S 20 AS 657/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 20 AS 657/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 611/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 11/21 B
Datum
Kategorie
Urteil

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Kläger begehren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch für die Zeit von Oktober bis Dezember 2015.

Die Kläger sind bulgarische Staatsangehörige. Die Klägerin zu 1.) und ihr Sohn, der Kläger zu 3.), haben seit 2012 in Großbritannien gelebt und sind am 6. August 2015 nach Deutschland gekommen, der Kläger zu 2.) ist am 6. September 2015 aus Bulgarien zu seiner Familie nach Deutschland nachgekommen.

Die Kläger beantragten am 21. Oktober 2015 beim Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Ihren Angaben zufolge, wurden sie zuvor von der Mutter der Klägerin zu 1.) aufgenommen und mit Lebensmitteln versorgt. 

Mit Bescheid vom 13. November 2015 lehnte der Beklagte die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ab, da sich das Aufenthaltsrecht der Kläger allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe und sie gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen seien.

Der Kläger zu 2.) legte dem Beklagten einen Arbeitsvertrag mit der Firma E. Dienstleistungen vor. Danach sollte er ab dem 1. November 2015 als Reinigungskraft eingestellt werden. Die Arbeitszeit sollte mit dem Arbeitgeber vereinbart werden, als Lohn waren 9,55 € (brutto) vorgesehen. Die Arbeit wurde jedoch nicht aufgenommen, so dass auch keine Lohnzahlungen erfolgt sind und das Arbeitsverhältnis schließlich beendet wurde.

Am 11. Januar 2016 legte der Kläger zu 2.) einen neuen Arbeitsvertrag vor, mit der Firma F.. Danach sollte er ab 1. Januar 2016 als Produktionshelfer eingestellt werden. Die Arbeitszeit sollte sich nach der betrieblichen Einteilung richten, die monatliche Bruttovergütung sollte 455 € betragen. Nach Vorlage einer Lohnbescheinigung bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 3. Februar 2016 ergänzend Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2016. Die Leistungsgewährung durch den Beklagten erfolgte bis Februar 2018, zum 1. Februar 2018 sind die Kläger nach A Stadt verzogen.

Den gegen den Ablehnungsbescheid vom 13. November 2015 eingelegten Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2016 zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, aus § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II ergebe sich ein Leistungsausschluss für die ersten drei Monate des Aufenthalts. Darüber hinaus seien Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe, und ihre Familienangehörigen, ebenfalls ausdrücklich vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Die Kläger hätten mehrfach angegeben, dass sie sich zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhielten. Nach Aktenlage sei dies auch die einzig schlüssige Begründung, um den Aufenthalt der Kläger in Deutschland im Rahmen des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügigG/EU) für die Zeit vor dem 1. Januar 2016 zu rechtfertigen. Für den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2015 ergebe sich ein Aufenthaltsrecht allein aus § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügigG/EU. Auch aus dem vorgelegten Arbeitsvertrag mit der Firma E. Dienstleistungen ergebe sich nichts anderes, den daraus seien keine Einkünfte erzielt worden, auch habe der Kläger zu 2.) keine Arbeitsleistung erbracht. Erst zum 1. Januar 2016 habe der Kläger zu 2.) eine Beschäftigung bei der Firma F. aufgenommen. Ab diesem Zeitpunkt ergebe sich ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügigG/EU. Wegen der geänderten Verhältnisse sei der Leistungsausschluss entfallen und es seien Leistungen ab 1. Januar 2016 gewährt worden.

