Zu den Voraussetzungen des Vorliegens einer obstruktiven Atemwegserkrankung im Sinne der Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV nach aktuellem wissenschaftlichem Erkenntnisstand.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 3. November 2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung ihrer Atemwegserkrankung als Berufskrankheit (BK) nach BK Nr. 4302 (durch chemisch irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) hat.
Mit Schreiben vom 22. April 2009 zeigte die 1962 geborene Klägerin der Beklagten an, dass sie während ihrer beruflichen, bei der Beklagten in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Tätigkeit bei der C. am 19. Januar 2008 auf dem Rückflug von Dallas nach C-Stadt erhebliche Atemnot, Herzrasen, ein Kribbeln in den Beinen, eine Nasenschleimhautschwellung über mehrere Wochen ohne Erkältung und Kopfhautjucken verspürt und sich körperlich extrem schlecht gefühlt habe. Diese Beschwerden hätten sich im letzten Jahr wiederholt. Ferner leide sie an laufenden Nasennebenhöhlenentzündungen, Schmerzen im Halswirbelbereich, Augenreizungen, Herpes, extremen Kopfschmerzen nach Flügen, teilweise Wortfindungsstörungen, Reizdarm, Erschöpfungssymptomen, Schmerzen im Gesicht, ständigem Harndrang, Gliederschmerzen, an Problemen, Hände und Arme zu bewegen sowie an Rückenproblemen. Sie habe den Verdacht auf eine Erkrankung durch organische Phosphatverbindungen, ausgelöst durch Trikresylphosphat (TCP), Ozon und Pestizide in der Kabinenluft. Im Folgenden legte die Klägerin der Beklagten zahlreiche Laborbefunde vor.
Die Klägerin war in der Zeit von 1982 bis 1997 überwiegend als Sekretärin und im Büro beschäftigt (Angaben im Fragebogen der Beklagten vom 13. Mai 2009). Ausweislich der Stellungnahme des Geschäftsbereichs Prävention der Beklagten vom 16. April 2010 war sie ab Juni 1998 Flugbegleiterin bzw. Purser bei der C., Standort C-Stadt. Eigenen Angaben zufolge flog sie Lang-, Mittel- und Kurzstrecke. Sie flog mit dem D. xx1, xx2, xx3, xx4, xx5 und der E. xx6 und xx7. Langstrecken absolvierte sie überwiegend mit dem D. xx4, xx5-xx8 und der E. xx9-xx10. Nach einer Vollzeittätigkeit von 1998 bis 2004 reduzierte sie ihre Arbeitszeit ab 2005 auf 91,67% und ab 2007 auf 72,05%. Seit Januar 2008 war sie arbeitsunfähig erkrankt und seit 2009 fluguntauglich. Ausweislich der Stellungnahme des Geschäftsbereichs Prävention vom 16. April 2010 gab die Klägerin bei der Befragung an, dass ab Januar 2003 bei den Flügen besondere Geruchswahrnehmungen aufgetreten seien, die weder von Flugzeugtypen noch bestimmten Ereignissen abhängig gewesen seien. Auf dem Flug am 19. Januar 2008 habe es keinen nennenswerten Vorfall (Incident) gegeben.
Die Beklagte forderte Befundberichte bei den behandelnden Ärzten, Vorerkrankungsverzeichnisse sowie die Akten des Rentenversicherungsträgers an. Der Internist und Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. F. teilte der Beklagten mit Befundbricht vom 4. Juni 2009 mit, dass bei der Klägerin normale statische und dynamische Lungenvolumina und keine Störung der Atemmechanik vorliege. Nach einem Provokationstest diagnostizierte er ein hyperreagibles Bronchialsystem bzw. Bronchialasthma (ICD-10 J45.9). Der Facharzt für Allgemeinmedizin, Umweltmedizin Dr. G. führte im Befundbericht vom 18. Dezember 2009 aus, dass die Klägerin an einer stark ausgeprägten Umwelt assoziierten Erkrankung mit der Ausprägungsform eines chronischen Erschöpfungssyndroms, einer stark ausgeprägten Schleimhautschädigung besonders der Atemwege und des Verdauungstraktes durch Exposition gegenüber allergenen und schleimhautschädigenden/schleimhautirritierenden Umweltsubstanzen, einer pathologischen Immunreaktion im Sinne von überschießenden unkontrollierten Immunreaktionen bei uneingeschränkter immunologischer Leistungsfähigkeit mit Reaktionen in Bezug auf Intoleranzreaktionen vom Typ I und Typ IV, systemischen Entzündungsreaktionen durch weiße Blutkörperchen und der pathologischen Bildung von Autoantikörpern leide. Zusätzlich sei eine ausgeprägte allergische Diathese, die nur zum geringen Teil mit der saisonalen Pollenflugsituation im Frühjahr zusammenhänge, sondern durch die ganzjährige Exposition zu Innenraumschimmelpilzen permanent unterhalten werde, sowie eine Laktoseintoleranz homozygoter Form gegeben. Des Weiteren müsse von einer Verstärkung der Diagnosen durch die Exposition gegenüber zum Teil hochgiftigen Mykotoxinen in den privaten Innenräumen der Klägerin gerechnet werden. Anamnestisch sei anzunehmen, dass die Exposition der Klägerin gegenüber Schmierölen in typischen Flugzeugen, in dem Falle TCP, eine wesentliche Vorbereitung und Vorprägung der schweren Erkrankung darstelle.
