L 5 KR 3078/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 99/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 3078/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 26.08.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten für ambulante psychotherapeutische Behandlungen und probatorische Sitzungen bei einem nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Arzt.

Der 1967 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert.

Mit Schreiben vom 16.05.2018, eingegangen bei der Beklagten am 23.05.2018, wandte sich der Kläger an die Beklagte und teilte mit, er habe sich schon seit mehreren Monaten vergeblich darum bemüht, einen Termin bei einem Psychologen zu bekommen. Die meisten Praxen hätten nicht einmal auf seine Rückrufbitte reagiert, ansonsten lägen „Annahmesperren“ oder Wartezeiten von ein bis zwei Jahren vor. Glücklicherweise habe er dann von der Praxis seines behandelnden P die Telefonnummer von Herrn M erhalten. Bei M habe er sich erstmals am 07.05.2018 vorgestellt und am 14.05.2018 einen zweiten Termin wahrgenommen. Der Kläger bat um Genehmigung der Behandlung bei M und des Erstattungsverfahrens. Beigefügt war ein Attest von M vom 14.05.2018, wonach eine rezidivierende depressive Verstimmung und zeitweise Spielsucht diagnostiziert worden war. Der Arzt führte aus, er verfüge nach über 30jähriger Zulassung als Psychotherapeut und Nervenarzt nun nicht mehr über eine Kassenzulassung. Gleichwohl bitte er nach nunmehr durchgeführten probatorischen Sitzungen im Rahmen der Kostenerstattung um eine Kostenübernahme für die probatorischen Sitzungen und Bewilligung einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie in einem Umfang von 50 Stunden.

Mit Bescheid vom 30.05.2018 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Kläger könne innerhalb der vertraglich zugelassenen Therapeuten frei wählen. Dabei seien Wartezeiten von mehreren Monaten bis zum Behandlungsbeginn durchaus zumutbar, da es sich bei einer Psychotherapie nicht um eine Notfallbehandlung handele. Für die Suche nach einem zugelassenen Therapeuten könne sich der Kläger an die Kassenärztliche Vereinigung wenden. Von dort aus könnten auch Termine in einer psychotherapeutischen Sprechstunde und bei Notwendigkeit auch Termine zu einer Akuttherapie vermittelt werden. Deshalb könnten die Kosten für eine außervertragliche Psychotherapie bei M nicht übernommen werden.

Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 29.06.2018 Widerspruch. Er trug vor, er habe das Erstattungsverfahren nach § 13 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gewählt. Nach § 13 Abs. 2 Satz 6 SGB V könne die Zustimmung zur Behandlung durch einen nicht im Vierten Kapitel des SGB V genannten Leistungserbringer von der Krankenkasse erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen würden oder eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet sei. Aufgrund der Tatsache, dass M bis 2014 Vertragsarzt gewesen sei, dürften an seiner Sachkunde keine vernünftigen Zweifel bestehen.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts bat die Beklagte den Kläger um eine Auflistung der bereits kontaktierten kassenzugelassenen Psychotherapeuten mit Angabe der jeweiligen Wartezeit. Im Übrigen machte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 01.08.2018 darauf aufmerksam, dass er keine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V gewählt habe. Es komme hier nur eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht. Eine Kostenerstattung der psychotherapeutischen Behandlung bei einem nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Psychotherapeuten könne lediglich denkbar sein, wenn ein Vertragstherapeut in einer zumutbaren Wartezeit (ca. 6 Monate) nicht zur Verfügung stehe und die Zugangsvoraussetzungen für eine Therapie nach den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) erfüllt seien. Um dies prüfen zu können, benötige die Krankenkasse eine Auflistung über die bereits kontaktierten kassenzugelassenen Psychotherapeuten mit Angabe der jeweiligen Wartezeit.