Mit der am 9. Juni 2016 erhobenen Klage machen die Kläger geltend, der Widerspruchsbescheid sei intransparent. Die Ansichten und Behauptungen des Beklagten seien zudem rechtswidrig. Die Kläger seien nicht allein zur Arbeitssuche eingereist, erst nach dem sie hier waren, hätten sie Arbeit gesucht, damit sie auf eigenen Füßen stehen können. Sie berufen sich auf das Bundesverfassungsgericht und die Menschenwürde. Die Kläger seien zu ihren Eltern hierher nachgezogen, demnach hätten sie u.a. auch ein anderes Aufenthaltsrecht etc. jura novit curia. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei das Existenzminimum sicher zu stellen, in welcher Form auch immer, z.B. als Darlehen, Lebensmittelgutschein. Es gehe um die Menschenwürde, die unantastbar sei. Zudem habe der Kläger zu 2.) einen Arbeitsvertrag ab dem 1. November 2015 vorgelegt, spätestens ab da sei er Arbeitnehmer gewesen, egal ob er einen Verdienst erzielt habe oder nicht, weil er nichts dafür könne, dass der Arbeitgeber keinen Lohn zahle. Es lägen die Lohnabrechnungen und die Bescheinigung des Arbeitgebers vor ab November 2015. Ab diesem Zeitpunkt bestehe eine Anspruchsberechtigung nach dem SGB II. Darüber hinaus sei die Einreise nicht nur zur Arbeitssuche erfolgt, sondern auch zu den Eltern der Klägerin zu 1.). Zu ihnen seien die Kläger gezogen, bis sie eine eigene Wohnung gefunden hatten. Ansprüche bestünden danach ab Oktober 2015. Sie seien nicht ausschließlich zur Arbeitssuche eingereist, sondern als Familiennachzug zu den Eltern. Zudem sei der Einzug aus einem anderen EU-Land erfolgt, sodass der Leistungsausschluss für die ersten drei Monate nicht greife. Zudem seien sie bereits seit August da gewesen. Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und Art. 6 Grundgesetz sei die Familie zu schützen. Die Bescheide des Beklagten seien rechtswidrig, weil sie sich nur darauf stützten, dass die Einreise zum Zweck der Arbeitssuche erfolgt sei und dies nicht korrekt sei. Für den Feststellungsantrag liege das Feststellungsinteresse vor, da die Menschenwürde betroffen und Grundrechte verletzt worden seien. Es bestehe Wiederholungsgefahr, weil der Beklagte nicht einsehe, dass das gegenwärtige Existenzminimum sicherzustellen sei, nach dem Bundesverfassungsgericht, in welcher Form und durch wen auch immer. Die Kläger hätten ein ideelles Interesse und ein Rehabilitationsinteresse, weil in ihre Grundrechte eingegriffen worden sei und nicht rechtzeitig die menschenwürdigen gegenwärtigen Existenzsicherungsleistungen erbracht worden seien. Sie hätten auch ein wirtschaftlichen Interesse, weil die Bevollmächtigte als Rechtsanwältin habe eingeschaltet werden müssen und ihnen ein Schaden und Kosten entstanden seien. Ihnen selbst sei ein Schaden dadurch entstanden, dass sie monatelang kein Geld bekommen hätten.

Die Kläger beantragen,
1.    den Bescheid des Beklagten vom 13. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2016 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den Klägern Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen, hilfsweise als Darlehen.
2.    festzustellen, dass der Beklagte rechtswidrig Leistungen verweigert und rechtswidrig den beantragten Vorschuss vom 20. Oktober 2015 und vom 11. November 2015 nicht in gesetzlicher Frist beschieden hat und nichts in gesetzlicher Frist zahlt.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er nimmt Bezug auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid, in dem die Sach- und Rechtslage umfassend und detailliert dargestellt sei.

Der Beigeladene trägt vor, dass nach seiner Ansicht, die Voraussetzungen für eine Gewährung von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bei dem hier maßgebenden Sachverhalt nicht vorlägen. Im streitigen Zeitraum vom 21. Oktober bis 31. Dezember 2015 hätten sich die Kläger noch nicht länger als 6 Monate im Bundesgebiet aufgehalten, so dass in diesem Zeitraum noch keine Aufenthaltsverfestigung im Sinne der maßgebenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vorliege. Die Gewährung von Sozialhilfeleistungen sei danach nicht angezeigt. 
Der Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 13. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben für die Zeit bis 31. Dezember 2015 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch -SGB II- (1.) oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch -SGB XII- (2.).

I. Hinsichtlich des Klageantrages zu 1.) ist die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig (§ 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 SGG), aber in der Sache unbegründet.

(1.) Die Kläger haben gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Die Kläger zu 1.) und 2.) erfüllen zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II, unterlagen jedoch zunächst dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II und dann dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, der EU-Ausländer umfasst, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung noch über ein Aufenthaltsrecht verfügen. Diesem Leistungsausschluss stehen nicht das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA), noch das Recht der Europäischen Union (EU) oder das Grundgesetz (GG) entgegen. Im Hinblick auf den hier streitgegenständlichen Zeitraum von Oktober bis Dezember 2015 kommt § 7 SGB II in der Fassung vom 20. Dezember 2011 zur Anwendung, die bis zum 31. Juli 2016 Gültigkeit hatte (SGB II a.F.), weil es an einer hiervon abweichenden Regelung fehlt (Geltungszeitraumprinzip, vgl. BSG, Urteil vom 30. August 2017, -B 14 AS 31/16 R-, in juris, Rdn.18, m.w.N.).

