S 11 AL 252/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 11 AL 252/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 80/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

1.    Der Bescheid der Beklagten vom 21.04.2017 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.04.2017, soweit darin die Sperrzeit als wiederholende Verfügung enthalten ist und des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2017 wird aufgehoben.

2.    Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist der Eintritt einer dreiwöchigen Sperrzeit nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - SGB III – und dabei auch die Aufhebung der Arbeitslosengeld (Alg) bewilligenden Entscheidung sowie eine darauf beruhende Erstattung. 

Die Klägerin war von 2010 bis 2016 als Disponentin/Bürokauffrau bei Autohaus C. beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis endete durch Kündigung des Arbeitgebers vom 29.07. zum 30.09.2016.
In der Zeit vom 16.05.2016 bis 07.09.2016 hatte die Klägerin Krankengeld bezogen.

Die Klägerin meldete sich bei der Beklagten zum 01.10.2016 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg.

Durch Bescheid vom 16.11.2016 bewilligte die Beklagte der Klägerin Alg - zunächst vorläufig - ab 08.10.2016 für die Dauer von 360 Kalendertagen. Der Bescheid enthielt den Hinweis, über den Anspruch im Zeitraum vom 01.10. bis 07.10.2016 werde noch ein gesonderter Bescheid ergehen. 

Nachdem durch Vergleich des Arbeitsgerichts Würzburg - Kammer Aschaffenburg   vom 20.10.2016 festgestellt worden war, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und ihrer ehemaligen Arbeitgeberin aufgrund ordentlicher fristgerechter Kündigung derselben aus betriebsbedingten Gründen mit Ablauf des 30.09.2016 geendet hat, bewilligte die Beklagte der Klägerin durch Änderungsbescheid vom 09.12.2016 Alg - nunmehr endgültig – ab 01.10.2016.

Im Februar 2017 übersandte die Beklagte der Klägerin mehrere Vermittlungsangebote, u.a. für Tätigkeiten bei Firma D. e. K. (im Folgenden Fa. D.) sowie bei dem Autohaus E. 
Bei beiden Arbeitgebern hat sich - so deren Rückmeldung gegenüber der Beklagten die Klägerin nicht beworben bzw. vorgestellt. 

In der Zeit vom 06.03.2017 bis 17.03.2017 und vom 27.03.2017 bis 31.03.2017 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. 

Auf die Anhörung der Beklagten, weshalb sie sich bei Autohaus E. nicht vorgestellt habe, teilte die Klägerin mit, diese Bewerbung sei bei ihr „untergegangen“, was sie zu entschuldigen bitte. Sie habe sich nachträglich auf diesen Vermittlungsvorschlag noch per E-Mail beworben. Beigefügt war dem Anhörungsschreiben eine Mitteilung des Autohauses E., in der dies bestätigt wurde. Die Beklagte sah daraufhin von der Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit ab, insbesondere nachdem das Autohaus E. gegenüber der Beklagten zusätzlich telefonisch mitgeteilt hatte, die Stelle sei wegen der langen Laufzeit storniert worden. 

Auf die Frage der Beklagten, weshalb sich die Klägerin nicht auf den Vermittlungsvorschlag für eine Tätigkeit bei Fa. D. beworben habe, teilte die Klägerin am 13.04.2017 mit, sie habe diese Bewerbung in ihrem “Bewerbertagebuch“ zwar eingetragen, aber dann vergessen, diese abzuschicken. Sie habe die Bewerbung allerdings jetzt noch nachgeholt; eine Rückantwort von Fa. D. liege ihr noch nicht vor.  