Der Geschäftsbereich Prävention der Beklagten teilte mit Stellungnahmen vom 16. November 2010 und 1. Januar 2012 mit, dass eine Gefährdung im Sinne der BK Nr. 4302 für Kurz- und Mittelstreckenflüge unterstellt werden müsse. Im Zusammenhang mit einer bronchialen Hyperreagibilität und Asthma bronchiale sei zu erwarten, dass bereits bei niedrigen Ozonkonzentrationen Atembeschwerden aufträten. Schimmelpilze kämen in Flugzeugen in äußerst geringen Konzentrationen vor, die hohe Luftwechselrate und HEPA-Filter seien diesbezüglich wirksam.
Mit Bescheid vom 24. Februar 2012 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Feststellung einer BK nach BK Nr. 4302 und Entschädigungsleistungen wegen fehlender medizinischer Voraussetzungen ab, weil nach den objektiven Befunden keine obstruktive Atemwegserkrankung habe festgestellt werden können. Die Lungenfunktionskontrolle habe einen unauffälligen Befund gezeigt. Den am 1. März 2012 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2012 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 28. Juni 2012 Klage (Az. S 8 U 107/12) bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (Sozialgericht) erhoben.
Mit weiterem Bescheid vom 24. Februar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2012 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Feststellung einer BK nach BK Nr. 1307 und Entschädigungsleistungen wegen fehlender arbeitstechnischer Voraussetzungen ab. Hiergegen hat die Klägerin am 21. April 2012 Klage erhoben (Az. S 8 U 67/12).
Mit Urteil vom 3. November 2015 (Az. S 8 U 107/12) hat das Sozialgericht die Klage auf Feststellung einer BK nach BK Nr. 4302 und Entschädigung abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der auf Entschädigung gerichtete Klageantrag bereits unzulässig sei, da mit dem angefochtenen Bescheid keine Ablehnung einer konkreten Leistung der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgt sei. Der auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach BK Nr. 4302 gerichtete zulässige Klageantrag sei unbegründet. Eine obstruktive Atemwegserkrankung im zeitlichen Zusammenhang mit der Aufgabe der Tätigkeit der Klägerin sei nicht nachgewiesen. Der Begriff obstruktive Atemwegserkrankung sei die Sammelbezeichnung für Krankheiten des broncho-pulmonalen Systems, die mit obstruktiven Ventilationsstörungen einhergingen. Der Nachweis einer obstruktiven Ventilationsstörung werde durch eine Lungenfunktionsprüfung erbracht. Für die obstruktive Ventilationsstörung sei die Sekundenkapazität FEV1 wichtigste Kenngröße, als absoluter Wert in Liter und als relativer Wert in Prozent der Vitalkapazität (VC). Die bei forcierter Exspiration gewonnenen Werte sollten nach Möglichkeit ergänzt werden durch die Messung des Atemwegswiderstandes (R). Bei einem FEV1 über 80% des Sollwertes und einem Atemwegswiderstand unter 0,35 kPa/I s liege eine normale Lungenfunktion vor. Gemessen hieran sei keine obstruktive Atemwegserkrankung im Vollbeweis nachgewiesen. Denn nach den Messungen des Medizinischen Dienstes der C. AG vom 26. März 2008 habe die FEV1 106% des Sollwertes betragen. Im Ergebnis habe eine überdurchschnittlich gute Ventilation vorgelegen. Eine obstruktive Ventilationsstörung lasse sich auch unter Berücksichtigung der Diagnosen des Dr. F. in dessen Befundbericht vom 4. Juni 2009 nicht objektivieren. Zum einen habe bei der Provokationstestung am 13. Oktober 2008 die FEV1 72% des Sollwertes betragen, während der Atemwegswiderstand bei 0,09 gelegen habe. Die deutliche Unterschreitung des Sollwertes für den Atemwegswiderstand lasse nicht auf eine obstruktive Ventilationsstörung schließen, zumal Dr. F. selbst normale statische und dynamische Lungenvolumina und keine Störung der Atemtechnik attestiert habe. Ungeachtet dessen sei die Atemwegserkrankung auch erst nach der Aufgabe der Tätigkeit diagnostiziert worden, was nicht ausreichend sei.
Mit weiterem Urteil vom 3. November 2015 (Az. S 8 U 67/12) hat das Sozialgericht die Klage auf Feststellung einer BK nach BK Nr. 1307 und Entschädigung abgewiesen.
