L 1 KR 294/15

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 15 KR 739/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 294/15
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 1. Juni 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung.

Die 1952 geborene und bei der Beklagten seit dem 1. Dezember 2008 versicherte Klägerin ist hauptberuflich selbstständig tätig. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2008 setzte die Beklagte unter Zugrundelegung von Bruttoeinkünften der Klägerin i.H.v. 3.404,00 € monatlich den monatlichen Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 468,05 € (monatlicher Beitrag Krankenversicherung: 401,67 €; monatlicher Beitrag Pflegeversicherung: 66,38 €) fest. Nach Vorlage des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2008 vom 24. Juli 2009 setzte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Juli 2009 die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 1. August 2009 i.H.v. 597,19 € monatlich (monatlicher Beitrag Krankenversicherung: 525,53 €; monatlicher Beitrag Pflegeversicherung: 71,66 €) fest. Der Einkommensteuerbescheid der Klägerin für 2008 wies neben Einkünften aus Gewerbebetrieb i.H.v. 47.924 € negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 5.616,00 € aus. Nach Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 2010 vom 24. Mai 2011 am 31. Mai 2011 (Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 45.232,00 € nebst negativen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 5.961,00 €) und des Einkommensteuerbescheides für 2009 vom 12. Oktober 2010 am 8. Juni 2011 (Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 51.969,00 € nebst negativen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 13.631,00 €) setzte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Juni 2011 ab dem 1. Juli 2011 die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 625,55 € monatlich (monatlicher Beitrag Krankenversicherung: 553,16 €; monatlicher Beitrag Pflegeversicherung: 72,39 €) fest. Ab dem 1. Januar 2012 erfolgte durch die Beklagte mit Bescheid vom 12. Dezember 2011 die Beitragsfestsetzung zur Kranken- und Pflegeversicherung nach einem Einkommen i.H. der Beitragsbemessungsgrenze von 3.825,00 € monatlich i.H.v. 644,52 € monatlich (monatlicher Beitrag Krankenversicherung: 569,93 €; monatlicher Beitrag Pflegeversicherung: 74,59 €).

Mit Schreiben vom 28. Februar 2012 stellte die Klägerin bei der Beklagten unter erneuter Vorlage der Einkommensteuerbescheide der Jahre 2007 bis 2010 einen Antrag auf Überprüfung der ergangenen Beitragsbescheide gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Zur Begründung wies sie darauf hin, dass diese die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung seit 2007 nicht berücksichtigt hätten. Es müsse seit ihrer Mitgliedschaft bei der Beklagten zudem eine Anpassung ihrer Beiträge an die tatsächlichen Verhältnisse erfolgen, die sich aus den jeweiligen Einkommensteuerbescheiden ergäben. Zu viel gezahlte Beiträge seien ihr zurückzuerstatten. Mit Schreiben vom 28. Februar 2012 wies die Klägerin im Weiteren darauf hin, dass die Beiträge zur Krankenversicherung ab dem 1. Januar 2012 nicht korrekt seien, da der Einkommensteuerbescheid für 2010 ein niedrigeres Einkommen ausweise. Mit Bescheid vom 7. März 2012 nahm die Beklagte eine Korrektur der Beitragsberechnung ab dem 1. Januar 2012 vor, da die Klägerin den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010 bereits im Mai 2011 eingereicht habe und lehnte eine Beitragskorrektur für die Jahre 2008 bis 2011 ab. Eine Saldierung von negativen Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten und umgekehrt sei nicht zulässig. Die Klägerin erhob hiergegen mit Schreiben vom 15. März 2012 Widerspruch, den die Beklagte nach einem aufklärenden Schreiben vom 10. April 2012 mit Widerspruchsbescheid vom 2. Oktober 2012 zurückwies. Ausweislich der eingereichten Einkommensteuerbescheide aus den Jahren 2007 bis 2010 habe die Klägerin Einkünfte oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze erzielt. Diese Einkünfte seien i.H. der Beitragsbemessungsgrenze der Beitragsbemessung zugrunde gelegt worden. Eine Saldierung der Verluste aus Vermietung und Verpachtung mit den Einkünften aus Gewerbebetrieb sei nicht möglich. Ein solcher vertikaler Verlustausgleich sei bereits höchstrichterlich abgelehnt worden (Bundessozialgericht, Urteil vom 9. August 2006, B 12 KR 8/06 R).

