L 5 R 124/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 25 R 4289/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 124/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 05.12.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der 1965 geborene Kläger ist gelernter Innenarchitekt (FH). Er arbeitete bis 2013 in Vollzeit als Projektleiter und wurde 2013 arbeitsunfähig. Zuletzt bezog der Kläger bis 04.01.2017 Arbeitslosengeld I. Für nachfolgende Zeiträume enthält der Versicherungsverlauf keine rentenrechtlichen Zeiten.

In der Zeit vom 09.09.2015 bis 14.10.2015 nahm der Kläger auf Kosten der Beklagten an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der Psychosomatischen Fachklinik in S teil. Er wurde dort mit einem Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden täglich für seine bisherige Tätigkeit als Innenarchitekt und auch für mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (unter Beachtung gewisser qualitativer Leistungseinschränkungen) entlassen (Entlassungsdiagnosen: Undifferenzierte Somatisierungsstörung, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode, Verdacht auf Schmerz-Faszikulations-Syndrom DD: Isaacs-Syndrom, Adipositas).

Am 04.01.2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ den Kläger durch den S1 und den H begutachten. S1 diagnostizierte in seinem Gutachten vom 20.03.2016 aufgrund einer persönlichen Untersuchung am 11.03.2016 folgende Gesundheitsstörungen:

  • Hypertensive Herzerkrankung
  • Aortenektasie ascendus (Erweiterung der Aorta)
  • Chronisch persistierende Hepatitis.

Er war der Ansicht, dass der Kläger als Innenarchitekt noch mehr als sechs Stunden täglich arbeiten und er mittelschwere Tätigkeiten noch mehr als sechs Stunden täglich mit qualitativen Einschränkungen verrichten könne.

H diagnostizierte in seinem Gutachten vom 25.07.2016 aufgrund einer persönlichen Untersuchung am 20.07.2016 folgende Gesundheitsstörungen:

  • Unklar
    DD: Myalgie-Faszikulations-Crampus-Syndrom unklarer Genese

DD: Muskuläre Manifestation einer Sarkoidose

DD: MAD-Mangel

  • Anhaltende somatoforme Schmerzstörung.

Der Gutachter war der Ansicht, dass der Kläger entsprechend des positiven und negativen Leistungsbildes basierend auf den vorliegenden Befunden eine Tätigkeit noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben könne. Allerdings könnten Funktions- und Teilhabebeeinträchtigungen bei unklarer Diagnose noch nicht eindeutig beurteilt werden. Nach Eingang eines Arztbriefs der N Klinik des Uklinikums H1 vom 28.09.2016 aufgrund einer ambulanten Vorstellung des Klägers am 27.09.2016, wonach keinerlei Hinweise auf eine Muskelerkrankung gefunden worden seien, lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 17.11.2016 ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2017 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 31.07.2017 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben. Das SG hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Befundunterlagen bei den behandelnden Ärzten des Klägers eingeholt und von Amts wegen den S2 mit der Erstellung eines medizinischen Gutachtens beauftragt.

Der M hat am 01.09.2017 ausgesagt, den Kläger seit dem Jahr 2016 regelmäßig zu behandeln. Die körperlichen Befunde würden eine leichte berufliche Tätigkeit im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich nicht ausschließen. Der Kläger leide nach seiner Einschätzung jedoch unter einer äußerst hartnäckigen psychosomatischen Erkrankung. Infolge des subjektiven Empfinden des Klägers sei dieser daher zu einer geregelten Berufstätigkeit eher nicht in der Lage.

Die Oberärztin der N Klinik des Uklinikums H1 S3 hat am 22.09.2017 erklärt, den Kläger in der Zeit vom 10.02.2016 bis zum 27.09.2016 behandelt zu haben. Die durch sie erhobenen Befunde im Normbereich würden die Verrichtung einer körperlich leichten Berufstätigkeit aufgrund einer organneurologischen Erkrankung nicht ausschließen, auch im Umfang von sechs Stunden täglich oder mehr. Zusammenfassend hätten sich keine Ursachen für die von dem Kläger angegebenen Beschwerden gefunden.

