L 5 R 337/20

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 90/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 337/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Eine besondere Härte wegen des Verlusts einer Anwartschaft im Sinne von § 197 Abs. 3 SGB VI liegt nicht vor, wenn eine Anwartschaft mangels Erfüllung der Wartezeit für die begehrte Rente nie bestand.

2. Für die Zeit ab 1. Januar 1992 schließt § 197 Abs. 3 SGB VI eine Zulassung zur Nachzahlung freiwilliger Beiträge auf der Grundlage des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs aus. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch wird durch § 197 Abs. 3 SGB VI verdrängt und gelangt daneben nicht zur Anwendung. 

I.    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.

II.    Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Zulassung zur Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen. 

Der 1960 geborene Kläger ist seit dem 1. März 2002 Mitglied im Versorgungswerk der Steuerberater Hessen. Er wurde für die Zeiten vom 1. August 1977 bis 31. Juli 1980, 1. August 1981 bis 31. August 1982 und 27. September 1982 bis 4. Oktober 1982 in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert und hat vom 13. April 1988 bis 30. April 1989 und 22. Mai 1989 bis 28. Februar 2002 Pflichtbeitragszeiten sowie für die 35-jährige Wartezeit 282 Monate (218 Monate Beitragszeiten; 64 Monate Anrechnungszeiten) zurückgelegt. Mit Wirkung ab 21. November 2016 ist dem Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 zuerkannt worden.

Mit Schreiben vom 12. Mai 2002 erklärte der Kläger gegenüber der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), er wolle von der Versicherungspflicht befreit werden, und bat außerdem um Prüfung und Mitteilung, ob er durch Zahlung freiwilliger Beiträge den Berufsunfähigkeitsschutz aufrechterhalten könne. Mit Bescheid vom 16. Mai 2002 befreite die BfA den Kläger antragsgemäß ab 1. März 2002 von der Versicherungspflicht, und wies ihn darauf hin, wegen der von ihm aufgeworfenen Frage gesondert benachrichtigt zu werden. 

Mit Schreiben vom 23. Mai 2002 übersandte die BfA dem Kläger ein Antragsformular auf Zahlung von freiwilligen Beiträgen. Einen entsprechenden Antrag stellte der Kläger seinerzeit nicht.

Durch Widerspruchsbescheid vom 2. November 2004 wies die BfA den Widerspruch des Klägers gegen ihren Bescheid vom 24. August 2004 zurück, mit dem sie im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens eine Anrechnungszeit wegen Hochschulausbildung auch für die Zeit vom 3. Oktober 1986 bis 12. April 1988 mit der Begründung abgelehnt hatte, dass der Kläger bereits am 2. Oktober 1986 seine Hauptdiplomprüfung absolviert habe. 

In einem weiteren Kontenklärungsverfahren machte der Kläger unter dem 26. Juni 2009 abermals erfolglos die Unrichtigkeit des ihm übersandten Versicherungsverlaufs geltend. Auf seinen Hinweis, er habe auch vom 3. Oktober 1986 bis 12. April 1988 studiert, ging die Beklagte nicht weiter ein. Eine Entscheidung hierüber traf sie mit ihrem Bescheid vom 10. Juli 2009 nicht.

Mit Schreiben vom 26. Juli 2015 fragte der Kläger bei der Beklagten an, ob er für seine Hochschulzeit vom 5. Oktober 1982 bis 12. April 1988 freiwillige Beiträge nachzahlen könne. Mit weiterem Schreiben vom 16. August 2015 legte der Kläger außerdem die Bescheinigung der Universität C-Stadt vom 3. August 2015 vor, wonach er im Studiengang Wirtschaftswissenschaften am 2. Oktober 1986 das Diplom I und am 12. April 1988 das Diplom II abgeschlossen hatte, wobei er erneut darauf hinwies, dass somit auch der Zeitraum vom 2. Oktober 1986 bis 12. April 1988 als Anrechnungszeit berücksichtigt werden müsse. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2015 teilte die Beklagte mit, dass der Kläger einen Antrag auf Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen für die Zeit seines Hochschulstudiums nicht mehr stellen könne, da er bereits das 45. Lebensjahr vollendet habe. Die Hochschulzeit werde nur bis zur ersten Prüfung anerkannt, vorliegend also bis zum 2. Oktober 1986.

Mit Schreiben vom 16. November 2016 machte der Kläger unter Vorlage weiterer Unterlagen erneut die Berücksichtigung seiner Hochschulausbildung geltend. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7. Dezember 2016 mit Verweis auf den zurückweisenden Widerspruchsbescheid der BfA vom 2. November 2004 ab. 

Am 31. Dezember 2016 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Beitragszahlung für eine freiwillige Versicherung, wobei er angab, dass der erste freiwillige Beitrag für Januar 2016 gezahlt werden solle. Diesem Antrag entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 9. Februar 2017. 

Dem Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 7. Dezember 2016 half die Beklagte mit Bescheid vom 14. Februar 2017 ab, indem sie nunmehr auch die Hochschulausbildung vom 3. Oktober 1986 bis 12. April 1988 als Anrechnungszeit berücksichtigte. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 8. März 2017 vorsorglich Widerspruch mit der Begründung, nicht informiert worden zu sein, dass auch in der Vergangenheit die Möglichkeit bestanden habe, freiwillige Beiträge zu zahlen. Er wolle später eine vorzeitige Rente in Anspruch nehmen. Deshalb beantrage er erneut die Nachzahlung von Mindestbeiträgen. 

