S 8 KR 204/18

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 8 KR 204/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 195/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten sich um die Übernahme der Kosten für ein Therapie-Tandem der Firma E., Modell Pino Steps.

Der 2008 geborene Kläger kam zusammen mit seiner Zwillingsschwester als Frühgeborenes zur Welt. Als Diagnosen wurden eine Schwerstbehinderung, ein VP-Shunt sowie eine spastische, unilaterale infantile Cerebralparese GMFCS Stufe 3 links genannt. Er besuchte die F-Schule in F-Stadt mit den Förderschwerpunkten „geistige Entwicklung“ und „körperlich motorische Entwicklung“. Neben der wöchentlichen Physiotherapie ging er außerschulisch zum Schwimm- und Turnunterricht und nimmt am Therapie-Reiten teil. Er hatte gleichaltrige Freunde mit und ohne Handicap, mit denen er gerne Zeit verbringt. Seitens der Pflegeversicherung bezog er Leistungen nach dem Pflegegrad 4. 

Der Kläger beantragte mit Schriftsatz seiner Eltern, bei der Beklagten am 10.10.2017 eingegangen, die Übernahme der Kosten für ein Therapie-Tandem. Der Kläger gehe aktuell in die Klasse G5 der F-Schule in F-Stadt. Er habe viele (auch nichtbehinderte) Freunde. Da nach der Schule immer Aktivitäten auf dem Programm stehen würden, sei Mobilität für ihn eine wichtige Sache. Sie seien bei Unternehmungen mit ihren Freunden und Bekannten immer auf das Auto angewiesen, weil es logistisch nicht möglich sei, den Kläger und seine Schwester zu transportieren. Sie wollten den Kläger zudem auch fordern und fördern. Therapiebesuche sollen auch mal ohne die Benutzung des Autos bewältigt werden, um körperliche Herausforderungen zu setzen oder die Therapie zu unterstützen. Hauptgrund sei aber, dass der Kläger mit anderen Kindern Fahrrad fahren wolle und sie es ihm gerne ermöglichen wollen. Sie hätten schon viele Ideen erfolglos ausprobiert. Es sei aber nicht nur das „Fahrradfahren“ an sich, sondern auch die logistische Komponente, am Ziel angekommen, weiter mobil zu sein. Der Rollstuhl des Klägers müsse mit. Er könne auf einem normalen Tandem nicht sitzen (zu wenig Seitenhalt). Er sei augenscheinlich damit überfordert, koordiniert zu treten und zu lenken sowie aufrecht zu sitzen. Der Rollstuhl sei nicht faltbar. Die Besichtigung eines Therapie-Tandems in G-Stadt sei sehr erfolgreich gewesen. Das Engagement des Klägers, an seinem Umfeld teilzunehmen, sei sichtbar gewesen. Das Therapie-Tandem sei unter den Aspekten Kommunikation mit der Begleitperson (Ermutigung), Beifahrer befinde sich im Blickfeld der Begleitperson (Aufsicht) und Fahrsicherheit, da der Schwerpunkt der Begleitperson höher liege, vorteilhaft. Weitere denkbare Ansätze seien die Anregung der Sinne, Muskeltraining, Unterstützung von krankengymnastischer Behandlung, Anregung und Stärkung der Herz-Kreislauffunktion, Koordination zwischen linker und rechter Körperhälfte, physisches und psychisches Durchhalten, Mobilität und Vergrößerung des Aktionsradius. Sie bat um Übernahme der Kosten für ein Therapie-Tandem. 

Dem Antrag war eine ärztliche Verordnung vom 06.09.2017 für das streitgegenständliche Therapie-Tandem beigefügt gewesen. Zudem war dem Antrag der Arztbericht des Universitätsklinikums Würzburg vom 11.08.2017 beigefügt gewesen. Ausweislich dieses Berichts lagen bei dem Kläger ein posthämorrhagischer Hydrocephalus, eine Versorgung mit einem VP-Shunt, ein Zustand nach Fensterung des 4. Ventrikels mit Shunt-Revision im September 2010, ein Zustand nach einer Shunt-Revision im Dezember 2016, eine globale Entwicklungsstörung sowie eine spastische Cerebralparese vor. Ausweislich dieses Berichts hätte der Kläger seit der Shunt-Revision beständig weitere Fortschritte gemacht. Er bewege den Rollstuhl, in dem er sitze, selbstständig fort. An der Hand könne er kurze Gehstrecken mit spastischer Cerebralparese bewältigen. Zudem war der Probefahrtbericht des Fahrradgeschäfts vom 14.09.2017 beigefügt gewesen. Danach sei das Therapie-Tandem mit den speziellen Anpassungen für die Bedürfnisse des Klägers bestens geeignet. Ihm sei es auf Grund seines Krankheitsbildes nicht möglich, auf einem normalen Fahrrad zu fahren. Ein Therapie-Dreirad komme nicht in Betracht, da er die Gefahren im Straßenverkehr nicht einschätzen könne. Das Tandem sei deutlich leichter als übliche Therapie-Tandems und einfacherer zu manövrieren. Der niedrigere Schwerpunkt des Beifahrers biete eine hohe Fahrstabilität, der kurze Radstand mache es wendig. Die Sitz- und Tretposition sei ergonomisch optimal. Der hintere Fahrer lenke und bremse, während der Kläger vorne entspannt sitzen und mittreten könne. Es werde zusätzlich ein Kindertretlager benötigt. Wichtig sei auch eine Bereifung mit einer guten Pannensicherheit. Es sei zudem eine Unterstützung mit einem Hilfsantrieb und eine Schaltung mit mehreren kleinen Gängen notwendig. Zusätzlich müsse der Rollstuhl auf dem Anhänger mitgeführt werden; auch deswegen sei ein Hilfsantrieb erforderlich. Ebenfalls werde eine Ausstattung nach der StVO benötigt. Das Fahren auf dem Therapietandem stelle für den Kläger die Möglichkeit dar, seinem starken Bewegungsdrang nach zu kommen. Neben dem Aufbautraining der Muskulatur, der Verbesserung des Gangbildes, der Motorik, des Gleichgewichtes, der Koordination und einer Stärkung des Allgemeinbefindens soll das Therapie-Tandem dem Kläger auch eine altersgemäße Mobilität ermöglichen. Der Einsatz des Therapie-Tandems sei Teil des ärztlich verantworteten komplexen therapeutisch krankheitsbezogenen Vorgehens, in dem das Hilfsmittel neben weiteren therapeutischen Maßnahmen eingesetzt werde und von den behandelnden Ärzten und Therapeuten als weiteres Therapieelement berücksichtigt werde. Der beigefügte Kostenvoranschlag belief sich auf einen Betrag i. H. v. 11.998,70 €. Bei dem Kläger ist ein Grad der Behinderung von 80 sowie die Merkzeichen B, aG und H festgestellt worden.

