L 3 U 174/20

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 16 U 220/07
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 174/20
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die BK-Reporte Faserjahre (hier: BK-Report 1/2007 Faserjahre) enthalten Vorgaben für die qualifizierte Ermittlung der Faserjahre durch den Präventionsdienst.
2. Auch für das Gericht sind diese Reporte und der dort jeweils wiedergegebene aktuelle Erkenntnisstand im Interesse der Gleichbehandlung der Versicherten maßgeblich.
3. Die BK-Reporte ermöglichen dem Gericht zudem eine Plausibilitätskontrolle der Feststellungen des Präventionsdienstes.

I.    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. November 2008 wird zurückgewiesen.

II.    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin ist die Witwe des 2006 verstorbenen Versicherten C.A.. Sie begehrt von der Beklagten Hinterbliebenenrente und macht geltend, ihr Ehemann sei auf Grund einer Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 4104 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung – BKV – (u. a. Lungenkrebs in Verbindung mit einer Asbeststaublungenerkrankung) verstorben.

Der verstorbene Versicherte war während seines gesamten Berufslebens von April 1961 bis Juni 2006 als Kfz-Mechaniker beschäftigt (Lehrling, Geselle, Meister) und dabei überwiegend in dem Bereich Instandsetzung von LKW und Omnibussen tätig. Dabei hatte er Kontakt zu asbestfaserhaltigem Feinstaub. Er war von der Zentralen Erfassungsstelle als asbeststaubgefährdeter Arbeitnehmer erfasst und wurde regelmäßig arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen unterzogen. Im April 2006 wurde der Versicherte mit dem ambulanten Befund einer Leberfilialisierung bei unklarem Primärtumor im Klinikum Stadt Hanau stationär aufgenommen, wo er verstarb mit der Diagnose „Exitus letalis im Multiorganversagen bei V. a. intermediären Typ eines kleinzelligen Bronchialkarzinoms“ (Arztbriefe des Klinikums vom 12. April 2006, 12. Mai 2006, 23. Juni 2006, 10. September 2006). 

Im Rahmen der Ermittlung der arbeitstechnischen Verhältnisse zu der geltend gemachten BK Nr. 4104 erhob der Präventionsdienst (Dipl.-Ing. D.) die Arbeitsplatzverhältnisse des Versicherten vor Ort bei der Firma Autohaus E. GmbH E-Stadt (früher Autohaus F.A. & Sohn OHG), bei der der Kläger vom 1. April 1961 bis 11. März 1966 zunächst als Lehrling und ab dem 1. Januar 1965 als KFZ-Mechaniker tätig war, sowie bei der G.Bus GmbH Service-Center G-Stadt (im Folgenden: G.Bus GmbH; früher H. Fahrzeugwerke GmbH), bei der der Kläger vom 14. März 1966 bis 2. Juni 2006 zunächst als KFZ-Mechaniker und ab dem 1. Juli 1982 als KFZ-Meister tätig war. Dipl.-Ing. D. befragte zu Art, Umfang und Dauer der einzelnen Tätigkeiten des Versicherten die ehemaligen Arbeitskollegen J. (Firma Autohaus E.) sowie Frau K., L., M., N. und O. (G.Bus GmbH). In seiner Stellungnahme vom 26. September 2006 kam Dipl.-Ing. D. auf der Grundlage der Erkenntnisse des BK-Reportes 1/05 „Faserjahre“, auf Grund der Angaben der Arbeitskollegen und unter Berücksichtigung der Bystander-Belastung in der Werkstatt zu dem Ergebnis, der Versicherte habe Kontakt zu asbestfaserhaltigem Feinstaub mit einer Konzentration von schätzungsweise 0,5 bis 10 F/cm3  gehabt bei den Tätigkeiten Wartungs- und Reparaturarbeiten an Bremsanlagen, an den Achsen, Austausch und Reinigung von Kupplungen, De-/Montage von Zylinderkopfdichtungen und Dichtungen von Wasserpumpen, Ein-/Auslagerung von Brems-, Kupplungsbelägen und IT-Dichtungen, Reibbeläge von Trommelbremsen und Kupplungsbelägen, IT-Dichtungen in Form von Zylinderkopfdichtungen und Dichtungen für Wasserpumpen, Spachtelmassen. Bei allen diesen Tätigkeiten sei kein Atemschutz getragen worden. Vor dem Hintergrund, dass die Arbeitstage pro Jahr nicht gezielt nachweisbar seien, seien bei der Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen 240 Arbeitstage pro Jahr und 8 Arbeitsstunden pro Arbeitstag zugrunde gelegt worden. Aus der ermittelten Asbestexposition auf der Grundlage des BK-Reports „Faserjahre“ ergebe sich eine kumulative Asbestfaserdosis von 19,2 Faserjahren.

Ein nach Obduktion des Versicherten von der Beklagten eingeholtes pathologisches Gutachten der Pathologen Dres. P. und Q., Pathologie am Klinikum Stadt Hanau, vom 6. November 2006 nebst einem pathologischem Zusatzgutachten von Prof. Dr. R., Institut für Pathologie der Ruhr-Universität Bochum, vom 27. September 2006 ergab hauptbefundlich ein ausgedehnt metastasiertes Tumorleiden ohne sicheren Nachweis eines Primarius. Das Vorliegen einer asbestbedingten Gewebsveränderung der Lunge und Pleura wurde verneint.

Mit Bescheid vom 17. Januar 2007 lehnte die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme des Landesgewerbearztes vom 4. Dezember 2006 Hinterbliebenenleistungen ab. Eine BK der Nr. 4104 habe bei dem Versicherten nicht vorgelegen. Nach den pathologischen Gutachten sei die Diagnose eines primären Lungenkarzinoms durch die Obduktion nicht gesichert. Im Übrigen hätten auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen der betreffenden Berufskrankheit in Form von medizinischen Brückenbefunden oder 25 Asbestfaserjahre nicht vorgelegen.

Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihr Ehemann habe regelmäßig Überstunden geleistet und sei teilweise auch samstags tätig gewesen. Diese Zeiten seien bei der Ermittlung der Asbestfaserjahre mit einzubeziehen. Hinsichtlich der Ableistung von Überstunden legte sie schriftliche Erklärungen der ehemaligen Arbeitskollegen S., T., V., M., W., L., X. und Y. vor. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. Juni 2007 teilte der Präventionsdienst (Dipl.-Ing. D.) dazu mit, mit der normierten Arbeitszeit von 240 Arbeitstagen pro Jahr sei nach dem aktuellen BK-Report 1/2007 „Faserjahre“ der nachgewiesenen Wochenendarbeit des Versicherten für den Zeitraum von 1966 bis 2006 bei der Bestimmung der Expositionsdauer bereits Rechnung getragen worden. Im Übrigen seien bei der Ermittlung der Faserjahr-Dosis ausschließlich tätigkeitsbezogene Anhaltswerte zur Bestimmung der Asbestfaser-Konzentration in Verbindung mit den jeweiligen zeitlichen Umfängen der im Sinne der BK Nr. 4104 gefährdenden Tätigkeiten bezogen auf eine entsprechende Expositionsschicht berücksichtigt worden. Dementsprechend ergebe sich aus den im Widerspruch aufgeführten täglich geleisteten Überstunden keine neue Berechnungsgrundlage für die bei der Faserjahr-Berechnung zu berücksichtigenden Expositionsdauer. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Die Klägerin hat am 19. September 2007 Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main (Sozialgericht) erhoben und geltend gemacht, die Voraussetzungen der BK Nr. 4104 hätten bei ihrem Ehemann vorgelegen, denn ein primäres pulmonales Karzinom sei nicht ausgeschlossen und bei korrekter Ermittlung sei auch eine Belastung mit 25 Faserjahren am Arbeitsplatz erreicht. Sie hat u. a. einen Entlassungsbericht aus der Salus Klinik Friedrichsdorf vorgelegt vom 26. Juli 2001, in der ihr Ehemann auf Kosten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Rehabilitation wegen eines Alkohol-Abhängigkeitssyndroms durchführte.

Mit Urteil vom 10. November 2008 hat das Sozialgericht die Klage auf Hinterbliebenenleistungen abgewiesen. Die Voraussetzung einer BK nach Nr. 4104 sei nicht gegeben, da ein Primärtumor, dessen Entstehung durch die Asbestexposition verursacht worden sein müsste, medizinisch nicht festgestellt sei. Vielmehr gebe es nach dem Entlassungsbericht der Salus Klinik deutliche Hinweise auf gut denkbare andere Entstehungsmöglichkeiten einer Krebserkrankung, wie die langjährige Alkoholabhängigkeit des Versicherten und einen Nikotinabusus.

Gegen das ihr am 10. Dezember 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 8. Januar 2009 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt. Sie hat zunächst erneut vorgetragen, bei der Berechnung der Asbestexposition ihres verstorbenen Ehemannes seien die von diesem geleisteten und von den genannten Zeugen belegten Überstunden zu berücksichtigen. Der Versicherte habe häufig täglich bis zu 10 Stunden und zudem samstags gearbeitet. Dazu hat die Klägerin den Einstellungsvertrag des Versicherten vom 1. Juli 1982 mit der Firma H. vorgelegt nebst Zusatzvereinbarung vom 6. Dezember 1990 sowie Schreiben der Firma G.Bus GmbH von Mai und Juni 2002 und vom 21. März 2007. Hinsichtlich des anzunehmenden Primärtumors hat sie eine Bescheinigung des Priv. Doz. Dr. Z., Direktor der Med. Klinik III,Klinikum Hanau GmbH vom 5. Mai 2009 vorgelegt, wonach eine andere Lokalisation des Primarius außerhalb der Lunge klinisch nicht belegbar sei.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers ein Gutachten von Prof. Dr. D1., Chefarzt Innere Medizin-Onkologie, Thoraxklinik-Heidelberg gGmbH, und des Oberarztes Dr. E1. vom 26. Januar 2010 sowie von Amts wegen eine ergänzende Stellungnahme dieser Sachverständigen vom 3. Januar 2018 eingeholt. Danach ist vor dem Hintergrund des bestehenden Krankheitsbildes, des Lungentumors, der Lymphknotenmetastasen sowie der für ein Lungenkarzinom typischen Metastasierung die Diagnose eines Lungenkarzinoms als Primärtumor als gesichert anzusehen.

Die Beklagte hat eine ergänzende Stellungnahme und Neuberechnung des Präventionsdienstes vom 21. Juli 2010 vorgelegt. Dipl.-Ing. D. führt darin aus, vor dem Hintergrund der nachweislich von dem Versicherten erbrachten Mehrarbeit bei der Firma G.Bus GmbH habe er im Rahmen der Faserjahr-Berechnung zur Bestimmung der kumulativen Asbestfaserstaubdosis die Expositionsdauer gegenüber Asbestfaserstaub neu bewertet. Unter Berücksichtigung von nunmehr durchschnittlich 280 Arbeitstagen pro Jahr, einer durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit von 10 Stunden und dem gemäß BK-Report 1/2007 „Faserjahre“ Tabelle 7.15 (S. 147) anzunehmenden letzten Asbestkontakt am 31. Dezember 1995 ergebe sich eine kumulative Asbestfaserstaubdosis von 22,7 Faserjahren. Eine pauschale prozentuale Erhöhung des zeitlichen Umfangs der im Sinne der BK Nr. 4104 gefährdenden Tätigkeit entsprechend der täglich geleisteten Überstunden erfolge nicht, da gemäß BK-Report 1/2007 „Faserjahre“ entsprechend Tabelle 7.14 (S. 145 ff.) bei der Tätigkeitsdauer pro Expositionsschicht jeweils Maximalwerte herangezogen worden seien. Zu betonen sei, dass die Anwendung der 90%-Werte in den Tabellen des BK-Reportes 1/2007 „Faserjahre“ und die Konventionen zu Umrechnungsfaktoren in mehrfacher Hinsicht eine Ermittlung der Asbestfaserdosis zugunsten des Versicherten darstelle. Der Stellungnahme waren als Anlagen beigefügt, eine Faserjahr-Berechnung vom 23. Juli 2010, Untersuchungsbogen „Gesundheitsgefährlicher mineralischer Staub“ vom 15. Dezember 1993, Untersuchungsbogen „Gesundheitsgefährlicher mineralischer Staub vom 17. Januar 1992, Untersuchungsbogen „Gesundheitsgefährlicher mineralischer Staub“ vom 13. Mai 1987 (Durchführung der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung durch Prof. Dr. Woitowitz., Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin, Justus-Liebig-Universität Gießen).

