L 4 KA 45/18

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 162/17
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 4 KA 45/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 50/20 B
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 21. November 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass ab dem Quartal III/16 für die Durchführung und Abrechnung der Leistungen der Humangenetik nach Nrn. 11511, 11512, 11513, 11516 und 11518 Einheilticher Bewertungsmaßstab (EBM) aus Abschnitt 11.4.3 EBM, Nrn. 19401, 19402, 19403 und 19404 EBM aus Abschnitt 19.4.1 EBM sowie Nrn. 19411, 19421 und 19424 EBM aus Abschnitt 19.4.2 EBM keine Genehmigung erforderlich ist.

Der Kläger ist seit 28. März 2000 als Facharzt für Innere Medizin/Endokrinologie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Er war ursprünglich in einer Berufsausübungsgemeinschaft mit zwei weiteren Endokrinologen tätig. Seit 1. April 2017 ist er in einem MVZ tätig. 

Bis zum 31. März 2005 rechnete er – bei Bestätigung der Abrechnungsbefugnis durch Schreiben der Beklagten vom 18. März 2004 (Bl. 220a Gerichtsakte – GA) humangenetische Laborleistungen nach den Nrn. 4977, 4979, 4980, 4981, 4982, 4984 EBM ab. Am 19. Oktober 2005 nahm der Kläger erfolgreich an einem Kolloquium vor der zuständigen Fachkommission teil und mit Bescheid vom 26. Oktober 2005 (Bl. 221 GA) erteilte die Beklagte dem Kläger die widerrufliche Genehmigung für die Abrechnung der Laborleistungen nach Nrn. 32855, 32856 und 32857 EBM 2000plus nach Abschnitt 32.3 Nr. 2 EBM. Mit Schreiben vom 26. April 2006 (Bl. 222 GA) bestätigte die Beklagte, dass im Hinblick auf seine nachgewiesene Qualifikation die Abrechnungsgenehmigung für die Nrn. 32855, 32856 und 32857 EBM 2000plus bis zum 31. März 2006 erteilt worden sei, es für die weitere Abrechnung der Leistungen nach den Nrn. 11320, 11321 und 11322 EBM 2000plus aufgrund der Änderungen des EBM 2000plus zum 1. April 2006 keiner gesondert zu erteilenden Abrechnungsgenehmigung für diese Leistungen bedürfe.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 2. Mai 2016 (Bl. 1 Verwaltungsakte - VA) wegen der Änderung des EBM zum 1. Juli 2016 die Genehmigung zur Abrechnung humangenetischer Leistungen aus Abschnitt 11.4.1 EBM Nrn. 11301, 11302, des Abschnitts 11.4.2 EBM, aus Abschnitt 11.4.3 EBM Nrn. 11511, 11512, 11513, 11516, 11517 und 11518), aus Abschnitt 11.4.4 EBM Nrn. 11521 und 11522, aus Abschnitt 19.4.1 EBM Nrn. 19401, 19402, 19403 und 19404 sowie aus Abschnitt 19.4.2 EBM Nrn. 19411, 19421 und 19424. Mit Schreiben vom 16. Juni 2016 (Bl. 48 VA) führte der Kläger u. a. aus, die Nrn. aus Abschnitt 11.3 EBM (11.320, 11321 sowie 11322) und Nrn. 32860, 32861 und 62863 EBM würden mit Wirkung zum 1. Juli 2016 in das Kapitel 11.4 und in das Kapitel 19.4 überführt. In der Präambel 11.1 sei neu hinzugekommen, dass „die Qualifikationsvoraussetzungen für die Berechnung der Gebührenordnungspositionen der Abschnitte 19.4 usw. bei den in Nummer 1 genannten Vertragsärzten als erfüllt gelten.“ Dies bedeute, dass diejenigen, die bisher die Abrechnungsziffern aus Kapitel 11.3 abrechnen konnten, nun auch für die spezifische Abrechnung aus dem Kapitel 19 die Abrechnungsgenehmigung erhalten sollen.