Durch den hier angefochtenen Bescheid vom 21.04.2017 stellte die Beklagte daraufhin den Eintritt einer Sperrzeit vom 20.02.2017 bis 12.03.2017 mit der Begründung fest, der Klägerin sei am 15.02.2017 eine Beschäftigung als Bürokraft bei Fa. D. angeboten worden. Dieses Arbeitsangebot habe den Grundsätzen einer sachgerechten Arbeitsvermittlung entsprochen; die Arbeit sei ihr daher auch zuzumuten gewesen. Mit der Unterbreitung des Angebotes sei sie auch darüber belehrt worden, dass sie Anlass zum Eintritt einer Sperrzeit geben würde, sofern das Beschäftigungsverhältnis durch ihr Verhalten nicht zu Stande komme und sie für ihr Verhalten keinen wichtigen Grund habe. Trotz Belehrung über diese Rechtsfolgen habe sie die Arbeit nicht angenommen. Einen wichtigen Grund für ihr Verhalten habe sie nicht mitgeteilt. Die Sperrzeitdauer betrage drei Wochen, weil es sich um das erste versicherungswidrige Verhalten gehandelt habe (§ 159 Abs. 4 Nr. 1 SGB III). Zugleich hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 20.02.2017 bis 12.03.2017 mit der Begründung auf, die Klägerin habe gewusst bzw. wissen müssen, dass der ihr zustehende Anspruch auf Alg wegen des Eintritts einer Sperrzeit ruhe (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch - SGB X -). Bei Unterbreitung des Arbeitsangebotes sei sie darüber belehrt worden, dass eine Sperrzeit eintrete, wenn Sie die angebotene Beschäftigung nicht annehme oder nicht antrete oder das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses verhindere. Das ihr in der Zeit von 20.02.2017 bis 12.03.2017 bewilligte Alg i. H. v. 779,93 € sei zu Unrecht gezahlt worden. Dieser Betrag sei von ihr nach Maßgabe des § 50 SGB X zu erstatten. 

Durch Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 21.04.2017 hob die Beklagte auch die Entscheidung über die Bewilligung von Alg für die Zeit von 13.03.2017 bis 17.03.2017 mit der Begründung auf, der Klägerin habe in dieser Zeit Alg nicht gezahlt werden dürfen, weil sie aufgrund des Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit nicht verfügbar gewesen sei. Ein Anspruch der Klägerin auf Leistungsfortzahlung nach § 146 SGB III bestehe nicht, weil die Arbeitsunfähigkeit schon vor dem Beginn des Bezugs von Alg vorgelegen habe. Das ihr in der Zeit vom 13.03.2017 bis 17.03.2017 zu Unrecht gezahlte Alg i. H. v. 169,55 € müsse sie nach Maßgabe des § 50 SGB X erstatten. 

Durch Änderungsbescheid vom 21.04.2017 bewilligte die Beklagte der Klägerin Alg ab 18.03.2017, wobei im Bescheid die dreiwöchige Sperrzeit vom 20.02.2017 bis 12.03.2017 als wiederholende Verfügung enthalten war; ebenso wurde darin der Umstand berücksichtigt, dass die Entscheidung über die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 06.03.2017 bis 17.03.2017 wegen der vorher eingetretenen Arbeitsunfähigkeit aufgehoben worden war. 

Die Klägerin erhob gegen beide Bescheide durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch (Schreiben vom 15.05.2017).

Durch Bescheid vom 28.06.2017 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg auf, weil die Klägerin ab 26.06.2017 eine Beschäftigung aufgenommen hatte. 

Die Beklagte erteilte unter dem 01.08.2017 zwei Widerspruchsbescheide, in denen die Widersprüche der Klägerin – betreffend die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 21.04.2017 - zusammengefasst (und unter einer Widerspruchsnummer) geführt worden waren. 
Beide Widersprüche wurden jeweils als unbegründet zurückgewiesen. 

Durch weiteren Widerspruchsbescheid vom 01.08.2017 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Sperrzeitbescheid vom 21.04.2017 mit der Begründung zurück, nach § 159 Absatz 1 S. 1 SGB III ruhe der Anspruch auf Alg für die Dauer einer Sperrzeit, wenn die Arbeitnehmerin sich versicherungswidrig verhalten habe, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Der Klägerin sei am 15.02.2017 eine Beschäftigung als Bürokauffrau bei Fa. D. angeboten worden. Das Arbeitsangebot habe eine vollständige und verständliche Belehrung über die Rechtsfolgen, die eintreten werden, wenn Sie die angebotene Beschäftigung nicht annehme, oder nicht antrete oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses durch ihr Verhalten verhindere. Die Klägerin habe durch das Unterlassen der Bewerbung das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches und damit die Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses verhindert. Ein wichtiger Grund sei nicht erkennbar. Dieser sei nach objektiven Maßstäben zu beurteilen. Es sei nach Abwägung der Interessen der Klägerin mit den Interessen der Beitragszahler zumutbar gewesen, die ihr angebotene Beschäftigung anzunehmen. Der Umstand, dass sich die Klägerin noch im Nachhinein - und zwar nach Zugang des Anhörungsschreibens vom 11.04.2017 - bei Fa. D. beworben habe, entschuldige ihr Unterlassen nicht, denn ausweislich des Stellenangebotes hätte die Bewerbung „umgehend“ erfolgen müssen. Die Bewerbung der Klägerin sei zu spät erfolgt. Die Bewerbung habe auch nicht mehr zum Erfolg führen können, weil nach Mitteilung des Arbeitgebers vom 07.04.2017 die Stelle zu dem Zeitpunkt, als sich die Klägerin noch beworben habe, nicht mehr vakant gewesen sei. 