Die L hat am 27.09.2017 mitgeteilt, den Kläger seit dem 09.07.2015 zu behandeln. Der Kläger habe sich alle zwei bis drei Monate, zuletzt am 22.09.2017 vorgestellt. Im Rahmen der Gesamtsituation der deutlichen Einschränkung der muskulären Abläufe unter massiven Schmerzen mit Krämpfen und auch Schluckstörungen und Atemstörungen scheine eine Verrichtung auch nur leichter Tätigkeiten im Umfeld von drei Stunden täglich nicht mehr möglich. Aus neurologischer Sicht sei differenzialdiagnostisch ein Myalgie-Faszikulation-Crampus-Syndrom gestellt worden. Aus internistischer Sicht sei der Verdacht auf eine rheumatoide Erkrankung DD Polymyalgie rheumatica gestellt worden. Aktuell stehe die Diagnose einer myotonen Dystrophie im Raum. Hinzu komme auch das deutliche Bild einer Anpassungsstörung.

Der Arzt der Klinik für Neurologie des Uklinikums U1 U2 hat mit Schreiben vom 22.10.2017 ausgesagt, den Kläger am 05.10.2017 und am 19.06.2017 untersucht bzw. behandelt zu haben. Klinisch habe sich eine Verschlechterung der Myalgien und Schmerzen gezeigt. Zur beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers könne er sich nicht äußern.

Die Oberärztin der Neurologischen Uklinik U1, R hat am 17.12.2018 erklärt, den Kläger einmalig am 05.10.2017 behandelt zu haben. Der neurologische Befund sei unauffällig gewesen. Eine Berufstätigkeit von sechs Stunden täglich und mehr sei nicht ausgeschlossen.

S2 hat in seinem Gutachten vom 19.07.2019 nach persönlicher Untersuchung am 17.07.2019 folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:

  • Somatisierungsstörung / somatoforme Schmerzstörung (ICD 10: F 45.0, F 45.4),
  • Schädlicher Nikotinkonsum (ICD 10: F 17.1).

Der Gutachter hat ausgeführt, der Kläger sei in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung seiner Gesundheit mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche tätig zu sein. Die vom Kläger vorgebrachten körperlichen Folgeschäden bedingt durch die frühere Einnahme von Antibiotika aus der Gruppe der Chinolone sei nicht objektivierbar belegt. Auch mögliche Nebenwirkungen während der Einnahme der Antibiotika seien ärztlicherseits nicht dokumentiert.

Mit Gerichtsbescheid vom 05.12.2019 hat das SG die Klage gestützt auf die ärztlichen Feststellungen des Sachverständigen S2 abgewiesen.

Gegen den, seinen Klägerbevollmächtigten am 11.12.2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10.01.2020 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz <SGG> den P mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. P hat den Kläger am 02.12.2020 ambulant untersucht und in seinem Gutachten vom 05.01.2021 folgende Gesundheitsstörungen diagnostiziert:

  • Chronic Fatigue Syndrom (ICD G93.3G) mit schwerer Erschöpfung (R53G), Muskelschwäche (M62.89G), myoenzephalitischem Symptomenkomplex (G31.81), Posturalem Orthostatischem Tachycardie-Syndrom POTS (I95.1G), Myofaszialem Schmerzsyndrom (M79.19G) und kompromittierter Zellfunktion (ICD E89.9G) bei Vitamin-D-Mangel (E55.9G) und lat. Vitamin-B12-Mangel (E53.8G), BSG-Erhöhung (R70.0G) und Erhöhung des hsCRP als Ausdruck einer silent inflammation (R79.8G), oxidativem Stress (erhöhtes ox. LDL, erhöhte Peroxidbelastung), Glutathionmangel (E88.9G), suboptimalem ATP-Level der T-Zellen sowie grenzwertig niedrigem Pregnenolonspiegel (E34.9G) und eine prädiabetische Stoffwechsellage (R73.0G) mit Insulinresistenz (E14.90) (erhöht. HbA1c und HOMA-Index), alles als Ausdruck herabgesetzter mitochondrialer Leistung, i.S. einer nitroxidativen Zellregulationsstörung respective Mitochondrienstörung (G31.81G),
  • Invalidisierende Muskelschwäche (R68.8G, M62.89G, M62.50G) mit Hilfsbedürftigkeit durch eingeschränkte Mobilität (Z74.0G),
  • Chronic Fatigue Immun Dysfunction Syndrome (CFIDS) (D84.8G) ausgelöst durch die Einnahme von Fluorchinolonen als schubweise verlaufende, chronifizierte
  • Fluoroquinolone-Associated Disability (FOAD) (Vergiftung durch systemisch wirkende Antibiotika ICD T36.8) mit Erschöpfungstoxikose und chronischer Invalidität (R68.-) und Fluoroquinolone toxicity syndrome (Folge einer Vergiftung durch Arzneimittel ICD T96G)
  • Schwere persistierende Nebenwirkungen durch Moxifloxacin inkl. Bewegungsapparat. Sehnen und peripheren und zentralen Nervensystem (ICD Y57.-) als unerwünschte Nebenwirkung bei therapeutischer Anwendung von Arzneimittel (ICD Y57.9G)
  • Nebenwirkung einer medizinischen Behandlung (T88.9G) durch Fluorchinolone mit Aortenektasie thorakal (ED 12.2013) (I71.9G), Myalgien und Myofasziales Schmerzsyndrom (M79.19G), ausgeprägten Muskelzuckungen und -faszikulationen (R25.3G), ubiquitäre Tendomyopathie und Tendinitis (M77.9G), Gelenkaffektionen (1V125.99G) und Insertionsligamentopathien (M77.9G) schlaffe Haut sowie Kernkatarakt bds. (ED 08.2014) (H26.9G) und Mouches volantes (I143.3G) i.S. einer Fluoroquinolon-induced Tendinopathy / Kollagenstörung / Krankheit mit Systembeteiligung des Bindegewebe (M35.9G), GABA-Stoffwechselstörung (ICD E72.8) i.S. eines funktionellen GABA-Mangel-Syndroms (ICD T88.7) und Störung des Zentralnervensystems (G96.6G) als zentrale Nebenwirkung von Fluorchinolonen mit chronifizierter Schlafstörung (G47.9G), Nervosität (R45.0G), Störung der Informationsverarbeitung (F 80.1G), Denkstörung mit brain-fog-syndrome (R41.3G), Sehstörung (I153.9G), Konzentrationsstörung (F98.80G) und ausgeprägten Muskelzuckungen und -faszikulationen (R25.3G)
  • Neuropathische Beschwerden mit brennenden und stechenden Dysästhesien (R20.8G) und ausgeprägten Muskelzuckungen und -faszikulationen (R25.3G)
  • am ehesten i.S. einer Fluorchinolon-bedingten peripheren neuropathischen Störung (G62.9)
  • Dysbiose (K63.8) [Gleichgewichtsstörung der Darmflora mit Reizdarmsyndrom (K58.9G) i.S. einer Antibiotika-assoziierten Enteritis (A04.7G)]
  • kontrollbedürftiger Lungenrundherd, Refluxösophagitis, Sigmadivertikulose, chron. Sinusitis.

Zum körperlichen Untersuchungsbefund vom 02.12.2020 hat der Gutachter folgendes ausgeführt: Abdomen o.B, keine Resistenzen, keine Druckdolenzen, Darmgeräusche lebhaft, Extremitäten frei beweglich, Gradstand, neurologisch unauffällig, bei der jetzigen Untersuchung sind keine Muskelzuckungen oder -faszikulationen sichtbar oder palpabel, Aspekt eines Faßthorax, Pulmo frei, sehr leises vesikuläres Atemgeräusch bei bek. Emphysem, Cor o.B., insbesondere keine vitientypischen Herzgeräusche, Carotiden ausk. frei, Rachen und Ohren o.B., keine vergr. LK, Bruchpforten geschl., Haut insp. o.B.