Die Beklagte beauftragte mit Schreiben vom 10.10.2017 den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Begutachtung und teilte dies den Eltern des Klägers mit, dass eine Entscheidung bis zum 14.11.2017 erfolgen werde. In seinem Gutachten vom 25.10.2017 kam dieser zu dem Ergebnis, dass die Notwendigkeit der Hilfsmittelversorgung nicht nachvollzogen werden könne. Bei dem Versicherten würde sich um ein Kind handeln, das rollstuhlpflichtig sei und mit Orthesen versorgt sei. Laut Unterlagen seien koordinierte Bewegungen der Extremitäten nicht möglich. Das Kind könne keine Gefahren einschätzen. Es bestehe in der Entwicklungsphase von Kindern allerdings ein erweitertes Bedürfnis nach Bewegung als Teil der kindlichen Grundbedürfnisse. Darüber hinaus bestehe ein Grundbedürfnis nach Teilnahme an der sonstigen üblichen Lebensgestaltung Gleichaltriger als Bestandteil des sozialen Lernprozesses. Dazu gehöre das Fahrradfahren als solches nicht. Fahrräder, auch wenn sie behindertengerecht ausgestattet werden, stellen zunächst frei käufliche, weit verbreitete und allseits gebräuchliche Gebrauchsgegenstände des alltäglichen Lebens dar, die von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausdrücklich ausgenommen seien. Die selbstständige und eigenverantwortliche Nutzung eines Zwei- oder Dreirades stelle ein wesentliches Element der therapeutischen Wirkung dar, die mit der Bereitstellung eines solchen Fahrzeuges als anerkanntes Hilfsmittel erfüllt sein müsse. Seitens der Rechtsprechung werde dabei insbesondere auf die Integration des Kindes in den Kreis Gleichaltriger abgestellt. Dies setze voraus, dass das Kind in der Lage sein müsse, das Fahrrad zu beherrschen, Gefahrensituationen zu erkennen und adäquat zu handeln; diese Fähigkeiten müssen ohne Anwesenheit oder Hilfe von Erwachsenen abgerufen werden können. Andernfalls sei das Grundbedürfnis der Teilnahme an der Lebensgestaltung Gleichaltriger als Bestandteil des sozialen Lernprozesses nicht realisierbar.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 08.11.2017 den Antrag mangels Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen nicht vor. Das Fahrrad könne nicht in dem Sinne genutzt werden, wie es erforderlich sei, um es als Hilfsmittel zur Verfügung zu stehen. Die aktive Nutzung könne nicht erfolgen, da dem Kläger die koordinierte Bewegung der Extremitäten nicht möglich sei. Ein therapeutischer Nutzen sei somit nicht gegeben. 

Die Eltern des Klägers legten mit E-Mail vom 05.12.2017 sowie mit Schreiben vom gleichen Tag Widerspruch dagegen ein. Der Kläger sei halbseitig gelähmt. Er trage Orthesen und bewege sich sowohl mit Rollstuhl als auch mit Rollator. Zudem verfüge er über ein Therapie-Rad. Alles darüber hinaus übersteige seine motorische Koordinationsfähigkeit. Sie würden ihre Kinder bestmöglich unterstützen wollen. Sie reichten weitere Arztberichte ein. Nach dem ärztlichen Befundbericht des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau bestand neben den bereits erwähnten Diagnosen noch eine mittelgradige Intelligenzminderung, ein Zustand nach intraventrikulärer Blutung beidseitig und hämorrhagischer Infarzierung des Parenchymns rechts, eine Mikrozephalie, einen Strabismus concomitans convergens rechts, eine Hypermetropie und Astigmatismus beidseitig. Motorisch zeige der Kläger weiterhin gute Fortschritte in der Mobilisation. Er könne sich inzwischen einige Schritte an der Hand gehend fortbewegen. In der Schule nutze er gerne den Posterior-Walker, zu Hause bewege sich er meist auf der linken Seite liegend mit rechtem Bein und rechtem Arm vorrobbend oder sich festhaltend an Möbeln entlang gehend vorwärts. Für längere Strecken nutze er einen Aktivrollstuhl, mit dem er gut mobil ist und den er selbstständig bedienen könne. Er trage beidseitig Unterschenkelorthesen. Er spiele gerne mit Eisenbahnen und habe einen Trettraktor, der zu einem Rutschtraktor umfunktioniert sei, da das Treten linksseitig nicht beherrscht werde. Die Eltern legten zudem einen logopädischen Befundbericht vor; auf dessen Inhalt wird Bezug genommen. Sie legten zudem einen physiotherapeutischen Befundbericht vor. Der Kläger erhalte seit seiner Geburt Physiotherapie auf neurophysiologischer Basis. In seiner Freizeit gehe er einmal wöchentlich zum therapeutischen Reiten und zum Behindertensport. Er ist mit einem Retrowalker mit Hüftgurt, Unterschenkel-Orthesen beidseitig, einem Aktiv-Rollstuhl sowie einer Brille versorgt. Nach dem Bericht könne sich der Kläger, soweit er sich an der Sprossenwand festhalte, sicher über den Einbeinkniestand rechts in den Stand kommen. Er kann selbstständig über Seitwärtsschritte nach links gehen. Er steht mit Gewichtsbelastung auf dem rechten Bein, das linke Bein kann er nicht voll belasten. Im gehaltenen Stand oder an seinem Retrowalker zeige er ein reziprokes Gangbild; auf die weiteren Ausführungen dazu wird Bezug genommen. Die Gelenkbeweglichkeit ist nur am Unterarm links, am Knie sowie am Fuß (jeweils links) eingeschränkt. Eine Versorgung mit einem leichtläufigen Therapierad sei unbedingt empfehlenswert, um A. eine gute Teilhabe am Alltag sowie eine verbesserte Mobilität mit Gleichaltrigen und der Familie zu gewährleisten. Auch in dem weiteren ärztlichen Befundbericht des Kinderarztes wird eine Versorgung mit einem Therapiefahrrad unterstützt; auch ein therapeutischer Nutzen sei gegeben. 

Im Widerspruchsverfahren blieb der MDK bei seiner bisherigen Beurteilung; auf den Inhalt des Gutachtens vom 05.01.2018 wird verwiesen. Die Beklagte kam in dem Widerspruchsbescheid vom 14.03.2018 zu dem Ergebnis, dass dem Widerspruch nicht stattgegeben werden könne. Ein Co-Pilot Tandem sei grundsätzlich kein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung, vielmehr handele es sich um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand. Es sei nicht zur Sicherung der ärztlichen Behandlung nicht notwendig. Zwar sei regelmäßiges Fahrradfahren geeignet, den Gesundheitszustand zu stärken. Gesundheitsfördernde körperliche Betätigungen würden aber in den Bereich der Eigenverantwortung des Versicherten fallen. Im Übrigen wiederholte sie den Inhalt der Gutachten des MDKs. 