(a) Die Kläger zu 1.) und 2.) erfüllen die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 SGB II sind bei den Klägern zu 1.) und 2.) unstreitig erfüllt. Die Kläger, die bulgarische Staatsbürger sind, haben seit 6. August 2015 bzw. 6. September 2015 auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Gemäß § 30 Abs. 3 S. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Der Aufenthalt ist solange zukunftsoffen, wie nicht bestandskräftig oder durch eine für sofort vollziehbar erklärte Entscheidung der Ausländerbehörde festgestellt worden ist, dass ein Aufenthaltsrecht der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr besteht oder die Kläger freiwillig beabsichtigen auszureisen. Für eine baldige Beendigung des Aufenthalts der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, es ist von einem zukunftsoffenen Aufenthalt auszugehen. Auch von der erforderlichen Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) der Kläger ist auszugehen. Der Beklagte hat den Klägern ab Januar 2016 (ergänzend) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gewährt, dafür war es erforderlich, dass sie selbst nicht über ausreichendes Einkommen und Vermögen verfügten. Mangels anderer Anhaltspunkte wird davon ausgegangen, dass auch bereits ab Oktober 2015 Hilfebedürftigkeit der Kläger bestand.

(b) Die Kläger unterfallen jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II. Für die ersten drei Monate nach ihrer Einreise sind die Kläger gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II a.F. von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Danach sind Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des FreizügigkeitsG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen.

Für die Klägerin zu 1.) und ihren Sohn den Kläger zu 3.), die am 6. August 2015 nach Deutschland eingereist sind, umfasst dieser Leistungsausschluss den 3-Monats-Zeitraum bis 5. November 2015. Dabei ist es unerheblich, dass die beiden Kläger aus Großbritannien nach Deutschland eingereist sind und nicht direkt aus ihrem Heimatland Bulgarien. Die gesetzliche Regelung unterscheidet insoweit nicht zwischen der Einreise aus dem ursprünglichen Herkunftsland oder aus einem anderen europäischen Land, sondern stellt allein auf den Zeitpunkt der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland und die Zugehörigkeit zu einem EU-Mitgliedsstaat ab. Die Klägerin zu 1.) war im Jahr 2015 weder als Arbeitnehmerin noch als Selbständige in der Bundesrepublik Deutschland tätig, auch liegen die Voraussetzungen der Fortwirkung für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige nach § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) bei ihr nicht vor.

Für den Kläger zu 2.), der am 6. September 2015 aus seinem Heimatland Bulgarien nach Deutschland eingereist ist, umfasst der Leistungsausschluss den 3-Monats-Zeitraum bis 5. Dezember 2015. Der Kläger zu 2.) war bis Ende Dezember 2015 weder als Arbeitnehmer noch als Selbständiger in der Bundesrepublik Deutschland tätig, auch liegen die Voraussetzungen der Fortwirkung für Arbeitsnehmer und selbständig Erwerbstätige nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU bei ihm nicht vor. Der Kläger zu 2.) sollte zwar bei der Firma E. Dienstleistungen ab 1. November 2015 beschäftigt werden, dieses Arbeitsverhältnis wurde jedoch nicht umgesetzt. Der Kläger zu 2.) hat nicht gearbeitet und keinen Lohn erhalten. Dies geht aus der Abrechnung für November 2015 vor, die 0,00 € aufweist. Soweit die Firma E. Dienstleistungen zunächst mit einer Bescheinigung von Dezember 2015 mitgeteilt hatte, dass der Kläger zu 2.) in ihrem Betrieb als Aushilfe tätig sei, im November aber nicht habe eingesetzt werden können und deshalb auch kein „Monatsendgeld“ erhalten habe, im Dezember aber bereits 20 Stunden bei einem Stundenlohn von 9,55 € geleistet habe, wurde der Inhalt dieser Bescheinigung im Januar 2016 widerrufen. In der Bescheinigung vom 26. Januar 2016 führte die Firma E. Dienstleistungen aus, dass ihnen ein Fehler unterlaufen sei, die Bescheinigung über die Stunden im Dezember für den Kläger zu 2.) werde aufgehoben, ihm sei zum 30. November 2015 gekündigt worden. Die Firma führt weiter aus, dass die Bearbeiterin in der Sache eine neue Kollegin gewesen sei und in diesen Angelegenheiten keine Erfahrung gehabt habe. Demnach hat der Kläger zu 2.) weder im November 2015 noch im Dezember 2015 eine Arbeitsleistung erbracht und dementsprechend keinen Lohn erhalten. Aufgrund dessen ist er in dieser Zeit auch nicht als Arbeitnehmer anzusehen und kann daraus keine Rechte – insbesondere kein Aufenthaltsrecht – herleiten.

