L 6 AS 140/18

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 21 AS 1291/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 140/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 339/21 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Für die Abgrenzung zwischen § 45 SGB X und § 48 SGB X ist maßgeblich auf die Bekanntgabe des Bescheides abzustellen. Wenn ein Bescheid erst bekannt gegeben wurde, nachdem die Zahlungen des Beklagten bereits auf dem Konto zugeflossen waren, kann § 48 SGB X, der die Fälle einer Änderung der Verhältnisse nach Erlass eines Verwaltungsakts erfasst, nicht Rechtsgrundlage der Aufhebung sein. Vielmehr ist § 45 SGB X heranzuziehen, der die Aufhebung von Verwaltungsakten betrifft, die bereits bei ihrem Erlass rechtswidrig sind.

I.    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 17. Januar 2018 wird zurückgewiesen.  

II.    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung von dem Kläger gewährten Zuschüssen für eine betriebliche Einstiegsqualifizierung sowie die Erstattung dieser Leistungen.

Zusammen mit seinem Bruder B. A. betreibt der Kläger eine Anwaltskanzlei in Bürogemeinschaft in A-Stadt.

Am 11. September 2013 wurde beim Beklagten ein Antrag auf einen Zuschuss für eine betrieblich durchgeführte Einstiegsqualifizierung der Frau C. zur Rechtsanwaltsfachangestellten gestellt (Bl. 1 VA). Das Antragsformular ging dem Beklagten am 18. Oktober 2013 zu (Bl. 1 VA). 

Frau C. war damals im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II). 

Auf dem Antragsformular befand sich im Feld „Firmenbezeichnung und Anschrift“ der Stempel „Anwaltskanzlei A.“. Hierbei handelte es sich um den Firmenstempel des Klägers. Als Ansprechpartner für Rückfragen wurde dessen Bruder B. A. angegeben (Bl. 2 VA). 
Das Antragsformular enthielt einen Hinweis darauf, dass der Antragsteller sich verpflichte, innerhalb von drei Monaten nach der Arbeitsaufnahme eine Bestätigung der Krankenkasse vorzulegen, dass die Jugendliche zur Sozialversicherung angemeldet sei (ebd.). Darunter war das Formular mit dem Namenszug „A.“ unterschrieben (ebd).

Dem Antragsformular war ein schriftlicher „Einstiegsqualifizierungsvertrag“ vom 17. Oktober 2013 beigefügt (Bl. 4 VA). Das Feld für die Eintragung des Arbeitgebers im Vertragsformular ist leer. Der Vertrag ist mit demselben Namenszug wie der Antrag unterschrieben (ebd.). 

Nach Aufforderung durch den Beklagten (Bl. 14 VA) benannte der Bruder des Klägers per E-Mail vom 12. November 2013 dem Beklagten seine Bankverbindung für die Leistungsauszahlung (Bl. 23 VA). 

Der Beklagte gewährte mit Bescheid vom 18. November 2013, adressiert an Herrn A., wobei in der Adresszeile folgendes steht: „Anwaltskanzlei A. A.“, einen monatlichen Zuschuss i.H.v. 323 € für den Zeitraum 1. November 2013 bis 31. Juli 2014 nach § 16 Abs. 1 SGB II in Verbindung mit § 54 a SGB III (Bl. 19 VA). Der Bescheid war mit der Auflage versehen, dass binnen drei Monaten eine Bestätigung der Anmeldung der zu Qualifizierenden zur Sozialversicherung vorgelegt werden müsse (ebd.).

In der Folge wurde für den gesamten Leistungszeitraum der Zuschuss auf das Konto des B. A. überwiesen.

Per Mail vom 10. Januar 2014 teilte der Bruder des Klägers mit, er habe versehentlich den Zuschuss nicht an Frau C., sondern an den Beklagten zurücküberwiesen und bitte um erneute Überweisung (Bl. 18 VA).

Aus dem vom Kläger vorgelegten Kontoauszug ergeben sich zehn Zahlungseingänge in Höhe von 323,00 Euro des Beklagten an folgenden Tagen: 27. November 2013, 27. Dezember 2013, 27. Januar 2014, 27. Februar 2014, 27. März 2014, 28. April 2014, 27. Mai 2014, 27. Juni 2014, 28. Juli 2014 und 27. August 2014 (Bl. 16 f. VA).
Aus dem Kontoauszug ergeben sich neun Zahlungen an Frau C. in Höhe von 323,00 Euro am 27. November 2013, 10. Januar 2014, 30. Januar 2014, 28. Februar 2014, 31. März 2014, 30. April 2014, 30. Mai 2014, 30. Juni 2014 und 30. Juli 2014 (Bl. 16 f. VA).

Erst mit Schreiben vom 7. November 2014 forderte der Beklagte den Kläger auf, die Bestätigung der Anmeldung zur Sozialversicherung, die Erklärung zur gezahlten Vergütung und Ausstellung eines Zeugnisses und Kopien der Lohn- und Gehaltsabrechnungen vorzulegen (Bl. 13 VA). 

Daraufhin teilte der Kläger mit, dass der Bescheid vom 18. November 2013 zu keinem Zeitpunkt vorgelegen habe und dieser erstmals per Fax vom 14. November 2014 übersandt worden sei (Bl. 26 VA). Es sei ihnen nicht mitgeteilt worden, dass Frau C. sozialversicherungspflichtig angemeldet werden musste (ebd.) Die erhaltenen Zahlungen seien in voller Höhe an Frau C. weitergeleitet worden. Man habe sich durch außerordentliche Kündigung von Frau C. getrennt und beabsichtige nun auch nicht mehr, sie noch anzumelden (ebd).