Diesen Widerspruch wertete die Beklagte als Überprüfungsantrag gegen ihren Bescheid vom 9. Februar 2017, den sie mit Bescheid vom 3. Mai 2017 ablehnte. Der Kläger habe mit Schreiben vom 8. März 2017 die Zahlung freiwilliger Beiträge vor dem 1. Januar 2016 beantragt. Ausgehend von einem Antrag vom 31. Dezember 2016 sei eine freiwillige Versicherung erst ab dem 1. Januar 2016 zulässig. Auf die Möglichkeit einer freiwilligen Beitragszahlung sei der Kläger bereits mit Schreiben der BfA vom 23. Mai 2002 hingewiesen worden. Ein Beratungsmangel liege nicht vor.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 8. Mai 2017 ebenfalls Widerspruch, zu dessen Begründung er zunächst behauptete, ihm liege kein Schreiben vom 23. Mai 2002 vor. Er beabsichtige, ab 1. August 2021 Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Anspruch zu nehmen. Mit Schreiben vom 3. August 2017, 7. Oktober 2017, 26. Januar 2018 und 9. Februar 2018 vertiefte der Kläger sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren. 

Seine im Schreiben vom 7. Oktober 2017 geäußerte Bitte um Prüfung, ob eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Zahlung von freiwilligen Beiträgen für die Jahre 2014 und 2015 ermöglichen würde, die der Kläger damit begründete, er habe sich seinerzeit krankheitsbedingt nicht optimal um seine Beitragsangelegenheiten kümmern können, fasste die Beklagte als gesonderten Antrag auf Nachzahlung freiwilliger Beiträge für die Jahre 2014 und 2015 auf, den sie mit Bescheid vom 6. März 2018 ablehnte und den hiergegen erhobenen Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 12. März 2019 zurückwies. 

Durch weiteren Widerspruchsbescheid vom 12. März 2019 wies die Beklagte auch den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 3. Mai 2017 zurück. Der Bescheid vom 9. Februar 2017 mit der Zulassung zur freiwilligen Beitragszahlung ab 1. Januar 2016 sei nicht zu beanstanden. Wegen Fristablaufs sei die Nachzahlung freiwilliger Beiträge vor dem 1. Januar 2016 ausgeschlossen. Ein Beratungsmangel könne ihr mit Blick auf das Schreiben der BfA vom 23. Mai 2002, die damalige Versendung eines Antragsvordrucks auf Zahlung freiwilliger Beiträge sowie ihr Schreiben vom 6. Oktober 2015 mitsamt Informationsblatt und Hinweis auf eine mögliche Beratung in ihrer Auskunfts- und Beratungsstelle in Kassel nicht vorgeworfen werden. Von dieser Beratungsmöglichkeit habe der Kläger keinen Gebrauch gemacht.

Gegen den Bescheid vom 6. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2019 erhob der Kläger am 22. März 2019 Klage vor dem Sozialgericht Kassel, mit der er zuletzt die Zulassung einer freiwilligen Beitragszahlung für die Jahre 2014 und 2015 begehrte (Az.: S 6 R 89/19). Gegen das klageabweisende Urteil vom 27. Oktober 2020 legte der Kläger am 21. Dezember 2020 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht ein (Az.: L 5 R 336/20). Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 4. Oktober 2021 den Bescheid vom 6. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2019 zurückgenommen und sich bereit erklärt hatte, dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten, haben beide Beteiligte diesen Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Auch gegen den Bescheid vom 3. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2019 erhob der Kläger am 22. März 2019 Klage vor dem Sozialgericht Kassel, mit der er anfänglich die Zulassung einer freiwilligen Beitragszahlung vor dem 1. Januar 2016 begehrte. Er betonte, in den Jahren 2014 und 2015 durchgehend aufgrund gesundheitlicher Probleme (Depressionen) gehindert gewesen zu sein, sich um seine persönlichen Angelegenheiten zu kümmern. Durch die verspätete Berücksichtigung seiner gesamten Hochschulausbildung als Anrechnungszeit sei ihm die Möglichkeit genommen worden, den Berufsunfähigkeitsschutz durch Zahlung von Mindestbeiträgen aufrechtzuerhalten. Die Voraussetzungen der Härtefallregelung seien erfüllt. 

Durch Urteil vom 27. Oktober 2020 wies das Sozialgericht die zuletzt auf die Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen für die Zeit vom 1. März 2002 bis 31. Dezember 2013 gerichtete Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Beitragsnachzahlung für eine freiwillige Versicherung auf der Grundlage des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Dessen Voraussetzungen seien nicht erfüllt, weil es an einer Pflichtverletzung der Beklagten fehle. Im Jahr 2002 habe kein Grund zu der Annahme bestanden, dass der Kläger später einmal eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen zusätzlich neben seiner Versorgung aus dem Versorgungswerk der Steuerberater in Anspruch nehmen wolle. Seiner damaligen Bitte um Prüfung und Mitteilung, inwieweit durch freiwillige Beiträge der Berufsunfähigkeitsschutz aufrechterhalten werden könne, sei die Beklagte ebenso nachgekommen wie sie die Frage beantwortet habe, ob für Hochschulzeiten freiwillige Beiträge nachgezahlt werden könnten. Erst im Dezember 2016 sei der Beklagten die Absicht des Klägers bekannt geworden, eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Anspruch nehmen zu wollen. Ein früherer Zeitpunkt, zu dem sie den Kläger über die Erfüllung der Wartezeit für Altersrenten durch Beitragszahlung für eine freiwillige Versicherung hätte beraten müssen, sei für die Kammer nicht ersichtlich. Die in den Jahren 2002 und 2015 vorgebrachten Anliegen des Klägers zeigten, dass er durchaus Verständnis für rentenversicherungsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten habe. Auf die von ihm geltend gemachte Erkrankung komme es nicht an. 