Hierauf erwiderte der Kläger am 23.08.2018, sowohl seinem Antrag vom 16.05.2018 als auch dem beigefügten ärztlichen Attest vom 14.05.2018 könne entnommen werden, dass er die Durchführung der Psychotherapie im Kostenerstattungsverfahren beantragt habe. Somit liege eine wirksame Wahlerklärung vor. Eine Liste der Behandler, bei denen er vergeblich nach einem Therapieplatz nachgefragt habe, werde er noch erstellen und vorlegen. Diese Liste legte der Kläger der Beklagten jedoch nicht vor.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2018 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 09.01.2019 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und drei Rechnungen sowie im Juli 2019 eine Liste der Therapeuten vorgelegt, bei denen er sich um einen Therapieplatz bemüht habe. Er hat zusätzlich zur Wiederholung seines Vortrags im Widerspruchsverfahren geltend gemacht, dass er sich im Vorfeld der Antragstellung mehrfach telefonisch an die Beklagte gewandt habe und erfolglos um Unterstützung bei der Suche nach einem Therapieplatz gebeten habe.

Das SG hat den Hausarzt des Klägers, den S, gehört. Dieser hat unter dem 18.03.2019 ausgesagt, der Kläger habe am 10.04.2018 angegeben, er sei schon länger auf der Suche nach psychotherapeutischer Unterstützung, am 07.05.2018 habe er mitgeteilt, M als Therapeuten gefunden zu haben.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat ergänzend ausgeführt, dass die ambulante psychotherapeutische Behandlung nicht dringlich gewesen sei und der Kläger den Beschaffungsweg nicht eingehalten habe. Nach ihrer elektronischen Kontaktdokumentation habe sich der Kläger wegen Fragen zur ambulanten Psychotherapie nur am 07.05.2018 an sie gewandt.

Mit Gerichtsbescheid vom 26.08.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das Vorgehen des Klägers den Anforderungen an die Durchführung einer Psychotherapie zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung auf Grundlage der auf § 92 Abs. 6a SGB V beruhenden Psychotherapierichtlinie nicht genüge. Der Kläger habe die Behandlung bei M schon vor der Antragstellung bei der Kasse aufgenommen. Vor diesem Hintergrund scheide eine Kostenerstattung von vornherein aus. Eine unaufschiebbare Leistung liege nicht vor. Eine psychotherapeutische Behandlung könne in aller Regel nicht als Notfallbehandlung eingestuft werden. Aufgrund der Selbstbeschaffung der Leistung vor Leistungsablehnung durch die Beklagte scheide ein Kostenerstattungsanspruch wegen rechtwidriger Leistungsablehnung ebenfalls aus. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger sich schon früher telefonisch an die Beklagte gewandt habe und um Vermittlung eines Therapieplatzes bei einem Kassentherapeuten gebeten habe. Ein Kostenerstattungsanspruch auf Basis von § 13 Abs. 2 SGB V scheide auch aus. Das Kostenerstattungsverfahren nach § 13 Abs. 2 Satz 1 SGB V gelte nur dann, wenn die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung ihre Kasse hierüber in Kenntnis gesetzt haben. Dies sei ersichtlich nicht der Fall. Es bestehe darüber hinaus kein Anspruch auf Durchführung einer Psychotherapie bei M als Sachleistung, da M kein zugelassener Therapeut sei.

Gegen den, seinem Klägerbevollmächtigten am 29.08.2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12.09.2019 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) eingelegt.

Mit Schreiben an die Beklagte vom 17.12.2019 hat der Kläger unter Beifügung eines Attestes von M eine Verlängerung der Psychotherapie bei M beantragt. M bescheinigt hierbei, dass im Dezember 2019 das Stundenkontingent von 5 probatorischen plus 50 regulären Sitzungen tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie aufgebraucht und eine Verlängerung medizinisch notwendig sei. Diesbezüglich ruht ein Widerspruchsverfahren.

Der Berichterstatter hat den Klägerbevollmächtigten darauf hingewiesen, dass nach vollständigem Abschluss der streitgegenständlichen Versorgung des Klägers im Berufungsverfahren nur noch Kostenerstattung geltend gemacht werden könne. Daraufhin hat der Klägerbevollmächtigte Rechnungen und Zahlungsnachweise für den Zeitraum vom 07.05.2018 bis 17.12.2019 übersandt.

