I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger wegen überlanger Dauer des vor dem Hessischen Landessozialgericht unter dem Aktenzeichen L 5 SF 19/13 EK AS geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 1.100,00 Euro zuzüglich Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 25. April 2018 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu einem Viertel, der Kläger zu drei Vierteln zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Entschädigung für die Dauer eines Entschädigungsklageverfahrens, das vor dem Hessischen Landessozialgericht geführt wurde.
In dem Ausgangsverfahren L 5 SF 19/13 EK AS machte der 1970 geborene Kläger eine Entschädigung für die Dauer des Verfahrens vor dem Hessischen Landessozialgericht mit dem Aktenzeichen L 6 AS 8/08 geltend. In diesem Rechtsstreit stritt der Kläger mit dem Kreisjobcenter des Landkreises Marburg-Biedenkopf um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Rahmen seines Leistungsbezugs nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Die am 5. Dezember 2007 gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Sozialgerichts Marburg (S 5 AS 82/05) eingelegte Berufung wies das Hessische Landessozialgericht mit Urteil vom 13. Juli 2011 zurück, soweit sie sich nicht durch Teilanerkenntnis des Kreisjobcenters erledigt hatte. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 25. August 2011 zugestellt. Die gegen das Urteil eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde mit Beschluss des Bundessozialgerichts vom 22. Juni 2012 (B 4 AS 18/12 B), der am 12. Juli 2012 per Post abgesandt wurde, als unzulässig verworfen.
Der Verlauf des Ausgangsverfahren L 5 SF 19/13 EK AS gestaltete sich im Wesentlichen wie folgt:
Der Kläger erhob per Fax am 18. Februar 2013 Klage und stellte einen Prozesskostenhilfeantrag. Die Klage wurde zunächst unter dem Aktenzeichen L 6 SF 16/13 EK AS geführt. Nach Prüfung der Vorbefassung wurde das Verfahren mit Verfügung vom 21. Mai 2013 vom 6. an den 5. Senat abgegeben. Mit Verfügung vom 20. Juni 2013 teilte der 5. Senat den Beteiligten das neue Aktenzeichen mit und forderte den Kläger zur Einreichung der PKH-Unterlagen auf. Nachdem der Beklagte zum PKH-Antrag Stellung genommen (Schriftsatz vom 10. Juni 2013) und der Kläger sämtliche PKH-Unterlagen eingesandt hatte (Eingang 21. November 2013), wurde ihm mit Beschluss vom 22. November 2013 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin D. bewilligt.
Der Beklagte erhob am 6. Dezember 2013 Anhörungsrüge bezüglich des PKH-Beschlusses vom 22. November 2012 und führte in seiner Begründung unter anderem aus, dass die Entschädigungsklage unzulässig weil verfristet sei.
Am 13. Dezember 2013 beantragte Rechtsanwältin D. Akteneinsicht, die ihr sodann gewährt wurde. Am 3. März 2014 gingen die Akten nach wiederholter Erinnerung der Prozessbevollmächtigten wieder bei Gericht ein.
Auf Nachfrage des Beklagten, ob es sich bei dem Verfahren L 5 SF 19/13 EK AS um ein isoliertes PKH-Verfahren mit Klageentwurf handele, teilte die Senatsvorsitzende mit Schreiben vom 14. März 2014 mit, dass ihr nur ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliege.
Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2014 fragte die Prozessbevollmächtigte des Klägers bei dem Gericht an, wann mit einem Fortgang des Verfahrens zu rechnen sei. Daraufhin antwortete ihr die Vorsitzende, dass noch auf eine ergänzende Begründung und Stellungnahme der Prozessbevollmächtigten gewartet werde.
Mit Schriftsatz vom 17. Juni 2014 beantragte der Kläger unter dem Az. L 5 SF 25/13 EK AL Einsicht in die Akte L 6 AS 8/08, um seine Klage vom 18. Februar 2013 näher begründen zu können. Die Akteneinsicht wurde ihm sodann gewährt.
Am 17. März 2016 forderte die Senatsvorsitzende die Akte S 5 AL 2/05 ZVW bei dem Sozialgericht Marburg, am 29. Juni 2016 die Akte L 6 AS 8/08 beim 7. Senat und am 8. Juli 2016 die Akte L 6 SF 1/13 EK U beim 6. Senat an, um eine doppelte Rechtshängigkeit zu prüfen. Am 7. September 2016 fragte die Senatsvorsitzende beim Bundessozialgericht (BSG) an, wann der Beschluss vom 22. Juni 2012 (NZB) zur Post gegeben worden sei; die Antwort des BSG erfolgte umgehend am 9. September 2016.
Am 31. Oktober 2016 erhob die Prozessbevollmächtigte des Klägers Verzögerungsrüge.
Am 22. Dezember 2016 wurde zur mündlichen Verhandlung für den 27. Januar 2017 geladen. An diesem Tag entschied der Senat durch Urteil und wies die Klage ab und führte zur Begründung aus, dass der Kläger die Klagefrist versäumt habe. Das Urteil wurde den Beteiligten am 13. Februar 2017 zugestellt.
Am 27. Februar 2017 stellte der Kläger einen Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes und erhob Anhörungsrüge. Mit Beschluss des LSG vom 9. Juni 2017 (L 5 SF 25/17 RG und L 5 SF 19/13 EK AS) wurde die Anhörungsrüge als unzulässig verworfen und der Antrag auf Tatbestandsberichtigung zurückgewiesen. Die vom Kläger dagegen erhobene Gegenvorstellung wies das LSG mit Beschluss vom 17. November 2017 zurück (L 5 SF 19/13 EK AS).
