S 13 BA 12/18

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 13 BA 12/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 BA 86/21
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Für die Beurteilung der Sozialversicherungspflicht eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft grundsätzlich die Vereinbarung eines Vetorechts oder einer Sperrminorität in einem Anstellungsvertrag nicht ausreichend, um die Geschicke der Gesellschaft entscheidend beeinflussen zu können, sondern es kommt regelmäßig ausschließlich auf den Gesellschaftsvertrag an.

2. Ausnahmsweise kann ein Vetorecht oder eine Sperrminorität aus einem Anstellungsvertrag ausreichen, wenn die sich aus ihm ergebende Rechtsposition und mithin die Rechtsmacht des Gesellschafter-Geschäftsführers die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen, identisch ist, weil der Anstellungsvertrag aufgrund einer Regelung im Gesellschaftsvertrag nicht ohne den Willen des Gesellschafter-Geschäftsführers änder- oder kündbar ist. 
 

Der Bescheid der Beklagte vom 16. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Januar 2018 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 40.162,84 € aufgrund einer Betriebsprüfung bei der Klägerin für die Zeit vom 1. Februar 2012 bis zum 31. Dezember 2015, insbesondere darüber, ob die beigeladenen Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin bei dieses sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder selbständig tätig waren.

Die Klägerin betreibt ein Logistik-Unternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Die Beigeladenen zu 1. und zu 2. sind Gesellschafter-Geschäftführer der Klägerin. 

Der Gesellschaftsvertrag vom 29. November 2011 sieht unter anderem unter VI. Nr. 7 folgende Regelung vor:

„Zuständig für die Bestellung und Abberufung eines GF sowie den Abschluss, die Änderung und die Beendigung eines Anstellungsvertrags mit ihm ist ausschließlich die Gesellschafterversammlung, deren Beschlüsse insofern einer Mehrheit von 75% der anwesenden Stimmen bedürfen. Der betroffene Gesellschafter hat hierbei Stimmrecht, sofern es nicht um seine Abberufung als Gesellschafter aus wichtigem Grund geht.“
In dem Anstellungsvertrag der Beigeladenen zu 1. und zu 2. ist unter § 2 Nr. 2 S. 2 folgende Klausel enthalten:
„Der Geschäftsführer verfügt bei allen geschäftlichen Aktivitäten über ein umfangreiches Vetorecht.“

Am Kapital der Klägerin war der Beigeladene zu 1. mit 33,33 % beteiligt, ab dem 17. Dezember 2013 mit 37,5 %. Der Beigeladene zu 2. war zunächst ebenfalls mit 33,33 % beteiligt, ab dem 1. August 2012 mit 50 % und ab dem 17. Dezember 2013 mit 62,5 %.

In der Zeit vom 20. Juni 2016 bis zum 14. Juli 2017 führte die Beklagte eine Betriebsprüfung bei der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Februar 2012 bis zum 31. Dezember 2015 durch. Als Ergebnis der Betriebsprüfung sah sie die Beigeladenen zu 1. und zu 2. mit Bescheid vom 16. August 2017 als abhängig Beschäftigte der Klägerin an. Es seien daher für diese beiden Beschäftigungsverhältnisse Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 40.162,84 € abzuführen. Die Entscheidung begründete die Beklagte vor allem damit, dass der Beigeladene zu 1. durchgehend, der Beigeladene zu 2. jedenfalls bis 17. Dezember 2013 nicht Mehrheitsgesellschafter der Klägerin gewesen seien. Sie hätten auch nicht über eine qualifizierte Sperrminorität verfügt. Es hätte daher für die Beigeladenen keine Möglichkeit bestanden, die Geschicke der Klägerin maßgeblich zu bestimmen, weil sie Entscheidungen der Gesellschafterversammlung nicht hätten verhindern können. 

Hiergegen legte die Klägerin am 30. August 2017 Widerspruch ein, den die Beklagte unter weiterer Ausführung der Gründe ihres Ausgangsbescheids mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2018 zurückwies.