Der Begriff des Arbeitnehmers in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist, wie die Wortverbindung in dessen Nr. 1 zum FreizügG/EU zeigt, europarechtlich geprägt. Der Arbeitnehmerbegriff im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist deckungsgleich mit dem unionsrechtlichen Begriff, der der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu Grunde liegt, da das FreizügG/EU der Umsetzung der sog. Unionsbürger- oder Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EU dient. Eine kodifizierte Definition des Arbeitnehmerbegriffs findet sich im Europarecht nicht. Nach der Rechtsprechung des EUGH erfüllt die Arbeitnehmereigenschaft, wer eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, was gestützt auf objektive Kriterien und in der Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeit und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen, festzustellen sind (EuGH, Urteil vom 6. November 2003 – C 413/01 - Rs. Ninni-Orasche; EUGH, Urteil vom 21. Februar 2013 - C-46/12 -). Um Arbeitnehmer zu sein, muss die betreffende Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Auch wenn die Merkmale des Arbeitnehmerbegriffs nach einhelliger Ansicht weit auszulegen sind, kann als Arbeitnehmer dennoch nur angesehen werden, wer eine „tatsächliche und echte“ Tätigkeit ausübt, die nicht einen so geringen Umfang hat, dass es sich um eine völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit handelt (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010, - B 14 AS 23/10 R -, in juris, Rdn. 18; vgl. auch Hess. Landessozialgericht, Beschluss vom 7. Januar 2015, - L 6 AS 815/14 B ER -, in juris, Rdn. 9, m.w.N). Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht nach dieser Rechtsprechung darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Der Kläger zu 2.) hat jedoch im November und Dezember 2015 weder eine Arbeitsleistung erbracht, noch eine Vergütung erhalten, er hat also keine „tatsächliche und echte" Tätigkeit ausgeübt, aufgrund der er als Arbeitnehmer anzusehen wäre.

(c) Auch für die verbleibende Zeit nach Ablauf des 3-Monats-Zeitraums – für die Kläger zu 1.) und 3.) ab 6. November 2015 (56 Tage) und für den Kläger zu 2.) ab 6. Dezember 2015 (26 Tage) – bis zum 31. Dezember 2015 bestand für die Kläger kein Leistungsanspruch nach dem SGB II, da insoweit ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II a.F vorlag. Danach sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen (BSG, Urteil vom 20. Januar 2016, -B 14 AS 35/15 R-, in juris, Rdn. 24, m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits EU-Ausländer, die z.B. über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem SGB II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber EU-Ausländer, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in Deutschland aufhalten, Leistungen nach dem SGB II zu erbringen sind.

Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs. 5 FreizügG/EU). Aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts aufgrund von § 5 Abs. 4 FreizügG/EU bzw. der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs. 7 FreizügG/EU festgestellt und damit nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht begründet hat (vgl. BSG, Urteil vom 30. August 2017, -B 14 AS 31/16 R-, in juris, Rdn. 23, m.w.N.). Diese generelle Freizügigkeitsvermutung allein eröffnet indes weder einen Zugang zu Leistungen nach dem SGB II noch steht sie dem Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II entgegen.

Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügigG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag, können sich die Kläger im streitigen Zeitraum nicht berufen.

Eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU lag nicht vor. Die Klägerin zu 1.) hat keine Arbeitstätigkeit ausgeübt. Auch der Kläger zu 2.) ist, wie oben bereits ausgeführt, nicht als Arbeitnehmer anzusehen, da er in der Zeit bis zum 31. Dezember 2015 weder eine Arbeitstätigkeit erbracht hat noch Arbeitslohn erhalten hat. Insoweit fehlt es an einem „tatsächlichen und echten“ Arbeitsverhältnis. Aus einem nicht vollzogenen Vertrag können keine Rechte, insbesondere kein Aufenthaltsrecht, hergeleitet werden.
Auch eine Freizügigkeitsberechtigung für selbständig Erwerbstätige nach § 2 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 FreizügG/EU liegt nicht vor, da die Kläger nicht selbständig tätig waren. Die Kläger waren auch keine Empfänger von Dienstleistungen (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 FreizügG/EU) und hatten kein Daueraufenthaltsrecht erworben (§ 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU), sie hielten sich weder bereits 5 noch 3 Jahre in Deutschland auf, sondern waren vielmehr erst wenige Wochen zuvor eingereist. Aufgrund ihrer Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II a.F. scheidet auch eine Freizügigkeitsberechtigung als nicht Erwerbstätige nach § 2 Abs. 2 Nr. 5, § 4 FreizügG/EU aus. Auch ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz, insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU, das eine Ausnahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II a.F. zu rechtfertigen vermag, ist nicht ersichtlich.