Der Kläger zeige ein komplexes Krankheitsbild mit Multiorganbeteiligung und diversen, teils chronifizierten Störungen. Diese stünden zeitlich und kausal im Zusammenhang mit der Einnahme des Antibiotikum Moxifloxacin im August 2013 wegen einer Nasennebenhöhlenentzündung. Das Antibiotikum habe eine Reihe von erheblichen und aus verschiedensten pathogenetischen Ursachen auftretenden Nebenwirkungen, die teilweise schwerste Langzeitschäden nach sich ziehen könnten. 2019 sei deshalb auch die Indikation für das Medikament deutlich eingeschränkt worden. Die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen seien deshalb nachvollziehbar. Im Vordergrund stehe die deutliche Erschöpfung mit begleitenden chronisch neurogenen Symptomen, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, unspezifischen Gelenkschmerzen, Störungen der Wortfindung, Belastungsdyspnoe, Reizdarmbeschwerden, Herzrasen bei schnellem Aufstehen und viele Beschwerden im neuroimmunologischen Bereich sowie Intoleranz gegen Hitze, episodisches Schwitzen und Fiebergefühl und weiter bestehende Infektanfälligkeit. Der Kläger sei für maximal drei Stunden täglich im Stande, leichte Aufgaben auszuführen, wobei hierbei Ruhepausen benötigt würden. Die Gesamtaktivität des Klägers sei auf 30-50 % reduziert. Seelische Störungen lägen nicht vor. Die Leistungseinschränkungen bestünden seit der Erstuntersuchung am 06.05.2019, mutmaßlich aber schon seit August 2013. Eine Verbesserung sei mittelfristig nicht zu erwarten.

Der Senat hat eine ergänzende gutachterliche neurologische und psychiatrische Stellungnahme von S2 eingeholt. Dieser hat mit Schreiben vom 07.05.2021 an seiner Einschätzung im Gutachten festgehalten. Objektivierbar seien keine ausgeprägten organischen Störungen bzw. Läsionen beim Kläger belegt, die derartige körperliche, geistige oder seelische Funktionsbeeinträchtigungen bedingen würden, dass es ihm bei zumutbarer Willensanstrengung nicht möglich wäre, sich innerhalb von drei Monaten an einer entsprechenden Arbeitsstelle einzuarbeiten und diese auch mit der notwendigen Regelmäßigkeit arbeitstäglich sechs Stunden und mehr auszuüben. P berufe sich in seinem Gutachten vor allem auf die Eigenangaben des Klägers und auf Literaturstellen, wobei keine derartigen körperlichen Beeinträchtigungen beim Kläger belegt seien, die eine Minderung des arbeitstäglichen Leistungsvermögens bedingen würden.

Der Kläger ist der Ansicht, er sei nicht im Stande, jedenfalls leichte Tätigkeiten im Rahmen von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Ihm sei vom damaligen Hausarzt bei einer einfachen Atemwegserkrankung ein falsches Antibiotikum verschrieben worden. Als Folge der Einnahme dieses Medikaments lägen nunmehr schwerwiegende funktionelle Beeinträchtigungen auf neurologischen und psychiatrischen Fachgebiet und daraus resultierende rentenrelevante Leistungseinschränkungen vor.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 05.12.2019 und den Bescheid vom 17.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 29.06.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 04.01.2016 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Befunderhebung durch S2. Der Sachverständige P habe keine objektive Betrachtung des subjektiven Phänomens Fatigue durchgeführt. Eine Erwerbsminderung liege nicht vor. Zudem seien bei einem fiktiven Leistungsfall am 06.05.2019 die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfüllt.

Der Berichterstatter hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 28.06.2021 erörtert. In diesem Termin hat der Kläger rentenrechtliche Zeiten ab dem 05.01.2017 explizit verneint.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Gegenstand der Berufung ist der Bescheid der Beklagten vom 17.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2017, mit dem der Antrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt worden ist.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Er hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung und auch nicht auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Versicherte haben gemäß §§ 43 Abs. 1, Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch <SGB VI> bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.         voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind,

2.         in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und

3.         vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

§ 240 SGB VI dehnt aus Gründen des Vertrauensschutzes den Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf vor dem 02.01.1961 geborene und berufsunfähig gewordene Versicherte aus, wenn die sonstigen Voraussetzungen des § 43 SGB VI erfüllt sind. Da der Kläger 1965 geboren ist, scheidet eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit von vorneherein aus.

Aber auch die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI liegen beim Kläger nicht vor.