Die Beklagte teilte dem Kläger mit Bescheid vom 10. August 2016 (Bl. 52 VA) mit, die Nrn. 11521 und 11522 EBM seien ohne gesonderte Genehmigung widerruflich abrechnungsfähig, da dem Kläger bereits eine Genehmigung zu den nun aufgehobenen Nrn. 11320, 11321 und 11322 EBM erteilt worden sei. Die Pauschale nach Nr. 11301 sei nach Nr. 9 der Präambel 13.1 widerruflich berechnungsfähig. Im Übrigen lehnte sie den Antrag ab. Angesichts der ab 1. Januar 2011 vorgenommenen Einschränkung der Berechnungsfähigkeit der bisherigen Gebührenordnungspositionen nach Nrn. 11320, 11321 und 11322 EBM und der aktuellen Neufassung der humangenetischen Laborleistungen seien die Nrn. 11511, 11513, 11516 und 11517 EBM („seltene“ Erkrankungen) sowie Nrn. 11512 und 11518 EBM nicht berechnungsfähig. Daraus folge, dass auch die Berechnungsfähigkeit der Pauschale nach Nr. 11302 EBM ausgeschlossen sei, da diese ausschließlich im Rahmen der Diagnostik seltener Erkrankung berechnungsfähig sei. Nr. 9 der Präambel 13.1 verweise nur auf die Abschn. 11.3, 11.4.1, 11.4.3, 11.4.4 und 19.4, weshalb Leistungen aus Abschn. 11.4.2 nicht abgerechnet werden könnten. Wegen der Einschränkung der Berechnungsfähigkeit der bisherigen Gebührenordnungspositionen nach Nrn. 11320, 11321 und 11322 EBM seien die Leistungen nach Nrn. 19411, 19421 und 19424 EBM nicht berechnungsfähig, weshalb auch die Pauschalen Nrn. 19401 und 19404 EBM im neuen Abschn. 19.4.1 nicht abgerechnet werden könnten. 

Hiergegen legte der Kläger am 25. August 2016 Widerspruch (Bl. 55 VA) ein. Zur Begründung erläuterte er seine Arbeitsweise und wozu er die Leistungen brauche. 

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2017 (Bl. 3 ff Gerichtsakte – GA), dem Kläger am 19. Januar 2017 (Bl. 66 VA) zugestellt, den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie führte aus, der Kläger könne nach Nr. 9 der Präambel 13.1 zusätzlich die Leistungen der Abschnitte 11.3, 11.4.1, 11.4.3, 11.4.4 und 19.4 abrechnen, sofern die entsprechenden Qualifikationsvoraussetzungen vorlägen. Mit Wirkung zum 1. Januar 2011 sei der Abschnitt 11.4 für Leistungen der indikationsbezogenen molekulargenetischen Stufendiagnostik geschaffen worden. Damit seien schon ab diesem Zeitpunkt die Nrn. 11320, 11321 und 11322 EBM für molekulargenetische Untersuchungen nicht mehr berechnungsfähig gewesen, für die der Kläger eine Genehmigung gehabt habe. Sie habe in der Vergangenheit versäumt, diese Regelungen von der Vergütung auszuschließen, woraus aber kein Vertrauensschutz erwachse. Mit der Weiterentwicklung der humangenetischen Laborleistungen des EBM seien die in Abschnitt 11.3 befindlichen Nrn. 11320, 11321 und 11322 EBM mit Wirkung zum 1. Juli 2016 gestrichen worden. Die Abschnitte 11.4 und 19.4 seien neu geregelt worden. Bzgl. der „seltenen“ Erkrankungen seien Nrn. 11320, 11321 und 11322 EBM in die Nrn. 11511, 11513, 11514,11515 und 11517 EBM sowie hinsichtlich der nicht „seltenen“ Erkrankungen in Nr. 11521 und 11522 EBM überführt worden. Die Nrn. 11511, 11513, 11516 und 11517 EBM sowie Nrn. 11512 und 11518 EBM seien zu Recht von der Abrechnung ausgeschlossen worden. Auch die Leistungen aus Abschnitt 19.4 seien nicht abrechnungsfähig. Von daher sei die ablehnende Entscheidung hinsichtlich der Pauschalen nach Nrn. 19401 und 19404 EBM rechtmäßig. Eine Überprüfung der Abrechnung habe ergeben, dass bei den in der Praxis behandelten Patienten mit „seltenen“ Erkrankungen der primäre Einsatz der genetischen Diagnostik nicht erforderlich sei und aus diesem Grund eine Genehmigung nicht erteilt werden könne. Andere diagnostische Verfahren seien vorzuziehen und ausreichend. Eine andere Entscheidung könne auch nicht aus Gründen der Sicherstellung getroffen werden. Von den Regelungen des EBM könne nicht abgewichen werden. 