Der Kläger trägt vor, dass die reguläre Psychotherapie erst im Juli 2018 begonnen worden sei. M schildere, dass es sich bei dem Erstkontakt im Mai 2018 um eine ausgeprägte Notfallsituation bei depressiver Verstimmung mit Arbeitsunfähigkeit gehandelt habe. M habe der Beklagten angeboten, ein ausführliches Gutachten bezüglich der Erforderlichkeit einer Psychotherapie mit Festlegung der Therapieform zu erstellen. Dies sei von der Beklagten nicht genutzt worden. Da er aber dringend behandlungsbedürftig gewesen sei, sei von M im Juli 2018 die Psychotherapie ohne das ansonsten übliche Psychotherapie-Gutachter-Verfahren, aber nach probatorischen, notfallmäßig durchgeführten Sitzungen eingeleitet worden. Die Behandlung sei damit im Einklang mit der Psychotherapierichtlinie erfolgt. Sie sei unaufschiebbar gewesen, so dass ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V vorliege. Ein kassenärztlicher Psychotherapeut habe nicht zur Verfügung gestanden. Außerdem meint der Kläger, er habe vor Beginn der Psychotherapie im Juli 2018 die Wahlerklärung gemäß § 13 Abs. 2 SGB V abgegeben.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 26.08.2019 und den Bescheid vom 30.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Kosten in Höhe von 4.484,71 € für die Durchführung einer ambulanten fachärztlichen psychotherapeutischen Behandlung durch Herrn M in der Zeit vom 07.05.2018 bis zum 05.11.2019 zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klageerhebung zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf den Gerichtsbescheid des SG.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie die Prozessakten beider Rechtszüge verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte in Abwesenheit der Beklagten verhandeln, da diese über den Termin zur mündlichen Verhandlung informiert und dabei auf die Folgen ihres Ausbleibens hingewiesen worden ist (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

I. Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 2 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist nach § 143 Abs. 1 SGG statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes von 4.484,71 € den nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG erforderlichen Wert des Beschwerdegegenstands von 750,00 € übersteigt, und auch im Übrigen zulässig.

II. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die im Zeitraum vom 07.05.2018 bis 05.11.2019 durchgeführte Psychotherapie bei M.

1. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 30.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.12.2018, mit dem die Beklagte den Antrag des Klägers auf Kostenübernahme für probatorische Sitzungen und die Bewilligung einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie in einem Umfang von 50 Stunden beim Privatarzt M abgelehnt hat. Streitgegenständlich ist nur noch die Kostenerstattung für den Zeitraum vom 07.05.2018 (erste probatorische Sitzung) bis 05.11.2019, nachdem die durchgeführte Behandlung vollständig in der Vergangenheit liegt. Der nachfolgende Zeitraum ist Gegenstand des Verlängerungsantrags des Klägers, bzgl. dessen ein Widerspruchsverfahren anhängig ist. Die Voraussetzungen des § 96 SGG liegen insoweit nicht vor.

2. Ein Anspruch auf die begehrte Kostenerstattung ergibt sich weder aus § 13 Abs. 2 SGB V (dazu a) noch aus § 13 Abs. 3 SGB V (dazu b) oder aus anderen Gesichtspunkten (dazu c).

a) Dem Kläger steht ein Anspruch nach § 13 Abs. 2 SGB V nicht zu. Gemäß § 13 Abs. 1 SGB V darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 SGB V) Kosten nur erstatten, soweit das SGB V oder das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) dies vorsehen. § 13 Abs. 2 Satz 1 SGB V bestimmt hierzu, dass Versicherte anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kostenerstattung wählen können. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen.

Vom Kläger wurde mit seinem Schreiben vom 16.05.2018 schon keine wirksame Wahlerklärung abgegeben. Versicherten steht es nach § 13 Abs. 2 Satz 4 SGB V frei, eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen vorzunehmen. Die Möglichkeit, eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 SGB V nur für die begehrte Psychotherapie zu wählen – wie es der Kläger wünscht und beantragt hat –, besteht demgegenüber nicht. Es ist nicht erkennbar, dass der Kläger tatsächlich für die gesamte ambulante Versorgung für mindestens ein Vierteljahr (§ 13 Abs. 2 Satz 12 SGB V) die Kostenerstattung gewählt hat. Dies ergibt sich auch aus keinem Vortrag im Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren.