Es kann dabei dahinstehen, ob der Kläger die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt, wenn, wie P meint, am 06.05.2019 ein Leistungsfall der teilweisen oder vollen Erwerbsminderung eingetreten sein sollte. Es spricht viel dafür, dass zu diesem Zeitpunkt und für alle Zeitpunkte nach dem 04.01.2019 der Kläger nicht die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt.

Der Kläger hat bei Annahme dieses Leistungsfalls am 06.05.2019 in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung keine drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit. Das gilt auch unter Anwendung möglicher Verlängerungstatbestände gem. §§ 43 Abs. 4 und 5, 241 SGB VI.

Nach § 43 Abs. 4 SGB VI verlängert sich der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind: Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (Nr. 1), Berücksichtigungszeiten (Nr. 2), Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt (Nr. 3) und Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung (Nr. 4).

Die letzten Pflichtbeiträge liegen beim Kläger ausweislich des Versicherungsverlaufs im Zeitraum 01.01.2017 bis 04.01.2017 wegen Bezugs von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit. Anschließend sind keine Zeiten mehr im Versicherungskonto gespeichert.

Nach § 43 Abs. 5 SGB VI ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist (§ 53 SGB VI). Dafür gibt es im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte. Nach § 241 Abs. 1 SGB VI verlängert sich der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit, in dem Versicherte für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben müssen, auch um Ersatzzeiten und Zeiten des Bezugs einer Knappschaftsausgleichsleistung vor dem 01.01.1992. Solche Zeiten hat der Kläger nicht.

Es spricht deshalb viel dafür, dass der Kläger letztmals am 04.01.2019 die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung erfüllte. Zur Überzeugung des Senats war der Kläger jedoch bis zu diesem Zeitpunkt – und auch darüber hinaus – weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Vielmehr war und ist der Kläger noch in der Lage, leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne vermehrt psychische Belastungen in Tagesschicht oder Früh-/Spätschicht (ohne Tätigkeiten unter Akkordbedingungen oder vermehrten Zeitdruck, ohne Nachtschicht, ohne vermehrter Lärmexposition, keine Tätigkeiten mit vermehrt seelischen Belastungen) vollschichtig zu verrichten. Deshalb kommt es im vorliegenden Fall auch nicht darauf an, ob weitere Anrechnungszeiten (wegen Arbeitsunfähigkeit) vorliegen oder ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch besteht.

Die vollschichtige Leistungsfähigkeit für jedenfalls leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten von S2 sowie den im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von S1 und H, welche der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet. Die umfassenden Ausführungen insbesondere des Gerichtsgutachters S2 sind in sich schlüssig und für den Senat gut nachvollziehbar, er macht sie deshalb zur Grundlage seiner Beurteilung. Die von S2 beschriebene Leistungsfähigkeit deckt sich im Übrigen mit der Einschätzung der Ärzte der Psychosomatischen Fachklinik in S, in welcher der Kläger vom 09.09.2015 bis 14.10.2015 an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme auf Kosten der Beklagten teilgenommen hat. Die Ausführungen von P in dessen Gutachten auf Antrag des Klägers führen zu keinem anderen Ergebnis.

Bei dem Kläger bestehen folgende Gesundheitsstörungen:

  • Somatisierungsstörung / somatoforme Schmerzstörung (ICD 10: F 45.0, F 45.4),
  • Schädlicher Nikotinkonsum (ICD 10: F 17.1),
  • Hypertensive Herzerkrankung ohne nachgewiesene wesentliche Einschränkung der Herzfunktion,
  • Erweiterung der Aorta,
  • Chronisch persistierende Hepatitis.

Diese Gesundheitsstörungen wirken sich nur insoweit auf die berufliche Leistungsfähigkeit aus, als die oben genannten qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen sind. Eine Einschränkung in zeitlicher Hinsicht besteht nicht.