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen LSG vom 27. Januar 2017 Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wurde vom BSG mit Beschluss vom 18. Mai 2017 (B 10 ÜG 3/17 BH) abgelehnt. Die vom Kläger dagegen erhobene Anhörungsrüge und Gegenvorstellung wurde vom BSG mit Beschluss vom 28. September 2017 (B 10 ÜG 18/17 C) als unzulässig verworfen.
Am 12. September 2017 hat der Kläger beim Hessischen LSG einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Entschädigungsklage gestellt. Der Kläger hat, wie schon bei Beginn des Ausgangsverfahrens, Arbeitslosengeld II bezogen und steht weiterhin im SGB II-Leistungsbezug. Mit dem ihm am 28. März 2018 zugestellten Beschluss des Senats vom 19. März 2018 (L 6 SF 54/17 PKH) ist ihm Prozesskostenhilfe zur Erhebung einer Entschädigungsklage bewilligt worden. Am 11. April 2018 hat der Kläger Klage zum LSG erhoben.
Die ursprünglich für den 5. September 2018 geladene mündliche Verhandlung ist aufgehoben worden, nachdem der Kläger am 23. August 2018 die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt hatte. Am 16. Oktober 2018 hat sich der Prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt C. zum Verfahren gemeldet und ist mit Beschluss vom 17. Oktober 2018 dem Kläger im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordnet worden.
Mit Schriftsatz vom 2. Januar 2019 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klage begründet. Der Kläger meint, dass das Ausgangsverfahren von Februar 2013 (Klageeingang) bis September 2016 und damit für 42 Monate verzögert worden sei. Das Ausgangsgericht habe es bis September 2016 unterlassen, die Akte des BSG zum Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren B 4 AS 18/12 B anzufordern, um zu ermitteln, wann der Beschluss des BSG zur Post gegeben worden sei. Auf diese Ermittlung habe das Ausgangsgericht dann später die Klageabweisung wegen Versäumung der Klagefrist gestützt, obwohl es diese Zulässigkeitsprüfung bereits bei Klageeingang im Februar 2013 hätte prüfen können und müssen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen,
an ihn als Entschädigung wegen überlanger Dauer des Gerichtsverfahrens L 5 SF 19/13 EK AS (Hessisches Landessozialgericht) 4.200,00 Euro nebst Prozesszinsen daraus zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte meint, dass es an einer wirksam erhobenen Verzögerungsrüge fehle. Die Verzögerungsrüge vom 31. Oktober 2016 sei wirkungslos und gehe ins Leere, da bei objektiver Betrachtung zu diesem Zeitpunkt kein Anlass zur Besorgnis bestanden habe, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werde. Der zu diesem Zeitpunkt eingetretene Stillstand des Verfahrens sei auf das Prozessverhalten des Klägers zurückzuführen, da das Gericht auf die Vorlage der ergänzenden Klagebegründung gewartet habe und dies dem Kläger mit der Verfügung vom 13. Juni 2014 auch mitgeteilt habe. Der Kläger könne nicht einerseits auf die Beschleunigung des Ausgangsverfahrens drängen, andererseits aber klar auf der Hand liegende Schritte zur Verfahrensförderung unterlassen, um die Verantwortung für hierfür bedingte Verzögerungen dem Gericht zuzuweisen. Überdies sei die Verzögerungsrüge vom 31. Oktober 2016 treuwidrig, weil bei objektiver Betrachtung zu diesem Zeitpunkt eine hinreichend wahrscheinliche Überlänge des Ausgangsverfahrens nicht mehr zu prognostizieren gewesen sei.
Der Beklagte vertritt weiter die Rechtsauffassung, dass dem Kläger als Arbeitslosengeld II-Empfänger die Aktivlegitimation für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch fehle, da der Anspruch auf das Jobcenter übergegangen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten der Ausgangsverfahren, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten nach § 198 Abs. 1 S. 1 GVG Anspruch auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Verfahrens vor dem Landessozialgericht Darmstadt mit dem Aktenzeichen L 5 SF 19/13 EK AS in Höhe von 1.100,00 Euro.
1. Die Entschädigungsklage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs. 5 SGG) und auch sonst zulässig. Die Klagefrist ist gewahrt.
Nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG muss eine Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden.
Vorliegend ist das Ausgangsverfahren durch das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. Januar 2017, welches dem Kläger am 13. Februar 2017 zugestellt wurde, beendet worden. Die zur Erhebung einer Nichtzulassungsbeschwerde laufende Rechtsmittelfrist nach § 160a Abs. 1 Satz 2 SGG endete mithin am 13. März 2017. Ausgehend vom Abschluss des Ausgangsverfahrens endete die sechsmonatige Frist nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG zur Erhebung einer Entschädigungsklage deshalb am 13. September 2017. Zwar hat der Kläger erst am 11. April 2018 und damit nach Fristablauf die Entschädigungsklage erhoben. Der Ablauf der Klagefrist ist jedoch unbeachtlich nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit den Grundsätzen von Treu und Glauben, weil der Kläger einen isolierten Prozesskostenhilfeantrag noch (kurz) vor Ablauf der Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG am 12. September 2017 gestellt und nach der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss vom 19. März 2018, ihm zugestellt am 28. März 2018, unverzüglich Klage erhoben hat.