Mit Schreiben vom 18. November 2014 wies der Beklagte daraufhin, dass der Kläger sich durch seine Unterschrift auf dem Antrag zur Anmeldung der zu Qualifizierenden zur Sozialversicherung verpflichtet habe, und hörte zur Rückforderung der gewährten Leistung an (Bl. 27 VA).

Der Beklagte widerrief nach § 47 Abs. 2 SGB X durch Bescheid vom 6. Mai 2015 die Leistungsgewährung vollständig und forderte von dem Kläger die Erstattung der gesamten gewährten Leistung in Höhe von 3.230 € (Bl. 29 VA). Nach Darstellung des Sachverhalts heißt es: „daher widerrufe ich die Bewilligung gem. § 47 Abs. 2 SGB X. Die bereits erbrachten Leistungen sind gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten“.

Der Kläger legte am 19. Mai 2015 ohne Begründung Widerspruch ein. Nach Aufforderung des Beklagten, den Widerspruch zu begründen, führte der Kläger aus, nach Rücksprache mit der Buchhaltung habe er das Geld nie erhalten; der Beklagte solle sich an Frau C. wenden (Bl. 34 VA). 

Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2015 zurückgewiesen. Der Widerspruchsführer habe die erforderlichen Unterlagen bzw. Nachweise nicht erbracht, so dass der Bescheid nach § 47 Abs. 2 SGB X aufgehoben werden durfte. Soweit er vortrage, er habe den Bewilligungsbescheid gar nicht erhalten, so müsse er sich entgegenhalten lassen, dass er die Geldleistungen jedenfalls ohne Rechtsgrund erhalten habe, so dass in diesem Fall die Leistung nach § 50 Abs. 2 SGB X zu erstatten wäre (Bl. 38 VA). Zudem könne belegt werden, dass dem Kläger die Leistungen sehr wohl ausgezahlt worden seien.

Der Kläger hat am 6. November 2015 Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Mit Beschluss vom 17. Dezember 2015 wurde der Rechtsstreit an das Sozialgericht Darmstadt verwiesen (Bl. 12 GA).

Er hat vorgetragen, die Gelder seien auf das Konto seines ebenfalls in der Kanzlei tätigen Bruders B. ausgezahlt und von diesem jeweils direkt an Frau C. weitergeleitet worden. Der Beklagte müsse sich daher hinsichtlich einer etwaigen Rückforderung an diese wenden. Da es keine Kanzlei A. als Sozietät gebe, es handele sich um eine Bürogemeinschaft (Bl. 25 GA), scheide eine gesamtschuldnerische Haftung aus. Zwar sei Frau C. die „Auszubildende“ von ihm selbst gewesen. Er habe jedoch weder den Bewilligungsbescheid erhalten noch Zahlungen des Beklagten (Bl. 22 GA). 

Der Kläger hat beantragt, den Bescheid vom 6. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2015 aufzuheben. 

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat entgegnet, der Antrag sei im Namen der Kanzlei gestellt worden. Aus dem Antrag ginge nicht hervor, dass unter dem Namen der Kanzlei verschiedene Anwälte handelten, welche nicht mit einander geschäftlich verbunden seien (Bl. 26 GA). Die Kanzlei trete im Briefkopf mit der Bezeichnung AA Law auf, laut der Firmendatenbank sei die Kanzlei als Gesellschaft bürgerlichen Rechts eingetragen (Bl. 27 GA). 
Die Leistungen seien an den Kläger ausgezahlt worden. Dieser habe – selbst wenn er den Bewilligungsbescheid zunächst nicht erhalten haben sollte – im Antragsformular erklärt, sich zur Anmeldung der Frau C. zu verpflichten.

In der mündlichen Verhandlung sind der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter befragt worden. In der Niederschrift wird ausgeführt: „Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärt: „Frau C. war nicht meine Auszubildende, sondern die Auszubildende vom Kläger, A. A.." 
Auf Vorhalt des Antragsformulars in der Leistungsakte hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers weiter erklärt: „Dieses Formular habe in der Tat ich unterschrieben. Ich weiß nicht mehr genau, warum ich das damals unterschrieben habe. Ich bin jedoch in der Kanzlei zuständig für das Personal und habe das damals einfach unterschrieben, als sie damit zu mir gekommen ist. Ausgefüllt worden ist das Formular jedoch von Frau C. Der Stempel, der sich im Feld Firmenbezeichnung und Anschrift befindet, ist der Stempel, den damals mein Bruder verwendet hat. Ich habe diesen Stempel in eigenen Angelegenheiten nicht verwendet. Wenn ich gefragt werde, warum ich damals das Formular trotzdem unterschrieben habe, obwohl der Stempel meines Bruders darauf war, kann ich sagen, dass ich dies getan hatte, weil ich in der Kanzlei für Personalangelegenheiten zuständig war." (Bl. 57 f GA)

Das Sozialgericht hat die zulässige Klage durch Urteil vom 17. Januar 2018 als unbegründet abgewiesen. 

Der Bescheid vom 6. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2015 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte habe die Leistungsbewilligung zu Recht zurückgenommen und könne vom Kläger die Erstattung der erbrachten Leistungen in der genannten Höhe verlangen.