Den Klägern steht auch kein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige zu. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU sind Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Eltern bzw. Schwiegereltern stehen selbst im Leistungsbezug bei dem Beklagten und verfügen nicht über ausreichend Krankenversicherungsschutz und Existenzmittel, um ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten (§ 4 FreizügG/EU), auch können sie die Kläger nicht im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU unterhalten. Nach der Legaldefinition in § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU sind Familienangehörige Verwandte in gerader aufsteigender und in gerader absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 genannten Personen oder ihrer Ehegatten oder Lebenspartner, denen diese Personen oder ihre Ehegatten oder Lebenspartner Unterhalt gewähren. Die in Absatz 2 Nr. 2 genannten Verwandten haben also nur ein Aufenthaltsrecht, solange ihnen Unterhalt gewährt wird (EuGH, Urteil vom 18. Juni 1987, Rs. 316/85 – Lebon). Eine solche Unterhaltsgewährung liegt vor, wenn dem bedürftigen Verwandten tatsächlich fortgesetzt materielle Mittel zugewandt werden, die zur Bestreitung des Lebensunterhalts dienen. Der Familienangehörige muss vom Freizügigkeitsberechtigten mithin eine regelmäßige Unterstützung in einem Umfang erfahren, mit dem er zumindest einen Teil seines Lebensunterhalts regelmäßig decken kann (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23. Mai 2018, -L 4 AS 913/17 B ER-, in juris, mit Verweis auf BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2015, 1 C 22/14, in juris, EuGH, Urteil vom 8. November 2012, Rs C-40/11). Daran fehlt es hier.

Im vorliegenden Fall haben die Eltern bzw. Schwiegereltern den Klägern lediglich vorrübergehend eine Notunterkunft und Notunterhalt gewährt. Die Wohnung der Eltern bzw. Schwiegereltern umfasst 1,5 Zimmer mit Küchenzeile und Bad und wird normalerweise von zwei Personen bewohnt. Der zusätzliche Aufenthalt der drei Kläger war von vornherein nicht auf Dauer angelegt, sondern nur kurzzeitig, bis es den Klägern (ggf. mit staatlicher Unterstützung durch Leistungsgewährung) möglich sein würde, in eine eigene Wohnung zu ziehen. Dementsprechend sind die Kläger auch ausgezogen, sobald der Leistungsbezug durch den Beklagten im Jahr 2016 begonnen hatte und der Beklagte bereit war, Unterkunftskosten für die Kläger zu übernehmen. Auch die anfängliche Versorgung der drei Kläger mit Essen und den notwendigsten Dingen durch die Eltern bzw. Schwiegereltern war nur eine kurzzeitige Notunterstützung, bis die Kläger selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen konnten bzw. staatliche Unterstützung erhielten. Die Eltern bzw. Schwiegereltern stehen selbst seit langem im Leistungsbezug beim Beklagten und beziehen von ihm Mittel zur Sicherstellung ihres eigenen Existenzminimums. Dass es sich nicht um eine nachhaltige Unterstützung handelte, ergibt sich auch daraus, dass die Kläger bereits wenige Wochen nach ihrer Ankunft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beim Beklagten beantragt haben und zwar ohne Anrechnung von Unterhaltsleistungen durch Verwandte. 

Es liegt hier auch kein Verstoß gegen Art. 6 Grundgesetz (GG) vor. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Pflege und Erziehung der Kinder sind nach Abs. 2 das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Nach Art. 7 EUGRC hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation. Im Rahmen der Rechtsprechung zu den vorgenannten Vorschriften ist es anerkannt, dass ein Verstoß gegen den Schutz von Ehe und Familie, das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens dann nicht gegeben ist, wenn eine Familienzusammenführung im Ausland möglich und zumutbar ist. Nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist eine solche Familienzusammenführung im Ausland grundsätzlich zumutbar, wenn das Familienleben ohne Hindernisse auch im Herkunftsland möglich ist (EGMR, Urteil vom 19. Februar 1996, 53/95/559/645). Der EuGH orientiert sich in seiner Auslegung von Art. 7 EUGRCH an Art. 8 EMRK und die Auslegung durch die Rechtsprechung des EGMR (vgl. EuGH, Urteil vom 15. November 2011, C 256/10). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat an diese Rechtsprechung des EGMR angeknüpft (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2009, 1 C 3/08, juris, Rn. 18). Art. 8 EMRK und dementsprechend auch Art. 7 EUGRC garantieren kein Recht auf Wahl des geeigneten Ortes für die Entwicklung des Familienlebens (vgl. EGMR, Urteil vom 28. November 1996, 73/1995/579/665). Im vorliegenden Fall sind sowohl die Kläger, wie auch die Eltern bzw. Schwiegereltern bulgarische Staatsangehörige. Eine Familienzusammenführung wäre auch in dem gemeinsamen Herkunftsland – Bulgarien – möglich gewesen. Zudem war der Familienzusammenschluss auch nur vorübergehend, die Kläger zu 1.) und 3.) haben bis August 2015 in Großbritannien gelebt und sind im Februar 2018 weiter nach A-Stadt gezogen.