Dagegen hat die Klägerin am 01.09.2017 Klage bei dem Sozialgericht in Darmstadt erhoben. 

Zeitgleich hat sie auch Klage gegen die Widerspruchsbescheide vom 01.08.2017 (Aufhebung der Alg bewilligenden Entscheidung für die Zeit vom 13.03. bis 17.03.2017) erhoben. Diese Klage wird unter dem Aktenzeichen S 11 AL 254 / 17 geführt. 

Die Klägerin hat zur Begründung ihrer Klage u. a. ausgeführt, der Eintritt einer dreiwöchigen Sperrzeit sei unverhältnismäßig. Es müsse berücksichtigt werden, dass sie sich im streitgegenständlichen Zeitraum sehr umfassend beworben habe, weshalb die Sanktionierung nicht gerechtfertigt sei. Sie sei ansonsten sehr sorgfältig mit Bewerbungen umgegangen und habe eine Vielzahl von Bewerbungen im Bewerbertagebuch dokumentiert. Sie habe sich auch, sofort nachdem ihr der Fehler aufgefallen sei, die Bewerbung noch nachgeholt. 
Auch habe sie seinerzeit die Bewerbungen nicht in zeitlichem Abstand - so wie es die Daten auf den Vermittlungsangeboten vermuten ließen - sondern „im Paket“ erhalten. Sie sei sich sicher, dass sie im Februar 2016 von der Beklagten eine Vielzahl von Vermittlungsvorschlägen erhalten habe, die sich in einem DIN A4 Umschlag befunden hätten. Es seien mindestens fünf Vermittlungsvorschläge übersandt worden, darunter habe sich u. a. auch der Vermittlungsvorschlag für eine Tätigkeit bei Fa. D. befunden  

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 21.04.2017 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.04.2017, soweit darin die Sperrzeit als wiederholende Verfügung enthalten ist und des Widerspruchsbescheids vom 01.08.2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die verwaltungsseits getroffene Entscheidung für rechtmäßig und bezieht sich dabei auf die Gründe im Bescheid und im Widerspruchsbescheid. Die Klägerin habe sich auf den Vermittlungsvorschlag für eine Tätigkeit bei Fa.- D. nicht zeitnah beworben und damit den Eintritt einer Sperrzeit ausgelöst. 

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Nachfrage bei Fa. D. (gerichtliche Verfügungen vom 12.04.2018 und vom 08.05.2018). Fa. D. hat auf diese Nachfrage mitgeteilt, die Stelle, auf die sich das Vermittlungsangebot seinerzeit bezogen habe, sei zum 01.04.2017 besetzt worden. Etwa Ende März 2017 habe man sich für einen neuen Mitarbeiter entschieden. 

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der über die Klägerin bei der Beklagten geführten Leistungsakte, die dem Gericht vorgelegen haben und auszugsweise zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung in der Beratung gemacht worden sind. 

Das Klageverfahren S 11 AL 254/17 ist im Hinblick auf die Vorgreiflichkeit des hier anhängigen Verfahrens durch Beschluss vom 16. Mai 2019 ruhend gestellt worden.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht bei dem örtlich zuständigen Sozialgericht erhoben worden, §§ 57 Abs. 1, 78, 87 Abs. 2, 90 SGG   SGG -. 

Die Klage ist auch begründet. 

Der Bescheid der Beklagten vom 21.04.2017 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.04.2017 und des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2017 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben. 

Die Beklagte hat darin zu Unrecht den Eintritt einer dreiwöchigen Sperrzeit festgestellt und von der Klägerin die Erstattung des ihr im Sperrzeitzeitraum bewilligten Alg verlangt. 