Hinsichtlich der Behandlungen am 07. und 14.05.2018 hat der Kläger die Beklagte nicht vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis gesetzt, weshalb schon deshalb eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V ausscheidet.

Für die Sitzungen in der Zeit vom 07.05. bis 26.06.2018 steht der Kostenerstattung auch entgegen, dass nach § 19 Abs. 2 der für das Jahr 2018 geltenden Fassung der Satzung der Beklagten die Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V erst mit dem ersten Tag des auf den Zugang der Erklärung folgenden Kalendervierteljahres beginnt.

Unabhängig davon handelt es sich bei Herrn M um einen nicht zugelassenen Leistungserbringer, nachdem er 2014 seine Kassenzulassung zurückgegeben hat. Die Beklagte hat die für die Behandlung des Klägers bei einem nicht zugelassenen Therapeuten erforderliche Zustimmung nach § 13 Abs. 2 Satz 5 SGB V nicht vor Inanspruchnahme der Behandlung erteilt. Nachdem der Kläger mit der Behandlung bereits begonnen hatte, bevor er sich an die Beklagte gewandt hat, konnte eine vorherige Zustimmung auch nicht erteilt werden. Das gilt jedenfalls für die probatorischen Sitzungen zu Beginn des Behandlungszeitraums. Dass sich aus den Rechnungen nicht ergibt, bei welchen Behandlungen es sich um probatorische Sitzungen gehandelt hat, ist im Ergebnis nicht entscheidend.

Denn auch für die sich an die probatorischen Sitzungen anschließende psychotherapeutische Behandlung fehlt es an der nach § 13 Abs. 2 Satz 5 SGB V erforderlichen Zustimmung. Eine Zustimmung der Beklagten liegt nicht vor. Vielmehr hat sie mit Bescheid vom 30.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2018 eine solche gerade abgelehnt, indem sie die Kostenübernahme insgesamt ablehnte. Mithin lag im Zeitpunkt der Behandlung des Klägers bei M vom 07.05.2018 bis 05.11.2019 die erforderliche Zustimmung nicht vor.

Da es schon an einer wirksamen Wahlerklärung mangelt, kommt es nicht darauf an, ob durch den Senat die Zustimmung der Beklagten für die Therapie bei M ersetzt werden kann. Nach § 13 Abs. 2 Satz 6 SGB V kann eine Zustimmung erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe für eine Inanspruchnahme eines nicht zugelassenen Leistungserbringers sprechen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Von einer solchen Situation kann ausgegangen werden, wenn beispielsweise ein zugelassener Leistungserbringer mit der konkret erforderlichen indikationsbezogenen Qualifikation in angemessener Nähe nicht zur Verfügung steht (BT-Drs. 15/1525 S. 80; Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, § 13 Rn. 35b). Es ist jedenfalls nicht nachgewiesen, dass kein anderer zugelassener Leistungserbringer mit der konkret erforderlichen indikationsbezogenen Qualifikation in angemessener Nähe zur Verfügung stand. Die Beklagte hat dem Kläger mit Schreiben vom 14.09.2018 eine umfangreiche Liste von Psychologischen Psychotherapeuten, psychotherapeutisch tätigen Ärzten und Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie im RKreis zugesandt. Es ist auch unter Zugrundelegung der im Klageverfahren übersandten Liste von Therapeuten, welche der Kläger vor der Behandlung durch M kontaktiert haben will, für den Senat nicht nachgewiesen, dass bei keinem zugelassenen Behandler eine Therapie in zumutbarer Zeit durchgeführt hätte werden können. Aus der im Klageverfahren vorgelegten Liste ergibt sich, dass einzelne vom Kläger kontaktierte Behandler Wartelisten führen und jedenfalls eine Therapeutin (M1) auf eine Wartezeit von unter 6 Monaten verwiesen hat. Der Senat weist darauf hin, dass bei einer psychotherapeutischen Behandlung grundsätzlich auch Wartezeiten zumutbar sind. Im Übrigen ist nicht belegt, dass der Kläger vorab die Beklagte telefonisch oder die Kassenärztliche Vereinigung um Hilfe bei der Therapeutensuche kontaktiert hat. Nach der von der Beklagten vorgelegten elektronischen Kontaktdokumentation fanden am 07.05.2018 nur Telefongespräche wegen Fragen zu einer ambulanten Psychotherapie bzw. einer Beratung wegen einer außervertraglichen psychotherapeutischen Therapie statt.