Letztendlich können sich die Kläger nicht auf ein Aufenthaltsrecht aus einem „anderen“ Grund als „allein aus dem Zweck der Arbeitsuche“ im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II a.F. berufen.

Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 EFA steht diesem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II a.F. nicht entgegen. Denn das EFA ist weder nach seinem sachlichen (zur Nichtanwendbarkeit des EFA im Rahmen des SGB II aufgrund des von Deutschland erklärten Vorbehalts vgl. BSG Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 43/15 R -, in juris) noch nach seinem persönlichen Anwendungsbereich einschlägig, weil die Kläger bulgarische Staatsangehörige sind und Bulgarien kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist.

Mit EU-Recht ist dieser Leistungsausschluss der Kläger nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des EuGH vom 11. November 2014 (C-333/13 – Dano, NJW 2015, 145) und vom 15. September 2015 (C-67/14 – Alimanovic, SGb 2015, 638) ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 20. Januar 2016, -B 14 AS 35/15 R-, in juris, Rdn. 31). Auch wenn ALG II und Sozialgeld nach dem SGB II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen i.S. des Art. 70 VO (EG) Nr. 883/2004 und als „Sozialhilfe“ i.S. des Art. 24 As. 2 RL 2004/38/EG eingeordnet werden, stehen Art. 24 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38 EG und Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen) vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht. Gleiches gilt für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist.

(2.) Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gegenüber dem Beigeladenen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30. August 2017, - B 14 As 31/16 R -, in juris, Rdn. 32 ff., m.w.N.) steht der Anwendbarkeit des SGB XII auf die Kläger nicht § 21 Satz 1 SGB XII entgegen. Danach knüpft die „Systemabgrenzung“ zwischen SGB II und SGB XII zwar grundsätzlich an das Kriterium der Erwerbsfähigkeit an, kann hierauf jedoch nicht reduziert werden. § 21 S. 1 SGB XII und § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II sollen (ergänzende) Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII für Leistungsberechtigte nach dem SGB II ausschließen. Existenzsichernde Leistungen können nur nach dem einen oder dem anderen der beiden Leistungssysteme beansprucht werden. Von den leistungsberechtigten Personen i.S. des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II a.F. sind die in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II a.F. genannten Personen indes „ausgenommen“. Sie sind keine Leistungsberechtigten nach dem SGB II i.S. des § 21 S. 1 SGB XII und nicht nach dem SGB II dem Grunde nach leistungsberechtigt. Ihren Zugang zu Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII sperrt deshalb nicht die Regelung des § 21 S. 1 SGB XII, ohne dass es hierfür darauf ankommt, ob die betreffenden Personen erwerbsfähig nach § 8 SGB II sind. Deshalb steht auch hier die vorliegende Erwerbsfähigkeit der Kläger zu 1.) und 2.) einem Leistungsanspruch nach dem SGB XII nicht entgegen.

(a) Die Kläger unterlagen im SGB XII jedoch dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII a.F. Für den von den Klägern für Oktober bis Dezember 2015 geltend gemachten Anspruch ist § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII noch in dieser, im streitigen Zeitraum geltenden Fassung anzuwenden, weil es an einer hiervon abweichenden Regelung fehlt (Geltungszeitraumprinzip, vgl. BSG, Urteil vom 30. August 2017, -B 14 AS 31/16 R-, in juris, Rdn. 41, m.w.N.). Zwar kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie eingereist sind, um im Sinne des § 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 SGB XII a.F. Sozialhilfe zu erlangen. Hierfür wäre Voraussetzung, dass der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hätte. Ein solcher finaler Zusammenhang kann den Klägern nicht zweifelsfrei unterstellt werden, zumal der Kläger zu 2.) sich schon bald nach der Einreise um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bemüht hat. Doch sind ebenso wie nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II a.F. nach § 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB XII a.F. EU-Ausländer, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen, vom Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen (vgl. BSG, a.a.O., Rdn. 42, m.w.N.). Auch dieser Ausschluss vom Anspruch auf Sozialhilfe ist mit dem EU-Recht vereinbar; hier gilt nichts anderes wie zum Leistungsausschluss im SGB II. Das EFA steht diesem Leistungsausschluss schon deshalb nicht entgegen, weil die Kläger bulgarische Staatsangehörige sind und Bulgarien kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist (vgl. BSG, a.a.O., Rdn. 43, m.w.N.).