Hiergegen hat die Klägerin am 5. November 2012 Klage zum Sozialgericht Gießen erhoben und zur Begründung erneut darauf hingewiesen, dass die Beklagte ausgehend von den Einkommensteuerbescheiden unzulässigerweise ihre gesamten positiven Einkünfte zugrunde gelegt habe ohne die negativen Einkünfte gleichfalls zu berücksichtigen. Es dürfe bei der Beitragserhebung nur das zugrunde gelegt werden, was auch tatsächlich vorliege, also zugeflossen sei. Das Vorgehen der Beklagten sei zu schematisch und der Rückgriff auf steuerliche Kriterien unzulässig, da diese für das Sozialversicherungsrecht nicht passten. Im Weiteren sei der Spitzenverband der Krankenkassen keine neutrale Instanz und deren Richtlinien unrechtmäßig, da insbesondere keine Härteregelungen vorgesehen seien. Da die Einkünfte wie bei allen Selbstständigen schwankten, habe die Beklagte jährliche Bescheide erlassen. Diese Bescheide seien jedoch anhand der nachträglich festgestellten korrigierten Einkünfte über § 44 SGB X anzupassen, wobei dann die tatsächlich erzielten Einnahmen maßgeblich seien. Zudem seien bei der Bescheiderteilung durch die Beklagte wesentliche Formvorschriften nicht beachtet worden, was zu einer Nichtigkeit des angegriffenen Bescheides führe. So fehle es u.a. an einer formal und inhaltlich rechtswirksamen Ladung zur Sitzung des Widerspruchsausschusses (Ladung mit Tagesordnung, Einhaltung der Schriftform, Einhaltung von Ladungsfristen, Vorlage von Beschlussunterlagen), an einem Protokoll, an Angaben zur Teilnahme, zum Sitzungsverlauf, den Beratungsgegenständen, dem Beratungsverlauf und -inhalt, den Beschlussformulierungen, den Beschlüssen und dem Abstimmungsergebnis, die Beschlussfähigkeit des Gremiums sei nicht festgestellt worden, örtlich und auch sachlich sei der Ausschuss nicht zuständig und die Besetzung des Widerspruchsausschusses nicht ordnungsgemäß gewesen. Die Beklagte hat im Klageverfahren an ihrer Rechtsauffassung, dass eine Beitragskorrektur für die Jahre 2008 bis 2011 nicht in Betracht komme und die Entscheidung der Widerspruchsstelle in rechtmäßiger Weise erfolgt sei, festgehalten und zur Bestätigung ihres Vorbringens Beratungsunterlagen der Sitzung des Widerspruchsausschusses für die Sitzung am 2. Oktober 2012, deren Tagesordnung, das Protokoll der Sitzung des Widerspruchsausschusses für die Sitzung am 2. Oktober 2012 und die Geschäftsordnung des besonderen Ausschusses der Beklagten vorgelegt. Auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juni 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt es im Rahmen seines Urteils vom 1. Juni 2015 aus:
„Die Klage ist teilweise unzulässig und im Übrigen zwar zulässig, aber unbegründet.
 