b) Ein Anspruch auf Übernahme der Behandlungskosten bei M ergibt sich auch nicht aus § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse dem Versicherten Kosten einer selbstbeschafften Leistung zu erstatten, die dadurch entstanden sind, dass sie eine unaufschiebbare Leistung entweder nicht rechtzeitig erbringen konnte (1. Alt.) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war (2. Alt.). Mit dieser Regelung wird der Grundsatz des Sach- und Dienstleistungsanspruchs nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V für die Fälle ergänzt, in denen die Krankenkasse eine geschuldete Leistung nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung stellen kann (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.2007 - B 1 KR 14/07 R -, in juris). Der Naturalleistungsanspruch des Versicherten wandelt sich um in einen Kostenerstattungsanspruch bzw. soweit die Kosten tatsächlich noch nicht beglichen sind, in einen Anspruch des Versicherten auf Freistellung von den Kosten. Vorliegend hat der Kläger die durch die vorgelegten Rechnungen nachgewiesenen Kosten für die Behandlung bei M von insgesamt 4.484,71 € bereits beglichen, so dass ein Kostenerstattungsanspruch im Raum steht.

Eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor. Eine unaufschiebbare Leistung verlangt, dass die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubs mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten (vgl. BSG, Urteil vom 08.09.2015 - B 1 KR 14/14 R -, in juris). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Für den Senat steht fest, dass ein Abwarten der Entscheidung der Beklagten dem Kläger möglich war. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger, der nach eigenen Angaben mehrere Monate auf der Suche nach einem geeigneten Therapeuten war, nunmehr keine zwei Wochen zwischen Antragstellung und Entscheidung der Beklagten mehr hätte abwarten können. Zudem konnte die Beklagte die begehrte Leistung am Wohn- und Behandlungsort rechtzeitig erbringen. Grundsätzlich erbringt die Krankenkasse den Versicherten danach ambulante psychotherapeutische Leistungen, indem sie – in der Regel vermittelt durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (<KÄVen>, § 73 Abs. 2, § 75 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V) – ihnen eine Vielzahl von zugelassenen Leistungserbringern verfügbar hält, unter denen sich die Versicherten den gewünschten Therapeuten frei auswählen und sich dann von ihm behandeln lassen. Kann der Versicherte aus dem Kreis zugelassener Therapeuten tatsächlich einen Leistungserbringer auswählen und sich von ihm behandeln lassen, ist mithin kein Raum für einen Erstattungsanspruch aus § 13 Abs. 3 1. Alt. SGB V (BSG, Urteil vom 18.07.2006 - B 1 KR 24/05 R -, in juris, Rn. 29). Der Kläger hätte, um sich behandeln zu lassen, jederzeit einen der zahlreichen im RKreis zugelassenen Psychotherapeuten oder zur Psychotherapie zugelassenen Arzt aufsuchen können. Nur informatorisch weist der Senat darauf hin, dass die Online-Arztsuche der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg für Psychologische Psychotherapeuten im RKreis 140 Ergebnisse ausweist (Stand: 01.10.2021). Dabei sind Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie sowie psychotherapeutisch tätige Ärzte noch nicht berücksichtigt. Die übliche Wartezeit ist zumutbar. Damit konnte die Beklagte aber rechtzeitig die nach den Regelungen des SGB V zu beanspruchende Leistung erbringen (vgl. auch BSG, Urteil vom 18.07.2006 - B 1 KR 24/05 R -, in juris, Rn. 29).

