2018 bei dem Augenarzt der Klägerin, Dr. D., eingeholt und sodann eine Anfrage an den Augenoptiker der Klägerin gestellt, die dieser am 27.03.2018 beantwortet hat.

Die Klägerin beantragt, 

den Bescheid vom 01.12.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2017 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 01.09.2016 abzuändern und der Klägerin die Kosten für Kontaktlinsen in Höhe von monatlich 66,00 € für die Zeit vom 01.10.2016 bis 30.06.2017 und in Höhe von monatlich 68,00 € monatlich für die Zeit vom 01.07.2017 bis zum 30.09.2017 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, 

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid verwiesen und sodann auf die Entscheidung des BSG vom 26.05.2011 zum Aktenzeichen B 14 AS 146/10 R. Hiernach habe das Bundessozialgericht entschieden, dass Bedarfe, die sich auf Krankenbehandlung im Sinne von § 27 SGB V richteten, durch die gesetzliche Krankenversicherung sowie ergänzend durch den im Regelbedarf nach § 20 SGB II enthaltenen Anteil für Eigenanteile und Rezeptgebühren abgedeckt seien. Auch im Hinblick auf die Rechnung des Optikers, aus der sich ergebe, dass der Anschaffungsbetrag in Höhe von insgesamt 792,00 € durch monatliche Ratenzahlung getilgt werden könne, ergebe sich vorliegend kein laufender Bedarf, sondern es sei von einem einmaligen Bedarf auszugehen. Die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II komme schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei diesen Kosten nicht um einen laufenden Bedarf handele. Die Anschaffung von Sehhilfen, auch Kontaktlinsen, erfolge naturgemäß für einen längeren Zeitraum. Die Klägerin habe selber angegeben, dass diese nur ca. zweimal im Jahr, also etwa alle 6 Monate ausgetauscht werden müssten. Auch die Tatsache, dass sie die Finanzierung der etwa zweimal im Jahr anzuschaffenden Kontaktlinsen über einen Vertrag mit ihrem Optiker geregelt habe, der eine monatliche Ratenzahlung vorsehe, bedeute nicht, dass von einem laufenden monatlichen Bedarf auszugehen sei. Auch eine Förderung der Anschaffung von Kontaktlinsen aus dem Vermittlungsbudget nach § 16 SGB II scheide aus. Verwiesen wurde auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16.12.2014 zum Az. L 2 AS 407/14. Danach werde zwar erwogen, dass bei Gesundheitsleistungen wie Sehhilfen eine Unterdeckung eintreten könne, wenn diese weder im Rahmen des Regelbedarfs gedeckt werden könnten, noch anderweitig gesichert seien. In Bezug auf die streitgegenständliche Versorgung mit Sehhilfen ergebe sich jedoch, dass eine entsprechende Bedarfsdeckung durch die Fürsorgepflicht bei Krankheit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung im Wege der Versicherungspflicht als dem Grunde nach anderweitig gesichert sei. Soweit die Krankenkasse jedoch die Versorgung mit einer Sehhilfen nach § 33 SGB V ablehne, weil eine medizinische Notwendigkeit nicht festgestellt werde, können hier auch keine Unterdeckung entstehen. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Wegen des genaueren Inhalts der medizinischen Unterlagen, insbesondere des Befundberichtes des Augenarztes Dr. D. und der Auskunft des Augenoptikers E. der Klägerin wird auf die Seiten 102 und 107 f. der Gerichtsakte verwiesen. 


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in vollem Umfang Erfolg. Denn der Klägerin steht für die Zeit vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 ein Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zu. 

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind die Bescheide des Beklagten vom 13.10.2016 bzw. vom 01.12.2016, letzterer in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2017. Auf den Antrag der Klägerin vom 12.10.2016 hat der Beklagte in der Sache die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung vom 01.09.2016 gemäß § 44 SGB X überprüft und dann diesen Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 13.10.2016 abgelehnt. Die Bescheide des Beklagten vom 13.10.2016 und 01.12.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2016 lassen zwar eine ausdrückliche Bezugnahme auf die mit Bescheid vom 01.09.2016 erfolgte Bewilligung für den Bewilligungsabschnitt vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 nicht erkennen. Der Anspruch auf Leistungen nach der Härtefallregelung in § 21 Abs. 6 SGB II in der Fassung ab dem 03.06.2010 stellt jedoch als Anspruch auf einen Mehrbedarf keinen eigenständigen und von der Höhe der Regelleistung abtrennbaren Streitgegenstand dar (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2014, Az.: B 14 AS 30/13 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011, Aktenzeichen B 14 AS 146/10 R), der eines eigenständigen Antrags bedarf, sondern ist hier von dem am 31.08.2016 gestellten Leistungsantrag mitumfasst, über den der Beklagte mit Bescheid vom 01.09.2016 unter konkludenter Ablehnung eines Leistungsanspruchs nach § 21 Abs. 6 SGB II entschieden hat. Den Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet daher ein Mehrbedarfszuschlag nach § 21 Abs. 6 SGB II für den Bewilligungszeitraum vom 01.06.2017 bis zum 30.09.2017. 

Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, den am 12.10.2016 gestellten und auf einen Mehrbedarfszuschlag nach § 21 Abs. 6 SGB II beschränkten Antrag als Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X (Sozialgesetzbuch 10. Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X)) anzusehen, was den Bescheid vom 13.10.2016 als Überprüfungsbescheid im Rahmen einer Prüfung nach § 44 SGB X erscheinen lässt. Der den ausdrücklich als Überprüfungsantrag gestellten Antrag vom 01.12.2016 ablehnende Bescheid vom 01.12.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2017 wurde hingegen eindeutig im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens erlassen.

Nach § 44 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. 

Das Gericht ist zu der Auffassung gelangt, dass der Beklagte bei Erlass seiner Bescheide vom 13.10.2016 bzw. 01.12.2016 das Recht unrichtig angewandt hat. Denn zur Überzeugung des Gerichts steht der Klägerin für die Zeit vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zu. 

Nach § 21 Abs. 6 S. 1 SGB II wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Nach Satz 2 des Absatzes 6 ist der Mehrbedarf unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. 

Zunächst geht die Kammer davon aus, dass es sich bei der Kontaktlinsenversorgung der Klägerin um einen laufenden und nicht nur einmaligen besonderen Bedarf handelt. Dies ergibt sich zwar nicht schon daraus, dass die Klägerin mit ihrem Augenoptiker einen Vertrag abgeschlossen hat, der es ihr ermöglicht, die für ihre Kontaktlinsen anfallenden Kosten in monatlichen Raten abzuzahlen. Erforderlich, aber auch ausreichend für einen laufenden Bedarf ist, dass davon auszugehen ist, dass er mehr als einmal wiederholt in einem vom Zeitpunkt der Beurteilung her abschätzbaren Zeitraum (ca. 1 bis 2 Jahre) anfällt (von Boetticher in: Münder, Sozialgesetzbuch II, Grundsicherung für Arbeitssuchende, Lehr- und Praxiskommentar, 6. Aufl., § 21 Rn. 42). Die Angabe der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21.7.2017, dass sie halbjährlich mit neuen Kontaktlinsen versorgt werde, hat sich insofern auch durch die Auskunft des Optikers „B.“ vom 27.03.2018 bestätigt. Aufgrund dieses Sachverhaltes geht die Kammer von einem laufenden Bedarf aus. 

Die Unabweisbarkeit eines gesundheitsbedingten Bedarfs mit der Folge, dass das Jobcenter gegebenenfalls Leistungen zu gewähren hat, kann nur dann in Betracht gezogen werden, wenn das SGB V im konkreten Fall einen Leistungsausschluss für die medizinisch notwendige Versorgung vorsieht. Dies gilt jedoch nur in eng begrenzten Ausnahmefällen. So hat das BSG entschieden, dass die Kosten einer Krankenbehandlung bei gesetzlich krankenversicherten Grundsicherungsberechtigten entweder durch das System des SGB V oder (ergänzend) durch die Regelleistung nach § 20 Abs. 1 SGB II abgedeckt sind (BSG, B 14 AS 146/10 R). Aufgrund der Notwendigkeit einer Zuzahlung zu Zahnersatz oder Hilfsmitteln wie Brillen entsteht im Rechtskreis des SGB II hingegen kein zusätzlicher unabweisbarer laufender Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes (vgl. Saitzig in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 20 Rn. 53). Schon der Gesetzgeber hält es ausdrücklich für zumutbar, dass die Kosten für Brillen oder Zahnersatz grundsätzlich bis zur Belastungsgrenze aus dem Regelbedarf zu bestreiten sind (BT-Drs. 17/1465, Seite 8 f., vgl. auch Bayrisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29.11.2011, L 11 AS 888/11 B). Andernfalls würden Leistungsempfänger im Vergleich zu anderen gesetzlichen Versicherten besser gestellt.

Die Kammer ist der Überzeugung, dass im vorliegenden Fall die Belastungsgrenze überschritten ist. Denn die Krankenkasse der Klägerin hat mit Bescheid vom 29.03.2017 und Widerspruchsbescheid vom 03.08.2017 die Versorgung der Klägerin mit Kontaktlinsen für den streitgegenständlichen Zeitraum nach den Vorschriften des SGB V abgelehnt, da eine solche nur unter strengen Voraussetzungen möglich ist. Gleichwohl hat die Kammer nach dem Vortrag der Klägerin an der Erforderlichkeit der Visus-Korrektur keinen Zweifel. 

Bei monatlich hierfür angefallenen Kosten i. H. v. 66,00 bzw. 68,00 €, geht die Kammer weiterhin davon aus, dass der Mehrbedarf der Klägerin unabweisbar ist, da er nicht unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Klägerin gedeckt werden kann.

Nach alledem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG
 

Rechtskraft
Aus
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