Gegen das ihm am 4. Dezember 2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21. Dezember 2020 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. 

Zur Begründung nimmt er zunächst Bezug auf sein bisheriges Vorbringen und trägt weiter vor, erst mit Schreiben vom 6. Oktober 2015 darüber aufgeklärt worden zu sein, dass ein Antrag auf Nachzahlung freiwilliger Beiträge für Zeiten der Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung nur bis zur Vollendung des 45. Lebensjahres gestellt werden könne. Hätte er gewusst, dass die Möglichkeit des Ausgleichs fehlender Zeiten rückwirkend durch freiwillige Beiträge und zukünftig durch Mindestbeiträge bestehe, hätte er diese freiwilligen Zahlungen auch geleistet. Er gehe weiterhin von einem Beratungsfehler der Beklagten aus. Die Übersendung eines Antragsformulars im Jahr 2002 komme keiner Beratung gleich. Zudem sei das Schreiben der BfA vom 23. Mai 2002 unzutreffend gewesen, da es ihm mit der Zahlung freiwilliger Beiträge zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich gewesen wäre, den Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsschutz aufrechtzuerhalten. Eine weitergehende Korrespondenz mit der Beklagten aus dem Jahr 2002 sei ihm nicht bekannt. Das Schreiben der Beklagten vom 6. Oktober 2015 datiere aus einer Zeit, in der er nachweislich stationär behandelt worden sei. Es sei außerdem wenig hilfreich gewesen, da er damals bereits 55 Jahre alt gewesen sei. Auch habe ihn die Beklagte nicht über die Gesetzesänderung informiert, aufgrund derer er berechtigt gewesen wäre, freiwillige Beiträge nachzuzahlen. Wäre sein Hochschulstudium bereits im Jahr 2002 anerkannt worden, hätte er bereits damals freiwillige Beiträge gezahlt. Seinen Schreiben aus den Jahren 2002 und 2015 lasse sich entnehmen, dass er seinerzeit durchaus Beratungsbedarf gehabt habe. Seine Bereitschaft, freiwillige Beiträge zu zahlen, ergebe sich daraus, dass er seit 1. Januar 2016 durchgängig Beiträge zahle. Die Beklagte habe sein Vertiefungsstudium erst im Jahr 2017 und damit verspätet anerkannt. Dies dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen. In seinem Fall sei von einer besonderen Härte auszugehen. 

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. Oktober 2020 und den Bescheid vom 3. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.März 2019 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, die Zahlung von freiwilligen Beiträgen für die Zeit vom 1. März 2002 bis 31. Dezember 2015 zuzulassen. 

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und weist darauf hin, dass der Kläger vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt habe. Auch mit einer freiwilligen Beitragszahlung ab 1. März 2002 hätte er deshalb den Versicherungsschutz bei Erwerbsminderung bzw. Berufsunfähigkeit nicht aufrechterhalten können. 

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze, auf die Gerichtsakte Az.: L 5 R 336/20 (Hessisches LSG) sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Rentenakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist. 

Entscheidungsgründe

Die statthafte Berufung (§ 143, § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) des Klägers ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG). Sie bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. 

Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. Oktober 2020 ist nicht zu beanstanden, nachdem die Beklagte ihren Bescheid vom 6. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2019 (§ 95 SGG) in der mündlichen Verhandlung am 4. Oktober 2021 zurückgenommen hat. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage gegen den nunmehr noch allein streitgegenständlichen Bescheid vom 3. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2019 abgewiesen. Jener Bescheid ist rechtmäßig ergangen und beschwert den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG. Der Kläger kann von der Beklagten nicht beanspruchen, zur Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen für die Zeit vom 1. März 2002 bis 31. Dezember 2015 zugelassen zu werden. 

Gegenstand der vom Kläger erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 56 SGG (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 2013, B 12 R 12/11 R - juris Rdnr. 41) ist der Bescheid vom 3. Mai 2017 in Gestalt des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheides vom 12. März 2019, mit dem die Beklagten den im Schreiben vom 8. März 2017 zumindest sinngemäß gestellten Antrag des Klägers auf Beitragsnachzahlung für die Zeit vor dem 1. Januar 2016 abgelehnt hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelte es sich bei diesem Antrag nicht um einen solchen auf Überprüfung ihres Bescheides vom 9. Februar 2017 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X), weil der Kläger mit diesem Bescheid ausschließlich zu einer Beitragsnachzahlung ab 1. Januar 2016 zugelassen worden war. Eine Regelung im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X dergestalt, dass damit - quasi als Kehrseite - zugleich die Zulassung einer freiwilligen Beitragszahlung für die Zeit vor dem 1. Januar 2016 abgelehnt worden war, ist mit dem Bescheid vom 9. Februar 2017 nicht getroffen worden. Aus Sicht eines verständigen und die Zusammenhänge berücksichtigenden Beteiligten, auf den es bei der Auslegung von Verfügungssätzen eines Bescheides maßgeblich ankommt (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2012, B 5 R 38/11 R - juris Rdnr. 15 m.w.N.), sollte eine derartige Regelung nach dem Willen der Beklagten erkennbar auch nicht getroffen werden (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB>). Das folgt schon daraus, dass der Kläger mit seinem Antrag vom 31. Dezember 2016 die Zulassung einer freiwilligen Beitragszahlung ausdrücklich beschränkt auf die Zeit ab 1. Januar 2016 begehrt hatte. Beinhaltet der Bescheid vom 9. Februar 2017 somit keine den Kläger nicht begünstigende Regelung, deren Bestandskraft (§ 77 SGG) zu überwinden war, um seinem Zulassungsbegehren entsprechen zu können, bedurfte es nicht der Durchführung eines Überprüfungsverfahrens im Sinne von § 44 SGB X.