Hiergegen hat der Kläger am Montag, den 20. Februar 2017, Klage zum Sozialgericht Marburg mit dem Antrag erhoben, unter Aufhebung des Bescheids vom 10. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. Januar 2017 festzustellen, dass für ihn die Durchführung und Abrechnung der humangenetischen Leistungen nach Nrn. 11511, 11512, 11513, 11516 und 11518 EBM aus Abschnitt 11.4.3 EBM, Nrn. 19401, 19402, 19403 und 19404 EBM aus Abschnitt 19.4.1 EBM sowie Nrn. 19411, 19421 und 19424 EBM aus Abschnitt 19.4.2 EBM nicht genehmigungspflichtig ist, hilfsweise die Genehmigung für diese Leistungen zu erteilen, weiter hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.  

Der Kläger hat vorgetragen, er verfüge über die geforderten entsprechenden Qualifikationsvoraussetzungen. Er habe vor Überarbeitung des EBM zum 1. Juli 2016 verschiedene, im Einzelnen aufgeführte Diagnoseverfahren nach Nrn. 11320, 11321 und 11322 EBM sowie Abschnitt 11.4 und Nrn. 32860, 32861 und 32863 EBM erbracht. Er sei berechtigt gewesen, die Leistungen nach Nrn. 11320, 11321 und 11322 EBM bis zum 30. Juni 2016 zu erbringen. Die Beklagte habe die molekulargenetische Diagnoseleistung als Praxisbesonderheit gewertet und deshalb wiederholt Erhöhungen des RLV gewährt, bevor diese Leistungen in 2013 aus dem RLV herausgefallen seien. Die Nr. 11511 ersetze die bisherigen Nrn. 11320 und 11321 EBM. Bei 8.000 bis 9.000 Patienten im Jahr beträfen die abgerechneten Untersuchungen nur einen kleinen Teil der Patienten, für den sie erforderlich seien. Nrn. 11511 bis 11513 EBM seien den seltenen Erkrankungen vorbehalten. Die bisher ebenfalls mit Nrn. 11320 und 11321 EBM abgerechnete Diagnostik bei Tumorerkrankungen werde in den neuen Abschnitt 19.4 EBM verlagert. Die Abrechnung der gegenständlichen Leistungen sei ausdrücklich unter 13.1.9 EBM vorgesehen. Er hat ferner klargestellt, dass er für indikationsbezogene Untersuchungen definierter monogener Erkrankungen des ehemaligen Abschnitts 11.4.2 EBM (Fassung 1. Januar 2011) keine Genehmigung begehre.