Das Gebot der Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG gebietet es, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes soweit wie möglich und erforderlich anzugleichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990, 2 BvR 94/88). Zur Wahrung materieller Ausschlussfristen genügt es daher, wenn eine finanziell unbemittelte Partei noch innerhalb dieser Fristen Prozesskostenhilfe beantragt und unverzüglich nach der von ihr nicht verzögerten Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag Klage erhebt (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2017, B 10 ÜG 1/17 R, das sich damit ausdrücklich der dort zitierten ständigen Rechtsprechung des BGH angeschlossen hat, vgl. etwa BGH, Beschluss vom 30. November 2006, III ZB 23/06 für den Fall öffentlich-rechtlicher Entschädigungsansprüche nach § 13 StrEG).
Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern, vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dies verlangt ein den Umständen des Falles angemessenes, beschleunigtes Handeln, das dem Interesse des Empfängers der betreffenden Erklärung an der gebotenen Klarstellung Rechnung trägt. „Unverzüglich" bedeutet nicht „sofort", dem Verfahrensbeteiligten ist noch eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, ob er seine Rechte wahren will oder muss (vgl. Gergen in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 121 BGB, Rn.11). Die Rechtsprechung des BGH hat bei materiellen Ausschlussfristen nach dem Rechtsgedanken anderer zivilprozessualer Vorschriften wie §§ 91a, 269 ZPO – eine Frist von zwei Wochen noch als unschädlich angesehen. Das BSG hat offengelassen, ob es dieser Rechtsprechung in dieser Allgemeinheit folgt – es hat jedoch die einen vollen Monat nach der Prozesskostenhilfeentscheidung erhobene Entschädigungsklage in dem mit Urteil vom 7. September 2017 (B 10 ÜG 1/17 R) entschiedenen Fall als nicht mehr unverzüglich und damit unzulässig angesehen.
Im vorliegenden Fall hat der Kläger jedoch innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des PKH-Beschlusses am 28. März 2018 am 11. April 2018 Klage erhoben. Dies sieht der Senat als unverzüglich an (vgl. HLSG, Urteil vom 1. August 2018, L 6 SF 1/17 EK AS).
2. Die Klage ist auch teilweise begründet.
2.1. Der Kläger besaß die Aktivlegitimation für die vorliegende Entschädigungsklage. Der Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG war insbesondere nicht auf das Jobcenter übergegangen.
Die Aktivlegitimation des Klägers folgt aus seiner Stellung als Verfahrensbeteiligter des Ausgangsverfahrens, § 198 Abs. 1, 6 Nr. 2 GVG. Er verliert diese Aktivlegitimation nicht deshalb, weil er während der Dauer des Ausgangsverfahrens und danach Arbeitslosengeld II bezogen hat. Denn Ansprüche nach § 198 GVG gehen jedenfalls während eines Entschädigungsklageverfahrens nicht gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf den Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende über (so auch: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Januar 2018, L 37 SF 69/17 EK AS, LSG Sachsen, Urteil vom 29. März 2017, L 11 SF 17/16 EK AS; andere Auffassung: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22. September 2016, L 15 SF 21/15 EK AS).
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der seit dem 1. August 2006 geltenden Fassung regelt, dass Ansprüche von Beziehern von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes kraft Gesetzes auf den Leistungsträger übergehen, wenn bei rechtzeitiger Leistung des Anderen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nicht erbracht worden wären.
Es ist bereits zweifelhaft, ob und wann eine Gleichzeitigkeit der Ansprüche auf SGB II-Leistungen und auf Entschädigung nach § 198 GVG vorgelegen haben könnte (vgl. zu dieser Voraussetzung Silbermann in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 33 Rn. 36). Der Anspruch auf die Entschädigung müsste im Zeitpunkt der SGB II-Leistungsgewährung fällig und seinem Gegenstand nach geeignet gewesen sein, die Hilfebedürftigkeit abzuwenden. Da die Durchsetzbarkeit der Entschädigungsforderung u.a. von der Wahrung der Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG abhängt, dürfte die Fälligkeit der Forderung vor diesem Zeitpunkt nicht in Betracht kommen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10. August 2017, L 10 SF 10/17 EK U).
Darüber hinaus ist die grundsätzliche Anwendbarkeit von § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II problematisch, weil höchst fraglich ist, ob der gegebenenfalls übergegangene Entschädigungsanspruch überhaupt zur Bedarfsdeckung heranzuziehen gewesen wäre. Ausgeschlossen ist der Übergang von Ansprüchen, wenn und soweit solche Ansprüche nach §§ 11, 12 SGB II nicht zur Deckung des Bedarfs einzusetzen sind (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 2012, B 14 AS 98/11 R m.w.N.). Für eine Privilegierung des Entschädigungsanspruchs gemäß § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II könnte dessen Charakter als Ausgleich für die „seelische Unbill“ durch die lange Verfahrensdauer sprechen, der auf eine von den Zielen des SGB II abweichende Zweckbestimmung hindeutet (vgl. dazu ausführlich LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10. August 2017, L 10 SF 10/17 EK U unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 17/3802).
Der Senat kann die Klärung dieser Rechtsfragen dahingestellt sein lassen, denn jedenfalls schließt die Vorschrift des § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG den Anspruchsübergang nach § 33 SGB II bis zur rechtskräftigen Zuerkennung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer aus.