Der Bescheid vom 6. März 2018 in Gestalt des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheides vom 12. März 2019 ist nicht mehr streitgegenständlich, nachdem ihn die Beklagte zurückgenommen hat. Dieser Bescheid, mit dem die Beklagte einen Antrag des Klägers auf Nachzahlung freiwilliger Beiträge für die Jahre 2014 und 2015 abgelehnt hat, war ursprünglich allerdings ebenfalls angefochten. Das folgt daraus, dass die Beklagte zuvor mit Bescheid vom 3. Mai 2017 die Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen für die Zeit vor dem 1. Januar 2016 - also auch für die Jahre 2014 und 2015 - abgelehnt hatte, weshalb es sich bei dem Bescheid vom 6. März 2018 um einen negativen Überprüfungsbescheid (§ 44 SGB X) handelte, mit dem eine Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen für die Jahre 2014 und 2015 erneut abgelehnt wurde. Dieser Bescheid war gemäß § 86 SGG zum Gegenstand des seinerzeit bereits laufenden Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 3. Mai 2017 geworden. § 86 SGG ist auf vor Erlass des Widerspruchsbescheides ergangene negative Überprüfungsbescheide jedenfalls analog anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 4. März 2014, B 1 KR 64/12 R = BeckRS 2014, 70754 Rdnr. 9 m.w.N.). Infolgedessen war Gegenstand des erstinstanzlichen Klageverfahrens und dort angefochten ursprünglich auch der Bescheid vom 6. März 2018 in Gestalt des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheides vom 12. März 2019. Letzteres folgte aus § 95 SGG. Indem die Beklagte diesen Bescheid von sich aus zurückgenommen und damit der Wirksamkeit entzogen hat (§ 39 Abs. 2 SGB X), ist der Bescheid einer gerichtlichen Überprüfung nicht mehr zugänglich. Dem hat der Kläger durch seine anschließende Antragstellung in der Berufungsinstanz Rechnung getragen.

Dass der Kläger ausweislich seines in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung gestellten Antrags (§ 112 Abs. 2 Satz 2 SGG) die Verpflichtung der Beklagten begehrt hat, ihn zur freiwilligen Beitragszahlung nur vom 1. März 2002 bis 31. Dezember 2013 zuzulassen, steht seinem nunmehr in der Berufungsinstanz verfolgten Begehren, freiwillige Beiträge zusätzlich auch für die beiden Jahre 2014 und 2015 nachzuzahlen, nicht entgegen. Insoweit hat der Kläger seine Klage in der Berufungsinstanz zulässig im Sinne einer gewillkürten Klageänderung gemäß § 99 SGG erweitert. Die Vorschrift des § 99 SGG gilt über § 153 Abs. 1 SGG auch im Berufungsverfahren (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 24. Februar 2017, L 5 R 173/14 - juris Rdnr. 26 m.w.N.). Nach § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG ist es allerdings nicht als eine Änderung der Klage anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. So verhält es sich hier, weil der Kläger ohne Änderung des zugrundeliegenden Sachverhalts, also des Klagegrundes (vgl. hierzu: Haupt/Wehrhahn in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 99 Rdnr. 8; B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 99 Rdnr. 2b m.w.N.), seinen Klageantrag in der Hauptsache erweitert hat, indem er in der Berufungsinstanz - wie von ihm ursprünglich schon bei Klageeingang geltend gemacht - eine weitergehende Zulassung zur freiwilligen Beitragsnachzahlung auch für die Jahre 2014 und 2015 begehrt.

Dem Kläger steht kein Anspruch zu, zur Nachzahlung freiwilliger Beiträge für die Zeit vom 1. März 2002 bis 31. Dezember 2015 zugelassen zu werden. Sein Begehren lässt sich weder auf die Härtefallregelung des § 197 Abs. 3 SGB VI noch auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. 

Gemäß § 197 Abs. 1 SGB VI sind Pflichtbeiträge wirksam, wenn sie gezahlt werden, solange der Anspruch auf ihre Zahlung noch nicht verjährt ist. Freiwillige Beiträge sind demgegenüber wirksam, wenn sie bis zum 31. März des Jahres gezahlt werden, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen (§ 197 Abs. 2 SGB VI). In den Fällen besonderer Härte, insbesondere bei drohendem Verlust der Anwartschaft auf eine Rente, ist nach § 197 Abs. 3 Satz 1 SGB VI auf Antrag der Versicherten die Zahlung von Beiträgen auch nach Ablauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen zuzulassen, wenn die Versicherten an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert waren. Der Antrag kann nur innerhalb von drei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt werden (§ 197 Abs. 3 Satz 2 SGB VI). Die Beitragszahlung hat binnen einer vom Träger der Rentenversicherung zu bestimmenden angemessenen Frist zu erfolgen (§ 197 Abs. 3 Satz 3 SGB VI). Nach § 197 Abs. 4 SGB VI ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X ausgeschlossen.