Dagegen hat die Klägerin am 8. Februar 2018 Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben. Die Klägerin meint, zwar gebe der Gesellschaftsvertrag den Beigeladenen zu 1. und (zeitweise) dem Beigeladenen zu 2. nicht die Rechtsmacht, Entscheidungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Diese Rechtsposition ergebe sich aber aus dem Anstellungsvertrag der Beigeladenen zu 1. und zu 2., konkret der Vereinbarung eines „umfassenden Vetorechts“ in § 2 Nr. 2 S. 2. Zwar komme es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) grundsätzlich nur auf den Gesellschaftsvertrag an. Im vorliegenden Fall sei aber zu beachten, dass der Anstellungsvertrag „kündigungs- und änderungsfest“ sei. Dies ergebe sich aus der Regelung VI. Nr. 7 des Gesellschaftsvertrags, denn der Anstellungsvertrag könne nur mit einer Stimmenmehrheit von 75 % geändert werden. Für dieses Quorum sei aber jeweils die Zustimmung auch des betroffenen Gesellschafter-Geschäftsführers notwendig, weshalb ohne ihn keine Entscheidungen zu seinen Lasten getroffen werden könnten.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagte vom 16. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Januar 2018 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie meint, nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG v. 29. August 2012 – B 12 KR 25/10 R und B 12 R 14/10 R) komme es auf den Anstellungsvertrag nicht an. Ausschlaggebend sei ausschließlich eine sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebende Rechtsmacht, insbesondere durch eine Stimmrechtsmehrheit in der Gesellschafterversammlung oder eine im Gesellschaftsvertrag vereinbarte Sperrminorität, denn der Anstellungsvertrag könne nicht mehr Kompetenzen vermitteln, als dies durch den Gesellschaftsvertrag zugelassen sei.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid der Beklagte vom 16. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Januar 2018 ist rechtswidrig und die Klägerin ist hierdurch in ihren Rechten betroffen. Die Beigeladenen zu 1. und zu 2. waren im streitgegenständlichen Zeitraum nicht bei der Klägerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid ist § 28p SGB IV. Nach § 28p Abs. 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen mindestens alle vier Jahre. Die Prüfung soll in kürzeren Zeitabständen erfolgen, wenn der Arbeitgeber dies verlangt. Die Einzugsstelle unterrichtet den für die Arbeitgeber zuständigen Träger der Rentenversicherung, wenn sie eine alsbaldige Prüfung bei dem Arbeitgeber für erforderlich hält. Die Prüfung umfasst auch die Entgeltunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt werden. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Abs. 2 SGB IV sowie § 93 iVm. § 89 Abs. 5 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht. Zwar entscheidet grundsätzlich gemäß § 28h Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IV die Einzugsstelle über die Versicherungspflicht und die Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Dies gilt aber nicht für Entscheidungen im Rahmen einer Arbeitgeberprüfung. Nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. 

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht, es sei denn Versicherungspflicht scheidet aufgrund gesetzlicher Regelungen aus.

Vorliegend sind die Beigeladenen zu 1. und zu 2. im streitgegenständlichen Zeitraum nicht bei der Klägerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen, so dass bei der Klägerin keine Beiträge zur Sozialversicherung in Bezug auf die Beigeladenen durch die Beklagte zu erheben waren.

Eine Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Sie ist abzugrenzen von einer selbständigen Tätigkeit. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Die Eingliederung in den Betrieb wird deutlich an der Unterordnung unter ein vor allem Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung umfassendes Weisungsrecht des Arbeitgebers, das dieser auch an andere Personen weitergeben kann. Es muss eine fremdbestimmte Leistung verbleiben, die Dienstleistung also zumindest in einer von anderer Seite vorgegebenen Ordnung eines Betriebes aufgehen. Ist ein Weisungsrecht nicht vorhanden, kann der Betreffende seine Tätigkeit also im Wesentlichen frei gestalten, insbesondere über die Arbeitskraft, über Arbeitsort und Arbeitszeit frei verfügen, oder fügt er sich nur in die von ihm selbst vorgegebene Ordnung des Betriebes ein, liegt keine abhängige, sondern eine selbstständige Tätigkeit vor, die zudem regelmäßig durch ein Unternehmerrisiko gekennzeichnet ist. Ein Unternehmerrisiko, das abzugrenzen ist von einem bloßen Einkommensrisiko, kennzeichnet sich durch weitere Aufwendungen, die der Gefahr unterliegen, frustrierte Investitionen zu werden, sofern sich eine unternehmerische Hoffnung nicht realisiert. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eigene Betriebsmittel beschafft oder eigene Angestellte fest eingestellt werden (vgl. dazu Bay. LSG, Urteil vom 18.5.2004 - Aktenzeichen L 5 KR 167/01 - zitiert nach Juris Rn. 19, 22). Einem Unternehmerrisiko steht stets eine Unternehmerchance gegenüber. Unter einer Unternehmerchance ist die unmittelbare Teilhabe am Unternehmenserfolg vor allem durch Beteiligung am Gewinn zu verstehen. Indizien für eine weisungsfreie und deshalb unternehmerische Tätigkeit sind ferner das Fehlen eines schriftlichen Anstellungsvertrages sowie abweichende Tätigkeitsregelungen im Vergleich zu den übrigen Arbeitnehmern (Reiserer BB 1999, 2026, 2028).