a) Die Klage ist teilweise unzulässig. 
Die Klägerin hat eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) erhoben. Die Klage ist unzulässig, soweit die Klägerin einen Bescheidungsantrag gestellt hat. 
Gegenstand eines Klageverfahrens gegen eine ablehnende Entscheidung im Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch   Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ist die Rechtmäßigkeit des Überprüfungsbescheides und mittelbar die Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheides (Baumeister in: jurisPK - SGB X, § 44 Rn. 153, Stand: 08.04.2013). Nach überwiegender Auffassung der Senate des Bundessozialgerichts ist die richtige Klageart eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage, wobei die Anfechtungsklage auf die Aufhebung der Überprüfungsbescheide, die Verpflichtungsklage auf die Aufhebung des Ausgangsbescheides und die Leistungsklage auf die Verurteilung zu der dann zu beanspruchenden Leistung gerichtet ist (siehe z. B. BSG, Urteil vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R -, juris, Rn. 12). Nach anderer Auffassung ist die richtige Klageart eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 24/05 R -, juris, Rn. 9). Eine Verpflichtungsklage, die auf Neubescheidung gerichtet ist, kann nur dann statthaft sein, wenn die ursprüngliche Entscheidung eine Ermessensentscheidung ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn es geht um eine Beitragsfestsetzung, die keine Ermessensspielräume der Beklagten eröffnet. 
Der Antrag der Klägerin war auch nicht dahingehend auszulegen (§ 133 BGB analog), dass statt einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, die auf Neubescheidung gerichtet ist, eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erhoben wird, die auf Neufestsetzung unter Berücksichtigung von negativen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gerichtet ist. Dieser Antrag wäre zwar sachdienlich. Die Klägerin hat jedoch trotz eines entsprechenden Hinweises des Vorsitzenden (§ 106 Abs. 1 SGG) an ihrem Bescheidungsantrag festgehalten. Jedenfalls ein Antrag eines anwaltlich vertretenen Klägers kann bei vorherigem richterlichem Hinweis nicht gegen den klaren Wortlaut ausgelegt oder umgedeutet werden. 
b) Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung des angegriffenen Bescheides der Beklagten vom 7. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Oktober 2012 ist. 
(1) Offen bleiben kann, ob der Antrag der Klägerin nach § 44 SGB X vom 28. Februar 2012 hinreichend konkret die Bescheide benannt hat, deren Überprüfung begehrt wird, was Voraussetzung für eine Bescheidungspflicht der Beklagten ist (vgl. dazu BSG, Urteil vom 28.10.2014 - B 14 AS 39/13 -, juris, Rn. 15 ff.). 
(2) Es kann auch dahinstehen, ob der Widerspruchsbescheid an den von der Klägerin vorgetragenen oder sonstigen Verfahrens- oder Formfehlern leidet. 
(3) Denn eine Aufhebung des Bescheides könnte jedenfalls gemäß § 42 SGB X nicht verlangt werden. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. 
(a) Die von der Klägerin gerügten vermeintlichen Verfahrens- oder Formfehler würden jedenfalls nicht zur Nichtigkeit des Widerspruchsbescheides nach § 40 SGB X führen. 
Spezieller Nichtigkeitsgründe nach § 40 Abs. 2 SGB X liegen nicht vor. Insbesondere war die erlassende Widerspruchsstelle hinreichend gekennzeichnet (§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB X). 
Auch eine Nichtigkeit des Widerspruchsbescheides nach § 40 Abs. 1 SGB X scheidet aus. Danach ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. 
Besonders schwerwiegend ist der Fehler bei einem gravierenden Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den hier zugrunde liegenden Wertvorstellungen und tragenden Verfassungsprinzipien, der es unerträglich erscheinen ließe, wenn die beabsichtigten Rechtswirkungen eintreten würden (vgl. BSG, Urteil vom 12.09.1995 – 12 RK 24/95 -, juris, Rn. 26). Davon ausgehend könnten die von der Klägerin gerügten Verfahrens- und Formfehler nicht zur Nichtigkeit des Widerspruchsbescheides begründen. 
Bereits § 40 Abs. 3 Nr. 3 SGB X lässt erkennen, dass Fehler im Zusammenhang mit der Beschlussfassung durch einen Ausschuss prinzipiell nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes führen. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt nicht schon deshalb nichtig, weil ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war. Die von der Klägerin gerügten vermeintlichen Fehler sind jedenfalls qualitativ nicht schwerwiegender als die in § 40 Abs. 3 Nr. 3 SGB X genannten. Der Umstand, dass der Widerspruchsbescheid lediglich von dem Vorsitzenden unterschrieben wurde, ist sogar unschädlich, weil weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass der Bescheid nicht von dem beschließenden Gremium stammt oder wenigstens von ihm gebilligt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.1994 - 4 RLw 4/93 -, juris, Rn. 26) und die entscheidenden Personen im Bescheid kenntlich gemacht worden sind (vgl. § 60 Abs. 2 SGG). 
Allenfalls die absolute Unzuständigkeit der Widerspruchsbehörde könnte einen schweren und offensichtlichen Fehler darstellen, beispielsweise dann, wenn die Behörde in absurder Weise grob fehlerhaft ihre Zuständigkeit angenommen hätte, obwohl sie für den Erlass des Verwaltungsaktes unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zuständig sein konnte, weil sie keinerlei sachlichen Bezug zu diesem Aufgabengebiet hat (vgl. BSG, Urteil vom 09.06.1999 - B 6 KR 76/97 R -, juris, Rn. 30), wenn die Widerspruchsbehörde sich die ursprüngliche Zuständigkeit der Ausgangsbehörde anmaßt (BSG, Urteil vom 21.06.2000 - B 4 RA 57/99 R -, juris, Rn. 17) oder wenn sie zum zweiten Mal in derselben Sache einen Widerspruchsbescheid erlässt (BSG, Urteil vom 14.12.1994 - 4 RLw 4/93 -, juris, Rn. 29). Eine solche oder eine damit vergleichbare Konstellation liegt hier indes nicht vor. 