Der Kläger hat mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 06.04.2018 Klage dagegen erhoben. Im Klageverfahren beschaffte sich der Kläger das streitgegenständliche Co-Pilot-Tandem zu einem Preis von 10.897,80 € selbst (Rechnung vom 28.09.2018). Die Beihilfestelle des Vaters des Klägers beteiligte sich mit einem Betrag i. H. v. 2.234,10 €. Grundlage für diese Entscheidung war ein Gutachten des Gesundheitsamtes der Stadt Frankfurt, wonach das Therapie-Tandem auf Grund der bei dem Kläger bestehenden Einschränkungen medizinisch notwendig sei. 

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Beklagte verkenne, dass das Therapie-Tandem nicht lediglich für Familienausflüge beschafft werden soll. Das Tandem biete dem Kläger neben der Möglichkeit der Teilhabe am Leben mit Gleichaltrigen und der Familie gute Möglichkeiten, die Therapieziele – Verbesserung des Muskeltonus und Förderung der motorischen Fähigkeiten – zu verwirklichen. Es sei gerade für junge Menschen mit Behinderungen wichtig, am Leben mit Gleichaltrigen und der Familie teilzuhaben. Durch die Möglichkeit einer teilselbstständigen Fortbewegung könne er seinen Erfahrungshorizont deutlich erweitern, wobei sich seine motorischen Fähigkeiten durch die vielfältigen sensorischen ebenfalls positiv entwickeln können. Das begehrte Therapie-Tandem würde aus medizinischer Sicht sowohl seine körperliche Entwicklung als auch seine seelische Gesundheit begünstigen. Außerdem würden die Therapiemöglichkeiten des Tandems sowohl die Integration des Klägers in den Kreis Gleichaltriger als auch die Verbesserung des Muskeltonus und die Koordination der unteren Extremitäten begünstigen; dies sei auch für die Entwicklung der Mobilität des Klägers von großer Bedeutung. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, warum der Kläger in der Lage sein müsste, das Fahrrad zu beherrschen sowie Gefahrensituationen zu erkennen. Der große Vorzug eines Tandems sei, dass der Begleiter das Fahrzeug lenke könne und auf Gefahrensituationen reagieren müsse. Der Kläger könne sich dagegen einzig auf die Bewegung seiner Beine konzentrieren und müsse in Verkehrssituationen nicht eingreifen. Der Begleiter könne den Kläger auch immer wieder zum Treten animieren, um so einen nachhaltigen Therapieerfolg zu fördern. Es sei im Übrigen anerkannt, dass die Versorgung eines Patienten mit einem Zwei- oder Dreirad durch die gesetzliche Krankenversicherung für Kinder mit neuromuskulären Erkrankungen angezeigt sein könne. Der Kläger reichte zudem als Anlagen Arztberichte ein, auf deren Inhalt – insbesondere zu den dortigen Ausführungen zur Motorik – verwiesen wird, und beantragte die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Es bestehe auch ein therapeutischer Nutzen, da der Kläger seine Extremitäten durchaus koordiniert nutzen könne. Richtig sei, dass diesbezüglich Förder- und Therapiebedarf bestehe. Auch aus diesem Grund sei das Therapietandem ärztlich verordnet worden. Er würde sich hinsichtlich seiner Mobilität gut entwickeln. Bei dem täglichen Schulbesuch würde er nicht mehr im Rollstuhl sitzen, sondern sich mit einem Posterior-Walker fortbewegen. Er fahre gerne in die Schule mit dem Therapie-Rad und könne das Rad überlegt und zielsicher steuern. Dabei bewege er das Rad mit eigener Muskelkraft. Das Therapie-Tandem diene neben dem Grundbedürfnis der elementaren Bewegungsfreiheit und den damit verbundene Möglichkeit der Wahrnehmung seiner Umwelt auch dem weiteren Grundbedürfnis, sich in das Lebensumwelt nichtbehinderter Gleichaltriger zu integrieren. Er ist der Ansicht, dass auch ein behindertengerechtes Fahrzeug als notwendiges Hilfsmittel anzusehen sei, wenn durch das Fahrzeug ein weiter gehendes Grundbedürfnis gedeckt werde. Das Therapie-Tandem sei zudem geeignet, die physiotherapeutischen Ziele zu fördern. Die Ausstattung des Klägers mit dem Therapie-Tandem habe dazu geführt, dass die Eltern den Bewegungsdrang beider Kinder gleichermaßen nachkommen können und die angestrebten Therapieziele bestmöglich fördern könnten. Der Kläger reichte zudem die Schulzeugnisse für das Schuljahr 2017/2018 und 2018/2019 zur Gerichtsakte; auf den Inhalt dieser Zeugnisse wird, insbesondere hinsichtlich den Ausführungen zur Mobilität, Bezug genommen. Er nimmt zudem Bezug auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (Urteil vom 23.07.2002, Az.: B 3 KR 3/02). Das selbstbeschaffte Therapie-Tandem würde er zudem bereits intensiv nutzen. Die positiven Auswirkungen des damit konsequent verfolgten Trainings der Beinmuskulatur seien deutlich spürbar. Diese positive Entwicklung finde auch in dem Zeugnis für das Schuljahr 2018/2019 wieder.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 08.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2018 die restlichen Kosten für das Therapie-Tandem Pino Steps in Höhe von 8.663,70 € zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Sie ist im Hinblick auf einen beabsichtigten Behinderungsausgleich der Ansicht, dass das Fahrradfahren an sich kein geschuldetes Grundbedürfnis ist. Der Kläger sei nicht in der Lage, selbstständig zu fahren, sodass es nicht um die Integration in den Kreis der Fahrrad fahrenden Jugendlichen gehe. Das Therapie-Tandem sei weder zur Krankenbehandlung noch zum Behindertenausgleich notwendig. Da das Therapie-Tandem nur in Anwesenheit einer erwachsenen Begleitperson genutzt werden könne, könne es weder zur Einbindung in die Gruppe gleichaltriger Kinder noch zu einer Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von Erwachsenen führen. Förderung von Selbstvertrauen, Selbstwertgefühlen und gemeinsame aktive Unternehmungen im Familienverband seien keine Aspekte, die die Kostenübernahme für ein Therapie-Tandem rechtfertigen würden. Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung sei es lediglich, eine an Gesundheit, Organfunktion und Behandlungserfolg orientierte medizinische Rehabilitation zu gewährleisten. Zum Behinderungsausgleich seien damit nur Hilfsmittle erforderlich, die für die Bewältigung von Strecken im Nahbereich der Wohnung notwendig sein. Mit solchen Hilfsmitteln sei der Kläger jedoch versorgt. Eine darüber hinausgehende soziale und berufliche Rehabilitation sei ggf. von anderen Sozialleistungsträgern zu erbringen.

Sie bestreitet, dass die Fortschritte des Klägers in den Kompetenzbereichen Bewegung und Mobilität durch die Nutzung des Co-Tandems erzielt worden seien. Vielmehr werde die positive Entwicklung durch Nutzung des Rollators, Lauftrainings, Schwimmen sowie der Nutzung von Spiel- und Bewegungslandschaften beschrieben. Zudem sei das zitierte Urteil nicht auf den Fall des Klägers zu übertragen, da ausweislich der vorgelegten Zeugnisse die elementare Bewegungsfreiheit gegeben sei. Der Kläger könne beispielsweise eigenständig zur benachbarten Schule laufen.