Gemäß § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG ist der Entschädigungsanspruch bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage nicht übertragbar. Der Ausschluss der Übertragbarkeit des Entschädigungsanspruchs durch § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG soll, so die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/3802, S. 36), einen der Rechtspflege abträglichen Handel mit dem Anspruch und zugleich einen Zugriff Dritter auf den Anspruch verhindern. Seinem Normzweck nach schließt § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG damit auch den Zugriff über eine Legalzession nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II aus. § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB II steht dem nicht entgegen. Zwar sieht diese Bestimmung vor, dass sämtliche privat- oder öffentlich-rechtliche Übertragungs-, Verpfändungs- und Pfändungsverbote verdrängt werden, allerdings muss bei europarechtskonformer Auslegung § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB II hinter § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG zurücktreten (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Januar 2018, L 37 SF 69/17 EK AS).
In Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) wird das Recht auf ein faires und zügiges Verfahren garantiert. Art. 13 EMRK garantiert das Recht auf wirksame Beschwerde. Wirksam im Sinne dieser europarechtlichen Vorgaben ist die deutsche Vorschrift des § 198 GVG, wenn sie ein zügiges Verfahren dadurch sicherstellt, dass sie das befasste Gericht präventiv zu einer schnelleren Entscheidung bewegt oder bereits eingetretene Verzögerungen durch eine angemessene Wiedergutmachung bei den Verfahrensbeteiligten kompensiert (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Januar 2015, 62198/11). Würde man jedoch aufgrund § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB II den Arbeitslosengeld II-Beziehern die Aktivlegitimation für Entschädigungsklagen entziehen, wäre für diesen Personenkreis gerade kein effektiver Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren gegeben. Ihnen bliebe allenfalls das wenig wirksame Instrument der Verzögerungsrüge. Die durch die Legalzession aktivlegitimierten SGB II-Leistungsträger dürfen in der Regel weder Kenntnis von möglicherweise überlangen Gerichtsverfahren ihrer Kunden noch ein tatsächliches Interesse an der zügigen gerichtlichen Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen haben, da eine größere Überlänge und daraus resultierende höhere Entschädigung ihre Leistungsverpflichtung weiter mindern würde. Die Effizienz des § 198 GVG als innerstaatlicher Umsetzung eines Rechtsbehelfs zur Sicherstellung eines zügigen und fairen Verfahrens im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK wäre damit in Frage gestellt. § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB II tritt daher bei konventionsrechtskonformer Auslegung hinter § 198 Abs. 5 Satz 3 GVG zurück (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Januar 2018, L 37 SF 69/17 EK AS).
2.2. Der Kläger hat wegen überlanger Dauer des Ausgangsverfahrens einen Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 1.100,00 Euro.
Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, angemessen entschädigt. Nach Absatz 3 dieser Vorschrift erhält ein Verfahrensbeteiligter Entschädigung nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist.
Der Kläger hat eine wirksame Verzögerungsrüge erhoben. Die Verzögerungsrüge hat Doppelfunktion sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit einer Entschädigungsklage (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Kommentar, 2013, § 198 GVG, Rn. 247). Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG kann eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Einen Endtermin, an dem eine Verzögerungsrüge im Anwendungsbereich des § 198 Abs. 3 S.2 GVG spätestens zu erheben ist mit der Folge der Präklusion eines vorherigen Entschädigungsanspruchs, sieht das Gesetz nicht vor (so auch BSG, Urteil vom 7. September 2017, B 10 ÜG 3/16 R m.w.N.).
Zum Zeitpunkt der Verzögerungsrüge des Klägers am 31. Oktober 2016 bestand auch Anlass zur Besorgnis, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Zu diesem Zeitpunkt war die Entschädigungsklage bereits über drei Jahre anhängig, ohne dass für den Kläger erkennbar war, wann mit einem Termin zur mündlichen Verhandlung bzw. einem Verfahrensabschluss zu rechnen ist. Die bis dahin eingetretene Verzögerung kann auch nicht allein dem Kläger angelastet werden. Zwar weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass der Prozessbevollmächtigten des Klägers auf ihre Anfrage zum Verfahrensfortgang aus dem Juni 2014 vom Gericht geantwortet wurde, dass auf eine ergänzende Begründung von ihr gewartet werde. Diese Antwort des Gerichts überrascht insoweit, als dass die Prozessbevollmächtigte weder eine ergänzende Klagebegründung angekündigt hatte noch gesetzlich dazu verpflichtet und im Übrigen auch vom Gericht dazu nicht aufgefordert worden war. Zudem ging das Ausgangsgericht noch im März 2014 irrtümlich davon aus, dass nur ein Prozesskostenhilfeantrag, nicht jedoch eine Entschädigungsklage zur Bearbeitung vorliege (vgl. das gerichtliche Schreiben vom 14. März 2014). Vor diesem Hintergrund kann eine mehr als zwei Jahre später erhobene Verzögerungsrüge nicht als unwirksam oder treuwidrig angesehen werden. Zumal der Prozessbevollmächtigten des Klägers zwar das Antwortschreiben des BSG vom 9. September 2016 zur Kenntnisnahme übersandt wurde, nicht jedoch die entsprechende gerichtliche Anfrage vom 7. September 201, so dass auch insoweit für die Klägerseite nicht ersichtlich war, welchen Zweck das Ausgangsgericht mit seiner Anfrage verfolgte.