(b) Es ist auch offensichtlich, dass eine Verletzung der gerügten Verfahrens- und Formvorschriften die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hätte, denn weder der Ausgangsbescheid noch der Widerspruchsbescheid sind inhaltlich zu beanstanden. Die Beklagte hat fehlerfrei die Beiträge der Klägerin für die Jahre 2008 bis 2011 festgesetzt. 
Rechtliche Bedenken bestehen weder dagegen, dass der Spitzenverband Bund der Krankenkassen die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler erlassen hat, noch gegen die Rechtmäßigkeit der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler an sich. Das Bundessozialgericht hat wiederholt in ständiger Rechtsprechung die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler und die Übertragung von Regelungsbefugnissen auf den Spitzenverband Bund der Krankenkassen für unbedenklich erachtet. Dem schließt sich die Kammer an. 
(aa) Die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler stehen in Einklang mit höherrangigem Recht. Insbesondere bestehen keine Bedenken gegen die demokratische Legitimation einer Rechtsetzung durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen sowie die Einhaltung der Publizitätserfordernisse durch Veröffentlichung im Elektronischen Bundesanzeiger sowie gegen die rückwirkende Inkraftsetzung zum 01.01.2009 (BSG, Urteil vom 15.10.2014 - B 12 KR 10/12 R -, juris, Rn. 15). Bedenken bestehen auch nicht hinsichtlich der Ermächtigung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zum Erlass der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler durch § 240 SGB V. Insbesondere ist die Regelung hinreichend bestimmt, weil der in § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V vorgegebene Rahmen (Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit) die Anforderungen erfüllt, die an die Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen nach dem Bestimmtheitsgebot zu stellen sind (BSG, Urteil vom 15.10.2014 - B 12 Kr 10/12 R -, juris, Rn. 16). Dass der Spitzenverband Bund der Krankenkassen evtl. nicht neutral und unparteilich ist, ändert an der Verfassungsmäßigkeit der Delegation und an der Rechtmäßigkeit der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler nichts. Das Gebot der Unparteilichkeit, das von Verfassungs wegen für Richter gilt (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), ist nicht auf jedwede Ausübung von Staatsgewalt ausdehnbar. 
(bb) Es ist auch nicht von Verfassungs wegen erforderlich, dass die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler eine Härteklausel enthalten. Wenn der Versicherte aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation nicht in der Lage ist, die Beiträge zu zahlen, sieht § 26 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) für die Dauer des Bezuges von SGB II–Leistungen die Übernahme der Beiträge durch den SGB II–Träger vor. Damit wird das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip) sichergestellt und Härtefälle vermieden. 
(cc) Zutreffend hat die Beklagte schließlich die negativen Einkünfte der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung bei der Beitragsbemessung berücksichtigt. 
Nach § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V - sowohl in der bis zum 31.12.2008 als auch in der ab 01.01.2009 geltenden Fassung - ist bei der Beitragsbemessung sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Mit einzubeziehen sind demnach alle Einnahmen und Geldmittel, die das freiwillige Mitglied zum Lebensunterhalt verbraucht oder verbrauchen könnte, und zwar ohne Rücksicht auf die steuerliche Behandlung der Einkünfte (BSG, Urteil vom 30.10.2013 - B 12 KR 21/11 R -, juris, Rn. 18). Der Nachweis darüber, ob und in welchem Umfang ein der Beitragsbemessung in der freiwilligen Krankenversicherung zugrunde zu legendes Gesamteinkommen (§ 16 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, - SGB IV -) dem Versicherten zuzurechnen und in welchem Umfang es bei ihm bei der Beitragsbemessung nach § 240 SGB V zu berücksichtigen ist, ist allein mithilfe von Einkommensteuerbescheiden zu führen (BSG, Urteil vom 02.09.2009 - B 12 KR 21/08 R -, juris, Rn. 16). 
Zwar besteht auch im Beitragsrecht für einen freiwillig Versicherten die Möglichkeit eines horizontalen Verlustausgleichs innerhalb derselben Einkunftsart zur Verminderung der Beitragsbemessungsgrundlage, sodass er seine beitragspflichtigen Einnahmen z. B. durch Investitionsentscheidungen reduzieren kann, was ein Pflichtversicherten nicht kann (BSG, Urteil vom 09.08.2006 - B 12 KR 8/06 R -, juris, Rn. 18). 
Anders als im Steuerrecht ist jedoch bei der Beitragsbemessung freiwillig Versicherter der gesetzlichen Krankenversicherung ein vertikaler Verlustausgleich zwischen den verschiedenen Einkunftsarten ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 09.08.2006 - B 12 KR 8/06 R -, juris, Rn. 17). Da das Gesetz bei Pflichtversicherten einen Verlustausgleich nicht vorsieht, entspricht es dem Sinn und Zweck des § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V (wonach bei einem freiwilligen Mitglied der Beitragsbemessung mindestens die Einnahmen zu berücksichtigen sind, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten zugrunde zu legen sind), dass eine solche Privilegierung auch für freiwillig Versicherte nicht gelten kann (BSG, Urteil vom 30.10.2013 - B 12 KR 21/11 R -, juris, Rn. 28).“