Ausgehend von § 197 Abs. 2 SGB VI hätte der Kläger freiwillige Beiträge für das am kürzesten zurückliegende Jahr 2015 somit bis spätestens 31. März 2016 zahlen müssen. Unstreitig wahrte er diese Frist nicht, ebenso wenig wie die Fristen für die noch weiter zurückliegenden Jahre 2002 bis 2014. Eine wirksame Zahlung freiwilliger Beiträge liegt nicht vor.

Ein Anspruch des Klägers auf Zulassung zur Beitragsnachzahlung nach der Härtefallregelung des § 197 Abs. 3 SGB VI besteht nicht. Neben einem entsprechenden Antrag setzt eine derartige Zulassung voraus, dass die Nichtzahlung von Beiträgen eine besondere Härte bedeutet und der Versicherte an der rechtzeitigen Beitragszahlung nicht ohne Verschulden gehindert war. Verschulden ist nach der insoweit allgemeingültigen Regelung des § 276 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit. Danach ist ein Verschulden anzunehmen, wenn der Versicherte nicht die Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zumutbar ist (vgl. Wähnelt in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, 6/21, § 197 SGB VI Rdnr. 21).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Weder der Verlust einer Anwartschaft auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen (§ 37 i. V. m. § 236a SGB VI) noch der vom Kläger geltend gemachte Verlust seiner Anwartschaft auf Rente wegen Erwerbsminderung (Berufsunfähigkeit) gemäß § 43 SGB VI (§ 240 SGB VI) oder ein anderer Nachteil rechtfertigt die Zulassung einer freiwilligen Beitragsnachzahlung für die Zeit vom 1. März 2002 bis 31. Dezember 2015. 

Dem Wortlaut des § 197 Abs. 3 SGB VI und der hierzu gegebenen Begründung des Gesetzgebers im Entwurf des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz - RRG) vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I, S. 2261, berichtigt BGBl. I 1990, S. 1337) lässt sich entnehmen, dass mit der Regelung hauptsächlich ein Anwartschaftsverlust, insbesondere bei freiwillig Versicherten, vermieden werden soll. Als Anwendungsfall führt die Regelung ausdrücklich den drohenden Verlust einer Rentenanwartschaft an, und in der Gesetzesbegründung werden beispielhaft Versicherte genannt, die freiwillige Beiträge zahlen und deren Anwartschaft auf eine Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit erhalten werden soll (vgl. BT-Drucks. 11/4124, S. 189/190 zu § 192 des Entwurfs). Über diesen Anwendungsfall hinaus kann zwar auch in anderen Fällen eine besondere Härte in Betracht kommen, wie sich aus dem Wort „insbesondere“ ergibt. Allerdings muss es auch in diesen Fallgestaltungen als besonders hart erscheinen, es bei den Fristen des § 197 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI zu belassen. Die Härtefallregelung stellt kein Mittel dar, jeden geringen Nachteil auszugleichen, den die Versäumung der Fristen nach § 197 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI mit sich bringt (vgl. Peters in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 114. Erg.-Lfg. 2021, § 197 SGB VI Rdnr. 18). In der Regel wird es sich um einen Rechts- oder Anwartschaftsverlust oder jedenfalls einen gewichtigen rentenrechtlichen Nachteil handeln müssen (vgl. Mutschler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, Stand: 1. April 2021, § 197 SGB VI Rdnr. 38).

Im Sinne des Hauptanwendungsfalles des § 197 Abs. 3 SGB VI droht dem Kläger mit Blick auf die von ihm begehrte Altersrente für schwerbehinderte Menschen nicht der Verlust einer Anwartschaft. Denn die Voraussetzungen für diese Altersrente (Wartezeit: 35 Jahre, § 37 Satz 1 Nr. 3 SGB VI <420 Monate>) erfüllte der Kläger bisweilen nicht, sodass allein deshalb kein Härtefall wegen des drohenden Verlusts der Anwartschaft auf die Altersrente für schwerbehinderte Menschen vorliegt. Eine besondere Härte wegen des Verlusts einer Anwartschaft im Sinne des § 197 Abs. 3 SGB VI ist zu verneinen, wenn eine Anwartschaft nie bestand, weil zu keinem Zeitpunkt die Wartezeit für die begehrte Rente erfüllt war (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14. Dezember 2017, L 10 R 2182/16 - juris <Leitsatz Nr. 1>).

Es kann offen bleiben, ob es eine besondere Härte darstellt, dass der Kläger nicht wie gewünscht zum 1. August 2021 Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Anspruch nehmen kann, weil die Wartezeit von 35 Jahren unter Berücksichtigung der von ihm seit 1. Januar 2016 regelmäßig gezahlten freiwilligen Beiträge erst nach weiteren 71 Monaten erfüllt sein wird und diese Altersrente somit erst am 1. Juli 2027 - mithin nachdem der Kläger die Regelaltersgrenze von 66 Jahren und 4 Monaten (§ 235 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) am 31. Juli 2026 erreicht haben wird - beginnen könnte. Denn der Kläger war jedenfalls nicht ohne sein Verschulden gehindert, die Zahlung von freiwilligen Beiträgen so rechtzeitig aufzunehmen, um bereits zum 1. August 2021 Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Anspruch nehmen zu können. Das wäre ihm zwar möglich gewesen, wenn er spätestens für die Zeit ab dem 1. Februar 2010 mit der Zahlung freiwilliger Beiträge begonnen hätte. Dass sich der Kläger damals mit der im Verkehr gebotenen Sorgfalt (§ 276 BGB) um seine Beitragsangelegenheit kümmerte, ist jedoch nicht ersichtlich geworden. Ein damaliger Kontakt zur Beklagten ist weder dokumentiert noch wird ein solcher vom Kläger behauptet. Es fehlt auch an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass der Kläger aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen zu dieser Zeit gehindert gewesen sein könnte, sich um seine Beitragsangelegenheit ausreichend zu kümmern. Er trägt selbst vor, dass ihm dies krankheitsbedingt erst in den Jahren 2014 und 2015 nicht mehr möglich gewesen sei. 