Das Ausgangsverfahren war auch als unangemessen zu bewerten. Ob ein Verfahren als unangemessen lang zu bewerten ist, richtet sich nicht nach starren Fristen. Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, ist nicht möglich (am Maßstab von Art. 19 Abs. 4 GG: BVerfG, Beschluss vom 27. September 2011, 1 BvR 232/11), zumal Zügigkeit oder Verfahrensbeschleunigung keine absoluten Werte sind, sondern stets im Zusammenhang mit den übrigen Verfahrensgrundsätzen, insbesondere dem Amtsermittlungsgrundsatz und dem damit korrespondierenden Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer gründlichen und zutreffenden Bearbeitung durch das Gericht zu sehen sind. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ist nach Entstehungsgeschichte und Zielsetzung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie des EGMR zu Art. 6, 13 EMRK auszulegen (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 – juris Rn. 29; Schenke, NVwZ 2012, 257, 258). § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt insoweit nur beispielhaft und ohne abschließenden Charakter Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind. Maßgebend bei der Beurteilung der Verfahrensdauer sind danach Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Während die rechtliche wie tatsächliche Schwierigkeit, der Umfang und die Komplexität des Falls sowie die Bedeutung des Rechtsstreits Faktoren für eine notwendige Dauer angemessener Sachbehandlung und Verfahrensförderung sind, ist insbesondere das Verhalten des Entschädigungsklägers für die Frage relevant, welche Dauer der Kläger aufgrund eigenen Verhaltens als noch angemessen hinzunehmen hat. Auf der anderen Seite kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, z.B. Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Dezember 2010, 1 BvR 404/10). Überlastungstypische Verfahrensweisen können ebensowenig gegen eine Unangemessenheit angeführt werden wie die durchschnittliche Verfahrensdauer einer überlasteten Gerichtsbarkeit (vgl. zur Sozialgerichtsbarkeit, BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 2010, 1 BvR 404/10 – a.a.O.). Die Beurteilung der Angemessenheit erfolgt daher im Rahmen einer Zurechnung, ob eine Verzögerung überwiegend auf das Verhalten der Beteiligten oder auf eine Untätigkeit des Gerichts zurückzuführen ist (Magnus, ZZP 125 (2012), 75, 81 m.w.N.). Ungeachtet dessen haben die Gerichte aber auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 2010, 1 BvR 404/10). Insoweit beeinflusst die absolute Verfahrensdauer die Würdigung der Verfahrensförderung in einzelnen Abschnitten des Gerichtsverfahrens: Einerseits kann bei ungewöhnlich langen Laufzeiten im Einzelfall eine Vermutung für die Unangemessenheit ohne weitere Würdigung des Verhaltens der Beteiligten oder der Verfahrensförderung durch das Gericht sprechen (EGMR, Urteil vom 5. Oktober 2006 – 66491/01); andererseits kann eine (relative) Verzögerung in einem bestimmten Verfahrensstadium vertretbar sein, wenn die Gesamtverfahrensdauer nicht als unangemessen erachtet werden kann (EGMR, Urteil vom 2. Juni 2009 – 36853/05 Rn.45 m.w.N.).
Die Prüfung der Unangemessenheit hat demnach in zwei Schritten zu erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 2013, III ZR 376/12 Rn.30; Ott in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, a.a.O. § 198 GVG Rn. 97 ff.; ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, Ergänzung zu § 202 SGG, Rn. 32, beide m.w.N.): Zunächst ist das Verfahren nach Feststellung der Schwierigkeit und Bedeutung daraufhin zu untersuchen, ob in den einzelnen Verfahrensabschnitten eine angemessene Sachbehandlung im Sinne der Gewährung effektiven Rechtsschutzes stattgefunden hat, und ist im Wege der Abwägung der o.g. Faktoren festzustellen, ob der Entschädigungskläger diese Dauer aufgrund einer Zurechnung der Verfahrensdauer, insbesondere wegen des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten, im jeweiligen Abschnitt hinzunehmen hat oder aber diese dem Staat als unzureichende Verfahrensförderung zuzurechnen ist. Im Rahmen einer umfassenden Abwägung vor dem Hintergrund der Gesamtverfahrensdauer ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob Verzögerungen kompensiert wurden oder aber eine unangemessene Gesamtverfahrensdauer ohne relative Verzögerungen eingetreten ist.
Vorliegend ist die Schwierigkeit des Verfahrens als überdurchschnittlich und die Bedeutung des Ausgangsverfahrens als durchschnittlich anzusehen.
Rechtliche Schwierigkeiten sind dann anzunehmen, wenn grundsätzliche Rechtsfragen zu beantworten sind, für die noch keine höchstrichterliche Judikatur existiert und die das Gericht daher nicht ohne intensive Auswertung der Fachliteratur beantworten kann. Die Beantwortung auch schwieriger Rechtsfragen gehört allerdings zu den originären Aufgaben des Gerichts. Der Tatrichter muss sich also – nach Lektüre der einschlägigen Literatur – zu einer Auffassung durchringen und diese in seiner Entscheidung knapp, aber nachvollziehbar begründen. Das kann nur in seltenen Ausnahmefällen eine mehrmonatige Verzögerung rechtfertigen, wenn etwa über mehrere komplexe Rechtsfragen gleichzeitig entschieden werden muss. Tatsächlich schwierig kann ein Verfahren sein, wenn die zu klärenden Sachfragen eine komplizierte und lang andauernde Beweisaufnahme erforderlich machen (Roderfeld, Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, GVG § 198 Rn. 8 ff.).
