S 18 KR 1905/18

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 1905/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 405/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Klage wird abgewiesen. 

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung sowie die Kostenübernahme für das Medikament Xeljanz.

Der Kläger leidet seit dem Jahr 2014 an Alopecia areata totalis. Der Kläger beantragte am 20. Juli 2018 über die Universitätsmedizin der Universität Mainz die Kostenübernahme für eine Behandlung mit Xeljanz. Dieses Medikament ist für die Behandlung von rheumatoider Arthritis und Psoriasis-Arthritis zugelassen.

Dem Antrag war ein Gutachten von Professor Dr. D. zur gesundheitlichen Situation des Klägers beigefügt. Dieser bescheinigte dem Kläger, dass die bisherigen Behandlungsversuche mit Lokaltherapeutika erfolglos gewesen seien und verwies auf mehrere positive Heilungsberichte von Patienten nach der Behandlung mit Xeljanz. Er bat die Beklagte um Kostenübernahme für zunächst 6 Monate. 

Die Beklagte wandte sich an den medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), der in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 3. August 2018 zu dem Ergebnis kam, dass eine Kostenübernahme nicht möglich sei. Die Erkrankung des Klägers sei psychisch belastend, nicht akut lebensbedrohlich, nicht singulär. Die Behandlungsempfehlung stütze sich auf eine retrospektive Studie ohne Kontrollgruppe. Eine Zulassungserweiterung könne nicht erwartet werden. Durch die Neuregelungen des § 34 Abs. 1 SGB V mit dem Ausschluss von Arzneimitteln, die überwiegend der Verbesserung des Haarwuchses dienten, sei eine Kostenübernahme nicht möglich.

Mit Bescheid vom 9. August 2018 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für das Medikament „Xeljanz“ unter Bezugnahme auf die Begründung des MDK ab. 

Hiergegen erhob der Kläger am 16. August 2018 Widerspruch. Seine Erkrankung sei zwar an sich nicht tödlich. Jedoch beeinflusse die Krankheit sein Sozialleben, Berufsleben sowie Studienleben derart negativ, dass sie indirekt zum Tod führen könne. Da die Krankheit sein äußeres Erscheinungsbild immens verändert habe, habe er sich oftmals benachteiligt gefühlt. Die anerkannten Therapien hätten bei ihm nicht geholfen. Auch die von ihm als Selbstzahler in der Türkei durchgeführte Ozontherapie sei nicht erfolgreich gewesen, ebenso alle Naturheilverfahren. Die ebenfalls in der Frankfurter Universitätsklinik durchgeführte Steroidpulstherapie sei ebenfalls erfolglos gewesen wie auch die DCC-Therapie. Erst die Behandlung mit dem Medikament Xeljanz habe einen gewaltigen Fortschritt gebracht. 

Die Beklagte schaltete erneut den MDK ein, der in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 23. August 2018 bei seinem Ergebnis blieb. Ein Therapieerfolg im Einzelnen sei kein maßgebliches Kriterium für die Kostenübernahme im Off-label-Use. 

Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 20. September 2018 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass seine Krankheit aufgrund des hohen gesellschaftlichen und sozialen Leidensdrucks zu einer nicht zu unterschätzenden psychischen Belastung bis hin zur Selbstmordgefahr führe, so dass die Erkrankung einer lebensbedrohlichen jedenfalls gleichstehe. 

Er habe die Kostenübernahme noch vor Beginn der Therapie beantragt. Hinsichtlich der bereits entstandenen Kosten verweist der Kläger auf die vorgelegten Rechnungsbelege. Weiterhin beruft sich der Kläger auf das Gutachten von Prof. Dr. E./Prof. D. sowie auf eine ärztliche Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie F.

Der Kläger beantragt: 
1.    Die Beklagte wird verurteilt, unter Aufhebung des Bescheids vom 9. August 2018 unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 10. Dezember 2018 die Kosten für das Medikament „Xeljanz“ zu übernehmen. 
2.    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die bereits entstandenen Kosten i.H.v. 8.498,90 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, dass der Kläger an einer psychisch stark belastenden Erkrankung leide. Die ursächliche Erkrankung dürfte jedoch unstreitig nicht lebensbedrohlich sein. Zudem schließe die Regelung des § 34 Abs. 1 SGB V die Kostenübernahme von Arzneimitteln aus, die allein zur Verbesserung des Haarwuchses dienten. Fraglich sei zudem, zu welchem Zeitpunkt die Therapie begonnen worden sei. Die Beklagte gehe davon aus, dass der Kläger die Entscheidung der Beklagten nicht abgewartet habe. Zudem sei die Studienlage unzureichend, um die Kriterien der Kostenübernahme im Rahmen des Off-Label-Use zu erfüllen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid vom 9. August 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Dezember 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. 

Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Erstattung der ihm bisher entstandenen Kosten noch ein Anspruch auf die (weitere) Versorgung mit dem Medikament „Xeljanz“ zu. 

Als Rechtsgrundlage für die Kostenerstattung kommt allein § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Var. SGB V in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Kostenerstattungsanspruch reicht allerdings nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch als er voraussetzt, dass die selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, die die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, Urteil vom 11. Juli 2017 – B 1 KR 30/16 R). 

Die Beklagte hat die Gewährung des Medikaments „Xeljanz“ zu Recht abgelehnt. Die Versorgung gehört nicht zu den von der gesetzlichen Krankenkasse geschuldeten Leistungen. Daher kann dahinstehen, ob der Kläger zumindest hinsichtlich der Rechnungsbelege vom 18. Juli 2018, 15./16. August 2018 und 19. September 2018 den Beschaffungsweg eingehalten hat. 

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst dabei die Behandlung mit Arzneimittel (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Versicherte haben nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. 

Nach § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V sind Arzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Nach § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V sind insbesondere Arzneimittel ausgeschlossen, die überwiegend der Verbesserung des Haarwuchses dienen. Maßgeblich ist hierbei die überwiegende Zweckbestimmung.

Nach diesen Regelungen ist die Versorgung mit dem Medikament „Xeljanz“ ausgeschlossen. Das Medikament ist bei dem Kläger ausschließlich mit dem Ziel eingesetzt worden, den bei dem Kläger nicht mehr vorhandenen Haarwuchs zu fördern und gilt damit als Arzneimittel, bei dessen Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. 

Dem Kläger steht eine Versorgung mit dem Medikament „Xeljanz“ auch nicht im Rahmen des Off-Label-Use zu. Unter Off-Label-Use ist zu verstehen, dass ein für ein bestimmtes Indikationsgebiet arzneimittelrechtlich zugelassenes Arzneimittel im Einzelfall auch über seine Zulassung hinaus bei anderen Indikationen zu Lasten der GKV gewährt werden kann. 

Die Voraussetzungen der allgemeinen Grundsätze für einen Off-Label-Use zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sind nicht erfüllt. Ein Off-Label-Use kommt nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2018 - B 1 KR 4/17). 

Eine Erkrankung ist lebensbedrohlich, wenn sie in überschaubarer Zeit das Leben beenden kann und dies eine notstandsähnliche Situation herbeiführt, in der Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2018   B 1 KR 4/17 R).

Vorliegend fehlt es bereits an der ersten Voraussetzung der schwerwiegenden Erkrankung. Alopecia areata totalis stellt, das wird auch selbst vom Kläger nicht behauptet, keine schwerwiegende Erkrankung im Sinne einer lebensbedrohlichen Erkrankung dar. Durch einen kompletten Haarverlust am ganzen Körper droht keine konkrete Lebensgefahr. Auch eine mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbaren Erkrankung, die die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt, ist nicht gegeben. 

Soweit der Kläger vorträgt, dass er aufgrund des Haarverlustes unter psychischen Problemen bis hin zur Selbstmordgefahr leide, die einer lebensbedrohlichen Erkrankung jedenfalls gleichstehe, begründet das ebenfalls keinen Anspruch nach §§ 27, 31 SGB V

Das Medikament „Xeljanz“ stellt keine geeignete Methode zur Behandlung einer psychischen Erkrankung dar. Nach der Rechtsprechung des BSG sind von den von der Krankenkasse geschuldeten Krankenbehandlungen nur solche Maßnahmen umfasst, die unmittelbar an der eigentlichen Krankheit ansetzen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Juni 1998   B 1 KR 18/96 R). Bei psychischen Erkrankungen ist daher der Anspruch des Versicherten auf eine Behandlung mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu beschränken (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30. Dezember 2002 – L 4 KR 114/00). Diese Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall zu übertragen und schließen einen Anspruch auf Versorgung mit dem Medikament „Xeljanz“ zur Behandlung einer psychischen Erkrankung aus. 

Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für das Medikament „Xeljanz“ folgt auch nicht aus § 2 Abs. 1a SGB V. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die beim Kläger bestehende Erkrankung Alopecia areata totalis stellt weder eine lebensbedrohlich noch eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung oder eine vergleichbare Erkrankung dar. 

Soweit der Kläger die Kostenübernahme für noch weitere auf ihn zukommende Kosten für die Versorgung mit dem Medikament „Xeljanz“ beantragt, braucht die Kammer nicht zu entscheiden, ob dieser Antrag im vorliegenden Fall überhaupt zulässig ist. Denn er ist jedenfalls aus den oben genannten Gründen unbegründet, da kein Sachleistungsanspruch des Klägers vorliegt. 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG

Rechtskraft
Aus
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