Das Gericht sei davon ausgegangen, dass dem Kläger der Bewilligungsbescheid vom 18. November 2013 nicht vor Auszahlung der Leistungen zugegangen sei, da dies nicht bewiesen worden sei. Jedoch sei dem Kläger durch die erstmalige Auszahlung des Zuschusses auf das Konto seines Bruders die Leistungsbewilligung bekanntgegeben worden. Es handele sich insoweit um einen durch konkludentes Handeln erlassenen Verwaltungsakt, der nach § 33 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – (SGB X) wirksam sei. Ein Verwaltungsakt könne danach schriftlich, elektronisch, mündlich oder "in anderer Weise" erlassen werden. Damit werde auch konkludentes Handeln der Verwaltung erfasst (von Wulffen/Engelmann, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 33 Rn. 14b mit Rechtsprechungsübersicht). Es müssten dabei Anhaltspunkte dafür vorhanden sein, dass die Behörde die Rechtslage geprüft und eine Verwaltungsentscheidung getroffen habe und auch treffen wollte (BSG, Urteil vom 07. Juli 2005 – B 3 P 12/04 R –, Rn. 18, Juris). Solche Anhaltspunkte ergäben sich hier insbesondere daraus, dass die Auszahlung in zeitlicher Nähe auf den gestellten Antrag hin erfolgt sei. Zudem sei die Kanzlei zuvor von der Sachbearbeiterin des Beklagten noch befragt worden, wohin die Leistungen überwiesen werden sollten. Die tatsächliche Überweisung ohne Übersendung eines Bescheides ließe daher aus Sicht eines objektiven Empfängers nur den Schluss zu, dass der Beklagte zu einer positiven Entscheidung gekommen sei, aber einen schriftlichen Bescheid nicht habe erlassen wollen.

Die Bekanntgabe der Bewilligungsentscheidung sei insbesondere auch gegenüber dem Kläger selbst erfolgt, obwohl die Leistungen auf das Konto seines Bruders B. A. überwiesen worden seien. Sei ein Bevollmächtigter bestellt, könne nach § 37 Abs. 1 S. 2 SGB X die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes ihm gegenüber vorgenommen werden. Der Leistungsantrag sei laut Klägervortrag im Namen des Klägers durch dessen Bruder B. A. gestellt worden. Dies sei auch dadurch dokumentiert worden, dass bei der Antragstellung der Stempel des Klägers verwendet worden sei. Als Ansprechpartner im Antragsformular sei der Bruder angegeben worden. Dieser habe auf Nachfrage sein eigenes Konto für die Auszahlung der Leistungen angegeben. Der Kläger habe durch die Übertragung des gesamten Antragsverfahrens an seinen Bruder für den Beklagten zu erkennen gegeben, dass dieser zu sämtlichen Handlungen im Verwaltungsverfahren bevollmächtigt sein sollte. Dies beziehe sich im Zweifel auch auf die Entgegennahme der Leistungen, da für einen Außenstehenden keine Begrenzung der Bevollmächtigung erkennbar gewesen sei. 

Zwar sei der vorliegend erfolgte Widerruf der Bewilligung rechtswidrig. Denn nach § 47 Abs. 2 SGB X stehe ein solcher Widerruf im Ermessen der Behörde („kann“). Dieses wäre von dem Beklagten pflichtgemäß auszuüben gewesen. Weder der Bescheid vom 6. Mai 2015 noch der Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2015 ließen jedoch erkennen, dass der Beklagte sein Ermessen erkannt und ausgeübt habe.

Jedoch könne hier die Widerrufsentscheidung in eine Aufhebung der Bewilligung nach § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X umgedeutet werden. Ein fehlerhafter Verwaltungsakt könne nach § 43 Abs. 1 SGB X in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet sei, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt seien. Dies sei hier gegeben. Insbesondere seien die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bewilligungsentscheidung nach § 48 Abs. 1 SGB X erfüllt.

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eingetreten sei, sei nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt solle nach Satz 2 Nr. 4 insbesondere mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene gewusst habe oder nicht gewusst habe, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen sei.

Dies sei hier der Fall gewesen. Der Anspruch des Klägers auf die Zuschüsse zur Einstiegsqualifizierung sei nach Bekanntgabe der Leistungsbewilligung durch die erstmalige Überweisung dadurch weggefallen, dass der Kläger Frau C. im Zeitraum ihrer Beschäftigung bisher nicht sozialversicherungsrechtlich angemeldet habe. Der gesetzlichen Regelung zum Zuschuss für betriebliche Einstiegsqualifizierungen des § 54 a Abs. 1 und 2 SGB III lasse sich zwar nicht ausdrücklich entnehmen, dass der Zuschuss nur für sozialversicherungsrechtlich angemeldete Beschäftigungsverhältnisse gewährt werden könne. Jedoch ergebe sich bereits aus der dort vorgesehenen Übernahme eines Anteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag und dem in Absatz 2 Nr. 3 vorgesehen zeitlichen Umfang von mindestens 20 Wochenstunden, dass es sich um solche Beschäftigungsverhältnisse handele. Zudem stehe einer Einbeziehung pflichtwidrig nichtangemeldeter Beschäftigungen schon entgegen, dass in diesem Fall die Zuschüsse trotz möglicherweise strafbaren Verhaltens der Parteien des Einstiegsqualifizierungsvertrags (§ 266 a StGB) erbracht werden könnten. Dies widerspreche erkennbar den gesetzgeberischen Interessen.