Dass sich der Kläger mit Schreiben vom 12. Mai 2002 bei der Beklagten nach der Möglichkeit erkundigt hatte, freiwillige Beiträge zu zahlen, und er die Wartezeit von 35 Jahren für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 1. August 2021 ohne weiteres erfüllen würde, sofern er schon damals die Zahlung freiwilliger Beiträge aufgenommen und seitdem durchgehend beibehalten hätte, rechtfertigt keine Zulassung zur freiwilligen Beitragsnachzahlung. Denn seinerzeit ging es dem Kläger erkennbar nicht um eine spätere Inanspruchnahme einer Altersrente, sondern allein um die Aufrechterhaltung seines „Berufsunfähigkeitsschutzes“, mithin seiner Anwartschaft auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. Das geht zweifelsfrei aus seinem Schreiben vom 12. Mai 2002 hervor. Allerdings hatte der Kläger seinen Darlegungen zufolge damals offenkundig bewusst davon abgesehen, freiwillige Beiträge zu zahlen, weil er der Auffassung war, wegen der damals noch vorhandenen Lücke in seinem Versicherungsverlauf vom 3. Oktober 1986 bis 12. April 1988 die Anwartschaft auf eine Rente wegen Erwerbsminderung allein durch die Zahlung freiwilliger Beiträge ab 1. März 2002 nicht aufrechterhalten zu können. Er sah daher keine Veranlassung, die ab 1. März 2002 entstehende Beitragslücke zu schließen, ohne dabei augenscheinlich in Erwägung zu ziehen, später eine Altersrente von der Beklagten in Anspruch zu nehmen. Der Kläger erachtete die freiwillige Beitragszahlung damals mithin für unzweckmäßig, weil er davon ausging, dass sich die ab 1. März 2002 auftretende Beitragslücke künftig für ihn nicht (weitergehend) nachteilig auswirken werde.

Ein fehlendes Verschulden im Sinne des § 197 Abs. 3 SGB VI liegt aber nicht vor, wenn der Versicherte die Zahlung von Beiträgen früher lediglich für unzweckmäßig erachtete (vgl. BSG, Urteil vom 17. Mai 2001, B 12 RJ 1/01 R - juris Rdnr. 21). Zur Vermeidung späterer Nachteile muss eine Beitragslücke grundsätzlich alsbald geschlossen werden, unabhängig von der Frage, inwieweit sich dies für einen in der Zukunft liegenden Versicherungsfall als günstig erweist. Die Nachzahlung von Beiträgen kann nicht auf die Zeit verschoben werden, in der ihre Nachteile sichtbar werden (vgl. Peters, a.a.O., § 197 SGB VI Rdnr. 19). Folglich erweist sich die ab 1. März 2002 unterbliebene freiwillige Beitragszahlung des Klägers nicht deshalb als schuldlos, weil er damals nicht absehen konnte, dass er knapp 19 1/2 Jahre später als dann anerkannter Schwerbehinderter eine vorgezogene Altersrente in Anspruch würde nehmen können, sofern er nur die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt. 

Dass der Kläger nicht vollkommen losgelöst von Zweckmäßigkeitserwägungen agiert, bestätigt im Übrigen der Umstand, dass er sich zu einer Zahlung von freiwilligen Beiträgen erst entschlossen hat, als ihm vom Versorgungsamt mit Wirkung ab 21. November 2016 ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt worden war. Den Zulassungsantrag stellte er erst am 31. Dezember 2016. Dass der Kläger bereits zu einem früheren Zeitpunkt ohne weiteres bereit gewesen wäre, freiwillige Beiträge zu zahlen, um die Wartezeit für eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen zu erfüllen, erscheint dem Senat daher nicht so eindeutig, wie dies der Kläger behauptet. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch mit Blick auf seinen Kontakt mit der Beklagten im Juni 2009 keine Zulassung zur freiwilligen Beitragsnachzahlung begründen. Damals ging es dem Kläger ebenfalls nicht um die Zahlung von freiwilligen Beiträgen, sondern ausschließlich - und erneut - darum, die Beitragslücke vom 3. Oktober 1986 bis 12. April 1988 durch eine weitergehende Anerkennung seiner Hochschulausbildung zu schließen.

Gleiches gilt im Übrigen für seinen weiteren Kontakt im Juli 2015, als sich der Kläger bei der Beklagten erkundigte, ob er für seine gesamte Hochschulzeit Beiträge nachzahlen könne. Ungeachtet dessen wäre eine freiwillige Beitragszahlung dann zwar bereits ab 1. Januar 2015 möglich gewesen, was bei durchgängiger Beitragszahlung zu einem möglichen Beginn einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 1. Juli 2026 geführt hätte. Da der Kläger aber jedenfalls ab 1. August 2026 Regelaltersrente beanspruchen kann, hätte eine freiwillige Beitragszahlung schon ab dem 1. Januar 2015 lediglich dazu geführt, dass er einen Monat früher eine Altersrente in Anspruch nehmen könnte. Eine nur einen Monat später beginnende Rente begründet indessen keine besondere Härte.