Gegenstand des hier anhängigen Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 21.04.2017, durch den das Ruhen des Anspruchs auf Alg in Folge des Eintritts einer dreiwöchigen Sperrzeit und die Minderung des Anspruchs festgestellt sowie die Bewilligung von Alg für diesen Zeitraum aufgehoben und einen Erstattungsanspruch wegen überzahlten Alg i. H. v. 779,50 € geltend gemacht worden ist. 
Streitgegenstand ist auch der entsprechende Änderungsbescheid vom 21.04.2017, in dem die streitgegenständliche Sperrzeit als sog. wiederholende Verfügung enthalten war. Beide Bescheide bilden insoweit eine rechtliche Einheit. 
Die Klägerin hat deshalb zutreffend auch nur eine Anfechtungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) erhoben. 

Entscheidungsgrundlage für die Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit ist § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB III
Danach ruht der Anspruch auf Alg, wenn ein Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Nach § 159 Absatz 1 S. 2 Nr. 4 SGB III liegt versicherungswidriges Verhalten vor, wenn der Arbeitnehmer trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine von der Arbeitsagentur unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht annimmt oder nicht antritt oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgesprächen durch sein Verhalten verhindert (Sperrzeit bei Arbeitsablehnung). Die Dauer der Sperrzeit beträgt im Falle des erstmaligen versicherungswidrigen Verhaltens dieser Art drei Wochen. 

Der Tatbestand des § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III stellt damit als ein die Sperrzeit begründendes Verhalten die Nichtannahme, den Nichtantritt der Beschäftigung sowie das Verhindern der Anbahnung des Beschäftigungsverhältnisses alternativ und gleichwertig nebeneinander. 

Mit dem Merkmal „Verhindern der Anbahnung“ soll bereits das Verhalten im Vorfeld einer möglichen Arbeitsaufnahme erfasst werden. Dazu soll nach dem Willen des Gesetzgebers auch eine „nicht unverzügliche“ Vereinbarung eines Vorstellungstermins oder das Versäumen eines vereinbarten Termins gehören. Eine Sperrzeit bei Arbeitsablehnung setzt demzufolge ein hinreichend benanntes zumutbares Beschäftigungsangebot voraus, das zudem mit einer zutreffenden Rechtsfolgenbelehrung versehen sein muss. 

Bei dem Beschäftigungsangebot vom 15.02.2017, das der hier streitgegenständlichen Sperrzeit zugrunde liegt, handelt es sich zwar um ein zumutbares Beschäftigungsangebot, das auch mit einer zutreffenden Rechtsfolgenbelehrung versehen gewesen war. 
Die Klägerin hat sich auf dieses Beschäftigungsangebot auch nicht – wie im Angebot verlangt - umgehend beworben, sondern erst, nachdem sie durch das Anhörungsschreiben der Beklagten davon erfahren hatte, dass eine Bewerbung bei Fa. D. nicht eingegangen war. Die Klägerin hatte erst dabei gemerkt, dass sie die Bewerbung zwar in ihrem Bewerbertagebuch vermerkt, aber vergessen hatte, die E-Mail an Fa. D. abzusenden. 

Einen Verschuldensmaßstab wie § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGB III nennt der Tatbestand der Nr. 2 nicht, obwohl sowohl die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) als auch das Schrifttum für das bis 2001 geltende Recht <Vorgängervorschrift: § 144 SGB III> Vorsatz oder mindestens grobe Fahrlässigkeit als Merkmal des Tatbestandes angenommen hatten (vgl. BSG, Urteil vom 25.04.1991 – 11 RAr 99/90, Urteil vom 27.05.2002 – B 7 AL 4/02 R; Winkler in: Gagel, SGB III, § 144 Rdnr. 137).
Das BSG hatte zunächst entschieden, die Feststellung des Eintritte einer Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung erfordere ein vorwerfbares, nicht aber ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten (BSG, Urteil vom 14.07.2004 – B 11 AL 67/03 R). 

Zwischenzeitlich hält das BSG zumindest leichte Fahrlässigkeit für erforderlich, wobei es den subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab zu Grunde legt (BSG, Urteil vom 05.09.2006 – B 7a AL 14/05 R).
Im Schrifttum sind - nachdem das BSG den Tatbestand auch auf Fälle schlichten Vergessens eines Termins angewandt hatte (BSG, Urteil vom 14.07.2004 – B11 AL 67/03 R -) unter Hinweis auf das Bestimmtheitsgebot und das Übermaßverbot verfassungsrechtliche Bedenken geäußert worden (vgl. Lüdtke in: LPK-SGB III 2. Aufl., § 159 Rdnr. 21; Voeltzke, in: Spellbrink/Eicher, Handbuch § 12 Rdnr. 313). 