Das Gericht wies mit Schreiben vom 22.11.2019, abgesandt am 16.01.2020, darauf hin, dass eine Entscheidung des Rechtsstreits gemäß § 105 Abs. 1 SGG durch Gerichtsbescheid möglich ist und hört die Beteiligten dazu an. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Deren Inhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung. 

Entscheidungsgründe

A. Der Rechtsstreit konnte gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt für die maßgebende rechtliche Beurteilung ausreichend geklärt ist. 

B. Streitgegenständlich ist der seitens des Klägers geltend gemachte Anspruch auf Kostenerstattung für das selbstbeschaffte Therapie-Tandem i. H. v. 8.663,70 €.

C. Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht bei dem örtlich zuständigen Gericht gemäß §§ 57 Abs. 1, 78, 87 Abs. 2 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft.

D. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 08.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2018 zu Recht abgelehnt, sodass dieser nicht in seinen Rechten verletzt wird. Ihm steht insoweit kein Kostenerstattungsanspruch zu.

Auf Grund der zwischenzeitlich erfolgten Selbstbeschaffung des Therapie-Tandems verfolgt der Kläger seinen ursprünglichen Sachleistungsanspruch als einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) weiter. Danach hat die Krankenkasse die Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, sofern sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch der Versicherten Kosten für die selbstbeschaffte Leistung entstanden sind.

Vorliegen kommt ein Kostenerstattungsanspruch auf Grund einer Unaufschiebbarkeit der Leistung offensichtlich nicht in Betracht. Es kommt allerdings auch kein Anspruch auf Grund einer rechtswidrigen Leistungsablehnung in Betracht. Dem Kläger steht weder aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (dazu unter I.) noch aus dem Recht der Sozialhilfe (dazu unter II.) ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für das Therapie-Tandem zu; im letzteren Falle musste deswegen auch keine Beiladung des zuständigen Sozialhilfeträgers bzw. Eingliederungshilfeträgers erfolgen.

I. Der Kläger hat keinen Anspruch nach §§ 27, 33 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind.

1. Bei einem Therapie-Tandem handelt es sich nicht um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Allgemeine Gebrauchsgegenstände liegen im Hinblick auf die Aufgabe der Krankenversicherung, allein die medizinische Rehabilitation sicherzustellen, nur bei solchen Hilfsmitteln vor, die spezifisch der Bekämpfung einer Krankheit oder dem Ausgleich einer Behinderung dienen. Somit fallen solche Hilfsmittel nicht in die Leistungspflicht der Krankenversicherung, die auch regelmäßig von Gesunden benutzt wird. Zur Ermittlung des Vorliegens der Eigenschaft eines Hilfsmittels der Krankenversicherung ist deshalb allein auf die Zweckbestimmung des Gegenstands abzustellen, die einerseits aus der Sicht der Hersteller, andererseits aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist: Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz überwiegend auch von diesem Personenkreis benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen; das gilt selbst dann, wenn sie millionenfach verbreitet sind. Umgekehrt ist ein Gegenstand auch trotz geringer Verbreitung in der Bevölkerung und trotz hohen Verkaufspreises als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen, wenn er schon von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke und Behinderte gedacht ist (BSG, Urteil vom 16. September 1999, Az.: B 3 KR 1/99 R – juris – Rn. 14; BSG, Urteil vom 29. April 2010, Az.: B 3 KR 5/09 R – juris – Rn. 16). Nicht ausschlaggebend ist, ob der Gegenstand aus Vermarktungsgründen als "medizinisches Hilfsmittel" beworben wird (BSG, Urteil vom 29. April 2010, Az.: B 3 KR 5/09 R – juris – Rn. 16).

Ein Therapie-Tandem ist bauartbedingt zur gemeinsamen Fortbewegung einer gesunden mit einer behinderten Person bestimmt (BSG, Urteil vom 13. Mai 1998, Az.: B 8 KN 13/97 R – juris – Rn. 33). Es stellt deswegen keinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dar, weil es in seinen überwiegenden bzw. wesentlichen Bestandteilen Merkmale eines handelsüblichen Fahrrades aufweise, da auch spezielle Behindertenfahrräder allgemein überwiegend bzw. wesentlich aus Bestandteilen handelsüblicher Fahrräder bestehen (BSG, Urteil vom 13. Mai 1998, Az.: B 8 KN 13/97 R – juris – Rn. 33).

2. Soweit das Therapie-Tandem nicht im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt ist, können daraus aber keine weitergehenden Schlüsse gezogen werden. Das Hilfsmittelverzeichnis beschränkt den Anspruch des Versicherten nicht auf die dort aufgeführten Hilfsmittel. Bei einer behandlungsfähigen sowie behandlungsbedürftigen Krankheit räumt § 27 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1, § 12 Abs. 1 SGB V dem Versicherten ein Recht auf diejenige Krankenbehandlung ein, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht sowie notwendig, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Werden diese Voraussetzungen durch ein bestimmtes Hilfsmittel erfüllt, darf dessen fehlende Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis - oder auch dessen ausdrückliche Ablehnung der Aufnahme in dieses Verzeichnis - nicht dazu führen, dass bis zur Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis - oder bis zu dessen Korrektur - ein an sich erforderliches Hilfsmittel nicht gewährt werden darf und somit der Versicherte unversorgt oder nicht ausreichend versorgt bleibt. Eine derart normative Wirkung kommt dem Hilfsmittelverzeichnis als einer bloßen Verwaltungsvorschrift zu einer gesetzlichen Anspruchsnorm nicht zu (BSG, Urteil vom 29. September 1997, Az.: 8 RKn 27/96 – juris – Rn. 39; vgl auch BSG, Urteil vom 25. Januar 1995, Az.: 3/1 RK 63/93 – juris – Rn. 15; BSG, Urteil vom 23. August 1995, Az.: 3 RK 7/95 – juris – Rn. 16).

3. Bei einem Therapie-Tandem handelt es sich unstreitig um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V. Hilfsmittel sind solche Gegenstände, die von den Leistungsempfängern getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich sind, um den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern (BSG, Urteil vom 03. August 2006, Az.: B 3 KR 25/05 R – juris – Rn. 12); mithin handelt es sich um bewegliche Gegenstände (BSG, Urteil vom 29. April 2010, Az.: B 3 KR 5/09 R – juris – Rn. 18). Bei dem Therapie-Tandem handelt es sich unstreitig um einen beweglichen Gegenstand, welche von dem Leistungsempfänger getragen oder mit sich geführt werden kann. Somit stellt das Therapie-Tandem ein Hilfsmittel dar.

4. Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Kostenübernahme aus dem Gesichtspunkt der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung. Zwar kann das Gericht mangels Sachaufklärung nicht bestimmen, ob das Therapie-Tandem im vorliegenden Fall der Sicherung der Krankenbehandlung dient und erforderlich ist (dazu unter a) und c)), auch wenn es dazu geeignet ist (dazu unter b)); es ist jedoch in jedem Fall nicht angemessen (dazu unter d)). Die Notwendigkeit der Prüfung dieser Voraussetzungen auch bei einem Anspruch auf die Gewährung eines Hilfsmittels zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung ergibt sich dabei schon aus dem Gesetzeswortlaut, da das Hilfsmittel insofern im Einzelfall erforderlich sein muss und dies nicht auf den Anspruch auf Ausgleich oder Milderung einer Behinderung beschränkt.

a) Ein Hilfsmittel wird zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung eingesetzt, sofern sie auf Grund ihrer Hilfsmitteleigenschaft spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt werden, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Es reicht aus, wenn mit dem Hilfsmittel ein therapeutischer Erfolg angestrebt wird (BSG, Urteil vom 15. März 2012, Az.: B 3 KR 2/11 R – juris – Rn. 17); er muss nicht bereits vorliegen und nur noch zu sichern sein. Eine noch weitergehende Ausdehnung der unter diese Alternative fallenden Hilfsmittel auch auf solche, die eine ärztliche Behandlung erst ermöglichen, ist aber nicht geboten (BSG, Urteil vom 16. September 2004, Az.: B 3 KR 19/03 R – juris – Rn. 18; BSG, Urteil vom 19. April 2007, Az.: B 3 KR 9/06 R – juris – Rn. 11). Ein spezifischer Bezug zur Krankenbehandlung besteht nur bei solchen Maßnahmen zur körperlichen Mobilisation, die in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche und ärztlich angeleitete Leistungserbringer stehen und für die gezielte Versorgung im Sinne der Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V als erforderlich anzusehen sind; es darf sich nicht um allgemein gesundheitsfördernde Maßnahmen handeln (BSG, Urteil vom 07. Oktober 2010, Az.: B 3 KR 5/10 R – juris – Rn. 21). 

Weiterer Ermittlungen seitens des Gerichts sind dazu nicht erforderlich. Zwar hat das Gericht dazu weder ärztliche Befundberichte noch Befundberichte des Physiotherapeuten noch Ergotherapeuten eingeholt. Da der Anspruch des Klägers jedoch an der Angemessenheit scheitert, unterstellt das Gericht, dass das Therapie-Tandem zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung dient. Das Gericht muss insoweit auch nicht entscheiden, ob einerseits ein ärztlicher Therapieplan besteht und andererseits zwischen der Anschaffung des Therapie-Tandems und diesem ärztlichen Therapieplan ein ausreichend enger Zusammenhang besteht. Möglicherweise reicht es jedoch aus, dass das Hilfsmittel dazu dient, die Möglichkeit teilselbstständiger Fortbewegung zu unterstützen (so die ärztliche Stellungnahme des behandelnden Kinder- und Jugendarztes vom 05.09.2017).

b) Das Therapie-Tandem ist auch zur Hilfsmittelversorgung des Klägers auch geeignet. Ein Hilfsmittel ist nur dann geeignet, wenn es sich darüber hinaus nicht seinerseits gesundheitsschädlich auswirkt sowie vom Versicherten benutzbar ist (vgl. zu den Voraussetzungen beim Behinderungsausgleich: BSG, Urteil vom 29. September 1997, Az.: 8 RKn 27/96 – juris – Rn. 17; nach Auffassung des Gerichts müssen insoweit die gleichen Voraussetzungen gelten).

Insofern ist das Therapie-Tandem für den Kläger offensichtlich nicht als gesundheitsschädlich zu bewerten. Anhaltspunkte ergeben sich aus den seitens des Gerichts festgestellten Tatsachen nicht. Das Therapie-Tandem ist auch von dem Versicherten nutzbar. Soweit die Beklagte darauf abstellt, dass der Kläger seine Extremitäten nicht nutzen könne, ist darauf hinzuweisen, dass er ausweislich der vorgelegten Zeugnisse mit dem Rollator – ggf. mit Fixierung der Hüfte – von dem Schulhof in die Klasse geht. Auch aus den weiteren Ausführungen in den Zeugnissen ist belegt, dass er mit Unterstützung gehen und die Treppe laufen kann. Insoweit kann das Gericht die Auffassung der Beklagten nicht nachvollziehen; diese beruht jedenfalls ersichtlich nicht auf den tatsächlichen Verhältnissen. Soweit die Beklagte zusätzlich darauf abstellt, dass der Kläger bei der Nutzung des Therapie-Tandems Gefahren nicht einschätzen könne, muss er das auch nicht. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers weist insofern richtig darauf hin, dass bei der Benutzung des Therapie-Tandems vielmehr der Begleiter des Klägers auf die Verkehrssituation achten muss, sodass der Kläger gerade nicht auf eine eigene Einschätzung von Gefahren angewiesen ist.

c) Auch die Erforderlichkeit der Hilfsmittelversorgung des Klägers braucht das Gericht nicht abschließend zu beurteilen. Für die objektive Erforderlichkeit eines Hilfsmittels zur Erreichung der in § 33 Abs. 1 S 1 SGB V genannten Versorgungsziele ist der aktuelle, allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse maßgebend. Die Maßgeblichkeit dieses "Wissenschaftsgebots" für die Erforderlichkeit i. S. des § 33 Abs. 1 S 1 SGB V folgt zum einen aus der für das gesamte krankenversicherungsrechtliche Leistungsrecht geltenden Vorschrift des § 2 Abs. 1 S 3 SGB V, wonach Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen haben, und ergibt sich zum anderen aus dem systematischen Zusammenhang zwischen § 33 und § 139 SGB V (BSG, Urteil vom 15. März 2012, Az.: B 3 KR 2/11 R – juris – Rn. 21).

Dabei ist der medizinische Nutzen in Bezug auf das jeweilige Versorgungsziel des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V auszulegen. Der medizinische Nutzen bei Hilfsmitteln zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung ist dabei unter Berücksichtigung des jeweiligen Behandlungskonzeptes unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse zu beurteilen (BSG, Urteil vom 15. März 2012, Az.: B 3 KR 2/11 R – juris – Rn. 21). Ein Hilfsmittel ist i. S. des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V objektiv erforderlich, wenn die Mehrheit der einschlägigen Fachleute die objektive Eignung des Hilfsmittels zur Erreichung des jeweiligen Versorgungszieles befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, insoweit Konsens besteht. Bezogen auf die objektive Erforderlichkeit eines Hilfsmittels zur Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung bedeutet dies, dass sich die Mehrheit der einschlägigen wissenschaftlichen und in einer ausreichenden Zahl von Fällen durchgeführten Studien und Analysen für den medizinischen Nutzen und die Funktionstauglichkeit des betreffenden Hilfsmittels im Rahmen der ärztlichen Behandlung ausgesprochen haben muss (BSG, Urteil vom 15. März 2012, Az.: B 3 KR 2/11 R – juris – Rn. 21).

