S 8 BA 26/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 8 BA 26/19
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein Bescheid einer Einzugsstelle, welcher das Bestehen von Sozialversicherungspflicht verneint, entfaltet dann Vertrauensschutz gegenüber einer Beitragsnachforderung des Rentenversicherungsträgers, sofern dieser Bescheid weiterhin wirksam ist und nicht aufgehoben wurde.

2. Der Rentenversicherungsträger ist im Rahmen einer Tatbestandswirkung dieses Bescheides gebunden und hat sie seinen Entscheidungen zugrunde zu legen.
 

Der Bescheid vom 02.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2019 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über eine Nachforderung der Beklagten zur Sozialversicherung gegenüber der Klägerin für die beiden beigeladenen Minderheits-Geschäftsführer im Rahmen einer für die Jahre 2013 bis 2016 durchgeführte Betriebsprüfung.

Die Klägerin wurde zunächst am 01.06.1965 von der Herren E. und F. A. als OHG gegründet. Am 25.06.1970 wurde die Klägerin als Gesellschaft mit beschränkter Haftung in das Handelsregister eingetragen. Gegenstand des Unternehmens der Klägerin war die Herstellung und Vertrieb von elektronischen Baugruppen, Abtastelementen und Geräten für die industrielle Automation. Daneben durfte die Gesellschaft auch sonstige Geschäfte betreiben, sofern diese dem Gesellschaftszweck mittelbar oder unmittelbar dienten. Sie durfte auch Unternehmen gleicher oder ähnlicher Art übernehmen oder sich an solchen Unternehmen beteiligen sowie Zweigniederlassungen errichten (vgl. § 3 des Gesellschaftsvertrages, im Weiteren GV). 

Das Stammkapital betrug 60.000,-DM. Im Jahre 1975 kam als weiterer Gesellschafter ein Herr G. hinzu. Das Stammkapital wurde auf einen Betrag von 90.000,-DM erhöht. Im Jahr 1989 wurde das Kapital auf insgesamt 600.000,-DM erhöht, wobei die Verteilung nach wie vor 1/3 der Stammeinlagen betrug. In dem Jahr 1997 übertrugen die ursprünglichen drei Gesellschafter jeweils knapp 8 % ihrer Anteile auf ihre drei Söhne. Herr G. übertrug seine gesamten Anteile im Jahre 1998 auf seinen Sohn. 

Im Jahr 2002 übertrugen auch die beiden anderen Alt-Gesellschafter ihre Anteile auf ihre Söhne. Im Jahre 2002 fand zudem eine Kapitalerhöhung auf 510.000,-€ statt. Die Anteile unterteilten sich wie folgt:

G. G.:    255.000,-€    (50,00 %)
A. A.:    152.700,-€     (29,94 %)
C. A.:    102.300,-€     (20,06 %)

Die Beigeladene zu 4. entschied auf Antrag der Klägerin vom 24.02.1999 mit Bescheid vom 19.03.1999, dass für die Beigeladenen keine Sozialversicherungspflicht bestehe. Sie bezog sich diesbezüglich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer mit einer Kapitalbeteiligung von weniger als 50 % ebenfalls nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegt, wenn er das Unternehmen gleichberechtigt leitet und deshalb in keinem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis zur GmbH stand.

Die Klägerin nahm mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 03.04.2017 Stellung. Sie war der Auffassung, dass die beide Geschäftsführer A. und C. A. (im Weiteren die Beigeladenen) typische Unternehmensrisiken tragen. Sie seien in den ihnen übertragenen Bereichen selbstbestimmt und alleinverantwortlich. Ihr tatsächlicher Einfluss sei größer als der, der ihnen nach der Kapitalbeteiligung zustehe. Alle Gesellschafter-Geschäftsführer seien alleinvertretungsberechtigt. Nach dem Gesellschaftsvertrag würden diverse Entscheidungen Einstimmigkeit erfordern. Einstimmigkeit würde zudem bedeuten, dass alle Gesellschafter-Geschäftsführer anwesend sein müssten. Zudem würden alle Gesellschafter-Geschäftsführer eigenes Kapital und Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes einsetzen. Sie hätten beispielsweise mehrfach auf das Weihnachtsgeld verzichtet sowie eine Gehaltskürzung in Höhe eines Zehntels der Bruttobezüge bzw. in Höhe eines Fünftels der Bruttobezüge vereinbart. Daneben hätten sie auf die Auszahlung der geleisteten Überstunden verzichtet. Es bestehe für abhängig Beschäftigten eine Regelung in der Betriebsvereinbarung Gleitzeit, dass Überstunden bis zu einer gewissen Anzahl anzusammeln und danach abzubauen bzw. auszuzahlen seien. Die monatliche Vergütung betrug für beide Beigeladene 9.600,-€.

Der Beigeladene zu 2. studierte bis Oktober 1992 und war Kaufmann, während der Beigeladene zu 3. zunächst eine Ausbildung zum Elektromechaniker machte. Danach schloss er erfolgreich das Abitur ab und studierte Ingenieurwesen bis März 1994. Der Beigeladene zu 2. war kaufmännischer Leiter und nahm die Finanzplanung für die Klägerin vor. Er bereitete die Jahresabschlussarbeiten vor, erstellte den Rechnungswesenreport und organisierte die Investitions- und Materialgüterbeschaffung. Herr C. A. war Leiter der Produktion. Er plante und steuerte die interne und externe Produktion und leitete auch die der Produktion vorgelagerte Arbeitsvorbereitung. Er war ebenfalls für die Planung und Realisierung von Neubauten sowie sämtlichen Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen bestehender Gebäude verantwortlich. Ferner war er für die Qualitätssicherung und Organisation der Zwischen- und Endprüfung der Geräte zuständig.

Die Klägerin war der Ansicht, dass die Abwesenheit nur eines Gesellschafter-Geschäftsführers dazu führe, dass die Gesellschafterversammlung keine Entscheidung mehr treffen könne, weil dann die satzungsmäßige Beschlussfähigkeit fehle. Einstimmige Entscheidungen müssten zu Kapitalerhöhungen und -herabsetzungen, zu Übertragung von Geschäftsanteilen oder Teilen der Geschäftsanteile, zu Gewinnausschüttungen sowie zu Bestellungen von neuen Geschäftsführern ergehen. Auch bei den erforderlichen einstimmig zu treffenden Entscheidungen müssten alle Gesellschafter anwesend sein, um die notwendige Mindeststimmzahl zu erreichen. Damit könnten durch die Beigeladenen durch ihr Nicht-Erscheinen Beschlüsse aller Art unmöglich machen und ihnen nicht genehme Weisungen verhindern. 