Das erkennende Gericht teilt diese Bedenken.  
Aus Sinn und Zweck der Sperrzeitregelung, die auf dem Grundgedanken beruht, dass sich die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle wehren muss, deren Eintritt der Arbeitslose selbst zu vertreten hat oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithilft, folgt, dass die Sperrzeit jedenfalls nur durch vorwerfbares Verhalten verwirklicht werden kann, also ein vom Willen und Wollen getragenes vorsätzliches Verhalten voraussetzt. Nicht jedes – auch nur leichtes - Fehlverhalten kann daher ausnahmslos ein Ruhen des Anspruchs auf Alg zur Folge haben. Andernfalls würden sich die an einen Sperrzeittatbestand geknüpften Sanktionen jedenfalls als unverhältnismäßig erweisen (vgl. Hauck/Nottz, SGB III, § 159, Rdnr. 268 ff unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG, 10.02.1987 – 1 BvL 15/83, BVerfGE 74, 203). 

Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und des persönlichen Eindrucks, den das Gericht von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, kann der Klägerin vorliegend allenfalls ein leichtes Fehlverhalten vorgeworfen werden.

Dabei hat das Gericht auch gewürdigt, dass die Klägerin für die Kammer glaubhaft versichert hat, der streitgegenständliche Vermittlungsvorschlag sei ihr zusammen mit einer größeren Anzahl weiterer Vermittlungsvorschläge in einem großen DIN A4 Umschlag etwa Mitte Februar übersandt worden. 
In den Fällen, in den zeitgleich mehrere Arbeitsangebote übersandt werden, hat das BSG erst unlängst entschieden (Urteil vom 03.05.2018 - B 11 AL 2/17 R -), dem Arbeitslosen müsse in diesen Fällen zugestanden werden, die verschiedenen Angebote zunächst zu prüfen (etwa im Hinblick auf Pendelzeiten, einen notwendigen Umzug oder Verdienstmöglichkeiten); erst dann könne der Arbeitslose entscheiden, in welcher Form er mit dem Arbeitgeber Kontakt aufnimmt und ob darüber hinaus weiteres zu veranlassen ist. Etwas anderes kann nach der Rechtsprechung des BSG nur dann gelten, wenn mehrere Arbeitsangebote in solchen zeitlichen Abständen unterbreitet wurden, dass eine Bewerbung auf frühere Angebote bereits hätte erfolgen müssen. Nur in diesen Fällen ist eine unterlassene Bewerbung bereits als versicherungswidriges Verhalten zu werten. Das Gericht hat aber auch eingeräumt, dass die Frage, wann genau jeweils eine Bewerbung zu erfolgen hat, einer schematischen Beurteilung nicht zugänglich sei, sondern im Einzelfall unter Berücksichtigung des konkreten Arbeitsangebots und eventueller Besonderheiten des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes zu erfolgen habe (BSG, a. a. O.). 

Die Kammer hat zu Gunsten der Klägerin berücksichtigt, dass diese eine Vielzahl von Bewerbungsangeboten innerhalb kurzer Zeit übermittelt erhalten hatte und dadurch das Risiko, sich auf eines der Vermittlungsangebote nicht unverzüglich zu reagieren und damit einen Sperrzeittatbestand zu verwirklichen, erhöht worden ist.  
Der Umstand, dass die Klägerin vergessen hat, die von ihr gefertigte E-Mail-Bewerbung rechtzeitig abzusenden, stellt zur Überzeugung des erkennenden Gerichts kein vorwerfbares Verhalten dar, weshalb der Sperrzeitbescheid (und der diese Sperrzeit als wiederholende Verfügung enthaltende Änderungsbescheid) aufzuheben waren. 
Damit entfällt auch die Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Alg bewilligenden Entscheidung und die darauf beruhende Erstattung. 

Nach alledem bei der Klage stattzugeben. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Gemäß §§ 143, 144 SGG ist die Berufung zulässig.

Rechtskraft
Aus
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