Gegen das ihr am 10. November 2015 zugestellte Urteil (Az. S 8 U 107/12) hat die Klägerin am 19. November 2015 Berufung zu dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt (Az. L 3 U 247/15), ebenso gegen das Urteil im Parallelverfahren (Az. S 8 U 67/12 - L 3 U 246/15). Zur Berufungsbegründung im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin u. a. ausgeführt, dass bei ihr eine Exposition gegenüber chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen vorliege. Der Präventionsdienst der Beklagten gehe von einer Belastung durch krankheitsauslösende Ozonkonzentrationen aus, welche aber nicht das Gesamtproblem umfassten. Die direkt von den Turbinen der Flugzeuge angesaugte Frischluft sei oft durch Verbrennungsrückstände (insbesondere Öle u. ä.) und deren durch Erhitzung entstehenden Folgeprodukte bzw. Schadstoffe erheblich belastet (z. B. Beryllium oder Trikresylphosphat - TCP). Sie sei bei den behandelnden Ärzten mittels LTT-Test untersucht worden, wobei eine extreme Belastung auf TCP festgestellt worden sei. Während der 5 bis 6 Jahre, während sie als Purserin mit dem xx2, xx3 mitgeflogen sei, sei mehrfach Rauch in der Kabine aufgetreten. Die Rauchgasbelastungen seien aber nicht dokumentiert. Besonders auf dem Flug nach Dallas am 17. Januar 2008 mit dem xx5/X. und dem Rückflug am 19. Januar 2008 sei es ihr sehr schlecht gegangen. Dort habe sie unter extremer Atemnot im Sinne einer Obstruktion gelitten. Sie habe regelmäßig bei Flügen nach Südafrika bzw. nach Indien sog. Desinfektionen mit einem Langzeit-Pyrethroid durchführen müssen. Bei ihr seien verschiedene Metaboliten bzw. Abbauprodukte von Permethrin und ähnlichen Substanzen, welche Bestandteile bzw. Folgeprodukte der verwendeten Pyrethroide seien, nachgewiesen worden. Sie fügte u. a. aktuelle Stellungnahmen/Veröffentlichungen der Vereinigung Cockpit e.V. sowie einen dpa-Bericht über die Ergebnisse einer Studie des Universitätsklinikums Göttingen bei, in der schädliche Stoffgemische aus der Zapfluft aus Triebwerken in der Kabine in ihren gesundheitlichen Auswirkungen untersucht worden seien. Bei ihr liege auch eine obstruktive Atemwegserkrankung vor. Sie habe während der letzten Einsätze von Oktober 2007 bis Januar 2008 häufig unter Atemnot gelitten. Es sei davon auszugehen, dass die am 13. Oktober 2008 durchgeführte Provokationstestung unspezifisch erfolgt sei, was weniger aussagekräftig sei als eine spezifische Provokationstestung. Inwieweit ihr die Nachholung einer spezifischen Provokationstestung tatsächlich und rechtlich zumutbar sei, sei durch einen Gutachter zu beurteilen. Die Klägerin hat eine ärztliche Äußerung der Dr. J. vom 21. Januar 2016 eingereicht. Nach Auffassung der Klägerin liegt hinsichtlich der tatsächlichen Aufklärung von Schadstoffbelastungen im Cockpit und der Kabine sowie notwendiger medizinischer Untersuchungen ein rechtliches Systemversagen vor, da entsprechende systematische Messungen bislang nicht durchgeführt worden seien. Dass der Arbeitgeber bzw. die Beklagte nicht unmittelbar nach dem Flug im Januar 2008 die Klägerin zum Vorliegen einer Obstruktion untersucht habe, könne ihr rechtlich nicht zugerechnet werden. Ein retrospektiver Nachweis entsprechend dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand müsse rechtlich möglich bleiben. Die Klägerin hat ein MDK-Gutachten vom 21. Oktober 2008 und zwei Stellungnahmen des medizinischen Dienstes der C. über Untersuchungen am 20. und 25. März 2018, ärztliche Berichte des Cardiolgischen Centrums Bethanien, das Ergebnis einer Positronen-Emissions-Tomographie (PET) des ZNS der Kreiskliniken Esslingen, Radiologe Dr. K. vom 22. Dezember 2009 sowie verschiedene Kurzveröffentlichungen u. a. über die Studie der Universitätsklinik Göttingen zu den Akten gereicht.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 3. November 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juni 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihr eine Berufskrankheit nach BK Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV festzustellen und zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat auf Antrag der Klägerin ein Sachverständigengutachten der Prof. Dr. L., Ärztin für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin und Allergologie, Direktorin des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin des Universitätsklinikums Jena, vom 17. Februar 2019 (auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 7. Juni 2018) nebst Zusatzgutachten des Internisten/Pneumologen Dr. M. vom Oktober 2018 (auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 5. September 2018) eingeholt.