Die Beigeladenen haben der Klägerin 18 Darlehen i. H. v. jeweils 10.000,-€ gewährt, welche jedoch vor dem Zeitpunkt der Betriebsprüfung vollständig zurückgezahlt wurden. Die Geschäftsführer können nur aus wichtigem Grund abgerufen werden. Alle Geschäftsführer schlossen – mit Ausnahme der Zuständigkeitsbereiche – identische Gesellschafter-Geschäftsführerverträge ab. Die Geschäftsführer seien für den jeweiligen Aufgabenbereich allein verantwortlich. Sie können eigenständig und ohne Rücksprache mit den Mitgesellschaftern halten zu müssen, Personal einstellen oder entlassen. Eine Urlaubsabsprache würde erfolgen, eine gegenseitige Genehmigung jedoch nicht. Sie seien in identischer Höhe über Tantiemen am Gewinn beteiligt. 

Zudem sei vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit ein Statusfeststellungsverfahren bei der Techniker Krankenkasse durchgeführt worden. Hinsichtlich den Beigeladenen sei festgestellt worden, dass diese nicht versicherungspflichtig seien. Sie war der Ansicht, dass Vertrauensschutzgrundsätze zu ihren Gunsten greifen würden. Zu dem Zeitpunkt der Statusentscheidungen hätten die Beigeladenen jeweils nur über Anteile an der Klägerin von ca. 8 % verfügt. Dies müsse auch ab dem Zeitpunkt der Erhöhung der Anteile im Jahre 2002 gelten.

Da die Beigeladenen als Inhaber der Firma anzusehen seien, würde keine abhängige Beschäftigung bestehen. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass die Väter der Beigeladenen die Klägerin gegründet haben.

Nach § 6 des Gesellschaftsvertrages vom 05.09.2002 waren die Organe der Gesellschaft die Gesellschafterversammlung und die Geschäftsführer. Nach § 7 Abs. 1 GV konnte die Gesellschafterversammlung eine Geschäftsordnung für die Geschäftsführung erlassen, welche nur mit 70 % der in der Gesellschafterversammlung vertretenen Stimmen geändert werden konnte. Diese war in erster Linie für die Geschäftsführer maßgebend; die dienstvertragliche Regelung war demgegenüber nur in zweiter Linie maßgebend. Die Klägerin wurde grundsätzlich durch einen oder zwei Geschäftsführer vertreten; daneben bestand die Möglichkeit einzelnen oder allen Geschäftsführern Alleinvertretungsmacht zu erteilen (vgl. § 7 Abs. 2. GV). Nach § 7 Abs. 3 GV bedurfte die Bestellung von Geschäftsführern grundsätzlich einer Mehrheit von 70 % der in der Gesellschafterversammlung vertretenen Stimmen. Abkömmlinge von Gesellschaftern, welche von der Gesellschafterversammlung einstimmig eine schriftliche Zusage auf Übernahme als Geschäftsführer erhalten haben, waren zum Geschäftsführer zu bestellen, wenn alle Voraussetzungen und Bedingungen einer solche Zusage bzw. vom Anwärter erfüllt waren (§ 7 Abs. 4 GV). Die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers aus der Geschäftsführung durfte nur aus wichtigem Grund erfolgen. Ein wichtiger Grund liege vor, wenn eine ihm obliegende wesentliche Pflicht aus dem Gesellschaftsvertrag, der Geschäftsordnung oder dem Arbeitsvertrag wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt wurde; dies galt gleichermaßen für Nachfolger i. S. d. Abs. 4 (§ 7 Abs. 5, 6 GV). Nach § 7 Abs. 9 GV wurden die Geschäftsführer ihre eigenen dienstvertraglichen Regelungen mit Ausnahmen der Tantiemen sowie der Arbeitszeit gemeinsam und einvernehmlich zu regeln; auf den weiteren Inhalt dieser Vorschrift wird Bezug genommen. Nach § 9 Abs. 1 GV konnte die Gesellschafterversammlung von jedem Geschäftsführer allein einberufen werden, sofern es dies im Interesse der Gesellschaft für notwendig hält und die Geschäftsordnung für die Geschäftsführung keine andere Regelung vorsieht. § 9 Abs. 2 GV regelte das Verfahren der Einberufung, § 9 Abs. 3 GV die persönliche Wahrnehmung sowie die Zulässigkeit von Vertretungsmöglichkeiten. Nach § 9 Abs. 5 GV war die Gesellschafterversammlung beschlussfähig, wenn mindestens so viele Gesellschafter anwesend waren, dass 80% des Stammkapitals vertreten sind, wobei auf je 500,-€ Beteiligung eine Stimme entfällt. Sofern sich die Gesellschafterversammlung als beschlussunfähig erwies, war durch die Geschäftsführer eine neue Gesellschafterversammlung binnen drei Wochen mit gleicher Tagesordnung einzuberufen. Diese Versammlung war ohne Rücksicht auf die in der Versammlung vertretene Stimmenzahl beschlussfähig (§ 9 Abs. 6 GV). Nach § 9 Abs. 8 GV ist für eine Kapitalerhöhung oder -herabsetzung ein einstimmiger Gesellschaftsbeschluss notwendig. Nach § 10 GV beschloss die Gesellschafterversammlung nach freiem Ermessen über die anteilsmäßige Ausschüttung bzw. Nichtausschüttung des Gewinnes; auf den weiteren Inhalt dieser Regelung wird Bezug genommen. § 11 GV enthielt die Regelung, dass die Kündigung von Dienstverhältnissen mit Abkömmlingen der Gesellschafter, die in der Gesellschaft als Geschäftsführer-Anwärter auf Grund eines besonderen Anwärtervertrages tätig waren, Fusionsverträge, Bauerweiterungen, Erwerb, Beleihung und Veräußerung von Grundstücken, Betriebsverlegung und Übernahme von Bürgschaften der Mehrheit von 70 % der in der Gesellschafterversammlung vertretenen Stimmen benötigte. Dieser Katalog durfte ohne Satzungsänderung durch Gesellschafterbeschluss mit dieser Mehrheit erweitert oder in dem erweiterten Rahmen wieder reduziert werden. Nach § 19 GV konnten durch Gesellschafterbeschluss von 70 % der abgegebenen Stimmen einzelne oder alle Gesellschafter und / oder Geschäftsführer von einem Wettbewerbsverbot befreit werden. Auf den Inhalt der weiteren Regelungen des Gesellschaftsvertrages sowie der zur Akte gereichten Gesellschafterbeschlüsse und Darlehensverträge wird Bezug genommen. Die Beigeladenen waren freiwillig bei der Beigeladenen zu 4. kranken- und pflegeversichert. 