Dem Kläger sei auch zumindest grobfahrlässige Unkenntnis vom Wegfall des Leistungsanspruches vorzuwerfen. Die erforderliche Sorgfalt sei hier in besonders grobem Maße verletzt. Vorliegend habe ihm aufgrund der deutlichen Hinweise im Antragsformular klar gewesen sein müssen, dass der Anspruch auf den Zuschuss entscheidend von der sozialversicherungsrechtlichen Anmeldung der Frau C. abhinge. Sollte lediglich dem Bruder das Formular vorgelegt haben, so müsse sich der Kläger dessen Verschulden jedenfalls nach § 166 BGB entsprechend zurechnen lassen. Insbesondere gäbe es für das Gericht gerade im Hinblick auf die berufliche Tätigkeit des Klägers und des von ihm bevollmächtigten Bruders B. A., die beide Rechtsanwälte seien, keine Anhaltspunkte dafür, dass ihr individueller Verständnishorizont nicht ausreichend gewesen wäre, um den Wegfall des Leistungsanspruches infolge der fehlenden Anmeldung zu erkennen.

Die maßgeblichen Fristen für die Aufhebung der Bescheide seien eingehalten worden. Ein Ermessen sei nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III nicht auszuüben gewesen.

Der Kläger habe die Zahlungen auch vollständig nach § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X zu erstatten. Entgegen seiner Annahme habe er vom Beklagten Leistungen in der genannten Höhe erhalten. Auch im Rahmen der Auszahlung von Leistungen an einen durch Willenserklärung ermächtigten Dritten (etwa bei Einwilligung des Berechtigten) müsse sich der Berechtigte die Leistungen als empfangen zurechnen lassen (BSG, Urteil vom 22. April 1987 - 10 RKg 16/85 = SozR 1300 § 50 Nr. 16; BSG, Urteil vom 22. April 1987 - 10 RKg 6/86 = juris Rz 12; BSG, Urteil vom 25. Januar 1988 - 10 BKg 14/87 = juris Rz 4). Dies gelte selbst dann, wenn eine solche Ermächtigung nicht vorgelegen habe, die auszahlende Behörde aber von ihr habe ausgehen dürfen (BSG, Urteil vom 28. Juni 1991 - 11 RAr 47/90 = SozR 3-1300 § 50 Nr. 10: Vertreter ohne Vertretungsmacht; BSG, Urteil vom 12. Dezember 1996 - 11 RAr 31/96 = SozR 3-1300 § 44 Nr. 19; Merten in: Hauck/Noftz, SGB, 08/16, § 50 SGB X, Rn. 20). Es könne daher hier im Ergebnis dahinstehen, ob der Kläger seinen Bruder B. A. tatsächlich intern ausdrücklich zur Entgegennahme der Leistungen ermächtigt habe. Er müsse sich jedenfalls vorhalten lassen, dass er durch die Bevollmächtigung im Verwaltungsverfahren beim Beklagten den Eindruck erweckt habe, der Bruder sei auch berechtigt, über den Zahlungsweg zu verfügen.

Unerheblich sei, dass die Leistungen sogleich an Frau C. weitergeleitet worden seien. Bei dem Zuschuss zur Einstiegsqualifizierung handele es sich um eine Leistung an den Arbeitgeber und nicht an den Arbeitnehmer. Dies sei in vorliegendem Fall z.B. auch dadurch zum Ausdruck gekommen, dass die Leistungen an den Kläger und nicht an Frau C. ausgezahlt worden seien. 

Schließlich könne sich der Leistungsempfänger im Bereich des § 50 SGB X nicht auf die Einrede des Wegfalls der Bereicherung berufen (Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 50 Rn. 27 m.w.N.).