Die Kriterien für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit sind gegeneinander abzuwägen. Jedes Kriterium hat indizielle Wirkung. Entscheidend ist, welche Merkmale überwiegen (vgl. zur Definition der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung BSG, Urteil vom 28.11.1990, Az.: 5 RJ 87/89; vgl. auch Müller in Causa Sport 2007, 12 ff.). Maßgeblich ist das Gesamtbild der Tätigkeit. Dabei kommt es für die Frage, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, vorrangig auf die tatsächliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses an, die vertraglich vereinbarte Rechtslage ist demgegenüber nachrangig, wenn auch Ausgangspunkt der Beurteilung und unter dem Aspekt der Privatautonomie zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 28.11.1990, Az.: 5 RJ 87/89; Urteil vom 8.8.1990, Az.: 11 Rar 77/89 und Urteil vom 30.1.1990, Az.: 11 Rar 47/88; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.10.2005, Az.: L 5 KR 86/04; SG Speyer, Urteil vom 13.12.2006, Az: S 7 RI 462/06; die Definition stimmt - zumindest in Grenzbereichen - nicht völlig überein mit dem Arbeitnehmerbegriff des BAG, vgl. Kasseler Kommentar/Seewald, 43. EL., § 7 SGB IV Rn. 9 und Rn. 126 ff. mit umfangreichen weiteren Nachweisen).

Zu modifizieren ist die Betrachtungsweise bei der Beurteilung von Beschäftigten bzw. nichtabhängig tätigen Personen innerhalb von Kapitalgesellschaften (SG Speyer, Urteil vom 14.2.2007 – S 7 KR 401/05). Für den Geschäftsführer einer GmbH ist anerkannt, dass er kein Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts ist. Dies alleine bedeutet jedoch nicht zwingend, dass er auch kein Beschäftigter im Sinne des Sozialversicherungsrechts ist. Entscheidend kommt es vielmehr auch hier darauf an, ob er unter persönlicher Abhängigkeit – von der Gesellschaft – tätig wird. Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei dem Geschäftsführer einer GmbH deshalb in erster Linie danach, ob er nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen. Ist - wie hier - ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenen Einflusses auf die Gesellschaft das wesentliche Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig beschäftigt angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der mehr als 50 v.H. der Anteile am Stammkapital hält. Ein Geschäftsführer, der nicht über diese Kapitalbeteiligung verfügt und damit als Mehrheitsgesellschafter ausscheidet, ist dagegen grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn er exakt 50 v.H. der Anteile am Stammkapital hält oder ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Denn der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss eine Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen haben und zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können. Demgegenüber ist eine auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2020 - B 12 R 17/18 R Rn. 16f.; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Februar 2021 – L 6 BA 15/20 Rn. 26). Denn nur in den vorgenannten Fällen kann er entweder eigene Entscheidungen durchsetzen oder zumindest ihm nicht genehme Beschlüsse verhindern. Dabei ist unerheblich, ob der Geschäftsführer von seinen Rechten tatsächlich Gebrauch macht oder die Entscheidungen anderen überlässt, weil ihm beispielsweise die Sachkunde fehlt. 