Die Klägerin legte bis auf die Zuständigkeitsverteilung identische Gesellschafter-Geschäftsführerverträge vom 22.02.1999 für die beiden Beigeladenen vor. Nach § 1 Ziffer 1 dieses Vertrages waren Weisungen der Gesellschafterversammlung zu befolgen. Nach § 1 Ziffer 4 dieses Vertrages waren die Einschränkung im Gesellschaftsvertrag bezüglich zustimmungspflichtiger Geschäfte zu beachten. Nach § 1 Ziffer 5 bedurfte der Geschäftsführer für alle Geschäfte und Maßnahmen, die über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft hinausgehen, der ausdrücklichen Einwilligung der Gesellschafterversammlung; dazu gehörten die Erteilung und der Widerruf von Prokura und Handlungsvollmachten, die Einstellung und Entlassung leitender Angestellter sowie Geschäfte, die unter § 181 BGB fallen. Nach § 4 hat der Geschäftsführer seine Arbeitszeit nach den Bedürfnissen der Gesellschaft auszurichten, wobei die Regelarbeitszeit von 35 Wochenstunden einzuhalten war. Zusätzlich zum Gehalt wurde die Zahlung von Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und die Übernahme der Beiträge zu einer Direktversicherung durch die Klägerin vereinbart. Unter § 5 Ziffer 9 a) des Vertrages wurde festgelegt, dass der Umfang der zu ersetzenden Reisespesen von der Gesellschafterversammlung unter Berücksichtigung der jeweiligen Rechtslage jährlich neu festgelegt wird. Nach § 5 Ziffer 9 b) hatte der Geschäftsführer Anspruch auf die Benutzung eines gesellschaftseigenen Kraftwagens der gehobenen Mittelklasse, den er auch privat nutzen durfte. Nach § 5 Ziffer 9 c) sollte der Geschäftsführer ein Mobiltelefon besitzen, um ständig erreichbar zu sein. Die Kosten dafür trug die Gesellschaft. Es gilt eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende (vgl. § 9 des Geschäftsführersvertrages). Auf den Inhalt der übrigen Regelungen der Geschäftsführerverträge wird verwiesen.

Die Beklagte hörte mit Schreiben vom 31.07.2017 zu einer Nachforderung i. H. v. 131.122,92 € an; auf dessen Inhalt wird Bezug genommen.

Die Klägerin nahm mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 15.09.2017 dazu Stellung. Es fehle die von den Gerichten geforderte Gesamtabwägung. Zudem betonte sie, dass alle Entscheidungen im Konsens getroffen würden, sodass faktisch eine Gleichberechtigung vorliege. Sie war der Ansicht, dass der Beigeladenen zu 2. über eine Sperrminorität dadurch verfüge, dass er die Auflösung der Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG verhindern konnte. Dafür seien 75 % der Stimmen erforderlich. Er könne zudem nach § 53 Abs. 2 GmbHG eine operative Neuausrichtung der Klägerin verhindern. Auch der Beigeladene zu 3. habe auf Grund den satzungsmäßigen Einstimmigkeitserfordernissen bei Geschäften, die ein hohes Unternehmensrisiko in sich bergen, über eine Sperrminorität verfügt. Auch bei Beschlüssen, welche die einfache Mehrheit erfordern, würden die Beigeladenen über die nötige Rechtsmacht verfügen, um nicht genehme Entscheidungen zu verhindern, sofern sich bei der Beschlussfassung einer enthalte und der andere mit „Nein“ stimme. Im Hinblick auf die Abberufung eines Geschäftsführers sei auf den Gesellschaftsvertrag und die dort deutlich strengere Voraussetzungen abzustellen, da die insoweit abgeschlossenen Gesellschafter-Geschäftsführerverträge nachrangig seien. Die Anforderungen an die Aufhebung des Gesellschaftsvertrages seien nochmal viel höher, da diese eine Satzungsänderung erforderten. Die Satzung sei so gestaltet, dass die Geschäftsführerbestellung und die Gesellschafterstellung Hand in Hand einhergehen und durch die Satzung viel stärker als bei vergleichbaren Firmen aneinandergekoppelt seien (vgl. § 12 Ziffer 2 der Satzung). Die Gesellschafter-Geschäftsführerverträge müsste im Gesamtkontext gesehen werden. Die Geschäftsführer seien bei der bestehenden Personenidentität weisungsgebunden sich selbst gegenüber. Es sei nicht vorstellbar, dass in der Gesellschafterversammlung einstimmig etwas beschlossen wird und sich dann der Geschäftsführer weigert, den Beschluss, den er selbst auf den Weg gebracht hat, umzusetzen. Sie war der Ansicht, dass die Abhängigkeit der Geschäftsführer von der Gesellschafterversammlung nur dann ein belastbares Entscheidungskriterium zur Abgrenzung der Sozialversicherungspflicht von der Sozialversicherungsfreiheit darstelle, wenn keine Personenidentität zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführer vorliege. Sie war der Ansicht, dass ein unternehmerisches Risiko wegen der Gefahr des Verlustes von 150.000,-€ bzw. 100.000,-€ auf Grund der Haftung nach § 13 Abs. 2 GmbHG vorliege. Zudem bestünde im Fall einer beschlossenen Kapitalerhöhung und der Nichteinbringlichkeit bei einem der Gesellschafter das Risiko für die anderen Gesellschafter nach § 24 GmbHG das Risiko, für die Fehlbeträge aufzukommen; dieses Risiko bestehe für einen normalen Arbeitnehmer nicht. Es gelte im Übrigen der Grundsatz der Kapitalaufbringung und -erhaltung, sodass Handlungen, die das Stammkapital angreifen, sich verbieten. Die Geschäftsführer hätten zudem die Sorgfaltsanforderungen eines ordentlichen Geschäftsmannes einzuhalten. Die Gesellschafter und Geschäftsführer würden wegen verspäteter Insolvenzantragstellung nach §§ 15, 15a InsO haften. Sie würden in der Insolvenz persönlich nach § 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 64 Abs. 1 GmbHG haften. Die Geschäftsführer würden für nicht abgeführte Steuern nach §§ 34, 35, 69 Abgabenordnung sowie für nicht abgeführte Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB haften. Bei ungesetzlicher Rückzahlung von Stammeinlagen würde zudem die Haftung nach §§ 43 Abs. 3, 30 GmbHG greifen. In einer Überschuldungssituation müsse die Firma mit ausreichend Kapital seitens der Gesellschafter versorgt werden, da ansonsten sämtliche Anteile für sie verloren waren. Zudem seien gewinnabhängige Tantiemen ein großer Anreiz für noch mehr Engagement der Gesellschafter-Geschäftsführer; diese hätten im Jahr 2016 Tantiemen von jeweils mehrere zehntausend Euro erwirtschaftet. Nur sie würden unmittelbar am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens partizipieren. Zudem läge weiterhin Vertrauensschutz vor. Es sei auch kein weiteres Feststellungsverfahren aufgrund der geänderten Stammeinlagen einzuleiten gewesen. Durch die Erhöhung der Stammanteile sei erst recht ein Berufen auf Vertrauensschutz möglich gewesen. Wenn es Vertrauensschutz bei unverändertem Bestand der Anteile gäbe, müsse dies im Umkehrschluss erst recht dann gelten, wenn sich die Anteile der jeweiligen Gesellschafter-Geschäftsführer erhöht haben. Die Klägerin wies daraufhin, dass die Gesellschafter-Geschäftsführer alleine über ihre Arbeitszeit und den Ort entscheiden würden, weswegen sie als Arbeitgeber einzuordnen seien. Sie seien die Chefs der Firma und deswegen als klassische Arbeitgeber nicht sozialversicherungspflichtig seien.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 02.11.2017 eine Nachforderung in Höhe von insgesamt 131.122,92 € fest. Es bestehe Versicherungs- und Beitragspflicht zur Renten- und Arbeitslosenversicherung und Beitragspflicht zum Umlageverfahren U2 und zur Insolvenzgeldumlage. Da die Entgelte der Beigeladenen die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten haben, seien keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nach zu entrichten. Die beiden Beigeladenen würden bei einer Gesamt-Stimmenzahl von 1.020 Stimmen anhand ihres Kapitalanteils über 305 Stimmen (Beigeladener zu 2.) bzw. 204 Stimmen (Beigeladener zu 3.) verfügen, sodass beide keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der GmbH haben. Sie seien auf Grund des Gesellschaftervertrages verpflichtet, die Geschäfte der Gesellschaft in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Gesellschafter und deren Weisungen zu führen. Es läge auch kein maßgeblicher gesellschaftsrechtlicher Einfluss vor, wenn ein mitarbeitender Gesellschafter wesentliche Entscheidungen nicht verhindern könne. Besondere Rechtsgeschäfte bedürften einer Mehrheit von 70 %.