Im Hinblick einer Hilfe zur körperlichen Betätigung hat das Bundessozialgericht ausgeführt, dass ein Anspruch gegeben ist, wenn Versicherte aufgrund der Schwere der Erkrankung dauerhaft Anspruch auf Maßnahmen der Physikalischen Therapie hat, die durch das beanspruchte Hilfsmittel unterstützte eigene körperliche Betätigung diese Therapie entweder wesentlich fördert oder die Behandlungsfrequenz infolge der eigenen Betätigung geringer ausfallen kann und sich deshalb die Versorgung mit dem Hilfsmittel im Rahmen der Wahlmöglichkeit des Versicherten als wirtschaftlich darstellt (BSG, Urteil vom 07. Oktober 2010, Az.: B 3 KR 5/10 R – juris – Rn. 21). Dabei ist der Anspruch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Bedienung unmittelbar durch den Versicherten und nicht durch den Arzt erfolgt (BSG, Urteil vom 07. Oktober 2010, Az.: B 3 KR 5/10 R – juris   Rn. 21).

Vor dem Hintergrund des allgemein anerkannten Stands der medizinischen Erkenntnisse kann das Gericht nicht beurteilen, ob ein Therapie-Tandem zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung objektiv erforderlich ist. Das Gericht kann insbesondere nicht beurteilen, ob nach wissenschaftlicher Erkenntnis das Therapie-Tandem die Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung wesentlich fördert. Allerdings sprechen die seitens des Gerichts ermittelten Tatsachen im vorliegenden Einzelfall nicht dafür. Vor der Anschaffung des Therapie-Tandems hatte der Kläger schon erhebliche Fortschritte gemacht (s. insoweit die Ausführungen in dem Zeugnis der F-Schule für das Schuljahr 2017/2018, Kompetenzbereich Bewegung und Mobilität), sodass die weiteren Fortschritte möglicherweise nicht wesentlich auf der Benutzung des angeschafften Therapie-Tandems beruhen. Dies wird insoweit bestätigt, dass die gesteigerte Mobilität im Schulzeugnis für das Schuljahr 2018/2019 jedenfalls von Seiten der Schule gerade nicht auf die Benutzung des Therapie-Tandems, sondern auf die vielseitige Schulung im Bereich „Laufen, Steigen, Springen, Kriechen und Werfen“ sowie die Nutzung jeder Gelegenheit durch den Kläger, sein Gangbild sicherer zu machen und zu verbessern, zurückgeführt wird.

Ob die Behandlungsfrequenz der physikalischen Therapie durch die Anschaffung des Hilfsmittels aus objektiver Sicht bei einer Anschaffung des Therapie-Tandems geringer geworden ist, kann das Gericht ebenfalls nicht beurteilen. Da es aber an der Angemessenheit der Hilfsmittelversorgung fehlt, müssen auch dazu keine weiteren Ermittlungen angestellt werden.

d) Die Versorgung des Klägers mit einem Therapie-Tandem ist jedoch nicht angemessen. Der Anspruch eines Versicherten auf Ausstattung mit einem Hilfsmittel ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot dann ausgeschlossen, wenn der mit dem Hilfsmittel verfolgte (therapeutische) Zweck auch auf andere Weise (bspw. Behindertensport oder gemeinsame Sportausübung, vgl. BSG, Urteil vom 26. März 2003, Az.: B 3 KR 26/02 R – juris – Rn. 18) bzw. mit geringerem finanziellen Aufwand ebenso wirksam erreicht werden kann (BSG, Urteil vom 24. Januar 1990, Az.: 3/8 RK 16/87 – juris– Rn. 18) bzw. wenn ein anderes Hilfsmittel zur Verfügung steht, mit dem die Behinderung in annähernd gleichem Umfang ausgeglichen wird (BSG, Urteil vom 21. November 1991, Az.: 3 RK 43/89 – juris – Rn. 13). Dabei ist auch zu prüfen, ob innerhalb der Gattung des Hilfsmittels eine kostengünstigere Alternative besteht, soweit dieser funktionell geeignet ist (BSG, Urteil vom 29. September 1997, Az.: 8 RKn 27/96 – juris – Rn. 25; BSG, Urteil vom 16. April 1998, Az.: B 3 KR 6/97 R – juris – Rn. 17).

Insofern entspricht die Hilfsmittelversorgung bei Anwendung dieser Grundsätze nicht dem Wirtschaftlichkeitsprinzip im vorliegenden Fall. Die Übernahme des Therapie-Tandems ist insoweit nicht erforderlich, um den Erfolg der Krankenbehandlung, insbesondere von Krankengymnastik und Ergotherapie, zu sichern. Es handelt sich allenfalls um therapeutische Nebeneffekte, die kostengünstiger und gezielter mit Krankengymnastik zu erreichen sind (BSG, Urteil vom 16. September 1999, Az.: B 3 KR 9/98 R – juris – Rn. 14). Eine fachgerechte Krankengymnastik kann regelmäßiger gezielter und vielseitiger die angestrebte Verbesserung der körperlichen und seelischen Verfassung eines Behinderten erreichen (vgl. BSG, Beschluss vom 27. Juli 2006, Az.: B 3 KR 11/06 B – juris – Rn. 4). Insofern ist die Hilfsmittelversorgung unwirtschaftlich und damit nicht angemessen.

5. Der Kläger hat aber auch keinen Anspruch auf Kostenerstattung zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung. Ein solcher Leistungsanspruch besteht nicht allgemein, vielmehr muss der Eintritt der Behinderung konkret und unmittelbar drohen (BSG, Urteil vom 24. September 2002, Az.: B 3 KR 15/02 R – juris – Rn. 19). Somit droht eine Behinderung erst dann, wenn sie nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zukunft und in Form eines ansonsten nicht mehr behebbaren Dauerzustandes eintreten wird (BSG, Urteil vom 07. Oktober 2010, Az.: B 3 KR 5/10 R – juris – Rn. 17). Bei dem Kläger geht es aber gerade nicht um die Verhinderung des Eintritts einer drohenden Behinderung, sondern um den Ausgleich einer schon bestehenden Behinderung.

6. Der Kläger hat aber auch keinen Anspruch auf Kostenerstattung zum Ausgleich einer bereits bestehenden Behinderung. Diesbezüglich ist der Anspruch auf unmittelbaren und mittelbaren Behinderungsausgleich zu unterscheiden (dazu unter a)). Im Rahmen des Ausgleichs einer Bewegungseinschränkung ist hinsichtlich der Ausgleich der allgemeinen Grundbedürfnisse dabei zwischen allgemeinen Anforderungen sowie speziellen Anforderungen für Kinder und Jugendliche zu unterscheiden (dazu unter b) und c)).

a) Ein unmittelbar auf den Ausgleich der beeinträchtigten Organfunktion selbst gerichteten Hilfsmittel ist ohne weiteres anzunehmen, sofern das Hilfsmittel die Ausübung einer beeinträchtigten Körperfunktion unmittelbar ermöglichen, ersetzen oder erleichtern soll. Diesbezüglich ist grundsätzlich ein Hilfsmittel zu gewähren, das die ausgefallene bzw. gestörte Funktion möglichst weitgehend kompensiert, also den umfassendsten Gebrauchsvorteil bietet. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen müssen insoweit dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen (§ 2 Abs.  1 Satz 3 SGB V) (BSG, Urteil vom 23. Juli 2002, Az.: B 3 KR 66/01 R – juris – Rn. 20).