Gegen diese Faserjahr-Neubewertung hat die Klägerin vorgebracht, die Asbestbelastung während der Lehrlingszeit ihres verstorbenen Ehemannes sei höher zu bewerten, da Lehrlinge im 3. Lehrjahr als volle Arbeitskraft eingesetzt worden seien. Nicht nachvollziehbar sei zudem, warum für den Zeitraum vom 14. März 1966 bis zum 30. Juni 1982 (Tätigkeit bei der G.Bus GmbH als KFZ-Mechaniker) eine Beschäftigungsdauer von 12 Stunden die Woche zu Grunde gelegt worden sei. Zudem berücksichtige die Neubewertung nicht, dass der Kläger seit dem 1. Juli 1982 als mitarbeitender Meister in der Omnibusreparatur eingesetzt gewesen sei; die in der Berechnung vom 23. Juli 2010 zugrunde gelegte eine Stunde je Schicht sei daher zu niedrig angesetzt. Zudem sei der Kläger auch als Meister durch benachbarte Arbeitsplätze mit Asbest belastet gewesen, da sich das Meisterbüro – stets geöffnet – in der Halle befunden habe, in der die Reparaturarbeiten durchgeführt wurden. 

In der von der Beklagten dazu vorgelegten Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 30. September 2010 hat Dipl.-Ing. D. ausgeführt, während der Ausbildung sei der Versicherte in zeitlich geringerem Umfang (ca. 1 Stunde pro Expositionsschicht) gegenüber asbesthaltigem Staub exponiert gewesen als nach seiner Abschlussprüfung als Geselle (ca. 2 Stunden pro Expositionsschicht). Die Expositionsdauer von durchschnittlich einer Stunde pro Expositionsschicht sei als Mittelwert über die gesamte Lehrzeit zu verstehen. Im Übrigen sei im Rahmen der Berechnung der kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis davon ausgegangen worden, dass der Versicherte während der kompletten Ausbildung durchschnittlich 280 Arbeitstage pro Jahr beschäftigt gewesen sei. Bei der Berechnung der Belastungsdosis während der Tätigkeit des Versicherten als mitarbeitender Meister sei von einer Direktbelastung mit Asbest von ca. 1 Stunde pro Expositionsschicht ausgegangen worden, obgleich nach dem Untersuchungsbogen von Prof. Dr. F1. vom 13. Mai 1987 ein Direktkontakt ab 1982 ausgeschlossen und nur noch eine Bystander-Exposition von einer Stunde pro Tag abgeschätzt worden sei. Bei einer solchen Bystander-Exposition sei die Expositionshöhe aber viel geringer anzusetzen als bei dem Direktkontakt. Die Verwendung der Expositionswerte des BK-Reports 1/2007 für die angenommene tägliche Dauer des Direktkontaktes berücksichtige zudem die übrige Bystander-Belastung in der Werkstatt.

Der Senat hat in einem Erörterungstermin am 24. Mai 2011 Dipl.-Ing. D., Präventionsdienst, zu der Frage angehört, inwieweit der Umgang des Versicherten mit asbesthaltigen Zylinderkopfabdichtungen und statischen Dichtungen in die Bewertung eingeflossen ist. Herr Dipl.-Ing. D. hat angegeben, ein Umgang des Versicherten sei nur für die Zeit der Ausbildung von 1961 bis 1964 festzustellen. In dieser Zeit habe der Versicherte u. a. im Lager gearbeitet, in dem große Mengen solcher Dichtungen gelagert wurden. In den Lagerungskisten könne es zum Abrieb gekommen sein. Dies sei in die Bewertung eingeflossen. Ein eigenes Fertigen oder Stanzen der Dichtungen durch den Versicherten habe nicht stattgefunden.

Sodann hat der Senat die Beklagte beauftragt, eine ergänzende Stellungnahme des Präventionsdienstes vorzulegen zu der Frage, inwieweit die Tätigkeitsanteile, die Kupplungsreparaturen betrafen, in die Faserjahrberechnung eingeflossen sind. Dipl.-Ing. D. hat in seiner Stellungnahme vom 13. Juli 2011 zu der von ihm durchgeführten Faserjahrberechnung vom 23. Juli 2010 die Asbestfaserexposition des Versicherten als KZF-Mechaniker im Zeitraum von 03/1966 bis 06/1982 erläutert und die Berücksichtigung des Tätigkeitsanteils der Kupplungs- und Getriebereparaturen bei der Dosisberechnung aufgezeigt und dazu u. a. verwiesen auf Auszüge aus dem BK-Report 1/2007 „Faserjahre“, Auszüge aus dem Forschungsbericht Fb 631 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz. Zum Inhalt der Stellungnahme im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte (Band II Bl. 240 ff.) verwiesen.

In einem weiteren Erörterungstermin vom 8. Oktober 2019 hat der Senat den Zeugen V. vernommen, der von 1966 an Kollege des Versicherten bei der Firma H. (heute G.Bus GmbH) gewesen ist, und zwar zu den Fragen, wie häufig Tätigkeiten wie allgemeine Bremsreparaturen, Reparaturen des Getriebes inkl. Reinigung sowie Reparaturen der Kupplung durchgeführt wurden, wieviel Zeit diese Arbeiten in Anspruch genommen haben, ob es üblich war, dass an mehreren Fahrzeugen gleichzeitig dieselben Tätigkeiten verrichtet worden sind sowie, ob Überstunden und Samstagsarbeit in der Zeit von 1964 bis 1982 geleistet worden ist. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Niederschrift vom 8. Oktober 2019 (Gerichtsakte Band II Bl. 352 ff.) Bezug genommen. In dem Termin haben sich die Beteiligten darauf geeinigt, dass die Beklagte weitere Ermittlungen durch den Präventionsdienst (Dipl.-Ing. D.) zur Asbestexposition des Versicherten am Arbeitsplatz durchführen wird. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2020 die Ergebnisse der von Dipl.-Ing. D. durchgeführten Befragung der Arbeitskollegen des Versicherten T., L. und U. vorgelegt, die jeweils nach Abstimmung der Fragen mit der Klägerin im Rahmen von Telefonkonferenzen unter Beteiligung der Klägerin, des Bevollmächtigen der Klägerin und der Beklagten erfolgt ist, sowie schriftliche Erklärungen der ehemaligen Arbeitskollegen Y. und X. des Versicherten (Gerichtsakte Band II Bl. 389 ff.).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. November 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2007 zu verurteilen, bei dem verstorbenen Versicherten eine BK nach der Nr. 4104 der Anlage 1 der BKV festzustellen und ihr Hinterbliebenenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, auch die weiteren Ermittlungen hätten keine neuen Erkenntnisse gebracht. Alle Zeugen seien nicht mehr in der Lage gewesen, die Arbeitssituation objektiv zu beschreiben.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand und dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten (Band I – III), sowie auf die Verwaltungsakte und die Gerichtsakte des Sozialgerichts Frankfurt am Main Az. S 23 U 226/11 (Band I und II) verwiesen, die zum Verfahren beigezogen worden sind. 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Berufung der Klägerin ist erfolglos. Das erstinstanzliche Urteil ist im Ergebnis zu Recht ergangen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Auch nach den weiteren Ermittlungen im Berufungsverfahren hat die Klägerin keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB VII setzt ein Anspruch der Hinterbliebenen auf Leistungen bei Tod des Versicherten voraus, dass der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist. Vorliegend lässt sich der hier geltend gemachte Versicherungsfall nicht feststellen. Die Voraussetzungen einer BK nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV liegen nicht vor.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind von dem Verordnungsgeber in der BKV solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.
Nach Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV gehören hierzu Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs

-    in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose)
-    in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder
-    bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens  25 Faserjahren.

Voraussetzung für die Feststellung jeder Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, für die Entschädigungsleistungen beansprucht werden im Vollbeweis nachgewiesen sind. Mit diesem Beweismaßstab sind bei der BK Nr. 4104 zudem die tatbestandlichen pleuralen Brückensymptome (Asbestose oder asbeststaubverursachte pleurale Läsionen) als auch die Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 25 Faserjahren (sog. „technische Brücke“) nachzuweisen. Für den Vollbeweis ist eine absolute Sicherheit nicht zu erzielen. Erforderlich ist aber eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale zweifelt (BSGE 96, 291, 293; Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Auflage, § 128 Rn. 3b). Es muss ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 103, 99, 104). 

Sind die Brückenbefunde oder die bestimmte Einwirkung der BK Nr. 4104 nachgewiesen, wird die Feststellung des Kausalzusammenhangs zwischen diesen Tatbestandselementen und dem Lungenkrebs erleichtert, indem dieser widerlegbar vermutet wird (gesetzliche Tatsachenvermutung). Die Vermutung ist widerlegt, wenn die tatsächlichen Grundlagen einer anderen Ursache im Vollbeweis nachgewiesen werden, diese rechtlich allein als wesentlich zu werten sind und die Kausalität wahrscheinlich ist. Der private Tabakkonsum reicht für das Widerlegen dabei nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 – B 2 U 15/05 R – juris; Falkensteiner Empfehlung in: Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung – BKV – Stand: Februar 2020, M 4104, S. 12i, 24).

Der verstorbene Versicherte war während seiner beruflichen Tätigkeit gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII unstreitig als Beschäftigter versichert. Nach den weiteren Ermittlungen im Berufungsverfahren ist auch das Vorliegen der Listenerkrankung, ein Lungenkarzinom als Primärtumor festzustellen (vgl. zu dem Erfordernis eines Primarius in der Lunge Mehrtens/Brandenburg, a. a. O., M 4104, S. 3, 27). Für diese Feststellung stützt sich der Senat auf die ihn überzeugenden Ausführungen der Ärzte Prof. Dr. D1. und Dr. E1. der Thoraxklinik Heidelberg, die in ihrem Gutachten vom 3. Januar 2018 unter Berücksichtigung insbesondere des pathologischen Gutachtens von Prof. Dr. R. im Verwaltungsverfahren ausgeführt haben, mit nahezu „100%er Wahrscheinlichkeit“ sei von dem Vorliegen eines primären Lungenkarzinoms auszugehen, denn die histo-pathologische Morphologie sei mit einem primären neuroendokrinen Lungentumor in Übereinstimmung zu bringen und die Metastasenlokalisationen (Leber, Nebennieren, Knochen, Dura mater, Schilddrüse) typisch für das Metastasierungsmuster eines Lungenkarzinoms. Auch die Beklagte stellt das Vorliegen eines Primärtumors in der Lunge nicht mehr in Frage (s. ausdrücklich: Niederschrift vom 8. Oktober 2019).

Eine Anerkennung der BK Nr. 4104 scheitert jedoch daran, dass sich der Lungenkrebs des verstorbenen Versicherten nicht hinreichend wahrscheinlich auf die Einwirkungen an dessen Arbeitsplatz zurückführen lässt.

Die gesetzliche Tatbestandsvermutung greift hier nicht. Pleurale Brückensymptome sind nicht nachgewiesen. Eine Asbestose liegt nicht vor, auch nicht eine Minimalasbestose, die das Kriterium dieses Brückenbefundes schon erfüllen würde. Nach der Definition der Minimalasbestose durch die Deutsche Gesellschaft für Pathologie – 1997 – (wiedergegeben in der Falkensteiner Empfehlung in: Mehrtens/Brandenburg, a. a. O., M 4104, S. 21) beinhaltet eine solche Asbestose Grad I „den lichtmikroskopischen Nachweis minimaler Fibrosierungsherde im Bereich der Bronchioli respiratorii und der begleitenden Gefäße mit Einstrahlung maximal in die direkt angrenzenden Alveolarsepten sowie in diesen Arealen eingelagerten Asbestkörpern. Dabei reicht der zufällige (einmalige) Nachweis von Asbestkörpern zur Diagnosestellung einer Minimalasbestose nicht aus. Ein staub-analytischer Grenzwert für die Minimalasbestose ist nicht definiert“. Zur Überzeugung des Senats hat Prof. Dr. R. in ihrem pathologischen Zusatzgutachten vom 27. September 2006 nach eigener feingeweblicher, histomorphologischer und immun-histochemischer Untersuchung von Anteilen der beiderseitig sezierten Lungen festgestellt, dass das Bild einer Minimalasbestose nicht vorliegt. Die Staubablagerungen seien insgesamt gering ausgeprägt, der histomorphologische Nachweis von Asbestkörpern gelinge nicht. Die staubanalytische Untersuchung ergebe keine vergleichsweise vermehrte pulmonale Asbestbelastung.