Der Zusatzgutachter Dr. M. hat bei der Klägerin eine leichtgradige bronchiale Hyperreagibilität bei unspezifischer Provokation mit Metacholin, ausgeprägte eosinophile Inflammation mit stark erhöhtem exhalativem NO, somit vereinbar mit Asthma bronchiale ohne Nachweis einer Obstruktion, keine peripheren Eosinophile sowie eine Hyperventilation unter ergometrischer Belastung diagnostiziert. Als Ergebnis der Lungenfunktionsprüfung (Spirometrie, Bodyplethysmographie) hat er einen Normalbefund ohne obstruktive oder restriktive Ventilationsstörung sowie ohne Lungenüberblähung angegeben. Bei trotz zahlreicher Versuche fehlender optimaler Mitarbeit habe eine deutlich eingeschränkte Beurteilbarkeit (erkennbar an einer durchgehend abgerundeten Flussvolumenkurve mit nicht verwertbarem PEF - peak expiratory flow) vorgelegen. Eine unspezifische bronchiale Provokation (Methacholin) habe unter Auswertung der Diffusionskapazität keine relevante Störung des alveolo-arteriellen Gasaustauschs ergeben. Der Befund der Blutgasanalyse entspreche einer Normoxie in Ruhe bei Normokapnie und ausgeprägter Hyperventilation unter Belastung mit stark ausgeprägter Hypokapnie. Bei der ergospirometrischen Belastung hätten keine Hinweise für eine relevante Einschränkung der kardiopulmonalen Belastung bestanden. Eine obstruktive Atemwegserkrankung könne nicht hinreichend gesichert werden. Seiner Auffassung nach sei es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Beginn der Asthmasymptomatik und Erkrankung teilursächlich auf die Einwirkung chemisch irritativ oder toxisch wirkender Stoffe bei der beruflichen Tätigkeit der Klägerin als Flugbegleiterin zurückzuführen sei. Der Zusatzgutachter hat das Vorliegen einer BK nach BK Nr. 4302 aus medizinischer Sicht verneint.
Prof. Dr. L. hat bei der Klägerin u. a. folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
• Eine obstruktive Atemwegserkrankung symptomatisch seit etwa 2003, im Verlauf gebessert, lungenfunktionsanalytisch objektiviert (Obstruktion 2009, Nachweis einer unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität 2009 und 2018 - ICD 10 J45),
• eine Sauerstoffaufnahmestörung am ehesten im Sinne einer relativen kapillären Minderperfusion der Lunge (anamnestische Hinweise etwa seit 2003, erstmals objektiviert 2018 - ICD 10 J68.9),
• rezidivierende Infekte der oberen Atemwege bei chronischer Sinusitis (seit 1997 aktenkundig - ICD 10 J32),
• eine periphere Polyneuropathie (anamnestisch seit 2003, im Verlauf gebessert, erstmals beschrieben 2009 in Form handschuh- und sockenförmiger Hypästhesien und Hyperpathien, motorisch in Form eines erheblichen Abfalls der Muskelkraft - ICD 10 G62.2),
• eine Enzephalopathie in Form punktueller kognitiver Einschränkungen (anamnestisch seit etwa 2003, auffällige Minderung der absoluten Glukose-Aufnahme in verschiedenen Hirnregionen im PET-CT, ärztlich beschrieben seit 2009, erstmals objektiviert mittels standardisierter Tests 2018 - ICD 10 G92),
• St. n. paroxysmalen Tachykardien (anamnestisch seit 2008, kardiologisch gesichert 2009 – ICD 10 I47),
• St. n. hämodynamisch nicht bedeutsamem Perikarderguss unklarer Genese (kardiologisch gesichert 2009 – ICD 10 I31,
• Rezidivierende Infekte der oberen Atemwege bei chronischer Sinusitis (seit 1997 aktenkundig).
Zu der im Universitätsklinikum durchgeführten Lungenfunktionsdiagnostik (Bodyplethysmographie) hat die Sachverständige ausgeführt, dass sich insgesamt keine Hinweise auf eine restriktive oder obstruktive Ventilationsstörung gefunden hätten, allerdings auf eine periphere Obstruktion in Form eines grenzwertig erhöhten Residualvolumens. 2009 habe nach dem Befundbericht des Dr. F. vom 4. Juni 2009 eine obstruktive Atemwegserkrankung vorgelegen. Es sei ein hyperreagibles Bronchialsystem mit einer FEV1 mit 64,2 % des Solls (2.09 l) dokumentiert, die in Übereinstimmung mit den aktuellen Leitlinien zur Lungenfunktion als obstruktiv einzuschätzen sei. Sowohl bei Dr. F. als auch Dr. M. habe sich wiederholt mittels unspezifischer Provokationstests eine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität nachweisen lassen. Bei der jetzigen Untersuchung habe sich ein erhöhtes exhalatives Stickoxid als Zeichen einer am ehesten eosinophilen Entzündung der Atemwege nachweisen lassen. Bei einem Zustand nach obstruktiver Funktionsstörung und persistierender bronchialer Hyperreagibilität seien die medizinischen Voraussetzungen für eine BK nach BK Nr. 4302 gegeben. Die obstruktive Atemwegserkrankung sei zumindest teilursächlich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Einwirkung von Stoffen aus der Kabinenluft bei der beruflichen Tätigkeit der Klägerin als Flugbegleiterin zurückzuführen. Die Beklagte habe eine Gefährdung im Sinne dieser BK durch Ozon bestätigt. Aus den Erfahrungen mit symptomatischen Patienten nach Kabinenluftzwischenfällen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Substanzen, die in Motorenöl und dessen Pyrolyse identifiziert worden seien, fänden sich Hinweise auf weitere humantoxische Stoffe mit atemwegsirritierendem bzw. schädigendem Potential. Sichere Hinweise auf eine schicksalsbedingte Komponente in Form einer Atemwegsallergie gegen ubiquitäre Allergene lägen nicht vor. Nicht auf berufliche Belastungen zurückzuführen seien u. a. der St. n. paroxysmalen Tachykardien, der St. n. hämodynamisch nicht bedeutsamem Perikarderguss unklarer Genese und die rezidivierenden Infekte der oberen Atemwege bei chronischer Sinusitis.