Welche Verfahrenslänge tolerierbar ist, hängt ferner auch davon ab, welche Bedeutung dem Verfahren für die Verfahrensbeteiligten oder die Allgemeinheit zukommt. Für die Praxis der Verfahrensbearbeitung bedeutet dies, dass das Gericht nicht jedes eingehende Verfahren schematisch gleich behandeln kann, sondern Verfahren mit besonderer Bedeutung – möglicherweise auch zulasten anderer, früher eingegangener Verfahren – bevorzugt und beschleunigt bearbeiten muss. Die Tatsache, dass eine Partei die Sache für wichtig oder bedeutend hält, kann freilich für sich allein betrachtet noch kein besonderes Beschleunigungsbedürfnis auslösen. Vielmehr muss es darauf ankommen, ob vom Standpunkt eines objektiven Beobachters, der die Lebenssituation der Klagepartei kennt, eine besondere, die Verfahrensbeschleunigung erfordernde Bedeutung vorliegt (Roderfeld, a.a.O, § 198 Rn. 11).
Im vorliegenden Ausgangsfall handelt es um eine Entschädigungsklage. Eine besondere rechtliche Komplexität liegt hier darin begründet, dass die Rechtsgrundlagen aus dem ÜGG für den geltend gemachten Anspruch bei Klageerhebung im Februar 2013 erst seit dem 3. Dezember 2011 in Kraft getreten waren und insoweit noch nicht auf eine gefestigte Rechtsprechung zurückgegriffen werden konnte. Dazu kommt eine Schwierigkeit auf tatsächlicher Ebene, die zum Teil aufwändige Ermittlungen durch Beiziehung zahlreicher Akten aus verschiedenen Instanzen und Anfragen bei verschiedenen Gerichten erforderlich machte. Der Kläger führte parallel eine Vielzahl von Klage-, Wiederaufnahme , Rechtsbehelfs- und Entschädigungsklageverfahren, so dass eine Herausforderung des Ausgangsgerichts darin bestand, Fragen der doppelten Rechtshängigkeit zu prüfen und sich u.a. zu diesem Zweck einen Überblick über den aktuellen Verfahrensstand der zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen des Klägers zu verschaffen.
Die Bedeutung des Rechtsstreits war aus Sicht eines objektiven Beobachters in Kenntnis der Lebenssituation des Klägers als durchschnittlich anzusehen. Es sind weder Gründe für noch gegen eine besondere Bedeutung der vorliegenden Entschädigungsklage ersichtlich.
Neben diesen Faktoren ist in die Betrachtung mit einzustellen, dass aus dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren und dessen unverzügliche Erledigung folgt. Bereits aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist insoweit schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt (BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013, X K 13/12). Je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie vom Verhalten des Rechtsschutzsuchenden sind ihm gewisse Wartezeiten zuzumuten. Grundsätzlich muss dabei jedem Gericht eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen (BGH, Urteil vom 13. März 2014, III ZR 91/13 Rn. 34). Ebenso sind Gerichte - unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes - berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt. Obwohl die maßgebliche Gesamtabwägung nach den Vorgaben des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG in jedem Einzelfall durchzuführen ist und der Gesetzgeber von der Einführung bestimmter Grenzwerte (Fristen) für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen hat (BT-Drucks 17/3802 S.18; BSG, Urteil vom 21. Februar 2013, B 10 ÜG 1/12 KL und B 10 ÜG 2/12 KL), lässt es sich zur Gewährleistung möglichst einheitlicher Rechtsanwendung und damit aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit andererseits nicht vermeiden, in Entschädigungssachen zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen. Dies jedenfalls dort, wo derartige Konkretisierungen aufgrund vorgefundener Übereinstimmungen sowohl in der Struktur zahlreicher sozialgerichtlicher Verfahren als auch ihrer Bearbeitung durch die Gerichte vertretbar sind (vgl. dazu BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013, X K 13/12 Rn.64). Es ist zu diesem Zweck aufgrund der besonderen Natur sozialgerichtlicher Verfahren in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 3. September 2014, B 10 ÜG 12/13 R Rn. 53) derzeit von folgenden Grundsätzen auszugehen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Urteil vom 20. September 2017, L 6 SF 10/16 EK U): Die persönliche und sachliche Ausstattung der Sozialgerichte muss einerseits so beschaffen sowie die gerichtsinterne Organisation der Geschäfte (Geschäftsverteilung, Gestaltung von Dezernatswechseln etc.) so geregelt sein, dass ein Richter oder Spruchkörper die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung mit der Sache wegen anderweitig anhängiger ggf. älterer oder vorrangiger Verfahren im Regelfall nicht länger als zwölf Monate zurückzustellen braucht. Die systematische Verfehlung dieses Ziels ist der Hauptgrund dafür, dass die für Ausstattung der Gerichte zuständigen Gebietskörperschaften Bund und Land mit den Kosten der Entschädigungszahlungen belastet werden, wenn Gerichtsverfahren eine angemessene Dauer überschreiten. Eine Verfahrensdauer von bis zu zwölf Monaten je Instanz ist damit regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden kann. Diese Zeitspanne muss und wird in der Regel nicht vollständig direkt im Anschluss an die Erhebung der Klage bzw. die