Auch eine asbestbedingte Pleuraerkrankung liegt bei dem Versicherten nicht vor. Dieses Brückensymtom ist gegeben, wenn asbestverursachte diskrete pleurale Läsionen, auch im Sinne von einseitigen Plaques und Verkalkungen, im Vollbeweis nachgewiesen sind (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, Seite 1153). Dr. G1. hat als Ergebnis seiner makroskopischen Untersuchung vom 9. August 2006 von Lungengewebe aus dem rechten und linken Ober- und Unterlappen sowie dem rechten Mittellappen festgestellt, dass sich in allen zur Untersuchung gelangten Gewebeproben keine Strukturen hyaliner Pleuraplaques feststellen lassen. Ebenso haben Dr. P./Dr. Q., Pathologie Hanau bei der von ihnen durchgeführten Obduktion keine Plaques oder sonstige durch Asbest verursachte Veränderungen an der Pleura feststellen können.

Auch die sog. technische Brücke ist hier nicht erfüllt. Der Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren ist auch nach den umfangreichen Ermittlungen im Berufungsverfahren nicht erbracht. 

Der Mitarbeiter des Präventionsdienstes der Beklagten, Dipl.-Ing. D., hat sich für die Erstellung der Arbeitsanamnese und der arbeitstechnischen Aspekte für die Ermittlung der Faserjahre bei seiner ersten Gefährdungsanalyse und Berechnung (Stellungnahme vom 26. September 2006) nach dem BK-Report 01/2005 „Faserjahre“ gerichtet und in seinen späteren Stellungnahmen und (korrigierten) Berechnungen im Berufungsverfahren den BK-Report 1/2007 „Faserjahre zugrunde“ gelegt. Die betreffenden BK-Reporte sind von einem interdisziplinären Arbeitskreis erstellt und enthalten einheitliche Messkriterien und Vorgaben bzgl. nicht mehr vorhandener und nicht mehr reproduzierbarer Arbeitsplätze für die qualifizierte Ermittlung der Faserjahre. Zudem gewährleisten sie durch Vorgabe von Standards und Bearbeitungshinweisen die Einheitlichkeit, Vergleichbarkeit und Nachvollziehbarkeit der vorrangigen Ermittlungen der tatsächlichen Arbeitstätigkeit und der konkreten Asbestbelastungen (s. dazu BK-Report 1/2007 „Faserjahre“, Einleitung S. 19 bis 23). Auch für das Gericht sind diese BK-Reporte und der dort jeweils wiedergegebene aktuelle Erkenntnisstand im Interesse der Gleichbehandlung der Versicherten bzw. Kläger maßgeblich. Die BK-Reporte ermöglichen zudem eine Plausibilitätskontrolle der Feststellungen des Präventionsdienstes.

Bei seinen ersten Ermittlungen zur Gefährdungsanalyse vor Ort in den Firmen Autohaus E. GmbH und G.Bus GmbH (s. die zusammenfassende Stellungnahme vom 26. September 2006 nebst Faserjahrberechnung) hat Dipl.-Ing. D. entsprechend dem Leitfaden in dem BK-Report 1/2005 „Faserjahre“ ehemalige Arbeitskollegen des Versicherten zu den Arbeitsplätzen und Tätigkeiten des Versicherten während der Ausbildung, der Tätigkeit als KFZ-Mechaniker und als KFZ-Meister befragt und  dadurch festgestellt, bei welchen Tätigkeiten und in welchem zeitlichen Anteil unmittelbarer Kontakt zu asbesthaltigem Feinstaub überhaupt gegeben war (Arbeiten an Bremsen, Kupplungen, Motoren der PKW bzw. LKW,  Dichtungen aus IT-Platten, beim Ansetzen, Auftragen, Verschleifen von Spachtelmassen). Sodann hat er den zeitlichen Umfang der Asbestexposition pro Expositionsschicht jeweils abgeschätzt bzw. die durchschnittlichen Anteile der jeweiligen asbestbelastenden Tätigkeiten in den Arbeitsschichten zu Grunde gelegt (s. auch die Angaben im Erörterungstermin vor dem Hessischen Landessozialgericht am 24. Mai 2011). Für die Bemessung der Faserkonzentration hat Dipl.-Ing. D. als tätigkeitsbezogene Anhaltswerte die Tabellen aus dem BK-Report herangezogen (vgl. die Tabellen 7.14 und 7.23 mit Erläuterungen des BK-Reports 1/2005 bzw. 1/2007 „Faserjahre“), bei denen mögliche Asbestexpositionen von Nachbararbeitsplätzen – sog. Bystanderexposition – mitberücksichtigt sind (s. die Erläuterungen zu der Tabelle 7.14 zur Tätigkeit des KFZ-Mechanikers im PKW- und LKW-Bereich). In dieser ersten Berechnung mit dem Ergebnis einer kumulativen Asbestfaserstaubdosis von 19,2 Faserjahren hatte Dipl.-Ing. D. 240 Arbeitstage pro Jahr und 8 Arbeitsstunden pro Arbeitstag zugrunde gelegt vor dem Hintergrund, dass die Arbeitstage pro Jahr nicht gezielt nachweisbar seien. Zudem ist er bei dieser ersten Berechnung auf Grund des BK-Reports 1/2005 von einer letzten Asbestexposition durch Kontakt mit asbesthaltigen Bremsbelägen und Kupplungen am 31. Dezember 1991 ausgegangen.

Diese erste Faserberechnung hat Dipl.-Ing. D. im Berufungsverfahren korrigiert (Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 21. Juli 2010 mit einer Faserjahr-Neuberechnung vom 23. Juli 2010 in der Anlage) unter Zugrundelegung der neuen Erkenntnisse in dem BK-Report 1/2007 „Faserjahre“. Zugunsten des Versicherten hat er dabei nunmehr einen letzten Asbestkontakt am 31. Dezember 1995 angenommen (s. BK-Report 1/2007 „Faserjahre“ Tabelle 7.15, S. 147). Zudem hat Dipl.-Ing. D. auf Grund der im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen bezüglich einer erbrachten Mehrarbeit des Versicherten bei der G.Bus GmbH, nunmehr durchschnittlich 280 Arbeitstage pro Jahr und eine durchschnittliche tägliche Arbeitszeit von 10 Stunden zu Grunde gelegt. Für eine nochmalige Korrektur der in dieser Faserjahr-Neuberechnung ermittelten kumulativen Asbestfaserstaubdosis von 22,7 Faserjahren zugunsten des Versicherten bzw. der Klägerin ergeben sich keine Anhaltspunkte. Dipl.-Ing. D. ist in seinen weiteren Stellungnahmen auf die Beanstandungen der Klägerin und Nachfragen des Senats bezüglich der Ausbildungszeit des Versicherten, seiner Tätigkeit als KZF-Mechaniker und als KFZ-Meister eingegangen und hat seine diesbezüglichen Berechnungen für den Senat nachvollziehbar erläutert.