Der beratende Arzt der Beklagten, Dr. N., hat mit Stellungnahme vom 19. März 2019 gegen das Gutachten der Prof. Dr. L. eingewandt, dass bei der Klägerin keine obstruktive Atemwegserkrankung im Vollbeweis vorliege. Auch für eine bronchiale Überempfindlichkeit sei - entgegen Dr. M. - der Vollbeweis nicht gegeben. Der zentrale Atemwegswiderstand steige nicht auf das entsprechende Maß an. Ein normaler Tiffeneu-Wert spreche gegen eine Obstruktion. Durch das Zusatzgutachten des Dr. M. habe kein Asthma bronchiale bewiesen werden können. Der Nachweis einer erhöhten NO-Konzentration in der Ausatemluft beweise nicht das Vorliegen eines Asthma bronchiale. Dr. N. hat sich u. a. auf die sog. Reichenhaller Empfehlungen gestützt.
Prof. Dr. L. ist dem mit Stellungnahme vom 9. Oktober 2019 entgegengetreten. Ihrer Auffassung nach ist nach den Reichenhaller Empfehlungen eine bronchiale Hyperreagibilität gegeben. Auch eine Obstruktion sei aufgrund der Lungenfunktionsbefunde des Dr. F. aus 2009 nachgewiesen. Der Hyperreagibilitätstest müsse nach den Reichenhaller Empfehlungen nur ein Kriterium (hier FEV1-Abfall um 20%) erfüllen, nicht zusätzlich eine Verdoppelung des spezifischen Atemwegswiderstands. Auch im Rahmen der jetzigen Lungenfunktionsuntersuchung im Juni 2018 habe die Flussvolumenkurve keine optimale Ausprägung im ersten Teil der Flussvolumenkurve gezeigt, allerdings habe sie sich durch Wiederholung der Atemmanöver von der Reproduzierbarkeit überzeugt.
Dr. N. hat mit Stellungnahme vom 13. Januar 2020 die Einholung eines weiteren lungenfachärztlichen Gutachtens empfohlen. Er hat weiter die Auffassung vertreten, dass erst die Einschränkung der Reaktion zwischen FEV1 (Atemstoß) und forcierter Vitalkapazität von einer obstruktiven Ventilationsstörung ausgehen lasse. Den Abfall des Atemstoßes alleine zu berücksichtigen, sei nicht ausreichend. Er hat u. a. auf die Leitlinie zur Spirometrie der Deutschen Atemwegsliga, Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin und Deutsche Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin, verwiesen.
Der Senat hat von Amts wegen ein Gutachten bei Prof. Dr. O., Facharzt für Arbeitsmedizin, Internist/Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Umweltmedizin vom 31. August 2020, Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München, auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 30. Juni 2020 eingeholt. Der Sachverständige hat bei der Klägerin als Gesundheitsstörungen eine chronische Sinusitis, rezidivierende Nasenebenhöhlenentzündungen, eine polyvalente Sensibilisierung gegenüber Gräserpollen und Schimmelpilzen ohne eindeutige Klinik im Sinne einer allergischen Rhinitis oder eines allergischen Asthma bronchiale, einen Verdacht auf ein beginnendes Intrinsic Asthma bronchiale, aktuell durch die Lungenfunktion nicht bestätigt, sowie eine multiple Chemikaliensensibilität (MCS) festgestellt. Er ist zum Ergebnis gelangt, dass bei der Klägerin keine obstruktive Atemwegserkrankung und auch keine bronchiale Überempfindlichkeit und Sauerstoffaustauschstörung vorlägen. Eine obstruktive Atemwegserkrankung habe zum aktuellen Zeitpunkt nicht festgestellt werden können. Aus medizinischer Sicht liege keine BK nach BK Nr. 4302 vor.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2020 Einwände gegen das Gutachten erhoben (unter Beifügung einer ausführlichen persönlichen Stellungnahme der Klägerin vom 28. September 2020).
Der Senat hat auf Antrag der Klägerin eine ergänzende Stellungnahme der Prof. Dr. L. vom 2. April 2021 eingeholt. Diese hat ihre Auffassung aufrechterhalten, dass bei Nachweis einer obstruktiven Funktionsstörung (2009) und persistierender bronchialer Hyperreaktivität (diagnostisch gesichert mittels unspezifischen Provokationstests 6/2009 und 9/2018) die medizinischen Voraussetzungen einer BK Nr. 4302 gegeben seien.
Dem ist Prof Dr. O. mit ergänzender Stellungnahme vom 4. August 2021 entgegengetreten. Bei der Klägerin seien weder die Kriterien der bronchialen Überempfindlichkeit erfüllt noch eine zentrale Obstruktion nachweisbar. Wenngleich das klinische Bild mit einer bronchialen Überempfindlichkeit vereinbar sei, sei diese aufgrund der Reichenhaller Empfehlung funktionell nicht zweifelsfrei gesichert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Senat einverstanden erklärt (Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 22. September 2021; Schreiben der Beklagten vom 1. Oktober 2021).