Das Bundessozialgericht hatte in der Vergangenheit einem Minderheitsgesellschafter bereits ausreichende Rechtsmacht im Unternehmen zugesprochen, der im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen konnte. Die Entscheidungen bezogen sich insbesondere auf Geschäftsführer in Familienunternehmen, wobei die familiären Beziehungen dazu führen konnten, dass die Geschäftsführertätigkeit überwiegend durch familiäre Rücksichtnahme geprägt ist und es an der Ausübung eines Direktionsrechts durch die Gesellschafter mangelt. Maßgeblich war die faktische Dominanz des Geschäftsführers („Kopf und Seele“ des Unternehmens). Erteilte etwa die Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführerin ihrem ebenfalls geschäftsführenden Ex-Ehemann praktisch keine Weisungen, reichte dies für die Annahme von Selbstständigkeit aus. Bei einem Fremdgeschäftsführer war ggf. auseichend, dass er spezielle Fach- und Branchenkenntnisse vorweisen konnte, aufgrund derer es den Gesellschaftern faktisch unmöglich war, ihm Weisungen zu erteilen (siehe mit zahlreichen Nachweisen Lau, NZS 2019, 452, 453).

Diesen Vorrang faktischer Verhältnisse hat das Bundessozialgericht im Jahr 2015 (endgültig) aufgegeben (u.a. BSG, Urteil vom 29. Juli 2015 – B 12 KR 23/13 R). Ein Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer ist vielmehr nur dann selbstständig, wenn ihm die hierfür notwendige Rechtsmacht durch den Gesellschaftsvertrag in der dafür vorgesehenen Form eingeräumt wird. Unerheblich ist, wieviel Freiheit ihm im Anstellungsvertrag als „leitendem Angestellten“, in außerhalb des Gesellschaftsvertrags getroffenen Vereinbarungen oder faktisch von den Gesellschaftern eingeräumt wird. Die Statuszuordnung kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer nach eigener Überzeugung anschließt, nicht vom faktischen und daher jederzeit änderbaren Verhalten der Beteiligten abhängig gemacht werden. Auch die Gewährung von Darlehen und die Übernahme von Bürgschaften durch den Geschäftsführer führen nicht zu größeren Freiheiten in der Gestaltung und Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft und gelten mithin nicht als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit.

Im vorliegenden Fall ergab sich die oben dargestellte Rechtsmacht der Beigeladenen zu 1. und zu 2. nicht aus dem Gesellschaftsvertrag. Vielmehr verhielt sich der Gesellschaftsvertrag überhaupt nicht hinsichtlich Vetorechten der Beigeladenen.

Ein „umfassendes Vetorecht“, dass dahingehend zu verstehen ist, vollständig die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen ergab sich aber aus dem Anstellungsvertrag des Beigeladenen zu 1. und zu 2., namentlich aus § 2 Nr. 2 S. 2 des Anstellungsvertrags.

Grundsätzlich würde eine solche Vereinbarung in einem Anstellungsvertrag nach Auffassung der Kammer nicht ausreichen, um die Geschicke der Gesellschaft entscheidend beeinflussen zu können, denn der Anstellungsvertrag wäre als rein schuldrechtliche Vereinbarung ohne Weiteres Änderungen oder sogar einer Kündigung zugänglich, so dass letztlich die Gesellschaftversammlung jede Form der Ausübung eines Vetorechts aus dem Anstellungsvertrag faktisch unterbinden könnte.

Dies gilt jedoch nicht um vorliegenden Fall. Der Anstellungsvertrag ist durch die Regelung in VI. Nr. 7 für jeden Gesellschafter-Geschäftsführer der über mehr als 25 % der Gesellschaftsanteile verfügt durch die Gesellschafterversammlung weder kündbar noch abänderbar. Hierdurch wird auch das in ihm enthaltende Vetorecht jeder Einflussnahme durch die Gesellschafterversammlung entzogen. Letztlich steht dadurch das im Anstellungsvertrag vereinbarte Vetorecht einer in dem Gesellschaftsvertrag selbst vereinbarten Sperrminorität rechtlich und in ihren faktischen Auswirkungen gleich. Die sich aus ihr ergebende Rechtsposition und mithin die Rechtsmacht des Gesellschafter-Geschäftsführers die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen sind identisch. Die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung kann deshalb auch nicht abweichen.

Der Klage war deshalb stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

Rechtskraft
Aus
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