Auch der Verlust seiner Anwartschaft auf Rente wegen Erwerbsminderung (Berufsunfähigkeit) stellt keine besondere Härte im Sinne von § 197 Abs. 3 SGB VI dar. Zwar ist es zutreffend, dass die Beklagte die Anerkennung seiner Hochschulausbildung auch vom 3. Oktober 1986 bis 12. April 1988 als Anrechnungszeit zunächst rechtswidrig abgelehnt hatte. Allerdings wäre dieser Anwartschaftsverlust auch unabhängig hiervon eingetreten, sodass die besondere Härte jedenfalls nicht auf der fehlerhaften Entscheidung der Beklagten beruht. Der Anwartschaftsverlust ist vielmehr ursächlich darauf zurückzuführen, dass sich der Kläger ab 1. März 2002 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung hat befreien lassen, weil er dann ab 1. April 2004 nicht mehr die Vorbelegungszeit des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI erfüllte. Auf die Übergangsregel des § 241 Abs. 2 SGB VI kommt es in diesem Zusammenhang - anders als der Kläger offenkundig meint - nicht an, weil bis zum 1. Januar 1984 nicht die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten erfüllt war. Nachversichert in der gesetzlichen Rentenversicherung wurde der Kläger nur für die Zeiten vom 1. August 1977 bis 31. Juli 1980, 1. August 1981 bis 31. August 1982 und 27. September 1982 bis 4. Oktober 1982, sodass er lediglich in einem Umfang von 51 Monaten einer versicherungspflichtigen Person gleichgestellt ist (§ 8 Satz 2 SGB VI). 

In Anbetracht dessen muss auch nicht der Frage nachgegangen werden, ob die BfA den Kläger seinerzeit über die mit Wirkung zum 1. Januar 1992 in Kraft getretene Möglichkeit, für nicht als Anrechnungszeiten berücksichtigte Ausbildungszeiten freiwillige Beiträge nachzahlen zu können, hätte informieren müssen. Nur ergänzend weist der Senat noch darauf hin, dass eine derartige Pflicht der BfA nicht bestand. Sie war im Rahmen der Beratungspflicht nach § 14 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I) nicht gehalten, anlässlich der Gesetzesänderung ab 1. Januar 1992 - namentlich des Inkrafttretens des § 207 SGB VI - in Bezug auf sämtliche Versicherte zu prüfen, ob sie hiervon betroffen sein könnten, und diese ohne konkreten Anlass zu informieren. Eine solche Verpflichtung ist selbst bei gesetzlichen Änderungen mit schwerwiegenden Folgen, wie drohendem Totalverlust eines Anspruchs, allenfalls in Ausnahmefällen denkbar (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1996, 13 RJ 23/95 - juris Rdnr. 37 m.w.N.). Für einen derartigen Ausnahmefall ist vorliegend aber nichts ersichtlich. Das gilt - wie soeben ausgeführt - insbesondere mit Blick auf den Verlust der Anwartschaft auf eine Erwerbsminderungsrente.

Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zulassung zur Beitragsnachzahlung aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu. Nach Auffassung des Senats ist dieses Rechtsinstitut neben § 197 Abs. 3 SGB VI nicht anwendbar. Im Rahmen der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Rechtslage war höchstrichterlich anerkannt, dass neben der ausschließlich für Pflichtbeiträge geltenden Härtefallregelung (§ 1418 Abs. 2 und 3 Reichsversicherungsordnung <RVO>; § 140 Abs. 2 und 3 Angestelltenversicherungsgesetz <AVG>) der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht zur Anwendung gelangte (vgl. BSG, Urteil vom 15. Mai 1984, 12 RK 48/82 = SozR 2200 § 1418 Nr. 8). Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch konnte danach nur im Hinblick auf die Entrichtung von freiwilligen Beiträgen zum Tragen kommen, weil hierfür nach früherer Rechtslage eine Härtefallregelung nicht gesetzlich vorgesehen war.

Der Gesetzgeber hat in Kenntnis dieser Rechtsprechung die nach früherem Recht nur für Pflichtbeiträge geltende Härtefallregelung ab 1. Januar 1992 auch auf freiwillige Beiträge erstreckt, ohne dass erkennbar geworden ist, dass er die bisherige Rechtsprechung zum Ausschluss des Herstellungsanspruchs im Bereich der Pflichtbeiträge missbilligt haben könnte (vgl. BT-Drucks. 11/4124, S. 189/190). Durch die Einbeziehung der freiwilligen Beiträge in den Anwendungsbereich des § 197 Abs. 3 SGB VI als der ab 1. Januar 1992 geltenden Härtefallregelung hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass er diese als abschließend ansieht (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 27. November 2012, L 13 R 649/10 - juris Rdnr. 97 m.w.N.).