Zudem würden beide Gesellschafter-Geschäftsführer nicht über eine allgemeine Sperrminorität verfügen, da eine Kündigung eines Gesellschaft-Geschäftsführers durch keinen von beiden allein verhindert werden könnte. Dies zeige deutlich den jeweils fehlenden beherrschenden Einfluss. Im Hinblick auf die Weisungsgebundenheit ergäbe sich aus den jeweiligen Anstellungsverträgen eine Bindung an die Entscheidung der Gesellschafterversammlungen. Zudem richte sich, ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig sei, nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hänge davon ab, welche Merkmale überwiegen. Das Gesamtbild bestimme sich nach den tatsächlichen Umständen. Tatsächliche Umstände in diesem Sinne seien die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Dazu gehöre auch unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. Die insoweit fehlende Rechtsmacht spreche für eine abhängige Beschäftigung und damit grundsätzlich für eine abhängige Beschäftigung. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sei die familiäre Verbundenheit oder Rücksichtnahme bei Gesellschafter-Geschäftsführern nicht geeignet, die gesellschaftsrechtliche Rechtsmacht zu negieren. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Anstellungsvertrag nicht mehr an Kompetenzen vermittele, als er der Gesellschaftsvertrag zulasse. 

Bei Diensten höherer Art sei die Weisungsgebundenheit zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert und praktisch nicht mehr auswirkt, komme es auf die Fremdbestimmtheit der Arbeit an. Die Geschäftsführer seien auf Grund des Gesellschaftsvertrages verpflichtet, die Geschäfte der Gesellschaft in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Gesellschafter und deren Weisungen zu führen. Ein Geschäftsführer sei nicht in der Lage, sich gegenüber Weisungen der Mehrheit der Gesellschaft die ihm in Bezug auf Zeit, Dauer, Umfang und Ort seiner Tätigkeit nicht genehm erscheinen, zur Wehr zu setzen. Auch die freie Bestimmung der Arbeitszeit, des Arbeitsortes und des Arbeitsumfangs stehe einer abhängigen Beschäftigung nicht entgegen. Diese Möglichkeit habe auch ein als abhängig Beschäftigter Abteilungsleiter. Ein hoher zeitlicher Arbeitseinsatz von 50 Stunden wöchentlich sei auch abhängig Beschäftigten üblich und könne nicht als Indiz für eine Selbstständigkeit herangezogen werden.

Die Stammeinlage der Gesellschafter spreche im Rahmen der Beurteilung für kein signifikantes unternehmerisches Risiko. Auch enthalte der Gesellschaftsvertrag keine Klauseln über eine Nachschusspflicht der Gesellschafter in Krisenzeiten zur Abwendung einer drohenden Insolvenz der Klägerin. Auf die Ausführungen zu den gewährten Darlehen wird Bezug genommen. Die Fachkompetenz würde der Bewertung einer abhängigen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Der jeweilige Anstellungsvertrag würde den üblichen Anstellungsverträgen von abhängig beschäftigten Arbeitnehmern entsprechen. Es sei auch kein Vertrauensschutz zu gewähren, da seit der letzten Statusfeststellung sich in den tatsächlichen Verhältnissen (Änderung der Kapitalanteile sowie der Zusammensetzung der Gesellschafter) ergeben haben, weshalb auch eine neue sozialversicherungsrechtliche Beurteilung unter Beachtung der aktuellen Rechtsprechung vorzunehmen sei.