Hingegen werden nur mittelbar oder nur teilweise die Organfunktionen ersetzende Mittel nur dann als Hilfsmittel i. S. der gesetzlichen Krankenversicherung angesehen, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf/Gesellschaft/Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben ("allgemein") beseitigen oder mildern und damit ein "Grundbedürfnis des täglichen Lebens" betreffen (BSG, Urteil vom 06. August 1998, Az.: B 3 KR 3/97 R – juris – Rn. 14; (BSG, Urteil vom 03. November 1999, Az.: B 3 KR 16/99 R – juris – Rn. 18).

Vorliegend geht es bei dem streitgegenständlichen Hilfsmittel „Therapie-Tandem“ nicht um die unmittelbare Ermöglichung, Ersetzung oder Erleichterung einer ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion. Vielmehr soll die Beeinträchtigung dadurch mittelbar ausgeglichen werden. 

b) Die aktive Bewegung außer Haus ist dabei als grundlegendes allgemeines Bedürfnis der Lebensbetätigung einzustufen (BSG, Urteil vom 13. Mai 1998, Az.: B 8 KN 13/97 R –juris – Rn. 28). Das Hilfsmittel muss dem Behinderten derart zur Verfügung stehen, dass er sie einsetzen kann, wann immer er sich dazu in der Lage fühlt (BSG, Urteil vom 13. Mai 1998, Az.: B 8 KN 13/97 R –juris – Rn. 30). Die Erschließung "eines gewissen körperlichen Freiraums" hat die bisherige Rechtsprechung jedoch nur i. S. eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht i. S. des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten des Gesunden verstanden (BSG, Urteil vom 06. August 1998, Az.: B 3 KR 3/97 R – juris – Rn. 17; BSG, Urteil vom 16. September 1999, Az.: B 3 KR 8/98 R – juris – Rn. 16; BSG, Urteil vom 21. November 2002, Az.: B 3 KR 8/02 R – juris – Rn. 15). Soweit überhaupt die Frage eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus aufgeworfen worden ist, sind bisher immer zusätzliche qualitative Momente verlangt worden (BSG, Urteil vom 21. November 2002, Az.: B 3 KR 8/02 R – juris – Rn. 15). Die Krankenkasse muss einen Behinderten durch die Bereitstellung von Hilfsmitteln nicht in die Lage versetzen, Wegstrecken jeder Art und Länge zurückzulegen, die ein Nichtbehinderter bei normalem Gehen zu Fuß bewältigen kann. Auch hier ist zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Krankenversicherung bei dem Verlust der Gehfähigkeit nur für einen Basisausgleich zu sorgen hat (BSG, Urteil vom 16. September 1999, Az.: B 3 KR 8/98 R – juris – Rn. 20).

Die grundlegenden Organfunktionen der Beine sind das Gehen und Stehen; diese sind im Rahmen des technisch Machbaren und wirtschaftlich Vertretbaren, ua durch Hilfsmittel, ganz oder teilweise herzustellen oder zu ersetzen - nicht hingegen die Fähigkeit, mittels der Beine ein schnelleres und bequemeres Fortbewegungsmittel zu betreiben (BSG, Urteil vom 06. August 1998, Az.: B 3 KR 3/97 R – juris – Rn. 18). Es besteht insoweit kein Anspruch auf die Gewährung eines Hilfsmittels, sofern mit dem Hilfsmittel selbstständig größere Strecken als allein mittels des Rollstuhls zurückgelegt werden und damit den eigenen Aktionsradius erweitert werden soll, sofern eine ausreichende Bewegungsfreiheit im Nahbereich besteht (BSG, Urteil vom 16. September 2004, Az.: B 3 KR 15/04 R – juris – Rn. 14); auf Besonderheiten des Wohnortes und -gebietes kommt es dabei nicht an (BSG, Urteil vom 21. November 2002, Az.: B 3 KR 8/02 R – juris   Rn. 16; BSG, Beschluss vom 11. Januar 2006, Az.: B 3 KR 44/05 B   juris   Rn. 7).

Bei der Bestimmung der „Bewegungsfreiheit“ ist dabei auf diejenigen Entfernungen abzustellen, die ein Gesunder regelmäßig zu Fuß zurücklegt (BSG, Urteil vom 06. August 1998, Az.: B 3 KR 3/97 R – juris – Rn. 17). Dabei ist auf die Fähigkeit abzustellen, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (BSG, Urteil vom 16. September 1999, Az.: B 3 KR 8/98 R – juris – Rn. 20; BSG, Urteil vom 16. September 2004, Az.: B 3 KR 15/04 R – juris – Rn. 15). Bei der Bestimmung des Nahbereichs einer Wohnung kommt es dabei auf einen abstrakten Maßstab und nicht auf die konkreten Verhältnisse des Wohnortes und -gebietes an (so BSG, Urteil vom 21. November 2002, Az.: B 3 KR 8/02 R – juris – Rn. 16; BSG, Beschluss vom 11. Januar 2006, Az.: B 3 KR 44/05 B – juris – Rn. 7), sodass es unerheblich ist, welche Entfernungen zwischen der Wohnung der Versicherten und den Praxen der Ärzte und Therapeuten sowie der Tagespflegeeinrichtung konkret zurückzulegen sind (BSG, Urteil vom 25. Februar 2015, Az.: B 3 KR 13/13 R   juris   Rn. 35). Ist der Versicherte gesundheitlich in der Lage, eine Wegstrecke von 500 m bis 1000 m am Stück zurückzulegen und nach jeweils einer kurzen Pause wiederum entsprechende Strecken zu bewältigen und ist ihm diese Fortbewegung schmerzfrei und ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen möglich, kann von einer zumutbaren Erschließung des Nahbereichs ausgegangen werden (BSG, Urteil vom 18. Mai 2011, Az.: B 3 KR 12/10 R – juris – Rn. 26).

Vorliegend ist das streitgegenständliche Hilfsmittel zunächst nicht dazu gedacht, den Nahbereich der Wohnung zu erschließen. Vielmehr geht es dem Kläger ausweislich seines Antrags darum, Familienausflüge zu ermöglichen sowie der Integration in den Kreis gleichaltriger Freunde beim Fahrradfahren. Dem Kläger ist es ausweislich des Zeugnisses für das Schuljahr 2018/2019 möglich, von seiner Schule zur F-Schule zu laufen. Die Beklagte hat unbestritten darauf hingewiesen, dass es sich dabei um eine Wegstrecke von 300 Metern handelt. Damit kann sich der Kläger durch die bereits vorhandenen Hilfsmittel (Rollstuhl und Rollator) den Nahbereich erschließen, sodass er dafür nicht auf die Versorgung mit dem streitgegenständlichen Hilfsmittel angewiesen ist.