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 19. August 2015 zugestellte Urteil hat diese am 21. September 2015 (Montag) Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung darauf hingewiesen, dass das Sozialgericht steuerliche Sachverhalte einfach übernommen habe, ohne die maßgeblichen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften anzuwenden. Der Beklagten habe bei ihrer Entscheidung auch bezüglich des „wie“ und „auf welcher Grundlage“ der Beitragserhebung ein Ermessen zugestanden. Das Gericht habe insoweit fehlerhaft sein Ermessen an die Stelle des behördlichen Ermessens gesetzt. Durch die Entscheidung des Sozialgerichts bezüglich der Nichteinhaltung von Formvorschriften werde die Geltung und Aufgabe der §§ 39ff SGB X in Form der Korrekturmöglichkeit ad absurdum geführt. Bei Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung seien zudem Werbungskosten grundsätzlich abzusetzen, sodass die Werbungskosten die Einnahmen minderten, die zum Lebensunterhalt zur Verfügung stünden. Das Verbot des vertikalen Verlustausgleichs gelte im Weiteren nur bei Kapitalerträgen. Ihr stehe ein Anspruch auf zeitkongruente Beitragserhebung bei der Vorlage „neuer“ Einkommensteuerbescheide zu, denn die steuerrechtlich spätere Nachweismöglichkeit könne nicht zu einer Schlechterstellung der Selbstständigen im Verhältnis zu den „normalen“ Versicherten führen. Insoweit dürften die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler das Gesetz nicht einschränken.