Der Kläger hat gegen das ihm am 8. Februar 2018 zugestellte Urteil am 8. März 2018 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Er hat vorgetragen, der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten. Zu Unrecht sei das Sozialgericht davon ausgegangen, der Beklagte habe die Leistungsbewilligung zu Recht zurückgenommen und könne von dem Kläger die Erstattung der erbrachten Leistungen in der genannten Höhe verlangen.
Wie das Gericht selbst festgestellt habe, habe der Beklagte nicht beweisen können, dass der Bewilligungsbescheid vom 18. November 2013 dem Kläger vor der Auszahlung der Leistungen zugegangen sei. Zu Unrecht gehe das Gericht daher davon aus, dass dem Kläger durch die erstmalige Auszahlung des Zuschusses auf das Konto seines Bruders die Leistungsbewilligung durch einen durch konkludentes Handeln erlassenen Verwaltungsakt bekannt gegeben worden sei, der nach § 33 II Satz 1 SGB X wirksam sei.
Die Auszahlung auf das Konto seines Bruders, auf das er keinerlei Zugriff habe, da es sich unstreitig um eine Bürogemeinschaft und nicht um eine Sozietät handele, könne keine Bekanntgabe eines Verwaltungsakts durch konkludentes Handeln darstellen.
Bei Rechtsanwälten in Bürogemeinschaft handele es sich daher um Einzelanwälte.
Da es sich um Brüder handele, hätten beide auch denselben Nachnamen, nicht jedoch denselben Vornamen, so dass es sich auch nicht um dieselbe Person handele. Demzufolge könne ein gegenüber dem Bruder des Klägers konkludent bekannt gegebener Verwaltungsakt nicht auch gleichzeitig dem Kläger bekannt gegeben worden sein und schon gar nicht durch eine Auszahlung auf das Konto des Bruders des Klägers, auf das er selbst keinerlei Zugriff habe.
Die Überweisung eines Geldbetrages auf das Konto eines Dritten, nämlich auf das Konto eines anderen Rechtsanwalts, der zufälligerweise der Bruder des Klägers sei und daher denselben Nachnamen wie der Kläger habe, lasse aus keinerlei Sicht den Schluss zu, dass der Beklagte einen Antrag, den der Kläger gestellt habe, positiv beschieden habe und keinen schriftlichen Bescheid habe erlassen wollen; erst Recht sei dies jedoch nicht aus der Sicht eines objektiven Empfängers so zu sehen.
Eine Vollmacht des Klägers an seinen Bruder habe zu keinem Zeitpunkt vorgelegen und die diesbezüglichen Feststellungen des Gerichts seien völlig konstruiert und an den Haaren herbeigezogen.
Im Übrigen stelle das Gericht selbst fest, dass der durch den Beklagten erfolgte Widerruf der Bewilligung rechtswidrig gewesen sei, da der Beklagte das ihm zustehende Ermessen noch nicht einmal erkannt, geschweige denn pflichtgemäß ausgeübt habe; nur um im Anschluss an diese zutreffende Feststellung wiederum eine Umdeutung der Widerrufsentscheidung in eine Aufhebung der Entscheidung zu konstruieren. 
Weiter stelle das Gericht zu Unrecht fest, dass der Kläger als Betroffener eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung gewusst habe oder zumindest grob fahrlässig nicht gewusst habe, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch, nämlich die Leistungsbewilligung auf die Zuschüsse zur Einstiegsqualifikation für Frau C., kraft Gesetzes wegefallen sei, weil er Frau C. im Zeitraum ihrer Beschäftigung bisher nicht sozialversicherungsrechtlich angemeldet habe und damit die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe.
Wie das Gericht im Übrigen selbst festgestellt, lasse sich der gesetzlichen Regelung zum Zuschuss für betriebliche Einstiegsqualifikationen des § 54a 1 und II SGB III gerade nicht ausdrücklich entnehmen, dass der Zuschuss nur für sozialversicherungsrechtlich angemeldete Beschäftigungsverhältnisse gewährt werden könne; nur um im Anschluss hieran wiederum zu konstruieren, dass sich bereits aus der dort vorgesehenen Übernahme eines Anteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag ergebe, dass es sich um solche Beschäftigungsverhältnisse handele.
Ebenso verhalte es sich mit der weiteren Konstruktion des Gerichts im Hinblick auf die in besonders grobem Maße verletzte Sorgfaltspflicht des Klägers, die von weiteren Mutmaßungen gespickt sei.
Im Ergebnis habe das Gericht jeden „Fehler“, der dem Beklagten unterlaufen sei, zu Lasten des Klägers „wegkonstruiert“. Fakt sei, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Leistungen des Beklagten erhalten habe und diese daher von ihm auch nicht zu erstatten seien.

Die Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 17. Januar 2018 sowie den Bescheid des Beklagten vom 6. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2015 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verweist zur weiteren Begründung auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid. 

In der mündlichen Verhandlung am 4. August 2021 sind der Kläger befragt und der Bruder des Klägers als Zeuge vernommen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, sowie der beigezogenen in elektronischer Form und Papierform vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 4. August 2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist zulässig.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 17. Januar 2018 der Widerrufs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 6. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2015, soweit damit der zuvor bewilligte Qualifierungszuschusses für Frau C. für November 2013 bis einschließlich Juli 2014 widerrufen wurde. Gleichfalls im Streit steht die Erstattungsforderung des Beklagten für die Leistungsgewährung für die Monate November 2013 bis einschließlich August 2014. Der angefochtene Verwaltungsakt enthält zwei Regelungen:
- den Widerruf des Bescheides des Beklagten vom 13. November 2013 über die Bewilligung eines Qualifizierungszuschusses für Frau C. an den Kläger für die Zeit vom 1. November 2013 bis zum 31. Juli 2014 und 
- die Feststellung einer Erstattungspflicht des Klägers in Höhe von 3230 Euro.
Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, denn der Kläger strebt die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 6. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2015 an. 

II. Die Berufung ist unbegründet.
Der Bescheid vom 6. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

1. Der Verwaltungsakt ist in formeller Hinsicht rechtlich nicht zu beanstanden. Die grundsätzlich erforderliche Anhörung nach § 24 SGB X ist mit dem Schreiben vom 18. November 2014 erfolgt. Der Verwaltungsakt enthält auch eine ausreichende Begründung (§ 35 SGB X). 

2. In materieller Hinsicht ist der angegriffene Bescheid bei Umdeutung nach § 43 SGB X rechtmäßig.

a) Soweit der Beklagte die Aufhebung des Bescheids vom 13. November 2013 auf § 47 SGB X stützt, weil die Erklärung zur gezahlten Vergütung, Ausstellung eines Zeugnisses und die Bestätigung der Anmeldung zur Sozialversicherung nicht erfolgt ist, kann der angegriffene Bescheid keinen Bestand haben. Unbesehen des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Widerrufs für die Vergangenheit wegen Nichterfüllung einer Auflage nach § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X, hat der Beklagte jedenfalls das ihm eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt.

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X, der im SGB II über § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II Anwendung findet, kann ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, der mit einer Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden. Eine solche Auflage hat der Beklagte in seinen Bescheid vom 13. November 2013 aufgenommen. In dem Bescheid wird ausgeführt, dass der Zuschuss unter der Auflage gewährt wird, dass binnen drei Monate nach Arbeitsaufnahme eine Bestätigung der Krankenkasse vorzulegen ist, wonach die zu Qualifizierende zur Sozialversicherung angemeldet ist. 