Die Klägerin erhob mit Schriftsatz vom 06.12.2017 Widerspruch dagegen. Sie verwies auf die bisherige Begründung. Bei der weiteren anzuberaumenden Sitzung komme es nicht auf die Mehrheit der vorhandenen, sondern der abgegebenen Stimmen an, weswegen auch Minderheitsgesellschafter in der Lage seien, Beschlüsse zu verhindern. Stimmen der Gesellschafter, die der Gesellschafterversammlung fernbleiben, würden genauso wenig wie Stimmenthaltungen bei der Bestimmung der Mehrheitsverhältnisse mitgezählt. Deswegen könne auch der Beigeladene zu 3. bei Abwesenheit eines anderen Gesellschafters die Auflösung der Gesellschaft verhindern. Auch dem Satzungsgeber sei die Differenzierung zwischen den abgegebenen und vertretenen Stimmen geläufig gewesen. Eine Abberufung der Geschäftsführer sei abweichend von § 38 GmbHG stark eingeschränkt, da eine vorsätzliche oder grob fahrlässige wesentliche Pflichtverletzung erforderlich sei. Die Möglichkeit einer Kündigung sei so stark eingeschränkt, dass die Mehrheitsverhältnisse keine Rolle spielen würden. Die betroffenen Gesellschafter-Geschäftsführer seien zudem von der Beschlussfassung ausgeschlossen. Die übrigen Gesellschafter könnten bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen wegen der bestehenden Treuepflicht nicht gegen die Abberufung stimmen. Die Beklagte verkenne, dass es bei der Klägerin keinen Angestellten gäbe, der eine längere wöchentliche Arbeitszeit als 35 Stunden habe und in Ausnahmefällen eine längere wöchentliche Arbeitszeit nach der Betriebsvereinbarung zur Gleitzeit abgebaut werden müsse; diese Regelung gelte jedoch nicht für die Geschäftsführer, sodass der Vergleich zu leitenden Angestellten nicht passe. Nur diese könnten auch eine entsprechend kürzere Arbeitszeit erbringen, ohne Nachteilen ausgesetzt zu sein. Sofern das Gehalt deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten liege und dadurch Eigenvorsorge zulasse, sei dies als ein gewichtiges Indiz für eine selbstständige Tätigkeit zu werten. Auf Grund der Fachkompetenz könnten beide Beigeladene kurz- und mittelfristig nicht ohne erhebliche Probleme ersetzt werden; auf diese Ausführungen wird verwiesen. Die Klägerin wies darauf hin, das die bislang entschiedene Fälle zur Nichtgewährung von Vertrauensschutz einzig die Fälle erfasst hätten, in welchen sich die Anteile verringert haben. Sie rügt zudem, dass keine Gesamtabwägung erfolgt sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2019 zurück. Sie wiederholte ihre bisherigen Ausführungen. Sie verwies ergänzend darauf, dass eine beschlussfähige Gesellschafterversammlung von den Beigeladenen überhaupt nicht einberufen werden könne, da dafür 80 % des Stammkapitals vertreten sein müssten. Die Beigeladenen hätten jedoch nicht die Rechtsmacht alleine die Macht Gesellschafterbeschlüsse zu verhindern oder herbeizuführen. Dies könne alleine der Mehrheitsgesellschafter. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung hätten die Beigeladenen auf Grund ihrer geringen Gesellschaftsanteile rechtlich nicht die Möglichkeit gehabt, wie beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer ihnen nicht genehme Weisungen jederzeit abzuwenden. 

Die Klägerin hat mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 08.04.2019 Klage dagegen erhoben. Das Gericht hat mit Beschlüssen vom 07.06.2020 und 26.08.2021 die Geschäftsführer, die Bundesagentur für Arbeit sowie die Einzugstelle beigeladen.

Sie ist der Ansicht, dass eine Berufung auf Vertrauensschutz möglich sei, wenn die Grundsätze der alten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vorgelegen hätten und die Gesellschafter-Geschäftsführer darauf vertraut hätten, dass sie sozialversicherungsfrei gewesen seien. Dies sei vorliegend der Fall.

Ein Statusfeststellungsverfahren sei nicht durchzuführen gewesen, da wegen der unveränderten Rechtsprechung keine andere Entscheidung als die schon festgestellte Sozialversicherungsfreiheit zu erwarten gewesen wäre. Es lägen zudem die Voraussetzungen der Kopf-und-Seele-Rechtsprechung vor. Die Beigeladenen würden einen Großteil ihrer Vergütung durch ein erfolgreiches Auftreten am Markt selbst bestimmen, während die Angestellten lediglich ein monatliches Fixgehalt gegen das Zurverfügungstellung ihrer Arbeitskraft schulden würden. Keiner der Arbeitnehmer der Klägerin hätte auf Weihnachts- oder Urlaubsgeld verzichtet oder länger als 35 Stunden in der Woche gearbeitet. Zudem könnten auch die Minderheits-Gesellschafter nach der Satzung eine Gesellschafterversammlung einberufen. Sie ist weiterhin der Auffassung, dass es auf die Mehrheit der anwesenden Gesellschafter und nicht des vorhandenen Stammkapitals ankomme.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 02.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2019 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. 

Entscheidungsgründe

A. Streitgegenstand dieses Verfahrens ist eine im Rahmen einer Betriebsprüfung seitens der Beklagten erhobene Nachforderung für die Tätigkeit der GmbH-Geschäftsführer für die Jahre 2013 bis 2016.

B. Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht bei dem örtlich zuständigen Gericht gemäß §§ 57 Abs. 1, 78, 87 Abs. 2 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden. Die Klage ist als isolierte Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1, 2 SGG statthaft.

C. Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte hat zu Unrecht mit dem angefochtenen Bescheid vom 02.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2019 eine Nachforderung i. H. v. 131.122,92 € festgesetzt, sodass die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt wird. Der Beklagten steht kein Anspruch auf die Nachentrichtung von Beiträgen zur Sozialversicherung zu.

I. 1. Nach § 28p Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen. Sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen. Die Prüfung umfasst nach § 28p Abs. 1 Satz 4 SGB IV auch die Entgeltunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden. Die Träger der Rentenversicherung erlassen nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Nach §§ 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), § 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) und § 20 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) stehen Personen in einem Versicherungspflichtverhältnis, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt werden.

2. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet (BSG, Urteil vom 01. Dezember 1977, Az.: 12/3/12 RK 39/74 – juris – Rn. 15). Der Einsatz eigenen Kapitals ist für eine selbständige Tätigkeit typisch (BSG, Urteil vom 01. Dezember 1977, Az.: 12/3/12 RK 39/74 – juris – Rn. 23). Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (BSG, Urteil vom 28. Mai 2008, Az.: B 12 KR 13/07 R – juris – Rn. 15).

Grundlage der Beurteilung sind die tatsächlichen Verhältnisse (BSG, Urteil vom 28. Januar 1999, Az.: B 3 KR 2/98 R – juris – Rn. 20). Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG, Urteil vom 25. Januar 2006, Az.: B 12 KR 30/04 R – juris – Rn. 22). In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, Urteil vom 24. Januar 2007, Az.: B 12 KR 31/06 R – juris – Rn. 17; BSG, Urteil vom 29. August 2012, Az.: B 12 R 14/10 R – juris – Rn. 16).

Die Zuordnung des konkreten Lebenssachverhalts zum rechtlichen Typus der (abhängigen) Beschäftigung als "nichtselbstständige Arbeit nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung erfordert eine Gewichtung und Abwägung aller als Indizien für und gegen eine Beschäftigung bzw. selbstständige Tätigkeit sprechenden Merkmale der Tätigkeit im Einzelfall. Bei Vorliegen gegenläufiger, d. h. für die Bejahung und die Verneinung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals sprechender tatsächlicher Umstände oder Indizien hat das Gericht insoweit eine wertende Zuordnung aller Umstände im Sinne einer Gesamtabwägung vorzunehmen. Diese Abwägung darf allerdings nicht (rein) schematisch oder schablonenhaft erfolgen, etwa in der Weise, dass beliebige Indizien jeweils zahlenmäßig einander gegenübergestellt werden, sondern es ist in Rechnung zu stellen, dass manchen Umständen wertungsmäßig größeres Gewicht zukommen kann als anderen weniger bedeutsam einzuschätzenden Indizien. Eine rechtmäßige Gesamtabwägung setzt deshalb voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen Indizien festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und in dieser Gesamtschau nachvollziehbar, dh den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei, gegeneinander abgewogen werden (BSG, Urteil vom 25. April 2012, Az.: B 12 KR 24/10 R – juris – Rn. 25).