Bezüglich der Exposition des Versicherten als KFZ-Meister bei der G.Bus GmbH in der Zeit vom 1. Juli 1982 bis 31. Dezember 1995  ist bei der Berechnung in den Belastungsabschnitten Nr. 9 bis 12 der Faserjahr-Neuberechnung vom 23. Juli 2010 zu Grunde gelegt worden, dass der Versicherte nach entsprechenden Angaben der Zeitzeugen als mitarbeitender Meister die Hälfte seiner Arbeitszeit in der Werkstatt im Bereich der Omnibus-Instandsetzung eingesetzt und im Rahmen der Schadenbegutachtung, der Abnahme der durchgeführten Instandsetzungsarbeiten und des Einsatzes als Springer ca. 1 Stunde pro Expositionsschicht direkt gegenüber Asbeststaub exponiert war. Diese Annahme ist, worauf Dipl.-Ing. D. sowohl in seinen Stellungnahmen vom 21. Juli 2010 und vom 30. September 2010 hingewiesen hat, für den Versicherten günstig. Denn in der Anmerkung auf dem Untersuchungsbogen der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung durch Prof. Dr. F1. vom 13. Mai 1987 wurde ein direkter Kontakt des Versicherten mit Asbest ab 1982 ausgeschlossen und nur noch eine Bystander-Exposition (Belastung durch Nachbararbeitsplätze) von einer Stunde täglich angenommen. Die Berücksichtigung dieses Sachverhaltes hätte aber – so Dipl.-Ing. D. – zur Folge, dass entsprechend dem BK-Report 01/2007 „Faserjahre“ (s. dort S. 170) bei der Expositionshöhe nur 10% der entsprechenden Konzentration hätten angesetzt werden dürfen, die bei den Tätigkeiten der direkt betroffenen Personen im Sinne des Umganges mit Asbest gegeben sind. Zugunsten des Versicherten bzw. der Klägerin ist auch die Berücksichtigung von durchschnittlich 280 Arbeitstagen pro Jahr während der kompletten Ausbildungszeit von 4/1961 bis 12/1964 (Stellungnahme des Dipl.-Ing. D. vom 30. September 2010).

In seiner Stellungnahme vom 13. Juli 2011 hat Dipl.-Ing. D. den von der Klägerin in der Faserjahr-Neuberechnung als zu niedrig beanstandeten Zeitanteil der Exposition des Versicherten als KFZ-Mechaniker (Instandsetzung von Omnibussen) von maximal 2 Stunden pro Expositionsschicht bzw. von 12 Stunden pro Woche im Zeitraum von 3/1966 bis 6/1982 erläutert. Die danach zu Grunde gelegten asbeststauberzeugenden Arbeiten sowie die dafür im Einzelnen errechneten Zeitanteile unter Berücksichtigung der Angaben der Zeitzeugen/früheren Arbeitskollegen sind für den Senat anhand des BK-Reportes 1/07 und der „Erhebung zur Zeitdauer stauberzeugender Arbeitsvorgänge in Bremsendiensten. Dauer verschiedener während der Probenahme beobachteter Arbeitsvorgänge in PKW- und LKW-Werkstätten“; Asbestgefährdung in Bremsendiensten, V. Rödelsperger, H.J. Woitowitz – Fb 631/Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz (im Folgenden: Erhebung von Rödelsperger/Woitowitz) nachvollziehbar, und zwar sowohl hinsichtlich der zu Grunde gelegten Annahmen als auch rechnerisch.

So hat Dipl.-Ing. D. in der betreffenden Stellungnahme vom 13. Juli 2011 unter Hinweis auf die Erhebung von Rödelsperger/Woitowitz aufgezeigt, dass im Rahmen der Tätigkeiten eines KFZ-Mechanikers an Bremsanlage, Fahrwerk, Kupplung, Motor nur zum Teil asbeststauberzeugende Arbeiten vorgenommen werden und diese auch unregelmäßig und jeweils nur kurzzeitig. Bei der Reparatur von Bremsanlagen hat vor allem die Erneuerung von Bremsbelägen asbeststauberzeugende Arbeiten beinhaltet (vgl. Erhebung von Rödelsperger/Woitowitz, S. 15 Tab. 3: Auf-/Abnieten von Bremsbelägen ca. 25-27 min/Fahrzeug, Überdrehen von Bremsbelägen ca. 32 min/Fahrzeug, Ausblasen der Bremsbacken nach dem Überdrehen ca. 32 min/Fahrzeug). Dipl.-Ing. D. errechnet für diese asbeststauberzeugenden Arbeiten mit Bremsbelägen im konkreten Fall plausibel einen Zeitanteil von 45 Minuten pro Tag bzw. ca. 4,5 Stunden pro Woche. Er legt dabei die Angaben der Zeitzeugen zu Grunde, dass nur bei 25% aller Bremsreparaturen die Bremsbeläge mit einer durchschnittlichen Dauer von ca. 90 Minuten pro Fahrzeug erneuert wurden, dass nicht jeder Monteur die Bremsbeläge selber überdreht hat und dass der Versicherte somit täglich (6 Tage pro Woche) eine Reparatur an der Bremsanlage eines Fahrzeugs durchgeführt und im Rahmen dieser Arbeiten an 6 Fahrzeugen pro Monat die Bremsbeläge gewechselt hat. 