Die Klägerin beantragt ausdrücklich, 

das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 1. Juni 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 7. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Oktober 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Mit Beschluss vom 13. März 2017 hat der Senat die IKK Südwest - Pflegekasse - dem Verfahren notwendig beigeladen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die Berichterstatterin konnte im vorliegenden Fall anstelle des Senats entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, § 153 Abs. 3 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht mit Urteil vom 1. Juni 2015 die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 7. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Oktober 2012 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Diese hat keinen Anspruch auf eine Neubescheidung, die der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auch im Berufungsverfahren (erneut) explizit beantragt hat.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, § 44 SGB X.

Diese Voraussetzungen liegen bezüglich der Beitragsbescheide der Beklagten vom 20. Oktober 2008, 29. Juli 2009 und 8. Juni 2011 nicht vor.

Insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden und ausführlichen Ausführungen der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug und macht sich diese nach eigener Überprüfung zu eigen, § 153 Abs. 2 SGG.

Lediglich ergänzend weist der Senat auf folgendes hin:

Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin führt die Anwendung von § 42 SGB X nicht die Vorschriften insbesondere der §§ 44, 45 und 48 SGB X ad absurdum. Normzweck des § 42 SGB X ist es, zu verhindern, dass in den von der Vorschrift erfassten Fällen ein Verwaltungsakt wegen eines Verfahrensfehlers auch dann aufgehoben werden muss, wenn er mit demselben materiell-rechtlichen Ergebnis neu erlassen werden müsste. Dies wäre eine dem Rechtssuchenden schwer verständliche Überbewertung des der Durchsetzung materiell-rechtlicher Ansprüche „dienenden“ formellen Rechts (vgl. insoweit insbesondere: Schütze in: von Wulffen, SGB X, Kommentar, 7. Auflage 2010, § 42 Rdnr. 2; Waschull in: LPK-SGB X, Kommentar, 1. Auflage 2004, § 42 Rdnr. 1). Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Berufungsverfahren vorträgt, dass die Klägerin vor Erlass des Bescheides vom 7. März 2012 von der Beklagten nicht gemäß § 24 SGB X angehört worden sei, weist der Senat darauf hin, dass die Beklagte auf den Antrag der Klägerin tätig geworden ist. In einer solchen Fallkonstellation besteht aber gerade keine Anhörungspflicht nach § 24 SGB X. Insoweit wird die Rechtslage lediglich festgestellt, also nicht in bestehende Rechte eingegriffen. Durch die Möglichkeit der Anhörung soll grundsätzlich sichergestellt werden, dass der Beteiligte seine Auffassung vorträgt, ehe durch einen belastenden Verwaltungsakt in seine Rechte eingegriffen wird. Stellt er aber einen Antrag auf eine bestimmte Leistung, so hat er die Gelegenheit, seinen Standpunkt im Zusammenhang mit der Antragstellung vorzutragen, so dass ein Rechtsnachteil nicht eintritt, wenn er später nicht mehr angehört wird. Im Weiteren wird seine Rechtslage nicht zu seinem Nachteil verändert. Vielmehr will der Antragsteller seine Rechtslage verbessern, was aber nicht Gegenstand der Anhörungspflicht nach § 24 SGB X ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 9. Dezember 2004, B 6 KA 44/03 R; Vogelgesang in: Hauck/Noftz, SGB X, Kommentar, Stand: 4/12, § 24 Rdnr. 10 m.w.N.; von Wulffen, a.a.O., § 24 Rdnr. 4).

Die Beitragserhebung steht entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch nicht im Ermessen der Beklagten. § 240 Abs. 4 Satz 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) stellt sicher, dass bei hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen Veränderungen der Beitragsbemessung „auf Grund eines ... Nachweises nach Satz 2“ nur für die Zukunft wirksam werden, nämlich zum ersten Tag des auf die Vorlage des Nachweises folgenden Monats. Grund dafür ist, dass die Krankenkassen die Einnahmen sonst nicht verlässlich schätzen könnten. Weil nur Einkommensteuerbescheide als „Nachweise“ i.S.v. § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V in Betracht kommen, können stets nur die Einnahmen eines bereits vergangenen Zeitraums nachgewiesen werden, die dann als laufende Einnahmen so lange bei der Beitragsfestsetzung berücksichtigt werden, bis ein neuer Einkommensteuerbescheid vorliegt. Die damit lediglich zeitversetzt erfolgende Berücksichtigung der tatsächlichen Einnahmen der hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen ist nicht zu beanstanden. Auf einen längeren Zeitraum gesehen wird der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zutreffend Rechnung getragen, denn es erfolgt ein Ausgleich der wechselnden Einnahmen, weil nicht nur eine nachgewiesene Erhöhung der Einnahmen, sondern auch eine nachgewiesene Verringerung für die zukünftige Beitragsfestsetzung jeweils bis zum Nachweis der nächsten Änderung berücksichtigt wird (vgl. zuletzt: Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2013, B 12 KR 21/11 R - juris -).

§ 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V ordnet zudem an, dass bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit „mindestens“ die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt werden müssen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zu Grunde zu legen sind. Absatz 2 Satz 1 normiert insoweit eine Untergrenze. Die Vorschrift soll verhindern, dass freiwillig Versicherte beitragsmäßig geringer belastet werden als versicherungspflichtig Beschäftigte, schließt andererseits aber die Einbeziehung von Einnahmen, die bei einem Pflichtmitglied unberücksichtigt bleiben, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds aber mitbestimmen, gerade nicht aus (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2013, B 12 KR 21/11 R - juris -).

Insoweit führt das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 30. Oktober 2013 aus:

„Durch die alleinige Maßgeblichkeit der steuerrechtlichen Verhältnisse, wie sie durch den (endgültigen) Einkommensteuerbescheid abgebildet werden, auch mit Blick auf die der Beitragspflicht unterliegenden Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung wird sichergestellt, dass gewillkürte, auf eine beitragsrechtliche Optimierung angelegte Konstruktionen, die auf die Nutzbarmachung etwaiger Unterschiede zwischen Sozialversicherungs- und Steuerrecht angelegt sind, ausgeschlossen werden. Vermieden wird so insbesondere, dass Beitragspflichtige einerseits steuerrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zu ihren Gunsten nutzen, dann andererseits aber - nun von der steuerrechtlichen Betrachtung abweichend - versuchen, die sich daraus ergebenden sozialversicherungsrechtlich für sie nachteiligen Konsequenzen dadurch zu vermeiden, dass der Sachverhalt unter einem davon abweichenden rechtlichen Blickwinkel aufbereitet wird.“

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind. 

Rechtskraft
Aus
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