Wegen weiterer Einzelheiten sowie des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten sowie der Gerichts- und Verwaltungsakten des Parallelverfahrens L 3 U 246/15 Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Im Einverständnis der Beteiligten hatte der Senat über die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Soweit die Klägerin allgemein eine “Entschädigung“ der von ihr geltend gemachten Berufskrankheit nach BK Nr. 4302 begehrt, ist der Antrag bereits unzulässig, wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat. Denn zum einen ist der Antrag insoweit weder auf konkrete Leistungen gerichtet noch hat die Beklagte in ihren Bescheiden über entsprechende konkrete Leistungen entschieden. Im Entscheidungszeitpunkt stand somit nicht fest, welche der in Frage kommenden Leistungen (Verletztengeld, Rente u.a.) im konkreten Fall tatsächlich beansprucht werden können und für welchen Zeitraum sie ggf. zu erbringen sind. Über diese Leistungen kann durch das Gericht auch nicht durch Grundurteil (§ 130 Abs. 1 SGG) entschieden werden. Denn die in § 130 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorgesehene Möglichkeit zum Erlass eines Grundurteils ist auf Fälle beschränkt, in denen der Kläger eine oder mehrere ihrer Art nach feststehende Geldleistungen begehrt, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Nicht die Leistung als solche, sondern nur ihre Höhe kann in diesem Fall vom Gericht offengelassen und der Berechnung durch den Sozialleistungsträger überlassen werden. Schließlich hat die Verurteilung zur Gewährung einer „Entschädigung“ keinen vollstreckbaren Inhalt (vgl. BSG, Urteile vom 7. September 2004 - B 2 U 35/03 R - und vom 30. Januar 2007 - B 2 U 6/06 - jeweils juris; Urteile des erkennenden Senats vom 28. April 2015 - L 3 U 9/12, 11. September 2020 L 3 U 150/18 - und 4. Mai 2021 - L 3 U 70/19 - jeweils juris).
Der zulässige Antrag auf Antrag auf Feststellung einer BK nach BK Nr. 4302 ist unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts vom 3. November 2015 sowie der Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juni 2012 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit nach BK Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV.
Rechtsgrundlage für die Feststellung einer BK ist § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII in Verbindung mit BK Nr. 4302. Gemäß § 9 Abs. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet (sog. Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung für die Feststellung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 15. September 2011 - B 2 U 25/10 R - juris Rn. 14; Urteil vom 2. April 2009 - B 2 U 30/07 R = BSGE 103, 45; BSGE 103, 59).
Der Verordnungsgeber hat die BK Nr. 4302 wie folgt bezeichnet: „Durch chemisch irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen“. Der bisher in der BK-Bezeichnung enthaltene Unterlassungszwang wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2021 durch das 7. SGB IV ÄndG gestrichen (BGBl. I 2020, Nr. 28, S. 1248, Art. 24 Nr. 3).
Für die Feststellung ihrer Atemwegserkrankung als BK nach BK Nr. 4302 muss die Klägerin demnach aufgrund ihrer versicherten Tätigkeit chemisch irritativ oder toxisch wirkende Stoffe ausgesetzt gewesen sein und an einer obstruktiven Atemwegserkrankung leiden. Diese muss durch die versicherten Einwirkungen verursacht worden sein.
Nach den Feststellungen des Geschäftsbereichs Prävention der Beklagten (Stellungnahmen vom 16. November 2010 und 1. Januar 2012) lag bei Klägerin bei Kurz- und Mittelstreckenflügen eine Belastung durch Ozon im Sinne der BK Nr. 4302 vor. Jedenfalls insoweit war sie nach den Ermittlungen der Beklagten chemisch irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen im Sinne der BK Nr. 4302 ausgesetzt. Ob die Klägerin darüber hinaus chemisch irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen im Sinne der BK Nr. 4302 ausgesetzt war, z. B. aufgrund von Verbrennungsrückständen und deren durch Erhitzung entstehenden Folgeprodukte bzw. Schadstoffe in der von den Turbinen der Flugzeuge angesaugten Frischluft, oder aufgrund von sog. Desinfektionen auf Flügen nach Südafrika mit einem Langzeitpyrethroid, hatte der Senat vorliegend nicht abschließend zu entscheiden, da bereits das für die BK Nr. 4302 erforderliche Krankheitsbild nicht vorliegt.
Es fehlt am Vollbeweis einer obstruktiven Atemwegserkrankung der Klägerin. Hierfür stützt sich der Senat insbesondere auf das überzeugende Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. O. vom 31. August 2020 nebst ergänzender Stellungnahme vom 4. August 2021 sowie die Stellungnahmen des beratenden Arztes der Beklagten Dr. N. vom 19. März 2019 und 13. Januar 2020, wobei letztere im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden. Nicht zu überzeugen vermochte die gegenteilige Auffassung der Sachverständigen Prof. Dr. L. im Gutachten vom 17. Februar 2019 und in deren ergänzenden Stellungnahmen vom 9. Oktober 2019 und 2. April 2021 unter Verweisung auf das Zusatzgutachten des Dr. M. vorm Oktober 2018.