Nicht zu beanstanden ist auch der Zeitanteil von 5 Minuten pro Tag bzw. 30 Minuten pro Woche, den Dipl.-Ing. D. für asbeststaubbelastende Arbeiten beim Ein-/Ausbau von Kupplungen und des Getriebes einschließlich Reparatur und Reinigung berücksichtigt hat. Nach der Erhebung von Rödelsperger/Woitowitz beschränken sich die asbeststauberzeugenden Arbeiten bei diesen Tätigkeiten auf das Reinigen der Kupplungs- bzw. der Getriebeglocke und den Austausch von Kupplungsscheiben. Unter der Prämisse, dass der zeitliche Aufwand zum Ein-/Ausbau eines Getriebes mit über 8 Stunden pro Fahrzeug anzusetzen ist, bei Kupplungsreparaturen in der Regel das Getriebe ausgebaut werden muss, der Austausch von Kupplungen im Zuge von Getriebereparaturen lediglich in 20% der Fälle erfolgte, ist die Annahme des Mitarbeiters des Präventionsdienstes nachvollziehbar, dass der Versicherte an zwei Fahrzeugen pro Woche das Getriebe ein- und ausgebaut und eine Kupplung ausgetauscht hat. Den damit gefundenen Zeitanteil von 10 Minuten pro Tag bzw. 55 Minuten pro Woche hat Dipl.-Ing. D. nach Auffassung des Senats richtigerweise nach unten korrigiert. Denn nach den Erkenntnissen im BK-Report 1/2007 „Faserjahre“ (Tabelle 7.14, S. 145, 147) sind Kupplungsreparaturen im Nutzfahrzeug wie im PKW-Bereich zu behandeln, werden im Vergleich zu Reparaturen an Bremsen nur selten ausgeführt und sind mit einer Faserkonzentration von 2 F/cm3 zu beurteilen. Da in der Faserjahr-Neuberechnung vom 23. Juli 2010 für alle Tätigkeiten pauschal die doppelte Faserkonzentration von 4 F/cm3 angesetzt wurde, wird durch Halbierung des errechneten Zeitanteils für den Ein-/Ausbau von Kupplungen und Getriebe einschließlich Reparatur und Reinigung die Asbestexposition richtig bewertet. 

Der berücksichtigte Zeitanteil für asbeststaubelastende Arbeit im Zusammenhang mit der Generalüberholung des Motors mit einem Anteil von 2 Minuten pro Tag bzw. ca. 12 Minuten pro Woche ist nach den Darlegungen von Dipl.-Ing. D. in seiner Stellungnahme vom 13. Juli 2011 ebenfalls schlüssig. Entsprechend den Angaben der Arbeitskollegen bei der Vorortermittlung hat Dipl.-Ing. D. angenommen, dass eine solche Generalüberholung i. d. R. dreimal pro Monat durchgeführt wurde und ca. 20 Arbeitsstunden erforderte. Asbeststaubbelastend war dabei nach dem BK-Report 1/2007 nur der Umgang mit IT-Dichtungen, wobei der Ein-/Ausbau dieser Dichtungen inklusive dem Überschleifen der Dichtflächen nur wenige Minuten dauerte. Der daraus errechnete zeitliche Anteil asbeststauberzeugender Arbeiten wurde von Dipl.-Ing. D. mit ca. 30 Minuten pro Woche bei einem angenommenen Dichtungswechsel pro Woche geschätzt und sodann für die richtige Bewertung der Asbestexposition wieder nach unten korrigiert. Denn nach dem BK-Report 1/07 „Faserjahre“ (Tabelle 7.4, S. 131) sind nur 1,5 F/cm3 Faserkonzentration anzusetzen anstelle der hier in der Faserjahr-Neuberechnung pauschal angesetzten 4 F/cm3.

Für Reparaturen am Fahrwerk hat Dipl.-Ing. D. nach seinen Ausführungen in der Stellungnahme vom 13. Juli 2011 die asbeststaubbelastende Arbeit mit einem Zeitanteil von 1 Minute pro Tag bzw. 6 Minuten pro Woche berücksichtigt, der sich nachvollziehbar mit den Angaben der Arbeitskollegen bei der Vorortermittlung und der Erhebung von Rödelsperger/Woitowitz begründen lässt. Asbeststaubbelastend war bei diesen Reparaturen nach dem BK-Report 1/2007 nur der Umgang mit der Bremstrommel, die teilweise demontiert werden musste, wobei der Kontakt nur kurzzeitig beim Ausblasen der Bremstrommel und der Bremsbacken bestand (Erhebung von Rödelsperger/Woitowitz: ca. 7 min/Fahrzeug). Angenommen wurde für die Berechnung, dass der Versicherte pro Monat eine Reparatur am Fahrwerk durchgeführt hat, die es erforderlich machte, die Bremstrommel zu demontieren.

Dipl.-Ing. D. hat dargelegt, dass er gemäß BK-Report 1/2007 „Faserjahre“ (S. 79 ff., Zeitermittlung zur Anwendung der Tätigkeitswerte) die Expositionsdauer bei Arbeiten in geschlossenen Räumen und bei normalen Lüftungsbedingungen wie im zu beurteilenden Fall mit etwa der 1,5-fachen der Bearbeitungsdauer der asbeststauberzeugenden Arbeiten in diesen Räumen gleichgesetzt und demzufolge eine Expositionsdauer durch Direktkontakt gegenüber Asbest von (53 Minuten pro Tag x 15) = 79,5 = ca. 80 Minuten pro Tag bzw. 8 Stunden pro Woche errechnet hat. Dieser Wert berücksichtigt nach dem BK-Report 1/2007 „Faserjahre“ (Tabelle 7.14, Erläuterungen S. 146) die mögliche Belastung durch Nachbararbeitsplätze während des eigenen Direktkontaktes. Zusätzlich wurden entsprechend dem BK-Report 1/2007 „Faserjahre“ (Tabelle 7.14, S. 147 und Abschnitt 7.3, S. 170) weitere 4 Stunden pro Woche als Bystander bei Tätigkeiten ohne eigenen Direktkontakt angesetzt (= 10% der Konzentration, die bei den Tätigkeiten der direkt betroffenen Personen im Sinne des Umgangs mit Asbest gegeben sind). 

Nach dem Ergebnis der weiteren Beweiserhebungen durch den Senat und den auf Wunsch der Klägerin von Dipl.-Ing. D. durchgeführten Erhebungen lassen sich keine weiteren Zeitanteile für die Berechnung der Exposition des Versicherten in dem von der Klägerin geltend gemachten Zeitraum von 1966 bis 1982 nachweisen. 