Daraus folgt aber nicht, dass Weisungsgebundenheit und Eingliederung in den Betrieb stets kumulativ vorliegen müssten. Die in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV genannten Merkmale sind schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nur "Anhaltspunkte" für eine persönliche Abhängigkeit, also im Regelfall typische Merkmale einer Beschäftigung und keine abschließenden Bewertungskriterien (BSG, Urteil vom 07. Juli 2020, Az.: B 12 R 17/18 R – juris – Rn. 36).

Gesetzliche Sonderregeln zur Versicherungsfreiheit von regelmäßig abhängig beschäftigten Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft in der RV und Arbeitslosenversicherung (§ 1 Satz 4 SGB VI sowie § 27 Abs 1 Nr. 5 SGB III), zeigen wie weit das Weisungsrecht geht, ohne dass die Stellung als Beschäftigter entfällt.

3. Vorliegend braucht das Gericht – auch unter Berücksichtigung der bereits erteilten richterlichen Hinweise in dem gerichtlichen Schreiben vom 15.10.2021 – keine Ausführungen zu der unter 1. und 2. dargestellten Sach- und Rechtslage machen, da sich die Klägerin auf Vertrauensschutz berufen kann (dazu sogleich unter II.). Nur klarstellend möchte das Gericht darauf hinweisen, dass im Hinblick auf die jeweiligen Kapitalanteile der Geschäftsführer an der Klägerin und den maßgebenden vertraglichen Regelungen die Geschäftsführer tatsächlich gegenüber der Gesellschafterversammlung bei Zugrundelegung der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung weisungsabhängig wären. Ihnen stünde aus den Regelungen des Gesellschaftsvertrages sowie des Inhalts der Änderungsverträge zudem nur eine unechte Sperrminorität zu, da die dort vereinbarte Mehrheit von 70 % sich nur auf bestimmte unternehmerische Tätigkeiten bezieht und damit ausschließlich auf bestimmte Bereiche beschränkt ist. 

II. Der Klägerin steht Vertrauensschutz zu. Ihr steht allerdings kein Vertrauensschutz im Hinblick auf die Kopf-und-Seele-Rechtsprechung zu (dazu unter 1. + 2.). Zudem steht ihr kein Vertrauensschutz im Hinblick auf vorher beanstandungsfrei durchgeführten Betriebsprüfungen zu (dazu unter 3.). Jedoch steht ihr im Hinblick auf den seitens der Beigeladenen zu 4. erlassenen Bescheid vom 19.03.1999 Vertrauensschutz zu (dazu unter 4.). Dieser Bescheid ist für die Beklagte auch bindend (dazu unter 5.).

1. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung war in der Vergangenheit   überwiegend zu Leistungsansprüchen des Arbeitsförderungs- und Unfallversicherungsrechts – auch für den Fall, dass der Geschäftsführer einer Gesellschaft nicht zumindest über eine Sperrminorität verfügte, eine selbstständige Tätigkeit des Betroffenen für möglich erachtet, wenn dessen Tätigwerden innerhalb einer Gesellschaft durch eine besondere Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen geprägt war (BSG, Urteil vom 29. August 2012, Az.: B 12 R 14/10 R – juris – Rn. 27). Das Bundessozialgericht hat dazu geurteilt, dass diese Rechtsprechung für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status nach § 7 Abs. 1 SGB IV nicht heranzuziehen ist (BSG, Urteil vom 29. Juli 2015, Az.: B 12 R 1/15 R – juris – Rn. 24). Im Falle eines familiären Zerwürfnisses zwischen den Beteiligten käme allein die den einzelnen Familienmitgliedern zustehende Rechtsmacht zum Tragen, sodass auch nach den gelebten tatsächlichen Verhältnissen eine Weisungsunterworfenheit bestünde. Eine solche "Schönwetter-Selbstständigkeit", welche von rein faktisch, rechtlich nicht gebundenen und daher jederzeit änderbaren Verhalten der Beteiligten, ist mit Blick auf das Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände schwerlich hinnehmbar (BSG, Urteil vom 29. August 2012, Az.: B 12 R 14/10 R – juris – Rn. 28; BSG, Urteil vom 30. April 2013, Az.: B 12 KR 19/11 R – juris – Rn. 19). Das erkennende Gericht schließt sich dieser Ansicht ausdrücklich an.

2. Im Grundsatz besteht nach ständiger Rechtsprechung kein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Höchstrichterliche Rechtsprechung schafft kein Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Eine Rechtsprechungsänderung ist unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen kann nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, insbesondere bei einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung entstehen. Eine rückwirkende Änderung ist ausgeschlossen, wenn im konkreten Einzelfall nach einer Gesamtwürdigung besondere Umstände für ein über die allgemeinen Grundsätze hinausgehendes besonderes Vertrauen bestehen, wobei Dispositionen in Erwartung einer bestimmten richterlichen Entscheidung für sich gesehen grundsätzlich nicht ausreichend sind (BSG, Urteil vom 19. September 2019, Az.: B 12 R 25/18 R– juris – Rn. 20). In Bezug auf das Mitgliedschafts- und Beitragsrecht der Sozialversicherung bestand keine gefestigte und langjährige Rechtsprechung, nach der die Tätigkeit von Geschäftsführer als nicht versicherungspflichtig und damit beitragsfrei zu beurteilen gewesen wäre (BSG, Urteil vom 19. September 2019, Az.: B 12 R 25/18 R– juris – Rn. 21). Bereits 2001 hatte das Bundessozialgericht offengelassen, ob es von dem Grundsatz, dass Fremdgeschäftsführer wegen fehlender Rechtsmacht versicherungspflichtig beschäftigt sind, Ausnahmen gibt (BSG Urteil vom 18.12.2001, Az.: B 12 KR 10/01 R). Ab dem Jahre 2006 hat das Bundessozialgericht die Bedeutung der vertraglich eingeräumten Rechtsmacht betont und klargestellt, dass eine im Widerspruch zu den ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung der nur formellen Vereinbarung nur vorgeht, soweit eine formlose Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist (BSG, Urteil vom 19. September 2019, Az.: B 12 R 25/18 R – juris – Rn. 24). Auch dieser Rechtsprechung schließt sich das erkennende Gericht ausdrücklich an.