Die Beklagte hat unter weitgehender Wiederholung ihrer Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid weiterhin der Auffassung vertreten, dass die strittigen Leistungen nicht genehmigt werden könnten. Obschon eine wortlautorientierte Auslegung des EBM nicht für eine Genehmigungspflicht spreche, folge die Genehmigungspflicht aus der Präambel 11.1.1 Alternative 3. Weitergehende inhaltliche Anforderungen an diese Genehmigung ließen sich dem EBM-Text nicht entnehmen. Die Präambel zu Kap. 11.4 regele verschiedene fallbezogene Voraussetzungen (u. a. Stufendiagnostik, seltene Erkrankungen etc.), jedoch keine arztbezogenen Einschränkungen. Demnach dürfte die Abrechnung der Leistungen aus Kapiteln 11.4.1, 11.4.3 und 11.4.4 grundsätzlich genehmigungspflichtig sein. Die Präambel zu Kapitel 19 sehe keine Genehmigungspflicht vor. Es müsse aber die Historie der einschlägigen EBM-Regelungen mitberücksichtigt werden. Nach Maßgabe der in den Quartalen I/11 bis II/16 geltenden neuen Präambel 11.1.11 seien die Gebührenordnungspositionen 11320 bis 11322 nicht berechnungsfähig, wenn die Diagnostik mit Kapitel 11.4 vorgenommen werden könne (molekulargenetische Stufendiagnostik). Die Präambel 11.4 EBM enthalte zudem verschiedene patienten- und diagnosebezogene Voraussetzungen. Präambel 11.4.5 EBM setzte eine Genehmigung für Kapitel 11.4.2 EBM nach der Qualitätssicherungsvereinbarung voraus. Für die Abrechnung der Leistungen aus Kapitel 11 benötige der Kläger seit jeher eine EBM-Genehmigung. Präambel 13.1.9 EBM gehe von entsprechenden Qualifikationsvoraussetzungen aus. Im Ergebnis sei daher eine Genehmigung erforderlich. Zudem ergebe sich aus dem systematischen Vergleich der Kapitel 11 und 19 EBM und damit aus dem Umstand der unterschiedlichen Regelungen, dass es einer Genehmigung für Kapitel 11 bedürfe. Genehmigungsvoraussetzungen seien nicht erkennbar. Die Abrechnung der Leistungen nach Kapitel 19.4.1 und 19.4.2 EBM erfordere keine Genehmigung. Auch aus den Leistungslegenden ergebe sich kein Genehmigungserfordernis. Die Einhaltung der jeweiligen Abrechnungsvoraussetzungen wäre eine Frage der Abrechnungsprüfung im einzelnen Behandlungsfall. Im Ergebnis dürfte eine Genehmigung für Kapitel 11.3, 11.4.1, 11.4.3 und 11.4.4 bzw. deren jeweils einschlägigen Gebührenordnungspositionen erforderlich sein. Die sonstigen Voraussetzungen gem. EBM seien jeweils zu beachten. Dies dürfte dazu führen, dass die Gebührenordnungspositionen aus Kapitel 11 EBM vermutlich nur in wenigen Ausnahmefällen abgerechnet werden könnten. Aufgrund der speziellen und besonderen Umstände dieses Einzelfalles und der Relevanz hinsichtlich der Vorgaben der KBV zu dieser Thematik werde eine streitige Entscheidung durch das Gericht angestrebt. 

Mit Urteil vom 21. November 2018 hat das Sozialgericht unter Aufhebung des Bescheids vom 24. August 2016 (richtig: 10. August 2016) in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. Januar 2017 festgestellt, dass für den Kläger die Durchführung und Abrechnung der humangenetischen Leistungen nach Nrn. 11511, 11512, 11513, 11516 und 11518 EBM aus Abschn. 11.4.3 EBM, Nrn. 19401, 19402, 19403 und 19404 EBM aus Abschn. 19.4.1 EBM sowie Nrn. 19411, 19421 und 19424 EBM aus Abschn. 19.4.2 EBM nicht genehmigungspflichtig sei, weil der der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) eine Genehmigungspflicht nicht vorsehe. Insofern fehle es auch an einer Ermächtigungsgrundlage für eine Versagung der Genehmigung durch die Beklagte. 