Im Übrigen besteht ein Anspruch auf ambulante Psychotherapie bei M nicht, weil dieser unstreitig – schon nach eigener Auskunft – nicht zur Behandlung gesetzlich Versicherter zugelassen ist (§ 76 Abs. 1 SGB V). Nur in Notfällen darf die ambulante Behandlung als Naturalleistung auch durch nicht zugelassene Ärzte und sonstige Behandler erbracht werden (vgl. auch BSG, Urteil vom 18.07.2006 - B 1 KR 24/05 R -, in juris, Rn. 30). Ein Notfall im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V liegt jedoch wegen mangelnder Unaufschiebbarkeit der Behandlung nicht vor. Hiervon gingen ersichtlich auch die Beteiligten nicht aus, denn in Notfällen werden von Nichtvertragsärzten erbrachte Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung durchgeführt und aus der Gesamtvergütung vergütet. Auch die psychiatrische (oder psychotherapeutische) Notfallbehandlung eines Versicherten bei einem nicht zugelassenen Therapeuten ist eine Naturalleistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Vergütungsanspruch richtet sich dann nicht gegen den Versicherten, sondern allein gegen die Krankenkasse (vgl. BSG, Urteil vom 08.09.2015 - B 1 KR 14/14 R-, in juris, Rn. 11). Dass die Beteiligten nicht von einem Notfall ausgingen ergibt sich auch daraus, dass die Rechnungsstellung von M an den Kläger, nicht hingegen an die Beklagte erfolgte. Daran ändern die Ausführungen von M im Attest vom 14.05.2018 hinsichtlich einer „notfallmäßigen“ Vorstellung des Klägers bei ihm nichts. Nachdem M als erfahrener früher zugelassener Arzt nicht direkt mit der Krankenkasse abgerechnet hat, kann diese Aussage nur so verstanden werden, dass aus seiner Sicht eine zeitnahe Therapie nötig sei. Der Senat kann bei dieser Sachlage im Ergebnis offenlassen, ob es sich bei einer Psychotherapie überhaupt um eine unaufschiebbare Leistung handeln kann, auch wenn dafür wenig spricht (vgl. auch BSG, Urteil vom 18.07.2006 - B 1 KR 24/05 R -, in juris, Rn. 30).

Auch die Voraussetzung des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V sind nicht erfüllt. Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht danach nur, wenn zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht. Daran fehlt es bereits, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre. Daran fehlt es aber auch, wenn der Versicherte sich unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt hat und fest entschlossen ist, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die Krankenkasse den Antrag ablehnen sollte (ständige Rechtsprechung, z.B. BSG, Urteil vom 08.09.2015 - B 1 KR 14/14 R -, in juris Rn. 9, m.w.N.; BSG, Urteil vom 17.06.2008 - B 1 KR 31/07 R -, in juris Rn. 14). Dies gilt auch in Fällen, in denen von vornherein feststeht, dass eine durch Gesetz oder Verordnung von der Versorgung ausgeschlossene Sachleistung verweigert werden würde und sich der Versicherte dadurch gezwungen gesehen hat, die Leistung selbst zu beschaffen (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2008 - B 1 KR 31/07 R -, in juris Rn. 16; BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 8/06 R -, in juris Rn. 12). Nur bei einer Vorabprüfung können die Krankenkassen ihre - Gesundheits-gefahren und wirtschaftlichen Risiken vorbeugenden - Beratungsaufgaben erfüllen, die Versicherten vor dem Risiko der Beschaffung nicht zum Leistungskatalog gehörender Leistungen zu schützen, um gegebenenfalls aufzuzeigen, welche Leistungen anstelle der begehrten in Betracht kommen.

Hinsichtlich der probatorischen Sitzungen am 07. und 14.05.2018 ergibt sich der fehlende Ursachenzusammenhang bereits aus dem Umstand, dass die Beklagte vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst worden ist. Der Senat ist aber auch davon überzeugt, dass der Kläger bereits bei Antragstellung am 16.05.2018 unabhängig vom Verhalten der Beklagten endgültig auf eine Behandlung bei M festgelegt war. Dies ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers im Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahren, der sachverständigen Zeugenauskunft des Hausarztes des Klägers S und aus dem Umstand, dass der Kläger bereits vor Antragstellung mit der Therapie (wenn auch nur im Rahmen probatorischer Sitzungen) begonnen hat.

Damit erweist sich die Entscheidung der Beklagten am 30.05.2018 als nicht kausal für die dem Kläger entstandenen Kosten. Damit ist der Beschaffungsweg nicht eingehalten.

c) Dem Kläger steht schließlich der geltend gemachte Anspruch auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Systemversagens zu.