Der Begriff „obstruktive Atemwegserkrankung“ ist ein Sammelbegriff für verschiedene akute und chronische Krankheiten des bronchopulmonalen Systems, die mit obstruktiven Ventilationsstörungen einhergehen. Unter den Begriff der obstruktiven Atemwegserkrankungen im Sinne der BK Nr. 4302 fallen ein Asthma bronchiale, ein Reaktives Airways Dsyfunction Syndrome (RADS), eine chronisch obstruktive Bronchitis oder ein Lungenemphysem. Obstruktive Atemwegserkrankungen der oberen Luftwege im Sinne einer Rhinopathie werden von der BK Nr. 4302 nicht erfasst (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, Kap. 17.13.2 S. 1105 ff. m. w. N.). Die unspezifische bronchiale Hyperreaktivität ist in diesem Zusammenhang kein selbständiges Krankheitsbild, sondern ein phasenweiser ggf. saisonal wechselnder Befund der obstruktiven Atemwegserkrankung und Ausdruck der gesteigerten Bereitschaft der unteren Atemwege, mit Obstruktion zu reagieren. Die Diagnose „obstruktive Atemwegserkrankung“ ist bereits zu stellen, wenn im Zusammenhang mit Beschwerden eine unspezifische bronchiale Hyperreaktivität wiederholt außerhalb von Infektperioden nachgewiesen wird. Ist eine Obstruktion nicht vorhanden, sind die Voraussetzungen für eine obstruktive Atemwegserkrankung zu verneinen. Der Verordnungsgeber wollte nur Atemwegserkrankungen mit einem bestimmten Schweregrad erfassen (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2006 - B 2 U 24/04 R - juris Rdnr. 14 m. w. N.; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. Kap. 17.13 S. 1105, 1106 m. w. N.).
Die Diagnose einer obstruktiven Atemwegserkrankung muss zweifelsfrei festgestellt werden, und zwar bei Atemwegserkrankungen durch Nachweis
1. einer obstruktiven Ventilationsstörung oder
2. einer bronchialen Hyperreaktivität oder
3. einer Obstruktion im Rahmen eines arbeitsplatzbezogenen Inhalationstests
(vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Kap. 17.13.4. S. 1117; Empfehlung für die Begutachtung der Berufskrankheiten der Nrn. 1315 [ohne Alveolitis], 4301 und 4302 der Anlage zur BKV- Reichenhaller Empfehlung - DGUV 2012, Ziff. 4.4 S. 62).
Bei der Klägerin liegt keines der oben genannten Krankheitsbilder (Asthma bronchiale, RADS, chronisch obstruktive Bronchitis oder ein Lungenemphysem) im Vollbeweis vor. Insbesondere liegt bei ihr weder eine unspezifische bronchiale Hyperreaktivität noch eine obstruktive Ventilationsstörung oder Obstruktion im Rahmen eines AIT im Vollbeweis vor. Hierfür stützt sich der Senat wie oben bereits ausgeführt insbesondere auf das Gutachten des Prof. Dr. O. vom 31. August 2020 nebst ergänzender Stellungnahme vom 4. August 2021 sowie die Stellungnahmen des beratenden Arztes der Beklagten Dr. N. vom 19. März 2019 und 13. Januar 2020.
Aus den nachfolgenden Gründen kann zur Überzeugung des Senats bei der Klägerin nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht vom Vollbeweis einer bronchialen Hyperreaktivität ausgegangen werden: Von Prof. Dr. L. ist zwar zutreffend dargelegt worden, dass zum Nachweis der bronchialen Hyperreaktivität nach der Reichenhaller Empfehlung, DGUV 2012, Ziff. 3.2.11 S. 42, 43 ein Stufentest mit Angabe der Stufe des Stimulans durchzuführen ist, durch das ein FEV1-Abfall von 20% oder eine Verdoppelung des spezifischen Atemwegswiderstands mit Anstieg auf mindestens 2,0 kPa*s verursacht wurde. Ein positiver Methacholin-Test liegt danach vor, wenn bei einer kumulativen Methacholin-Dosis von ≤ 0,3 mg der sRT (totaler spezifischer Atemwegswiderstand) um mindestens 100% auf mindestens 2,0 kPa*s angestiegen und/oder die FEV1 um mindestens 20% abgefallen ist. Dennoch kann allein wegen des Abfalls der FEV1 bei der Klägerin von mehr als 20% nach den Untersuchungsergebnissen des Dr. P. vom 4. Juni 2009 (Provokationstest mit Carbachol) sowie den Untersuchungsergebnissen des Dr. M. vom 5. September 2018 (Provokationstest mit Methacholin) nicht der Vollbeweis einer bronchialen Hyperreaktivität angenommen werden. Dr. N. hat diesbezüglich für den Senat nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass erst die Einschränkung der Reaktion zwischen FEV 1 (Atemstoß) und forcierter Vitalkapazität von einer obstruktiven Ventilationsstörung ausgehen lasse, und es nicht richtig sei, den Abfall des Atemstoßes allein zu berücksichtigen. Der Atemstoß sei gleichsinnig mit der forcierten Vitalkapazität abgefallen, welche sich ebenfalls vermindert habe, sodass die Relation zwischen forcierter Vitalkapazität in Relation zum Atemstoß normal verblieben sei. Im Falle der Klägerin spreche daher der normale sog. Tiffeneau-Wert (Einsekundenkapazität in Prozent der Vitalkapazität) gegen eine Obstruktion. Damit in Übereinstimmung wird in der aktuellen S2k-Leitlinie „Arbeitsplatzbezogener Inhalationstest (AIT) – specific inhalation challenge (SIC)“, AWMF-Register-Nr. 002/026, Stand 01/2021, S. 23, 24 zur Messung der unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität mittels Methacholin ausgeführt, dass ein Abfall des FEV1 bei gleichzeitigem Abfall der VC und somit normalem FEV1/FVC nicht als positives Testergebnis zu werten ist. Des Weiteren hat Dr. N. zutreffend darauf hingewiesen, dass auch in der Reichenhaller Empfehlung auf S. 43 angemerkt wird, dass ein substantieller, physiologisch valider Abfall von FEV 1 ohne gleichzeitigen Anstieg von sRT sehr selten und in der Regel ein Indiz für eine unzureichende Atemtechnik ist. Prof. Dr. O. ist zum selben Ergebnis gelangt wie Dr. N., er sieht die formalen Kriterien einer bronchialen Hyperreaktivität nach den aktenkundigen Untersuchungsbefunden der Provokationstests nicht als erfüllt und eine bronchiale Hyperreaktivität nicht als gesichert an. Dem folgt der Senat.