Gegen das ihr am 20. November 2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. Dezember 2018 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Die Beklagte führt aus, das Genehmigungserfordernis ergebe sich aus der Präambel 11.1.1 Alternative 3 EBM, wonach andere Ärzte als Humangenetiker oder Ärzte mit Zusatz „Medizinische Genetik“ über eine Genehmigung verfügen müssten. Ebenso sei in Präambel 13.1.9 EBM vorgesehen, dass Fachinternisten Leistungen aus Kapitel 11 bei Vorliegen der entsprechenden Qualifikationsvoraussetzungen abrechnen dürften, vor diesem Hintergrund könne auch die erforderliche Genehmigung eingeordnet werden. Zudem spreche der Vergleich der Kapitel 11 und 19 dafür, dass mit Kapitel 11 letztlich ein Genehmigungserfordernis gewollt sei. Die Qualitätssicherungsvereinbarung nach § 135 Abs. 2 SGB V sei nicht anwendbar und betreffe nur das Kapitel 11.4.2. Anforderungen an die Qualifikation könnten nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 9.  Mai 2012, B 6 KA 83/11 B juris Rn. 8 m. w. N.) auch im EBM selbst geregelt werden. Dies ergebe sich aus § 87 Abs. 2a SGB V. Danach könnte an die berufsrechtliche Qualifikation angeknüpft werden. Auch Anforderungen im EBM, die nicht allein an die berufsrechtliche Qualifikation anknüpften, sondern an anderen Qualifikationen, wie z. B. die Schwerpunkt- oder Zusatzbezeichnung, beruhten auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage (vgl. BSG, Urteil vom 9. April 2008, B 6 KA 40/07 R, juris Rn. 40). Die Bestimmtheit des Passus „bei Vorliegen der entsprechenden Qualifikationsvoraussetzungen“ könne aufgeworfen werden, das Sozialgericht setze sich indessen nicht näher mit den Qualifikationsanforderungen im Fall des Klägers auseinander, zumindest erfolge keine Auseinandersetzung, wie der Passus zu verstehen sei, wenn man zu der Annahme komme, es bedürfe keiner entsprechenden Qualifikationsvoraussetzung. Zu Unrecht gehe das Sozialgericht davon aus, alle Fachärzte für Innere Medizin verfügten per se über ausreichende Qualifikationsvoraussetzungen zur Erbringung humangenetischer Leistungen. Der Passus „bei Vorliegen der entsprechenden Qualifikationsvoraussetzungen“ sei unnötig, wenn ein Genehmigungserfordernis gänzlich nicht gewollt wäre. Selbst wenn man von einer zu unbestimmten Rechtsgrundlage ausgehe, so könne man doch von einem bewusst vom Normgeber gewollten unbestimmten Rechtsbegriff ausgehen, der die jeweilige Entscheidung über die Genehmigungserteilung als der individuellen Prüfung des Einzelfalles vorbehalten erachte. In jedem Fall sei in dem genannten Passus ein Genehmigungserfordernis zu sehen, das für den Kläger Geltung haben müsse. Der Kläger sei als Facharzt für Innere Medizin/Endokrinologie und seiner Gebietsweiterbildung nicht für die Durchführung einer molekulargenetischen Diagnostik qualifiziert. Vertragsärzte, die die Leistungen der Abschnitte 11.3., 11.4.1, 11.4.3, 11.4.4 und 19.4 EBM erbringen wollten, müssten über die erforderliche berufsrechtliche Qualifikation für die Erbringung der individuellen humangenetischen Untersuchungen verfügen. 

Die Beklagte beantragt, 

das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 21. November 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, 

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger nimmt auf seinen Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren Bezug und trägt weiter vor, die Auffassung der Beklagten sei unzutreffend. Er habe seit Beginn seiner vertragsärztlichen Tätigkeit humangenetische Laborleistungen rechtmäßig ausgeführt und abgerechnet. Die Beklagte habe dies mit Schreiben vom 18. März 2004 und 26. April 2006 (Bl. 191 GA) mit der für die Nrn. 32855, 32856 und 32857 EBM2000plus nachgewiesenen Qualifikation und dafür erteilten Abrechnungsgenehmigung bestätigt. Seit 1. Juli 20016 sei er nach Nr. 13.1.9 EBM berechtigt, die streitgegenständlichen Leistungen ohne gesonderte Genehmigung durchzuführen und abzurechnen. Ein Genehmigungserfordernis gehe weder aus Nr. 13.1.9 EBM noch aus Nr. 11.1.1 EBM hervor. Für die Verhängung einer Genehmigungspflicht bestehe keine Ermächtigungsgrundlage. Er sei als Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Endokrinologie für die Erbringung der molekulargenetischen Diagnostik qualifiziert. 

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben, denn der Bescheid der Beklagten vom 10. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. Januar 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil die Durchführung und Abrechnung der streitgegenständlichen Leistungen nach Nrn. 11511, 11512, 11513, 11516 und 11518 EBM aus Abschnitt 11.4.3 EBM, Nrn. 19401, 19402, 19403 und 19404 EBM aus Abschnitt 19.4.1 EBM sowie Nrn. 19411, 19421 und 19424 EBM aus Abschnitt 19.4.2 EBM keiner Genehmigungspflicht unterliegen.

Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) verbunden mit einer Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthaft. Eine isolierte Anfechtungsklage würde seinem Begehren nur unzureichend Rechnung tragen, denn es würde allein zur Kassation des streitgegenständlichen Bescheids vom 10. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. Januar 2017 über die Abrechnungsgenehmigung der streitgegenständlichen Leistungen führen. Der Kläger macht jedoch darüber hinaus geltend, dass für die Durchführung und Abrechnung der Leistungen kein Genehmigungserfordernis besteht. Damit begehrt er die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses i. S. v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG

Die Feststellungsklage ist auch zulässig, weil der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung des Vorliegens einer Genehmigungspflicht hinsichtlich der Durchführung und Abrechnung dieser Leistungen hat, denn die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, die Leistungserbringung und Abrechnung unterlägen einem Genehmigungserfordernis.

Die Anfechtungsklage ist begründet, denn der Bescheid vom 10. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. Januar 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil die Beklagte keine Befugnis zum Erlass eines rechtsgestaltenden Verwaltungsakts über die Genehmigung bzw. der Versagung der Genehmigung der Abrechnung der Leistungen nach Nrn. 11511, 11512, 11513, 11516 und 11518 EBM aus Abschnitt 11.4.3 EBM, Nrn. 19401, 19402, 19403 und 19404 EBM aus Abschnitt 19.4.1 EBM sowie Nrn. 19411, 19421 und 19424 EBM aus Abschnitt 19.4.2 EBM hat.

Die Beklagte kann den streitgegenständlichen Verwaltungsakt zunächst nicht auf die Vereinbarung von Qualitätssicherungsmaßnahmen nach § 135 Abs. 2 SGB V zur Erbringung von molekulargenetischen Untersuchungen bei monogenen Erkrankungen (Qualitätssicherungsvereinbarung Molekulargenetik) vom 21. März 2012 (DÄ 2012 S. A-553) in der Fassung ab 1. April 2017 (DÄ 2017, S. A 1021) stützen. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Qualitätssicherungsvereinbarung Molekulargenetik regelt die Vereinbarung die allgemeinen Anforderungen an die fachliche Befähigung, die Indikationsstellung, die Durchführung, Organisation und Dokumentation als Voraussetzung für die Ausführung und Abrechnung von molekulargenetischen Untersuchung in der vertragsärztlichen Versorgung (Leistungen nach den Gebührenordnungspositionen des Unterabschnitts 11.4.2 des EBM). Soweit daher die Ausführung und Abrechnung von molekulargenetischen Leistungen nach § 2 Abs. 1 Qualitätssicherungsvereinbarung Molekulargenetik von einer Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung abhängen, erfasst dieses Genehmigungserfordernis nicht die streitgegenständlichen Leistungen aus Abschnitt 11.4.3 EBM, Abschnitt 19.4.1 EBM und Abschnitt 19.4.2 EBM.

Wie das Sozialgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, kann auch die Präambel 11.1.1 Alternative 3 EBM nicht als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden, da danach die in Abschnitt 11 EBM aufgeführten humangenetischen Gebührenordnungspositionen ausschließlich von Vertragsärzten, die Auftragsleistungen des Kapitels 11 erbringen und über eine Genehmigung zur Abrechnung der Gebührenordnungspositionen dieses Kapitels verfügen, berechnet werden, der Kläger aber keine Auftragsleistungen erbringt und erbringen möchte.

Weiterhin bildet auch die Präambel 13.1.9 EBM keine geeignete Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des streitgegenständlichen Bescheids. 
Danach sind außer den in Kapitel 13 genannten Gebührenordnungspositionen bei Vorliegen der entsprechenden Qualifikationsvoraussetzungen von den in der Präambel genannten Vertragsärzten (Fachärzte für Innere Medizin) – unbeschadet der Regelungen gemäß 5 und 6.2 der Allgemeinen Bestimmungen – zusätzlich die Gebührenordnungspositionen der Abschnitte 11.3, 11.4.1, 11.4.3, 11.4.4 und 19.4 berechnungsfähig. 