3. Es ergibt sich zudem kein Vertrauensschutz hinsichtlich der beanstandungslosen Durchführung vorheriger Betriebsprüfungen. Solche Betriebsprüfungen enthalten ausschließlich Aussagen zu Versicherungs- und Beitragspflichten zu früheren, abgelaufenen Zeiträumen treffen (BSG, Urteil vom 27. Juli 2011, Az.: B 12 R 16/09 R – juris – Rn. 37). Betriebsprüfungen hatten danach nur den Zweck, die Beitragsentrichtung im Interesse der Versicherungsträger und der Versicherten sicherzustellen. Ihnen kam keine Entlastungswirkung für den Arbeitgeber zu, weil sie nicht umfassend oder erschöpfend sein müssen und sich auf bestimmte Einzelfälle oder Stichproben beschränken dürfen. Eine materielle Bindungswirkung aufgrund einer Betriebsprüfung konnte sich nur insoweit ergeben, als Versicherungs- und Beitragspflicht sowie -höhe im Rahmen der Prüfung personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch gesonderten Verwaltungsakt festgestellt wurden (BSG, Urteil vom 19. September 2019, Az.: B 12 R 25/18 R – juris – Rn. 30).

4. Die Klägerin kann sich jedoch auf Vertrauensschutz im Hinblick auf den Bescheid der Beigeladenen zu 4. vom 19.03.1999 berufen, in dem diese festgestellt hat, dass für die Beigeladene zu 2. + 3. ab dem 01.03.1999 keine Sozialversicherungspflicht mehr besteht. Die Klägerin hat auf diesen Bescheid auch vertraut und durfte darauf auch vertrauen (dazu unter a) + b)).

a) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung handelt es sich bei der Feststellung von Sozialversicherungsfreiheit bzw. Sozialversicherungspflicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Statusentscheidungen im Versicherungsrecht erfordern grundsätzlich eine vorausschauende Betrachtungsweise. Auch die Feststellung von Versicherungspflicht in der Sozialversicherung muss im Blick auf die Interessen der Betroffenen wie des Versicherungsträgers materiell-rechtlich notwendig auf der Grundlage einer prognostischen Einschätzung am Beginn des jeweils zu beurteilenden Lebenssachverhalts auf der Basis des damals vorhandenen Erkenntnisstandes erfolgen. Diese Prognose ist schon begriffsnotwendig zukunftsbezogen und bleibt so lange maßgebend, bis in rechtlich relevantem Umfang geänderter Umstände Anlass für eine Korrektur und für eine Ersetzung durch eine neue Prognose geben, die dann wiederum den versicherungsrechtlichen Status für die Zukunft bestimmt. Dieses Vorgehen findet seinen abschließenden verwaltungsverfahrensrechtlichen Ausdruck jeweils in feststellenden Verwaltungsakten. Die Verwaltungsaktkompetenz der zuständigen Träger erstreckt sich dabei gleichermaßen auf das Bestehen wie auf das Nichtbestehen von Versicherungspflicht. In beiderlei Hinsicht ist die Ausübung der behördlichen Gestaltungskompetenz grundsätzlich darauf angelegt, durch eine verbindliche Feststellung Rechtsfrieden nicht nur punktuell, sondern dauerhaft für die gesamte Zeit des unveränderten Fortbestehens des zu beurteilenden Lebenssachverhalts zu schaffen. Sowohl für die positive Feststellung von Versicherungspflicht (vgl. exemplarisch BSG, SozR 4-2600 § 2 Nr. 16 Rn. 15 ff) als auch für die Feststellung von Versicherungsfreiheit (so der Sache nach BSG SozR 4-2600 § 5 Nr. 6 Rn. 17 f; BSG vom 28.09.2011, Az.: B 12 KR 15/10 R – juris – Rn. 19f. und vom 04.06.2009, Az.: B 12 R 6/08 R – juris – Rn. 33) ist daher anerkannt, dass es sich hierbei um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt.

Die Feststellung des Nichtbestehens von Versicherungspflicht teilt auch nicht etwa die Rechtsnatur einer Entscheidung über die Ablehnung laufender Leistungen. Diese ist der Sache nach auf die Feststellung beschränkt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung und ausgehend von den damals zur Verfügung stehenden Erkenntnissen ein weitergehender Anspruch nicht angenommen werden konnte. Hier bedarf es keiner entsprechenden Sicherheit auch für die Folgezeit und ist insofern jederzeit die Möglichkeit einer neuen Entscheidung eröffnet. Eine Regelung mit Dauerwirkung ist folglich in einer Ablehnungsentscheidung nicht zu sehen. Demgegenüber bedarf im Fall der bindenden Feststellung des Nichtbestehens von Versicherungspflicht der iS von § 37 Abs. 1 SGB X Beteiligte im Rahmen der Bestandskraft (§ 77 SGG) gerade einer über den Entscheidungszeitpunkt hinausgehenden Verlässlichkeit, die ua Planungssicherheit bei der Ausübung von Gestaltungsrechten und ein "verbrieftes" Abwehrrecht insbesondere gegen Melde-, Beitragstragungs- und Beitragszahlungspflichten vermittelt (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2015, Az.: B 5 RE 19/14 R – juris – Rn. 14 - 15).

b) Vorliegend hat die Beigeladenen zu 4. festgestellt, dass für die Beigeladenen zu 2. und 3. ab dem 01.03.1999 keine Sozialversicherungspflicht besteht. d) Die Klägerin hat auch auf den Bestand dieses Bescheides auf Grund der ihr gegenüber bestehenden Bestandskraft auch vertrauen dürfen. Sie musste mangels Aufhebung oder anderweitige Erledigung dieses Bescheides im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X auch nicht damit rechnen, dass die Beklagte bei der Betriebsprüfung trotz Vertrauensschutzes eine versicherungspflichtige Beschäftigung der Beigeladenen zu 2. + 3. annehmen wird.

Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass eine Aufhebung wegen der Änderung der Verhältnisse für die Vergangenheit nach § 48 SGB X nicht mehr in Betracht kommt. Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i. V. m. § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X ist eine Aufhebung eines Verwaltungsaktes für die Vergangenheit nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach Bekanntgabe möglich. Damit scheidet eine Aufhebung für die Vergangenheit aus, da die Beigeladene zu 4. den maßgeblichen Bescheid bereits zeitnah zum 19.03.1999 erlassen hat und eine Aufhebung in den zehn Jahren nach seinem Erlass nicht erfolgt ist. Demgegenüber ist das Gericht der Ansicht – ohne dass es im vorliegenden Verfahren streitentscheidend ist -, dass eine Aufhebung für die Zukunft ohne zeitliche Bindung möglich ist. Die Beklagte hat zudem von der obengenannten Befugnis, dem Ergebnis der Betriebsprüfung entgegenstehende Bescheide zurückzunehmen, keinen Gebrauch gemacht, sodass sie auch insoweit an die Feststellung der Beigeladenen zu 4. gebunden ist (siehe dazu unten 5. b)).