Ebenso wenig ist nach dem Gutachten des Prof. Dr. O. und den Stellungnahmen des Dr. N. der Vollbeweis einer obstruktiven Ventilationsstörung oder Obstruktion im Rahmen eines AIT gegeben. Selbst der Zusatzgutachter Dr. M. hat ausgeführt, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung nicht hinreichend gesichert werden kann. Als Ergebnis der Lungenfunktionsprüfung (Spirometrie, Bodyplethysmographie) hat er einen Normalbefund ohne obstruktive oder restriktive Ventilationsstörung erhoben. Selbst im Rahmen seiner Diagnose „leichtgradige bronchiale Hyperreagibilität bei unspezifischer Provokation mit Methacholin, ausgeprägte eosinophile Inflammation mit stark erhöhtem exhalativen NO, somit vereinbar mit Asthma bronchiale ohne Nachweis einer Obstruktion, keine periphere Eosinophilie“ ging er nicht vom Nachweis einer Obstruktion aus. Soweit Dr. M. dennoch einen „hochgradigen Verdacht auf ein Asthma bronchiale als intermittierend obstruktive Atemwegserkrankung“ annahm, reicht dies für den Vollbeweis einer obstruktiven Atemwegserkrankung nicht aus, ebenso wenig der von Prof. Dr. O. angegebene „Verdacht auf beginnendes Intrinsic Asthma bronchiale, aktuell durch die Lungenfunktion nicht bestätigt“. Prof. Dr. L. kann nicht gefolgt werden, soweit diese eine lungenfunktionsanalytisch objektivierte Obstruktion zumindest 2009 annimmt. Zu der im Universitätsklinikum durchgeführten Lungenfunktionsdiagnostik (Bodyplethysmographie) hat auch Prof. Dr. L. ausgeführt, dass sich keine Hinweise auf eine restriktive oder obstruktive Ventilationsstörung gefunden hätten (bis auf eine periphere Obstruktion in Form eines grenzwertig erhöhten Residualvolumens). Nach den für den Senat nachvollziehbaren Ausführungen des Prof. Dr. O. ist auch anhand der vorliegenden Lungenfunktionsprüfungen des Dr. F. und des Dr. M. eine zentrale Obstruktion nicht nachgewiesen. Es fehlt der Nachweis einer obstruktiven Atemwegserkrankung. Hiermit in Übereinstimmung hat Dr. N. für den Senat mit Stellungnahmen vom 19. März 2019 und 13. Januar 2020 schlüssig ausgeführt, dass zwar die Lungenfunktionswerte bei der Ausgangsmessung (Normalwert für die maximale Vitalkapazität, Erreichen von 95,8% des Sollwerts für die forcierte Vitalkapazität, Erreichens von 64% des Sollwerts für den Atemstoß/Einsekundenkapazität) auf eine Obstruktion hingewiesen hätten. An der Annahme einer Obstruktion habe aber sicherlich die Tatsache gehindert, dass die Flussvolumenkurve zeigte, dass die Mitarbeit nicht ausreichend war. Der spitze Anstieg im ersten Teil der Ausatmung fehlte in den Flussvolumenkurven, was nicht mit einer Atemwegserkrankung vereinbar ist. Während der Provokation hat sich diese Morphologie der Flussvolumenkurve nicht verändert, der Atemwegswiderstand hat nicht den Sollwert von 0,3 überschritten und auch der spezifische Atemwegswiderstand hat sich nicht signifikant verändert, weshalb hieraus keine obstruktive Atemwegserkrankung abgeleitet werden kann. Zutreffend ist auch die Auffassung des Dr. N., wonach erst bei Einschränkung der Reaktion bzw. Verminderung des Verhältnisses zwischen FEV1 (Atemstoß) und forcierter Vitalkapazität von einer obstruktiven Ventilationsstörung ausgegangen werden kann (vgl. S2k-Leitlinie „Arbeitsplatzbezogener Inhalationstest (AIT) - specific inhalation challenge (SIC)“, AWMF-Register-Nr. 002/026, Stand 01/2021, S. 23).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.