Zwar sind Regelungen zur Ausführung und Abrechenbarkeit von Leistungen durch den Bewertungsausschuss als Normsetzungsorgan zulässig. Soweit die Abrechenbarkeit von Leistungen von qualitativen Anforderungen abhängig gemacht wird, ist Rechtsgrundlage hierfür § 72 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) i.V.m. § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB V (BSG, Urteil vom 9. April 2008 – B 6 KA 40/07 R  , BSGE 100, 154ff, Rn. 21 ff; BSG, Urteil vom 19. Februar 2014 – B 6 KA 38/12 R –, BSGE 115, 131ff, Rn. 16; Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 87 SGB V [Stand: 15. Juni 2020], Rn. 147 ff). Das schließt Genehmigungserfordernisse nicht aus. Allerdings knüpft Präambel 13.1.9 EBM die Abrechenbarkeit der Leistungen nach Nrn. 11511, 11512, 11513, 11516 und 11518 EBM aus Abschnitt 11.4.3 EBM, Nrn. 19401, 19402, 19403 und 19404 EBM aus Abschnitt 19.4.1 EBM sowie Nrn. 19411, 19421 und 19424 EBM aus Abschnitt 19.4.2 EBM für die in Präambel 13.1.1 genannten Fachärzte für Innere Medizin des fachärztlichen Versorgungsbereichs nicht an eine (vorherige) Erlaubnis, sondern gestaltet die qualitativen Anforderungen durch den Passus „bei Vorliegen der entsprechenden Qualifikationsvoraussetzungen“ lediglich als Abrechnungsvoraussetzung aus, bei deren Fehlen die Vergütung der Leistung verweigert werden kann. Dem Wortlaut der Norm ist daher auch keine Ermächtigung der Beklagten zum Erlass eines (rechtsgestaltenden) Verwaltungsakts zur Erteilung bzw. Verweigerung einer Abrechnungsgenehmigung zu entnehmen (vgl. zum Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für den Erlass eines Verwaltungsakts Engelmann in: Schütze, 9. Aufl. 2020, SGB X § 31 Rn. 9ff, 12). Eine solche Befugnis kann der Präambel 13.1.9 auch nicht durch Auslegung entnommen werden, da dem Normgeber des EBM der Genehmigungsvorbehalt als Regelungstechnik ersichtlich geläufig ist, wenn im EBM die Durchführung und Abrechnung von Leistungen verschiedentlich ausdrücklich an die Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung geknüpft wird: So setzen etwa Präambel 19.1.9 für die Berechnung der Nr. 19315 EBM, die Abschnitt 11.4.9 EBM für die Berechnung der Gebührenordnungspositionen des Abschnitts 11.4.2 EBM und die Präambel 10.1.5 für die Berechnung der Nr. 19315 EBM jeweils „eine Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung“ voraus, und sieht Abschnitt 13.3.5.2 EBM die Berechnung der Nrn. 13552 und 13554 EBM „nach Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung“ vor. Hätten die Kassenärztlichen Vereinigungen die Befugnis erhalten sollen, auch hinsichtlich der streitgegenständlichen Leistungen eine Genehmigung zu erteilen, wäre zu erwarten gewesen, dass ein entsprechendes Erfordernis auch ausdrücklich formuliert worden wäre.

Die Befugnis zum Erlass des Verwaltungsakts ergibt sich schließlich auch nicht aus den jeweiligen Leistungslegenden der streitgegenständlichen Leistungen.

Die Klage ist auch hinsichtlich des Feststellungsantrags begründet, da – wie ausgeführt – die Durchführung und Abrechnung der Leistungen nach Nrn. 11511, 11512, 11513, 11516 und 11518 EBM aus Abschnitt 11.4.3 EBM, Nrn. 19401, 19402, 19403 und 19404 EBM aus Abschnitt 19.4.1 EBM sowie Nrn. 19411, 19421 und 19424 EBM aus Abschnitt 19.4.2 EBM nicht von einer Genehmigung abhängt.

Lediglich klarstellend weist der Senat darauf hin, dass damit keine Entscheidung über die materiellen Voraussetzungen der Abrechnungsfähigkeit der streitgegenständlichen molekulargenetischen Leistungen durch den Kläger als Facharzt für Innere Medizin/Endokrinologie getroffen wird, da dies nicht vom Streitgegenstand des Berufungsverfahrens umfasst ist. 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG i. V. m. 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), danach hat die Beklagte die Kosten ihres erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen. 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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