In dem Erörterungstermin vom 8. Oktober 2019 ist der Zeuge V., der in den Jahren von 1966 bis 1982 Kollege des Versicherten in der Werkstatt gewesen ist, ausführlich zu den Tätigkeiten allgemeine Bremsreparatur, Reparatur Getriebe inkl. Reinigung und Reparatur Kupplung vernommen worden. Nach seinen Angaben gab es in der betreffenden Zeit keine Änderung der Abläufe. Zur Häufigkeit und Zeitdauer der vorgenommenen Reparaturen konnte der Zeuge keine genauen Angaben machen, insbesondere nicht zum zeitlichen Umfang der Arbeiten mit asbestbelasteten Material. Er hat bestätigt, dass nicht bei jeder Bremsreparatur Bremsen erneuert wurden, aber nicht benennen können, wie hoch der Anteil an Bremsbelagserneuerungen bei Bremsreparaturen war. Er bestätigt, dass bei der Fahrwerkreparatur nur zum Teil die Bremstrommeln geöffnet und gereinigt werden mussten. Bezüglich der Bearbeitung von Dichtflächen (z. B. Zylinderkopfdichtungen) konnte der Zeuge keine Angaben machen. Er hat bestätigt, dass in der Halle an mehreren Fahrzeugen gleichzeitig dieselben Tätigkeiten verrichtet worden sind und der Abstand zwischen den Fahrzeugen eng war. Diesem ist indes durch die Berücksichtigung der Bystanderbelastung in der Faserjahrberechnung des Dipl.-Ing. D. Rechnung getragen worden. Die Angaben des Zeugen zu Überstunden und Samstagsarbeit sind vage. In der Faserneuberechnung vom 21. Juli 2010 ist auf Grund der von der Klägerin eingereichten schriftlichen Nachweise die geltend gemachte Mehrarbeit des Versicherten (Überstunden und Samstagsarbeit) aber schon in die neue Faserjahrberechnung eingeflossen. Auch die Befragung der Arbeitskollegen des Versicherten T., L., U., durch Dipl.-Ing. D., die (auf Grund der notwendigen SARS-CoV-2 Infektionsschutzmaßnahmen) im Rahmen einer Telefonkonferenz unter Beteiligung der Klägerin, ihres Bevollmächtigten und der Beklagten (stellvertretender Geschäftsführer der Bezirksverwaltung Mainz der BGHM, H1.) nach Abstimmung der Fragen erfolgt ist, hat keine weiteren Erkenntnisse erbracht. J1., KFZ-Meister bei der G.Bus GmbH bzw. deren Vorgängerin von Juni 1967 bis September 1974, konnte bei seiner Befragung am 26. Mai 2020 die von dem Versicherten durchgeführten Instandsetzungsarbeiten nicht mehr quantitativ angeben. Ebenso konnte L., Vorarbeiter im Bereich KFZ-Elektrik bei der G.Bus GmbH von Oktober 1972 bis Juni 1982, bei seiner Befragung am 14. Mai 2020, weder die von dem Versicherten durchgeführten Instandsetzungsarbeiten quantitativ angeben noch nähere Angaben zur Getriebereparatur und zu den durchgeführten Fahrwerk-Reparaturen machen. Auch U., zwischen 1963 und 2005 Schreiner im Karosseriebau und von 1974 bis 1975 Lagerleiter bei der G.Bus GmbH, konnte bei seiner Befragung am 27. Mai 2020 die von dem Versicherten durchgeführten Instandsetzungsarbeiten nicht quantitativ angeben, zumal er nicht bewusst mit diesem zusammengearbeitet hat. L. und U. stimmen aber darin überein, dass Ersatzteile und Arbeitsmaterial an einem Lagerschalter ausschließlich durch Lagerarbeiter ausgegeben wurden. Damit scheidet für die Beschäftigungszeit des Versicherten bei der G.Bus GmbH auch eine etwaige Berücksichtigung von Tätigkeiten im Lager mit asbestbelasteten Materialien aus. Die Annahme, dieser sei nur während der Lehrlingszeit solchen Belastungen ausgesetzt gewesen, hat sich bestätigt. Auch die Angaben der auf eigenen Wunsch schriftlich befragten Arbeitskollegen Y. und X. sind nicht weiterführend. Y., Vorarbeiter in der Nutzfahrabteilung der G.Bus GmbH kann (vgl. E-Mail vom 16. Juli 2020) den Arbeitsablauf nur „schemenhaft“ schildern. X. macht zu eigenen Reparaturarbeiten des Versicherten in der Werkstatt keine Angaben. Der Versicherte war bei Eintritt dieses Zeitzeugen bei der G.Bus GmbH am 1. April 1979 (schon) Werkstattmeister im Omnibusbereich. X. (Schreiben vom 8. August 2020) berichtet, der Versicherte habe 10 bis 15 Mitarbeiter und zusätzlich 6 bis 7 Lehrlinge betreut, sei überwiegend in der Werkstatt unterwegs gewesen, in der ein kleines Werkstattbüro untergebracht gewesen sei.  

Der Senat sieht die Ermittlungsmöglichkeiten im Verfahren als erschöpft an und hält die Berechnung der Faserjahre nach den im Berufungsverfahren erfolgten Korrekturen für zutreffend und vollständig auf der Basis des hier als Erkenntnisstand zu Grunde gelegten BK-Report 1/2007 „Faserjahre“. Dipl.-Ing. D. hat zur Qualitätskontrolle für seine Berechnung die Clearingstelle einbezogen (s. dazu Bl. 118 im Verfahren S 23 U 226/11). Die Faserjahrberechnung ist sowohl nach diesem Report und der Anwendung der 90%-Werte in den Tabellen (sog. Worst-Case-Berechnungen s. BK-Report 1/2007, S. 47 ff.) als auch wie ausgeführt nach den von dem Präventionsdienst (Dipl.-Ing. D.) im konkreten Fall zu Grunde gelegten Annahmen in mehrfacher Hinsicht zugunsten des Versicherten erfolgt. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass sich bezüglich der Erkenntnisse zu der Asbestbelastung in KFZ-Werkstätten aus dem aktuellen BK-Report 1/2013 „Faserjahre“ keine Änderungen ergeben, wie ein direkter Vergleich der beiden Reporte 1/2007 und 1/2013 zeigt (vgl. insbesondere die bei der Faserjahr-Berechnung herangezogenen Daten der Tabellen 7.4, 7.14, 7.15, 7.23 bzw. 7.25 sowie die Angaben zu den Tätigkeiten eines KZF-Mechanikers im LKW-Bereich jeweils Abschnitt 7.4.32).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.

Rechtskraft
Aus
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