5. Bei dem Bescheid vom 19.03.1999 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, welcher für die Beklagte ebenfalls bindend ist und der für die Vergangenheit nicht mehr aufgehoben werden kann. Der Bescheid vom 19.03.1999 war der Beklagten zwingend an dem damaligen Verwaltungsverfahren nach §§ 77 SGG, 12 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), sodass ihr der Bescheid vom 19.03.1999 auch bekanntzugeben war und dieser mangels Rechtsbehelfes in Rechtskraft erwachsen sein dürfte (dazu unter a)). Sofern eine Bekanntgabe des Bescheides vom 19.03.1999 gegenüber der Beklagten oder einem anderen Rentenversicherungsträger nicht gekommen sein sollte, muss die Beklagte aber die Tatbestandswirkung dieses Bescheides gegen sich gelten lassen und ihren Entscheidungen zugrunde legen (dazu unter b)).

a) Nach § 77 SGG ist ein Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch das Gesetz nicht anderes bestimmt ist, wenn der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird. Beteiligter im Sinne des § 77 SGG sind dabei Beteiligte im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 – 4 SGB X. Danach sind am Verwaltungsverfahren Antragsteller, Antragsgegner, derjenige, an den die Behörde den Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat, diejenigen, mit denen die Behörden einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen will oder geschlossen hat, und diejenigen, die nach Absatz 2 von der Behörde zu dem Verfahren 
hinzugezogen worden sind, Beteiligte. Nach § 12 Abs. 2 Sätze 1, 2 SGB X kann die Behörde von Amts wegen oder auf Antrag denjenigen, deren rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können, als Beteiligte hinzuziehen. Sofern der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung für einen Dritten hat, ist dieser auf Antrag als Beteiligter zu dem Verfahren hinzuzuziehen; soweit er der Behörde bekannt ist, hat diese ihn von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen.

Ein nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB X materiell Berechtigter wird dabei von der Bindungswirkung nur erfasst, sofern der Verwaltungsakt nach Hinzuziehung zum Verfahren bekanntgegeben und damit ihm auch gegenüber wirksam geworden ist. Ein bloßes „Kenntnis erlangen“, „Bekanntwerden“ oder gar Kennenmüssen reichen nach dem eindeutigen Wortlaut von § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht aus, da es an dem Bekanntgabewillen der Behörde gerade dem Dritten gegenüber fehlt (so Giesbert in jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 77 SGG (Stand: 15.07.2017), Rn. 39).

Vorliegend hat die Beigeladene zu 4. den Bescheid vom 19.03.1999 in ihrer Funktion als Einzugsstelle erlassen. Verwaltungsakte der Einzugsstellen über Versicherungspflicht oder -freiheit sind vor ihrem Erlass mit den Rentenversicherungsträgern und der Bundesagentur für Arbeit nach § 12 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 86 SGB X abzustimmen und nach § 37 Abs. 1 i. V. m. § 36 SGB X allen Beteiligten gleichzeitig, versehen mit einer – bezogen auf den jeweiligen Beteiligten inhaltlich zutreffenden – Rechtsbehelfsbelehrung, bekannt zu geben (Scheer in jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 28h SGB IV (Stand: 01.08.2021), Rn. 102).

Ob die Beigeladenen zu 4. diesen Bescheid auch dem zuständigen Rentenversicherungsträger bekannt gegeben hat, ist mangels Ermittlungen seitens des Gerichts nicht bekannt. Dagegen spricht allerdings die kurze Zeitspanne zwischen dem Antrag der Klägerin auf Prüfung der Sozialversicherungspflicht sowie der Entscheidung der Beigeladenen zu 4. Es ist allerdings in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Einzugsstelle nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung seit dem Jahre 1961 verpflichtet war und ist, ihre Entscheidungen gegenüber allen Beteiligten, zu denen auch die weiteren Versicherungsträger gehören, bekanntzugeben, für die dann jeweils gesondert von der Bekanntgabe des Bescheides bzw. Widerspruchsbescheides die Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelfristen liefen (vgl. die Ausführungen bei BSG, Urteil vom 01. Juli 1999, Az.: B 12 KR 2/99 R – juris – Rn. 23, 24).

b) Das Gericht musste den Umstand, ob die Beigeladene zu 4. den Bescheid vom 19.03.1999 der Beklagten bekannt gegeben hat, nicht weiter aufklären, da die Beklagte im Rahmen der Tatbestandswirkung an diesen Bescheid gebunden ist. Die Tatbestandswirkung (Drittbindungswirkung) von Verwaltungsakten besagt, dass Behörden und Gerichte die in einem bindenden Bescheid getroffene Regelung, solange sie Bestand hat, als verbindlich hinzunehmen und ohne Prüfung der Rechtmäßigkeit ihren Entscheidungen zugrunde zu legen habe (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 29/15 R – juris – Rn. 11). Die Bindung betrifft dabei lediglich die konkret getroffene Regelung, ohne dass auch eine Bindung an die Begründung (sog. Feststellungswirkung) eintritt. Das Bundessozialgericht hat insoweit bereits entschieden, dass Entscheidungen über die Versicherteneigenschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung Statusentscheidungen sind, die nur gegenüber den am Versicherungsverhältnis Beteiligten ergehen, für Dritte Tatbestandswirkung haben und von diesen nicht beantragt oder angefochten werden können (BSG, Urteil vom 17.06.1999, Az.: B 12 KR 11/99 R).

Auch bei der Entscheidung der Beigeladenen zu 4. in ihrem Bescheid vom 19.03.1999 handelt es sich um eine Statusentscheidung, die – wie bereits ausgeführt – eine Dauerwirkung entfaltet, welche der Beklagten – als Dritte mangels Beteiligung am Verwaltungsverfahren bezüglich des Bescheides vom 19.03.1999 – wegen der fehlenden Aufhebung als verbindlich hinzunehmen hat und ohne Prüfung der Rechtmäßigkeit ihren Entscheidungen zugrunde zu legen hat. Zudem wird dieses Ergebnis dadurch gestützt, dass der Beklagten nach § 28p Abs. 1 Satz 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) im Rahmen der Betriebsprüfung die Befugnis zusteht, Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern zusteht. Damit ist aber auch die Befugnis verbunden, entgegenstehende Bescheide zurückzunehmen oder aufzuheben (vgl. SG Kassel, Urteil vom 25. April 2007, Az.: S 12 KR 421/05 – juris – Rn. 25; SG Darmstadt, Urteil vom 30. August 2021, Az.: S 8 R 316/17 – juris – Rn. 47). Eine solche Befugnis würde aber ins Leere laufen, soweit diese Bescheide für die Beklagte gar nicht bindend wären.

III. Vor diesem Hintergrund erweisen sich die angefochtenen Bescheide der Beklagten als rechtswidrig und mussten aufgehoben werden.

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung. Die Berufung ist nach §§ 143, 144 SGG zulässig, da die Klägerin einen Anspruch i. H. v. 131.122,92 € beträgt, sodass der Wert des Beschwerdegegenstands von 750,-€ deutlich überschritten wird.

Rechtskraft
Aus
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