(b) Deshalb käme allenfalls ein Leistungsanspruch nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII a.F. in Betracht. § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII a.F. beinhaltet seinem Wortlaut nach nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe i.S. des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F., nicht aber von im Wege des Ermessens zu leistender Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII vorsieht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (u.a. Urteil vom 30. August 2017, -B 14 AS 31/16 R-, in juris, Rdn. 45) kommen aufgrund der Ermessensregelung in § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII a.F. für vom Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII a.F. erfasste Personen auch die Leistungen nach dem SGB XII in Betracht, auf die für nicht vom Leistungsausschluss erfasste Personen ein Anspruch nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII besteht. An dieser Rechtsprechung hält das Bundessozialgericht trotz erheblicher Kritik weiterhin fest (vgl. BSG, a.a.O, Rdn. 46). Das aufgezeigte Verständnis des systematischen Verhältnisses von § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII a.F. zu § 23 Abs. 1 S. 1 und 3 SGB XII, das den Zugang zu den Leistungen nach dem SGB XII, insbesondere der Hilfe zum Lebensunterhalt, eröffnet, wird getragen und ist angezeigt in einer verfassungsrechtlichen Perspektive durch das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG bei einem tatsächlichen Aufenthalt eines Ausländers in Deutschland, gegen den ausländerbehördliche Maßnahmen nicht ergriffen werden, sondern dessen Aufenthalt faktisch geduldet wird.

Das Bundessozialgericht geht davon aus, dass das Ermessen dem Grunde und der Höhe nach auf Null reduziert ist, wenn sich der Aufenthalt eines Klägers nach sechs Monaten tatsächlichem Aufenthalt in Deutschland verfestigt hat (vgl. BSG, a.a.O., Rdn. 52). Zu einer solchen Verfestigung ihres Aufenthalts in Deutschland war es im streitgegenständlichen Zeitraum für die Kläger des hier zu entscheidenden Verfahrens jedoch noch nicht gekommen. Die am 5. August 2016 eingereisten Kläger zu 1.) und 3.) hielten sich bis Dezember 2015 noch keine 6 Monate in Deutschland auf, ebenso wenig der am 5. September 2016 eingereiste Kläger zu 2.). Mangels Verfestigung des Aufenthalts in Deutschland kommt hier eine Ermessensreduzierung auf Null nicht in Betracht. Insoweit unterscheidet sich der hier vorliegende Fall von den vom Bundessozialgericht im Januar 2016 und August 2017 entschiedenen Fällen.

Nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII kann „Im Übrigen“ (d.h. wenn ein Leistungsanspruch nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII nicht besteht) Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Es handelt sich hierbei um eine Ermessensleistung die tatbestandlich voraussetzt, dass eine Leistungserbringung im konkreten Fall auch in Ansehung von Sinn und Zweck eines bestimmten, grundsätzlich eingreifenden Leistungsausschlusses gerechtfertigt ist. Hierfür genügt sozialhilferechtlich ein im Einzelfall bestehender Bedarf alleine nicht, weil dieser ohnehin für jede Hilfe vorausgesetzt wird und deshalb nicht die besondere Rechtfertigung für die Leistung ersetzen kann. Deshalb müssen besondere Umstände hinzukommen, die es darüber hinaus gerechtfertigt erscheinen lassen, dass entgegen der Regel des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII weitergehende Hilfen geleistet werden. Besondere Umstände, die – gegebenenfalls erst kumulativ – den Einzelfall begründen und eine Ermessensentscheidung nach sich ziehen, können insbesondere der aufenthaltsrechtliche Status des Ausländers, sein Alter, die familiäre Situation, (nachhaltige) Auswirkungen auf Angehörige, eine Behinderung, die Ursache für den Eintritt der Sozialhilfebedürftigkeit, die Folgen des Sozialhilfebezugs für Ausländer, die Art, Umfang und Dringlichkeit des zu deckenden Bedarfs und schließlich auch die prognostische Dauer des Sozialhilfebezugs (Folgekosten) sein (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. Dezember 2017, -L 3 AS 280/16-, in juris, Rdn. 71, m.w.N.). Angesichts des gesetzlich ausdrücklich geregelten Leistungsausschlusses für Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und deren Familienangehörige, des Sinn und Zwecks dieser Regelung, einer „Einwanderung in die Sozialsysteme“ unter Ausnutzung der Möglichkeiten, die die Freizügigkeit für EU-Bürger innerhalb des EU-Binnenmarktes bietet, entgegenzuwirken und der sich aus den Gesetzesmaterialien klar ergebenden Intention des Gesetzgebers, einen solchen Leistungsausschluss sicherzustellen, kann den Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII a.F. in diesem Zusammenhang allenfalls ein Ausnahmecharakter beigemessen werden, um von dem grundsätzlich geltenden Leistungsausschluss abzuweichen (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. Dezember 2017, -L 3 AS 280/16-, in juris, Rdn. 72, m.w.N.).