Der Schwerpunkt des Leidens des Klägers liegt auf dem Fachgebiet der Neurologie bzw. auf psychosomatischem Fachgebiet. Darüber hinaus liegen keine Erkrankungen vor, die zu einer rentenrechtlichen relevanten Leistungseinschränkung führen könnten. Das ergibt sich neben dem unauffälligen internistischen Untersuchungsbefund bei S2 auch aus dem Gutachten von S1 sowie den schriftlichen Stellungnahmen der den Kläger behandelnden Ärzte gegenüber dem SG. Insbesondere hat der M ausgesagt, den Kläger seit dem Jahr 2016 regelmäßig zu behandeln. Die durch ihn erhobenen körperlichen Befunde schließen auch aus dessen Sicht eine leichte berufliche Tätigkeit im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich gerade nicht aus. Dabei sind aus internistischer Sicht lediglich geringfügig qualitative Einschränkungen zu berücksichtigen (keine Arbeit in Nässe, Zugluft, extrem schwankenden Temperaturen, mit inhalativer Belastung und Belastungen durch Allergene).

Eine zeitliche Leistungseinschränkung ergibt sich aber auch nicht aus der somatoformen Schmerzstörung bzw. Somatisierungsstörung. Bei der Untersuchung durch S2 ergaben sich deutliche Hinweise für das Vorliegen einer Somatisierungsstörung mit vorwiegender Projizierung auf das muskuläre System, so dass der Sachverständige eine solche schließlich auch diagnostisch stellt. Dieser Befund ist für den Senat mit dem SG aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen auch nachvollziehbar. Auch die weiteren den Kläger behandelnden Ärzte kommen jeweils zu körperlich negativen Untersuchungsbefunden. Auf der Grundlage der vorliegenden Befunde lässt sich keine rentenrelevante Leistungseinschränkung entnehmen. Sowohl der von S2 erhobene internistische als auch der neurologische Untersuchungsbefund ergaben keine manifesten Auffälligkeiten. Im psychopathologischen Befund zeigte sich keine Antriebsminderung oder psychomotorische Hemmung. Der Kläger war in der Untersuchungssituation geistig gut flexibel. Kognitive oder mnestische Defizite relevanten Ausmaßes konnten nicht festgestellt werden. Für eine hirnorganisch bedingte psychische Symptomatik ergab sich kein Anhalt. Auch ergab sich weder eine erhebliche Antriebsminderung noch eine allgemeine Interessenlosigkeit. Der gegenüber S2 angegebene Tagesablauf spricht ebenfalls gegen eine erhebliche Leistungseinschränkung.

Es kann dahinstehen, ob wie P meint, die vom Kläger vorgebrachten Gesundheitsstörungen aus der Einnahme eines Antibiotikums im August 2013 resultierten. Für die Leistungsbeurteilung entscheidend ist nicht die Ursache, sondern der Umfang und die Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung. Soweit P auf der Grundlage der Angaben des Klägers eine deutliche Erschöpfung mit begleitenden chronisch neurogenen Symptomen, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, unspezifischen Gelenkschmerzen, Wortfindungsstörungen, Belastungsdyspnoe, Reizdarmbeschwerden, Herzrasen bei schnellem Aufstehen und viele Beschwerden im neuroimmunologischen Bereich sowie Intoleranz gegen Hitze, episodisches Schwitzen und Fiebergefühl und weiter bestehende Infektanfälligkeit beschreibt und daraus ein aufgehobenes Leistungsvermögen von maximal 3 Stunden täglich ableitet, basiert diese Einschätzung alleine auf den Angaben des Klägers. Der körperliche Untersuchungsbefund und der Befund aus der Sonographie bei der Untersuchung durch P waren nahezu unauffällig. Insbesondere beschreibt der Gutachter weder Erschöpfungserscheinungen noch Konzentrationsstörungen oder Muskelzuckungen. Dementsprechend ist eine Fatiguesymptomatik nicht objektivierbar.

Vor dem 06.05.2019 ist auch nach P die von ihm beschriebene Leistungseinschränkung nicht nachgewiesen, sondern existiert nur mutmaßlich bzw. anamnestisch seit August 2013. Dies reicht für den Nachweis einer zeitlichen Leistungsminderung keinesfalls aus. Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich eine rentenrelevante Leistungseinschränkung auch nicht aus dem Gutachten der Bundesagentur für Arbeit vom 01.07.2014 ergibt, welches der Kläger im Berufungsverfahren übersandt hat. Denn darin wird gerade keine Leistungsbeurteilung „auf nicht absehbare Zeit“, also für einen Zeitraum länger als sechs Monate, getroffen, sondern auf weitere medizinische Abklärung verwiesen und nur eine Arbeitsunfähigkeit bis zu sechs Monaten attestiert.

Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor.

Zwar wirkt, wie oben dargelegt, grundsätzlich nur eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht rentenbegründend, jedoch kann unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer spezifischen Leistungsbehinderung das Erfordernis resultieren, den Versicherten eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl. BSG, Urteile vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -, vom 24.02.1999 - B 5 RJ 30/98 R - und vom 11.05.1999 - B 13 RJ 71/97 R -, jeweils in juris). Grundlage der Benennungspflicht bildet in diesen Fällen der Umstand, dass von vornherein ernste Zweifel an einer Einsetzbarkeit in einem Betrieb aufkommen. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ist in Betracht zu ziehen, wenn, neben einer qualitativen Leistungseinschränkung auf „leichte Tätigkeiten“, die Leistungsfähigkeit zusätzlich in erheblichem Umfang eingeschränkt ist (Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 1, § 43 SGB VI, Rn. 47). In diesem Sinne ist unter der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen eine Häufung von Leistungseinschränkungen zu verstehen, die insofern ungewöhnlich ist, als sie nicht regelmäßig bei einer Vielzahl von Personen bis zum Erreichen der Altersgrenze für die Regelaltersrente angetroffen wird.

Eine solche ergibt sich nicht unter dem Aspekt eines etwaig verschlossenen Arbeitsmarktes. Bei vollschichtiger Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es für eine Vollzeittätigkeit hinreichend Arbeitsplätze gibt. Mithin obliegt bei einer vollschichtigen Einsatzfähigkeit das Arbeitsplatzrisiko der Arbeitslosenversicherung bzw. dem Versicherten, nicht aber der Beklagten (vgl. insofern § 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI, der bestimmt, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist).

Ausnahmsweise kann jedoch der Arbeitsmarkt als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbleibende Erwerbsfähigkeit nur möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Der Arbeitsmarkt gilt in Ermangelung einer praktischen Einsatzfähigkeit nach der Rechtsprechung des BSG abschließend als verschlossen, wenn der Versicherte nicht unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen arbeiten kann, der Versicherte entsprechende Arbeitsplätze aus gesundheitlichen Gründen nicht aufsuchen kann, der Versicherte nur in Teilbereichen eines Tätigkeitsfeldes eingesetzt werden kann, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Schonarbeitsplätze nicht an Betriebsfremde vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die an Betriebsfremde nicht vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Aufstiegspositionen nicht an Betriebsfremde vergeben werden oder entsprechende Arbeitsplätze nur in ganz geringer Zahl vorkommen.

Keine der genannten Fallkonstellationen ist hier gegeben. Die qualitativen Leistungseinschränkungen des Klägers (siehe oben) sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen.

Auch die Wegefähigkeit des Klägers ist zur Überzeugung des Senats nicht eingeschränkt. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG, Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 - GS 2/95 -, in juris). Diese Kriterien hat das BSG zum Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelt, wie ihn § 1247 RVO und § 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) umschrieben hatten (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, in juris). Diese Maßstäbe gelten für den Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI) unverändert fort (vgl. BSG, Urteile vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -, vom 28.08.2002 - B 5 RJ 12/02 R -, in juris). Konkret gilt: Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z. B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, in juris). Dazu gehört z. B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (zur Wegefähigkeit vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 12.12.2011 - B 13 R 79/11 R -, in juris). Der Kläger ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Wegefähigkeit sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Das Gangbild war bei den Untersuchungen durch die Gerichtsgutachter flüssig. Abgesehen davon hat der Kläger gegenüber S2 selbst angegeben, dass er den Führerschein habe und selbst Auto fahre.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten, medizinischen Unterlagen und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Das vorliegende Gutachten von S2 hat dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 Zivilprozessordnung <ZPO>). Das Gutachten geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne eine weitere Sachaufklärung zu betreiben. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG, Beschluss vom 08.12.2009 - B 5 R 148/09 B -, in juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr. 1 und 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
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