Soweit demgegenüber vertreten wird, dass § 197 Abs. 3 SGB VI dem Versicherten einen eigenständigen Anspruch gebe, der erst dort aufsetze, wo die Möglichkeiten eines Herstellungsanspruchs endeten (vgl. Kuszynski in: Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, 6. Aufl. 2021, § 197 SGB VI Rdnr. 24; so auch SG Stade, Urteil vom 14. September 2015, S 9 R 52/15 - juris Rdnr. 9), vermag dies nicht zu überzeugen. Danach soll § 197 Abs. 3 SGB VI lediglich der Vermeidung besonderer Härten in den Fällen dienen, in denen   anders als in den Fällen des Herstellungsanspruchs - die im Versicherungskonto entstandene Beitragslücke weder dem Versicherten noch dem Rentenversicherungsträger bewusst werden konnte. Insoweit sei der sozialrechtliche Herstellungsanspruch in seinen Voraussetzungen mit der Härtefallregelung nicht unbedingt deckungsgleich, habe im Einzelfall eine eigenständige Bedeutung und werde daher in diesen Fällen nicht von § 197 Abs. 3 SGB VI verdrängt (vgl. H. Reinhardt in: Reinhardt/Silber, SGB VI, 5. Aufl. 2021, § 197 SGB VI Rdnr. 10).

Diese Gegenmeinung berücksichtigt nach Ansicht des Senats nicht hinreichend die bereits dargestellte rechtshistorische Entwicklung der Härtefallregelung und übersieht des Weiteren, dass es sich bei § 197 Abs. 3 SGB VI um eine eigens für den Bereich der Beitragszahlung konzipierte und damit im Verhältnis zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch speziellere Regelung handelt (vgl. Mutscher, a.a.O., § 197 SGB VI Rdnr. 48). Es wäre systematisch fehlerhaft, den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch dann für anwendbar zu erachten und hierüber eine Beitragsnachzahlung zu ermöglichen, obwohl die Voraussetzungen der speziell hierfür normierten Härtefallregelung nicht erfüllt sind. Zudem ist es dogmatisch nicht überzeugend, den Anwendungsbereich einer Rechtsnorm durch Richterrecht einzuschränken. Vielmehr verhält es sich anders herum. Der richterrechtlich entwickelte Herstellungsanspruch hat dort keine Berechtigung, wo das Gesetz selbst eine Möglichkeit zur Korrektur von rechtswidrigem Verwaltungshandeln und Herstellung eines Rechtszustands wie bei fristgerechter Zahlung eröffnet. Auf dieses Rechtsinstitut ist somit nur dann zurückzugreifen, wenn spezielle gesetzliche Regelungen nicht zur Verfügung stehen (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2007, B 7a AL 22/06 R - juris Rdnr. 13 zu § 324 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch, Drittes Buch <SGB III>; BSG, Beschluss vom 28. Januar 1999, B 14 EG 6/98 B - juris Rdnr. 4 m.w.N.).

Könnte eine Zulassung zur Beitragsnachzahlung auch auf den Herstellungsanspruch gestützt werden, hätte dies im Übrigen zur Folge, dass trotz der hohen Anforderungen des § 197 Abs. 3 SGB VI dennoch die Zahlung selbst unbedeutender Beiträge für weit zurückliegende Zeiträume allein aufgrund eines objektiv unverschuldeten Fehlverhaltens des Versicherungsträgers durchsetzbar wäre, was unbefriedigend erscheint (vgl. Bayerisches LSG, a.a.O., Rdnr. 99). Auch greift der Ansatz zu kurz, der Anwendungsbereich des § 197 Abs. 3 SGB VI sei auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen die im Versicherungskonto entstandene Beitragslücke weder dem Versicherten noch dem Rentenversicherungsträger bewusst werden konnte. Denn im Zusammenhang mit einer besonderen Härte ist auch ein Fehlverhalten des Versicherungsträgers von Bedeutung (vgl. Peters, a.a.O., § 197 SGB VI Rdnr. 18). 

Ein Nebeneinander des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs und des § 197 Abs. 3 SGB VI liefe im Übrigen der gesetzgeberischen Wertung zuwider, wonach bereits einfaches Verschulden des Versicherten eine Zulassung zur Beitragsnachzahlung ausschließen soll. Denn im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kann nur ein grob fahrlässiges Verhalten des Versicherten zu dessen Ausschluss führen (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 1993, 13 RJ 43/92 - juris Rdnr. 31 m.w.N.). 

Schließlich würde die sich aus § 197 Abs. 3 Satz 3 SGB VI ergebende Fristenregelung umgangen, die für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch keine Anwendung findet. Der Gesetzgeber hat durch die Normierung einer verhältnismäßig kurzen Dreimonatsfrist verbunden mit dem Ausschluss der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 197 Abs. 4 SGB VI) deutlich gemacht, dass jedenfalls nach Wegfall des Hinderungsgrundes eine schnelle Klärung des Versicherungsstatus herbeigeführt werden soll. Dieses Anliegen würde konterkariert, wenn der Versicherte auch noch Jahre nach Kenntnis vom Wegfall des Hinderungsgrundes im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zur freiwilligen Beitragsnachzahlung zugelassen werden könnte (vgl. Bayerisches LSG, a.a.O., Rdnr. 101).

Nach alledem musste die Berufung des Klägers im noch streitgegenständlichen Umfang ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dass die Beklagte ihren Bescheid vom 6. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2019 zurückgenommen hat, ist kostenrechtlich bereits im Berufungsverfahren Az.: L 5 R 336/20 mit einem vollumfänglichen Anerkenntnis der Beklagten hinreichend berücksichtigt worden. Ihre auch nur anteilige Beteiligung an den außergerichtlichen Kosten des Klägers für das hiesige Verfahren erscheint daneben nicht angezeigt.  

Die Revision war zuzulassen. Der Senat misst der Rechtsfrage, ob im Rahmen der nachträglichen Zulassung zur freiwilligen Beitragszahlung das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs neben der Härtefallregelung des § 197 Abs. 3 SGB VI anwendbar ist, grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG bei. 

Rechtskraft
Aus
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