In der Rechtsprechung des BSG wurde ein Systemversagen angenommen bei (zur Übersicht vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.08.2012 - L 9 KR 244/11 -, in juris) Unvermögen des Leistungssystems (BSG, Urteil vom 16.12.1993 - 4 RK 5/92 -, in juris), zögerlicher oder willkürlicher Bearbeitung eines Antrags durch die Krankenkasse (BSG, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 19/10 R -, in juris), wenn eine ausreichend erprobte bzw. bewährte Untersuchungs- oder Behandlungsmethode trotz Erfüllung der formalen und inhaltlichen Voraussetzungen aus Gründen, die in den Verantwortungsbereich der Ärzte und Krankenkassen fallen - etwa weil das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen bzw. dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde - noch nicht in die Richtlinien des GBA aufgenommen wurde (BSG, Urteile vom 28.03.2000 - B 1 KR 11/98 R -, und vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/05 R -, in juris), wenn die Auslegung des SGB V, die mit dem europarechtlichen Diskriminierungsverbot unvereinbar war, bei der Versorgung der Leistungsberechtigten zu einer Bevorzugung der im Inland zugelassenen Leistungserbringer führte (BSG, Urteil vom 13.07.2004 - B 1 KR 11/04 R -, in juris), wenn Ärzte oder Zahnärzte in einer Region in der von § 95b Abs. 1 SGB V bezeichneten Form aus der Versorgung ausscheiden und die Krankenkassen in den vom Kollektivverzicht betroffenen Leistungsbereichen ihrer Sicherstellungsverpflichtung nicht umgehend nachkommen können (BSG, Urteil vom 27.06.2007 - B 6 KA 37/06 R -, in juris) oder wenn mangels einer hinreichenden Zahl von Therapeuten eine Versorgunglücke besteht (BSG Urteil vom 18.07.2006 - B 1 KR 24/05 R -, in juris).

Diese Übersicht verdeutlicht, dass ein anspruchsbegründendes Systemversagen zumindest voraussetzt, dass der „Fehler“ im Verantwortungsbereich einer der Institutionen des GKV-Systems, also einer Krankenkasse, des GBA oder der Zulassungsgremien liegt (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.08.2012 - L 9 KR 244/11 -, in juris). Ein Systemversagen würde hier daher voraussetzen, dass die Nachfrage der Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung nach psychotherapeutischen Leistungen im RKreis, in dem der Kläger seinen Wohnsitz hat, im hier relevanten Zeitraum von Mai 2018 bis November/Dezember 2019 durch zugelassene Leistungserbringer nicht vollständig befriedigt werden kann (BSG, Urteil vom 18.07.2006 - B 1 KR 24/05 R -, in juris). Dafür gibt es aber keinen Anhaltspunkt. Ausweislich der von der Beklagten dem Kläger übersandten umfangreichen Liste zugelassener Psychologischen Psychotherapeuten, psychotherapeutisch tätigen Ärzten und Fachärzten für Psychotherapie und Psychotherapie im RKreis stehen ausreichend Behandler auch im Hinblick auf die Gesundheitsstörungen beim Kläger zur Verfügung. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass übliche Wartezeiten für die psychotherapeutische Behandlung bei zugelassenen Leistungserbringern regelmäßig zumutbar sind. Es bestand damit kein Versorgungsmangel, der es gerechtfertigt hätte, dass der Kläger sich die erforderlichen psychotherapeutischen Leistungen bei M selbst beschaffte und dafür nunmehr Freistellung von den Kosten verlangen kann.

Auf die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V kann der Kläger das Kostenerstattungsbegehren ebenfalls nicht erfolgreich stützen. Unabhängig davon, dass auch dieser Anspruch eine hier nicht gegebene Kausalität zwischen unterbliebener rechtzeitiger Entscheidung und Selbstbeschaffung voraussetzt, hat die Beklagte die 3-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V eingehalten. Der Antrag ist am 23.05.2018 bei der Beklagten eingegangen. Der Bescheid datiert vom 30.05.2018.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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