Einlegung der Berufung liegen, in der das Gericht normalerweise für einen Schriftsatzwechsel sorgt und Entscheidungsunterlagen beizieht. Die Vorbereitungs- und Bedenkzeit kann vielmehr auch am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein. Für diese Zwölfmonatsregel spricht u.a. die Regelung des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG; danach kann eine Klage zur Durchsetzung des Anspruchs aus Abs. 1 der Vorschrift frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Eine gewisse Vorbereitungs- und Bedenkzeit der Gerichte akzeptiert auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung maßgeblich dem Gesetz zugrunde liegt. Wie die Analyse seiner Urteile zeigt, beanstandet der Gerichtshof regelmäßig nicht die Dauer solcher Verfahren, die nicht besonders eilbedürftig sind und die je Instanz nicht länger als zwei Jahre und insgesamt nicht länger als fünf Jahre dauern (so auch BSG, Urteil vom 3. September 2014, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 54). Nicht jede Periode gerichtlicher Untätigkeit führt nach der Rechtsprechung des EGMR zwingend zu einem Entschädigungsanspruch; vielmehr ist sie in einem gewissen Verfahrensstadium vertretbar, solange die Gesamtverfahrensdauer nicht als überlang erachtet werden kann (vgl. u.a. EGMR, Individualbeschwerde Nr. 32842/96 Nuutnen/Finnland, Rn.110; Individualbeschwerde Nr. 7759/77 Buchholz/Deutschland, Rn. 63). Beruht die Verfahrensdauer, die die genannte Dauer von zwölf Monaten je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung (z.B. Zeit für Einholung von Auskünften, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, Beiziehung von Akten) oder wird sie maßgeblich durch das Verhalten des Klägers, anderer Verfahrensbeteiligter oder Dritter verlängert, so macht selbst dies die Verfahrensdauer in der Regel ebenfalls noch nicht unangemessen. Anderes gilt für Zeiten, in denen eine Sache über zwölf Monate hinaus ("am Stück" oder immer wieder für kürzere Zeiträume) ohne sachlichen Grund "auf Abruf" liegt, ohne dass das Verfahren zeitgleich inhaltlich betrieben wird oder sich auf sog. Schiebeverfügungen beschränkt. Die genannten Orientierungswerte gelten allerdings nur, wenn sich nicht aus dem Vortrag des Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen. Damit ändert die Zwölfmonatsregel nichts am Vorrang der Einzelfallbetrachtung, sondern verschiebt lediglich die sachlichen Anforderungen an die Verfahrensförderung entlang zeitlicher Grenzen.
Die Sachbehandlung im Ausgangsverfahren genügte nicht während der gesamten Anhängigkeit vor dem Landessozialgericht diesem Maßstab. Die Gesamtdauer des Ausgangsverfahrens beträgt 48 Monate. Während dieser 48 Monate der Anhängigkeit vor dem Landessozialgericht ist für 34 Monate ein dem Verfahren Fortgang gebendes Tätigwerden des Gerichts in der Akte nicht dokumentiert.
Zunächst ist aus den oben dargestellten Gründen dem Ausgangsgericht eine zwölfmonatige Vorbereitungs- und Bedenkzeit einzuräumen, die auch für die Bearbeitung eines Entschädigungsklageverfahrens anzuwenden ist. Für diese Monate war das Verfahren nicht verzögert, eine Entschädigungszahlung dafür entfällt.
Im Rahmen einer Gesamtabwägung, die auch das prozessuale Verhalten des Klägers miteinbezieht, führen auch die weiteren 36 Monate nicht vollständig zu einer dem Gericht anzulastenden Verzögerung. Das prozessuale Verhalten des Klägers ist ins Verhältnis zu setzen und kann insbesondere während Phasen der Inaktivität des Gerichts im Rahmen der Verfahrensführung eine sachliche Rechtfertigung der Verzögerung begründen (BSG, Urteil vom 3. September 2014, B 10 ÜG 12/13 R, Rn. 57). Sofern der Kläger also während Phasen der Inaktivität des Sozialgerichts selbst durch das Einreichen von Schriftsätzen eine Bearbeitung des Vorganges durch das Gericht bewirkt hat, liegt keine inaktive Zeit der Verfahrensführung durch das Landessozialgericht und damit keine überlange Verfahrensdauer vor. Insoweit geht der Senat davon aus, dass eingereichte Schriftsätze, die einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, generell eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit beim Gericht bewirken, die mit einem Monat zu Buche schlägt. Das gilt insbesondere auch für solche Schriftsätze, die gesonderte Anträge, etwa auf Prozesskostenhilfe, beinhalten und eine entsprechende Beschlussfassung des Gerichts erfordern. Zeitmaßstäbe, die unter einem Monat liegen, erscheinen vor dem Hintergrund der vom Gesetz vorgegebenen Rechengröße von 1200 Euro pro Jahr der Überlänge (vgl. § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG) nicht mehr als sinnvoll. Gleiches gilt auch für Schriftsätze des Beklagten im Ausgangsverfahrens, die aufgrund ihres Inhaltes eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit bewirken bzw. eine besondere Beschlussfassung erfordern und insoweit nicht als entschädigungspflichtige Inaktivität des Gerichts gewertet werden können.
Aus diesen Gründen scheiden die Monate für eine Entschädigung aus, in denen das Ausgangsgericht mit der Bearbeitung des Prozesskostenhilfeantrags des Klägers und der gegen den PKH-Beschluss gerichteten Anhörungsrüge des Beklagten beschäftigt war (Februar, März, Juni, November und Dezember 2013).