Obgleich der Kläger die Auflage nicht erfüllt hat, weil eine Anmeldung von Frau C. zur Sozialversicherung nicht erfolgte, kann - unabhängig vom Vorliegen von Vertrauensschutzgesichtspunkten (§ 47 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 SGB X) als weitere tatbestandliche Voraussetzungen - der Widerruf keinen Bestand haben, weil der Beklagte jedenfalls das von ihm im Rahmen des § 47 SGB X geforderte Ermessen (vgl. BSG, Urteil vom 17. März 2016 – B 4 AS 18/15 R –, Rn. 23, juris) nicht ausgeübt hat.

Eine Heilung der fehlenden Ermessensausübung ist im gerichtlichen Verfahren jedoch nicht möglich (BSG, Urteil vom 20. Januar 2021 – B 13 R 13/19 R –, Rn. 37, juris). Zwar ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 SGB X nichtig macht, gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X unbeachtlich, wenn die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird. Sie kann gemäß § 41 Abs. 2 SGB X bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrensnachgeholt werden. Ein Begründungsmangel in diesem Sinne kann auch vorliegen, wenn der Verwaltungsakt nicht nach Maßgabe von § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X bei einer Ermessensentscheidung die maßgebenden Gesichtspunkte „erkennen" lässt (vgl. hierzu: Schütze, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 9. Aufl., 2020, § 41 Rdnr. 10; Sächs. LSG, Urteil vom 29. Januar 2015 – L 3 AL 57/11 –, Rn. 39, juris). 

Hier liegt jedoch ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs oder des Ermessensausfalles vor. Dieser Mangel der Ermessensbetätigung kann aber im Gegensatz zu einem Fehler der Ermessensbegründung nicht mehr im gerichtlichen Verfahren geheilt werden (so ausdrücklich: BSG, Beschluss vom 7. Dezember 2010 – B 11 AL 74/10-, Rn. 8, juris, m. w. N.; Sächs. LSG, Urteil vom 29. Januar 2015 – L 3 AL 57/11 –, Rn. 39, juris).

Eine andere Sichtweise wäre nur dann geboten, wenn hinsichtlich der Leistungswiderrufe das Ermessen kraft Gesetzes ausgeschlossen gewesen wäre oder eine Ermessensreduzierung auf Null vorgelegen hätte. 

Eine etwaige Ermessensreduzierung auf Null ist hier nicht ersichtlich. Die Ermessensschrumpfung auf Null stellt einen seltenen Ausnahmefall dar. Sie setzt voraus, dass es nach dem festgestellten Sachverhalt ausgeschlossen ist, dass Umstände vorliegen, die eine anderweitige - den Betroffenen ganz oder teilweise begünstigende - Entscheidungsfindung rechtsfehlerfrei zuließen (BSG, Urteil vom 4. Februar 1988 – 11 RAr 26/87 –, Rn. 16; BSG, Urteil vom 17. Oktober 1990 – 11 RAr 3/88 –, SozR 3-1300 § 45 Nr 5, SozR 3-1300 § 32 Nr. 5, Rn. 25; von Wulffen/Wiesner a.a.O. § 45 RdNr 5). Dies ist in aller Regel nicht der Fall (BSG, Urteil vom 11. April 2002 – B 3 P 8/01 R –, Rn. 26, juris, m.w.N.). Vorliegend ist zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass ihm zum einen der begünstigende Verwaltungsakt erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraums zuging und der Beklagte selbst während der Dauer des Bewilligungszeitraumes keine Maßnahmen einleitete, um die Erfüllung der Auflage zu kontrollieren. Somit liegen Umstände vor, die eine andere den Kläger begünstigende Entscheidung zuließen.

Das Ermessen ist auch nicht aufgrund gesetzlicher Regelungen ausgeschlossen. Sonderregelungen für die Aufhebung von Verwaltungsakten finden sich in § 330 SGB III. Der dort geregelte Ermessensausschluss betrifft aber nur bestimmte Konstellationen zu den §§ 44, 45 und 48 SGB X, nicht aber des § 47 SGB X (Sächs. LSG, Urteil vom 29. Januar 2015 – L 3 AL 57/11 –, Rn. 41, juris).

b. Der ermessensfehlerhafte Widerruf kann auch nicht - als weitere Rechtsgrundlage für die Aufhebung - nach § 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 SGB X bestehen bleiben (vgl. zur Möglichkeit der "Umdeutung" eines rechtswidrigen Widerrufs in einen Aufhebungsbescheid nach § 48 SGB X bzw. zum Austausch der Rechtsgrundlage: BSG, Urteil vom 2. April 2014 - B 6 KA 15/13 R, Rn. 29, juris; BSG, Urteil vom 17. März 2016 – B 4 AS 18/15 R –, Rn. 26 - 28)

Nach § 48 Abs. 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Der Verwaltungsakt ist nach S. 2 der Vorschrift - ohne Ausübung von Ermessen und mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse - u.a. aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 SGB X liegen nicht vor, denn hier fehlt es an einer wesentlichen Änderung nach Erlass des aufzuhebenden Bescheides. Der aufzuhebende Bescheid datiert zwar vom 18. November 2013. Ein Verwaltungsakt wird jedoch nicht schon existent, wenn er fertig gestellt und unterschrieben ist, sondern erst, wenn er durch Bekanntgabe an einen Betroffenen erlassen wird (BSG, Urteil vom 21. Juli 1988 – 7 RAr 51/86 –, BSGE 64, 17-23, SozR 1200 § 54 Nr. 13, juris, Rn. 29; BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 65/11 R –, SozR 4-1500 § 163 Nr 6, Rn. 26, juris; Schütze/Engelmann, 9. Aufl. 2020, SGB X § 37 Rn. 5). Der Zeitpunkt des Erlasses bestimmt sich nach der Bekanntgabe des Bescheides an den Adressaten (§§ 39, 37 SGB X), also bei schriftlich erlassenem Verwaltungsakt regelmäßig mit dem Zeitpunkt des Zugangs (BSG, Urteil vom 14. März 1996 – 7 RAr 84/94 –, Rn. 20, juris; Schütze/Engelmann, 9. Aufl. 2020, SGB X § 37 Rn. 5). 