Zum Grundbedürfnis gehbehinderter Menschen auf Erschließung bzw. Sicherung "eines gewissen körperlichen Freiraums" zählt nicht das Zurücklegen längerer Wegstrecken vergleichbar einem Radfahrer, Jogger oder Wanderer (BSG, Urteil vom 16. September 1999, Az.: B 3 KR 8/98 R – juris – Rn. 17). Das Radfahren gehört zwar in breiten Bevölkerungsschichten zum normalen Lebensstandard; existenznotwendig war und ist der Besitz eines Fahrrads hingegen nicht (BSG, Urteil vom 16. September 1999, Az.: B 3 KR 8/98 R – juris – Rn. 18). Insofern handelt es sich um die Ermöglichung von Familienausflügen ebenfalls nicht um ein Grundbedürfnis, welches von der gesetzlichen Krankenversicherung auszugleichen wäre (so auch die höchstrichterliche Rechtsprechung seit dem Urteil des BSG vom 12. August 2009, Az.: B 3 KR 11/08 R – juris – Rn. 24). 

c) Ein weitergehender Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmittel besteht im Einzelfall ausnahmsweise dann, wenn besondere qualitative Momente dieses "Mehr" an Mobilität erfordern, wenn beispielsweise der Nahbereich ohne das begehrte Hilfsmittel nicht in zumutbarer Weise erschlossen werden kann oder wenn eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität zur Wahrnehmung eines anderen Grundbedürfnisses notwendig ist (BSG, Urteil vom 18. Mai 2011, Az.: B 3 KR 12/10 R – juris – Rn. 22).

Bei Kindern und Jugendlichen ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung anerkannt, dass ein Anspruch auf Hilfsmittelversorgung besteht, sofern der Versicherte auf Grund seiner Behinderung nicht oder allenfalls nur sehr einschränkt am üblichen Leben seiner Altersgruppe teilnehmen kann, sodass ihm dadurch die Isolation droht. Die Vermeidung einer Isolation durch Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und Kommunikation hat die Rechtsprechung bei älteren und behinderten Menschen stets als ein elementares Bedürfnis angesehen, das die Eintrittspflicht der gesetzlichen KV rechtfertigt. Die entwicklungsbedingt notwendige Integration des Klägers im Kreise Gleichaltriger kann insoweit ein Grundbedürfnis darstellen (BSG, Urteil vom 16. April 1998, Az.: B 3 KR 9/97 R   juris – Rn. 19). Die Rechtsprechung hat aber entschieden, dass ein Therapie-Tandem zur Teilnahme an Aktivitäten anderer Jugendlicher und damit zur Integration in Gruppen Gleichaltriger als einem anzuerkennenden Grundbedürfnis Jugendlicher nicht geeignet ist. Denn die Anwesenheit einer Begleitperson, d. h. eines Erwachsenen, wird von Jugendlichen bei ihren Aktivitäten, mit denen sie gerade Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von Erwachsenen beweisen wollen, üblicherweise nicht akzeptiert (BSG, Urteil vom 21. November 2002, Az.: B 3 KR 8/02 R – juris – Rn. 19). Diese Rechtsprechung schließt sich das erkennende Gericht nach eigener Prüfung an.

Weitere qualitative Aspekte, die einen Anspruch auf Gewährung des streitgegenständlichen Therapie-Tandems begründen könnten, sind im Falle des Klägers nicht ersichtlich. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kommen insoweit das Fehlen jeglicher Möglichkeit zur eigenständigen, von der Hilfe Dritter unabhängigen Fortbewegung oder jedenfalls während akuter Schwächezustände in Betracht (BSG, Urteil vom 16. September 1999, Az.: B 3 KR 9/98 R – juris – Rn. 21). Insofern dient das streitgegenständliche Hilfsmittel nicht dazu ein allgemeines Grundbedürfnis zu stillen, sodass auch kein Anspruch nach § 33 SGB V wegen eines mittelbaren Behinderungsausgleiches besteht.

7. Insofern ergibt sich kein Anspruch des Klägers nach dem Krankenversicherungsrecht gegen die Beklagte.

II. Der Kläger hat auch keinen Anspruch nach §§ 53, 54 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch in der Fassung vom 23.12.2016, gültig für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 31.12.2018 (SGB XII, im Weiteren a. F.) i. V. m. §§ 26 ff., 55 ff. Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX, im Weiteren a. F.) in der Fassung vom 19.06.2001, gültig ab dem 01.07.2001 bis zum 31.12.2017. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII a. F. sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 55 SGB IX a. F. zu gewähren. 

Soweit der Kläger einen Anspruch aus der Eingliederungshilfe auf eine medizinische Rehabilitation geltend macht, scheitert dieser Anspruch auf Grund der obigen Ausführungen, da der Anspruch auf eine medizinische Rehabilitation nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) keinen anderen Inhalt haben kann als der Anspruch nach Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).

Soweit der Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft geht (§§ 53, 54 SGB XII a. F. i. V. m. § 55 SGB IX a. F.), sind diese Leistungen abhängig von der jeweiligen Bedürftigkeit des Antragsberechtigten sowie der in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen. Damit sind diese Leistungen insbesondere von dem Einkommen und Vermögen der Eltern abhängig, ein Ausnahmetatbestand nach § 92 SGB XII a. F. – der zudem sowieso nur für Leistungen in stationäre und teilstationäre Einrichtungen galt – greift insofern nicht ein. Insofern ist die Bedürftigkeit anhand der Vorschriften der §§ 82 – 89 SGB XII zu bestimmen. Anhaltspunkte dafür, dass die dort genannten Einkommensgrenzen durch das Einkommen des Klägers und seiner Eltern unterschritten wird, sind nicht ersichtlich. Vielmehr bezeichnen sich die Eltern in dem hier streitgegenständlichen Antrag als „normale Verdiener-Familie“. Darüber hinaus ist jedenfalls der Vater des Klägers als Beamter im öffentlichen Dienst beschäftigt und bezieht insofern ein auskömmliches Gehalt. Weiteres Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Klägers zu dieser Frage ist zudem auch nicht erfolgt, obwohl nach dem Hinweis der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 27.06.2018 dazu Veranlassung bestanden hätte. Vor diesem Hintergrund kann das Gericht eine Bedürftigkeit des Klägers nicht erkennen. Insofern war auch die Beiladung des zuständigen Sozialhilfeträgers nicht erforderlich.

E. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem Ausgang der jeweiligen Verfahren Rechnung. Der Kläger macht einen Kostenerstattungsanspruch i. H. v. 8.663,70 € geltend, sodass der erforderliche Wert des Beschwerdegegenstands von 750,-€ deutlich überschritten wird, sodass die Berufung zulässig ist.

Rechtskraft
Aus
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