Zudem muss in die Gesamtabwägung einbezogen werden, dass das Ausgangsgericht durch zahlreiche Parallelrechtsstreite und Rechtsmittel des Klägers weitere Verfahrensakten vom Sozialgericht oder anderen Senaten des Landessozialgerichts beiziehen musste, um Fragen der Zuständigkeit und doppelten Rechtshängigkeit prüfen zu können (Mai, Juni, Oktober 2013; März, Juni, Juli 2016). Auch die dadurch veranlassten Warte- bzw. Bearbeitungszeiten können nicht dem Ausgangsgericht angelastet werden, sondern müssen dem Verhalten des Klägers zugerechnet werden (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. April 2016, L 37 SF 159/14 EK AS).
Ebenfalls dem Verhalten des Klägers zuzurechnen ist die Verfahrensdauer in den Monaten Dezember 2013 bis März 2014, in denen die Akten an die Prozessbevollmächtigte des Klägers zur Akteneinsicht übersandt wurde. In diesen und den folgenden drei Monaten war das Ausgangsgericht zur Inaktivität verdammt, da es mangels Akten nicht weiter aktiv das Verfahren fördern konnte, zumal es – wie es in seinem Schreiben vom Juni 2014 dokumentiert hat – auf eine Klagebegründung der prozessbevollmächtigten Rechtsanwältin gewartet hat. Überdies hatte auch der Kläger persönlich im Juni 2014 noch einmal Akteneinsicht genommen.
Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass dieses Prozessverhalten dem Kläger nicht zum Vorwurf gemacht oder pauschal als querulatorisch eingestuft wird. Gleichwohl hat der Kläger insbesondere durch die Vielzahl parallel geführter weiterer Rechtsstreite und die wiederholte Akteneinsicht dazu beigetragen, dass das Ausgangsgericht dafür zusätzliche Bearbeitungs- und Wartezeit aufbringen musste. Weil diese zusätzliche Verfahrensdauer von ihm selbst veranlasst wurde, kann er dafür keine Entschädigung nach § 198 GVG erhalten.
Von den oben genannten (nach Abzug der zwölfmonatigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit) verbleibenden 36 Monaten verbleiben in der Gesamtabwägung insgesamt 11 Monate, in denen in der Akte des Ausgangsverfahrens keine Verfahrensförderung dokumentiert ist und die auch nicht dem Verhalten des Klägers zuzurechnen ist. Diese elf Monate betrachtet der Senat im vorliegenden Fall als entschädigungsrelevante Überlänge.
Eine Kompensation der elfmonatigen Überlänge des erstinstanzlichen Ausgangsverfahrens am Landessozialgericht durch eine zügige Entscheidung in zweiter Instanz konnte mangels Zulassung der Revision am Bundessozialgericht nicht eintreten.
Durch die überlange Verfahrensdauer in erster Instanz hat der Kläger einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten. Dies folgt bereits aus § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Umstände, die diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen, sind nicht erkennbar und auch von dem Beklagten nicht vorgebracht worden.
Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ist zur Überzeugung des Senats nicht ausreichend (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Unter Würdigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 6 und Art. 41 EMRK, nach der eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens nur ausnahmsweise in Betracht kommt, besteht vorliegend kein Anlass, von der gesetzlich als Normalfall vorgesehenen Zahlung einer Entschädigung abzusehen. Entsprechende Gründe hat auch der Beklagte nicht geltend gemacht.
Ausgehend von der im Umfang von elf Monaten überlangen Dauer des gerichtlichen Verfahrens und dem in § 198 Abs. 2 S. 3 GVG vorgegebenen Richtwert von 1.200,00 € für jedes Jahr der Verzögerung beläuft sich die dem Kläger zustehende angemessene Entschädigung auf 1.100,00 Euro.
3. Eine darüber hinausgehende Entschädigung ist nicht zu zahlen. Die Klage ist insofern unbegründet.
Ein höherer Betrag war auch nicht nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG anzusetzen. Diese Regelung erlaubt eine Abweichung nur bei Unbilligkeit „nach den Umständen des Einzelfalls". Dabei kann es nur um atypische Einzelfälle gehen (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014; B 10 ÜG 9/13 R; Roderfeld, a.a.O., § 198 Rn. 82). Denn die Pauschalierung dient gerade dazu, unter Verzicht auf einen einzelfallbezogenen Nachweis Streitigkeiten über die Höhe der Entschädigung möglichst zu vermeiden und damit eine zügige Abwicklung des Entschädigungsverfahrens zu gewährleisten (vgl. BT-Drucksache 17/3802, S. 20). Derartige besondere Umstände sind weder von dem Kläger nachvollziehbar geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
4. Da der Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG außerhalb des Systems der sozialrechtlichen Ansprüche steht, für die Prozesszinsen nach Maßgabe des § 44 SGB I grundsätzlich nicht beansprucht werden können (vgl. BSG, Urteile vom 03.09.2014, B 10 ÜG 9/13 R, B 10 ÜG 12/13 R und B 10 ÜG 2/14 R; Müller, SGb, 2010, 336), war der Beklagte gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 Satz 1 BGB analog zur Zahlung von Prozesszinsen in Höhe von von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verurteilen. Diese sind ab Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Rechtshängigkeit trat am 25. April 2018 nach Zustellung der Klage an den Beklagten ein, § 94 Satz 2 SGG.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
6. Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage der Aktivlegitimation für Entschädigungsklagen von Arbeitslosengeld II-Beziehern.