Der vom 18. November 2013 datierende Bescheid ist weder mit einem Absendevermerk versehen, noch konnte der Beklagte den Nachweis erbringen, dass dieser Bescheid dem Kläger vor Beginn der Leistungsbewilligung zuging. Unstreitig wurde dem Kläger dieser Bescheid erst am 14. November 2014 bekannt gegeben und ist damit im Sinne von § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB X erlassen worden. 

Zum Zeitpunkt des Erlasses am 14. November 2014 war der Bewilligungszeitraum, vom 1. November 2013 bis 31. Juli 2014, bereits abgelaufen, weshalb die Auflage Frau C. binnen drei Monate nach Arbeitsaufnahme zur Sozialversicherung anzumelden, nicht mehr wirksam werden konnte, sodass es an einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen fehlt.

c) Der ermessensfehlerhafte Widerruf kann, soweit Leistungen für die Zeit vom 1. November 2013 bis 31. Juli 2014 von dem Beklagten gegenüber dem Kläger zurückgenommen werden, gemäß § 40 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III i.V.m. § 45 Abs. 1, 2 SGB X gestützt und nach § 43 SGB X umgedeutet werden.

Eine Umdeutung des Widerrufs in eine Rücknahme ist nach § 43 SGB X zulässig, denn die Voraussetzungen einer Aufhebung nach § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III i.V.m. § 45 Abs. 1, 2 Satz 3 SGB X liegen vor.

Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann nach § 43 Abs. 1 SGB X in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. 

Die Voraussetzungen für die Umdeutung nach § 43 SGB X sind vorliegend erfüllt.

Der Widerruf und die Rücknahme sind auf das Ziel der rückwirkenden Rücknahme der Leistungsgewährung gerichtet. Der Beklagte hätte den Bescheid von vornherein auf § 45 SGB X stützen können, da dessen Voraussetzungen vorliegen. Nach der Rechtsprechung des BSG sind Grundsätze des § 43 SGB X auch im gerichtlichen Verfahren anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 10. Februar 1993 – 9/9a RVs 5/91 –, SozR 3-1300 § 48 Nr 25, SozR 3-1300 § 43 Nr 2, SozR 3-1300 § 45 Nr 12, juris; BSG, Urteil vom 26. August 1994 – 13 RJ 29/93 –, Rn. 23, juris; Leopold in jurisPK-SGB X, § 43 RdNr. 63).

Auch die weiteren Voraussetzungen des § 43 SGB X liegen vor. So widerspricht die Umdeutung nicht der erkennbaren Absicht des Beklagten. Denn mit der Umdeutung in einen Bescheid über die Rücknahme nach § 45 Abs. 2 SGB X soll dasselbe Ziel erreicht werden. Auch § 43 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB X, wonach die Rechtsfolgen des Verwaltungsakts, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, für den Betroffenen nicht ungünstiger sein dürfen als die des fehlerhaften Verwaltungsakts, steht einer Umdeutung nicht entgegen. In beiden Fällen tritt eine identische Rechtsfolge – die Rückforderung der gewährten Leistung - ein. 
Der Umdeutung steht auch nicht § 43 Abs. 3 SGB X entgegen, da diese Vorschrift nur die Umdeutung einer (zwingend) gebundenen Entscheidung in eine Ermessensentscheidung ausschließt, nicht aber den umgekehrten Fall der Umdeutung einer Ermessensentscheidung in eine gebundene Entscheidung (BSG, Urteil vom 2. April 2014 – B 6 KA 15/13 R, BeckRS 2014, 70971 Rn. 28-47, beck-online; Schütze in v. Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 43 RdNr. 12); gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III i.V.m. § 45 Abs. 2 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen; es besteht also eine Pflicht zur Aufhebung, Ermessen steht der Behörde nicht zu. 

Für die Abgrenzung zwischen § 45 SGB X und § 48 SGB X ist hier maßgeblich auf die Bekanntgabe des Bescheides abzustellen. Da der Bescheid erst im November 2014 für den Bewilligungszeitraum von 1. November 2013 bis 31. Juli 2014 bekannt gegeben wurde, waren bei Erlass dieses Bescheides die Zahlungen des Beklagten bereits auf dem Konto des Bruders des Klägers eingegangen. Deshalb kann § 48 SGB X, der die Fälle einer Änderung der Verhältnisse nach Erlass eines Verwaltungsakts erfasst, hier nicht Rechtsgrundlage der Aufhebung sein. Vielmehr ist § 45 SGB X heranzuziehen, der die Aufhebung von Verwaltungsakten betrifft, die bereits bei ihrem Erlass rechtswidrig sind.

Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung liegen vor. Nach § 40 Abs. 2 Nr.  3 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X ist ein bereits bei seinem Erlass rechtswidriger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben, soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

Die Rechtswidrigkeit des Bescheides folgt daraus, dass keine Anmeldung der Frau C. zur Sozialversicherung binnen der ersten drei Monate nach Aufnahme der Tätigkeit erfolgte. 