Im vorliegenden Fall sind indes keine Anhaltspunkte für besondere Umstände vorgetragen oder sonst ersichtlich, nach denen im konkreten Einzelfall eine Gewährung von Sozialhilfe trotz des gesetzlich ausdrücklich geregelten Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II a.F. bzw. gleichlautend für das Recht der Sozialhilfe in § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII a.F., ausnahmsweise gerechtfertigt sein könnte. Die Kläger waren erst kurze Zeit in Deutschland, der damals 5 Jahre alte Kläger zu 3.) hat noch keine Schule besucht, die Kläger zu 1.) und 3.) haben mehrere Jahre in Großbritannien getrennt von der Familie gelebt, und leben auch nun (in A-Stadt) wieder von den Eltern der Klägerin zu 1.) getrennt, besondere Gründe für das Erfordernis einer räumlichen Nähe zu Familienangehörigen im streitgegenständlichen Zeitraum sind nicht dargelegt oder sonst ersichtlich. Familiäre oder soziale Hemmnisse gegen eine Rückkehr nach Bulgarien oder Groß-Britannien sind nicht ersichtlich. Die Kläger hätten unproblematisch in ihr Heimatland bzw. das Land ihres letzten Aufenthaltes zurückkehren können. Für die Rückkehr hätten ihnen Überbrückungsleistungen gewährt werden können, solche sind jedoch nicht beantragt und begehrt worden und waren deshalb auch nicht streitgegenständlich.

Verfassungsrechtliche Bedenken stehen dem Leistungsausschluss der Kläger nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II a.F. und § 23 SGB XII a.F. nicht entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zu dem aus Art. 20 Abs. 1 GG folgenden Sozialstaatsprinzip in Verbindung mit dem Schutz der Würde des Menschen entschieden, dass dann, wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter zu erlangen sind, der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet ist, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10; 1 BvL 2/11, in juris). Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in dieser grundsätzlichen Definition des sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebenden Anspruches auf die Sicherung des Existenzminimums die Hilfe Dritter als vorrangig angesehen. Zwar darf diese Hilfe Dritter nicht rein freiwillig, sondern muss durch einen Anspruch des Hilfebedürftigen gesichert sein. Dies ist jedoch bei durch andere Staaten der Europäischen Union für ihre Staatsbürger gewährleisteten Hilfen der Fall. Insoweit entspricht der in §§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII geregelte Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (so auch SG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2016, S 35 AS 5396/15 ER, LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Februar 2016, L 3 AS 668/15 B ER, Beschluss vom 5. November 2015, L 3 AS 479/15 B ER, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. Februar 2016, L 9 AS 1335/15 B ER m.w.N., LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. März 2016, L 12 SO 79/16 B ER). Dass ein solcher Verweis auf Sozialleistungssysteme anderer Länder nicht dem Grundsatz der Menschenwürde widerspricht, ergibt sich auch daraus, dass das Bundesverfassungsgericht selbst davon ausgeht, dass das Menschenrecht auf Sicherung des Existenzminimums, das aus Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet wird, nur für solche Personen gelten soll, „die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten“ (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10; 1 BvL 2/11). Ein sich weltweit erstreckender Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums gegenüber dem deutschen Staat kann sich schon aufgrund der offensichtlichen Unmöglichkeit der Umsetzung nicht aus Art. 1 Abs. 1 GG ergeben. Ein solcher wird auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eindeutig nicht angenommen. Dementsprechend ist der tatsächliche beziehungsweise der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II und §§ 23 Abs. 1 S. 1 und 24 Abs. 1 S. 1 SGB XII in der Regel Voraussetzung für den Empfang existenzsichernder Leistungen, ohne dass dies verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.

II. Hinsichtlich des Klageantrages zu 2.) ist der auf Feststellung gerichtete Klageantrag bereits unzulässig, im Übrigen aber auch unbegründet.

Im sozialgerichtlichen Verfahren ist in § 55 SGG geregelt, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen eine Feststellungsklage zulässig ist. Einer dieser Fälle liegt hier jedoch nicht vor. Im Übrigen gilt der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage. Eine Feststellungsklage kann nicht begehrt werden, soweit die Kläger ihre Rechte auch durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen können (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Auflage 2017, § 55 Rdn. 19). Die Frage, ob die Nichtleistung des Beklagten rechtmäßig oder rechtswidrig war, ist Gegenstand der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Rahmen des Klageantrags zu 1.), darüber hinaus besteht kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellungsklage.

Im Übrigen ist der Klageantrag zu 2.) aber auch unbegründet. Da den Klägern für den streitgegenständlichen Zeitraum – wie ausgeführt – materiell-rechtlich kein Leistungsanspruch gegen den Beklagten zusteht (und damit auch kein Anspruch auf einen Vorschuss), vermag auch der Feststellungsantrag keinen Erfolg zu haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

Rechtskraft
Aus
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