Anhaltspunkte dafür, dass die Zahlungen des Beklagten dem Kläger als zu Unrecht oder unzutreffend zugeflossen behandelt wurden, liegen nicht vor. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, er habe die Gelder nicht ausgezahlt bekommen, da diese auf das Konto seines Bruders geflossen seien, muss sich der Kläger diese Zahlungen zurechnen lassen, da die Zahlungen aufgrund der Angaben im Antrag auf das Konto seines Bruders erfolgten. Der Senat nimmt insoweit nach § 153 Abs. 3 SGG Bezug auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil, denen er sich anschließt. 

Des Weiteren ist in diesem Zusammenhang folgendes zu berücksichtigen: Nach Angaben des Bruders und Prozessbevollmächtigten des Klägers im erstinstanzlichen Verfahren war der Bruder in dieser Zeit für die Personalangelegenheiten zuständig. Es erfolgte also offensichtlich ein arbeitsteiliges Vorgehen innerhalb der Kanzlei. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass er Frau C. ebenfalls entlohnt hat, so dass er durch die Zahlungen seines Bruders gegenüber der zu Qualifizierenden gegenüber dieser von weiteren Zahlungen frei wurde. Aus diesem Grund kann er sich nicht darauf berufen, die Gelder nicht erhalten zu haben.

Der Kläger ist daher zutreffend sowohl Adressat des Bewilligungsbescheides als auch des angegriffenen Bescheides. Denn Adressat des Verwaltungsaktes ist derjenige, der durch den Verwaltungsakt materiell berechtigt oder verpflichtet sein soll oder dem gegenüber ein Rechtsverhältnis festgestellt werden soll (Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 33 SGB X (Stand: 01.12.2017), Rn. 12). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nach seinen eigenen Angaben, Frau C. seine „Auszubildende“ war und daher die Bewilligung ihm gegenüber erfolgte.

Neben der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheids liegen auch die übrigen Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung vor. Insbesondere kann der Kläger sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.

Vertrauensschutz ist gem. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ausgeschlossen, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

Hier basierten die fehlerhaften Bewilligungen darauf, dass der Kläger die Tätigkeit von Frau C. nicht binnen drei Monaten zur Sozialversicherung angemeldet hat. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass auch das Tatbestandsmerkmal der groben Fahrlässigkeit im Sinne einer besonders schweren Verletzung der erforderlichen Sorgfalt (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2) vorlag. Aufgrund des Antragsformulars wusste der Kläger bzw. hätte er wissen müssen, dass die Anmeldung zur Sozialversicherung für die Leistungsgewährung von Bedeutung war.

Der Vortrag des Klägers, er habe von dem Anmeldeerfordernis keine Kenntnis gehabt, wird durch das ausgefüllte Antragsformular widerlegt. Dort war auf die Anmeldung zur Sozialversicherung hingewiesen worden. Durch das arbeitsteilige Vorgehen des Klägers und seines Bruders muss er sich die Antragstellung zurechnen lassen.

Daher ist feststellen, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidungen kannte bzw. infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Der Kläger wusste bzw. hätte zumindest wissen müssen, dass die Leistungsgewährung die Anmeldung zur Sozialversicherung voraussetze. Infolgedessen musste ihm auch klar sein, dass eine Bewilligung ohne Anmeldung zur Sozialversicherung nicht richtig sein konnte.

Der Bescheid ist auch nicht rechtwidrig, weil kein Ermessen ausgeübt wurde.

Liegen die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 SGB X vor, so ist der Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, 330 Abs. 2 SGB III). Diese Rechtsfolge stellt eine Modifizierung des § 45 Abs. 2 SGB X dar (Schaumberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 330 SGB III (Stand: 15.01.2019), Rn. 84). Denn § 330 Abs. 2 SGB III ordnet bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X unter Ausschluss des Ermessens als zwingende Rechtsfolge die Rücknahme auch mit Wirkung für die Vergangenheit an. (Schaumberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 330 SGB III (Stand: 15.01.2019), Rn. 84).

Die Aufhebung erfolgte innerhalb der Frist von einem Jahr nach Bekanntwerden der die Rechtswidrigkeit der Bewilligung begründenden Umstände, § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X.

Das Erstattungsverlangen findet seine Grundlage in § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Ist ein Verwaltungsakt aufgehoben worden, so sind danach bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Es ist nicht ersichtlich, dass die geltend gemachte Rückforderung zu Lasten des Klägers der Höhe nach falsch ist, dies ist von dem Kläger auch nicht geltend gemacht worden.

Des Weiteren ist die Erstattung der Leistungen für August 2014 ebenfalls rechtmäßig. Das Erstattungsverlangen folgt aus § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 50 Abs. 2 SGB X.

Gemäß § 50 Abs. 2 SGB X sind Leistungen, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, zu erstatten. §§ 45 und 48 gelten entsprechend. Im August 2014 wurde von Frau C. keine Tätigkeit mehr ausgeübt. Zu diesem Zeitpunkt war das Vertragsverhältnis aufgrund der Kündigung bereits beendet, weshalb bereits aus diesem Grund kein Leistungsanspruch bestand. Aufgrund des arbeitsteiligen Vorgehens der Brüder muss sich der Kläger den Zufluss des Geldes auf das Konto des Bruders zurechnen lassen. 

Da die Tätigkeit von Frau C. durch Kündigung von Seiten des Klägers zum 31. Juli 2014 beendet worden war, muss dem Kläger bekannt gewesen sein, dass ein Anspruch auf die Leistung nicht bestand und die Zahlung daher ohne Rechtsgrund erfolgte. 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision ist nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, da kein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG vorliegt.

Rechtskraft
Aus
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